Textdaten
<<< >>>
Autor: Hans Boesch
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Das Schlaraffenland
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 43, S. 722
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Beschreibung einer scherzhaften Karte des Schlaraffenlandes
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[722]
Das Schlaraffenland.
Eine lustige Entdeckung.0 Von H. Boesch.

Manch Einer, der nicht gern harte Brettchen bohrt und sich seiner gesunden Glieder nur freut, weil er damit der Arbeit rüstig aus dem Wege gehen kann, möchte gerne in das gelobte Land kommen, in welchem die gebratenen Tauben in der Luft herum fliegen, wüßte er nur den Weg dorthin. Selbst eine Luftreise würde er nicht scheuen, hätte er nur die Ueberzeugung, daß ihn der Ballon wirklich in das Land seiner Sehnsucht, in das Schlaraffenland bringen würde. Um diese armen Schelme von ihrer Qual zu befreien, will ich hier Mittheilung von einer großartigen Länderentdeckung machen, die ich zwar nicht durch schwierige, gefahrvolle Entdeckungsreisen in Afrika und anderen uncivilisirten Welttheilen, sondern vielmehr gerade dadurch gemacht habe, daß ich im Lande, resp. in der Stadt blieb und mich redlich nährte.

In der großartigen Anstalt, in der ungezählte Schätze der Vorzeit aufgestapelt sind, die uns manches, was wir als eine Erfindung der Neuzeit betrachten, als schon längst dagewesen kennen lehren, im Germanischen Nationalmuseum zu Nürnberg fand ich eine alte Landkarte, aus der Zeit gegen 1700 stammend, die sich auf den ersten Blick in nichts von den Landkarten jener Zeit unterscheidet und die ich zuerst für eine Karte von Nordamerika hielt; bei näherer Betrachtung aber fand ich die Bezeichnung: „Der Neuentdeckten Schalck-Welt oder des so oft benannten und doch nie erkannten Schlaraffenlandes neu erfundene lächerliche Landtabell“. Mir war bei dieser Entdeckung aber gar nicht lächerlich zu Muthe; im Gegentheil ein Hochgefühl eigner Art durchzog meine Brust: ich war mit einem Schlage ein zweiter Columbus geworden, hatte eine Entdeckung von unermeßlicher Tragweite gemacht, welche sogar die des Columbus noch weit übertraf; denn wer wollte zweifeln, daß durch die Entdeckung von Schlaraffenland die sociale Frage, welche die alte wie die neue Welt beunruhigt, auf die einfachste, aber auch gründlichste Weise gelöst ist? Wer des Sklavenlebens müde ist, kauft sich einfach eine Reproduktion dieser Karte, steckt sie in die Tasche und macht sich auf den Weg, den er mit ihrer Hilfe natürlich unmöglich verfehlen kann.

Schon die angeführte Titelinschrift macht den angenehmsten Eindruck; ist sie doch auf dem Boden eines Fasses angebracht, aus welchem sich in drei Strömen Meth, Bier und Wein ergießt; auf dem Fasse sitzt der Ueberfluß, mit vollen Händen das Geld um sich werfend, rechts ein Liebespaar, das sich nicht sehr zu geniren scheint; links kommt ein famoser Koch mit köstlicher Pastete. Statt nach Meilen rechnet man ganz einfach nach „Mäulern“ und zwar nach schlaraffischen, die durch ihre riesige Thätigkeit natürlich etwas größere Dimensionen haben als die, welche bei uns zu Lande üblich sind. Meinen Mitmenschen gegenüber halte ich es für eine Pflicht, sie so rasch als möglich über die Lage dieses sechsten Welttheils zu unterrichten, damit Diejenigen, welche dorthin auswandern wollen, einstweilen ihre Vorbereitungen treffen und sofort nach dem Erscheinen der Karte ihre Reise antreten können.

Die seitherige Annahme, daß das Schlaraffenland durch ein Reisbreigebirge eingeschlossen sei, wird durch die aufgefundene Karte als ein Märchen dargethan, nach welcher es im Osten und Westen durch zwei große Meere begrenzt wird. Im Osten finden wir das toll und volle Meer mit dem gefressigen, versoffenen und närrischen Meer; im Westen das Ludermeer. Mancher Auswanderer wird sich durch den Namen des letzteren Meeres zwar etwas getroffen fühlen und denselben anzüglich finden; er wird daher von Osten aus dem schönen Lande zustreben, wo das toll und volle Meer ihn gar mächtig anzieht, so zu sagen etwas Sympathisches für ihn haben mag. Da sich in dasselbe der Weinstrom, einer der mächtigsten des Landes, ergießt, der weit hinauf schiffbar ist, so hat man die schönste Gelegenheit, durch eine Fahrt auf demselben Land und Leute kennen zu lernen.

Der Weinstrom entspringt hoch oben im Norden bei Weingarten und führt zuerst den Namen Mostfluß, in welchen der Rebensaftbach mündet. Zunächst fließt der Weinstrom südwestlich, um dann eine rein südliche Richtung einzuschlagen. Links und rechts liegen aber keine idyllischen Landschaften mit malerischen Ruinen, sondern viel Besseres, nämlich die den Appetit reizenden und stillenden Ortschaften: Bratenweil, Lammsheim, Schafhausen, Nürnbraten, Rehbock, Kalbskopf, Kochheim, Garkuchen, Bratwurst, der Senfer See, der gebratene Vogelwald, der Spansaufluß, Schmeckenhausen, Speckher, Jungesau, Tellerleck, Kostnichts, Schnepfenreut, Hennenhofen, Hühnerstall, Entenbach, Fasan, Parma, Hering, Bickling, Lax, Austern und viele andere kleinere und größere Orte mit gleich verheißungsvollen Namen. Die Tausende von Leckerbissen, welche dieselben nicht umsonst bieten, reizen natürlich den Durst ganz gewaltiglich, und es ist ein Glück, wenn derselbe nicht das Schiff, auf dem man fährt, aufs Trockene setzt. Dem Durste entsprechend verändert sich nunmehr auch die ganze Landschaft; man kommt nach Vollenfaß, Nassenhals, Fuderwein, Bechersgmünd, Aimersheim, Schenkein, von welchen Ortschaften man dann in ganz konsequenter Weise nach Wohlbezecht, Rauschigheim, Ummundumm, Hadergern, Schickihnheim, Schwerezungen, Glotzaugen und anderen Ortschaften gleichen Kalibers gelangt, die man sonst gerne meidet. Auch die Grafschaft Rothnasonia liegt an diesem Flusse; in ihr liegen die Orte Kupfergsicht, Nasenfels, Rothvonwein u. a.

Die Hauptstadt des Schlaraffenlandes, Schlaraffenburg, liegt so ziemlich in der Mitte des Kontinents an einem Binnensee von beträchtlichem Umfange, dessen größerer Theil den Namen Trunkensee führt, während der kleinere der Schlamp Pampus genannt wird. Dieser See ist durch einen Ausfluß sowohl mit dem Weinstrom und durch diesen mit dem toll und vollen Meer, als mit dem Bierfluß und durch diesen mit dem Ludermeer verbunden. Eine schiffbare Wasserstraße, oder richtiger trinkbare Wein- und Bierstraße führt also quer durch den ganzen Kontinent. Südlich von dem Trunkensee liegt die Grafschaft Vollemannia mit Langzechen, Wirthshausen, Schluckershof, Bringmireins, dann die Aemter Narrenheim, Fluchenfein, Raufengern und Grobenhagen. Nördlich des Sees die Aemter Spielen, Schwelgendorf mit Tragauf und Prassenwerth, Faulenzen mit Arbeitnich und Lernnichts, das Amt Pralen mit Hochhinaus und Uebermuth, sowie das Amt Goldmachen mit Geldgenug, Gernreich und die Hauptstadt Schlaraffenburg. Durch seine günstige Lage ist dieselbe der beste Aufenthaltsort, von welchem man die schönsten Ausflüge in die so viel bietende und versprechende Umgegend machen kann.

Leider ist aber unsere Zeit zu gemessen und es bleibt nichts übrig, als sich wieder auf den Heimweg zu machen, der auf dem Bierfluß angetreten wird, welcher zunächst durch Landschaften fließt, deren Name uns bekundet, daß auch das Schlaraffenland hier und da nicht sehr angenehme Gegenden hat. Recht versprechende Namen führen auch einige Ortschaften daselbst, so Bierlümmelsreut, Schlackenau, Zum Trog, Nimmernüchtern und andere noch anzüglicherer Art. Der Bierfluß mündet, wie bemerkt, in das Ludermeer, und zwar in den „Tobak-Luder-Meer“ benannten Theil desselben, gegenüber der Insel Tobago. Letztere ist in das Zuller-, Schmaucher- und Schnupferland eingetheilt, allwo Rauchberg, Zündan, Lullenzapf, Langepfeiffen und andere schöne Orte liegen. Hätten wir noch Zeit, würden wir auch noch den südlichen Theil des Schlaraffenlandes besuchen, wo für Händelsüchtige die Insel „Balger-Regnum“ mit der Hauptstadt Duelleburg viel Anziehendes hat, während Tanzlustige lieber nach Spilmannia mit Geigenhall, Saitenspühl, Lautenbach, Schwingeberg und Springenfeld ziehen, Zuckermäuler nach Leckeronia mit den süßen Orten Methhausen, Marzipan, Zuckerhut, Leckersgmünd etc. sich wenden, Spielratten entweder für Glückshafnia oder Chartifolia sich entscheiden. Jeder findet eine Stadt oder eine Landschaft, die wie für ihn geschaffen erscheint und in welche er versetzt sich im siebenten Himmel fühlen wird.

Ich hoffe, diese wenigen Zeilen werden genügen, um den nach Schlaraffenland Seufzenden ein kleines Bild dieses herrlichen paradiesischen Landes zu geben, das bereit ist, alle Mühseligen und Beladenen, namentlich aber auch alle Faulen und Arbeitsscheuen, Immerdurstigen und Ewighungernden bei sich aufzunehmen, auf deren massenhaften Export, der nach dem Bekanntwerden dieser Mittheilung unzweifelhaft eintreten muß, sich unsere Transportgesellschaften schleunigst einrichten mögen.