Das Lied von der Glocke (1854)
[364] Das Lied von der Glocke.
Vivos voco. Mortuos plango. Fulgura frango.
Fest gemauert in der Erden
Steht die Form aus Lehm gebrannt.
Heute muß die Glocke werden!
Frisch, Gesellen, seyd zur Hand!
Rinnen muß der Schweiß,
Soll das Werk den Meister loben;
Doch der Segen kommt von oben.
Zum Werke, das wir ernst bereiten,
Wenn gute Reden sie begleiten,
Dann fließt die Arbeit munter fort.
So laßt uns jetzt mit Fleiß betrachten,
Was durch die schwache Kraft entspringt;
Der nie bedacht, was er vollbringt.
Das ist’s ja, was den Menschen zieret,
Und dazu ward ihm der Verstand,
Daß er im innern Herzen spüret,
Nehmet Holz vom Fichtenstamme,
Doch recht trocken laßt es seyn,
Daß die eingepreßte Flamme
Schlage zu dem Schwalch hinein.
Schnell das Zinn herbei,
Daß die zähe Glockenspeise
Fließe nach der rechten Weise!
Was in des Dammes tiefer Grube
Hoch auf des Thurmes Glockenstube,
Da wird es von uns zeugen laut.
Noch dauern wird’s in späten Tagen
Und rühren vieler Menschen Ohr,
Und stimmen zu der Andacht Chor.
Was unten tief dem Erdensohne
Das wechselnde Verhängniß bringt,
Das schlägt an die metallne Krone,
Weiße Blasen seh’ ich springen,
Wohl! die Massen sind im Fluß.
Laßt’s mit Aschensalz durchdringen,
Das befördert schnell den Guß.
Muß die Mischung seyn,
Daß vom reinlichen Metalle
Rein und voll die Stimme schalle.
Denn mit der Freude Feierklange
Auf seines Lebens erstem Gange,
Den es in Schlafes Arm beginnt;
[366] Ihm ruhen noch im Zeitenschooße
Die schwarzen und die heitern Loose;
Bewachen seinen goldnen Morgen —
Die Jahre fliehen pfeilgeschwind.
Vom Mädchen reißt sich stolz der Knabe,
Er stürmt ins Leben wild hinaus,
Fremd kehrt er heim ins Vaterhaus.
Und herrlich in der Jugend Prangen,
Wie ein Gebild aus Himmelshöhn,
Mit züchtigen, verschämten Wangen
Da faßt ein namenloses Sehnen
Des Jünglings Herz, er irrt allein,
Aus seinen Augen brechen Thränen,
Er flieht der Brüder wilden Reihn.
Und ist von ihrem Gruß beglückt,
Das Schönste sucht er auf den Fluren,
Womit er seine Liebe schmückt.
O zarte Sehnsucht, süßes Hoffen,
Das Auge sieht den Himmel offen,
Es schwelgt das Herz in Seligkeit;
O daß sie ewig grünen bliebe,
Die schöne Zeit der jungen Liebe!
Dieses Stäbchen tauch’ ich ein,
[367] Sehn wir’s überglast erscheinen,
Wird’s zum Gusse zeitig seyn,
Jetzt, Gesellen, frisch!
Ob das Spröde mit dem Weichen
Sich vereint zum guten Zeichen.
Denn, wo das Strenge mit dem Zarten,
Wo Starkes sich und Mildes paarten,
Drum prüfe, wer sich ewig bindet,
Ob sich das Herz zum Herzen findet!
Der Wahn ist kurz, die Reu’ ist lang.
Lieblich in der Bräute Locken
Wenn die hellen Kirchenglocken
Laden zu des Festes Glanz.
Ach! des Lebens schönste Feier
Endigt auch den Lebensmai,
Reißt der schöne Wahn entzwei.
Die Leidenschaft flieht,
Die Liebe muß bleiben;
Die Blume verblüht,
Der Mann muß hinaus
Ins feindliche Leben,
Muß wirken und streben
Und pflanzen und schaffen,
[368] Muß wetten und wagen,
Das Glück zu erjagen.
Da strömet herbei die unendliche Gabe,
Es füllt sich der Speicher mit köstlicher Habe,
Und drinnen waltet
Die züchtige Hausfrau,
Die Mutter der Kinder,
Und herrschet weise
Und lehret die Mädchen
Und wehret den Knaben,
Und reget ohn’ Ende
Die fleißigen Hände,
Mit ordnendem Sinn,
Und füllet mit Schätzen die duftenden Laden,
Und dreht um die schnurrende Spindel den Faden,
Und sammelt im reinlich geglätteten Schrein
Und füget zum Guten den Glanz und den Schimmer
Und ruhet nimmer.
Und der Vater mit frohem Blick,
Von des Hauses weitschauendem Giebel
Siehet der Pfosten ragende Bäume
Und der Scheunen gefüllte Räume,
Und die Speicher, vom Segen gebogen,
Und des Kornes bewegte Wogen,
Fest, wie der Erde Grund,
Gegen des Unglücks Macht
Steht mir des Hauses Pracht!
Doch mit des Geschickes Mächten
Und das Unglück schreitet schnell.
Wohl! nun kann der Guß beginnen,
Schön gezacket ist der Bruch.
Doch bevor wir’s lassen rinnen
Stoßt den Zapfen aus!
Gott bewahr’ das Haus!
Rauchend in des Henkels Bogen
Schießt’s mit feuerbraunen Wogen.
Wenn sie der Mensch bezähmt, bewacht,
Und was er bildet, was er schafft,
Das dankt er dieser Himmelskraft;
Doch furchtbar wird die Himmelskraft,
Einhertritt auf der eignen Spur,
Die freie Tochter der Natur.
Wehe, wenn sie losgelassen,
Wachsend ohne Widerstand,
Wälzt den ungeheuren Brand!
Denn die Elemente hassen
Das Gebild der Menschenhand.
[370] Aus der Wolke
Strömt der Regen;
Aus der Wolke, ohne Wahl,
Zuckt der Strahl.
Hört ihr’s wimmern hoch vom Thurm?
Roth, wie Blut,
Ist der Himmel;
Das ist nicht des Tages Glut!
Welch Getümmel
Dampf wallt auf!
Flackernd steigt die Feuersäule,
Durch der Straße lange Zeile
Wächst es fort mit Windeseile;
Glühn die Lüfte, Balken krachen,
Pfosten stürzen, Fenster klirren,
Kinder jammern, Mütter irren,
Thiere wimmern
Alles rennet, rettet, flüchtet,
Taghell ist die Nacht gelichtet;
Durch der Hände lange Kette
Um die Wette
Spritzen Quellen Wasserwogen.
Heulend kommt der Sturm geflogen,
Der die Flamme brausend sucht;
Prasselnd in die dürre Frucht
In der Sparren dürre Bäume,
Und als wollte sie im Wehen
Mit sich fort der Erde Wucht
Reißen in gewalt’ger Flucht,
Riesengroß!
Hoffnungslos
Weicht der Mensch der Götterstärke,
Müßig sieht er seine Werke
Leergebrannt
Ist die Stätte,
Wilder Stürme rauhes Bette.
In den öden Fensterhöhlen
Und des Himmels Wolken schauen
Hoch hinein.
Einen Blick
Nach dem Grabe
Sendet noch der Mensch zurück —
Greift fröhlich dann zum Wanderstabe.
Was Feuers Wuth ihm auch geraubt,
Ein süßer Trost ist ihm geblieben,
Und sieh! ihm fehlt kein theures Haupt.
In die Erd’ ist’s aufgenommen,
Glücklich ist die Form gefüllt;
[372] Wird’s auch schön zu Tage kommen,
Wenn der Guß mißlang?
Wenn die Form zersprang?
Ach, vielleicht, indem wir hoffen,
Hat uns Unheil schon getroffen.
Vertrauen wir der Hände That,
Vertraut der Sämann seine Saat
Und hofft, daß sie entkeimen werde
Zum Segen, nach des Himmels Rath.
Wir traurend in der Erde Schooß
Und hoffen, daß er aus den Särgen
Erblühen soll zu schönerm Loos.
Von dem Dome,
Tönt die Glocke
Grabgesang.
Ernst begleiten ihre Trauerschläge
Einen Wandrer auf dem letzten Wege.
Ach! es ist die treue Mutter,
Die der schwarze Fürst der Schatten
Wegführt aus dem Arm des Gatten,
Aus der zarten Kinder Schaar,
Die sie an der treuen Brust
[373] Wachsen sah mit Mutterlust —
Ach! des Hauses zarte Bande
Sind gelöst auf immerdar;
Die des Hauses Mutter war;
Denn es fehlt ihr treues Walten,
Ihre Sorge wacht nicht mehr;
An verwaister Stätte schalten
Bis die Glocke sich verkühlet,
Laßt die strenge Arbeit ruhn.
Wie im Laub der Vogel spielet,
Mag sich jeder gütlich thun.
Ledig aller Pflicht,
Hört der Bursch die Vesper schlagen;
Meister muß sich immer plagen.
Munter fördert seine Schritte
Nach der lieben Heimathütte.
Blöckend ziehen heim die Schafe,
Und der Rinder
Breitgestirnte, glatte Schaaren
Die gewohnten Ställe füllend.
Schwer herein
Schwankt der Wagen,
Kornbeladen,
[374] Auf den Garben
Liegt der Kranz,
Und das junge Volk der Schnitter
Fliegt zum Tanz.
Um des Lichts gesell’ge Flamme
Sammeln sich die Hausbewohner,
Und das Stadtthor schließt sich knarrend.
Schwarz bedecket
Doch den sichern Bürger schrecket
Nicht die Nacht,
Die den Bösen gräßlich wecket;
Denn das Auge des Gesetzes wacht.
Himmelstochter, die das Gleiche
Frei und leicht und freudig bindet,
Die der Städte Bau gegründet,
Die herein von den Gefilden
Eintrat in der Menschen Hütten,
Sie gewöhnt zu sanften Sitten,
Und das theuerste der Bande
Wob, den Trieb zum Vaterlande!
Helfen sich in munterm Bund,
Und in feurigem Bewegen
Werden alle Kräfte kund.
Meister rührt sich und Geselle
Jeder freut sich seiner Stelle,
Bietet dem Verächter Trutz.
Arbeit ist des Bürgers Zierde,
Segen ist der Mühe Preis;
Ehret uns der Hände Fleiß.
Holder Friede,
Süße Eintracht,
Weilet, weilet
Möge nie der Tag erscheinen,
Wo des rauhen Krieges Horden
Dieses stille Thal durchtoben;
Wo der Himmel,
Lieblich malt,
Von der Dörfer, von der Städte
Wildem Brande schrecklich strahlt!
Nun zerbrecht mir das Gebäude,
Daß sich Herz und Auge weide
An dem wohlgelungnen Bild.
Schwingt den Hammer, schwingt,
Bis der Mantel springt!
Muß die Form in Stücken gehen.
Der Meister kann die Form zerbrechen
Mit weiser Hand, zur rechten Zeit;
[376] Doch wehe, wenn in Flammenbächen
Blindwüthend, mit des Donners Krachen,
Zersprengt es das geborstne Haus,
Und wie aus offnem Höllenrachen
Speit es Verderben zündend aus.
Da kann sich kein Gebild gestalten;
Wenn sich die Völker selbst befrein,
Da kann die Wohlfahrt nicht gedeihn.
Weh, wenn sich in dem Schooß der Städte
Das Volk, zerreißend seine Kette,
Zur Eigenhülfe schrecklich greift!
Da zerret an der Glocke Strängen
Der Aufruhr, daß sie heulend schallt
Die Losung anstimmt zur Gewalt.
Freiheit und Gleichheit! hört man schallen;
Der ruh’ge Bürger greift zur Wehr,
Die Straßen füllen sich, die Hallen,
Da werden Weiber zu Hyänen
Und treiben mit Entsetzen Scherz;
Noch zuckend, mit des Panthers Zähnen,
Zerreißen sie des Feindes Herz.
Sich alle Bande frommer Scheu;
Der Gute räumt den Platz dem Bösen,
[377] Und alle Laster walten frei.
Gefährlich ist’s, den Leu zu wecken,
Jedoch der schrecklichste der Schrecken,
Das ist der Mensch in seinem Wahn.
Weh denen, die dem Ewigblinden
Des Lichtes Himmelsfackel leihn!
Und äschert Städt’ und Länder ein.
Freude hat mir Gott gegeben!
Sehet! wie ein goldner Stern,
Aus der Hülse, blank und eben,
Von dem Helm zum Kranz
Spielt’s wie Sonnenglanz,
Auch des Wappens nette Schilder
Loben den erfahrnen Bilder.
Gesellen alle, schließt den Reihen,
Daß wir die Glocke taufend weihen!
Concordia soll ihr Name seyn.
Zur Eintracht, zu herzinnigem Vereine
Und dies sey fortan ihr Beruf,
Wozu der Meister sie erschuf:
Hoch überm niedern Erdenleben
Soll sie im blauen Himmelszelt,
[378] Und gränzen an die Sternenwelt,
Soll eine Stimme seyn von oben,
Wie der Gestirne helle Schaar,
Die ihren Schöpfer wandelnd loben
Nur ewigen und ernsten Dingen
Sey ihr metallner Mund geweiht,
Und stündlich mit den schnellen Schwingen
Berühr’ im Fluge sie die Zeit.
Selbst herzlos, ohne Mitgefühl,
Begleite sie mit ihrem Schwunge
Des Lebens wechselvolles Spiel.
Und wie der Klang im Ohr vergehet,
So lehre sie, daß nichts bestehet,
Daß alles Irdische verhallt.
Jetzo mit der Kraft des Stranges
Wiegt die Glock’ mir aus der Gruft,
Steige, in die Himmelsluft!
Ziehet, ziehet, hebt!
Sie bewegt sich, schwebt.
Freude dieser Stadt bedeute,
Dieser Quellentext existiert auch als Audiodatei, gesprochen von Christian Al-Kadi. (Mehr Informationen zum Projekt Gesprochene Wikisource) | |||
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