Das graue Männlein von Altdorf
[107] 12 Das graue Männlein von Altdorf
Dort wo die beiden Zornarme, die gelbe, die Walscheider, und die weiße, die Dagsburger, zusammenfließen, am Enteneck, ligt auf dem umfloßenen Bergrücken Altdorf. Nach den vorhandenen Spuren eine alte Dorfanlage, die wol in den Erbstreitigkeiten bei Aussterben der Dagsburger Grafen zerstört wurde. Die Umwoner [108] schreiben dem Orte jedoch ein vil größeres Alter, ein heidnisches, zu. Zu unterstüzen scheint diß der Name Enteneck[1], der nahe ligende Ort Dreiheiligen, ein gallorömisches Grabfeld und die uralte Befestigung das Heidenschlößel. Für die Umwoner ist der Ort auch unheimlich. – Ein Schwesternpar gieng einst auf Altdorf, um Bucheln zu sammeln. Die eine fand an einer Stelle die Bucheln haufenweise ligen. Freudig raffte sie dieselben zusammen, als plözlich ir ein schwarzer kleiner Hund über die Hände lief. Erstaunt schaute sie auf und sah unfern ein kleines graues Männchen sten. Auf iren Angstruf kam die Schwester herbei. Auch dise erblickte das Männchen, das die Schwestern ernst und schweigend ansah. Die Schwestern wagten sich nicht zu rüren und standen lautlos und zitternd da. Zufälligerweise kam ein Bursch hinzu, der, als er die Erscheinung sah, mutwillig ausrief: Was tust du hier, du Nichtsnuz! – Da rief das Männchen zürnend zurück: Was fragst du mich, hab ich dich gefragt, du bist nichts nutz und so sollen deine Kinder sein biß in das 7. Glid. Nach diser Verwünschung verschwand das Männchen. Die Verwünschung traf aber ein. Die Familie, die früher wolhabend gewesen war, kam zurück und auch iren Nachkomen gelang es nicht vorwärts zu kommen, sie sind, wie allgemeine Meinung in der Gegend, verwünscht.
- ↑ Ueber den Namen vrgl. Mone: Anzeiger 1836. 1 ff. Grimm Myth. 3. Aufl. S. 430.