Textdaten
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Autor: Brüder Grimm
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Titel: De drei Vügelkens
Untertitel:
aus: Kinder- und Haus-Märchen Band 2, Große Ausgabe.
S. 73–79
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1815
Verlag: Realschulbuchhandlung
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Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: old.grimms.de = Commons
Kurzbeschreibung: seit 1815: KHM 96
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Begriffsklärung Andere Ausgaben unter diesem Titel siehe unter: De drei Vügelkens.


[73]
10.
De drei Vügelkens.

Et is wul dusent un meere Jaare hen, da wören hier im Lanne luter kleine Künige, da hed auck einer um den Keuterberge wünt (gewohnt), de gink sau geren up de Jagd. Ase nu mal mit sinen Jägern vom Schlotte heruttrok, höen (hüteten) unner den Berge drei Mäkens ire Köge (Kühe), un wie sei den Künig mit den vielen Küen seien, so reip de ölleste den anner beden Mäkens to, un weis up den Künig: „helo! helo! wenn ik den nig kriege, so will ik keinen!“ da antworde de tweide up de annere Side vom Berge, un weis up den, de dem Künige rechter Hand gink: „helo! helo! wenn ik den nig kriege, so will ik keinen!“ Da reip de jüngeste un weis up den, de linker Hand gink: „helo! helo! wenn ik den nig kriege, so will ik keinen.“ Dat wören [74] averst de beden Ministers. Dat hörde de Künig alles un ase von der Jagd heime kummen was, leit he de drei Mäkens to sik kummen un fragete se, wat se da gistern am Berge sagd hedden. Dat wullen se nig seggen, de Künig frog averst de ölleste, ob se ün wol tom Manne hewen wulle? da segde se ja, un ere beiden Süstern friggeten de beiden Ministers, denn se wören alle drei scheun un schir (klar, schön) von Angesicht, besunners de Künigin, de hadde hare ase Flass. De beiden Süstern averst kregen keine Kinner, un ase de Künig mal verreisen moste, let he se tor Künigin kummen, um se up to munnern, denn se war grae (gerad) swanger. Se kreg en kleinen Jungen, de hadde ’n ritsch-roen Stern mit up de Weld. Da sehden de beiden Süstern, eine tor annern, se wullen den hübsken Jungen in’t Water werpen. Wie se’n darin worpen hadden (ik glöve, et is de Weser west) da flügt ’n Vügelken in de Högte, dat sank:

tom Daude bereit,
up wietern Bescheid,
tom Lilien-Strus:
wacker Junge, bist du’s?

da dat de beiden hörten, kregen se de Angst up’n Lieve un makten, dat se fort keimen. Wie de Künig na Hus kam, sehden se to üm, de Künigin hedde ’n Hund kregen, da segde de Künig: „wat Gott deiet, dat is wole dahn!“

[75] Et wunde averst ’n Fisker an den Water, de fiskede den kleinen Jungen wier herut, ase noch ewen lebennig was, un da sine Fru kene Kinner hadde, foerden (fütterten) se ’n up. Na’n Jaar was de Künig wier verreist, da kreg de Künigin wier ’n Jungen, den namen de beiden falsken Süstern un warpen’n auck in’t Water, da flügt dat Vügelken wier in die Högte un sank:

tom Daude bereit,
up wietern Bescheid,
tom Lilien-Struß;
wacker Junge, bist du’s?

Un wie de Künig torügge kam, sehden se to üm, de Künigin hedde wier ’n Hund bekummen, un he segde wier: „wat Gott deit, dat is wole dahn!“ Averst de Fisker trok düsen auck ut den Water, un foerd’n up.

Da verreisede de Künig wier, un de Künigin kreg ’n klein Mäken, dat warpen de falsken Süstern auck in’t Water, da flügt dat Vügelken wier in die Högte un sank:

tom Daude bereit,
up wietern Bescheid,
tom Lilien-Struß:
wacker Mäken, bist du’s?

Un wie de Künig na Hus kam, sehden se to üm, de Künigin hedde ’ne Katte kregt. Da worde de Künig beuse un leit sine Fru in’t Gefänknis smieten, da hed se lange Jaare in setten.

[76] De Kinner wören unnerdes anewassen, da gink de ölleste mal mit annern Jungens herut to fisken, da wüllt ün de annern Jungens nig twisken sik hewen un segget: „du Fündling, gaa du diner Wege,“ da ward he gans bedrövet und fräggt den olen Fisker, ob dat war wöre? De vertellt ün, dat he mal fisked hedde un hedde ün ut den Water troken (gezogen). Da segd he, he wulle furt un sinen Teiten (Vater) söken. De Fisker de biddet ’n, he mögde doch bliven, averst he let sik gar nig hallen, bis de Fisker et tolest to givt. Da givt he sik up den Weg un geit meere Dage hinner ’n anner, endlich kümmt he vor ’n graut allmächtig Water, davor steit ’n ole Fru un fiskede. „Guden Dag, Moer,“ segde de junge. – „Großten Dank!“ – „Du süst da wol lange fisken, e du ’n Fisk fängest.“ – „Un du wol lange söken, e du dinen Teiten findst: wie wust du der denn da över’t Water kummen?“ sehde de Fru. – „Ja, dat mag Gott witten!“ – Da nümt de ole Fru ün up den Rüggen und drägt ’n der dörch, un he söcht lange Tiid un kann sinen Teiten nig finnen. Ase nu wol ’n Jaar voröwer is, da trekt de tweide auck ut, un will sinen Broer söken. He kümmt an dat Water un da geit et ün ewen so, ase sinen Broer. Nu was nur noch de Dochter allein to Hus, de jammerde so vil na eren Broern, dat se upt lest auck den Fisker bad, he mögte se treken laten, se wulle ere Broerkes söken. Da kam se [77] auck bie den grauten Water, da sehde se tor olen Fru: „guden Dag, Moer!“ – „groten Dank!“ – „Gott helpe ju bie juen fisken.“ Ase de ole Fru dat hörde, da word se ganz fründlich, und trog se över’t Water, un gab er ’n Roe (Ruthe) un sehde to er: „un gah man jümmer up düsen Wege to, mine Dochter! un wenn du bie einen groten schwarten Hund vorbei kümmst, so must du still, um drist, un one to lachen, un one ün an to kicken, vorbei gaan. Dann kümmest du an ’n grot open Schlott, up’n Süll (Schwelle) most du de Roe fallen laten un stracks dörch dat Schlott an den annern Side wier herut gahen; da is ’n olen Brunnen, darut is ’n groten Boom wassen, daran hänget ’n Vugel im Buer, den nümm af, dann nümm noch ’n Glaß Water uk den Brunnen, un gaa mit düsen beiden den sülvigen Weg wier torügge, up den Süll nümm de Roe auck wier mit, un wenn du dann wier bie den Hund vorbie kummst, so schlah ün in’t Gesicht, averst sü to, dat du ün treppest, un dann kumm nur wier to mie torügge.“ Da fand se et grade so, ase de Fru et sagd hadde, un up den Rückwege da fand se de beiden Broer, de sik de halve Welt dorchsöcht hadden. Se ging tosammen, bis wo der swarte Hund an den Weg lag, den schlog se in’t Gesicht, da word et ’n schönen Prinz, de geit mit ünen, bis an dat Water. Da stand da noch de ole Fru, de frögede sik ser, da [78] se alle wier da wören und trog se alle över’t Water, un dann gink se auck weg, denn se was nu erlöst. De annern averst gingen alle na den olen Fisker un alle wören froh, dat se sik wier funnen hadden, den Vügel averst hüngen se an der Wand. De tweide Suhn kunne averst nig to Huse rasten un nam ’n Flitzebogen un gink up de Jagd. Wie he möe was, nam he sine Flötepipen un mackte ’n Stücksken. De Künig averst wör auck up de Jagd un hörde dat, da ging he hin, un wie he den jungen drap, so sehde he: „we hett die verlövt hier to jagen?“ – „O, neimes (niemand).“ – „Wen hörst du dann to?“ – „ik bin den Fisker sin Suhn.“ – „De hett ja keine Kinner!“ – „Wen du’t nig glöven must, so kum mit.“ Dat dehe de Künig und frog den Fisker, de vertälle ün alles, un dat Vügelken an der Wand fing an to singen:

De Möhme (Mutter) sitt allein,
wol in dat Kerkerlein!
o Künig, edeles Blod!
Dat sind dine Kinner god.
de falsken Süstern beide
de dehen de Kinnekes Leide,
wol in des Waters Grund,
wo se de Fisker fund!

Da erschracken se alle un de Künig nam den Vugel, den Fisker un de drei Kinner mit sik na den Schlotte, un leit dat Gefänknis upschluten un nam sine Fru wier herut, de was averst gans [79] kränksch un ellenig woren. Da gav er de Dochter von den Water ut den Brunnen to drinken, da wor se frist un gesund. De beiden falsken Süstern woren averst verbrennt un de Dochter friggede den Prinzen.

Anhang

[XVI]
10.
De drei Vügelkens.

Drei Stunden von Corvei westlich liegt der Keuterberg, Köterberg, Teuteberg (übereinstimmend mit dem nicht weit davon anhebenden Teutoberger Wald) d.h. Götter-, Völker-, Vater- Berg, auf dessen Gipfel sich die Corveischen, Hanöv. und Lippischen Gränzen berühren. Er ist von beträchtlicher Höhe und mag leicht mehr als 40 Stunden im Umkreis beherrschen, tiefer ist er mit Wäldern bewachsen, die Kuppel selbst ist kahl, hier und da mit [XVII] mit großen Steinen besäet und gewährt dürftige Weide für Schaafe. An ihn haben sich natürlich viele Sagen geknüpft und durch ihn erhalten. Rings um den Berg liegen sechs Dörfer, aus einem derselben ist das Märchen ganz in der Mundart mit allen ungleichen zwielichtigen Formen (denn nur die Schriftsprache hat eine einzige bestimmte, die lebende so häufig mehrere zugleich) z.B. sehde und segde, graut und grot, bede und beide, derde und dride. Teite für Vater, das alte Tatta, wird nur in diesen sechs Dörfern gesagt, sonst immer Vaer. – Der Eingang hängt noch mit folgender Sitte zusammen: wenn die Kinder, auf den verschiedenen Seiten des Bergs das Vieh hütend, sich etwas sagen wollen, ruft eins: „hela!“ oder: „helo! helo! hör mal!“ Dann antwortet das andere von drüben: „helo! helb! wat wust du?“ – „helo! helo! kumm mal to mie herover!“ – „helo! helo! ick kumme glick!“

Dieses Märchen stimmt sagenmäßig mit dem der 1001 Nacht von den zwei Schwestern, die auf ihre jüngste eifersüchtig sind (VII. 177. ff) überein; die arabische Erzählung ist nur mehr ausgedehnt, die deutsche einfacher und auch wohl schöner; beide haben ihre Eigenthümlichkeiten und beweisen ihre Selbstständigkeit damit. Aus jenem allgemein zugänglichen Buch wäre Auszug und Zusammenstellung bis ins einzelne überflüssig. Der Derwisch, welchem der Prinz erst Bart- und Augenhaar abschneidet, eh er redet (eins mit dem Gespenst in deutschen Sagen, welches stillschweigend rasirt seyn will), ist hier die hülfreiche alte Frau; sie geht fort und ist erlöst, gleichwie jener stirbt, nachdem er seine Bestimmung erfüllt hat.

Aber nicht blos als arabisches auch als altitaliänisches erscheint dieses merkwürdige Märchen bei Straparola (IV 3.); eine äußere Ableitung von dorther wendet entscheidend der Umstand ab, daß Straparola längst vor dem Uebersetzer der 1001 Nacht lebte. Manches ist bei ihm sogar besser: den Kindern fallen, wenn, sie gekämmt werden, Perlen und Edelsteine aus den Haaren, wodurch ihre Pfleg Eltern reich werden, dort im arabischen heißt es nur einmal (S. 280.): „die Thränen des Kinds sollten [XVIII] Perlen seyn,“ aber der Mythische Zug selbst ist schon untergegangen und hat nur diese Spur hinterlassen. Die Wunderdinge, welche im ital. verlangt werden, das tanzende Wasser, der singende Apfel und der grüne Vogel kommen mit der 1001 Nacht überein; aber abweichend und begründeter ist, wenn die Schuldigen, von welchen die Kinder ins Wasser geworfen waren, bewirken, daß die Schwester ihrer Brüder zu dem gefährlichen Unternehmen reizt, weil sie hoffen, diese sollten dabei umkommen: in der 1001 Nacht bleibt es unerklärt, warum die Andächtige die Neugierde der Schwester rege macht. Dagegen kommt das Verbot sich nicht umzusehen ohne Noth bei Straparola vor, da die Strafe des Versteinens nicht darauf steht.

Wichtiger als diese Abweichungen der arab. und ital. Sage unter sich, ist es, anzuführen, wie unsere Deutsche in einigem mit dieser, in anderm mit jener übereinkommt; der sicherste Beweis ihrer Unabhängigkeit (wiewohl schon jeder, der die Gegend kennte, wo es aufgenommen ist, überzeugt seyn würde, daß jene fremde Erzählungen niemals dorthin gelangt sind). – Mit Straparola stimmt es, daß die Kinder einen rothen (goldenen) Stern auf der Stirne (altes Zeichen hoher Abkunft: Flamme auf dem Haupt[1]; mit zur Welt bringen, wovon die arab. Erzählung nichts weiß. Mit dieser dagegen, daß keine böse Stiefmutter, wie bei Straparola mitwirkt, sondern blos die Schwestern; daß die Kinder in drei Jahren nach einander nicht auf einmal zur Welt kommen und sich die beiden ersten Male der König besänftigt. Eigenthümlich dem deutschen und schön ists, daß aus dem Wasser jedesmal, wie das Kind hineingeworfen ist, ein Vögelchen aufsteigt, welches andeutet, daß der Geist das Leben sich erhalten hat, (denn die Seele ist ein Vogel, eine Taube), wie im Märchen vom Machandelboom (I. 47.); darauf beziehen [XIX] sich auch die Worte im Vers[2] „zum Lilienstraus“ sie wollen sagen, das Kind war zum Tode bereit (d.i. todt) bis auf weitern Bescheid (Gottes) aber ist es gerettet; die Lilie lebt noch, denn die Lilie ist auch der unsterbliche Geist (s. das Märchen von den drei Brüdern I, 9. S. 28. wo statt der Lilie die ihr gleichstehende weiße Studentenblume: Narcisse, verwandelter Jüngling, vorkommt; und das Volkslied im Wunderhorn, wo aus dem Grab darin Vater, Mutter und Kind liegen, drei Lilien aufspriessen). Das Goldwasser und tanzende Wasser ist hier richtiger Wasser des Lebens, dieses wird öfter in den Mythen gesucht (auch in rabbinischen findet es sich) und daß es in der 1001 Nacht nicht anders seyn soll, ist daraus klar, daß die Princessin durch Wasser, das sie gleichfalls oben bei dem Vogel gewinnt, die schwarzen Steine zu Prinzen wieder belebt, wie hier den schwarzen Hund; viel natürlicher ist auch, daß es angewendet wird, um die unschuldige Mutter, die im Kerker saß, wieder gesund zu machen. – Zum Ganzen vgl. das folgende Märchen.


  1. Es gibt auch Geschlechter, wo bei jedem Mitglied, wenn es heftig bewegt wird, von Zorn, Schaam, ein scharf gezeichneter rother Blutstreif auf der Stirne sich zeigt.
  2. Dieser Vers geht auch in andere Volkslieder der dortigen Gegend über.