Textdaten
Autor: Walther Kabel
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Titel: Das Unterrockbanner
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aus: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1913, Bd. 10, S. 215–217
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Erscheinungsdatum: 1913
Verlag: Union Deutsche Verlagsgesellschaft
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Erscheinungsort: Stuttgart, Berlin, Leipzig
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(Nachdruck verboten.)

Das Unterrockbanner. – In dem Armeemuseum der Vereinigten Staaten in Washington wird neben anderen ruhmreichen Trophäen auch eine Fahne aufbewahrt, die vielleicht das seltsamste militärische Wahrzeichen dieser Art ist. Aufs engste verknüpft mit dieser Fahne ist die Lebensgeschichte einer merkwürdigen Frau.

Zu den schönsten Erscheinungen der Pariser Salone in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts gehörte die Baronesse Jeanne de Brunvillières. Da der Reichtum ihrer Familie aber in den Stürmen der Revolution verloren gegangen war, fand sich so leicht kein Freier für die arme Adelige. Da tauchte in Paris ein Graf Murat auf, ein noch junger Mann, der, obwohl mit Glücksgütern ebensowenig gesegnet wie die Baronesse de Brunvillières, sich sofort eifrig um deren Hand bewarb und auch erhört wurde. Im Jahre 1854 heiratete das Paar, mußte aber bereits vier Jahre später fliehen, weil Murat sich bei einer politischen Verschwörung schwer kompromittiert hatte. Die jungen Eheleute schlossen sich einem Auswandererzuge an, der von Bremen aus durch Agenten der Vereinigten Staaten nach dem neuerschlossenen Koloradogebiete geleitet wurde.

Völlig mittellos trafen die Murats nach Verlauf von drei Monaten in ihrer neuen Heimat an, wo man damals noch jeden Fußbreit Boden den Indianern mit der Büchse in der Hand abringen mußte. Der Graf erhielt an den Ufern des Palmasees ein Stück Land angewiesen, errichtete dort, unterstützt von seiner energischen Gattin, ein Blockhaus und versuchte es mit der Rinderzucht. Bereits hoffte er, hier eine bleibende Heimat gefunden zu haben, als bei Gelegenheit eines Einfalles der [216] Rothäute die Farm vollständig niedergebrannt und sämtliches Vieh fortgetrieben wurde. Das Ehepaar selbst rettete zwar das nackte Leben, aber seine beiden ein- und zweijährigen Knaben wurden von den Indianern erbarmungslos abgeschlachtet.

Dieser furchtbare Schlag verwandelte den bisher sanften Charakter der jungen Gräfin vollständig. Unstillbarer Rachedurst erfüllte ihr Herz. Gemeinsam mit ihrem Gatten durchstreifte sie fortan heimatlos die Prärien, und ihrer sicheren Kugel fielen unzählige Rothäute zum Opfer. In den Grenzorten war sie eine wohlbekannte Erscheinung. Stets trug sie dieselbe Kleidung, einen fußfreien hirschledernen Rock und eine grüne Bluse aus dickem Wollstoff. Von ihrer Körperkraft und Gewandtheit im Reiten und Schießen erzählte man sich Wunderdinge.

Als dann im Jahre 1863 in Kolorado das Erste Freiwilligenregiment gebildet wurde, um die Rothäute endgültig aus der Nähe der Ansiedlungen zu verdrängen, ließ sich das Ehepaar Murat in die erste Kompanie einreihen. In dem erbitterten Gefechte bei Cottny-Springs war es, wo das Regiment seine Fahne verlor. Als am Abend nach dem Kampfe dieser Verlust im Biwak bekannt wurde, herrschte allgemeine Bestürzung. Aber die Gräfin Murat wußte Rat. Aus ihrem blau und weiß gestreiften Unterrock nähte sie ein neues Fahnentuch zurecht, auf das mit schwarzer Ölfarbe schnell die nötigen Sterne und der Name des Truppenteils gemalt wurden. Dieses an eine einfache Zeltstange befestigte Fahnentuch hat dann das Erste Freiwilligenregiment von Sieg zu Sieg geleitet.

Das Ehepaar Murat setzte sein abenteuerliches Leben noch bis zum Jahre 1872 fort. Dann ließ es sich auf seiner alten Farm am Palmasee nieder und versuchte es abermals mit der Viehzucht. Aber das Glück blieb ihm fern. Als bald darauf Graf Murat plötzlich starb, blieb seine Witwe in den dürftigsten Verhältnissen zurück.

Erst nach Jahren hörten ihre alten Kampfgenossen von ihrer Not. Es wurde sofort eine Sammlung veranstaltet, die, unterstützt von der ganzen nordamerikanischen Presse, nicht weniger [217] als dreihunderttausend Dollar einbrachte. Allein die Gräfin lehnte die Annahme dieser Ehrengabe ab. Sie bestimmte, daß das Geld als Stiftung zur Unterstützung armer Soldatenwitwen Verwendung finden sollte. Dies geschah denn auch im Jahre 1883. Um der Greisin aber doch die letzten Lebensjahre zu erleichtern, brachte der Vertreter des Staates Kolorado im nordamerikanischen Kongreß den Antrag ein, der Gräfin in Anerkennung ihrer Verdienste einen Ehrensold von monatlich zweihundert Dollar bis an ihr Ende zu bewilligen. Der Antrag fand allseitigen Beifall. Diesen Ehrensold hat die einsame Frau bis zum 9. April 1909 erhalten. An diesem Tage starb sie kurz vor Vollendung ihres sechsundachtzigsten Lebensjahres. Ihr Begräbnis fand unter allen militärischen Ehren und auf Staatskosten statt.

Das „Unterrockbanner“ führte das Erste Freiwilligenregiment, das 1868 in das Vierte reguläre Schützenregiment umgewandelt wurde, bis zum Jahre 1882. Dann erst wurde die arg zerfetzte Fahne, die eine so merkwürdige Geschichte hatte, dem Armeemuseum überwiesen.

W. K.