Das Geheimniß der hölzernen Musikinstrumente und ihres Baues

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Titel: Das Geheimniß der hölzernen Musikinstrumente und ihres Baues
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aus: Die Gartenlaube, Heft 22, S. 372
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[372] Das Geheimnis der hölzernen Musikinstrumente und ihres Baues schien jahrhundertelang völlig verloren. Kein Virtuos, der etwas an sich wagen konnte, wollte seinen Genius an einem neuen Instrumente erlahmen lassen und strebte zunächst nach einer Geige, der schon ein anderer berühmter Meister einen seelenvollen Ton eingehaucht hatte, gleich als werde das todte Holz von oftmaligen Hören selber musikalisch und lasse sich einüben wie die Hand oder die Kehlen. Andere munkelten, daß es ein Geheimniß in der Construction gäbe, welches die neueren Geigenbauer nicht kannten und welches am Ende gar, wie die Virtuosität Paganini’s, ursprünglich einem Teufelsbündniß entsprossen wäre. Im Besonderen bezahlte man ungeheure Preise für die Violinen von Amati, Stradivarius, Rainer und anderen Künstlern, weil Sie ihrer leichten Ansprache und ihres unnachahmlichen Wohlklanges wegen ganz unerreicht dastünden. Die neuere Wissenschaft, die in alle geheimen Dinge ihre Nase steckt, hat indessen gefunden, daß es nur auf ein vollkommenes Austrocknen der Holzfasern und eine möglichste Befreiung derselben von allen harzigen, öligen und sonst die Zwischenräume der Fasern verkittenden natürlichen Bestandtheilen des Holzes ankommt, um ihnen das höchste Vermögen der Mitschwingung oder Resonanz zu verleihen.

Wenn diese Lockerung des inneren Gefüges der oxydirenden Wirkung der Luft allein überlassen wird, so können bei aus frischem Holze verfertigten Geigen, Cellos und Bässen wohl an die fünfzig bis hundert Jahre vergehen, bis die höchste Klangfähigkeit des Holzes erreicht worden, ein Umstand, den der berühmte Geigenbauer Stradivarius in Cremona wohl gekannt zu haben scheint; denn man erzählt, daß er das Holz alter Kirchenstühle, Stützpfeiler und dergleichen für seine Fabrikate angekauft habe. In neuerer Zeit ist man indessen darauf gekommen, das Holz einem künstlichen Alterungsprocesse zu unterwerfen, und der Erste, der ein solches Verfahren vor sechs bis sieben Jahren angewandt hat, scheint ein Professor Tuzzi gewesen zu sein, dessen Fabrikate durch das Centralmusikmagazin von F. Hamma und Comp. in Stuttgart zu beziehen waren. Sein Verfahren ist, soviel bekannt, nicht der Oeffentlichkeit übergeben worden und soll in einer Behandlung des Holzes mit überhitzten Dämpfen bestehen. Ein anderes höchst erfolgreiches Verfahren, welches auf einer rationellen Beschleunigung des natürlichen Vorganges beruht, hat im vergangenen Jahre der Pianofortefabrikant E. René in Stettin patentirt erhalten und bekannt gemacht.

Was sonst der Sauerstoff der atmosphärischen Luft im Laufe langer Jahre vollbringt, wird hier im Verlaufe eines halben oder ganzen Tages durch die Einwirkung reinen ozonisirten Sauerstoffes auf das erwärmte Holz hervorgebracht. Die Holzbretter werden zu diesem Zwecke in einen großen eisernen Kessel gelegt, in welchem sie, ohne sich zu berühren, über einander so liegen, daß die Gase ihre gesammte Oberfläche frei umspülen. In diesem Kessel setzt man sie zunächst zwölf Stunden lang der Einwirkung heißer Luft aus, um die Feuchtigkeit aus ihnen zu entfernen; dann wird der Kessel verschlossen, nochmals durch die darunter befindliche Feuerungsanlage erwärmt und die Luft ausgepumpt. Hierauf wird der Kessel mit Sauerstoff gefüllt, der durch elektrische Funken ozonisirt wird: diese Funken springen in beständiger Folge zwischen zwei Platinspitzen über, welche die Endpole zweier durch Glasrohren in den Kessel geleiteten Drähte bilden. Der so erzeugte ozonisirte Sauerstoff wirkt so energisch auf das erwärmte Holz ein, daß er die Störenden Harz-, Oel- oder sonstigen Bestandtheile in zwölf bis vierundzwanzig Stunden, statt in ebenso vielen Jahrzehnten verzehrt.

Es leuchtet ein, daß mit dieser Erfindung ein ganz bedeutender Fortschritt im Bau der Musikinstrumente erzielt wurde, und daß man auf diese Weise nicht nur vorzügliche Streichinstrumente, sondern besonders auch ausgezeichnete Pianofortes herstellen kann.