Das Wetterhorn und der Rosenlaui-Gletscher in den Berner Alpen
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in den Berner Alpen.
„Im Riesenbau des Alpengebirgs ist das Berner Oberland ein Sanktuarium,“ bemerkt Bonstetten; man konnte hinzufügen: ein Sanktuarium in Trümmern. Ueberall, durch das ganze Gebirgsland, treten die Zeugen gewaltsamer Zerstörungswuth vergangener, weit über jede menschliche Geschichte hinausreichender Zeiten auf und seit unzähligen Aeonen nagt eine langsame, immer fortgehende Verwitterung an den, dem Scheine nach der Ewigkeit trotzenden Colossen. Das Prachtgebäude der Berner Centralalpen ist im Grunde nichts, als eine Ruine, deren himmelanstrebende Mauern Schutthügel umgeben. Aber diese Ruine des Urgebirgs ist herrlich und erhaben über alle Beschreibung. Tiefe Thäler, Spalten und Schlünde zerreißen es in allen Richtungen und bieten auf den höhern Standpunkten dem Auge eine furchtbar schauerliche Versammlung von Pyramiden, Obelisken, Gebirgsmauern und Bollwerken dar, deren Häupter über die Wolken ragen und zu deren Füßen die tiefen Thäler als finstere Klüfte erscheinen. Nackte, senkrechte, oft überhängende Wände, Schluchten, oft mit Gestein überschüttet, durch welche die Alpenströme Sturz auf Sturz herabdonnern, grotesk emporstrebende Gebirgsgestalten
[89] und ungeheuere Felshörner: das sind die Hauptgesichtszüge, welche der Wanderer an den Berner Alpen wahrnimmt. Nie sieht man einen gleich-fortlaufenden Höhenzug. Die Spitzen der Berge sind gemeinlich an den obersten Enden ausgefressen, gezähnt, zackig; oft endigen sie nadel- oder hornförmig, weshalb sie auch von den Bewohnern Piks, Hörner etc. genannt werden. Die meisten dieser Gipfel hat der Schöpfer mit glänzenden Schnee- und Gletschermänteln umhüllt, und wenn sie in der Morgen- und Abendbeleuchtung purpurrothe Strahlen von sich werfen, erscheinen sie wahrhaft wie Gebirgs-Könige auf ihren Thronen.
Auch ist jene Ruinenwelt nicht todt, sondern eine Welt voller Leben. Selbst die Leiber der höchsten Berge find nur scheinbar erstarrt unter ihrem kalten Gewande; denn allenthalben hört man das Rauschen herabstürzender Wasser, welches beweist, daß unter dem Eise der Gletscher ein reges Leben wohnt. Tausende von Rieseln stürzen sich krystallklar aus den Höhen zu den Schluchten und Thälern nieder, welche eine Fülle der anmuthigsten Schönheiten bergen, und wo kräftige, betriebsame, von der Freiheit beglückte und glückliche Menschen wohnen. Blühende Städte prangen an den Füßen der Hochgebirge, während droben jede grüne Alpe eine Heerde nährt und Hütten der Senner trägt. Selbst die Ränder der Gletscher sind mit Blumen umsäumt, und auf dem ewigen Schnee keimt noch das Algenleben, welches rosenroth an den Firnen schimmert.
Zwischen Lauterbrunnen und Meyringen, auf einer verhältnismäßig kurzen Strecke, drängen sich die erhabensten Schönheiten des Berner Hochgebirgs zusammen und sorgfältig erhaltene Saumpfade führen jährlich die Tausende hinan, welche herkommen, die Herrlichkeit zu schauen und zu bewundern. Alle Gipfel sind mit ewigem Eise umhüllt und von allen Bergseiten hängen die Gletscher bis tief in die Thäler hinab. Hier ist das eigentliche Reich des Eises, ein Reich voller Pracht und Majestät.
Auf der Scheideck, über welche ein Saumpfad nad dem Oberhaslithal hinabführt, ist der Punkt, von dem aus der Künstler das schöne Bild aufnahm, welches diese Worte begleiten. Aus einem weiten Cyklus von Berghörnern, Zacken und Thürmen tritt hier, groß und erhaben, das Wetterhorn hervor, nur von der nahen Jungfrau an Höhe übertroffen, aber nicht an Schönheit. Fast cirkelrund, wie die Mauern einer Riesenburg, starren die beschneieten, 12,000 Fuß hohen Zacken des Gipfels in den blauen Aether, und aus ihrem Schooße wälzen sich die grünlich-glänzenden Eismassen des Rosenlaui-Gletschers hinab, eines der herrlichsten der ganzen Schweiz.
Merkwürdig ist das Echo an dieser Stelle. Nicht hundertmal, mehr als tausendfältig gibt es jeden Ruf zurück. Anfangs gleicht es einem rollenden Donner, dann dem Rasseln unzähliger Wagen; allmählig löst es sich in das Gemurmel eines rieselnden Baches auf, zuletzt in Quellengelispel, bis es verhallt.