Textdaten
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Autor: Emil Adolf Roßmäßler
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Titel: Das Mehl
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aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 128–130
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Teil 7 der Artikelreihe Aus der Menschenheimath.
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Aus der Menschenheimath.

Briefe
des Schulmeisters emer. Johannes Frisch an seinen ehemaligen Schüler.
Siebenter Brief.
Das Mehl.

Neulich habe ich Dich mit den zierlichen Gestalten eines sonderbaren Steinmehles, denn so konnten wir es wohl nennen, bekannt gemacht; heute will ich Dir Einiges von dem wahren Mehle erzählen.

Ich zweifle nicht, daß es Dir angenehm sein wird, etwas Genaueres über diese mächtige Triebfeder in der Staatsmaschine zu erfahren. Getreidegewinnung ist ja Jahr aus Jahr ein eine der wesentlichsten Bedingungen zum gesicherten und gedeihlichen Bestehen der menschlichen Gesellschaft. Ein ungewöhnliches Steigen der Getreidepreise bringt sofort eine Störung der Staatsgesellschaft hervor, die sich bis zur Hungerpest und zur Revolution steigern kann.

Kleine winzige Glaskügelchen sind’s – denn so sehen die Mehlkörnchen unter dem Mikroskope aus – worauf die Wohlfahrt der Völker wesentlich beruht. Es ist nicht blos edle Wißbegierde – es ist schuldige Dankbarkeit gegen die Natur, zu sehen, wie sich die Mehlkörnchen im Zellgewebe der Pflanzen finden und wie sie von diesen bereitet werden. Die Betrachtung der geheimen Vorgänge im Pflanzenleben gewinnt sofort neben der geistigen Befriedigung, die sie gewährt, eine praktische Bedeutung, wenn sie uns Dinge vorführt, die in so unmittelbarer Beziehung zu unserem eigenem Leben stehen. Und daran unterscheide ich den wahren Menschen, das heißt den, welcher weiß, was er ist, was er soll und was er kann, daß er nicht gedankenlos die Gaben der Natur hinnimmt, sondern das Bedürfniß fühlt, ehe er genießt, zu wissen, was es ist, was er eben von der Natur nimmt.

Mein heutiges Bild habe ich Dir mit Hülfe des Mikroskopes zeichnen müssen. Das Mikroskop ist das Falkenauge, durch welches der Mensch in die geheimen Werkstätten der Natur schaut und jetzt Dinge klar und scharf unterscheidet, von denen man bis zu Anfange des 17. Jahrhunderts, wo es erfunden wurde, sich nichts träumen ließ. Verfälschungen des Mehles, der Wollen-, Seiden- und Leinengewebe entdeckt das Mikroskop mit Leichtigkeit. Es ist ein scharfer Aufpasser. Es entscheidet sogar in manchen Krankheitsfällen über das Wesen des Uebelbefindens.

Zuerst zeige ich Dir, wie sich das Mehl im Weizenkorn findet.

Figur 1 w. ist ein wenig vergrößertes Weizenkorn im Querdurchschnitt. Davon habe ich mit einem haarscharfen Messer ein möglichst dünnes Blättchen wie mit dem Hobel abgeschnitten. Du siehst oben rechts an Fig. 1 w. angedeutet, wo dies geschehen ist und in dem kleinen Viereck darüber ist die natürliche Größe dieses abgeschnittenen Stückchens dargestellt. Du siehst es Fig. 1 etwa gegen 300 Mal vergrößert. Du kannst Dir leicht nach diesem vergrößerten Stückchen ein Bild davon machen, wie groß in gleicher Vergrößerung der ganze Querschnitt eines Weizenkorns [129] erscheinen würde. Nach oben liegt an Fig. 1, mit s bezeichnet, die zarte gelbbraune Samenschale des Weizenkorns; Du siehst, daß sie aus mehreren unregelmäßigen Zellenschichten besteht. Zu unterst in ihr liegt eine dünne Schicht, welche eine Reihe schmaler Zellen

bildet. Dann kommt eine Zellenreihe mit k bezeichnet, an welcher die einzelnen Zellen nach außen sehr dickwandig sind. In den Zellen der Samenschale (s) ist kein Nahrungsstoff enthalten, wohl aber enthalten ihre Zellen-Häute für Menschen und Thiere unverdauliche Mineralsubstanzen, weshalb die mit Kleie gefütterten Müllerpferde so oft an Darmsteinen leiden. Aber die nun folgende Zellenschicht mit den dickwandigen Zellen (k) enthält den wichtigsten und nahrhaftesten Theil des Mehles, den so genannten Kleber, und zwar in der Form unendlich kleiner Kügelchen, wie Dir die einzelne noch stärker vergrößerte Zelle 1 k deutlich zeigt. Diese äußere Schicht der Getreidekörner ist allerdings die nahrhafteste, aber Kleienbrod ist wegen der darin enthaltenen Samenschale schwer verdaulich. Es ist ein arger Irrthum, wenn man es für ein Wegwerfen des Besten vom Getreide erklärt, wenn man die Kleie dem Vieh giebt. Wir erhalten es ja von ihm in Ochsen-, Schaf- oder Schweinfleisch verwandelt und als solches verdaulicher zurück.

Ich schalte hier ein, daß ich den Inhalt der Zellen an Fig. 1 weggelassen habe, weil er, namentlich im untern Theile der Zeichnung das Zellgewebe undeutlich gemacht haben würde, hätte ich diese Zellen alle mit Mehlkörnchen vollgestopft zeichnen wollen. Sie sind alle noch viel voller damit angefüllt, wie die einzelne Zelle Fig. 1 a es Dir zeigt. Du siehst, daß dieses mehlhaltige Zellgewebe fast ganz allein das Korn bildet. Ich habe diese Zelle an Fig. 1 mit a bezeichnet. Von einem Weizenkorne hätte ich wenigstens 1000 solcher Schnittchen machen können; es hat ungefähr 50 Zellen, in jeder Zelle finden sich wenigstens 40 Stärke- oder Mehlkörnchen. Diese weit unter der Wahrheit angenommene Schätzung würde in einem Weizenkorne zwei Millionen Körnchen geben. Von den kleinen Körnchen, die in jeder Mehlzelle (1 a) neben den größern liegen, sind einige Kleberkörnchen, die meisten jedoch Mehlkörnchen. Du wunderst Dich vielleicht über diese Behauptung, wenn ich Dir namentlich gestehe, daß sie ganz gleich aussehen. Mit Hülfe der Chemie ist es aber sehr leicht zu entscheiden. Du wirst dies nachher erfahren. aa sind einige größere Körnchen in 400maliger Vergrößerung.

Vergleichen wir nun hinsichtlich des Mehles die Kartoffel mit dem Getreide, denn im Roggenkorn ist es wesentlich eben so wie im Weizenkorn.

Fig. 2 stellt ein eben so kleines und eben so dünnes Kartoffelstückchen dar. Wir sehen nach oben die platten Zellen der Schale, und darunter die gerundeten, locker verbundenen, von mir ebenfalls leer gezeichneten, Mehlzellen. Es fehlen also hier die Kleberzellen, welche, da der Kleber stickstoffhaltig ist, dem Getreidemehl den Vorzug der größeren Nahrhaftigkeit vor dem Kartoffelmehle geben. Eine solche, mit großen und kleinen Mehlkörnchen angefüllte Zelle siehst Du in Fig. 2 a.

Ich muß Dir nun noch etwas Ausführlicheres über diese Mehlkörnchen mittheilen.

Vorerst bemerke ich, daß es in allen Pflanzen von ganz gleicher Beschaffenheit ist; nur in der Gestalt und Größe kommen da Verschiedenheiten vor. Du siehst also, daß die verschiedene Nahrhaftigkeit der Mehlsorten und der mehlreichen Samen (Bohnen, Erbsen, Linsen, Reis, Gerste, Heidekorn u. s. w.) niemals von diesen Mehlkörnchen abhängt, sondern immer von andern ihnen beigemengten Stoffen.

Man nennt diese Mehlkörnchen mit dem wissenschaftlichen Namen Amylum oder Stärkemehl. Sie sind immer glashell durchsichtig, sehr hart, schwerer als Wasser – was uns die Gewinnung des Kartoffelmehls so sehr erleichtert – quellen im siedenden Wasser zu dem bekannten Stärkekleister auf, ohne sich vollständig aufzulösen, und haben die auffallende Eigenschaft – das ist das vorhin angedeutete Erkennungsmittel, – von Jod, einem chemisch reinen Stoffe, der selbst eine braungelbe Flüssigkeit mit Weingeist aufgelöst giebt, sofort blau gefärbt zu werden, während andere ähnliche in den Pflanzenzellen vorkommende Körnchen von ihm braungelb gefärbt werden. Ich sagte vorhin, daß die Gestalt und Größe der Amylumkörnchen bei den verschiedenen Pflanzen oft sehr verschieden sei. Dadurch kann man z.B. leicht Mehlverfälschung mit Kartoffelmehl entdecken; nicht nur weil die Körnchen des letzteren viel größer sind, sondern weil man an ihnen schon bei 400maliger Vergrößerung einen schalenartigen Bau unterscheiden kann – Fig. 2 aa – welcher durch die schalige Zunahme bei dem Wachsthum der Körnchen entsteht.

Sieh, das ist eine kurze Schilderung dieser kleinen [130] wichtigen Körnchen, welche die Pflanze übrigens nicht für uns macht. Sie sind eine Reservenahrung für Neubildungen der Pflanze selbst. Sie kommen auch nicht blos im Samen vor, in welchem sie das Keimpflänzchen ernähren sollen. In den Holzzellen finden wir während des Winters große Vorräthe von Stärkemehl abgelagert, welche durch den aufsteigenden Frühjahrssaft zu gedeihlicher Nahrung aufgelöst werden.