De vulgari eloquentia/I. Buch – Siebentes Kapitel

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aus: De vulgari eloquentia
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Siebentes Kapitel.
Von der Theilung der Rede in mehrere Sprachen.

Jetzt, ach! vergehe ich vor Scham, die Schmach des menschlichen Geschlechtes zu erneuern; aber da ich es nicht umgehen kann, meinen Weg durch sie hindurch zu nehmen (obwol mir die Röthe ins Gesicht steigt und mein Geist zurückbebt), so will ich sie durcheilen. O über unsere zu Fehltritten geneigte und von Anfang und nie ablassende sündige Natur! War es nicht genug gewesen zu deiner Verderbniß, daß du wegen deiner Uebertretung der Wonnen beraubt fern von der Heimat im Bann lebtest? War es nicht genug, wegen der allgemeinen Schwelgerei deiner Familie und ihres Trotzes, mit Ausnahme einer einzigen, welche gerettet wurde, daß Alles, was dein war, in der Sündflut unterging, und die Strafe für das Unheil, das du begingest, die Geschöpfe des Himmels und der Erde schon gebüßt hatten? Wahrlich genug war es gewesen; aber wie es im Sprichwort heißt: Nicht vor der dritten Stunde wirst du reiten; aber du wolltest lieber elend ein elendes Pferd besteigen. Siehe da, Leser, daß der Mensch, entweder uneingedenk oder geringachtend die früheren Lehren und abwendend die Augen von den Striemen, welche zurückgeblieben waren, zum drittenmal sich auflehnte gegen die Geißelhiebe, aus Stolz der Thorheit sich vermessend. Und so vermaß sich in seinem Herzen der heillose Mensch von dem Riesen überredet durch seine Kunst nicht blos die Schöpfung zu übertreffen, sondern auch den Schaffenden, welcher Gott ist, und begann einen Thurm in Sennaar zu erbauen, der nachher Babel genannt worden ist, das heißt, die Verwirrung, durch welchen er den Himmel zu ersteigen hoffte, trachtend in seiner Thorheit seinem Schöpfer nicht [105] gleichzukommen, sondern ihn zu überwinden. O maßlose Langmuth der himmlischen Herrschaft! Welcher Vater, vom Sohne beleidigt, würde so viel ertragen? Aber sich aufrichtend, züchtigte er, nicht mit feindseliger, sondern mit väterlicher, sonst schon der Streiche gewohnter Ruthe den aufrührerischen Sohn mit mitleidiger und zugleich unvergeßlicher Zurechtweisung. Hatte sich doch fast das ganze menschliche Geschlecht zum gottlosen Werke vereinigt, Einige befahlen, Andere waren Baumeister, Andere gründeten Mauern, Andere verkütteten sie mit Blei, Andere zogen Seile, Andere sprengten Steine, Andere führten sie zu Wasser, Andere zu Lande herbei, und so widmeten sie sich Verschiedene verschiedenen Geschäften, als sie vom Himmel herab mit solcher Verwirrung geschlagen wurden, daß, die Alle mit einer und derselben Sprache dem Werke dienten, in viele Sprachen zertheilt von dem Werke abstanden und niemals zu demselben Verkehr zusammenkamen. Denn Denen alein, die in Einer Thätigkeit sich vereinigten, blieb dieselbe Sprache, zum Beispiel allen Baumeistern eine, allen Zusammenführern von Steinen eine, Allen, die dieselben zubereiteten, eine; und so geschah es bei den einzelnen Arbeitern; soviel aber mannigfaltige Geschäfte bei dem Werke thätig waren, in so viel Sprachen wurde damals das menschliche Geschlecht zertheilt. Und je vortrefflicher die Arbeit, desto rauher und barbarischer war nun die Sprache; Diejenigen aber, denen eine heiligere Mundart blieb, die waren weder gegenwärtig, noch lobten sie die Beschäftigung, sondern mit heftigem Tadel verspotteten sie die Thorheit der Arbeitenden. Aber dies war der Zahl nach der geringste Theil vom Samen Sem, wie ich vermuthe, welcher der dritte Sohn Noah’s war, von welchem das Volk Israel entsprungen ist, die sich der ältesten Sprache bedienten bis auf ihre Zerstreuung.