Das deutsche Blindenheim Tsau-kwong in China

Textdaten
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Autor: E. F.
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Titel: Das deutsche Blindenheim Tsau-kwong in China
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 367–368
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1898
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Das deutsche Blindenheim Tsau-kwong in China.

An bestimmten Tagen des Jahres begeben sich die Chinesen in feierlichen Aufzügen zu den Gräbern ihrer Ahnen. Dort beten sie und bringen Opfer dar. Allerlei Hausgeräte und Kleider aus Papier, eigens für diesen Zweck angefertigtes Papiergeld, Früchte, Thee und Reis werden verbrannt, und während der Opferrauch mit dem Winde emporsteigt, glauben die Heiden, daß die Seelen der Verstorbenen im Jenseits in den Besitz aller der Dinge, die symbolisch verbrannt werden, gelangen. Ein naiver Aberglaube, aber er hat seine dunklen Schattenseiten. Das Opfer ist nach der Meinung des Volkes nur dann wirksam, wenn es von einem männlichen Nachkommen dargebracht wird. Seelen derjenigen, die ohne Söhne gestorben oder deren Geschlechter erloschen sind, gelangen nicht in den Besitz der ihnen so nötigen Dinge. Sie leiden im Jenseits bittere Not, hungernd und bettelnd treiben sie sich herum und rächen sich dafür an den lebenden Menschen, indem sie über diese allerlei Unheil verhängen.

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Die Johanniterschwester Martha Postler.

Dieser heidnische Glauben ist eine der wichtigsten Ursachen des Elends, unter dem so viele junge Mädchen in China seufzen. Der Chinese wünscht sich Knaben zu Nachkommen, und werden sie ihm versagt und dafür Töchter geboren, so verfolgt er diese mit seinem Haß. So kommt es, daß in China zahllose Mädchen gleich nach ihrer Geburt getötet oder ausgesetzt werden, um elend umzukommen oder in Sklaverei zu geraten.

Die christlichen Missionäre haben sich frühzeitig dieser herzlos verstoßenen Kinder angenommen. In Deutschland wurde bereits im Jahre 1850 eine Frauenmission in China und die Gründung eines Findelhauses in Hongkong angeregt. Die junge Gattin des Missionärs Neumann unterzog sich dieser schwierigen Aufgabe. Die Mission blühte auf, und im Jahre 1861 konnten die Schwestern in ein eigenes Haus einziehen, dem sie den Namen „Bethesda“, d. h. Gnadenhaus, gaben. In dieser Anstalt werden die von ihren Eltern verleugneten Töchter zu nützlichen Gliedern der menschlichen Gesellschaft erzogen, zu Lehrerinnen für Missionsanstalten ausgebildet oder, wenn es ihr Wunsch ist, in ihrem 18. bis 20. Lebensjahre an christliche Chinesen verheiratet. Mitten in ihrer menschenfreundlichen Thätigkeit fanden die Missionäre und Schwestern Gelegenheit, noch ein anderes Elend kennenzulernen, dem ein Teil der unglücklichsten Töchter des Reiches der Mitte ausgesetzt ist.

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Das Gebäude des Blindenheims.

In China giebt es sehr viele Blinde. Mangelhafte Gesundheitspflege, Unreinlichkeit und Unwissenheit der chinesischen „Aerzte“ sind schuld daran, daß dort so viele Menschen schon in frühester Kindheit das Augenlicht einbüßen. Das Los der Blinden ist überall schwer, aber grausam gestaltet sich das Dasein der blinden Mädchen in China. Für die erblindeten Männer wird noch in gewisser Hinsicht gesorgt; für sie werden von der Regierung Unterkunftshäuser errichtet; der blinde Mann schlägt sich auch sonst durch das Leben als Bettler oder als Wahrsager, denn blinde Wahrsager werden in diesem abergläubischen Lande besonders hoch geschätzt. Wehe aber dem erblindeten Mädchen! Zahllose Familien suchen sich der unnützen Wesen, die weder zur Heirat noch zur Arbeit taugen, zu entledigen. Vermögende Familien schicken ihre erblindeten Töchter in Nonnenklöster, ärmere aber pflegen sie an sogenannte Sklavenhälterinnen zu verkaufen. Diese Megären erziehen ihre Opfer zu öffentlichen Sängerinnen und zwingen sie mit unerbittlicher Härte zu lasterhaftem Lebenswandel. – Für diese beklagenswerten Blinden trat Schwester Luise Cooper aus Hildesheim mit besonderer Wärme ein. Sie hatte an der Findlingsmission in Hongkong gewirkt, mußte aber wegen gebrochener Gesundheit im Jahre 1886 nach Deutschland zurückkehren. Hier setzte sie ihre Kräfte ein, um die Gründung eines Asyls für blinde Chinesenmädchen zu ermöglichen. In einer Schrift „Aus der deutschen Mission unter dem weiblichen Geschlechte in China“, deren Ertrag zum Besten der blinden Chinesinnen bestimmt ist und die bereits in dritter erweiterter Auflage (Darmstadt, C. F. Wintersche Buchdruckerei) vorliegt, schilderte sie klar und ergreifend die traurige Lage ihrer Mitschwestern; im Jahre 1890 rief sie in Hildesheim den ersten „Frauen- und Jungfrauenverein für China“ ins Leben und gab den Anstoß zu einer Bewegung, [368] die schließlich darin gipfelte, daß in Hongkong ein deutsches Blindenheim für chinesische Mädchen errichtet wurde.

Zur Leiterin desselben wurde die Johanniterschwester Martha Postler aus Schwanebeck erwählt. Sie war durch einen kurzen Aufenthalt in einer deutschen Blindenanstalt einigermaßen auf ihren Beruf vorbereitet und reiste am 4. Oktober 1896 von Hildesheim ab, um zuerst als Pensionärin in dem Findelhause Bethesda die chinesische Volkssprache zu erlernen und sich in die dortigen Sitten einzuleben.

Am 15. September 1897 zog Schwester Martha in das neue Blindenheim ein, das den Namen Tsau-kwong, d. h. „Kommet zum Licht“ erhielt. Das schöngelegene Haus, das unsere Abbildung auf S. 367 wiedergiebt, wurde für 77 Mark monatlich gemietet. Es besteht aus vier Räumen; dazu gehört noch ein Nebengebäude mit guten Chinesenwohnungen, Küche u. dergl. und ein Stück Gartenland mit einem Spielplatz für die Kinder.

Schwester Martha hat gegenwärtig sieben blinde Mädchen bei sich. Das Bestreben der Mission geht dahin, die blinden Mädchen nicht nur zu verpflegen, sondern auch zur Arbeit zu erziehen, daß sie im Schutze der Anstalt später ihren Lebensunterhalt sich selbst verdienen können. Wer würde nicht den opferfreudigen Schwestern im fernen Ostasien Glück bei ihrem edlen Werke von Herzen wünschen? Möge auch Tsau-kwong blühen und gedeihen und immerdar dem deutschen Namen jenseit der Meere zur Ehre gereichen! E. P.