Das Entgegenkommen zur Auferstehung der Todten

Textdaten
Autor: Wilhelm Löhe
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Das Entgegenkommen zur Auferstehung der Todten.
Untertitel: Predigt über Phil. 3, 7–11
aus: Vorlage:none
Herausgeber:
Auflage: 1
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1857
Verlag: Sebald’sche Officin
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Nürnberg
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


|
Das Entgegenkommen zur Auferstehung der Todten.




Predigt


über Phil. 3, 7–11
von


W. Löhe,
Pfarrer.



(Manuscript für Freunde.)




Zu einem wolthätigen Zwecke.





Nürnberg, 1857.
Druck der U. E. Sebald’schen Officin.


| |
I. N. J.


     Es ist nun bereits ein Vierteljahr, seitdem ich Unwürdiger, der ich durch Gottes Barmherzigkeit berufen bin, diese Heerde und Gemeinde zu weiden, nicht mehr auf der Stelle gestanden bin, auf der ich euch zwanzig Jahre das Evangelium gepredigt habe. Die Hand des HErrn ist über mich gekommen, da Er meiner Sünde und Missethat gedachte, und ich weiß nicht, ob und wann es Seiner großen Barmherzigkeit gefallen wird, mir wieder so viel Kraft und Gesundheit zu schenken, daß ich wie ehedem, mündlich zu euch reden kann. Sein allein guter Wille geschehe, und Dank sei Ihm für Alles. Wir haben Ursache, dem HErrn zu danken; denn wenn ein anderer Pfarrer krank wird, da pflegt es klein und knapp herzugehen mit der Predigt des göttlichen Wortes, während ihr an meiner Stelle drei wolbegabte Diener des HErrn und außerdem noch manch anderen Prediger aus fernen Landen habet hören dürfen, und euch der eine Glaube in mancherlei ungewohnter Weise und mit verschiedenen Gaben gepredigt worden ist. Gott sei Dank für Seine unaussprechliche Gnade. Indes, meine lieben Brüder, ist mir doch auch beigefallen, daß es eine Art und Weise gibt, in welcher auch ich zuweilen zu euch reden kann; ich kann ja zuweilen einen Vortrag in die Feder eines andern dictieren und euch denselben alsdann vorlesen laßen, da sich mein theurer Stellvertreter nicht schämt, dazwischen einmal, anstatt selbst zu predigen, eine Predigt von mir zu lesen. Unter uns ist diese Art und Weise zu einer| Gemeinde zu reden allerdings ungewohnt und neu; im christlichen Altertume aber ist es sehr häufig vorgekommen, daß ein Hirte seiner Gemeinde von ihm geschriebene oder dictierte Vorträge lesen ließ. So sei es denn auch von mir versucht. Gefällt es euch, so kann der Versuch wiederholt werden; gefällt es euch aber nicht, so dürft ihr mirs ja nur merken laßen und es bleibt dann bei diesem einzigen Versuche.

     Ihr könnt es euch denken, meine lieben Brüder, daß ich in der Einsamkeit meiner Krankheit nicht völlig werde brach gelegen sein; ich habe manches gelernt und manche Einsicht bekommen, welche mir vielleicht in gesunden Tagen nicht so schnell würde gewachsen sein. Da ist mir denn unter anderem auch durch die göttliche Barmherzigkeit Licht über manche Punkte in der Lehre vom Ende der Welt geschenkt worden, und weil ich euch früher darüber nicht so klar habe predigen können, so habe ich mir vorgenommen, euch heute einen Text und ein Thema aus dem Bereiche der heiligen Lehre vom Ende zu nehmen. Der Text, den ich meine, findet sich Phil. Cap. 3. Vers 7–11. Er lautet also:

     Aber was mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Schaden geachtet. Denn ich achte es alles für Schaden gegen der überschwänglichen Erkenntnis Christi JEsu, meines HErrn, um welches willen ich alles habe für Schaden gerechnet und acht es für Dreck, auf daß ich Christum gewinne, und in Ihm erfunden werde, daß ich nicht habe meine Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz, sondern die durch den Glauben an Christum kommt, nämlich die Gerechtigkeit, die von GOtt dem Glauben zugerechnet wird, zu erkennen Ihn und die Kraft Seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seiner Leiden, daß ich Seinem Tode ähnlich werde, damit ich entgegen komme zur Auferstehung der Todten.

     Aus diesem Texte fließt das Thema meiner Rede, und ich predige euch von dem Entgegenkommen zur Auferstehung der Todten, und zwar werde ich euch erstens| darlegen, von welcher Auferstehung der Todten St. Paulus in diesem Texte redet, zweitens: was er unter dem Entgegenkommen zu dieser Auferstehung meint. Endlich werde ich euch drittens sagen, was für eine Anwendung von dem allen auf mich und euch zu machen ist.


I.
     Bei der Angabe meiner Theile, ihr lieben Brüder und Schwestern, könnte es manchem unter euch wunderlich vorgekommen sein, daß ich sagte, ich wolle zu allererst angeben, welche Auferstehung St. Paulus im Texte meine. Allein, meine lieben Brüder, ich erinnere euch an eine Stelle der Offenbarung St. Johannis Cap. 20, v. 5, in welcher es ausdrücklich heißt: „Dies ist die erste Auferstehung.“ Gibt es eine erste, so muß es mindestens noch eine zweite geben, wie denn auch wirklich in dem genannten 20. Cap. der Offenbarung am Schluß auch von der zweiten Auferstehung die Rede ist. Zwar haben manche die erste Auferstehung als eine Auferstehung nur der Seelen nehmen wollen, allein dadurch wird dem Worte Auferstehung sein eigentümlicher Sinn genommen, ein Seelentod gelehrt und ohne alle Veranlaßung des Textes selber die erste und die zweite Auferstehung von einander dermaßen unterschieden, daß man am Ende nicht mehr weiß, warum sie beide in eine Reihe gestellt und gezählt werden. Und warum nimmt man der Schrift ihren nächsten Sinn? Am Ende aus keinem anderen Grund, als weil man keine Lust hat, sich mit demselben zu befreunden und auch in diesem Stücke die Vernunft dem Gehorsam des Glaubens unterzuordnen. Laßen wir daher getrost die Stelle so, wie sie ist, und verstehen wir in Gottes Namen den Ausdruck: „die Seelen wurden lebendig“ so, wie man ihn im Zusammenhang des ganzen Haushalts Gottes verstehen muß, nämlich gleich bedeutend mit: „sie bekamen ihre Leiber wieder,“ so daß eine todte Seele nicht eine solche ist, die ihr eignes Leben verlor, sondern die des Leibes Leben| verlor. – Nachdem, was wir bisher gesagt haben, gibt es also eine doppelte Auferstehung, und die Frage, welche von beiden der Apostel in unserem Texte meine, kann uns daher nicht länger befremden.
.
     Die erste Auferstehung ist nach Offenbarung 20, 4 eine Auferstehung der „Seelen der Enthaupteten um des Zeugnisses Jesu und um des Wortes Gottes willen,“ aber nicht bloß derer, sondern, wie der Apostel in allgemeineren Ausdrücken weiter redet, auch der Seelen derer, „die überhaupt nicht angebetet hatten das Thier, nämlich den Antichristus, noch sein Bild und nicht genommen hatten sein Malzeichen an ihre Stirn und an ihre Hand.“ Diese erste Auferstehung fällt in die Zeit, da der HErr den Antichristus überwindet und sein wunderbares tausendjähriges Reich beginnt. Die zweite Auferstehung hingegen fällt an das Ende der tausend Jahre und ist die allgemeine Auferstehung aller Menschen, welche in der ersten Auferstehung noch nicht auferweckt wurden. Wenn man nun nach so getroffener Unterscheidung die erste Frage unseres Vortrags beantworten will, so findet man, daß der heilige Apostel die zweite nicht gemeint haben kann. Der braucht er nicht entgegen zu kommen, sie ist unvermeidlich; er braucht sich nicht um sie zu bemühen, sintemal ein jeder von ihr ergriffen wird, er sei gut oder böse. Wenn er die zweite Auferstehung meinte, so würde der Ausdruck „Entgegenkommen,“ so wie er im Zusammenhang des Textes genommen werden muß, nicht passen; denn diese zweite Auferstehung ist in sich selber eine gedoppelte, nämlich aller derer, die vom Anfang der Welt nicht glaubten, sowie derjenigen, die im Verlauf der letzten tausend Jahre gläubig und in das Buch des Lebens eingetragen wurden. Bei dieser letzten Auferstehung sollen die Heiligen Gottes, die in der ersten Auferstehung mit ihren Leibern bekleidet werden, richterliche Geschäfte verrichten. Der HErr wird ja, nach der Weißagung Enochs und dem Briefe Judä, zu dieser zweiten Auferstehung kommen mit vielen tausend Heiligen, und die Heiligen sollen die Welt richten. Da nun die Heiligen nur Menschen sein können, so müßen sie, um| mit dem HErrn zu kommen und zu richten, selbst vorher auferstanden und zum HErrn versammelt sein; es müßen diese richterlichen Heiligen keine andern sein, als die, welche in der ersten Auferstehung mit ihren Leibern bekleidet und auf Thronen gesetzt wurden. Daraus zeigt sich eben die große Herlichkeit der ersten Auferstehung, und ein jeder kann es begreiflich finden, wie auch ein Apostel sich bemühen kann, dieser Auferstehung entgegen zu kommen und theilhaftig zu werden. Es erscheint daher nicht bloß als wahrscheinlich, daß der Apostel in unserem Texte nach der ersten Auferstehung ringt.
.
     Uns, meine theuern Freunde, ist es freilich nicht geläufig, eine erste Auferstehung zu glauben, aber eben deshalb verstehen wir auch die heil. Schrift und ihre Worte vom Ende nicht. Kein Theil des göttlichen Wortes erscheint uns oft unklarer, als die Belehrungen von der Wiederkunft Christi und dem Ende der Welt. Wir pflegen uns unter der Wiederkunft Christi immer die Offenbarung Seiner Herlichkeit zu denken, welche mit der allgemeinen Auferstehung, dem Brande der geschaffenen Welt und der Schöpfung eines neuen Himmels und einer neuen Erde zusammengeht. Diese ist es, auf welche wir täglich warten, und wir finden uns in unserem Innern gestört, wenn der Apostel die wartenden Thessalonicher belehrt, daß der HErr nicht komme und Sein jüngster Tag, bevor in der Kirche der große Abfall von Christo sich ereignet habe und der Antichristus aufgestanden sei. Wenn das ist, schließen wir, so weiß man also, daß jetzt der HErr nicht kommt, weil noch der Abfall nicht da ist, und der Antichristus noch nicht gekommen; und weil denn ein Apostel selber den Anlaß gibt zu diesem Gedanken, so weiß man sich nicht zu helfen und sieht am Ende in der heil. Schrift selber Widerspruch. Die heil. Schrift aber heißt den Christen sein Auge zunächst auf jene erste Wiederkunft Christi richten, die in den Zeiten des Antichristus eintreten und von niemand erwartet sein wird. Sie spannt unser Auge nicht zunächst auf die allgemeine Auferstehung und das endliche Gericht, sondern auf den Schluß der gegenwärtigen| Weltperiode, auf den allgemeinen Abfall, auf die unaussprechliche Drangsal der dann kleinen und eng zusammengedrängten Heerde Christi, auf die Erscheinung des HErrn zum Gericht über den Antichristus, auf die erste Auferstehung, auf diese Ereignisse, die wir bei dem immer mehr sich offenbarenden Abfall innerhalb der christlichen Kirche auch immer sicherer erwarten und uns auf sie bereiten dürfen. Man könnte zwar sagen, daß an dieser ersten Auferstehung nur die Märtyrer der letzten Zeit theilnehmen, und man könnte dann auf Grund dieser Meinung auch den heiligen Aposteln, die den Antichristus nicht gesehen haben, die Theilnahme an der ersten Auferstehung absprechen. Allein das 20. Cap. der Offenbarung Johannis gibt uns dazu keinen Anlaß. Das Thier, von welchem es redet, ist allezeit in der Welt gewesen, wenn auch das eine Haupt, welches den persönlichen Antichristus bedeutet, und die große Babel, die auf dem Thiere sitzt, erst am Ende recht offenbar wird. Das Thier deutet auf die Welt und ihre Reiche, die sich als Sonderzwecke dem Reiche Gottes und seiner heil. Kirche gegenüberstellen, auf den großen und unversöhnlichen Gegensatz der Welt und Kirche. Dieser Gegensatz ist immer da gewesen; es hat von der apostolischen Zeit an immer viel Widerchristen und Vorläufer des Menschen des Verderbens gegeben, welcher das Ende unsrer Weltperiode bezeichnen wird. Die Apostel wusten sich, wie die Christen aller Zeiten, denen die Augen geöffnet wurden, in diesem hellen Gegensatz, waren in ihrem Leben Bekenner und in ihrem Tode Märtyrer der göttlichen Wahrheit gegenüber dem Fürsten der Lüge, und sie werden deshalb mit allen ihresgleichen in den Tagen des Antichristus Theil haben an der ersten Auferstehung. Auf diese erste Auferstehung scheint sich auch ganz jene wunderbare Stelle 1 Thess. 4, 13–18 zu beziehen. Da setzt der Apostel die Möglichkeit, daß in der schon damals weit ausgebreiteten herlichen Kirche Abfall und Antichrist im reißenden Fortschritt erscheinen könnten, und wie er sich in unserem Texte bereit macht, vor dieser Periode zu sterben und dann an der ersten Auferstehung| Theil zu nehmen, so setzt er 1. Thess. 4. den andern Fall als möglich, daß er mit den damals lebenden Thessalonichern die Zeit erleben und den zum Abschluß der gegenwärtig noch laufenden Weltperiode und zur Besiegung des Antichristus erscheinenden Christus mit Augen des Fleisches schauen könnte. Zu der Zeit lehrt er dann eine Auferstehung derer, die da schlafen; die Todten in Christo stehen auf zuerst, nämlich in der ersten Auferstehung; die in Christo Lebenden werden verwandelt; beide Theile dem HErrn zur seligsten Vereinigung in der Luft entgegengerückt, und die gesammte heilige Christenheit vom Anfang bis zu jenen Tagen ist dann bei dem HErrn und bildet jene Schaar von vielen tausend Heiligen, die mit Ihm gewiß kein weltlich Reich, wol aber ein göttliches und herliches haben werden tausend Jahre, zum Segen der Völker, und die mit Ihm kommen werden zum endlichen Abschluß der sichtbaren Welt und zur allgemeinen Auferstehung. Auf eine andere Weise wird man die verschiedenen Stellen Pauli im 1. und 2. Briefe an die Thessalonicher gar nicht vereinen können, und man sieht daraus, wie die Lehre von der ersten Auferstehung und dem, was mit ihr zusammenhängt, weit entfernt, Verwirrung anzurichten, vielmehr der Schlüßel ist zur seligen Harmonie aller vorhandenen Stellen, die im alten und neuen Testamente von dem Ende handeln. Diese erste Wiederkunft des HErrn, diese erste Auferstehung ist das nächste Ziel der heil. Apostel und ihrer Gemeinden gewesen: Sie ist auch unser nächstes Ziel, da wir noch in derselbigen Weltperiode leben, wie die Apostel, und das ist, meine lieben Brüder, was ich euch zuerst erklären wollte.


II.
     Nachdem wir nun aber wißen, was der Apostel in unserem Texte für eine Auferstehung meint, liegt es uns zunächst an, was er unter dem Ausdruck versteht „entgegenkommen zur Auferstehung der Todten“. Man könnte bei der Betrachtung des Wortes „entgegenkommen“ auf den| Gedanken gerathen, daß es ja gar nicht anders möglich sei, als der ersten Auferstehung entgegen und immer näher zu kommen, weil ja die Zeit der Welt vergehe, der Abfall sich ausbreite, der Antichrist, und also auch der einzig wahre Christ des HErrn mit jedem Tage gewisser zu erwarten sei. Allein der Apostel bezeichnet mit jenem obigen Wort nicht bloß den Fortschritt der Zeit, der unvermeidlich ist, sondern ein inneres Reifen, Tüchtig- und Würdigwerden, die erste Auferstehung der Todten zu erlangen. Er erzählt in den Versen vorher, was alles er verlaßen und was alles er ergriffen habe, damit er entgegenkomme der Auferstehung der Todten. Wenn er also das nicht gelaßen, das nicht ergriffen hätte, so würde er auch die erste Auferstehung, auf welche seine heilige Seele noch jetzo sehnsuchts- und freudenvoll wartet, nicht gewinnen. Wir dürfen also nur ins Auge faßen, was er gelaßen, und was er ergriffen hat, so muß uns auch klar werden, was das heißt: „entgegenkommen zur ersten Auferstehung.“
.
     Was der Apostel gelaßen hat, bezeichnet er im 1. Verse unseres Textes, in welchem er spricht: „Was mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Schaden geachtet.“ Er versteht aber unter dem Worte „Gewinn“ nicht bloß eine einzige Sache, sondern, wie es schon der Grundtext an die Hand gibt, und man aus der Aufzählung ersehen kann, die unserem Texte vorangieng, eine ganze Reihe von nationalen und sittlichen Vorzügen. Ein Mensch der heutigen Zeit und gewöhnlichen Art könnte sich vielleicht verwundern, daß der Apostel unter den Dingen, die ihm Gewinn waren, nicht auch sein zeitliches Vermögen aufzählt, zumal man aus verschiedenen Umständen seines Lebens den Beweis versuchen könnte, daß er einiges Vermögen allerdings müße gehabt haben. Allein das mag man nun versuchen oder unterlaßen, es ist am Tage, daß er auf sein zeitliches Vermögen soviel nicht gehalten hat; sonst würde er bei Aufzählung des Gewinns, den er um Christi willen für Schaden geachtet hat, auch ein Wort davon gesagt haben. Dagegen aber schlägt er seine nationalen Vorzüge an, seine Abstammung| aus Israel, aus dem Stamm Benjamin, und zwar seine unvermischte, reine Abstammung, daß er ein Ebräer aus Ebräern ist. Er sagt, er habe auch, daß er sich Fleisches rühmen könne, und begründet es mit den Worten: „der ich bin einer aus dem Volk Israel, des Geschlechtes Benjamin, Ebräer aus Ebräern“. Mit diesem nationalen Vorzug im innigsten Zusammenhange steht der Ruhm der Beschneidung, ohne welche er ja zum Israel Gottes nicht vollständig gehört hätte. „Der ich am achten Tage beschnitten bin“, sagt er. Auch die sittlichen Vorzüge, welche er aufzählt, hängen eng mit den nationalen zusammen. Es ist ein sittlicher Vorzug, welchen sich der Apostel beimißt, indem er spricht: „der ich bin nach dem Gesetz ein Pharisäer;“ denn die Wahl der Lebensrichtung innerhalb dem Judentum hätte ihn ja auch zum Sadducäismus führen können; aber nein, er wird ein Pharisäer, und zwar einer von der edelsten Art, ein Schüler Gamaliels. „Nach dem Eifer war ich ein Verfolger der Gemeine, nach der Gerechtigkeit im Gesetz bin ich gewesen unsträflich.“ Wir, von unserem Standpunkt und dem apostolischen Standpunkte Pauli selber, halten es allerdings am Ende für keinen hohen sittlichen Vorzug, daß Paulus ein Verfolger der Gemeine war und unsträflich im Gesetz, das aus Satzungen bestand; aber so ist es eben, ein und derselbe Zug eines Lebenslaufes kann von dem Standpunkt des Christen aus verwerflich sein, von dem des Juden aber groß und hehr. Aber nicht bloß das, sondern es kann auch äußere Vorzüge geben, welche ebensowol nach dem Urtheil des Christen als nach dem des Juden von großem Werthe sind. Dahin rechne ich z. B. die jüdische Abstammung. Bei heutigen Juden, welche Christen geworden sind, findet man zuweilen, daß sie sich ihrer Abstammung schämen; ich aber muß gestehen, daß es mir, wenn ich von Abstammung ein Jude wäre, gerade so gehen würde, wie dem Apostel Paulus in unserem Textcapitel. Ich würde das für meinen grösten Vorzug nach dem Fleische halten, und ich würde dafür sorgen, daß es bei meinen Nachkommen nie in Vergeßenheit geriethe; sie sollten es wißen, daß jüdisches| Blut in ihren Adern ränne. Denn das Volk Israel ist nicht bloß in Rücksicht auf die Vergangenheit das auserwählte Volk Gottes und der Adel der Menschheit, sondern es hat auch hohe Verheißungen für die Zukunft, und die Gläubigen aus seiner Mitte werden am Ende der Tage und in Ewigkeit die Chorführer der erlösten Schaar und unter den Gesegneten des HErrn insonderheit gesegnet sein. Das weiß, das lehrt auch St. Paulus selbst, und es ist daher nicht zu verwundern, wenn er an die Spitze aller seiner Vorzüge, deren er sich rühmen konnte, seine reine israelitische Abstammung aus dem Geschlechte Benjamin setzt: er wird am Ende der Tage unter den Benjaminiten hervorragen, ob er gleich heißt Paulus d. i. der Kleine, höher, als der Benjaminite Saul, der König, der um die Höhe seines Hauptes über alle Häupter Israels wegsah. Bei dem hohen Werthe, welchen der heil. Paulus auf seine Abstammung und alles, was damit zusammenhieng, legte und legen muste, ist es nur zu verwundern, daß er in unserem Texte so gar gering davon redet. „Ich habe es für Schaden geachtet,“ sagt er im 7. Vers, „und ich achte alles noch für Schaden,“ sagt er im 8. Vers, ja, er setzt hinzu. „ich achte es für Dreck,“ d. i. für Auskehricht, den man auf die Schaufel nimmt und wegwirft. Warum redet er denn so gar gering von seinen hohen nationalen und doch auch sittlichen Vorzügen? Warum ist ihm denn so gar nichts, was ihm doch sonst so viel ist? Warum? Weil er’s in Vergleich bringt mit Christo Jesu. Wenn seine Stammesgenoßen ihre Vorzüge mit Christo Jesu verglichen, so waren ihnen die Vorzüge groß, und Christus klein, und ihre Abstammung und die Beschneidung und der Eifer im Gesetz und die Unsträflichkeit darinnen waren so hoch geachtet, daß sie entweder den auf Golgatha darüber gar verwarfen oder doch ihre Vorzüge als lauter Stufen ansahen, als Stufen des Verdienstes, um zu ihm empor zu steigen. So war’s aber bei dem heil. Paulus nicht. Er war ein begeisterter Jude; wenn ihm aber sein HErr und Heiland Jesus ins Auge trat, dann wurden ihm all seine Vorzüge zu eitel Schaden und Auskehricht, den man wegwerfen| muß. „Um Christi willen hab ichs für Schaden geachtet,“ ruft er, „und ich acht es noch alles für Schaden gegen der überschwänglichen Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn, um welches willen ich habe alles für Schaden geachtet, und acht es für Dreck.“ Da ists also offenbar, was der Apostel läßt, um der Auferstehung der Todten entgegenzugehen. Er löst sich los von allem nationalen jüdischen Hochmuth und begreift es ganz, daß das Judentum nicht das Ziel ist, wohin der HErr Sein Volk hat führen wollen; sondern Christus Jesus ist das Ziel, Er, der Stifter des neuen Testamentes, in welchem das alte Testament zu Grabe geht, um in ewig jungem Wesen aufzustehen. Vorwärts geht der Weg vom Judentum zum Christentum; nicht bleibt am Judentum hangen, wer der Glorie der ersten Auferstehung entgegengehen will; man verläßt das Alte und ergreift das Neue und damit den ewigen Gewinn. Was sagt St. Paulus von seinen Vorzügen? „Für Schaden und Dreck acht ich Alles.“ Und warum? „Auf daß ich Christum gewinne und in Ihm erfunden werde und nicht habe meine Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz, sondern die durch den Glauben an Christum kommt, nämlich die Gerechtigkeit, die von Gott dem Glauben zugerechnet wird, zu erkennen Ihn und die Kraft Seiner Auferstehung und die Gemeinschaft Seiner Leiden, daß ich Seinem Tode ähnlich werde, damit ich entgegenkomme zur Auferstehung der Todten“. Da habt ihrs, was St. Paulus ergreift, nämlich „die überschwängliche Erkenntnis Christi Jesu, seines HErrn.“ Davon weiß die blinde verkehrte Judenschaft freilich nichts; daher weiß sie aber auch nichts von dem ewigen Leben, von welchem der HErr selber in der letzten Nacht Seines irdischen Lebens zeuget und spricht: „Das ist das ewige Leben, daß sie Dich und, den Du gesandt hast, Jesum Christum, erkennen.“ Aber Paulus weiß davon, ihm sind die Augen offen. Christus ist ihm über Israel und Zion aufgegangen als der schöne Glanz des HErrn, als selbst der HErr und der Heilige Gottes, den er gewinnen muß. Da zieht er aus seine Unsträflichkeit und seinen Eifer und die Secte der| Pharisäer und die Abstammung von Benjamin und Israel und die Beschneidung und alle seine Hülle und Fülle und springt nackt und bloß hinein ins Waßer der Taufe, auf daß er Christum gewinne und in Ihm erfunden werde, und taucht auf in der glänzenden Gerechtigkeit des Glaubens; die Kraft der Auferstehung Jesu Christi ist in ihm; Seele und Leib sind wiedergeboren zum unvergänglichen und unverwelklichen Leben der Ewigkeit; und wenn er nun auch leiden muß, wie Christus, und sterben um der Wahrheit willen, wie Er, so ist doch Christi Leben in ihm durch die Kraft Seiner Auferstehung, und die sühnende Macht der Gemeinschaft Seiner Leiden, das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, wäscht und reinigt und heiligt ihn, daß er leidend und sterbend der ersten Auferstehung der Todten entgegengehen kann.

     Da seht ihrs also klar und öffentlich, wie St. Paulus der Auferstehung der Todten entgegenkommt. Oder habt ihr nicht gemerkt? die grösten angeerbten, sammt allen mit Mühen und Fleiß erworbenen, Vorzüge, seines Lebens wirft er weg; von der Bahn des stolzen, seines eigenen Zieles unbewusten Judentumes tritt er ab; der Gekreuzigte auf Golgatha wird sein Schatz, sein Reichtum, das Thema einer endlos fortschreitenden Erkenntnis, der Gegenstand eines grenzenlosen Vertrauens, der leuchtende Ersatz für alle eigene Gerechtigkeit, unumstößliche Zuversicht der Auferstehung und des ewigen Lebens; und die namenlose Schmach und Tiefe Seiner Leiden am Kreuz ein so mächtiger Anziehungspunkt für seine Seele, daß er nur vor allen Dingen will haben die Gemeinschaft dieser Leiden, ihren Segen, ihr Verdienst und dann gern in jedem möglichen Sinne dem Todten am Kreuz, dem Jammerbilde ohne Gleichen selbst leidend und sterbend gleichförmig werden. Kurz, in Ihm leben und in Ihm erblaßen, in Ihm alles thun und alles laßen, das ist der Weg, auf welchem St. Paulus der ersten Auferstehung der Todten entgegengeht. Das ist der Weg, einen andern kennt er nicht, einen zweiten gibt es nicht!


|
III.
     Nachdem wir nun, meine lieben Brüder, erkannt haben, welcher Auferstehung der heil. Paulus entgegenkommt, und in welcher Weise er es thut, haben wir die Anwendung auf uns selbst zu machen, sintemal wir von einer jeden neugewonnenen Erkenntniß Frucht und Nutzen für uns selber schöpfen müßen. Nun aber ist Frucht und Nutzen einer jeden Erkenntnis entweder Lehre oder Strafe oder Beßerung oder Züchtigung oder mehreres von den vieren oder alles, und ich denke allerdings, daß reicher Nutzen von dem, was wir heute lernten, uns zufließen kann, sowie wir nur wollen. Zu allererst werden wir wol eine unliebsame Entdeckung machen, die uns reichlich zur Strafe und Beßerung dienen kann. Denn wir sind Kinder der Zeit alle zumal und der Zeit Eigentümlichkeit ist es, an die allgemeine Auferstehung nicht zu denken, überhaupt mit Leichtsinn über das ewige Schicksal des sterblichen Leibes hinwegzugehen und sich höchstens mit der Frage zu befaßen, ob die Seele nach dem Tode übrig bleibe und selig werde. Alles scheint diesem ungläubigen Geschlechte gewonnen, wenn nur aus dem Schiffbruch des Todes die arme nackte Seele gewonnen wird. Ob aber auch einer sich findet und der andere, der ausnahmsweise den hohen Todestrost versteht, welcher in der Auferstehung der Todten liegt, so findet sich doch schier rings im Lande niemand, welcher an die erste Auferstehung von den Todten denkt, geschweige es für möglich hält, an ihr theilnehmen zu können, und für heilige Pflicht, ihr auf dem Wege St. Pauli entgegenzukommen. Zur Zeit der hl. Apostel war es anders. Obwol die Kirche kaum geboren war, so sahen doch alle Augen bereits mit ernster wachsamer Aufmerksamkeit auf den in Mitte der Kirche zu erwartenden großen Abfall, man stand gerüstet, den Antichrist, den Menschen der Sünde, zu empfangen, und fand sich alle Tage bereit in den großen Kampf zu gehen und mitten hindurch durch denselben der großen Hoffnung der Christenheit entgegenzukommen, nämlich der Wiederkunft des HErrn zur| Vertilgung des Antichristus, zur Aufrichtung des Reiches Israel und zur Besteigung des Thrones Davids. So groß der Glaube und die Liebe der ersten Zeit gewesen sind, so ist doch das Kennzeichen, durch welches sie sich von allen nachfolgenden Zeiten unterscheidet, die rege lebendige Hoffnung auf die erste Wiederkunft des HErrn und die tiefe reiche Einsicht in die letzten Dinge. Das wurde freilich alles bald anders. Der Edle, der über Land gezogen war, verzog seine Wiederkunft, die Apostel entschliefen, die großen Verfolgungen, welche im römischen Reiche und um dasselbe her erwachten, lenkten die Augen der Getreuen auf ein näheres Ziel, nämlich auf die Glorie des Märtyrertodes, durch welchen man ohne Wiederkunft des HErrn der Seele nach zu Ihm und Seinen Himmelsfreuden gelangte. Und als endlich die Verfolgungen aufhörten, die römischen Kaiser und die Könige der Erde ihre Kniee vor dem Dorngekrönten beugen lernten, die Menschheit völkerweise zu den Thoren der heil. Kirche eindrang und die Staaten der Welt christlich zu sein versuchten, in einem gewissen Maße christlich wurden: da schien das Reich bereits gekommen, Christus mit seinen Heiligen bereits zu herschen, das Sabbathjahrtausend der Welt herzugeeilt, die Hütte Gottes unter den Menschen aufgeschlagen. Die Hoffnung einer Wiederkunft, der Antichristus und der Abfall, durch den sie herbeigerufen wird, trat in den Hintergrund, und unbegreiflicher Weise bemerkte man nicht, wie eben damit die Liebe erkaltete, der Glaube matt wurde und das ganze christliche Wesen immer mehr von Mängeln und Sünden belastet wurde, je mehr das Abendroth der Welt und das Morgenroth des Reiches Christi sich auf die Grenzen einer ungemeßenen Ferne zurückzog. O Jammer und großer Schade! Da rief kein Apostel mehr in die Welt herein: „Was hat der Tempel Gottes für eine Gleiche mit den Götzen?“ oder „der Welt Freundschaft ist Gottes Feindschaft.“ Da schloßen die unversöhnlichen Gegensätze einen ungöttlichen Frieden, Welt und Kirche durchdrangen einander und während es schien, als sei damit die Deutung gegeben jenes Gleichnisses von dem Sauerteig,| der die 3 Scheffel Mehl durchdringt, fand sichs je mehr und mehr, daß der ganze neue Teig der Kirche vom alten Sauerteig der Welt durchdrungen wurde, und dies jammervolle Gemisch, dieser Hohn und Spott auf die Gleichnisse vom Netz und vom hochzeitlichen Kleide, sich erzeugte, das man heutzutage die Kirche Christi zu nennen wagt. Da gehört nun freilich die Hoffnung einer ersten und zweiten Wiederkunft des HErrn zu den Mährchen, die niemand mehr glaubt, und wer sie wieder wach rufen will und die Christenheit zu ihr versammeln und die schlafenden Jungfrauen wecken und das Oel der mitternächtlichen Lampen preisen und den Gesang anstimmen: „Mitternacht heißt diese Stunde,“ der ist ein Poet, ein Schwärmer, der nicht die Nüchternheit gibt, sondern wegnimmt und die wolbestellte Kirche im behaglichen Genusse ihres hausbackenen Glaubens stört. Freilich, es kann ja auch nicht anders sein, die Philipper, die Thessalonicher und ihre Lehrer, dieser Paulus, dieser Petrus, dieser Johannes, sie waren lauter Schwärmer, und nüchtern sind allein diejenigen, welche St. Petrus im 3. Cap. seines Abschiedsbriefes straft und verwirft, indem er ruft: „Wisset das aufs erste, daß in den letzten Tagen kommen werden Spötter, die nach ihren eigenen Lüsten wandeln und sagen: Wo ist die Verheißung seiner Zukunft? Denn nachdem die Väter entschlafen sind, bleibt es alles, wie es vom Anfang der Kreatur gewesen ist.“ Sie sind ja längst entschlafen, diese Väter, dieser Paulus, dieser Petrus, dieser Johannes, diese Apostel, diese ersten Gemeinen, die den Christ des HErrn gesehen und die Engel von der Wiederkunft des HErrn haben zeugen hören! 1800 Jahre sind hingegangen, und was hat sich ereignet, der Zukunft des HErrn vergleichbar? Was hat sich ereignet? Die Kirche steht, der Abfall in ihr nimmt immer zu, die Massen ergeben sich unverhohlen dem irdischen Getrieb, die Bosheit, welche Gottes Wort anfeindet, gewinnt immer mehr Ohren und Herzen für ihre Lehre; es fehlt nur, daß aus dem wogenden Meere der verderbten Völker der Mensch der Sünde, das Kind des Verderbens sich hebe und unter dem Zujauchzen von Stimmen| ohne Zahl der alten Zeit des Christentums die Leichenrede halte und eine neue Zeit verkünde. Dabei weckt Gott der HErr die Stimme der Propheten wieder auf, Licht fällt in die längst nicht mehr verstandenen Stellen, einfach und klar erscheint den Zeugen hin und wieder das Wort vom Ende, und vernehmlich, wenn auch im grellen Widerspruch mit der Finsternis der Nacht, welche das Erdreich deckt, erschallt wie der Hahnenschrei um Mitternacht der Ruf der Wächter auf den Zinnen: „Steht auf, der Bräutigam kömmt!“ Auch zu euch dringt der Hahnenschrei, mein Geschrei aus meiner Einsamkeit und Stille; aus der Tiefen heraus schrei ich euch an und gebe mein Zeugnis vom Abfall, von der möglichen nächsten Nähe des Antichristus, der ersten Wiederkunft des HErrn und der ersten Auferstehung. Ha, daß ich euch den Schlaf von euren Augen könnte nehmen, den sträflichen, und euch wecken zur Ergreifung der Hoffnung, die wie Morgenroth am Himmel lodert! Daß euch gegeben werden möchte ein Leben der Hoffnung zu führen und mit St. Paulo entgegenzukommen der Auferstehung von den Todten! Glaube und Liebe ohne diese Hoffnung sind wie das Opfer auf dem Altare, bevor das Feuer vom Himmel fiel. Die große Hoffnung der Christenheit muß uns wieder entzünden, wenn der Glaube und die Liebe ihre Werke wieder thun sollen, wenn aufhören soll die niederträchtige irdische Gesinnung der Christenheit, wenn die Braut Christi ihrem Bräutigam entgegen gehen soll schöner, als der Mond, und schrecklicher, als Heeresspitzen.
.
     Ich weiß, unter welchem Volke ich zwanzig Jahre stehe. Ihr habt große schwere Grabsteine auf euch liegen. Euch binden die Ketten der irdischen Gesinnung, der Habsucht, des Eigennutzes, der Wollust, des Ehrgeizes und der Trägheit: die drücken euch nieder in euer dumpfes Leben, daß ihr nicht aufstehen und dem Rufe der Zeugen folgen könnet. Aber ist denn gar niemand unter euch, der folgen kann? Gibt’s keine Ohren, die hören, und keine Augen, die da sehen, sehen die Zeichen der Zeit und hören die Stimme der Wächter?! Es werden doch etliche unter euch| sein, die aus den Gräbern des todten weltlichen Wesens auf die Beine fahren! Oder ist niemand da, der von der Auferstehung der Todten, der ersten, mit Sehnsucht reden hört? Wohlan, steht auf, und kommt entgegen der Auferstehung! Ihr habt keine Vorzüge, wie sie St. Paulus hatte; ihr seid nicht aus Israel, nicht aus Benjamin, keine Schüler Gamaliels, keine Eiferer am Gesetz, nicht unsträflich in dessen Erfüllung. Ihr gehört nicht zum Adel der Welt; ihr wißt von euren Vätern nichts; ihr wißt nicht, seid ihr Slaven oder Franken. Was habt ihr zu rühmen, zu schätzen und inne zu halten? Ihr seid aus einem ungläubigen Volk, aus einer verkommenen Kirche, eine thatenlose weisheitsleere glaubensarme jämmerliche Schaar, – und ich bin, wie ihr. Da stehn wir und sehen das Morgenroth der Zukunft leuchten, das Ende kommen und den HErrn mit Seiner Auferstehung, und wir sind über und über beschlabbert mit dem Schmutze und der Niederträchtigkeit unsres gemeinen Lebens. Womit wir zu brechen haben, was wir für Schaden und Auskehricht achten sollen, das sind keine Vorzüge, nein, das ist Schade und Auskehricht, ja, mehr, als das, Sünde, Welt und Teufel. Das können wir leicht verachten und verlaßen und mächtig sollt’ es uns ziehen zu dem, der da kommt und mit ihm sein Lohn, zu unserem HErrn, dem König und Sieger, zur Kraft Seiner Auferstehung, zur Gemeinschaft Seiner Leiden und zur Aehnlichkeit Seines Todes. Was kann die Seele mächtiger anziehen, als Er und Sein Verdienst und Reichtum?! Alle Religionen der Welt sind menschliche Gedanken, oft teufelische Institutionen, höchstens Ueberreste beßerer Tage und Ahnungen einer größeren Zukunft; aber Jesus von Nazareth und Seine überschwängliche Erkenntnis sind alleine dasjenige, was unsre Seelen aus dem Staube des Elends und aus der Tiefe der Sündenhöhlen vollkommen befriedigen, beseeligen, erneuen und umschaffen kann. Ihn gewinnen und in Ihm erfunden werden; welche Herlichkeit! Und hier, meine lieben Brüder, möcht’ ich mich vor dem Herrn verbergen und euch mit mir; denn wir sind ja getauft, also könnten, sollten wir Ihn haben und in Ihm erfunden| werden; uns sollte gar nichts mangeln, und doch mangeln und darben wir und sind, wie wir sind! Es helfe uns darum der HErr selber und öffne uns die Schleußen unsrer Taufe wieder und überströme uns mit Seiner überschwänglichen Erkenntnis und erneue in uns Sein Leben, die Kraft Seiner Auferstehung, die Gemeinschaft Seiner Leiden, daß wir Seinem Tode ähnlich werden, ob vielleicht auch wir entgegenkommen der ersten Auferstehung der Todten! – Meine ganze Seele bewegt sich, o meine ganze Sehnsucht hebt sich, daß wir mit einander in heiligem lebensvollen Eifer der Auferstehung entgegen kommen! O ich möcht euch wecken zur Mitgenoßenschaft, zur Pilgrimschaft auf dem seligen Weg! O wie arm und schwach und matt sind meine und aller Menschen Kräfte, daß wir das nicht können! Aber zu Dir, Herr Jesu, heb ich meine Hände und meine Seele, bitte für mich und alle, denen ich predige: Du wollest uns nach Deiner ewigen Barmherzigkeit aufs Neue setzen und gründen in jene Wiedergeburt zu einer lebendigen Hoffnung durch Deine Auferstehung und für das unvergängliche, unbefleckte und unverwelkliche Erbe im Himmel. 1 Petri, 1, 3 ff. Du wollest uns in solcher Hoffnung laßen leben und anziehen die Kräfte der zukünftigen Welt und des ewigen Lebens und uns in der Kraft Deiner Auferstehung, in der Gemeinschaft Deiner Leiden, in der Gleichförmigkeit Deines Todes entgegenkommen laßen zur ersten Auferstehung von den Todten. Amen.