Das Kolosseum
[56] Das Kolosseum.
Urbild des alten Roms! Reliquienschrein
Erhabener Betrachtung! Nach so langer,
Mühsel’ger Pilgerschaft und heißem Durst,
(Durst nach dem Quell des Einst, der in dir fließt)
In deinem Schatten und in vollen Zügen
Trink’ ich vom Borne deiner Größe, deiner Weihe.
Unendlichkeit, ich höre deinen Strom!
Ich fühl’ euch, dunkle Mächte der Zerstörung,
O Zauber, sichrer als Judäa’s Kön’ge
Ihn jemals in Gethsemane gelehrt,
Gewaltiger als die Chaldäer ihn
Vom Sternenhimmel in Verzückung lasen.
Dort, wo der Adler einst in Gold gestrotzt,
Hält eine Fledermaus Vigilien,
Wo ihr vergoldet Haar die Damen Roms
Im Winde flattern ließen, wogen nun
Auf goldnem Thron wollüstig träge saß –
Da schlüpfen nun, vom Monde schwach beleuchtet,
Eidechsen hurtig in ihr Marmorheim.
O Mauern, moosbewachsene Arkaden,
Zerbröckelnde Ruinen, Steine, Steine,
Graue Steine, seid ihr alles, alles,
Was dem Geschick und mir vom Kolossalen
Der Stunden rastloses Zerstören ließ?
Prophetenstimmen dringen zu dem Weisen
Aus uns und allen Trümmern, wie zur Sonne
Vom Memnonsteine Melodieen klingen.
Vor unsrer Größe beugen sich in Ehrfurcht
Die Riesengeister aller Nationen.
Wir sind nicht machtlos, wir verblichnen Steine,
Nicht aller Ruhm vergangner Tage schwand,
[58] Nicht aller Zauber unsres hohen Rufs,
Nicht die Mysterien, die in uns liegen,
Nicht die Erinnerung, die an uns hängt,
Sich an uns schmiegt wie ein Gewand, uns kleidend
In einen Schmuck, der köstlicher als Ruhm.