Das Schulze-Delitzsch-Denkmal in Delitzsch

Textdaten
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Autor: Hermann Häntschke
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Titel: Das Schulze-Delitzsch-Denkmal in Delitzsch
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 9, S. 289, 291
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1892
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[289]

Das Schulze-Delitzsch-Denkmal in Delitzsch
Nach einer Photographie von Rud. Fleischer in Delitzsch.

[291] Das Schulze-Delitzsch-Denkmal in Delitzsch. (Mit Abbildung S. 289.) Im Jahre 1848 wurde der damalige preußische Gerichtsassessor, spätere Kreisrichter Schulze von seinem heimischen Wahlkreis Delitzsch in die preußische Nationalversammlung, nach Auflösung derselben in den Landtag gewählt.

Als Mitglied der Kommission der Nationalversammlung zur Erörterung der sogenannten „Arbeiterfrage“ war Schulze zu der Ueberzeugung gelangt, daß diese Frage nicht durch staatliche Eingriffe, sondern auf dem Wege der freien Association, durch die auf dem Grundsatz der Selbsthilfe beruhende Genossenschaft, wenn nicht vollständig zu lösen, so doch wesentlich zu fördern sei. Es war dies der Ausgangspunkt einer Bewegung, die eine ganz außerordentlich bedeutsame Rolle in dem Wirthschaftsleben der Gegenwart zu spielen berufen war. Denn Schulze ging bald an die praktische Ausführung seiner Ideen, für die er schon früher in seiner Vaterstadt Delitzsch durch Errichtung von Vereinen mannigfacher Art (Turn-, Gesang-, Hilfs- und Unterstützungsvereinen) den Boden vorbereitet hatte; er errichtete im Jahre 1849 in Delitzsch die erste deutsche (Tischler-) Rohstoffgenossenschaft, 1850 die erste deutsche Kreditgenossenschaft, 1852 den ersten deutschen Konsumverein; später kamen Produktivgenossenschaften dazu.

Bald fanden diese Einrichtungen in weiteren Kreisen Anklang, und im Jahre 1859 konnte Schulze-Delitzsch in seinem ersten „Jahresbericht über die auf dem Prinzip der Selbsthilfe der Betheiligten beruhenden deutschen Genossenschaften der Handwerker und Arbeiter“ mittheilen, daß in Deutschland 183 Kreditgenossenschaften und 67 Rohstoffgenossenschaften bestanden; über die anderen Gattungen von Genossenschaften lagen genaue Nachrichten noch nicht vor.

Und wie großartig hat sich seitdem sein Werk entwickelt!

Im Jahre 1890 zählte man im Deutschen Reiche 3910 Kreditgenossenschaften, 1090 Rohstoffgenossenschaften, 294 Werkgenossenschaften zur Beschaffung gemeinsam zu benutzender, in Gewerbe und Landwirthschaft nöthiger theurer Maschinen und Geräthe, 68 Magazingenossenschaften zur Ausstellung der für den Verkauf bestimmten gewerblichen Erzeugnisse der Genossen, 1125 Produktivgenossenschaften, 87 Genossenschaften zu verschiedenen Zwecken (Versicherung, Krankenpflege u. a.), 984 Konsumvereine, 50 Baugenossenschaften, zusammen 7608 Genossenschaften, deren Mitgliederzahl auf 4 Millionen, deren Betriebskapital auf rund 950 Millionen Mark mit 350 Millionen Mark eigenem Vermögen und 600 Millionen Mark fremden, geliehenen Geldern, und deren geschäftlicher Umsatz auf jährlich 4 Milliarden Mark geschätzt werden konnten. Längst haben sich an den Schulzeschen Schöpfungen auch schon Angehörige anderer Klassen betheiligt als derjenigen, aus deren Kreisen sie hervorgegangen waren; sie umfassen heute Angehörige aller Berufsklassen und Stände.

Nach seinem Austritt aus dem Staatsdienst (1851) stellte Schulze seine ganze Kraft in den Dienst der von ihm ins Leben gerufenen Bewegung. Als gewählter Anwalt des nach seinen Rathschlägen errichteten allgemeinen Verbandes der auf Selbsthilfe beruhenden deutschen Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften, dem heute gegen 1500 deutsche Genossenschaften angehören, war er der Urheber der deutschen Genossenschaftsgesetzgebung; er schrieb zahlreiche Werke als Leitfäden für die innere Einrichtung der Genossenschaften, er schuf eine umfassende Statistik, er errichtete und leitete eine Zeitschrift für Genossenschaftswesen, die im Verlag von Ernst Keil erschien, wie ja auch die „Gartenlaube“ stets dem Wirken des Mannes die kräftigste Unterstützung lieh. Seine Gedanken fanden Anerkennung und Nachahmung nicht nur in Deutschland, sondern bei den Gebildeten aller Länder.

Was war natürlicher, als daß die deutschen Genossenschaften es als eine heilige Pflicht der Dankbarkeit gegen ihren Begründer und langjährigen treuen Führer betrachteten, ihm ein Denkmal zu errichten, das sein Gedächtniß lebendig erhalte auch unter den nachlebenden Geschlechtern! Das aus Bronze angefertigte Standbild, welches seit September vorigen Jahres den Marienplatz von Schulzes Vaterstadt Delitzsch ziert, ist zweieinhalb Meter hoch; es steht auf einem vierseitigen Sockel von braunem polierten Granit, der auf einem Stufenaufbau von grauem geschliffenen Granit ruht. Der Sockel und seine Unterlage sind dreieinhalb Meter hoch, so daß das Denkmal eine Gesammthöhe von sechs Metern hat; das Modell des Standbildes ist von der Hand eines Delitzscher Landsmannes, des in München ansässigen Bildhauers Weißenfels, während der Guß in der königlichen Erzgießerei in München besorgt wurde; das Postament wurde von der Steinkunstschleiferei von Wölfel und Herold in Bayreuth trefflich ausgeführt.

Der gefeierte Mann selbst steht in einfach schlichter Haltung vor uns, so, als ob er gerade einem Kreise von Zuhörern in ruhiger Auseinandersetzung seine Gedanken entwickelte und als ob er selbst von diesen Gedanken nicht allzuviel Aufhebens machte. Und diese innere Bescheidenheit war ein Grundzug seines Wesens, diese selbstlose Hingabe an das Wohl anderer, die keinen schöneren Lohn kennt als die Liebe und das Vertrauen seiner Nebenmenschen. H. Häntschke.