Das Dynamit-Attentat bei der Enthüllungsfeier des Niederwald-Denkmals (Friedländer)

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Autor: Hugo Friedländer
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Titel: Das Dynamit-Attentat bei der Enthüllungsfeier des Niederwald-Denkmals
Untertitel: am 28. September 1883 vor dem Reichsgericht.
aus: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 7, S. 153–243
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Erscheinungsdatum: 1912
Verlag: Hermann Barsdorf
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: Google-USA*, Commons
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Das Dynamit-Attentat
bei der Enthüllungsfeier des Niederwald-Denkmals
am 28. September 1883 vor dem Reichsgericht.

An westlichen Ende des Taunus im Regierungsbezirk Wiesbaden zwischen der Wisper und dem Rhein erhebt sich ein mit prächtigen Buchen und Eichen gekrönter Bergrücken, genannt der Niederwald. An seinem Abhang liegen längs des Rheins die Weinberge von Rüdesheim und Aßmannshausen. Aus Anlaß des deutsch-französischen Krieges (1870 bis 71) wurde hier vom Dresdener Bildhauer Schilling ein ungemein imposantes Nationaldenkmal von gewaltigem Umfange errichtet. Auf einem durch Reliefs und allegorische Figuren geschmückten, 25 Meter hohen Sockel erhebt sich die hohe Gestalt der Germania. Von Rüdesheim und Aßmannshausen führt zu dem Denkmal eine Zahnradbahn. Am 28. September 1883 wurde das Denkmal in Gegenwart des Kaisers Wilhelm I., des Kronprinzen, späteren Kaisers Friedrich, das Prinzen Wilhelm, jetzigen deutschen Kaisers, sämtlicher deutschen Bundesfürsten, und vieler anderer Fürstlichkeiten, sowie fast aller königlichen Prinzen, des damaligen Reichskanzlers Fürsten Bismarck, des Generalfeldmarschalls Grafen v. Moltke und fast aller preußischen Minister, Bundesratsmitglieder, sowie aller Botschafter und Gesandten fremder Staaten am Berliner Hofe und vieler Generäle in feierlichster Weise enthüllt. Die Festversammlung ahnte nicht, daß zwei Leute alle Vorbereitungen unternommen hatten, um, sobald die Hülle des Denkmals fällt, sämtliche Festteilnehmer mittels Dynamit in die Luft zu sprengen. Nur der furchtbare Regen, der tags vorher und die ganze Nacht hindurch sich über das Erdreich ergoß, hatte den teuflischen Plan vereitelt. – Der Umstand, daß am Sonnabend, den 12. Mai 1878 der 21 jährige Klempnergeselle Hödel in Berlin Unter den Linden auf Kaiser Wilhelm I. schoß, als der Monarch nachmittags gegen 31/4 Uhr mit seiner Tochter, der Großherzogin Luise von Baden im offenen Wagen aus dem Tiergarten kam, veranlaßte den Reichskanzler, Fürsten v. Bismarck, dem Reichstage ein Ausnahmegesetz gegen die Sozialdemokratie vorzulegen. Das Gesetz wurde jedoch vom Reichstage abgelehnt. Sehr bald darauf, Sonntag den 2. Juni 1878, als der damals 81jährige Kaiser nachmittags gegen 2 Uhr im offenen Wagen von seinem Palais nach dem Tiergarten fuhr, schoß der dreißigjährige Dr. phil. Karl Nobiling aus seiner Unter den Linden 18 im zweiten Stock belegenen Chambregarnistenwohnung mit einem mit Schrot gefüllten Jagdgewehr auf den Kaiser. Der greise Monarch, der sofort nach seinem Palais zurückfahren mußte, wurde in gräßlichster Weise verwundet, so daß er sehr lange Zeit schwer krank darniederlag. Der Kaiser war genötigt, seinem Sohn, dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm, späteren Kaiser Friedrich, die Regentschaft zu übertragen. Auf den Rat des Reichskanzlers Fürsten v. Bismarck wurde der damals vertagte Reichstag aufgelöst und unter dem Hochdruck der Attentate die Neuwahlen vorgenommen. Diese ergaben eine wesentlich andere Zusammensetzung des Reichstages. Letzterer genehmigte das „Gesetz gegen die gemeingefährlichen, auf den Umsturz der Staats- und Gesellschaftsordnung gerichteten Bestrebungen der Sozialdemokratie.“ Am 21. Oktober 1878 mittags wurde das Gesetz im Reichstage in dritter Lesung angenommen und bereits an demselben Tage abends gegen 6 Uhr wurde das Gesetz im „Deutschen Reichsanzeiger“ veröffentlicht. Mit dieser Veröffentlichung hatte das Gesetz Gesetzeskraft erlangt. Am folgenden Tage wurde über Berlin, Potsdam und zweimeiligen Umkreis der „Kleine Belagerungszustand“ verhängt und noch an demselben Tage 45 Personen ausgewiesen. Wenige Tage darauf wurde das Erscheinen aller sozialdemokratischen Zeitungen im ganzen Reiche verboten, alle sozialdemokratischen Vereine und Gewerkschaften aufgelöst, alle sozialdemokratischen Druckereien, Bücher, Broschüren und Lieder beschlagnahmt, alle Versammlungen, von denen vermutet wurde, sie könnten einen sozialdemokratischen Charakter annehmen, von vornherein verboten oder während der Versammlung polizeilich aufgelöst. Die Ausweisungen, nicht nur in Berlin, sondern in allen Orten, über die der „Kleine Belagerungszustand“ verhängt war, häuften sich. Es herrschte eine Zeitlang gewissermaßen politische Grabesstille. Zu dieser Zeit begann der Anarchismus, der bis dahin in Deutschland fast unbekannt war, mächtig ins Kraut zu schießen. Der frühere sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Johann Most, der mehrere Jahre Chefredakteur der sozialdemokratischen „Berliner freien Presse“ war, hatte wenige Tage vor dem Nobilingattentat in seinem Wahlkreise Chemnitz eine Rede gehalten. Er wurde deshalb, noch während er sprach, auf dem Podium verhaftet und von der Chemnitzer Strafkammer wegen Aufreizung zu Gewalttätigkeiten zu 1 Jahr 6 Monaten Gefängnis verurteilt. Nachdem Most diese Strafe verbüßt hatte, kam er nach Berlin. Hier erhielt er an demselben Tage, an dem er eingetroffen war, den polizeilichen Befehl, binnen drei Stunden das Gebiet des „Kleinen Belagerungszustandes“ zu verlassen, wenn er nicht verhaftet und wegen Bannbruchs bestraft werden wolle. Most begab sich nach London, schloß sich dort sogleich den Anarchisten an und gründete das bekannte Anarchistenorgan: die noch jetzt in Newyork erscheinende „Freiheit“. Im August 1880 fand auf dem halbverfallenen Schloß Wyden in der Schweiz der Parteitag der deutschen Sozialdemokratie statt. Auf diesem wurde beschlossen: die damaligen sozialdemokratischen Reichtagsabgeordneten Johann Most und Wilhelm Hasselmann wegen anarchistischer Umtriebe aus der Partei auszuschließen. Allein es hatte damals bereits eine sehr lebhafte anarchistische Agitation in Deutschland eingesetzt. Zahlreiche anarchistische Agitatoren, wie Dr. Dave, Rimke, Grün u. a. durchzogen das Land, ganz besonders, um anarchistische Zeitungen, wie die Mostsche „Freiheit“, aber auch die anarchistischen Zeitungen „Autonomie“, den „Rebell“ und andere Druckschriften, die selbstverständlich sämtlich verboten waren, in Deutschland zu verbreiten. In Frankfurt a. M. wurde eines Tages der Versuch unternommen: das Polizeipräsidialgebäude in die Luft zu sprengen. In Stuttgart und Wien fanden Dynamitattentate statt. Eine Anzahl führender Anarchisten wurde verhaftet und wegen Hochverrats angeklagt. Im Oktober 1881 fand vor dem vereinigten zweiten und dritten Strafsenat des Reichsgerichts zu Leipzig, unter dem Vorsitz des Reichsgerichts-Senatspräsidenten Drenkmann, der sehr umfangreiche Prozeß wegen Hochverrats wider Bräuder und Genossen statt, der mehrere Wochen dauerte. Die große Mehrheit der Angeklagten wurde zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt. In diesem Prozeß stellte es sich allerdings auch heraus, daß der Ende April 1885, augenscheinlich von einem Anarchisten erstochene Polizeirat Dr. Rumpf in Frankfurt a. Main einen Schneidergesellen namens Horsch als Agent provocateur benützt hatte. Zu den gefährlichen Anarchisten gehörte damals der Schriftsetzer August Reinsdorf. Dieser, der aus Berlin und mehreren anderen Orten ausgewiesen war, soll einmal beabsichtigt haben, im Kursaal zu Wiesbaden ein Dynamitattentat zu unternehmen. Er soll geäußert haben: er wollte die bürgerliche Gesellschaft durch Zerschmetterung des selten schönen, mächtig großen Kronleuchters, der im Kursaale hängt, erschrecken. Er habe aber im letzten Augenblick von seinem Vorhaben Abstand genommen, da ihm die vielen Frauen und Kinder, die gerade im Kursaale weilten, leid taten. Von Wiesbaden ging Reinsdorf nach Elberfeld. Als dort in einem Restaurationslokale eine Ärzteversammlung stattfand, unternahm, angeblich auf Anstiften Reinsdorfs, ein Elberfelder Webergeselle, namens Bachmann in diesem Lokal eine Dynamitexplosion ins Werk zu setzen. Das Attentat hatte aber nicht die erhoffte Wirkung, es wurde lediglich ein junger Kellner, allerdings in sehr erheblicher Weise, verletzt. Anfang September 1883 lag Reinsdorf in Elberfeld im Krankenhause. Als er erfuhr, daß am 28. Sep- tember das Niederwalddenkmal in Gegenwart des Kaisers, des Kronprinzen, der vielen Fürstlichkeiten usw. enthüllt werden solle, schrieb er dem 20jährigen Sattlergesellen Rupsch, er solle ihn einmal besuchen. Diesem tuschelte er ins Ohr: Es empfehle sich, bei dieser Enthüllungsfeier auf dem Niederwald etwas zu unternehmen. Rupsch solle einige Genossen ersuchen, eine Geldsammlung zu veranstalten, damit er mit dem Schriftsetzer Küchler nach Rüdesheim fahren könne, um am Niederwalddenkmal eine Dynamitexplosion in Szene zu setzen. Rupsch und Küchler erklärten sich sofort einverstanden, das Attentat zu unternehmen. Einige Elberfelder Anarchisten sammelten eine kleine Summe. Inzwischen war Reinsdorf aus dem Krankenhause entlassen worden. Dieser gab Rupsch und Küchler eingehende Instruktionen. In Barmen wurde eine Zündschnur für 40 Pf., ferner Nitroglyzerin, eine große Glasflasche und eine Steinkruke gekauft. Da das gesammelte Geld nicht ausreichte, so versetzte Rupsch für 10 Mark seinen Reisekoffer. Am Morgen des 27. September 1883 reisten Rupsch und Küchler nach Rüdesheim. Abends erklimmten Rupsch und Küchler die zu dem Denkmal führende Feststraße. In unmittelbarer Nähe des Denkmals legten sie in eine Dränage die mit Nitroglyzerin gefüllte Steinkruke und Glasflasche. An diese befestigten sie die Zündschnur und bedeckten alles mit Laub und Erde. Am folgenden Tage begaben sich Rupsch und Küchler in aller Frühe wieder in die Nähe des Denkmals. Es war geplant, sobald der kaiserliche Wagen herannahe, die Zündschnur mit einer brennenden Zigarre in Brand zu setzen und somit das Dynamit zur Explosion zu bringen. Allein es hatte am Tage vorher und auch die ganze Nacht unaufhörlich heftig geregnet. Die Zündschnur war infolgedessen vollständig durchweicht. Die Attentäter waren, als sie die Zündschnur angezündet hatten, eiligst davongelaufen. Sie erwarteten einen furchtbaren Knall. Aber Sie vernahmen nur Hurrarufe und Trompetengeschmetter. Aus Årger über das Fehlschlagen ihres Planes unternahmen sie nachmittags den Versuch, die am rechten Rheinufer bei Rüdesheim belegene große Festhalle, woselbst Konzert stattfand, in die Luft zu sprengen. Die Explosion sollte abends erfolgen, sobald die Festhalle von Menschen angefüllt war. Allein es erlitten nur einzelne Teile der Festhalle eine Beschädigung, und zwei Leute fielen infolge des heftigen Knalls vor Schreck in Ohnmacht. Rupsch und Küchler reisten noch am Abend nach Elberfeld zurück. Von dem beabsichtigten Attentate hatte niemand eine Ahnung. Am zweiten Weihnachtsfeiertag 1883 fand eine von Elberfelder und Barmer Arbeitern veranstaltete Festlichkeit statt, die einen großen Überschuß ergab. Als am 27. Dezember 1883 die Festkommission Rechnung legte, bat der anwesende Rupsch, ihm und Küchler von dem Überschuß die Auslagen für die im September unternommene Reise nach Rüdesheim zu erstatten, da die damalige Geldsammlung bei weitem nicht gelangt habe und er genötigt gewesen sei, seinen Reisekoffer zu versetzen, den er bis dahin noch nicht einlösen konnte. Ob dem Rupsch die zehn Mark gegeben wurden, ist mir nicht erinnerlich. Jedenfalls muß in dieser Sitzung ein Verräter zugegen gewesen sein, denn wenige Tage darauf wurden Rupsch und Küchler, und sehr bald darauf auch Reinsdorf, der sich zurzeit in Hamburg befand, verhaftet. Kurze Zeit darauf wurden noch Webergeselle Bachmann, Färbergeselle Söhngen, Bandwirker Rheinbach und Knopfarbeiter Töllner wegen Beihilfe und unterlassener Anzeige von einem Verbrechen, von dem sie zu einer Zeit glaubhafte Kenntnis erhalten hatten, in welcher die Verhütung noch möglich war, verhaftet. Am 15. Dezember 1884 hatten sich die erwähnten sieben Personen vor dem vereinigten zweiten und dritten Strafsenat des Reichsgerichts zu verantworten.

Den Gerichtshof bildeten: Senatspräsident Drenkmann (Vorsitzender) und die Reichsgerichtsräte Thewalt, Schwarz, Kirchhoff, Krüger, Stechow, Petsch, Dr. Spies, Kienitz, Dr. Freiesleben, Dr. Mittelstädt, Schaper, v. Pezold, Calame (Beisitzende). Die Oberreichsanwaltschaft vertraten Oberreichsanwalt Exzellenz Dr. Freiherr v. Seckendorff und der Erste Staatsanwalt bei der Reichsanwaltschaft Treplin. Die Verteidigung führten Justizrat Fenner für Reinsdorf, Justizrat Bußenius für Küchler, Rechtsanwalt Dr. Thomsen für Rupsch, Rechtsanwalt Dr. Seelig für die Angeklagten Bachmann, Holzhauer, Söhngen, Rheinbach und Töllner. – Da das Reichsgerichtsgebäude noch nicht fertig war und die Räume des provisorischen am Brühl und Goethestraßen-Ecke belegenen Reichsgerichtsgebäudes sehr unzulänglich waren, es auch zu argen Mißhelligkeiten geführt hätte, wenn man die Angeklagten während der sechstägigen Verhandlungsdauer vom Untersuchungsgefängnis des Leipziger Landgerichts nach dem Brühl und zurück hätte transportieren müssen, so fand die Verhandlung im Schwurgerichtssaale des in der Harkortstraße belegenen Leipziger Landgerichts statt. Der Andrang nach dem Zuhörerraume war geradezu beängstigend. Zahlreiche Polizeibeamte in Uniform und Zivil waren vor und im Gerichtsgebäude und auch im Verhandlungssaale postiert. Auch einige Beamte der politischen Abteilung der Berliner Kriminalpolizei bemerkte man. Die Anklagebank wurde zu beiden Seiten von je drei uniformierten Schutzleuten flankiert. Ein ganzes Heer von Polizeibeamten in Zivil und Uniform patrouillierte schon seit längerer Zeit Tag und Nacht in der Gegend des Gerichtsgebäudes, das mit dem Untersuchungsgefängnis in unmittelbarer Verbindung stand. Auch die Militärwache des Untersuchungsgefängnisses war verstärkt worden. Es waren überall Doppelposten mit geladenem Gewehr ausgestellt.

Die Angeklagten, die sämtlich, mit Ausnahme von Reinsdorf und Küchler, den Eindruck gewöhnlicher Arbeiter machten, sahen alle auffallend blaß aus. Reinsdorf war ein mittelgroßer, hagerer Mensch mit etwas eingefallenen Wangen. Sein etwas ins Rötliche schimmerndes Haupthaar, ebenso auch sein Schnurrbart waren sorgfältig geordnet. Küchler machte einen etwas behäbigen, geradezu gutmütigen Eindruck. Rupsch, ein vollständig bartloser junger Mann, machte einen offenbar kindlichen Eindruck; seine tiefe Baßstimme paßte gar nicht zu seinem Außeren. Die übrigen Angeklagten sahen sämtlich sehr harmlos aus. Als Reinsdorf auf der Anklagebank Platz genommen hatte, sah er sich sehr unbefangen im Saale um; alsdann zog er ein Paar in Papier eingewickelte Brötchen aus der Tasche und aẞ in aller Gemütsruhe. – Die Verhandlung begann mit dem vom Protokollführer, Obersekretär Kanzleirat Schleiger verlesenen

Anklagebeschluß:

Im Namen des Reiches werden angeklagt:

1. Reinsdorf zu Elberfeld im Jahre 1883 den Angeklagten Bachmann zu den von letzterem nachbezeichneten strafbaren Handlungen durch Überredung und andere Mittel vorsätzlich bestimmt zu haben.

2. Bachmann zu Elberfeld am 4. September 1883 durch ein und dieselbe Handlung a) den Entschluß, eine größere Anzahl Menschen zu töten, durch vorsätzlich und mit Überlegung verübte Handlungen, welche einen Anfang der Ausführung dieses Verbrechens enthielten, betätigt zu haben; b) durch Gebrauch von explodierenden Stoffen ein dem Gastwirt Willemsen gehöriges Gebäude, welches zur Wohnung von Menschen dient, vorsätzlich zerstört zu haben. Ver- brechen, strafbar nach §§ 48, 211, 43, 305, 306, 308, 311, 49, 73, 74 des Strafgesetzbuches.

3. Ferner Reinsdorf zu Elberfeld im Jahre 1883 die Angeklagten Rupsch und Küchler zu den von diesem begangenen nachbezeichneten strafbaren Handlungen durch Überredung und andere Mittel vorsätzlich bestimmt zu haben.

4. Rupsch und Küchler auf dem Niederwald bei Rüdesheim am 27. und 28. September 1883 gemeinschaftlich: a) Se. Majestät den deutschen Kaiser und König von Preußen, ihren Landesherrn und Se. Majestät den König von Sachsen, den Landesherrn des Mitangeklagten Reinsdorf zu ermorden versucht und Handlungen verübt zu haben, durch welche das Vorhaben, Ihre Majestäten und andere Bundesfürsten zu töten, unmittelbar zur Ausführung gebracht werden sollte; b) den Entschluß, eine größere Anzahl Menschen zu töten durch vorsätzlich und mit Überlegung verübte Handlungen, welche einen Anfang der Ausführung dieses Verbrechens enthielten, betätigt zu haben. 2. Im Inlande, im Jahre 1883 Handlungen verübt zu haben, welche das gedachte hochverräterische Unternehmen vorbereiteten. 3. zu Rüdesheim am 28. September 1883 durch ein und dieselbe Handlung a) den Entschluß, eine größere Anzahl Menschen zu töten, durch vorsätzlich und mit Überlegung verübte Handlungen, welche einen Anfang der Ausführung dieses Verbrechens enthielten, betätigt zu haben; b) durch Gebrauch von explodierenden Stoffen eine Festhalle, ein Gebäude, welches zur Wohnung von Menschen oder zeitweise zum Aufenthalt von Menschen diente usw. und fremdes Eigentum war, zu einer Zeit, während Menschen in ihm sich aufzuhalten pflegten, vorsätzlich und rechtswidrig teilweise zerstört zu haben.

5. Holzhauer, Söhngen, Rheinbach, Töllner zu Elberfeld und Barmen Handlungen verübt zu haben, welche ein hochverräterisches Unternehmen vorbereiteten, dem Angeklagten Rupsch und Küchler zu den von diesen begangenen strafbaren Handlungen durch Rat und Tat wissentlich Hilfe geleistet zu haben. Verbrechen und Vergehen strafbar nach §§ 47, 48, 50, 81 alin. 1, 82, 86, 211, 43, 305, 396, 308, 311, 49, 73, 74 des Strafgesetzbuches.

Der Hauptangeklagte Reinsdorf hieß mit Vornamen Friedrich, August. Er war am 31. Januar 1849 zu Pegau, Kreishauptmannschaft Leipzig, geboren und bereits bestraft: 1. In München im Jahre 1881 wegen Verbreitung verbotener sozialistischer Druckschriften und Führung falschen Namens mit 4 Monaten Gefängnis und 14 Tagen Haft. 2. Am 4. November 1880 in Berlin wegen unbefugten Waffentragens mit 4 Wochen Gefängnis. 3. Am 15. März 1881 in Berlin wegen Führung falschen Namens und Benutzung falscher Legitimationspapiere mit 4 Wochen Haft. 4. Am 6. Juni 1882 in Berlin wegen intellektueller Urkundenfälschung mit 10 Tagen Gefängnis. Reinsdorf hatte es stets vermieden, selbsthandelnd nach außen aufzutreten, er hatte sich vielmehr stets dritter, mehr unbekannter Personen zur Ausführung seiner Pläne bedient und auch einem Genossen, dem nach Amerika geflüchteten Weber Weidenmüller in Elberfeld einmal erklärt: Es sei wünschenswert, daß ein anderer statt seiner festgenommen werde, wenn es zur Verhaftung käme. 1870 begab sich Reinsdorf ins Ausland, zunächst nach der Schweiz, von dort nach Paris und London. Alsdann kam er nach Leipzig, woselbst er in den Jahren 1877–78 mit Hödel verkehrte. 1880 kam Reinsdorf nach Berlin, woselbst er in den im Oktober 1881 vor dem Reichsgericht zu Leipzig stattgefundenen Hochverratsprozeß contra Bräuder und Genossen verwickelt wurde. Nachdem er in Berlin die erwähnten Gefängnisstrafen verbüßt hatte, begab er sich wiederum nach Leipzig, woselbst er jedoch sehr bald, auf Grund des über diese Stadt verhängten „Kleinen Belagerungszustan- des“, ausgewiesen wurde. Hierauf ging er wieder nach der Schweiz und kam im Oktober 1881 nach München. Er hatte nämlich von einem Züricher Sozialisten den Auftrag erhalten, 800 Exemplare der verbotenen Flugschrift: „Wahlenthaltung“ einem Münchener Sozialisten zu übergeben; er unterzog sich diesem Auftrage und wurde deshalb, wie erwähnt, in München bestraft. Im Frühjahr 1882 war Reinsdorf kurze Zeit in seinem Heimatsorte Pegau. Sehr bald wurde er jedoch wegen einer zu verbüßenden Gefängnisstrafe verhaftet. Nach seiner Haftentlassung in Berlin begab er sich nach Frankreich und hielt sich bis Ende 1882 in Nancy auf. Als Reinsdorf sich 1882 in Leipzig aufhielt, nannte er sich Steinberg. Bei seinem Aufenthalte in Berlin (1880) nannte er sich, auf Grund eines für 15 Fr. gekauften Heimatsscheines, „Gfeller“. In München trat er als Hacke und Beugel, in Frankfurt am Main als Ernst Eckstein auf. Als er im Januar 1883 in Naumburg a. S. verhaftet wurde, nahm man ihm zwei amerikanische Bürgerbriefe ab, den einen auf „John Shmitt“, den anderen auf „John Penzenbach“ lautend. Bei seinem Aufenthalt in Pforzheim nannte er sich Shmitt, in Elberfeld zumeist Penzenbach. Wie er angibt, wurde er mit sozialistischen Ideen anno 1870 in der Schweiz vertraut. Die Grundsätze der gemäßigten Partei genügten ihm sehr bald nicht. Er machte derart extreme Anschauungen geltend, daß er im Jahre 1878 in Leipzig aus den Versammlungen der sozialdemokratischen Arbeiterpartei ausgeschlossen wurde. Der in Zürich erschienene „Sozialdemokrat“ nannte ihn im Jahre 1880, in Verbindung mit Eisenhauer, einem bekannten Mostschen Agenten, und mit Neve, dem Expedienten der „Freiheit“, und bemerkte: „Zu den guten Freunden des Herrn Most gehört ein gewisser Reinsdorf, alias Bernstein, recte Steinberg, ein Mensch, der sich schon früher in Deutschland durch verrückte und rabiate Redensarten hervorgetan hat.“ Reinsdorf selbst nannte sich einen Atheisten und Anarchisten. Er äußerte einmal: „Mit den Züricher Sozialdemokraten, der Partei des „Sozialdemokrat“, ist es nichts; es muß schärfer vorgegangen werden; man muß im Auftreten energischer sein. Es genügt nicht, daß in der „Freiheit“ von Dynamit geschrieben werde, es muß auch angewendet werden. Wenn es mir möglich wäre, würde ich überall Dynamit hinbringen.“ Einmal machte er die Bemerkung: Wer ihn verrate, werde auf Befehl von London oder Amerika erschossen werden. Reinsdorf äußerte einmal zu Küchler: „Die Anarchisten und Sozialdemokraten verfolgen im allgemeinen dieselben Zwecke, nur die Taktik sei eine andere.“ Reinsdorf war mit den Anarchisten Baum und Waterstraat, die in dem Bräuderschen Hochverratsprozesse verwickelt waren, befreundet. Die Ehefrau des in dem Bräuderschen Prozesse außer Verfolgung gesetzten Schlossers Wolters, welche sich als religionslos und zur sozialdemokratischen Partei bekannte, unterstützte ihn mit Geld, sprach ihm brieflich ihre höchste Bewunderung und Verehrung“ aus und beklagte ihn wegen der vielen Gefahren, denen er ausgesetzt sei. Dem aus den Wiener Vorgängen bekannten Anarchisten Stellmacher war Reinsdorf persönlich bekannt. Des letzteren Genosse, der bekannte Kammerer, erhielt zurzeit Mitteilungen über das Attentat gegen das Gebäude des Frankfurter Polizeipräsidiums und über den dieses Verbrechens wegen gegen Reinsdorf erhobenen Verdacht. Reinsdorf erhielt Briefe und Gelder aus Paris, London und Amerika. Er war der englischen und französischen Sprache vollkommen mächtig und war stets bemüht, sogenannte „Deckadressen“ für seine ausgebreitete Korrespondenz zu erhalten. Zu dem Weber Palm äußerte einmal Reinsdorf: er sei von London nach Deutschland geschickt worden; gleichzeitig seien zwei andere Personen nach Wien gegangen. Um diese Zeit, Dezember 1882, war der erwähnte Expedient der „Freiheit“, John Neve, in der Tat in Wien angelangt. Neve hatte schon Anfang 1882 zwei andere Agenten, namens Rimke und Grün, nach Deutschland dirigiert. Neve schrieb an Rimke: „Eine Reise nach Deutschland ist augenblicklich von unberechenbarem Nutzen, zumal jetzt, da die Kriegsbestie vielleicht noch dieses Jahr losgelassen wird. Sollte dies der Fall sein, dann ist unser Platz nicht mehr in London oder Paris, sondern wir müssen alle, die wir es mit unserer gerechten Sache ernst nehmen, nach Deutschland, oder besser nach Österreich, um das Volk aufzuhetzen und einen Versuch zu machen.“ Rimke und Grün waren beide mit gefälschten Legitimationspapieren, Rezepten zur Anfertigung von Explosionsstoffen, chemischem Schreibmaterial, Geheimschriften und Waffen versehen. Grün hat sich später entleibt und eine Art Aufruf hinterlassen, in welchem er vorgab, für die Prinzipien der Anarchisten und Kommunisten zu sterben. Laut einer Notiz im „Sozialdemokrat“ war Reinsdorf bereits einmal im Jahre 1880 von Most nach Deutschland entsendet, um dort ein Attentat in Szene zu setzen. Die letzte Zeit hielt sich Reinsdorf in Hamburg auf. Dort klagte er einem befreundeten Schriftsetzer über die Erbärmlichkeit von Land und Leuten und sprach die Absicht aus, auszuwandern. Er erkrankte jedoch sehr bald und mußte bis zum 9. Januar 1884 in einem Hamburger Krankenhause Zuflucht suchen. In Elberfeld hielt sich Reinsdorf vom März bis Oktober 1883 auf. – Küchler hieß mit Vornamen Emil. Er war am 9. November 1844 zu Krefeld geboren, verheiratet und unbestraft. Er soll in sehr unzulänglicher Weise für seine Familie gesorgt haben, so daß diese oftmals darben mußte. – Rupsch, mit Vornamen Franz, Reinhold, war am 19. März 1863 zu Rothavitz, Kreis Naumburg a. S., geboren. Er war der Sohn anständiger Bauersleute. Sein Lehrherr gab ihm das Zeugnis eines mehr täppischen und unbeholfenen als leidenschaftlichen Menschen. – Zunächst wurde der Angeklagte Bachmann vernommen. Dieser, am 4. Dezember 1859 in Triptis, Sachsen-Weimar, geboren, war ein hagerer, kleiner Mensch. Er äußerte auf Befragen des Vorsitzenden: Ich habe wohl die Explosion in dem Willemsenschen Lokal in Elberfeld ausgeführt, ich hatte jedoch nicht die Absicht, Menschen dadurch zu töten. – Vors.: Wie haben Sie das gemacht? – B.: Ich habe zwei Dynamitpatronen auf den Tisch gelegt und sie mit einer brennenden Zigarre entzündet. – Vors.: Haben Sie das aus eigenem Antriebe getan? – B.: Reinsdorf hat mich aufgeredet. – Vors.: Sie haben in der Voruntersuchung gesagt: Sie seien im Jahre 1877 nach Elberfeld gekommen und hätten dort sozialistische Schriften gelesen, infolgedessen hätten Sie sich der sozialdemokratischen Partei angeschlossen? – B.: Ja. – Vors.: Sie haben in Aachen und Luxemburg gearbeitet? – B.: Ja. – Vors.: Wie sind Sie mit Reinsdorf bekannt geworden? – B.: Durch Weber Palm. – Vors.: Wann hat Ihnen Reinsdorf gesagt, daß Sie die Explosion verüben sollen? – B.: Wir hatten an einem Sonntage im August 1880 eine Versammlung bei dem Weber Weidenmüller, der in einem Walde bei Barmen wohnte. Dort erzählte zunächst Reinsdorf: er sei in einem Badeorte gewesen und habe dort eine Dynamitexplosion herbeiführen wollen; die Ausführung sei ihm jedoch mißglückt. – Vors.: Sagte er auch, woher er das Dynamit geholt habe? – B.: Er sagte, er habe es von einem Schweizer erhalten. – Vors.: Nun, was geschah weiter? – B.: Reinsdorf sagte, man müßte auch in Elberfeld bei der Sedanfeier eine Dynamitexplosion machen. Acht Tage später, ebenfalls am Sonntag, fand wiederum, und zwar diesmal bei Holzhauer in Barmen, eine Versammlung statt, an der auch Küchler und Weidenmüller teilnahmen. Dort wurde wiederum von Reinsdorf der Vorschlag gemacht, am Sedanfeste eine Explosion in Elberfeld zu unternehmen. – Vors.: Wurde dort nicht auch über die zurzeit streikenden Bergleute in Dortmund gesprochen? – B.: Jawohl. Reinsdorf sagte, es wäre doch erforderlich, mit diesen Streikenden Verbindungen anzuknüpfen, Weidenmüller sagte, daß er zu den Streikenden reisen wolle. – Vors.: Forderte Sie in dieser Versammlung Reinsdorf auf, die Explosion zu vollführen? – B.: Am 2. September 1880 traf ich Reinsdorf gerade, als er von der Weidenmüllerschen Wohnung aus dem Busch kam; Reinsdorf, der einen großen Hammer bei sich trug, sah etwas wild aus. Er sagte mir: er habe in Barmen Dynamit gekauft und dies im Walde vergraben. Er forderte mich auf, mit ihm zu Weidenmüller zu gehen. Ich folgte ihm. Alsbald begaben wir uns zur Stelle, wo das Dynamit vergraben war. Nach kurzem Graben fanden wir einen Blechkrug und eine Blechbüchse, angefüllt mit Dynamit und Patronen aus Papier. Die Patronen waren etwa 1½ Zentimeter groß. Ich hatte bis dahin noch niemals Dynamit gesehen. Reinsdorf zählte zunächst die Patronen, es waren etwa 70 Stück. Alsdann wickelte er eine auf; es war eine graugelbe, feste Masse. Wir gingen mit dem Dynamit zu Weidenmüller, der dem Reinsdorf noch eine Glasflasche und eine Blechbüchse übergab. In diese leeren Gefäße legte Reinsdorf nunmehr auch eine Anzahl Patronen. Reinsdorf gab mir auch eine mehrere Meter lange Zündschnur und eine Anzahl Kupferhütchen. Am folgenden Tage forderte er mich auf, die Explosion in dem Willemsenschen Lokale in Elberfeld zu begehen. – Vors.: Versprach er Ihnen eine Belohnung? – B.: Nein. Ich sagte ihm, wenn ich anläßlich der Ausführung der Explosion fortmachen müßte, dann habe ich kein Geld. Reinsdorf versetzte, er würde mir, wenn erforderlich, Geld geben. – Vors.: Sollten Sie außerdem noch eine Explosion vollführen? – B.: Ja. Reinsdorf sagte: ich solle die kleine Büchse mit Dynamit und Patronen in der Frankfurter Bierhalle, die größere Büchse in dem Willemsenschen Lokale mittelst einer brennenden Zigarre explodieren lassen. Ich ging zunächst in die Frankfurter Bierhalle, diese war jedoch voll von Menschen. Da ich mir sagte, daß hier Menschen verunglücken können, ging ich wieder weg; ich wollte nicht, daß Menschen verunglückten. Ich fuhr hierauf mit der Pferdebaḥn zu dem Willemsenschen Lokale. Ich habe längere Zeit in dem genannten Lokale gesessen und alsdann die Explosion vollführt. Der Saal war leer. – Vors.: Was haben Sie dabei gedacht? – B.: Ich dachte, es werde einen großen Knall geben. – Vors.: Weiter nichts, dachten Sie nicht, es könnten dadurch Menschen getötet werden und eine Feuersbrunst entstehen? – B.: Nein, das dachte ich nicht, ich beabsichtigte es auch nicht. – Vors.: Sie wußten doch aber, daß in dem Lokale Menschen versammelt waren? – B.: Nein. – Vors.: Das Zimmer, in dem Sie saßen, war allerdings menschenleer, im Nebenzimmer waren jedoch etwa 30 Ärzte versammelt? – B.: Das wußte ich nicht. – Vors.: Sie sahen doch, daß der Kellner oftmals Bier ins Nebenzimmer trug? – B.: Das habe ich nicht gesehen. – Auf weiteres Befragen des Vorsitzenden sagte Bachmann: Er habe die Blechbüchse auf den Tisch gestellt, die mit dieser in Verbindung gebrachte Zündschnur mittelst einer brennenden Zigarre entzündet und da er sein Bier schon bezahlt hatte, schleunigst das Lokal verlassen. Kaum sei er auf der Straße angelangt gewesen, da sei die Explosion erfolgt. An demselben Abend sei er bei Holzhauer mit Reinsdorf zusammengekommen; auf dessen Wunsch habe er sich sogleich nach Neuß, von dort nach Düsseldorf und von dort nach Aachen begeben. In letzterem Orte habe er Arbeit bekommen. Reinsdorf habe ihm 5 Mark zur Reise gegeben. – Vors.: Angeklagter Bachmann, hat Ihnen Reinsdorf gesagt, weshalb Sie in dem Willemsenschen Lokale die Explosion vollführen sollten? – B.: Reinsdorf sagte: dort verkehren bloß die Reichen, die Arbeiter werden hinausgeworfen. – Vors.: Hat Ihnen Reinsdorf gesagt, weshalb Sie die Explosion vollführen sollten? – B.: Reinsdorf sagte, durch den Knall werden die Honoratioren erschrecken. – Vors.: Also bloß erschrecken? Nun, angenommen, das wäre wahr, mußten Sie sich nicht sagen, daß Menschen dabei getötet werden konnten und daß eine Feuersbrunst entstehen konnte? – B.: Daran dachte ich nicht. – Vors.: Zum mindesten mußten Sie sich doch sagen, daß Sie den Kellner, der fast unaufhörlich durch das Zimmer kam, in dem Sie saßen, töten konnten? – B.: Daran dachte ich nicht. – Vors.: Sie sagten selbst, Sie besaßen zur Zeit noch 15 Mark, wozu gab Ihnen Reinsdorf die 5 Mark? – B.: Zur Abreise. – Vors.: Auf mich macht die ganze Geschichte den Eindruck, als hätten Sie die Explosion bloß vollführt, weil Sie von Reinsdorf dafür bezahlt wurden? – B.: Nein. Auf weiteres Befragen sagte Bachmann: Ein Mitgefangener habe zu ihm geäußert: er solle nur immer tüchtig lügen; Reinsdorf habe ihm (dem Gefangenen) gesagt: er lüge immer. – Es wurde alsdann Reinsdorf vernommen. Er erklärte auf Befragen des Vorsitzenden: Ich bin wohl mit Bachmann einige Male bei Weidenmüller und Holzhauer zusammengetroffen. Ich bin Anarchist, daraus habe ich niemals ein Hehl gemacht. Wenn man mit Sozialdemokraten zusammenkommt, da liegt es nahe, daß man über den Unterschied, der zwischen der Sozialdemokratie und den Anarchisten besteht, sich unterhält. Dies habe ich bei Weidenmüller und Holzhauer getan, zu der von Bachmann verübten Explosion habe ich ihn jedoch nicht aufgeredet; wenn Bachmann dies behauptet, dann ist ihm das jedenfalls, um mich zu schädigen, von irgendeiner Seite eingegeben worden – Vors.: Ehe ich weiter gehe, erzählen Sie einmal mit kurzen Worten Ihren Lebenslauf. – Reinsdorf: Nachdem ich in meiner Vaterstadt Pegau die Schule besucht, erlernte ich das Schriftsetzerhandwerk und sofort, nachdem ich ausgelernt hatte, begab ich mich (1867) auf die Wanderschaft. Ich arbeitete in den verschiedensten Städten, in Frankfurt a. M., Naumburg, Stettin, Berlin, Hannover, Mannheim, Freiburg i. Breisgau, und ging dann schließlich 1870 in die Schweiz. Dort arbeitete ich als Schriftsetzer in Genf. Da in diesem Orte viele politische Flüchtlinge waren, so herrschte daselbst ein sehr reges politisches Leben. Ich besuchte die dortigen Arbeiterversammlungen und wurde zunächst Sozialdemokrat. Das Vorgehen der Sozialdemokraten gefiel mir jedoch nicht, ich wurde sehr bald Anarchist. Von Genf ging ich nach Paris, von dort nach London, Brüssel und schließlich nach Leipzig. Hier arbeitete ich ein Jahr in der Buchdruckerei von Metzger u. Wittig. Der Leipziger Buchdrucker-Prinzipalverein veranlaßte jedoch schließlich meine Prinzipale, mich zu entlassen. Nachdem dies geschehen war, begab ich mich wiederum auf die Wanderschaft und kam schließlich nach Budapest, woselbst ich Arbeit erhielt. Von dem Lohn, der dort gezahlt wurde, konnte ich aber nicht leben. Es arbeiten in den dortigen Setzereien sehr viel Israeliten, die jedenfalls etwas zuzusetzen haben, diese haben die Löhne sehr gedrückt. Ich war deshalb genötigt, Budapest wiederum zu verlassen. Ich wanderte nunmehr sehr lange, ohne Arbeit zu erhalten. Endlich kam ich nach Berlin. Nach kurzem Aufenthalt daselbst ging ich nach Süddeutschland und bekam wiederum in Freiburg i. Breisgau Arbeit. Dieser Ort wird jedoch von den Ultramontanen beherrscht, denen es nicht gefiel, daß ein Arbeiter in der Stadt war, der die anderen Arbeiter über die wahren Bestrebungen des Ultramontanismus aufklärte. Es gelang den dortigen Führern der Ultramontanen, mich aus der Arbeit zu bringen. Ich ging nunmehr wiederum nach Berlin, woselbst ich auch sehr bald in einer Zeitungsdruckerei Arbeit erhielt. Auf Grund einer Notiz in dem, in Zürich erscheinenden „Sozialdemokrat“, welcher wörtlich schrieb: „Der Anarchist Reinsdorf ist nach Berlin gegangen, um ein Attentat auszuführen“, wurde ich sehr bald verhaftet, und da ich inzwischen auch in den Bräuderschen Hochverratsprozeß verwickelt wurde, wurde ich 7 Monate in Berlin gefangen gehalten. Ich bemerke, daß die Anklage in dem Bräuderschen Hochverratsprozeß gegen mich fallen gelassen wurde. Kaum wurde ich in Berlin aus der Haft entlassen, da wurde ich aus Berlin ausgewiesen. Ich begab mich wieder nach Leipzig, woselbst ich bei Metzger und Wittig wiederum Arbeit bekam, nachdem ich den Herren versprochen, mich von jeder Agitation fern zu halten. Allein schon nach 14 Tagen wurde über Leipzig ebenfalls der „Kleine Belagerungszustand“ verhängt und ich wurde infolgedessen sogleich auch aus Leipzig ausgewiesen. Meine Prinzipale waren bemüht, meine Ausweisung rückgängig zu machen, dies gelang ihnen jedoch nicht. Ich begab mich hierauf auf kurze Zeit nach meiner Heimatsstadt Pegau und alsdann ging ich wiederum auf die Wanderschaft. Ich wandte mich nach Frankreich und erhielt in Nancy Arbeit. Dort wurde ich jedoch von der Polizei derartig behelligt, daß ich meiner Arbeit verlustig ging. Ich ging wiederum nach Deutschland. Ich erhielt in Pforzheim bei Menner eine Stellung als technischer Leiter der Druckerei. Ich konnte mich jedoch mit dem Prinzipal nicht vertragen, deshalb ging ich sehr bald von Pforzheim weg. Ich begab mich nun nach Elberfeld, woselbst ich sehr bald Arbeit fand. Ich verdiente dort wöchentlich 18 Mark. Im Oktober 1883 wollte ich mich von Elberfeld nach Hamburg begeben, ich fiel jedoch auf dem Bahnhofe in Elberfeld so unglücklich, daß ich mir den Fuß verrenkte und 7 Wochen in dem St. Josephs-Krankenhause zubringen mußte. Alsdann ging ich nach Hamburg. Auch dort erkrankte ich nach einiger Zeit und war längere Zeit in einem Hamburger Krankenhause. Am 9. Januar 1884 wurde ich aus dem Krankenhause entlassen und zwei Tage später, am 11. Januar 1884 abends wurde ich von 8 Schutzleuten verhaftet. – Vors.: Sie sollen mit Hödel befreundet gewesen sein? – R.: Ich besuchte in Leipzig im Jahre 1878 die sozialdemokratischen Versammlungen; es war dies vor Erlaß des Sozialistengesetzes, zu welcher Zeit man in Leipzig noch ein einigermaßen freies Wort sprechen durfte. Ich machte hier meine anarchistischen Grundsätze geltend und obwohl ich der einzige Anarchist in Leipzig war und hier der sozialdemokratische Generalstab stationiert war, wurde ich aus den Versammlungen dieser Partei hinausgewiesen. Hödel lernte mich in diesen Versammlungen kennen; er ersuchte mich, ihm meine anarchistischen Grundsätze persönlich mitzuteilen, was ich auch sehr gern tat. – Vors.: War nicht Hödel auch Anarchist? – R.: Allerdings, er wurde es später und es ging ihm bald nicht besser, als mir. Hödel betrieb einen Bücher- und Schriften-Kolportagehandel und nährte sich nur notdürftig, während die Führer der sozialdemokratischen Partei, die, gleich den Bourgeois, in Saus und Braus lebten, nicht das taten, was Hödel wollte, d. h. daß sie die ōkonomische Gleichheit nicht schon heute unter den Parteigenossen einführten. – Vors.: Sie waren auch mit dem Schriftsetzer Emil Werner, der die Zeitung „Der Kampf“ herausgab, befreundet? – R.: Jawohl, ich arbeitete mit diesem zusammen. – Vors.: Es ist das auch ein bekannter Anarchist? – R.: Ja. – Vors.: Sie kannten auch Most persönlich? – R.: Ich sah Most zum ersten Male in Berlin in Versammlungen. Als ich 1880 nach London kam, besuchte mich Most, der von meinen Ausweisungen gehört hatte. Most interessierte sich seit dieser Zeit sehr für mich. In Berlin konnte ich mit Most nicht befreundet werden, da dieser zurzeit noch der sozialdemokratischen Partei angehörte; er hat erst später eingesehen, daß man mit den Ideen dieser Partei nicht zum Ziele kommen kann. – Vors.: Sie bekennen sich zur anarchistischen Partei; geben Sie zu, daß Anarchie Regierungslosigkeit heißt, so daß jede Gesellschaftsordnung aufhört? – R.: Die Anarchisten erstreben: 1. eine derartige Staatsordnung, wodurch es jedem normal veranlagten Menschen möglich ist, die höchste Kulturstufe zu erreichen; 2. die Menschen von Kummer und Sorgen zu befreien; 3. die Menschen nach Möglichkeit von der Arbeit zu entlasten, und 4. der Dummheit und dem Aberglauben ein Ende zu machen. Die Anarchisten lassen ihren Mitgliedern so viel Spielraum, daß jedes Mitglied seine eigenen Ansichten haben kann. Um das von mir erwähnte Ziel zu erreichen, ist es notwendig, die heutige Privatproduktion in eine anarchistische zu verwandeln. Dazu ist erforderlich, daß aller Grund und Boden, alle Werkzeuge, alle Maschinen, alle Häuser expropriiert und der Gesamtheit zugewendet werden. Nur in dieser Weise kann das heutige Elend aus der Welt geschafft und die Arbeitszeit derartig verkürzt werden, daß die Menschen höchstens täglich zwei Stunden werden arbeiten müssen. Diese Idee wird sich Bahn brechen, das wird kein Reichsgerichtshof verhindern können. Daß wir die Ehe und die Familie abschaffen wollen, ist nur eine Erfindung liberaler Zeitungsschreiber. Ebensowenig beabsichtigen wir, zu teilen, wir wollen im Gegenteil dem heutigen Teilungssystem, das dadurch geübt wird, daß der Arbeitgeber den Löwenanteil in die Tasche steckt, während der Arbeiter nur einen Hungerlohn erhält, ein Ende machen. Wir sagen allerdings: Eigentum ist Diebstahl. Proudhon hat dies schon bewiesen und ich füge hinzu: Niemand kann allein Reichtümer hervorbringen; besitzt er demnach mehr, als er zum Leben nötig hat, so betrügt er seine Mitmenschen. Auch denken wir nicht daran, die Religion abzuschaffen. Wir wollen die Menschheit so erziehen, daß sie überhaupt nichts mehr glaubt und dann ist die Religion von selbst abgeschafft. Im anarchistischen Staate wird man selbstverständlich weder ein stehendes Heer, noch Polizei brauchen, denn die Arbeiter werden nicht mehr nötig haben, mit ihren Brüdern in Frankreich Krieg zu führen und es wird auch nicht notwendig werden, die Arbeiter ins Gefängnis oder Zuchthaus zu sperren. Es gibt ja allerdings auch schon heutzutage Freiheiten, Preßfreiheit, Versammlungsfreiheit usw. Allein ganz abgesehen davon, daß diese Freiheiten infolge des Sozialistengesetzes illusorisch sind, so kommen diese Freiheiten doch nur den oberen Zehntausend zugute. – Vors.: Das, was Sie uns gesagt haben, ist eigentlich nicht neu; es sind das im großen und ganzen die Grundsätze der Sozialdemokraten, nur daß Ihre Partei keine Zentralisierung will. Allein, selbst wenn sie nur die Bildung einzelner Föderationen anstreben, so ist es doch immer erforderlich, daß Gesetze existieren? – R.: Die Menschen müssen so erzogen werden, daß sie sich selbst nach Vernunftgesetzen regieren. – Vors.: Ihren Blättern nach wollen Sie diese Ihre Ziele mittels Gewalt erreichen? – R.: Das kommt darauf an. – Vors.: Bei Ihrer Vernehmung in München im Jahre 1881 sagten Sie: Sie gehen bedeutend weiter als Most, die anarchistische Partei habe jedoch kein Geld, deshalb muß das Mostsche Blatt „Die Freiheit“ als Parteiorgan gelten? – R.: Das stimmt. – Vors.: Die „Freiheit“ empfiehlt nun die Durchführung der sozialistischen Forderungen mittels Gewalt, eventuell mittels Dynamit. Gedenken Sie ebenfalls, zu Ihren Ideen mittels Gewalt und zwar durch Verbrechen, wie sie hier zur Anklage stehen, zu gelangen. – R.: Ich fühle mich nicht veranlaßt, meinen Operationsplan Ihnen hier vorzuführen, im übrigen ziehen Sie nur aus meinen Ausführungen die Konsequenzen, die Sie wollen, ich stehe nicht hier, um freigesprochen zu werden. – Vors.: Was der Gerichtshof machen wird, brauchen Sie nicht zu sagen, ich bin verpflichtet, Sie nach der wahren Absicht Ihrer Handlungen zu fragen. Wenn Sie jedoch die Antwort verweigern wollen, so steht Ihnen das zu. Ich frage Sie also, ist die Begehung von Verbrechen, wie sie hier zur Anklage stehen, mit den anarchistischen Bestrebungen vereinbar und halten Sie derartige Mittel für geeignet, die anarchistischen Ideale zur Verwirklichung zu bringen? – R.: Bestimmte Mittel zur Erreichung der anarchistischen Ideale gibt es nicht; auf welche Weise die Ideale zu erreichen sind, ist jedem einzelnen selbst überlassen. Wenn der arme Weber Bachmann, an dem sich die heutige Gesellschaft so sehr versündigt hat, gegen die Reichen ein Dynamitattentat begeht, so kann ich es ihm nicht verdenken; angestiftet dazu habe ich ihn nicht. – Vors.: Halten Sie auch Attentate, wie sie gegen Ihren Landesherrn, den König von Sachsen und den Deutschen Kaiser versucht worden, zur Erreichung der anarchistischen Ideale erforderlich? – R.: Die Geschichte zählt von gekrönten Häuptern eine ganze Reihe von Verfassungseidbrüchen usw. auf, sie haben fast alle ein schwarzes Blatt in der Geschichte. Was nun speziell den jetzigen Deutschen Kaiser anlangt – … Vors.: Ich warne Sie, gegen Se. Majestät den Kaiser eine Beleidigung auszusprechen. Ich würde in solchem Falle sofort gegen Sie einschreiten und dafür sorgen, daß die Öffentlichkeit Ihre Beleidigungen nicht erfährt. – R.: Beleidigt hätte ich den Deutschen Kaiser nicht, ich werde aber, wenn es gewünscht wird, hier abbrechen. – Vors.: Sie sollen meine Frage beantworten, eine Beleidigung gegen Se. Majestät den Kaiser werde ich jedoch nicht dulden. Es wird nun behauptet: Sie seien von London als Emissär der Internationale nach Berlin gesandt worden? – R.: Das ist nicht wahr, ich lasse mich überhaupt nicht schicken. – Vors.: Sie haben von London Gelder und Briefe bekommen? – R.: Ich erhielt wohl hin und wieder, da ich krank war, von London Unterstützungen, aber niemals zwecks irgendwelcher Agitation. – Der Vorsitzende verlas hierauf eine Anzahl bei Reinsdorf gefundener Briefe, woraus sich ergab, daß er mit zahlreichen Anarchisten Frankreichs, Londons und der Schweiz Briefwechsel unterhalten hatte. Der Angeklagte gab auch zu, vielfach unter falschem Namen aufgetreten zu sein, er habe dies getan um von der Polizei unbehelligt zu bleiben. – Polizeikommissar Gottschalk (Elberfeld) bekundete: Es sei ihm von einer Seite, die er nicht näher namhaft machen könne, versichert worden, daß Reinsdorf als Emissär der „Internationale“ nach Elberfeld gekommen sei. Im weiteren bestätigte dieser Zeuge sowohl, als auch Frau Dr. Hartmann, (Tochter des inzwischen verstorbenen Restaurateur Willemsen) und Kellner Fricke (Eblerfeld) im wesentlichen die Angaben Bachmanns. Fricke, der zur Zeit bei Willemsen als Kellner konditionierte, sei bei Ausbruch der Explosion aus dem Zimmer geschleudert worden, so daß er ohnmächtig niederfiel. Es seien ihm in die Oberschenkel einige Glassplitter gedrungen, in welcher Folge er längere Zeit bettlägerig und in ärztlicher Behandlung war. Auch der Angeklagte Küchler bestätigte im wesentlichen die Äußerungen des Bachmann. Im Juli 1883 war er Krankenbesucher für den Elberfelder Buchdruckerverein, und da zur Zeit Reinsdorf im Elberfelder Krankenhause lag, lernte er Reinsdorf kennen. Er (Küchler) gehöre zur sozialdemokratischen Partei; welcher politischen Parteirichtung Reinsdorf, der sich John Penzenbach nannte, angehörte, wußte er zurzeit nicht. Erst später habe er erfahren, daß Reinsdorf Anarchist sei. Reinsdorf habe geäußert: Bachmann habe die Explosion zu früh erfolgen lassen. Reinsdorf habe zu ihm (Küchler) am 4. September 1883 gesagt: Er werde am Abende etwas machen, ebenso auch Bachmann. Bei dieser Gelegenheit sei von der Frankfurter Bierhalle und von Willemsen die Rede gewesen. – Reinsdorf bestritt wiederholt, an dem Bachmannschen Attentat irgendwie beteiligt gewesen zu sein. Der Vorsitzende verlas hierauf eine Aussage des Küchler, wonach dieser beim Untersuchungsrichter bekundet hatte: Reinsdorf habe zu ihm gesagt: die Sozialdemokraten und Anarchisten verfolgen dieselben Zwecke, nur ihre Mittel und Wege seien verschieden. Mit der Sozialdemokratie sei es nichts, es müsse schärfer vorgegangen werden. Als er dem Reinsdorf Einwendungen machte, habe Reinsdorf geäußert: Wenn er nur die anarchistischen Blätter lesen würde, dann würde er sich sehr bald zum Anarchismus bekennen. Er (Küchler) habe den „Sozial-Demokrat“ gelesen und ihn direkt von der Expedition in Zürich bezogen. Er habe etwa 5 bis 6 Nummern der „Freiheit“ aus London zugesandt erhalten, wer ihm die Blätter gesandt, ob dies Reinsdorf veranlaßt hatte, wisse er nicht. – Reinsdort: Küchler hat vorhin gesagt: ich sei ihm jetzt nicht mehr sympathisch, ich frage Küchler, weshalb ich ihm nicht mehr sympathisch bin? – Küchler schwieg. – Reinsdorf: Ich werde dem Gedächtnis Küchlers zu Hilfe kommen. Gleich nachdem ich verhaftet wurde, erschienen im „Sozial-Demokrat“ eine Anzahl Schimpfartikel gegen mich, dies dürfte wohl mit der Grund zur plötzlichen Änderung seiner Gesinnung sein. – Küchler gab dies als möglich zu. – Am zweiten Verhandlungstage wurde zunächst Weber Palm (Elberfeld) als Zeuge vernommen: Ich wurde mit Reinsdorf im Mai 1883 bekannt. Ich wurde mit ihm befreundet, da ich gleich Reinsdorf aus Berlin ausgewiesen worden bin. Reinsdorf bekannte sich mir gegenüber als Anarchist und entwickelte derartig extreme Anschauungen, daß ich ihn entweder für einen sehr exaltierten Menschen oder für einen Polizeispion hielt. Reinsdorf sagte einmal: „Man muß nicht bloß vom Dynamit schreiben, sondern man muß es auch anwenden.“ Er sagte mir, er sei von London aus nach Deutschland zwecks Propaganda der anarchistischen Ideen gesandt worden; gleichzeitig seien zwei andere Agenten nach Österreich gesandt worden. Reinsdorf sagte: Wer ihn hier verrate, der würde auf Befehl von London getötet werden. Auf weiteres Befragen des Vorsitzenden gab Zeuge zu, daß unter seiner Adresse zwei Geldsendungen, einmal 20, das zweitemal 40 Mark an Reinsdorf aus London angekommen seien. Absender war ein gewisser Knauerhase. Reinsdorf verreiste einmal im Sommer 1883 auf kurze Zeit. Als er zurückkehrte erzählte er: er sei in Wiesbaden gewesen und wollte im dortigen Kursaale eine Dynamitexplosion vollführen. Er habe jedoch noch im letzten Augenblicke davon Abstand genommen, da ihm die dort in großer Anzahl versammelten Frauen und Kinder leid taten. Er sei in der am 30. August 1883 bei Holzhauer stattgehabten Versammlung gewesen. Dort sei davon gesprochen worden, daß die Arbeiter absolut kein Interesse an der Feier des bevorstehenden Sedanfestes hätten. Daß eine Dynamitexplosion vollführt werden sollte, habe er nicht gehört. Am 3. September 1883, abends, sei er, Reinsdorf, Küchler und Bachmann im „gemütlichen Gottlieb“, einem Restaurationslokale in Elberfeld, gewesen. Reinsdorf übergab dem Bachmann ein Packet, in dem, wie ich hörte, Dynamit enthalten war. Es war davon die Rede, daß das auf dem Markte in Elberfeld stehende Kriegerdenkmal in die Luft gesprengt werden solle. Ich sagte dem Bachmann, der von Reinsdorf zur Ausführung der Expedition bestimmt wurde: Wenn er erkennen sollte, daß Reinsdorf Polizeispion sei, so solle er ihm das Dynamit vor die Füße werfen. Ich sah, daß Reinsdorf dem Bachmann an jenem Abende des 3. September Geld gab; wieviel er gab und zu welchem Zwecke dies geschah, weiß ich nicht. – Vors.: Nun, Reinsdorf, was sagen Sie dazu, daß Sie von London Geld erhalten haben? Sie haben schon gesagt: Sie hätten Geld von einem Freunde erhalten, es ist doch aber sehr eigentümlich, daß beide Male Knauerhase der Absender war, ein Mann, der die „Freiheit“ vertrieb und als hervorragender Anarchist bekannt war. Es liegt doch infolgedessen nahe, daß Sie das Geld zu propagandistischen Zwecken erhalten haben? – Reinsdorf: Wenn an Palm Geld aus London für mich gekommen ist, dann hat er es mir unterschlagen, denn ich habe kein Geld erhalten. – Vors.: Wie kam Knauerhase dazu, an Palm Geld zu senden? – Reinsdorf: Das kann ich ja nicht wissen, vielleicht geschah dies behufs Vertreibung der „Freiheit“. – Auf weiteres Befragen des Vorsitzenden bestritt Reinsdorf alle Angaben des Palm. Er sagte: Wenn die Angaben verschiedener Zeugen so genau übereinstimmen, so sei das sehr erklärlich: die Vorgänge waren im August 1883 und ich wurde am 11. Januar 1884 verhaftet. In der Zwischenzeit hatten die Zeugen ja Zeit genug, sich zu besprechen. Ich richte an den Zeugen die Frage: woher er das Geld zum Mieten eines großen Hauses in Elberfeld gehabt hat, da er bekanntlich vollständig mittellos ist? – Zeuge: Ich hatte stets Arbeit und erhielt auch zu jener Zeit 700 Mark von meiner Schwiegermutter. Ich mietete mir deshalb ein Häuschen in der Vorstadt von Elberfeld, das mit einem kleinen Garten verbunden ist. Ich habe eine große Familie und infolgedessen eine große Wohnung nötig. Wenn ich mir eine solche in der Stadt gemietet hätte, dann würde sie mich ebensoviel gekostet haben, und ich hätte keinen Garten dabei gehabt. – Reinsdorf: Ich glaube dem Zeugen nicht, daß er von seiner Schwiegermutter 700 Mark erhalten hat. Im weiteren richte ich an den Zeugen die Frage: ob er von der Polizei Geld bekommen hat? – Zeuge: Nein. – Vert. J.-R. Fenner: Herr Zeuge, stehen Sie mit dem Polizeikommissar Gottschalk in Verbindung? – Zeuge: Ich weiß nicht, wie Sie zu dieser Frage kommen? – Vert.: In meiner Eigenschaft als Verteidiger. – Vors.: Der Herr Verteidiger ist berechtigt, diese Frage an Sie zu stellen. – Zeuge: Eine solche beleidigende Frage beantworte ich überhaupt nicht. – Vors.: Dann richte ich die Frage an Sie: wann sind Sie mit dem Polizeikommissar Gottschalk bekannt geworden? – Zeuge: Als er Haussuchung bei mir hielt. – Vert. J.-R. Fenner: Es wird die Behauptung aufgestellt, daß der Zeuge überhaupt mit der Polizei in Verbindung stand, um diese über das Verhalten der Anarchisten und Sozialisten auf dem Laufenden zu erhalten? – Vors.: Ist das wahr, Zeuge? – Zeuge: Dazu habe ich mich niemals gebrauchen lassen. Auf weiteres Befragen des Verteidigers, J.-R. Fenner, verneinte Palm die Frage, daß in seiner Gegenwart von einem bestimmten Attentat die Rede gewesen sei. – Angekl. Holzhauer gab auf Befragen des Vorsitzenden zu, sowohl an der bei Weidenmüller, als auch an der in seiner Wohnung stattgehabten Versammlung teilgenommen zu haben. Er erinnere sich nur, daß von einer am Sedanfeste zu unternehmenden Demonstration die Rede gewesen sei. – Vors.: Sie haben früher erklärt, Reinsdorf habe den Vorschlag gemacht: am Sedanfeste in Elberfeld Dynamitpatronen unter die dort zu veranstaltenden Festversammlungen zu werfen? – Holzhauer: Das muß ein Irrtum sein, das habe ich nicht gesagt. – Schutzmann Pfeiffenschneider (Metz): Er habe Bachmann in Luxemburg verhaftet. Anfangs habe Bachmann geleugnet, schließlich habe er jedoch gestanden: er sei, nachdem er das Attentat bei Willemsen begangen, aus Angst, verhaftet zu werden, zu Fuß bis Neuß gelaufen. Er sei von Reinsdorf zur Begehung des Attentats veranlaßt worden. Er sei arbeits- und mittellos gewesen und habe das Attentat lediglich begangen, da ihm Reinsdorf dafür Geld versprochen habe. Geld habe ihm Reinsdorf jedoch nicht gegeben. – Reinsdorf: Ich stelle an den Zeugen die Frage: ob er von seiner Oberbehörde beauftragt worden sei, schwere Verbrecher zu inquirieren? – Vors.: Ich halte diese Frage als nicht zur Sache gehörig. – Wachtmeister Kritschker (Metz) bestätigte vollinhaltlich die Bekundungen des Vorzeugen. Bachmann habe ihm gesagt: es sei ihm von Reinsdorf eine große Summe Geldes versprochen worden. – Auf Befragen des Verteidigers, R.-A. Dr. Seelig, änderte der Zeuge seine Aussage dahin, daß ihm Bachmann von einer großen Geldsumme nichts gesagt habe. – Reinsdorf: Ich konstatiere nun, daß der Zeuge anfänglich die Unwahrheit gesagt hat. – Der Vorsitzende verlas hierauf einen Brief, den Bachmann aus dem Gefängnis an seinen Vater geschrieben hat. In diesem Briefe, in dem Bachmann seinen Vater um Verzeihung bat, schrieb er: „ein gewisser Reinsdorf hat mich verführt“. – Klempnermeister Stuhlmann (Elberfeld): Ende August oder Anfang September 1883 kam ein Mann zu mir, der sechs große Blechbüchsen bei mir bestellte. Der Mann hatte es sehr eilig mit den Büchsen; er wünschte dringend, daß die Büchsen binnen spätestens drei Tagen fertiggestellt seien, er hat sie jedoch nicht abgeholt. – Vors.: Würden Sie den Besteller der Büchsen wiedererkennen? – Zeuge: Jawohl. – Vors.: Reinsdorf, stehen Sie einmal auf; Herr Zeuge, war das der Mann? – Zeuge: Jawohl, ich kenne ihn mit voller Bestimmtheit wieder. – Reinsdorf: Sie haben einen Eid geleistet und behaupten mit voller Bestimmtheit, mich wiederzuerkennen? – Zeuge: Jawohl. – Reinsdorf: Beim Untersuchungsrichter haben Sie mich nicht wiedererkannt? – Zeuge: Ich erkenne den Mann mit voller Bestimmtheit wieder, ich habe ihn sofort erkannt, als mir seine Photographie vorgelegt wurde. – Reinsdorf: Ich richte an den Zeugen die Frage, ob jemand auf sein Zeugnis Einfluß ausgeübt hat? – Vors.: Die Frage gehört nicht zur Sache. – Reinsdorf: Dann stelle ich an den Zeugen die Frage, ob er von der Polizei für seine Angaben Geld erhalten hat? – Zeuge: Nein. – Reinsdorf: Wie kam der Zeuge dazu, der Polizei von der angeblichen Büchsenbestellung Anzeige zu machen? – Zeuge: Ich habe keine Anzeige gemacht, ich wurde plötzlich von dem Polizeikommissar Gottschalk vorgeladen; wodurch Gottschalk von der Büchsenbestellung Kenntnis erhalten hat, weiß ich nicht. – Reinsdorf: Der Zeuge will mich nämlich nach einer ihm vorgelegten Photographie erkannt haben. Ich bin aber nur ein einziges Mal in meinem Leben und zwar in Berlin, anläßlich des Bräuderschen Hoch- verratsprozesses photographiert worden, diese Photographie ist jedoch sehr schlecht. – Vors.: Sie wurden auch nach Ihrer Verhaftung in dieser Angelegenheit photographiert. Sie verzogen allerdings das Gesicht, schlossen die Augen, schauten aber plötzlich wieder auf, um zu sehen, ob die Prozedur beendet sei. Diesen Augenblick benutzte der Photograph und erhielt ein Bild von Ihnen? – Bachmann (mit dem Finger nach dem Vorsitzenden deutend): Das geht ja gar nicht. (Heiterkeit im Auditorium.) – Der Vorsitzende zeigte dem Reinsdorf die Photographie. – Reinsdorf: Prima-Qualität ist das nicht. – Weber Voß (Elberfeld): Ich bin mit Bachmann seit 1877 bekannt und unterhielt auch einen Briefwechsel mit ihm, als er in Paris arbeitete. Bachmann schrieb nach seiner Flucht aus Luxemburg an mich und bat, ich solle seine Eltern veranlassen, ihm seine Sachen zu schicken. Ich glaube, Bachmann schrieb an mich, da ich bei der Polizei in keiner Weise verdächtig war. Die Polizei hielt jedoch kurz nach Eingang des Briefes Haussuchung, der Brief wurde bei mir gefunden und infolgedessen erfuhr die Polizei den Aufenthalt Bachmanns. Von dem Dynamitattentat selbst weiß ich nichts. – Samtweber Dahmer (Elberfeld): Bachmann habe zu ihm einmal gesagt, es werde nicht eher besser werden, als bis alle Fürsten beseitigt und alle Fabriken in die Luft gesprengt werden. – Bachmann bestritt dies mit dem Bemerken: Er konnte sich schon deshalb mit dem Zeugen über Politik nicht unterhalten, da dieser zumeist betrunken gewesen sei. – Vors.: Bachmann, es sind bei Ihnen gefunden worden 3 Exemplare der „Freiheit“, 1 Exemplar des in Budapest erscheinenden „Radikal“, Organ der Anarchisten Ungarns und eine Broschüre, betitelt: „Die Gottespest und die Religionsseuche“. Diese Broschüre schloß mit einem kommunistischen Gebet, das ich Anstand nehme, hier öffentlich zu verlesen. Woher haben Sie die Broschüre bezogen? – Bachmann: Das weiß ich nicht. – Vors.: Sowohl die Zeitungen, als auch die Broschüre waren Ihr Eigentum? – Bachmann: Jawohl. – Vors.: Haben Sie die Zeitungen und Broschüre gelesen? – Bachmann: Ja. – Sachverständiger, Chemiker Dr. Sintenis (Elberfeld): Nach den Zerstörungen bei Willemsen zu schließen, sind weniger als 100 Gramm Dynamit in der Blechbüchse gewesen. In der Büchse befand sich auch eine Quantität gehacktes Blei. Wenn dies explodiert wäre, während Menschen im Zimmer waren, dann wären sie sämtlich unfehlbar getötet worden. – Sachverständiger, Major und Kommandeur des Rheinischen Pionierbataillons, Pagenstecher (Koblenz) bestätigte die Bekundungen des Dr. Sintenis. Dynamit sei sehr schwer zur Explosion zu bringen. Am besten werde die Explosion mittels Zündhütchen oder Knallquecksilber ausgeführt. Die Explosion bei Willemsen sei mittels Zündhütchen zur Ausführung gebracht worden. Das Blei, dessen bereits Dr. Sintenis erwähnt, habe mit dem Dynamit in unmittelbarer Verbindung gestanden; eine Explosion des Bleies hätte im Zimmer befindliche Menschen zweifellos getötet. – Alsdann wurde Rupsch vernommen. Vors.: Angeklagter Rupsch bekennen Sie sich schuldig, den Versuch gemacht zu haben, Se. Majestät den Deutschen Kaiser, den Deutschen Kronprinzen und die bei der Enthüllungsfeier des Niederwalddenkmals versammelten Fürsten zu töten? – Rupsch: Nein, ich bin unschuldig. Ich bin allerdings bei der Enthüllungsfeier des Niederwalddenkmals gewesen und Reinsdorf hat mich aufgefordert, das Dynamitattentat zu begehen, ich habe es aber nicht getan. – Vors.: Nun erzählen Sie einmal, wie Sie Sozialist und mit Reinsdorf bekannt geworden sind? – Rupsch: Ich bin weder Sozialist noch Anarchist; ich weiß gar nicht, was das bedeutet. Zum ersten Male habe ich gestern hier einigermaßen von Reinsdorf erfahren, was die Anarchisten bezwecken. – Vors.: Sie sind von Fellbecker entlassen worden, weil Sie ihm etwas entwendet hatten. Als Sie zur Rede gestellt wurden, antworteten Sie: „Eigentum ist Diebstahl!“ Erzählen Sie einmal, wie Sie mit den übrigen Angeklagten bekannt geworden sind? – Rupsch: Ich lernte eines Tages einen Schneider, namens Schütz, kennen; durch diesen wurde ich mit Holzhauer und schließlich mit allen anderen Angeklagten bekannt. Es wurde mir auch einmal von Holzhauer eine Broschüre, betitelt: „Die Entstehung des Sozialismus“, zum Lesen gegeben. Eine zweite Broschüre, die mir Holzhauer gab, die von Lassalle geschrieben war, las ich nur zum kleinen Teile, da sie zu langweilig war. Reinsdorf wurde August Penzenbach genannt. Am 23. September 1883 kam ich zu Küchler. Dieser sagte zu mir: Hast du schon mit August gesprochen? Nein, sagte ich. Küchler erwiderte: Da mußt du einmal hingehen, er hat dich ausersehen nach Rüdesheim zu fahren und dort bei der Enthüllungsfeier des Niederwald-Denkmals, am 28. September, eine Dynamitexplosion zu vollführen, um dadurch den Kaiser, den Kronprinzen und die deutschen Bundesfürsten zu töten. Ja, sagte ich. Ich ging zu Reinsdorf. Dieser sagte mir genau dasselbe: Er habe mich ausersehen, nach Rüdesheim zu reisen und dort mittels einer Dynamitexplosion den Kaiser usw. zu töten. Er gab mir nun genaue Anweisungen, in welcher Weise ich dies tun solle. Speziell sagte er mir: die Kriegervereine werden jedenfalls, wenn der kaiserliche Festzug sich vom und zum Denkmal bewegen werde, Spalier bilden. Es müsse deshalb ganz außerordentliche Vorsicht angewendet werden. Das Dynamit usw. werde mir gegeben werden. Sollte ich gefaßt werden, dann solle ich ja nicht sagen, woher ich das Dynamit habe. Ich solle überhaupt nichts gestehen. Wenn genügend Geld zusammenkomme, solle noch einer mit mir reisen. Es wurde nun in der Wohnung von Holzhauer gesammelt. Söhngen gab 8 Mark, Rheinbach 9 Mark 50 Pfg., Toellner 2 Mk. 50 Pf. Holzhauer veranlaßte mich noch, meinen Reisekoffer zu versetzen. Ich glaube, es kamen im ganzen etwa 30 Mark zusammen. Ich glaubte ganz bestimmt, allein zu reisen, denn einmal glaubte ich nicht, daß Palm soviel Geld geben werde und andererseits dachte ich nicht, daß Küchler mitreisen werde, denn seine Frau lag am Nervenfieber darnieder. Als jedoch Reinsdorf hörte, daß Palm 40 Mk. gegeben, veranlaßte er, daß Küchler mitreiste. Ich war willens, wenn ich allein reiste, das Dynamit in Rüdesheim irgendwo zu verbergen. Ich reiste jedoch mit Küchler am 27. September des Morgens nach Rüdesheim und kam mittags dort an. Wir suchten zunächst einen Weinausschank auf und begaben uns dann zum Denkmal. Es wurde noch immer daran gearbeitet. Wir wollten auf die Plattform treten, dies wurde uns jedoch nicht gestattet. Ganz in der Nähe des Denkmals stand eine Mauer. Küchler machte den Vorshlag, in diese Mauer das Dynamit zu legen. Ich sagte, nein, das ist mir doch zu gefährlich. Ich wollte nämlich das Attentat verhindern. Wir gingen weiter, da sah ich eine Drainage. Ich sagte, in diese Drainage wollen wir das Dynamit legen. Ich machte deshalb diesen Vorschlag, weil ich glaubte, dort würde das Dynamit naß werden und nicht explodieren. Wir legten eine Steinkruke und eine Glasflasche, in denen Dynamit und Kupferhütchen enthalten waren, und verbanden diese Gefäße mittels einer Zündschnur, die wir bis zum Walde hinzogen. Ich bedeckte die Zündschnur mit Laub, Gras und Erde. Alsdann begaben wir uns nach Rüdesheim zurück. Wir begegneten einem jungen Manne, der uns ein Nachtquartier bei einem Schneider Engelmann nachwies. Am andern Morgen begaben wir uns in aller Frühe nach dem Festplatz und suchten die Dränage auf. Wir sahen noch sehr wenig Menschen. Ich sollte nun die Zündschnur entzünden, wenn der Kaiser nahte. Küchler wollte mich von Ferne beobachten. Als der kaiserliche Zug nahte, zündete ich die Schnur mittelst einer kalten Zigarre an. Die Explosion erfolgte infolgedessen selbstverständlich nicht. Ich trat hierauf zur Seite und grüßte Se. Majestät. Ich begab mich darauf zu Küchler. Dieser machte mir heftige Vorwürfe, daß die Explosion nicht erfolgt war. Ich sagte zu ihm: der Schwamm wird wohl zu naß geworden sein. Nun forderte mich Küchler auf, noch einmal zurückzukehren, neuen Schwamm an die Schnur zu befestigen, und wenn ich das letzte Hoch auf den Kaiser hörte, die Explosion zur Ausführung zu bringen. Zu dieser Zeit sollte nämlich der Kaiser den Festplatz laut Programm verlassen, bemerkte Küchler. Ich ging zurück, befestigte neuen Schwamm an die Schnur, und da ich mich von Küchler nicht beobachtet glaubte, schnitt ich mit meinem Taschenmesser die Zündschnur durch und zündete das abgeschnittene Ende an. Dies brannte auch ab, die Explosion konnte jedoch nicht erfolgen. Als der Zug vorbei war, traf ich mit Küchler auf einem Seitenwege zusammen. Küchler war nunmehr noch mehr ungehalten; er kam zur Dränageöffnung und untersuchte selbst die gelegte Mine. Er war jetzt auch der Meinung, daß die Schnur zu naß geworden sei. Wir gingen darauf nach Rüdesheim zurück. Nach eingetretener Dunkelheit holten wir das Dynamit und die Zündschnur. Küchler forderte mich auf, mit dem nächsten Zuge nach Wiesbaden zu fahren und dort das Attentat zu vollführen, der Kaiser werde jetzt im Theater oder im Schloß sein. Ich weigerte mich jedoch mit den Worten: In Wiesbaden ist zuviel Polizei; dort könnten wir gefaßt werden. Ich wollte eben kein Attentat begehen, ich durfte davon jedoch nichts merken lassen, denn ich befürchtete, Küchler erzählt das dem Reinsdorf, und ich bin alsdann gefährdet. Ich ging nun mit Küchler nach Rüdesheim zurück, und nach längerem Sträuben entschloß ich mich schließlich zu dem Dynamitattentat in der Festhalle. Ich sagte zunächst: Küchler solle es tun, er sagte jedoch zu mir: „Dazu bist du da.“ Ich vollführte schließlich die Explosion und sagte dem Küchler, den ich in Rüdesheim auf dem Bahnhof traf: Die in der Festhalle versammelten Menschen sind alle in Stücke zerrissen worden. Ich sagte dies, um die Wut Küchlers einigermaßen zu beschwichtigen. Ich bemerke hierbei, daß mir Küchler alles Geld fortnahm und mich infolgedessen vollständig in seiner Gewalt hatte. Er sagte, wenn ich gefaßt werde, dürfe man kein Geld bei mir finden. Küchler hat mir das Geld nicht wiedergegeben. Wir reisten nun von Rüdesheim nach Aßmannshausen und übernachteten dort im Hotel Rheinstein. Am folgenden Morgen fuhren wir über Köln nach Barmen zurück. Als wir zu Holzhauer kamen und ihm unsere Erlebnisse erzählten, wurde dieser ganz blaß vor Zorn. Holzhauer sagte zu mir, nimm dich in acht, daß du nichts verrätst, du würdest sonst erschossen werden. Dem Reinsdorf erstatteten wir erst später Bericht, da dieser zurzeit im Krankenhause lag. Am folgenden Sonntag traf ich Küchler in der Berlinerstraße in Elberfeld. Dieser sagte zu mir, es ist gut, daß ich dich hier treffe, hier hast du eine Blechbüchse mit Dynamit, wir wollen eine Pastorenversammlung, wo Hofprediger Stöcker aus Berlin sprechen wird, in die Luft sprengen. Ich weigerte mich, Küchler drang jedoch in mich. Allein wir gingen zunächst zu Holzhauer, und dieser riet davon ab mit dem Bemerken, die Sache ist zu gefährlich, wir könnten leicht gefaßt werden. Küchler stand infolgedessen von dem Attentate ab. Am 19. Oktober reiste ich von Barmen weg und begab mich auf die Wanderschaft. Von Sangerhausen schickte ich an Holzhauer 13 Mark und ersuchte ihn, mir den versetzten Koffer zu schicken. Dies tat Holzhauer, gleichzeitig sandte er mir aber auch mehrere Exemplare der „Freiheit“. Ich verstand jedoch den Inhalt dieser Zeitung nicht, da ich Fremdwörter nicht verstehe. – Vors.: Diesen Ihren Angaben nach sind Sie also unschuldig, während die anderen Angeklagten in schwärzestem Lichte erscheinen? – Rupsch: Ich sage aber die Wahrheit. – Vors.: Nun sagen Sie einmal, von wem erhielten Sie das Dynamit? – Rupsch: Von Holzhauer. – Vors.: Sie haben vorher gesagt: am 24. September 1883 ist bei Holzhauer eine Konferenz gewesen, wo Holzhauer noch einmal alles genau erklärte? – Rupsch: Jawohl. – Vors.: Wer nahm an der Konferenz teil? – Rupsch: Küchler, Rheinbach, Söhngen, Töllner und Holzhauer. – Vors.: Sagte Holzhauer: Sie sollten Se. Majestät den Kaiser, den Kronprinzen usw. töten? – Rupsch: Holzhauer sagte: Bei der Enthüllungsfeier kommt die ganze Gesellschaft zusammen. Küchler sagte zu mir: Wir sollten den Kaiser, den Kronprinzen und alle Generale töten. – Vors.: An dieser Konferenz nahmen alle Angeklagten mit Ausnahme von Bachmann teil? – Rupsch: Ja, Bachmann kenne ich gar nicht. Söhngen, Rheinbach, Töllner und Holzhauer gaben Geld zur Reise. Töllner war an jenem Abend stark angetrunken, ich glaube, er wußte gar nicht, worum es sich handelte. – Vors.: Sie sollten also, wie Ihnen Küchler sagte, die Schnur entzünden, sobald sich der kaiserliche Festzug nahte; sie sollten den Kaiser auf 50 Schritt herankommen lassen? – Rupsch: Ob Küchler sagte, 50 oder 150 Schritt, weiß ich nicht mehr. – Vors.: Sie beschwärzten also mit Ihrer kalten Zigarre die Zündschnur, in welcher Folge die Explosion nicht zur Ausführung kam? – Rupsch: Ja. – Vors.: Nun gingen Sie zu Küchler zurück, dieser war über das Mißlingen des Attentats ungehalten und forderte Sie auf, zurückzugehen, neuen Schwamm anzumachen und die Entzündung noch einmal vorzunehmen. Sie sollten die Schnur anzünden, wenn Sie das letzte Hoch hörten und den Kaiser um die Biegung des Weges kommen sahen; Küchler sagte: Programmgemäß kehrt der Kaiser, wenn das Hoch ertönt, zurück? – Rupsch: Ja, ich habe aber weder die Hochs gehört, noch den Kaiser gesehen. Ich leistete jedoch der Aufforderung Küchlers Folge, ging zurück, steckte neuen Schwamm an, und um eine Explosion zu verhüten, schnitt ich die Zündschnur entzwei und zündete sie an. Die Explosion konnte somit nicht erfolgen. – Vors.: In der Dämmerungszeit unternahmen Sie nun mit Küchler ein Attentat in Rüdesheim? – Rupsch: Jawohl. – Vors.: Erzählen Sie das einmal genau. – Rupsch: Wir banden mit Dynamit gefüllte Gefäße zusammen, und Küchler machte den Vorschlag, daß wir uns zunächst in die Festhalle setzen, Bier trinken und die Explosion in der Weise vorbereiten, daß, nachdem wir das Lokal verlassen, die Explosion erfolgen sollte. Dies lehnte ich jedoch ab, da mir dies zu grausam schien. Aus demselben Grunde lehnte ich es ab, das Dynamit unter den Teil der Festhalle zu legen, wo die meisten Menschen versammelt waren. Ich legte das Dynamit etwa 10 Schritt von der Festhalle entfernt, damit Menschen nicht getötet würden. – Vors.: Sie erstatteten nun, als Sie nach Barmen zurückkamen, auch dem Reinsdorf Bericht? – Rupsch: Jawohl, Reinsdorf lag damals, wie bereits erwähnt, im Krankenhause. Ich ging zu ihm, mit Söhngen, wenn ich nicht irre, war auch Holzhauer dabei. Als Reinsdorf hörte, daß die Schnur naß geworden, mithin nicht gebrannt habe, sagte er: „Hm, kann mir auch passieren.“ – Vors.: Reinsdorf sagte einmal: Es müssen junge, unverheiratete Leute zur Ausführung von Taten genommen werden; wenn verheiratete Leute gefaßt werden, dann muß die Partei für Frauen und Kinder sorgen? – Rupsch: Ja. – Vors.: Sie bleiben also dabei, unschuldig zu sein? – Rupsch: Ja. – Vors.: Ihre Angaben erscheinen wenig glaubhaft. Sie sagten vorhin, Sie haben den Auftrag übernommen, um das Attentat zu verhindern. Es lag doch bedeutend näher, daß Sie den Auftrag einfach abgelehnt hätten. Küchler machte Ihnen am 24. September von dem Plan Mitteilung, die Zeit drängte, es war mithin nicht so leicht möglich, in dieser kurzen Zeit einen unverheirateten Menschen zur Ausführung des Attentats zu finden? – Rupsch: Küchler sagte mir nachträglich: Wenn ich nicht mitgekommen wäre, dann wäre er allein gereist und hätte die Explosion vollführt. Der Polizei machte ich keine Anzeige, weil mich die Frauen und Kinder von Küchler und Holzhauer dauerten. – Vors.: Es ist nun eigentümlich, daß Sie verschiedene Male Ihre sozialdemokratischen Ansichten äußerten, daß Sie zu Zeugen sagten: Sie könnten leicht Dynamit anfertigen. Sie haben sich sozialdemokratische Schriften und die „Freiheit“ schicken lassen. Die „Freiheit“ ist ein Blatt, das den Fürstenmord predigt, das jubelt, wenn ein Attentat auf einen Fürsten gelingt, und es beklagt, wenn es mißlingt. Im übrigen werden auch Sach- verständige bekunden, daß Sie Dynamit unter die Festhalle in Rüdesheim doch gelegt haben. – Der Angeklagte schwieg. – Vors.: Wann faßten Sie den Entschluß, die Explosion zu vereiteln? – Rupsch: Gleich als ich von dem Auftrage hörte. Ich hatte Se. Majestät den Kaiser und den Kronprinzen noch niemals gesehen und wollte einmal die Gelegenheit benutzen, dies zu tun und der Feier beizuwohnen. – Vors.: Das ist doch nicht glaublich. Sie wollten sich, um Ihre bloße Neugierde zu befriedigen, einer solch großen Gefahr aussetzen; im übrigen haben Sie doch sogar, um reisen zu können, Ihren Koffer verkauft? – Rupsch schwieg. Der Vorsitzende forderte Rupsch auf, die Zündschnur in derselben Weise, wie er es damals getan, zu zerschneiden. Rupsch tat dies. – Vors.: Hören Sie, Rupsch, Sie schwärzten mit der Zigarre die Zündschnur, das konnte doch nur einen Sinn haben, wenn Sie glaubten, Küchler werde sich die beschwärzte Schnur ansehen? – Rupsch: Jawohl. – Vors.: Dann mußten Sie sich doch sagen, Küchler werde sehen, daß die Schnur nicht gebrannt habe? – Rupsch: Das konnte Küchler nicht sehen. – Vors.: Aus welchem Grunde haben Sie das zweitemal neuen Schwamm an die Zündschnur gemacht? – Rupsch: Das tat ich bloß provisorisch. – Vors.: Was soll das heißen? – Rupsch: Ich ging alsdann zu Küchler zurück, um ihm zu zeigen, daß ich den Schwamm angemacht habe. – Vors.: Das ist ja ganz neu, das haben Sie bisher nicht gesagt. – Rupsch: Dann habe ich das vergessen, so wie ich es jetzt sage, ist es wahr. – Vors.: Sie behaupten also jetzt, daß, nachdem Sie zum zweiten Male Schwamm an die Schnur gemacht, Sie zunächst zu Küchler gingen, ihn holten, damit er sich ansehe, daß Sie neuen Schwamm angemacht haben? – Rupsch: Ja. – Angekl. Reinsdorf: Ich frage den Rupsch, wie oft er zu mir vor dem 28. September ins Krankenhaus gekommen ist? – Rupsch: Zweimal. – Reinsdorf: Rupsch hat schon gesagt, daß ich leise mit ihm gesprochen habe, hat er mich vielleicht mißverstanden? – Rupsch: Ich höre sehr gut und weiß sehr genau, was Reinsdorf zu mir gesagt hat. Es lagen mehrere Kranke im Zimmer, deshalb sprach Reinsdorf leise, ich habe ihn aber sehr genau verstanden. – Auf weiteres Befragen des Vorsitzenden bemerkte Rupsch: Ob ich die Schnur erst anzündete und sie alsdann durchschnitt, oder ob ich es umgekehrt tat, weiß ich nicht mehr. – Es wurde darauf zur Vernehmung des Küchler geschritten. – Vors.: Sie werden beschuldigt, mit Rupsch gemeinschaftlich den Versuch gemacht zu haben, Se. Majestät den Kaiser, den Kronprinzen und die deutschen Bundesfürsten zu töten? – Küchler: Ich bin unschuldig. – Vors.: Sie haben früher einmal gesagt, Sie seien vom 24. bis 28. September 1883 in Krefeld bei Ihrer Tante gewesen? – Küchler: Das habe ich nur gesagt, um nicht verhaftet zu werden, ich sah jedoch sehr bald ein, daß dies unklug war. Ich werde in der Anklage als ein Mensch gekennzeichnet, der für die menschliche Gesellschaft unnütz sei. Ich bin durchaus nicht Anarchist und habe keineswegs einen regen Verkehr mit den Elberfelder Anarchisten oder Sozialdemokraten unterhalten. Ich habe nicht den Anarchisten Reinsdorf, sondern den Schriftsetzer Penzenbach beherbergt. Nur als solcher, nicht aber als Anarchist habe ich[WS 1] den Reinsdorf beherbergt. Die Schriften, die bei mir gefunden wurden, besaß ich sämtlich schon lange vor Erlaß des Sozialistengesetzes. Ich habe, nachdem ich verhaftet, und zwar als Anarchist verhaftet wurde, doch bemüht sein müssen, der „Freiheit“ von unserer Verhaftung Mitteilung zu machen. Ich bezweckte damit lediglich, eine Unterstützung von der Parteileitung für meine Familie zu erreichen. Allein meine Familie ist bisher von keiner Seite unterstützt worden. Den Zeugen Kramer, der behauptet hat: ich hätte für meine Familie nicht gehörig gesorgt, werde ich, sobald Gelegenheit dazu gegeben wird, wegen Beleidigung verklagen. Etwa am 20. September 1883, als ich Reinsdorf im Krankenhaus besuchte, sagte mir dieser: Er hoffe, bis zum 28. September gesund zu werden, er wolle alsdann zur Enthüllungsfeier des Niederwalddenkmals reisen, um dort etwas zu unternehmen. Einige Tage darauf war ich wieder bei Reinsdorf, da sagte mir dieser: er habe den Rupsch ausersehen, nach dem Niederwald zu reisen, ich solle ihm Rupsch zuschicken. Ich wußte wohl, was Reinsdorf im Sinne hatte, und mir ging dies durch den Kopf. Ich wollte der Behörde Anzeige machen, allein ich hatte nicht direkte Beweise, und im übrigen wollte ich Reinsdorf als Kollegen und Freund nicht direkt denunzieren. Ich schickte am 24. September Rupsch zu Reinsdorf. Sehr bald kam Rupsch mit freudestrahlendem Gesicht zurück, machte mir von dem erhaltenen Auftrag Mitteilung mit dem Bemerken: es freue ihn, den Auftrag erhalten zu haben, er werde ihn schon zur Ausführung bringen. Ich dachte nun darüber nach, auf welche Weise es am besten möglich sei, das Verbrechen zu vereiteln. Ich hoffte aber ganz bestimmt, die Sache würde nicht zustande kommen, da das Geld nur schwer zusammen kam. Ich ging wegen Geld zu Palm; dieser gab mir 40 Mark mit dem Bemerken: Das ist ganz gut, es muß aber knallen. Als ich mit Rupsch die Zündschnur kaufte, sagte er mir: Ich fahre auf alle Fälle hin, die Sache muß zustande kommen, und wenn ich meinen Koffer versetzen soll. Am 26. September kam Rupsch ganz freudig zu mir und sagte: Nun habe ich Geld genug, nun können wir abreisen. Als ich Bedenken äußerte, sagte Rupsch: Wenn du keinen Mut hast, so reise ich allein. Ich reiste, da ich das Attentat vereiteln wollte, mit. – Vors.: Haben Sie die Schnur auch durchschnitten? – Küchler: Nein. – Vors.: Dann erzählen Sie, wie Sie bemüht gewesen sind, das Attentat zu vereiteln? – Küchler: Wenn ich sagte, die Sprengstoffe sollen in die Dränage gelegt werden, so hatte ich meinen guten Grund dazu, da ich, ohne daß Rupsch es merkte, die Sprengstoffe wieder herausnehmen konnte. Ich habe mich überhaupt nur insoweit an der Legung der Mine beteiligt, als daß ich die Zündschnur aufwickelte. Ich habe dem Rupsch die Sache schließlich vollständig überlassen, da ich überzeugt war, die Schnur würde sich infolge der großen Nässe nicht entzünden. Rupsch kam zu mir und sagte: Das Ding sei nicht losgegangen, ob ich nicht etwas Schwamm hätte. Ich hatte etwas Schwamm in der Westentasche, den ich aber fortgeworfen hatte. – Vors.: Weshalb warfen Sie den Schwamm fort? – Küchler: Ich glaubte, es sei besser, den Schwamm nicht zu besitzen. – Vors.: Genierte Sie der Schwamm? – Küchler: Ich sagte mir, wenn ich den Schwamm nicht mehr habe, brauch’ ich dem Rupsch keinen zu geben. – Vors.: Aber als er Sie nach Schwamm fragte, zeigten Sie ihm, wo er lag? – Küchler: Ja. – Vors.: Wenn Sie das Verbrechen vereiteln wollten, dann wäre es doch besser gewesen, wenn Sie ihm eine falsche Stelle gezeigt hätten? – Küchler schwieg. Er erzählte alsdann weiter: Das Messer von Rupsch habe ich in der Tasche gehabt, deshalb vermochte dieser die Schnur nicht zu durchschneiden. Wenn ich dem Rupsch den Vorschlag machte, nach Wiesbaden zu reisen, so geschah dies nur, um zu sehen, wie weit er gehe. Zu einer Reise und Aufenthalt in Wiesbaden fehlte uns im übrigen das nötige Geld und die nötige Garderobe. Auch die Explosion in Rüdesheim wollte ich vereiteln. – Der Vorsitzende verlas einen am Montag bei Küchler gefundenen „Kassiber“, den dieser an seine Verwandten richten wollte. In diesem bat er, ihm 40 Mark zuzuwenden, damit er seine Flucht bewerkstelligen könne. Unterschrieben war der Brief „Feuerzeug“. – Vors.: „Feuerzeug“ ist wohl Ihr Spitzname? – K. schwieg. – Vors.: Wenn Sie, wie Sie behaupten, unschuldig sind, dann hatten Sie doch nicht nötig, eine Flucht vorzubereiten? – K.: Auf alle Fälle muß man sich doch vorsehen. Rupsch wollte mich doch heute „reinlegen“. – Reinsdorf beantragte am dritten Verhandlungstage, den Polizeikommissar Gottschalk ins Zeugenzimmer zu verweisen. Der Vorsitzende entsprach diesem Antrage. – Es wurde hierauf mit der Vernehmung des Küchler fortgefahren. – Vors.: Angeklagter Küchler, Sie sagten gestern, Reinsdorf habe zu Ihnen anfänglich gesagt, bei der Enthüllungsfeier des Niederwalddenkmals muß etwas unternommen werden. Wenn ich gesund wäre, würde ich selbst hinreisen! Einige Tage darauf sagte Reinsdorf zu Ihnen, Sie sollten ihm Rupsch schicken, er habe diesen zu der Begehung eines Dynamitattentates bei der Enthüllungsfeier des Niederwalddenkmals ausersehen? – Küchler: Ja, genau der Worte, die Reinsdorf damals gesagt, kann ich mich nicht erinnern. – Vors.: Aber der Sinn der Worte war derartig? – K.: Ja. Vors.: Hat Ihnen Reinsdorf gesagt, der erste Wagen, in dem jedenfalls Se. Majestät der Kaiser sitzen werde, muß geschont werden? – K.: Ja, das sagte er. – Vors.: War bei dieser Äußerung noch jemand zugegen? – K.: Nein. – Vors.: Hat Ihnen Reinsdorf irgendwelche Anweisungen gegeben, in welcher Weise das Attentat ausgeführt werden sollte? – K.: Nein, er sagte bloß, ich solle den Rupsch beobachten! – Vors.: Sonst gab er Ihnen keine Anweisungen? – K.: Nein. – Vors.: Von wem erhielt Rupsch das Dynamit? – K.: Holzhauer gab ihm die Steinkruke. – Vors.: Von wem wurde Holzhauer von der Unternehmung des Attentats unterrichtet? – K.: Es wurde schon vorher darüber gesprochen! – Vors.: Was wurde gesprochen? – K.: Es wurde gesprochen, daß man am 28. September, wo die ganze Gesellschaft zusammenkomme, etwas unternehmen müßte. – Vors.: Wurde auch gesagt, was man unternehmen müsse? – K.: Das wurde nicht gesagt. – Vors.: Wer sagte: die ganze Gesellschaft kommt am 28. September zusammen, da muß etwas unternommen werden? – K.: Das sagte Holzhauer. – Vors.: Wie erfuhr nun Holzhauer, daß Reinsdorf dem Rupsch den Auftrag gegeben habe, zu der Enthüllungsfeier zu reisen? – K.: Rupsch teilte es ihm mit. Holzhauer sagte, die Sache kommt mir sehr überrascht. Rupsch sagte dem Holzhauer, es müsse Geld beschafft werden. – Vors.: Die Glasflasche mit Dynamit haben Sie dem Rupsch gegeben? – K.: Ja. – Vors.: Sie wußten doch, daß Dynamit in der Flasche enthalten war? – K.: Nein. – Vors.: Sie wollten nun das Attentat vereiteln, da hätte es sich doch empfohlen, daß Sie dem Rupsch eine Flasche mit Wasser anstatt mit Dynamit gefüllt übergaben? – K. schwieg. – Vors.: Wußten Sie, was in der Blechbüchse, die Rupsch von Holzhauer bekommen hatte, enthalten war? – K.: Nein. – Vors.:. Sie wollten, wie Sie behaupten, das Attentat verhindern, aber Sie hielten es nicht einmal für nötig, nachzusehen, was in den Gefäßen enthalten war? – K. schwieg. – Vors.: Sie sagen, Sie wählten die Dränage, weil Sie glaubten, dort würde das Dynamit naß werden. War denn in der Dränage Wasser? – K.: Nein, aber es regnete heftig, und da nahm ich an, es würde Wasser in die Dränage kommen. – Vors.: Wo standen Sie, als Rupsch die Zündschnur anstecken wollte? – K.: Ich stand im Walde. – Vors.: Konnten Sie den Rupsch bei seinen Manipulationen beobachten? – K.: Ich sah bloß, wie Rupsch die Zündschnur mit dem Dynamit verband. Das geschah aber schon früher. – Vors.: Sie behaupten also, Sie hätten sich an der ganzen Geschichte nur insoweit beteiligt, als Sie die Zündschnur aufgewickelt haben? – K.: Jawohl. – Vors.: Sie sagten gestern, Sie hätten den Rupsch nur scheinbar aufgefordert, mit Ihnen nach Wiesbaden zu reisen, Sie wollten dem Rupsch nur gewissermaßen auf den Zahn fühlen, Sie besaßen aber gar nicht das nötige Geld, um nach Wiesbaden zu reisen. Sie haben aber, um nach Hause reisen zu können, Ihre Uhr versetzt, Sie hätten nun ebensogut gleich Ihre Uhr versetzen können, dann hätten Sie doch die Mittel zur Reise nach Wiesbaden gehabt! – K.: Wenn wir auch das Reisegeld gehabt hätten, dann besaßen wir nicht die erforderliche Garderobe. In unserer Garderobe wären wir wohl schwerlich weder in das Theater zugelassen, noch in der Nähe des königlichen Schlosses geduldet worden. – Vors.: Sie haben einmal im Januar d. J. in einer bei Söhngen stattgehabten Versammlung, an der 12–13 Leute zusammen waren, erzählt, in welcher Weise Sie mit Rupsch sowohl auf dem Niederwalddenkmal als auch in Rüdesheim manipuliert haben. In dieser Versammlung haben Sie offen ausgesprochen, daß Sie willens waren, den Kaiser usw. zu töten, daß aber in beiden Fällen des heftigen Regens wegen das Werk mißglückt sei? – K.: Ja, das ist wahr. In dieser Versammlung erfuhren wir nämlich von der Verhaftung des Reinsdorf. Deshalb kam das Gespräch auf unsere Reise nach Rüdesheim usw. Da ich einmal doch von den meisten der dort versammelten Leute Geld erhalten hatte, um das Attentat zu begehen, und ich außerdem Geld erhalten wollte, um meine, anläßlich der Reise versetzte Uhr wieder einzulösen, so erzählte ich den Hergang in dieser Weise. – Vors.: In jener Versammlung erhielten Sie auch das Geld zur Einlösung der Uhr, und zwar das Geld aus Einnahmen von einer am zweiten Weihnachtsfeiertage zu Elberfeld stattgehabten sozialdemokratischen Festlichkeit? – K.: Jawohl. – Vors.: Es wurden bei Ihnen gefunden mehrere Exemplare der „Freiheit“, ein „Anti-Syllabus“ und noch einige andere verbotene sozialdemokratische Broschüren. Sie sagen, die Broschüren haben Sie besessen, noch ehe sie verboten waren! – K. Ja. – Vors.: Aus einem bei Ihnen gefundenen Briefe geht hervor, daß Sie gewissermaßen Korrespondent der „Freiheit“ waren. Sie schreiben an Ihre Angehörigen: Sie wollten der „Freiheit“ einen Artikel schicken? – K.: Das wollte ich nur tun, um der Zentralleitung von unserer Verhaftung Mitteilung zu machen und eine kleine Unterstützung für meine Frau und Kinder zu erwirken. – Ein Beisitzer: Ist es richtig, daß Küchler, entgegen der Anweisung des Reinsdorf, eine wasserdichte Zündschnur zu kaufen, eine hanfene gekauft hat? – K.: Jawohl. – Beisitzender: Nun hat gestern Küchler gesagt: Rupsch hat die Schnur nicht durchschnitten, sondern die Schnur war zum Teil verkohlt, und als er sie aufhob, fiel sie auseinander? – K.: Jawohl. – Vors.: Gingen Sie dann, nachdem der Festzug vorüber war, zu der Dränage, um zu sehen, aus welchem Grunde die Explosion nicht geglückt sei? – K.: Nein, deshalb nicht. – Vors.: Das interessierte Sie also auch nicht? – K.: Nein. – Vors.: Sie gingen also lediglich zu der Dränage, um das Dynamit und die Zündschnur zu holen? – K.: Ja. – Auf die Frage eines Beisitzenden sagte K.: Er habe allerdings zu Rupsch gesagt: man solle irgendwo an einem menschenleeren Ort eine Dynamitpatrone legen und diese entzünden, damit es wenigstens knalle. Palm, der 40 Mark gegeben, sagte ja: „Es muß wenigstens tüchtich knallen.“ Rupsch wollte die Explosion aber in der Festhalle in Rüdesheim zur Ausführung bringen. – Vors.: Nun, Angeklagter Rupsch, Sie haben gehört, was Küchler gesagt hat? – Rupsch: Das ist alles Lug und Trug. Es ist z. B. eine offenbare Lüge, daß ich kein Messer gehabt habe; mag Küchler einmal das Messer beschreiben. – Vors.: Obwohl das zu keinem Ergebnis führen dürfte, fordere ich den Küchler[WS 2] auf, das Messer zu beschreiben. Dies geschah. – Rupsch: Das Messer, das ich bei mir geführt, war ein ganz kleines, nicht mit weißer, sondern mit schwarzer Schale; ich habe das Messer von Reinsdorf erhalten. – Vors.: Reinsdorf, ist das wahr? – Reinsdorf: Jawohl. – Vors.: Wo ist das Messer geblieben? – Rupsch: Das eine Messer habe ich an Reinsdorf zurückgegeben und das meinige habe ich verloren. – Vors.: Dann besaßen Sie also am 28. September zwei Messer? – Rupsch: Ja. – Vors.: Dann ist doch möglich, daß Küchler Ihr Messer gehabt hat? – Rupsch: Das ist möglich. – Auf weiteres Befragen des Vorsitzenden bezeichnete Rupsch alle Angaben des Küchler als Lügen. Am 23. September hat Küchler zu mir gesagt, Reinsdorf hat mich zur Begehung der Tat ausersehen. Am 24. September bin ich mit Küchler zu Reinsdorf gegangen, um von diesem die nötigen Instruktionen zu empfangen. Am 25. abends ist die Konferenz bei Holzhauer gewesen, und am 26. bin ich nochmals bei Reinsdorf gewesen. Daß Küchler nicht gewußt hat, was in der Flasche gewesen, ist Lüge. Ebenso hat Reinsdorf nicht gesagt, der erste Wagen, in dem jedenfalls der Kaiser sitzen würde, müsse geschont werden. Küchler hat mir gesagt: der Kaiser, der Kronprinz und alle Generale kommen dort zusammen, die müssen getötet werden. Auch Reinsdorf hat mir wiederholt gesagt, die Explosion solle erfolgen, um den Kaiser, den Kronprinzen und alle Fürsten zu töten, ich solle den Wagen auf 50 oder 150 Schritt herankommen lassen, ehe ich die Explosion ins Werk setze. – Küchler: Ich weiß mich nicht mehr genau zu erinnern, ob ich am Montag, den 24., bei Reinsdorf gewesen bin, ich bestreite jedenfalls, daß ich zu Rupsch gesagt habe: der Kaiser, der Kronprinz und alle Generale sollen getötet werden. – Vors.: Rupsch, wozu gab Ihnen Reinsdorf das Messer mit? – Rupsch: Um behufs Befestigung des Schwammes einen Einschnitt in die Schnur machen zu können. – Vors.: Sie hatten doch selbst ein Messer? – Rupsch: Reinsdorf sagte, das meinige würde nicht schneiden. – Es wurde hierauf zur Vernehmung des Angeklagten Holzhauer geschritten. Vors.: Angeklagter Holzhauer, Sie werden beschuldigt, dem Küchler und Rupsch, die den Versuch gemacht haben, Se. Majestät den Kaiser, den Kronprinzen und alle Bundesfürsten zu töten, behilflich gewesen zu sein. – Holzhauer: Nein, ich bin unschuldig. – Vors.: Erzählen Sie einmal von den Versammlungen, die bei Ihnen stattgefunden haben. – Holzhauer: Versammlungen haben bei mir überhaupt nicht stattgefunden. Es haben mich oftmals einige Freunde besucht, Versammlungen haben aber bei mir nicht stattgefunden. Auf weiteres Befragen des Vorsitzenden bestritt Holzhauer alle gegen ihn erhobenen Beschuldigungen. Er wußte weder vor- noch nachher etwas von der Reise des Küchler und Rupsch nach Rüdesheim, oder gar von dem beabsichtigten Attentat. Ebensowenig habe er dem Küchler und Rupsch Instruktionen oder gar Dynamit gegeben. Der Vorsitzende hielt dem Holzhauer vor, daß er eidlich bekundet habe: er wisse nicht, ob Rupsch mit Reinsdorf bekannt war, während er heute sagte: es sei selbstverständlich, daß Rupsch und Reinsdorf bekannt waren, denn sie waren am 9. September zusammen in seiner (Holzhauers) Wohnung. Ferner hielt der Vorsitzende dem Holzhauer vor: er habe außerdem eidlich bekundet: Rupsch, der bei ihm gewohnt, sei immer zu Hause gewesen, während er heute sage, er wisse nicht, ob Rupsch in den Nächten vom 26. bis 29. September 1883 zu Hause gewesen sei. – Holzhauer: Das kann ich heute nicht mehr so genau wissen. – Vors.: Sie bestreiten also auch, daß am 25. September eine Konferenz in Ihrer Wohnung stattgefunden hat, wobei Sie noch einmal auseinandergesetzt haben, worauf es ankomme, und daß ferner in Ihrer Wohnung Gelder gesammelt wurden? – Holzhauer: Das ist alles nicht wahr. – Staatsanwalt Treplin: Ist die Bekundung des Rupsch wahr, daß, als er Sie, auf Reinsdorf deutend, gefragt: wer das sei, Sie mit den Achseln gezuckt haben? – Holzhauer: Davon weiß ich nichts. – Der Angeklagte Rheinbach bekannte sich ebenfalls für nichtschuldig. Reinsdorf sei ihm vollständig unbekannt. Am 9. September sei er bei Holzhauer nicht gewesen, dagegen am 25. September. Holzhauer sagte ihm: er solle ihm die 10 Mark, die er ihm schulde, geben, er brauche sie für Rupsch, der nach Hause reisen wolle. Daß Rupsch fortreisen wolle, um ein Attentat usw. zu begehen, habe er nicht gewußt; er habe überhaupt ähnliche Redensarten niemals gehört. Er habe dem Holzhauer die 10 Mark gegeben, obwohl er ihm volle 10 Mark nicht schuldig gewesen sei. Er habe aber das Geld gegeben, damit Rupsch abreisen könne, denn dieser sei schon 14 Tage arbeitslos gewesen. Im Monat Januar 1884 habe er einer Versammlung bei Söhngen beigewohnt. Dort habe Küchler erzählt: Er sei am 28. September in Rüdesheim, wo etwas unternommen werden sollte, gewesen. Küchler habe dabei auch von der Festhalle und dem Niederwalddenkmal gesprochen. – Vors.: Hat Küchler nicht auch von dem Kaiser und dem Kronprinzen gesprochen? – Rheinbach: Nein. – Vors.: Früher haben Sie das aber gesagt. – Rheinbach: Das ist möglich, ich weiß mich heute nicht mehr genau zu erinnern. – Vors.: Als Sie verhaftet wurden, sind Exemplare der „Freiheit“ per Post aus Paris für Sie angekommen. Außerdem ist ein Brief, den Holzhauer an Sie geschrieben, bei Ihnen gefunden worden. In diesem heißt es u. a.: „Die Marken für die Fr. hast Du immer noch nicht abgeschickt.“ Danach scheint es, als hätten Sie die Vermittelung der Abonnementsgelder für die Expedition der „Freiheit“ übernommen, denn jedenfalls werden die Abonnementsgelder in Briefmarken gezahlt? – Rheinbach: Davon weiß ich nichts. – Vors.: Holzhauer, was verstanden Sie unter der Absendung von Marken? – Holzhauer: Dafür habe ich keine Erklärung. – Der Angeklagte Söhngen äußerte auf Befragen des Vorsitzenden: Ich bin unschuldig. Reinsdorf kannte ich nicht. Rupsch, den ich bei Holzhauer kennen lernte, klagte mir, daß er arbeitslos sei, und fragte mich, ob ich ihm Arbeit verschaffen könnte. Ich verneinte dies. Am 25. September morgens war Rupsch bei mir und ersuchte mich, ihm Geld zu geben, da er abreisen wolle. An demselben Abend kam ich zu Holzhauer, um dem Rupsch zu sagen, daß ich kein Geld habe. Töllner, Rheinbach und Küchler waren auch bei Holzhauer. Ich wurde von Holzhauer dringend aufgefordert, doch etwas Geld zu beschaffen. Ich holte 8 Mark, die ich dem Rupsch übergab. Als ich zurückkam, war die Rede von der bevorstehenden Enthüllungsfeier. Rupsch sagte: Dort könnte etwas passieren. Ich bemerkte: da wird sich wohl jeder hüten, denn dort wird sehr viel Polizei sein. Einige Tage darauf begegnete ich dem Rupsch zu meiner Verwunderung wieder, ich glaubte, er sei längst abgereist. Ich ging mit Rupsch in ein Bierlokal, und da sagte mir Rupsch: Er sei bei der Enthüllungsfeier des Niederwalddenkmals gewesen, dort sollte etwas passieren, es ist jedoch unterlassen worden. – Vors.: Stimmt das? sagte Rupsch, es ist unterlassen worden? – Söhngen: Genau weiß ich es nicht mehr, möglich ist es auch, daß er gesagt hat: „Es ist nicht zur Ausführung gekommen.“ Ich ging alsdann mit Rupsch zu Reinsdorf ins Krankenhaus. Reinsdorf, den ich unter den Namen Penzenbach kannte, sprach längere Zeit sehr leise mit Rupsch; ich konnte von dem Gespräch nichts verstehen. Reinsdorf gab mir schließlich 3 Mark. – Vors.: Wozu gab er Ihnen die 3 Mark? – Söhngen: Das weiß ich nicht. Vors.: Sagte Ihnen Reinsdorf nicht, wofür er Ihnen die 3 Mark gab? – Söhngen: Nein. – Vors.: Wunderten Sie sich nicht, daß Ihnen Reinsdorf ohne weiteres 3 Mark gab? – Söhngen: Nein, ich glaubte, Reinsdorf gebe mir das, da ich eine große Familie zu ernähren habe. – Auf weiteres Befragen des Vorsitzenden erzählte Söhngen noch: Im Monat Januar sei er in einer Versammlung gewesen, woselbst Küchler von einer versetzten Uhr gesprochen habe, etwas weiteres habe er jedoch nicht gehört. – Vors.: Nachdem Sie schon verhaftet waren, sind einige Exemplare der „Freiheit“ an Sie aus London angekommen? – Söhngen: Das ist möglich. – Der Angeklagte Töllner gab die Möglichkeit zu, daß er am 25. September bei Holzhauer gewesen sei; er sei jedoch an jenem Abend sinnlos betrunken gewesen und wisse absolut nicht, was dort gesprochen worden sei, ebensowenig, ob er jemandem Geld gegeben habe. – Alsdann wurde zur Vernehmung des Reinsdorf bezüglich der Niederwalddenkmal- und der Rüdesheimer-Affäre geschritten. Vors.: Reinsdorf, Sie sind beschuldigt, Rupsch und Küchler angestiftet zu haben: das Dynamitattentat zu begehen und dadurch Se. Majestät den Kaiser, den Kronprinzen und überhaupt alle diejenigen, die in der Nähe des Denkmals sich aufhielten, zu töten, und ferner den Rupsch und Küchler angestiftet zu haben, das Attentat in Rüdesheim zu begehen. – Reinsdorf: An dem ersten Attentat habe ich meine Hand im Spiele gehabt, das zweite haben Rupsch und Küchler auf eigene Faust getan; ich konnte nicht wissen, daß die beiden Leute die Dummheit begehen werden, 10 Schritt von der Festhalle eine Dynamitexplosion zu vollführen. Als nach dem sogenannten glorreichen Kriege die neue Ära begann, da sollte eine bessere Zeit anbrechen. Es sollten Zustände eintreten, die empfehlenswert und nachahmenswert seien, wie diese liberalen Phrasen alle lauteten. Für die Arbeiter hat jedoch die neue Ära nicht das mindeste gebracht. Die Arbeiter darben nach wie vor, sie sind und bleiben nach wie vor die verachtete Klasse, sie arbeiten bloß für die oberen Zehntausend. Sie bauen die schönsten Paläste und wohnen in den armseligsten Hütten. Sollen wir uns das noch länger gefallen lassen? Ich sage, wer sich noch länger treten läßt, wer nichts tut, um die bestehenden Zustände zu ändern, der ist kein Mann. (Reinsdorf stampfte hier mit dem Fuße tüchtig auf die Erde.) – Vors.: Ich will Ihnen den größtmöglichsten Spielraum lassen, ich fordere Sie aber auf, etwas ruhiger zu bleiben und nicht mit den Händen oder Füßen aufzuschlagen. – R.: Um eine Änderung dieser Zustände herbeizuführen, hat sich in Deutschland eine sozialdemokratische Partei gebildet. Das kommunistische Manifest sagt: „Die Emanzipation der Arbeiter kann nur durch die Arbeiter selbst geschehen.“ Die sozialdemokratische Partei hat aber längst diesen Grundsatz verlassen, die sogenannte sozialdemokratische Partei hat sich in eine Bourgeoispartei verwandelt. Der Stimmzettel, sagen die sogenannten Sozialdemokraten, ist das Mittel, womit wir kämpfen. Ich sage aber, ob Bebel und Liebknecht in den Reichstag kommen, ist sehr gleichgültig, dadurch können die Zustände nicht besser werden. Wir wollen nicht warten, bis die Zustände auf Grund geschichtlicher Entwicklung besser werden, zumal die Reaktion bemüht ist, die Bestrebungen für Besserung der Verhältnisse soweit wie möglich zu inhibieren. Deshalb hat sich auch in Deutschland eine anarchistische Partei gebildet, die von Worten zur Tat übergehen will. Diese anarchistische Partei ist von den Sozialdemokraten mit allen erdenklichen Mitteln bekämpft worden. Als der arme Hödel in Berlin hingerichtet wurde, der doch immerhin als Mann starb, da waren es gerade die sogenannten Sozialdemokraten, die den Menschen noch nach dem Tode beschimpften. Die Sozialdemokraten bezeichneten sehr bald die Anarchisten als Polizeispione, weil ihnen diese Bewegung unbequem war. Die Sozialdemokraten haben ihre Agitation längst darauf beschränkt, daß eine Anzahl Menschen in den Reichstag kommen und daß für deren Magen von den Arbeitern gesorgt wird. Die große Masse der Arbeiter erblickt aber in dem Parlamentarismus, in dem Kampf mit dem Stimmzettel, keine Aussicht auf Besserung ihrer Verhältnisse. Nun sagt man, Attentate werden nur von vaterlandslosem Gesindel begangen. Das ist falsch. Wir deutschen Arbeiter haben mehr Patriotismus als die ganze Bourgeoisie, wenn wir auch den sogenannten heiligen Krieg nicht für einen heiligen, sondern für einen dynastischen Eroberungskrieg halten. Allein unsere Brüder in Frankreich haben schon 1830, 1848 und 1871 für die Befreiung der Arbeiter gekämpft. Sollen wir deutschen Arbeiter immer ruhig zusehen und die Kastanien aus dem Feuer für uns holen lassen? Und wenn wir nichts auf dem Wege der Revolution machen können, so muß dies auf andere Weise geschehen. Und wenn dies durch Attentate zu erreichen ist, so müssen eben Attentate begangen werden. Man wird einwenden: das ist doch aber schrecklich. Wie kann man Fürsten morden wollen? Es ist doch aber besser, daß einer stirbt, als daß viele Leute sterben. Wenn durch die Tötung eines Mannes bessere Zustände herbeigeführt werden, so darf man nicht zurückschrecken. Der Zweck heiligt eben das Mittel. – Ober-Reichsanwalt Dr. Freiherr von Seckendorf: Der Angeklagte hat hier den Fürstenmord als empfehlenswert bezeichnet; ich beantrage diese seine Äußerung zu protokollieren; ich werde alsdann gegen Reinsdorf die nötigen Strafen beantragen. – Vors.: Ich ersuche Sie, Herr Kanzleirat, diese letzten Worte des Angeklagten Reinsdorf zu Protokoll zu nehmen. – Reinsdorf fuhr fort: Ich habe bloß gesagt: „Der Zweck heiligt die Mittel,“ das ist ein jesuitischer Grundsatz, damit habe ich doch noch nicht den Fürstenmord als empfehlenswert bezeichnet. Ich wurde ja schon am Montag unterbrochen, weil befürchtet wurde, ich könnte eine Beleidigung gegen den deutschen Kaiser begehen. Das wollte ich nicht tun, ich wollte bloß einige historische Reminiszenzen anführen. Nun sage ich, wenn es im Interesse der Gesamtheit liegt, dann darf man auch nicht vor einem Attentate zurückschrecken. Wenn es die Durchführung der anarchistischen Grundsätze gilt, dann darf man sich eben nicht scheuen, auch das Leben zu opfern. – Vors.: Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Sie hier keine propagandistische Rede halten, sondern vor einem Gerichtshofe stehen, um Ihre Verteidigung zu führen. Ich fordere Sie also auf, die Grenze der Verteidigung innezuhalten. – Reinsdorf: Ich bin eigentlich nicht hier, um mich zu verteidigen, es ist mir sehr gleichgültig, ob ich meinen Kopf verliere. Ein Anarchist muß auch im Interesse der Sache zu sterben wissen. Wie sehr diese anarchistischen Ideen bereits unter die deutschen Arbeiter gedrungen sind, können Sie aus dem Verhalten Rupschs und der übrigen Angeklagten ersehen. Ich sage dem Rupsch, der die anarchistischen Ideen kaum kennt, einige Worte ins Ohr und er ist bereit, sofort das Attentat zu vollführen. Er erzählt meinen Auftrag anderen armen Arbeitern, diese tragen sofort die nötigen Gelder zusammen, um die Reise des Rupsch nach Rüdesheim zu ermöglichen. Rupsch ver- setzt sogar dazu seinen Koffer. Daß Rupsch die anderen Arbeiter mit in die Affäre gezogen, ist sehr unrecht, dies habe ich ihm ausdrücklich verboten. Er sollte den anderen irgend etwas vorspiegeln, damit sie ihm Geld geben, denn die Leute sind alle verheiratet und haben Kinder. Holzhauer hat fünf Kinder, Küchler ein halbes Dutzend usw. Rupsch ist dagegen ledig. Hätten diese später erfahren, zu welchem Zwecke das Geld gegeben worden, dann hätten sie sich nachträglich auch gefreut, daß sie es im Interesse einer guten Sache gegeben haben. – Vors.: Sie haben also den Rupsch beauftragt, zu der Enthüllungsfeier zu fahren und dort mittelst eines Dynamitattentates Se. Majestät den Kaiser, den Kronprinzen, Se. Majestät den König von Sachsen usw. zu töten? – Reinsdorf: Wer dadurch getötet werden sollte, war mir gleichgültig, mir kam es nur darauf an, daß dort eine Demonstration vorkam. – Vors.: Sie sagten dem Rupsch aber, daß die Explosion, um Leute zu töten, geschehen solle? – Reinsdorf: Auch das habe ich ihm nicht gesagt. Ob der erste, der zweite oder der dritte Wagen in die Luft gesprengt wurde, war mir gleichgültig, so genau läßt sich das ja auch nicht berechnen. – Vors.: Aber es lag doch in Ihrer Absicht, daß durch das Attentat Menschen getötet werden sollten? – Reinsdorf: Das nicht direkt, wenn ein Pferd dadurch getötet worden wäre, wäre es mir schließlich auch gleich gewesen. – Vors.: Sie mußten sich doch aber sagen, daß durch ein solches Attentat Menschen getötet werden konnten! – Reinsdorf: Allerdings, wenn man so etwas unternimmt, dann darf man auch nicht so kleinlich sein. – Vors.: Sie haben dem Rupsch genaue Instruktionen über sein Verhalten gegeben? – Reinsdorf: Jawohl. – Vors.: Welche Instruktionen gaben Sie dem Küchler? – Reinsdorf: Küchler sollte lediglich gewissermaßen als Deckung für Rupsch mitgehen. Handeln sollte allein Rupsch, Küchler sollte bloß beobachten. Ich sagte dem Rupsch: Wenn du durch dein Schwatzen oder dummes Vorgehen gefaßt wirst, dann hast du eben die Konsequenzen zu tragen, dann stirbst du für eine große Sache, verraten darfst du jedoch niemanden. – Vors.: Schlug Ihnen nicht Ihr Gewissen, als Sie einen anderen aufforderten, ein solches Verbrechen zu begehen, und diesen Menschen dadurch eventuell in ein furchtbares Unglück stürzten? – Reinsdorf: Wenn es die Förderung der anarchistischen Grundsätze gilt, dann darf man solche Kleinigkeiten nicht beachten. (Bewegung im Zuhörerraum.) – Vors.: Sie bekennen sich also dem Anklagebeschluß gemäß für schuldig: Rupsch und Küchler zur Tötung des Kaisers, des Kronprinzen, des Königs Albert von Sachsen usw. angestiftet zu haben? – Reinsdorf: Ich betrachte die ganze Angelegenheit, den Grund, daß ich hier stehe, überhaupt bloß für eine Machtfrage. Wenn wir eine Anzahl anarchistischer Armeekorps hätten, dann stände ich eben nicht hier. (Große anhaltende Bewegung.) – Vors.: Was passieren dürfte, wenn anarchistische Armeekorps existieren würden, lassen Sie einmal beiseite, sondern halten Sie an der Tatsache fest, daß Sie eben hier vor dem Reichs-Gerichtshof stehen. Also, ich stelle wiederholt die Frage an Sie: bekennen Sie sich dem Inhalt der Anklage nach für schuldig? – Reinsdorf: Ich kann darauf nicht antworten. Ziehen Sie aus meinen Ausführungen Ihre Konsequenzen, ich stehe hier, um Ihre Entscheidung abzuwarten. – Vorsitzender: Dann ist Ihre Vernehmung erledigt. Ich will Sie bloß noch fragen: Was haben Sie zu Rupsch gesagt, als er Ihnen nach seiner Rückkunft über seine Taten Bericht erstattete? – Reinsdorf: Ich zuckte mit den Achseln, denn ich konnte ihn doch für seine Heldentaten nicht loben, tadeln wollte ich ihn aber auch nicht. – Rupsch bezeichnete es als Lüge, daß Reinsdorf gesagt: er solle den anderen von dem erhaltenen Auftrage keine Mitteilung machen. – Es wurde alsdann Landrichter Schäfer (Elberfeld) als Zeuge vernommen. Dieser, der mit Rupsch auf dem Niederwald und in Rüdesheim gewesen und die Untersuchung gegen Rupsch geführt hatte, bekundete: Rupsch habe in allen Dingen große Offenheit an den Tag gelegt und bei der Besichtigung des Niederwaldweges volle Sicherheit bewahrt. Nur in Rüdesheim wurde er etwas unsicher, da begann er plötzlich zu suchen. Förster Fleckner (Rüdesheim), Waldarbeiter Keßler (Preßburg bei Rüdesheim) und Katasterkontrolleur Karst (Rüdesheim) schilderten die Örtlichkeit des Weges zum Niederwald-Denkmal. Bei dieser Gelegenheit wurden die Bäume in Augenschein genommen, die behufs Anlegung eines Promenadenweges allerdings längst abgeschnitten worden sind. In diese Bäume hatte Rupsch Einschnitte gemacht, um die Zündschnur wiederzufinden. Rupsch gab als möglich zu, diese Einschnitte gemacht zu haben. – Fräulein Rosa und Louise Liebler (Rüdesheim), bei deren Eltern Rupsch und Küchler am 27. September Wein getrunken und alsdann das Packet mit den Dynamitgefäßen zurückgelassen hatten, um zum Denkmal zu gehen, vermochten die genannten Angeklagten nicht genau wiederzuerkennen. Die Zeuginnen erinnerten sich, daß die beiden Männer behutsam ein Packet auf den Schrank gelegt und gesagt haben: das Packet müsse mit Vorsicht behandelt werden. – Frau Schneider Engelmann (Rüdesheim), in deren Wohnung Rupsch und Küchler vom 27. zum 28. September übernachtet hatten, bekundete, daß Rupsch die 5 Mark gezahlt habe; Küchlerhabe das Geld dem Rupsch behufs Bezahlung gegeben. Rupsch behauptete, daß nicht er, sondern Küchler der Frau das Geld gegeben habe. – Am vierten Verhandlungstage stellte der Angeklagte Reinsdorf den Antrag: Frau Klempnermeister Stuhlmann (Elberfeld) als Zeugin vorzuladen. Er wolle dadurch den Beweis führen: in welch leichtfertiger Weise in dem gegenwärtigen Prozeß Zeugnis abgelegt werde. – Der Gerichtshof beschloß, den Antrag als unerheblich abzulehnen. – Es wurde alsdann nochmals Weber Palm (Elberfeld) vernommen: Küchler habe ihm einmal erzählt: Er sei mit Rupsch bei der Denkmalsenthüllung auf dem Niederwald gewesen und habe dort in eine Drainage eine Dynamitpatrone gelegt, diese sei jedoch infolge des heftigen Regens nicht losgegangen. Am 25. September 1883 seien Rupsch und Küchler zu ihm gekommen und haben gesagt: sie hätten Hunger. Er habe infolgedessen den Leuten Brot gegeben. Alsdann habe Küchler zu ihm gesagt: er solle ihm Geld leihen. Da er es nicht hatte, habe er es sich beschafft und dem Küchler gegeben. – Vors.: Wie viel gaben Sie ihm? – Zeuge: 40 Mark. – Vors.: Sagte er Ihnen, wozu er des Geldes bedürfe? – Zeuge: Er sagte, er wolle nach London reisen, um eine große Anzahl „Freiheiten“ und andere sozialdemokratische Schriften zu holen. – Vors.: Wann wollte er Ihnen das Geld zurückerstatten? Zeuge: Gleich nach seiner Rückkunft aus London; er sagte: er erhalte in London so viel Geld, daß er mir die 40 Mark sofort zurückgeben könne. – Vors.: Küchler behauptet, er hätte Ihnen gesagt, Sie sollten ihm die 40 Mark leihen, da er nach Rüdesheim reisen wolle, um dort ein Attentat zu begehen. Sie sollen geantwortet haben: das ist gut, es muß aber tüchtig knallen? – Zeuge: Das ist nicht wahr. Küchler sagte mir allerdings einmal, wenn etwas passieren sollte, dann werde er es zu verhindern suchen. – Vors.: Hat Ihnen Küchler später einmal etwas mitgeteilt? – Zeuge: Im Monat Januar war eine Anzahl Leute bei Söhngen versammelt. Dort erzählte Küchler, er sei mit Rupsch bei der Enthüllungsfeier auf dem Niederwald gewesen, um ein Dynamitattentat zu begehen. Die Explosion sei infolge der großen Nässe jedoch nicht erfolgt. Sie hätten alsdann neuen Schwamm angemacht, um die Explosion erfolgen zu lassen, wenn der Festzug zurückkomme, allein auch diese Manipulation sei mißglückt. – Vors.: Hat das Küchler laut erzählt, so daß es alle Anwesenden hören konnten? – Zeuge: Ja, der es hören wollte, konnte es hören. – Vors.: Zu welchem Zwecke erzählte das Küchler? – Zeuge: Ich nehme an, daß Küchler das gesagt hat, um 9 Mark behufs Einlösung seiner Uhr zu erhalten, die er anläßlich der erwähnten Reise nach dem Niederwald versetzt hatte. – Vors.: Erhielt Küchler das Geld? – Zeuge: Ja, der Weber Vestweber gab es ihm. – Vors.: Gab ihm Vestweber das Geld aus eigenen Mitteln oder aus irgendeiner Kasse? – Zeuge: Ich glaube, er gab es ihm aus den Einnahmen, die bei Gelegenheit eines am zweiten Weihnachtsfeiertage zu Elberfeld stattgehabten Arbeiterfestes erzielt wurden. – Vors.: Wurde Ihnen nicht einmal gedroht, wenn Sie etwas verrieten? – Zeuge: Wann das gewesen ist, weiß ich nicht mehr, ich glaube, es war am zweiten Osterfeiertage, da kamen mehrere Arbeiter in Elberfeld zusammen. Es wurde mir gesagt, wenn ich zur Sache halten wolle, dann dürfe ich nichts verraten, sonst könnte es mir ans Leben gehen. – Vors.: Wer sagte das zu Ihnen? – Zeuge: Das weiß ich nicht. – Vors.: Bei Ihrer früheren Vernehmung sagten Sie: Küchler habe geäußert: Da das erstemal die Zündschnur versagt hatte, so beschlossen wir, die Explosion erfolgen zu lassen, sobald der Festzug zurückkam. Wir banden deshalb neue Zündschnur an. Ist das wahr? – Zeuge: Das weiß ich nicht mehr genau. Ich will dabei bemerken, daß, als ich von dem Herrn Landrichter Schäfer vernommen wurde, dieser sagte, wenn ich nicht gestehe, werde ich angeklagt, wenn ich aber gestehe, sei ich bloß Zeuge. Ich habe selbstverständlich die volle Wahrheit gesagt, ich halte jedoch diese Außerung des Herrn Landrichter für eine Drohung. – Vors.: Wir werden Herrn Landrichter Schäfer darüber vernehmen. Küchler und Vestweber haben einmal einen Brief nach Newyork geschrieben, der in der „Freiheit“ veröffentlicht werden sollte? – Zeuge: Davon ist mir nichts bekannt. Das Zentralkomitee zu Newyork, zu dem auch mein Bruder und ein Weberssohn aus Ronsdorf gehört, erfuhren von meiner Verhaftung. Sie schickten deshalb an mich, bezw. zur Unterstützung meiner Frau, 100 Mark unter der Deckadresse eines Webers in Ronsdorf. Inzwischen war ich aber schon entlassen und bedurfte der Unterstützung nicht mehr. Ich veranlaßte, daß das Geld unter einer anderen Deckadresse den Familien der anderen noch in Haft Befindlichen zugehe. – Vors.: Bei einer früheren Vernehmung haben Sie gesagt: Es wurde Ihnen bemerkt, über die Versammlung bei Söhngen müsse Schweigen beobachtet werden, wer etwas verrate, dem würde etwas passieren? – Zeuge: Ich glaube, daß das so war. – Landrichter Schäfer: Palm hat zum Teil recht. Ich habe zu ihm und allen Verhafteten gesagt, Sie können mir nichts mehr Neues sagen, da die anderen bereits alles gestanden haben. Gedroht habe ich niemandem, sondern sie bloß auf die Folgen des Meineides aufmerksam gemacht. Ich bemerke jedoch, daß ich zunächst alle Verhafteten uneidlich vernommen habe. Bei Palm hätte ich am allerwenigsten nötig gehabt, Drohungen anzuwenden, denn dieser erzählte mir sehr viel. Wenn er nicht gleich etwas wußte, dann dachte er nach und erzählte mir immer wieder etwas neues. – Vors.: Zeuge Palm, Sie haben bei einer Ihrer früheren Vernehmungen gesagt: Sie hätten nicht so viel erzählt, wenn Sie nicht einen Eid geleistet hätten? – Zeuge: Das ist wahr. – Vors.: Dann haben Sie also die volle Wahrheit gesagt? – Zeuge: Jawohl. – Auf Befragen des Vorsitzenden erzählte Küchler: Da die Explosion zum ersten Male nicht erfolgt sei, so habe ihm Rupsch ein Stück Schwamm, das angebrannt war, gebracht, um ihm zu zeigen, daß der Schwamm zu naß gewesen sei. – Vors.: Rupsch, ich habe Ihnen schon einmal vorgehalten, daß es sehr unwahrscheinlich ist, daß Sie die Zündschnur mittelst einer kalten Zigarre angeschwärzt haben, um den Küchler glauben zu machen, daß die Schnur angebrannt, aber wegen zu großer Nässe wieder erloschen sei? – Rupsch: Das ist aber doch wahr. – Vors.: Küchler, können Sie das dem Rupsch ins Gesicht sagen? – Küchler (zu Rupsch gewendet): Das, was ich gesagt habe, ist wahr. – Rupsch: Dann lügst du. – Reinsdorf: Ich richte an den Zeugen Palm die Frage, woher er die 40 Mark, die er dem Küchler gegeben, genommen hat? Ich behaupte nämlich, die 40 Mark waren von der Polizei? – Vors.: Sie haben nur Anträge zu stellen, ich will jedoch den Zeugen fragen: ob er hierüber Auskunft geben will? – Palm: Ich verweigere hierüber die Aussage, da ich sonst eventuell selbst mit reinkommen kann. – Reinsdorf: Ich bin befriedigt. – Der nächste Zeuge war Färber Külpmann (Barmen). An diesen war folgender Brief angelangt:

„Newyork, den… 1884. Werte Freunde und Genossen! Ich will Euch hiermit benachrichtigen, daß ich den Brief bekommen habe von Euch, ich habe ihn direkt besorgt. Genosse J. M. ist jetzt nicht in Newyork. Er macht eine Agitationsreise durch die Vereinigten Staaten. Als Justus Sch. den Brief gelesen hatte, hat er den Brief sofort J. M. nachgeschickt. Er hat zurückgeschrieben, daß 10 D. vorläufig geschickt werden sollen und ich werde auch sorgen, daß ich auf eigene Faust Euch bald was schicken werde. Der G. V. kann zu meinen Eltern gehen und holt dasselbige ab, was ich Einem mitgab, der den 10. Juli nach hier abfährt, es sind Schriften. Dann seid so gut und schreibt mir, ob J. Sch. Euch dasjenige auch geschickt hat, er wollte auch Schriften über die deutsche Grenze bringen, denn es ist augenblicklich niemand da, der sie von Belgien über die deutsche Grenze bringt. Es gehen jede Woche 1000 Exemplare der Fr. nach Europa. Wilhelm Weidenmüller ist schon einige Male bei mir gewesen, er hat direkt Arbeit bekommen. Ich habe ihn neulich in unsere Gruppe J. A. A. genommen. Millenberger ist auch hier. Sonst kann ich Euch nicht viel Neues schreiben bis nächstens. Schreibt nur immer andere Adressen, die nicht bekannt sind. Ich werde alles besorgen, macht nur voran. Mit sozialrevolutionärem Gruß gez. Friedr. Erlenköller. Adr. Mr. Friedr. Erlenköller. Newyork. An Mr. Richard Külpmann, Bismarckstraße Nr. 63. Unter-Barmen. Germany. Rheinprovinz.“ – Der Zeuge bemerkte auf Befragen des Vorsitzenden, daß er nicht wisse, wie er zu diesem Briefe gekommen sei. – Packer Vestweber (Barmen) gab zu, dem Küchler in einer bei Söhngen im Januar 1884 stattgehabten Zusammenkunft 9 Mark gegeben zu haben. Zu welchem Zwecke er das Geld gegeben, wisse er nicht mehr. Von der Unternehmung eines Attentats wisse er nichts. – Polizeikommissar Gottschalk (Elberfeld): Rupsch habe mit geringen Abweichungen dasselbe gesagt, wie er es hier erzählt habe. Rupsch habe ihm gesagt, die Schnur sei so naß gewesen, daß sie nicht brennen konnte. Er habe bei Küchler und Holzhauer Haussuchung gehalten, bei keinem sei aber Dynamit gefunden worden. In dem Garten von Holzhauer habe er Löcher gefunden, die auf Dynamitvergrabungen schließen ließen. – Holzhauer bestritt das. – Auf Befragen des Reinsdorf bestätigte Polizeikommissar Gottschalk, daß infolge der felsigen Gegend viele Hausbesitzer im Wuppertal Dynamit besitzen; daß dort auch Arbeiter Dynamit besitzen, stelle er in Abrede. Weidenmüller habe allerdings, wie er gehört, Dynamit besessen, doch so viel er wisse, habe er es verkauft. – Reinsdorf: Von wem hat der Herr Polizeikommissar gehört, daß Weidenmüller Dynamit besitzt, vielleicht von Weidenmüller selbst? – Zeuge: Darüber verweigere ich die Antwort. – Polizeikommissar Wilsing (Barmen): Er habe dieselben Wahrnehmungen in dem Garten des Holzhauer wie Gottschalk gemacht. – Buchbinder Hocke (Barmen): Ich habe wasserdichte und nichtwasserdichte Zündschnur zum Verkauf. Die erstere kostet 75 Pf., die andere 30 Pf. Welche ich dem Rupsch und Küchler zurzeit verkauft, und ob ich überhaupt einmal eine Zündschnur verkauft habe, weiß ich nicht; ich kenne die Leute nicht. – Färber Külpmann (Barmen): Zur Zeit der Enthüllungsfeier des Niederwalddenkmals habe ich dem Söhngen einmal Geld geliehen. Wieviel das gewesen und zu welchem Zwecke ich es ihm geliehen habe, weiß ich nicht mehr. – Schlossermstr. Lennarr (Barmen): Er habe im Sommer 1883 dem Rheinbach auf zwei Wechseln Geld geliehen. Etwa am 26. oder 27. September mittags oder vielleicht abends habe er dem Rheinbach 10 Mark geliehen. Soweit er sich erinnere, habe ihm Rheinbach gesagt, er bedürfe des Geldes, da ein Freund von ihm nach Amerika reisen wolle. – Rheinbach: Ich gebe zu, die letzterwähnte Bemerkung zu dem Zeugen getan zu haben, ich konnte ihm doch nicht sagen, ich bedürfe des Geldes, um eine Schuld zu bezahlen. – Bürgermeister Alberti (Rüdesheim): Soweit er ermittelt, sei durch die Explosion in Rüdesheim ein Schaden von mindestens 400 Mark entstanden; genau wisse er das nicht mehr. Es entstand zunächst die Vermutung, daß die Explosion von einem Bahnwärter, alsdann daß sie von einem Gastwirt aus Konkurrenzneid, im weiteren daß sie von einem weggejagten Kellner aus Rache verübt worden sei. Er habe die ganze Umgegend untersucht, habe jedoch an der Stelle, an der Rupsch die Dynamitpatrone gelegt haben will, keinerlei Vertiefung gefunden, die des Rupschs Angaben bestätigen könnten. Er hätte eine solche Vertiefung, wenn sie vorhanden gewesen wäre, finden müssen. Er sei der Überzeugung, daß die Dynamitpatrone unterhalb einer zur Festhalle gehörenden Bretterwand gelegt worden sei. Diese Wand sei sofort eingefallen und habe ganz besonders in der Vorratskammer Verheerungen angerichtet. Die ganze Festhalle bestand aus Bretterwänden und der Vorratsraum war von den übrigen Räumen auch nur durch Bretterwände geschieden. – Rupsch: Es ist ja möglich, daß auch von einem Anderen eine Explosion unternommen worden ist, ich habe das Dynamit 10 Schritt vor der Festhalle gelegt. – Vors.: Angeklagter Reinsdorf, haben Sie dem Rupsch gesagt: er solle den Wagen Sr. Majestät des Kaisers auf 50 oder 150 Schritt herankommen lassen? – R.: Das weiß ich nicht mehr. – Vors.: Haben Sie dem Rupsch gesagt, eine Zündschnur, wie er sie kaufen solle, brenne 15–20 Minuten? – R.: Das weiß ich auch nicht mehr. Restaurateur Porsberger (Mainz), der Wirt, der zurzeit provisorisch erbauten Festhalle in Rüdesheim, gab eine genaue Beschreibung über die Einrichtung der Festhalle. Es wurden beschädigt: Wein, Goulasch, Kalbskotelettes und Kalbsnierenbraten. (Allgemeine Heiterkeit, in die auch die Angeklagten, ganz besonders Reinsdorf, einstimmten.) Die Explosion erfolgte am 28. September 1883 gegen 8 Uhr abends, zu einer Zeit, zu welcher Konzert in der Festhalle stattfand und letztere mit Menschen gefüllt war. In den Vorratsraum kam hin und wieder das Kochpersonal hinein. – Küfer Lauter (Rüdesheim): Am 28. September, abends gegen 8 Uhr habe er aus der Vorratskammer Wein geholt. Da hörte er plötzlich einen heftigen Knall, er wurde weit weggeschleudert und konnte viele Stunden lang nichts hören. Unterhalb der Bretterwand sei eine Vertiefung gewesen. – Sachverständiger, Major und Kommandeur des Rheinischen Pionierbataillons Pagenstecher (Koblenz): Wenn die Explosion auf dem Niederwald erfolgt wäre, dann wären die vorüberfahrenden Wagen in höchstem Maße gefährdet gewesen und man dürfe wohl mit Sicherheit sagen, daß die in dem Wagen sitzenden Menschen getötet worden wären. Obwohl Zündschnur sehr regelmäßig brenne, so lasse sie doch eine Berechnung nach Sekunden nicht machen und die Attentäter konnten nicht mit Sicherheit berechnen, daß der Wagen Seiner Majestät des Kaisers gerade getroffen werden würde. Die Explosion in Rüdesheim könne nur von der Stelle aus erfolgt sein, wo die Vertiefung gefunden worden sei. Menschen, die sich zur Zeit im Vorraume der Festhalle befanden, seien aufs äußerste gefährdet gewesen. Wenn der Küfer Lauter sich an einer anderen Stelle im Vorratsraum befunden hätte, dann wäre seine Tötung höchstwahrscheinlich erfolgt. Ein nasser Schwamm, wie er infolge des Regens auf dem Niederwald beschaffen gewesen sein müsse, könne wohl ankohlen, aber nicht verbrennen. Um neuen Schwamm zu befestigen, sei es erforderlich gewesen, die Zündschnur zu durchschneiden. Selbst wasserdichte Zündschnuren können wenn sie sehr durchnäßt seien, versagen. Es sei denkbar, daß eine total durchnäßte Zündschnur, wenn sie aufgehoben werde, in Stücke zerfalle. – Sattlermeister Kretzschmer (Naumburg a. S.): Rupsch hat bei mir das Sattlerhandwerk erlernt; er war ein sehr ordentlicher Mensch und, soweit ich weiß, der Sohn braver Eltern. Kurz vor seiner Verhaftung hat er wieder bei mir gearbeitet und sich ebenfalls ganz ordentlich geführt. Als seine Verhaftung erfolgte und ich ihn fragte, was das sei, versetzte er: „Ja, Meester, da kann jeder einmal dazu kommen“. Ob Rupsch Sozialdemokrat ist, weiß ich nicht. – Sattlermeister Fellbecker (Barmen): Rupsch hat bei mir vom September 1882 bis dahin 1883 gearbeitet und sich sehr ordentlich geführt. Später vernahm ich, daß er zur sozialdemokratischen Partei gehörte. Er gab dies auch zu und sagte mir: Er sitze oftmals abends mit seinen Parteigenossen in einem Restaurationslokale zusammen, um Parteiangelegenheiten zu besprechen. Wenn ein verdächtiger Mensch komme, begännen sie sofort über gleichgültige Dinge zu reden. Rupsch hat mir einmal etwas entwendet. Ich habe ihn nicht angezeigt, ihm aber gesagt, es scheine, daß die Sozialdemokraten ihn verführt hätten. Das ist wahr, antwortete Rupsch, die Sozialdemokraten sagen: Eigentum ist Diebstahl. Als ich ihm sagte: Da siehst du doch, wohin dein Umgang mit den Sozialdemokraten führt, antwortete er: „Ich will mit den verdammten Kerls jetzt auch nichts mehr zu tun haben.“ Einmal sagte Rupsch zu mir: Es gibt jetzt noch ein bedeutend besseres Sprengmittel als Dynamit. – Klempnermeister Brinkmann (Barmen): Ich bin mit Rupsch bekannt gewesen. Dieser sagte mir, daß er zur Sozialdemokratie gehöre und es ihm ein Leichtes sei[WS 3], 500 Gesinnungsgenossen zusammenzubringen. Als ich ihm bedeutete, daß seine Zugehörigkeit zur Sozialdemokratie einmal ein schlechtes Ende für ihn nehmen könne, antwortete er: es ist mir gleichgültig, auf welche Art ich zugrunde gehe, sollte ich einmal bei einem Verbrechen ertappt werden, dann nehme ich eine Nitro-Glyzerinhülse in den Mund und töte mich selbst. Ferner sagte er mir einmal: er sei imstande, aus Säuren Dynamit herzustellen und habe auch Dynamit in der Werkstatt. – Schneidermeister Cramer (Barmen): Ich bin ein streng-kirchlicher Mann. Als Küchler bei mir eine Wohnung mieten wollte, erschien er, es war an einem Sonntage, mit einem Gebetbuch unter dem Arm. Er sagte: er komme direkt aus der Kirche; das Gebetbuch sei ihm das Heiligste, das habe ihm seine Mutter eingeschärft. Ich nehme an, daß dies Heuchelei war, denn ich habe ihn niemals in die Kirche gehen sehen. Auch habe ich einmal gehört, wie Küchler sagte: er glaube an nichts. Bei Küchler haben sehr viele Leute verkehrt. Küchler sagte: Das sind alles Leute, die zur Buchdruckerkasse gehören. – Küchler: Daß ich mit einem Gebetbuch zum Zeugen gekommen bin und gesagt, ich käme aus der Kirche, ist unwahr. Im übrigen werde ich den Zeugen gerichtlich belangen, weil er gesagt hat: ich sorge nicht in gehöriger Weise für meine Familie. Der Vorsitzende verlas darauf einige Stellen aus der zurzeit in Rüdesheim erschienenen Festzeitung und einen Bericht des Polizeipräsidenten von Wiesbaden über die Ordnung des Festzuges. – Schriftsetzer Sommereisen (Barmen): Ich war mit Reinsdorf bekannt; ich habe mit ihm eine Zeitlang zusammen gearbeitet. Über sozialistische Dinge habe ich mit Reinsdorf nicht gesprochen. Eines Sonntags sah ich, daß Reinsdorf einen Brief in französischer Sprache schrieb. Er bat mich, ihm zu gestatten, daß Briefe für ihn unter meiner Adresse ankommen könnten. Ich lehnte dies jedoch ab. Einmal erhielt Reinsdorf einen Brief aus Paris, in dem ein Hundert-Franks-Billet enthalten war. – Färber Böllhoff (Elberfeld): Er habe eines Tages von Newyork 100 Mark erhalten; er vermochte sich nicht zu erklären, wie er zu dem Gelde komme, später erfuhr er, daß Palm ihn als Deckadresse bezeichnet habe. – Weber Schiebeck (Elberfeld): Ich wurde mit Reinsdorf durch Weidenmüller bekannt. Im Züricher „Sozialdemokrat“ wurde Reinsdorf als Polizeispion denunziert. Ich wollte deshalb Reinsdorf, dessen richtiger Name schon bekannt war, sagen: er möchte sich aus dem Staube machen, sobald die Elberfelder und Barmer Sozialisten von diesem Artikel im „Sozialdemokrat“ Kenntnis erhielten. Eines Sonntags traf ich mit Reinsdorf bei Weidenmüller zusammen. Da sagte er: ich denke nicht daran, Deutschland zu verlassen. Ich werde den Zürichern noch einen Streich spielen. Ich werde eine Tat begehen, so daß über Barmen-Elberfeld der „Kleine Belagerungszustand“ verhängt werde und Deutschland an mich denken wird. Reinsdorf trug stets einen Revolver bei sich. Eines Tages trug Reinsdorf Schwefelsäure bei sich; er sagte: damit könne man Dynamit bereiten. – Reinsdorf: Ich frage den Zeugen, ob er Sozialdemokrat ist? – Zeuge: Nein, ich gehöre gar keiner Partei an. – Reinsdorf: Der Zeuge glaubt vielleicht, daß er sich durch die Bejahung dieser Frage strafbar macht. Ich bemerke deshalb, daß man der sozialdemokratischen Partei nicht mehr angehören darf, da diese aufgelöst ist, aber man kann trotzdem Sozialdemokrat von Gesinnung sein? – Zeuge: Ich gehöre gar keiner Partei an. – Reinsdorf: War der Zeuge früher Sozialdemokrat? – Zeuge: Ja. – Reinsdorf: Hat jemand auf den Zeugen Einfluß ausgeübt? – Zeuge: Nein. – Hierauf wurden einige Artikel aus dem Züricher „Sozialdemokrat“ verlesen, in denen Reinsdorf mit Neve, dem früheren Expedienten der „Freiheit“, und dem bekannten Nihilisten Hartmann zusammen genannt wurde. In einem Artikel der „Freiheit“ hieß es: „Genosse Reinsdorf ist nicht entlassen, wie telegraphisch gemeldet wurde. Dagegen wird uns berichtet: Reinsdorf leugnet hartnäckig, obwohl sich ein Mann gefunden hat, der ihn furchtbar anschwärzt. Er legt ein derartiges mannhaftes Benehmen an den Tag, daß der Untersuchungsrichter einmal ausgerufen hat: „Da möchte man ja alle Lust verlieren“. Wir glauben’s gern.“ Der „Sozialdemokrat“ bezeichnete Reinsdorf als Oberspitzel und schrieb: „Wir stehen jetzt vor den Wahlen. Je mehr Anarchisten, desto weniger Stimmen, deshalb nieder mit den Anarchisten“. In einem weiteren Artikel der „Freiheit“ hieß es: Jeder, der sich zur sozial-revolutionären Partei bekennt, muß sich mit den technischen Fortschritten der Sprengstoffe, ganz besonders mit denen des Nitroglyzerin beschäftigen, wenn sie gleich jenen edlen russischen Jünglingen handeln wollen“. Ferner wurde in eingehender Weise über einen in Newyork gehaltenen Vortrag berichtet, in dem technische Anleitungen zur Herstellung von Nitroglyzerin gegeben werden. Weiter hieß es in der „Freiheit“: „Das Nitroglyzerin steht auf einer Stufe mit der Erfindung der Buchdruckerkunst. Ersteres liefert uns die Mittel, um unsere Ideen zu verbreiten, letzteres, um unsere Ideen zur Verwirklichung zu bringen.“ In einem ferneren Artikel der „Freiheit“ wurde der Raubanfall in Stuttgart besprochen und dabei der „Rebell“, Organ der deutschredenden Anarchisten in Budapest, zitiert, in welchem der überfallene Bankier ein privilegierter Räuber genannt und das Verbrechen als eine Heldentat bezeichnet wurde. Die „Freiheit“ bemerkte dazu: „Wir sind selbstverständlich mit unserem Bruderorgan einverstanden. Wir sind der Meinung, daß im Kriege nicht bloß hinüber und herüber geschossen werden muß, es müssen auch dem Feinde die Mittel zur Kriegführung genommen werden. Die herrschenden Klassen müssen einsehen, daß wir selbst vor dem Schaffot nicht zurückschrecken. Die feige Züricher Bande wird uns ja wieder nach Möglichkeit beschimpfen“. In einem weiteren Artikel der „Freiheit“ wurde beklagt, daß das Attentat auf das Frankfurter Polizeigebäude mißglückt sei, und dabei der Rat erteilt, in Zukunft lieber etwas mehr als weniger Dynamit bei solchen Attentaten zu verwenden. „Lange genug sind wir geknechtet worden; es ist hohe Zeit, daß wir zur Tat übergehen. Die herrschenden Klassen sollen einsehen, daß wir weder vor dem Beil noch vor dem Galgen zurückschrecken. Es lebe die soziale Revolution“. – Der Gerichtshof beschloß: die Zeugen Weber Palm und Packer Vestweber, da sie der Teilnahme an den zur Anklage gestandenen Verbrechen verdächtig waren, nicht zu vereidigen. – Am fünften Verhandlungstage erteilte der Vorsitzende, Senatspräsident Drenkmann, das Wort zur Schuldfrage dem Vertreter der Reichsanwaltschaft, Ersten Staatsanwalt Treplin: Die Begebenheiten, die die Beweisaufnahme zutage gefördert, bilden eine tiefe Kluft mit den Anschauungen unserer heutigen Kulturzustände. Sie sprechen aller Ethik Hohn und man fühlt sich veranlaßt, zu fragen: Ist es nicht eine Mystifikation, ist es nicht eine Übertreibung? Allein die Verhandlung hat uns den Beweis geliefert, daß wir vor ernsten Tatsachen stehen. Es kann den hohen Gerichtshof wenig interessieren, welche politische Ansichten Reinsdorf hat, ich werde deshalb auch bei diesem Punkte nur sehr kurz verweilen. Ich will zunächst bloß bemerken, daß er die Expropriierung alles Eigentums geltend gemacht hat, daß er ein hervorragendes Mitglied der internationalen Anarchistenpartei ist. Wenn ich zu dem ersten Anklagepunkte, dem Dynamitattentat in der Willemsenschen Restauration zu Elberfeld übergehe, so werden wir zunächst zu untersuchen haben, inwieweit Reinsdorf an diesem Verbrechen beteiligt ist. Die Teilnahme des Reinsdorf hierbei ist nicht ohne Interesse für das Verbrechen auf dem Niederwald. Ich erinnere an die verschiedenen Zusammenkünfte bei Weidenmüller, woselbst Reinsdorf wiederholt geäußert hat: man müsse zur Tat übergehen, man dürfe von Dynamit nicht bloß schreiben, sondern müsse es auch zur Anwendung bringen, man müsse das Sedanfest durch eine Demonstration stören. Ich erinnere an die Auslassungen des Bachmann und der übrigen Angeklagten, ich erinnere an die Bekundungen der Schutzleute, die den Bachmann verhaftet haben. Letzteren hat Bachmann sofort erklärt: Reinsdorf hat mich verführt. Es ist wohl nicht zu bezweifeln, daß es in Reinsdorfs Absicht lag, nicht bloß in dem Willemsenschen Saale, sondern auch in der Frankfurter Bierhalle in Elberfeld ein gleiches Verbrechen zu begehen. Daß es dem Bachmann bloß darum zu tun war, eine Knalldemonstration ins Werk zu setzen, ist nicht wahr. Objektiv ist nachgewiesen, daß die Explosion geeignet war, Menschen zu töten. Der Kellner Fricke ist in der Tat erheblich verwundet worden. Es konnte dem Bachmann nicht unbekannt sein, daß im Nebenzimmer Menschen versammelt waren. Es waren etwa 30 Elberfelder Ärzte versammelt, die über die Arbeiter-Krankenkassen eine Beratung hielten. Es ist anzunehmen, daß diese Beratungen so geführt wurden, daß man in dem stillen Zimmer, wo Bachmann saß, wohl die Anwesenheit von Menschen merken mußte. Außerdem öffnete der Kellner Fricke wiederholt die zu dem Ärztezimmer führende Tür, um Bier in das Zimmer zu tragen. Daß Dynamit in dem Gefäß enthalten war, das ihm Reinsdorf gab und welche Wirkung Dynamit hat, konnte dem Bachmann einmal nach den vielen Unterredungen mit Reinsdorf und das anderemal nach der von ihm gepflegten Lektüre der „Freiheit“ nicht unbekannt sein. Ich wende mich nun zu dem zweiten Verbrechen, zu dem Attentate auf dem Niederwald. Reinsdorf hat offen bekundet, daß er den Rupsch zu diesem Attentat angestiftet hat, daß er ihm die nötigen Instruktionen gegeben hat; daß Reinsdorf sich der Tragweite seiner Handlungsweise bewußt war, unterliegt keinem Zweifel. Wie weit er den Küchler zu der Tat angestiftet hat, darüber hat uns Reinsdorf weniger Aufklärung gegeben. Als Täter dieses Verbrechens treten hier Rupsch und Küchler auf. Als man anfänglich hörte, daß dem Rupsch in dem letzten Momente das Gewissen schlug, und er deshalb die Ausführung des Verbrechens vereitelte, da konnte man es, solange man den Rupsch bloß oberflächlich kannte, glauben. Nachdem wir ihn hier aber von Angesicht zu Angesicht gesehen, muß man sagen, daß er im Gegenteil ein trotziger Verbrecher ist. Jeder Christenmensch wird unterscheiden können zwischen einem reuevollen Sünder und einem trotzigen Verbrecher. Ich habe aus dem Auftreten des Rupsch die Überzeugung gewonnen, daß er nicht ein verführter junger Mann ist, sondern daß er sich der Tragweite seiner Handlungen vollständig bewußt war. Wir haben gehört, daß er den extrem anarchistischen Anschauungen huldigte, daß er eifriger Leser der „Freiheit“ war, daß er von der Anfertigung von Dynamit sprach und einmal die Äußerung tat: „Es ist mir gleichgültig, ob ich so oder so ums Leben komme, sollte ich einmal ertappt werden, dann werde ich mich sofort selbst entleiben.“ Ganz besonders spricht aber für die Schuld des Rupsch sein ganzes Verhalten auf dem Niederwald. Ich will den hohen Gerichtshof nicht mit der Vorführung aller Einzelheiten ermüden, allein soviel steht fest: hätte Rupsch das Attentat verhindern wollen, dann brauchte er nicht am Abend vorher einen Schnitt in den Baumstamm zu machen, um am folgenden Tage die Zündschnur wiederzufinden. Im weiteren ist aber auch sein Benehmen nach der Tat sehr charakteristisch. Anstatt vor den Leuten, mit denen er nichts mehr zu tun haben will und deren Rache er fürchtet, zu fliehen, kehrt er ganz ruhig nach Elberfeld zurück, erstattet dem Reinsdorf ordnungsmäßig Bericht und bricht in keiner Weise den Verkehr mit jenen Leuten ab, im Gegenteil, noch lange nachher ersucht er den Holzhauer, ihm „Freiheiten“ zu schicken. Ferner ist es unglaublich, daß Rupsch die Zündschnur zunächst mit einer kalten Zigarre entzündet und das zweitemal die Zündschnur durchschnitten hat, um die Explosion zu verhindern. Gegen diese Behauptung spricht zunächst die Erzählung des Küchler in der Wohnung von Söhngen, bei welcher Gelegenheit Küchler keine Veranlassung hatte, etwas Unwahres zu sagen. Er erzählte: zunächst habe die Zündschnur nicht gebrannt, da der Schwamm zu naß geworden war, darauf habe Rupsch neuen Schwamm an die Schnur gemacht, und nun habe die Schnur nur zum Teil gebrannt, der großen Nässe wegen sei jedoch die Explosion nicht erfolgt. Diese Erzählung stimmt mit der des Sachverständigen, Herrn Major Pagenstecher, vollständig überein. Die Anheftung von einem Schwamm ist erforderlich gewesen, um die geschehene Wirkung hervorzubringen. Diese Manipulation spricht nicht dafür, daß Rupsch die Explosion vereiteln wollte. Alles in allem spricht dafür, daß Rupsch nicht mit einer kalten Zigarre, sondern mit einer brennenden Zigarre die Zündschnur entzündet, daß diese aber der großen Nässe wegen nicht gebrannt hat, daß er alsdann neuen Schwamm an die Schnur befestigt hat, und daß infolgedessen die Schnur nur zum Teil gebrannt hat. Was den Angeklagten Küchler anlangt, so unterliegt es keinem Zweifel, daß dieser nicht nur generelle Instruktionen von Reinsdorf erhalten hat, sondern daß er selbst handelnd aufgetreten ist. Reinsdorf instruierte ihn ebenso wie den Rupsch über alle Einzelheiten, und er fand sich auf Auffordern des Reinsdorf sofort bereit, den Rupsch zu begleiten, obwohl zurzeit seine Frau schwerkrank darniederlag. Er diente dem Rupsch nicht bloß als Deckung, er wickelte am Abende vorher die Zündschnur auf, half bei der ganzen Vorbereitung des Unternehmens, er ist also nicht bloß als der Beihilfe, sondern als Mittäter schuldig zu erachten. Daß Küchler nicht mitging, um das Attentat zu vereiteln, dafür ist nicht nur nicht der mindeste Beweis erbracht, sondern im Gegenteil: Küchler hat selbst nicht das mindeste vorbringen können, was er getan hat, um das Attentat zu vereiteln. Er hat, wie Rupsch wenigstens behauptet, den Vorschlag gemacht, in einer in unmittelbarer Nähe des Denkmals stehenden Wand das Dynamit zu legen, er hat selbständig dem Rupsch den Vorschlag gemacht, mit ihm nach Wiesbaden zu reisen, um dort ein Attentat zu begehen. Er behauptet allerdings jetzt, daß er diesen Vorschlag nur machte, um zu sehen, wie weit Rupsch gehen würde, und daß ihre Garderobe eine Reise nach Wiesbaden ausgeschlossen hätte. Ich bedauere, hierbei nicht den Gegenbeweis angetreten zu haben, ich will deshalb bloß historisch bemerken, die Garderobe der Leute war so beschaffen, daß sie wohl nach Wiesbaden hätten reisen können. Was aber auch für sein Schuldbewußtsein spricht, ist, daß er die falsche Eintragung in das Fremdenbuch im Gasthof zu Aßmannshausen veranlaßt hat. Außerdem ist zu erwägen, daß Küchler es gewesen ist, der den Rupsch zu dem Attentat in Rüdesheim veranlaßt hat. Aber auch hier ist Küchler als Mittäter anzusehen. Er war dem Rupsch behilflich, die Dynamitgefäße zusammenzubinden und er bezeichnete dem Rupsch die Stelle, wo er sie hinlegen solle. Daß Rupsch die Dynamitgefäße nicht 10 Schritte von der Festhalle entfernt, sondern unterhalb der Festhalle gelegt hat, steht nach den Ergebnissen der Beweisaufnahme außer Zweifel. Es steht ferner fest, daß die Explosion geeignet war, die in der Festhalle versammelten Menschen zu töten. Es ist außerdem in Erwägung zu ziehen, daß Küchler ein hervorragendes Mitglied der Anarchistenpartei war. Ich gehe nun zu den anderen Angeklagten über. Da will ich zunächst bemerken, daß ich gegen Töllner die Anklage fallen lasse. Es bestimmt mich hierzu die übereinstimmende Bekundung, daß Töllner an jenem Abende, an dem das Geld für die Reise des Rupsch gesammelt wurde, sinnlos betrunken war; es ist mithin nicht bewiesen, daß er sich seiner Handlungsweise bewußt war. Was den Angeklagten Holzhauer anbelangt, so ist zu erwägen, daß in seinem Garten Dynamit vergraben war und daß er dem Rupsch das Dynamit zur Reise nach Rüdesheim gegeben hat. Anfänglich wurde er wohl, als er den Auftrag des Reinsdorf hörte, etwas stutzig. Die Autorität des Reinsdorf imponierte ihm jedoch so sehr, daß er den Plan gleich darauf billigte und alles tat, um die Reise des Rupsch zu ermöglichen. Er veranlaßte in seiner Wohnung sofort eine Zusammenkunft, bei welcher er nicht nur sofort eine Geldsammlung zur Reise veranlaßte, sondern in der er auch dem Rupsch noch einmal eingehende Instruktionen gab. In seiner Wohnung haben vielfache Zusammenkünfte stattgefunden, in denen über zu unternehmende Dynamitattentate verhandelt wurde; er hat dem Rupsch gedroht, erschossen zu werden, wenn er etwas verrate, er vertrieb die „Freiheit“ und andere sozialdemokratische, bzw. anarchistische Schriften. Er sowohl, als auch die Angeklagten Söhngen und Rheinbach behaupteten: sie hätten dem Rupsch das Geld nur gegeben, um seine Abreise, da er keine Arbeit hatte, zu bewirken. Diese Ausrede erscheint um so weniger glaubhaft, wenn man erwägt, mit welcher Eile und unter welchen Schwierigkeiten die Angeklagten das Geld zusammenbrachten. Es ist ferner zu erwägen, daß auch Söhngen und Rheinbach der anarchistischen Partei angehören. Ich halte damit die Anklage für vorläufig genügend begründet und komme nun zu den Strafanträgen. Gegen Reinsdorf ist der Tatbestand der Anstiftung zum Hochverrat, zum Mordversuch und zur Brandstiftung erwiesen, und zwar zum Hochverrat im Sinne des § 80 des Strafgesetzbuches. Ich beantrage gegen Reinsdorf die Todesstrafe, 15 Jahre Zuchthaus, Ehrverlust und Polizeiaufsicht. Rupsch und Küchler sind zu bestrafen wegen Hochverrats, versuchten Mordes und Brandstiftung. Ich beantrage gegen beide: die Todesstrafe, 12 Jahre Zuchthaus, 10 Jahre Ehrverlust und Polizeiaufsicht, gegen Bachmann wegen versuchten Mordes und Brandstiftung 12 Jahre Zuchthaus, 10 Jahre Ehrverlust und Polizeiaufsicht, gegen Holzhauer wegen Beihilfe zum Hochverrat 10 Jahre Zuchthaus, 10 Jahre Ehrverlust und Polizeiaufsicht, gegen Söhngen und Rheinbach wegen Beihilfe zum Hochverrat je 5 Jahre Zuchthaus, 10 Jahre Ehrverlust und Polizeiaufsicht, gegen Töllner beantrage ich aus den bereits angeführten Gründen die Freisprechung. – Vert. Rechtsanwalt Dr. Thomsen (für Rupsch): Wenn ich mich meiner gesetzlichen Pflicht als Offizialverteidiger unterziehe, so muß ich bekennen, ich habe es anfänglich auch nicht für glaubhaft gehalten, daß Rupsch den Auftrag von Reinsdorf nur scheinbar übernommen hat, um sich auf Kosten anderer die Enthüllungsfeier anzusehen. Er mußte sich sagen, daß das Vergnügen die große Gefahr, der er sich dabei aussetze, nicht aufwiegt. Allein, nachdem ich den Rupsch näher kennen gelernt, bin ich doch zu der Ansicht gelangt, daß die Richtigkeit seiner Behauptung immerhin möglich war. Ich will absehen davon, daß als Hauptzeuge der Angeklagte Küchler gegen ihn aufgetreten ist. Allein fest steht, daß Rupsch in geistiger und moralischer Beziehung ein so wenig entwickelter und außerdem ein noch so junger und unerfahrener Mensch ist, daß ihm die von ihm behauptete Handlungsweise wohl zuzutrauen ist. Wenn die Oberreichsanwaltschaft sagt: Es ist auffallend, daß Rupsch vor den Leuten nicht geflüchtet ist, so ist zu erwägen, daß Holzhauer die Drohung zu ihm geäußert: „Wenn du etwas verrätst, so wirst du erschossen, wo du dich auch befinden magst.“ Der Terrorismus unter den Anarchisten läßt es wohl erklärlich erscheinen, daß Rupsch die Verbindung mit ihnen nicht ohne weiteres abbrach. Ganz besonders spricht aber für die Wahrheit seiner Behauptung sein Verhalten bei seiner Verhaftung. Er kaufte sich bekanntlich auf dem Bahnhof zu Rüdesheim eine Photographie von dem Niederwalddenkmal für 30 Pf. Kaum war er aber in Elberfeld angelangt, so verlangte er in ganz ungestümer Weise, obwohl er wissen mußte, was ihm bevorsteht, die Photographie. Dies Verlangen ist ein so kindliches, daß man wohl zu der Annahme gelangen kann: seine Behauptungen sind wahr. Daß dieser junge Mann sozialdemokratische Redensarten geführt hat, dürfte wohl nicht ernst aufzufassen sein. Was nun den objektiven Tatbestand anlangt, so spricht doch wesentlich dafür, daß er zum mindesten im letzten Augenblick die Explosion vereitelt hat, denn fest steht, daß die Zündschnur und der Schwamm, der auf dem Niederwald angeblich versagte, in Rüdesheim wirkungsvoll war, obgleich sowohl Zündschnur als Schwamm im nassen Walde aufbewahrt waren. Daß zehn Schritt von der Festhalle in Rüdesheim eine Vertiefung nicht gefunden wurde, beweist noch nicht, daß die Angaben des Rupsch falsch seien. Ob wirklich gleich nach der Tat nach einer solchen Vertiefung gesucht wurde, erscheint mir wenig glaubhaft. Was das beantragte Strafmaß anlangt, so habe ich nichts dagegen zu bemerken. – Vert. Justizrat Bussenius (für Küchler): Ich bin als Offizialverteidiger beauftragt worden, den Küchler zu verteidigen. Küchler behauptet, er habe den Rupsch begleitet, um das Verbrechen zu verhindern. Diese seine Behauptung wird auch bestätigt durch die Aussagen des Zeugen Palm, wonach Küchler schon vor der Reise nach Rüdesheim gesagt hat: Sollte etwas unternommen werden, dann würde er es zu verhindern suchen, und ferner, daß er in öffentlicher Versammlung, bloß um 9 Mark für Einlösung seiner Uhr zu erlangen, die Einzelheiten der Tat anstandslos erzählte. So handelt nicht ein schuldbewußter Mensch. Gegen Küchler spricht hauptsächlich die Aussage des Rupsch. Ob diesem aber voller Glaube beizumessen ist, überlasse ich der Beurteilung des hohen Gerichtshofes. Nimmt man an, daß Küchlers Angaben unwahr sind, so ist doch Küchler jedenfalls nur wegen Beihilfe zu bestrafen. Küchler hat nachweislich in der Tat nichts begangen, was auf seine direkte Täterschaft schließen läßt. Er hatte auch von Reinsdorf nur den Auftrag, als Deckung, gewissermaßen als Wächter mitzugehen. Ob der § 46 auch beim Hochverrat in Anwendung kommen kann, überlasse ich dem hohen Gerichtshof. Daß Küchler an dem Attentat in Rüdesheim beteiligt ist, ist in keiner Weise nachgewiesen. Ich beantrage also, wenn eine Freisprechung meines Klienten nicht erfolgen kann, bloß auf eine zeitige Zuchthausstrafe zu erkennen. – Vert. Rechtsanwalt Dr. Seelig für Holzhauer, Bachmann, Söhngen, Rheinbach und Töllner: Ich werde mich zunächst mit meinem Klienten Holzhauer beschäftigen. Ich hege Zweifel an den Angaben des Rupsch, daß Holzhauer ihm das Dynamit gegeben hat, vielmehr glaubhaft scheint es mir, daß Rupsch, der selbst Dynamit besaß, und wie er vorgab, auch solches anzufertigen verstand, eigenhändig in dem Garten des Holzhauer, bei dem er bekanntlich wohnte, Dyna- mit vergraben hatte. Daß es dem Rupsch gegenüber, dem Reinsdorf alles bereits in ausführlichster Weise auseinandergesetzt hatte, einer Instruktion seitens des Holzhauer noch bedurfte, kann ich auch nicht glauben. Nun wird aus dem Umstande, daß Holzhauer, Söhngen und Rheinbach mit der Hergabe des Geldes es sehr eilig hatten, die Beihilfe zu dem Verbrechen geschlossen. Wenn man erwägt, daß Rupsch vorgab, am folgenden Morgen abreisen zu wollen, dann wird man in der Eile, mit der die Angeklagten das Geld beschafften, noch keine Schuld finden. Es erscheint aber zweifelhaft, ob und inwieweit Gehilfen bei einem nicht zur Ausführung gekommenen Verbrechen zu bestrafen seien. Ob der § 46 auch auf das Verbrechen des Hochverrats Anwendung zu finden hat, überlasse ich, gleich meinem Herrn Mitverteidiger, dem Ermessen des hohen Gerichtshofes. Ich bin aber prinzipaliter der Meinung, daß der Beweis einer Schuld der Angeklagten Holzhauer, Söhngen und Rheinbach nicht erwiesen ist. Bezüglich des Angeklagten Töllner schließe ich mich dem Antrage des Herrn Vertreters der Oberreichsanwaltschaft an. Es steht zweifellos fest, daß Töllner an jenem Abende sinnlos betrunken war, er mithin keine Ahnung hatte, zu welchem Zwecke er das Geld hergab. Was den Angeklagten Bachmann anlangt, so hat mir sein ganzes Verhalten in der Verhandlung die Überzeugung beigebracht, daß seine Erzählung: als wollte er nur einen Schreck herbeiführen, wahr ist; daß er von Reinsdorf für seine Tat Geld erhalten hat, ist ebensowenig erwiesen, wie daß er die Wirkung des Dynamits gekannt hat. Ich beantrage daher, ihn nicht auf Grund des § 306, al. 2, sondern ihn bloß auf Grund des § 308 des Strafgesetzbuches zu bestrafen. Bei Abmessung der Strafe bitte ich in Betracht zu ziehen, daß Bachmann Werkzeug in der Hand des Reinsdorf war und bisher unbescholten ist. – Die Angeklagten, die sämtlich die Plaidoyers mit der größten Gleichgültigkeit anhörten, ließen es sich während der Pause ganz gut schmecken. Sie wurden nämlich nicht hinausgeführt, sondern nahmen ihr Mittagbrot auf der Anklagebank sitzend ein. Nach Wiederaufnahme der Verhandlung nahm das Wort Vert. Justizrat Fenner (für Reinsdorf): Ich bin als Verteidiger des Angeklagten Reinsdorf bestellt, Reinsdorf ist dreier Verbrechen beschuldigt: des Attentats in Elberfeld, des Attentats auf dem Niederwald und des Attentats in Rüdesheim. Was das letzte Attentat anlangt, so erübrigt es sich wohl, mich hierüber weiter zu äußern. Die Verhandlung hat nicht das mindeste ergeben, was für die Beteiligung des Reinsdorf an diesem Verbrechen spricht. Es bleiben also die Attentate auf dem Niederwald und in Elberfeld. Bezüglich des Niederwalddenkmals haben mir meine Herren Mitverteidiger meine Aufgabe wesentlich erleichtert. Bezüglich des Attentats in Elberfeld teile ich vollständig die Auffassung des Herrn Rechtsanwalts Dr. Seelig. Jemand, der in einer volkreichen Stadt morden will, sucht sich nicht ein menschenleeres Zimmer aus. Reinsdorf leugnet, den Bachmann angestiftet zu haben, und wir haben keinen Grund, diese Behauptung ihm nicht zu glauben, denn es wäre eigentümlich, daß er das große Verbrechen eingesteht und das kleinere leugnet. Das Attentat auf dem Niederwald hat das eigentümliche, daß ein objektiver Tatbestand nicht vorhanden ist. Wir haben davon nur Kenntnis durch die Aussagen der dabei beteiligt gewesenen Rupsch und Küchler. Ich glaube, der Herr Vertreter der Oberreichsanwaltschaft hat sich seine Aufgabe etwas zu leicht gemacht. Er erachtet den Rupsch für schuldig auf Grund der Aussagen des Küchler, und den Küchler auf Grund der Aussagen des Rupsch. Ich bin der Meinung, wenn man sich auf diesen Standpunkt stellt, dann darf man beiden nicht glauben. Glauben darf man ihnen nur, insoweit ihre Aussagen übereinstimmen. Und was bekunden sie übereinstimmend? Daß sie das Gefäß in die Dränage gelegt und die Zündschnur und den Schwamm daran befestigt haben. In allen übrigen Punkten gehen ihre Aussagen auseinander. Beide besitzen einen Bildungsgrad, der sie nicht unterscheiden läßt, was zu ihrer Entlastung dient. Die Aussagen von Rupsch und Küchler bilden aus diesem Grunde ein Gewirr von Wahrheit und Unwahrheit, daß der unparteiische Richter nur schwer ermessen kann, wo die Wahrheit beginnt und die Unwahrheit aufhört. Es ist immerhin sehr gewagt, auf Grund einer Aussage eines Mitgefangenen ein Urteil abzugeben. Man kann wohl auf die Aussage eines einzelnen Menschen, wenn er glaubwürdig ist, drei Menschen zum Tode verurteilen, nicht aber auf Grund einer unbeeideten Aussage eines Mitgefangenen. Nun kommt allerdings das Zeugnis Palms hinzu. Ich muß aber bekennen, und der hohe Gerichtshof scheint ja diese Auffassung zu teilen, ich messe allen acht Angeklagten mehr Glauben als dem Zeugen Palm bei. Jedenfalls steht soviel fest, dem Rupsch, der gleich von Anfang an die Aussage wie hier gemacht hat, ist mehr Glauben beizulegen als dem Küchler. Nimmt man das aber an, dann muß man zu der Annahme gelangen, daß nur eine vorbereitende Handlung zum Hochverrat vorliegt. Das Dynamit und die Zündschnur waren gelegt, etwas weiteres ist nicht erwiesen. Dies sind aber nur vorbereitende Handlungen zum Hochverrat. Der Versuch ist erst dann gemacht, wenn die Zündschnur angesteckt ist. Solange dies nicht geschehen ist, sind bloß vorbereitende Handlungen zum Hochverrat begangen. Wenn jemand irgendwo einsteigt, um zu morden, so ist das bloße Einsteigen kein Mordversuch. Ich gehe nun zu der Frage der Anstiftung über. Man wird sagen, wie kann man in dieser Beziehung noch ein Wort verlieren, nachdem Reinsdorf sich so offen als schuldig bekannt hat. Allein man darf nicht vergessen, daß ein Schuldbekenntnis immer noch nicht überzeugend für die Schuld des Angeklagten spricht. Daß Reinsdorf sagt: er scheue sich nicht, das Schaffot zu besteigen, ist erklärlich, wenn man erwägt, daß er als völlig brustkranker Mensch ohnehin nicht mehr lange zu leben hat. Warum soll er in solchem Falle einem Tode im Zuchthause nicht ein sofortiges Sterben auf dem Schaffot vorziehen, um so mehr, da er annimmt, daß seiner Sache dadurch gedient ist und er berühmt wird. Diese seine Äußerung: er wisse, daß er hingerichtet werde, spricht also noch nicht für seine volle Schuld? Herostrat wäre, wenn er bloß vor Gericht gesagt hätte er habe den Tempel der Diana zu Ephesus angesteckt, ebenso berühmt geworden, als durch den Umstand, daß er in der Tat den Tempel angesteckt hat. Reinsdorf soll nun Rupsch und Küchler angestiftet haben, den Kaiser zu töten. Allein die Instruktion, die Reinsdorf den beiden gab, war nicht geeignet, eine Tötung des Kaisers herbeizuführen. Nach den Auslassungen des Reinsdorf bin ich der Meinung: es ist den Angeklagten nicht darauf angekommen, den Kaiser zu töten, denn der Kaiser hat ihnen in Wirklichkeit nichts getan. Sie wollten eine Explosion vollführen, um, wie sie sich ausdrückten, den herrschenden Klassen von der bevorstehenden Unsicherheit Kenntnis zu geben. Ich glaube demnach, daß eine Verurteilung nach § 80 des Strafgesetzbuches nicht wird erfolgen können. Der gegenwärtige Prozeß ist ein politischer, die Angeklagten sind politische Verbrecher. Bei derartigen Prozessen ist die Richterbank gewöhnlich aus politischen Gegnern zusammengesetzt; dieser Prozeß hat aber das eigentümliche, daß nicht bloß die Richterbank, sondern auch die Verteidigerbank aus politischen Gegnern der Angeklagten zusammengesetzt ist. Es hat mich deshalb gefreut, daß der Herr Vertreter der Oberreichsanwaltschaft alle politischen Anzüglichkeiten aus dem Spiele gelassen hat, daß er es z. B. unterlassen hat, an den Patriotismus des hohen Gerichtshofes zu appellieren. Ich bin nun bemüht gewesen, meine eigene politische Überzeugung in den Hintergrund zu drängen und mich auf den politischen Standpunkt der Angeklagten zu stellen. Ich glaube, der hohe Gerichtshof wird bei der Beurteilung der Sache nicht außer acht lassen, daß die Angeklagten sich in politischer und sozialer Beziehung bedrückt glauben, und daß sie die Handlungen begangen haben, um ihrer Ansicht nach bessere politische und gesellschaftliche Zustände herbeizuführen. – Oberreichsanwalt Dr. Freiherr v. Seckendorff: Ich kann nicht umhin, die Auslassungen der Angeklagten als unerhört zu bezeichnen. Es kommt vor, daß ein Angeklagter die Schuld der andern auf sich nimmt. Selten habe ich es aber gehört, daß ein Angeklagter sich immer auf Kosten des andern zu entlasten sucht. Der Gang der Verhandlungen hat den vollen Beweis geliefert, daß Rupsch und Küchler alles taten, um das Verbrechen zu vollführen. Der Umstand, daß Rupsch einen neuen Schwamm an die Schnur befestigte und diesen noch einmal anzündete, beweist, mit welch zäher Konsequenz beide das Verbrechen ausführten. Daß die Explosion trotzdem auch zum zweitenmal nicht erfolgte, ist einer höheren Hand, der Hand der Vorsehung zu danken. Wenn einer der Herren Verteidiger gesagt hat: die Zündschnur hätte sich in Rüdesheim entzündet, sie wäre mithin auch auf dem Niederwald noch explosionsfähig gewesen, dann erwidere ich: am 28. September regnete es nicht und die Zündschnur konnte mithin bis zum Abend wohl trocken sein. Im übrigen hat ja der Angeklagte Reinsdorf selbst mit größter Offenheit bekannt, daß es in seiner Absicht gelegen habe, Se. Majestät den Kaiser zu töten, und daß Rupsch und Küchler seinen Auftrag vollständig verstanden haben. Es dürfte mithin kein Zweifel bestehen, daß hier Hochverrat im Sinne des § 80 des Strafgesetzbuches vorliegt. Nach noch kurzer Replik und Duplik des Vertreters der Ober-Reichsanwaltschaft, Staatsanwalts Treplin, und den Verteidigern, erhielt das Wort zur Verteidigung Angeklagter Reinsdorf: Es haben zwei Attentate stattgefunden, das eine in Elberfeld, das andere an der Festhalle zu Rüdesheim. Es hat ferner die Absicht bestanden, ein Attentat auf dem Niederwald zu begehen, um gegen die Enthüllungsfeier des Niederwalddenkmals zu demonstrieren. Dieses Attentat ist leider mißglückt. Ich bin der Überzeugung, daß daran nicht die höhere Hand der Vorsehung, sondern die Hand des Rupsch schuld ist. Nun bedenke man, mit welchem Menschenmaterial diese Attentate ausgeführt wurden. Diese Leute erzählen ihre Taten offen vor aller Welt, als wenn es überhaupt keine Polizei gäbe. Und trotzdem wissen wir, wie groß das Polizeiheer in Zivil und Uniform in Deutschland ist. Allein erst nach vollen 6 Monaten kamen die Attentate zur Kenntnis der Behörde, aber keineswegs durch die Ermittelung der Polizei, sondern durch Verräter. Was tut denn bei uns die Polizei? Sie nimmt am frühen Morgen oder späten Abend, wenn sie die Leute zu Hause glaubt, Verhaftungen und Haussuchungen vor, und stört dadurch aufs empfindlichste das Familienleben, denn alle diejenigen, die einmal einen derartigen Besuch erhalten, sind bei ihren Nachbarn und Freunden sofort für immer gekennzeichnet. Man spricht von der Heiligkeit der Familie. Ist das Verfahren der politischen Polizei vielleicht eine Heilighaltung der Familie? Die Polizei nimmt ferner keinen Anstand, Leute zu verführen… – Vors.: Diese Angriffe auf die Polizei gehören nicht zu Ihrer Verteidigung. – Reinsdorf: Doch, Sie werden sofort sehen, Herr Präsident, daß sie wohl zu meiner Verteidigung dienen. Ich bemerke also, die Polizei verführt Sozialdemokraten, um ihre eigenen Genossen zu verraten und bezahlt somit ein ganzes Heer von Spitzeln. Jeder Polizeikommissar hat nun wiederum seine eigenen Zuträger, wie wir es aus den Bekundungen des Polizeikommissars Gottschalk hier erfahren haben. Es liegt sehr nahe, daß Weidenmüller auf Veranlassung der Polizei nach Amerika gegangen ist, um dort Spionendienste zu tun. Wird nun ein solcher Polizeimann nach seinen Quellen gefragt, dann hat er das Recht, sich hinter das Dienstgeheimnis zu stecken und die Aussage zu verweigern. Hätte Gottschalk hier offen antworten müssen, dann hätten wir vielleicht erfahren, woher Palm die 40 Mark hatte, die er dem Küchler gab. Es hätte sich alsdann vielleicht herausgestellt, daß Küchler durch die indirekte Schuld der Polizei nach Rüdesheim gereist ist. Allerdings wäre ja ohne die 40 Mark das Attentat auf dem Niederwald auch gemacht worden, denn Rupsch wäre dann einfach allein gereist. So aber muß Küchler ebenso wie Rupsch das Schaffot besteigen. So hat die Polizei in Deutschland überall ihre Hand im Spiele. Sie beschlagnahmt auf der Post Briefe. – Vors.: Ich muß dem Angeklagten bemerken, daß die Polizei eine Beschlagnahme von Briefen gar nicht vornehmen kann, das kann lediglich auf richterlichen Beschluß erfolgen. Ich ersuche Sie aber, jetzt zu Ihrer Verteidigung überzugehen. – Reinsdorf: Nun, mein Herr Verteidiger hat sich alle Mühe gegeben, meinen Kopf zu retten; ich sage ihm dafür meinen besten Dank. Allein ich bemerke, wenn ich noch zehn Köpfe hätte, dann würde ich sie mit Freuden opfern, um diese elende, erbärmliche Gesellschaft. – Vors.: Ich kann nicht dulden, daß Sie derartige Beleidigungen aussprechen. – R.: Ich frage, was ist denn bisher für die Arbeiter geschehen? Man sagt: die Regierung hat das Kranken- und Unfallversicherungsgesetz gegeben. Man vergißt bloß, daß daneben das Sozialistengesetz und der Belagerungszustand besteht, und daß, sobald ein Arbeiter aus einem Orte ausgewiesen, er gewissermaßen aus ganz Deutschland ausgewiesen ist. Er muß ins Ausland gehen und auch dorthin verfolgt ihn noch die Polizei. Die Lage der Arbeiter in Deutschland ist eine zu traurige, als daß solche Brosamen, wie sie seitens der Regierung gezeigt werden, helfen können. Der Herr Reichsanwalt sagte: Man steht vor einer ernsten Tatsache. Ernst sind aber ganz besonders die Ursachen, die die Tatsachen, die hier zur Verhandlung gekommen, geschaffen haben. Oder glauben Sie vielleicht, daß alle diese Leute, die hier sitzen, zum Vergnügen die Attentate begangen haben? Und erwägen Sie doch, daß es noch eine unendlich große Zahl gibt, die gleich mir zu Begehung solcher Attentate sofort bereit sind! Der Herr Reichsanwalt sagte: Jeder Christenmensch muß zurückschrecken vor solchen Verbrechen. Ja, warum schrecken denn die Christenmenschen nicht vor der Ausbeutung der Arbeit zurück? Wenn die Arbeiter sich die Ausbeutung ruhig gefallen lassen würden, ohne dagegen etwas zu unternehmen, dann müßte der Kulturfreund verzweifeln und die Arbeiter wären wert, ausgebeutet zu werden. Die Arbeiter werden sich die Ausbeutung aber nicht länger gefallen lassen, sie haben Dynamit genug, denn sie sind diejenigen, die das Dynamit bereiten. Wenn die Zustände nicht bald besser werden, dann ist kein Bourgeois auf der Straße oder im Kasino mehr sicher – Vors.: Ich kann es nicht dulden, daß Sie derartige Drohungen ausstoßen. – R.: Nun, ich werde schließen und bemerke nur noch: Ehe ich langsam im Zuchthause sterbe, sterbe ich lieber schnell auf dem Schaffot. – Die Angeklagten Rupsch und Küchler beteuerten mit weinerlicher Stimme ihre Unschuld. Rupsch sagte mit weinender Stimme: Sollte ich zum Tode verurteilt werden, dann bitte ich, Sr. Majestät dem Kaiser vorgestellt zu werden oder mir wenigstens zu gestatten, an diesen ein Gnadengesuch zu richten. – Bachmann: Er habe niemanden töten, sondern der Bourgeoisie bloß einen Schreck einjagen wollen. – Die übrigen Angeklagten baten um Freisprechung. – Am sechsten Verhandlungstage wurde

das Urteil

gesprochen.

Unter lautloser Stille des überfüllten Zuhörerraums verkündete der Vorsitzende, Senatspräsident Drenkmann: Der Gerichtshof hat für Recht erkannt, daß der Angeklagte Bachmann wegen versuchten Mordes und Brandstiftung mit 10 Jahren Zuchthaus, 10 Jahren Ehrverlust und Polizeiaufsicht, Angeklagter Rupsch wegen Hochverrats mit dem Tode und dem Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, außerdem wegen versuchten Mordes und Brandstiftung mit 12 Jahren Zuchthaus, 10 Jahren Ehrverlust und Polizeiaufsicht, der Angeklagte Küchler wegen Hochverrats mit dem Tode und Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, ferner wegen versuchten Mordes und Brandstiftung mit 12 Jahren Zuchthaus, 10 Jahren Ehrverlust und Polizeiaufsicht, der Angeklagte Reinsdorf wegen Anstiftung zum Hochverrat mit dem Tode und Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, und wegen Anstiftung zum versuchten Morde und zur Brandstiftung mit 15 Jahren Zuchthaus, 10 Jahren Ehrverlust und Polizeiaufsicht zu bestrafen, dagegen der Angeklagte Reinsdorf wegen Anstiftung eines weiteren versuchten Mordes und Brandstiftung freizusprechen, der Angeklagte Holzhauer wegen Beihilfe zum Hochverrat mit 10 Jahren Zuchthaus, 10 Jahren Ehrverlust, wegen Beihilfe zum versuchten Morde und zur Brandstiftung freizusprechen, daß ferner die Angeklagten Söhngen, Rheinbach und Töllner von der Anklage wegen Beihilfe zum Hochverrat und wegen Beihilfe zum versuchten Morde und zur Brandstiftung freizusprechen und daß die Kosten des Verfahrens den verurteilten Angeklagten zur Last zu legen seien. Die Gründe sind folgende: Es sind zwei Attentate zur Ausführung gelangt, das eine in dem Willemsenschen Lokale zu Elberfeld, das andere in einer Festhalle zu Rüdesheim. Ein drittes Attentat auf dem Niederwald ist versucht worden, jedoch nicht zur Ausführung gekommen. Das Attentat in dem Willemsenschen Lokale zu Elberfeld ist am 4. September 1883 passiert. Dies hat in dem betreffenden Gebäude einen erheblichen Schaden angerichtet. Es ist außerdem vollführt worden zu einer Zeit, als sich etwa 30 Ärzte in einem Nebenlokale befanden. Der Angeklagte Bachmann, der einmal sich selbst als Täter bekannt, andrerseits vom Kellner Fricke auf das Bestimmteste wiedererkannt worden ist, hat nach Lage der Dinge unzweifelhaft die Absicht gehabt, nicht bloß eine Brandstiftung zu begehen, sondern auch Menschen zu töten. Der in der Nähe gewesene Kellner Fricke ist im übrigen durch die Explosion sehr erheblich verwundet worden, andrerseits mußte B. sehen, daß noch eine Anzahl anderer Menschen im Lokale sich aufhielten. Es ist zu erwägen, daß das Attentat von Bachmann, Reinsdorf und dem flüchtig gewordenen Weidenmüller lange vorher geplant worden ist, und zwar sollte es unternommen werden, weil in jenem Lokale die besitzenden Klassen verkehren. Hieraus, aber auch aus dem ferneren Umstande, daß Bachmann längere Zeit im Lokale gesessen, ehe er das Attentat vollführte, geht hervor, daß er mit voller Überlegung gehandelt hat. Es ist des weiteren zu erwägen, daß Bachmann ein hervorragendes Mitglied der Anarchistenpartei war, daß noch bei seiner Verhaftung mehrere Exemplare der „Freiheit“ bei ihm gefunden wurden, ein Blatt, das in wildester Sprache die Propaganda der Tat empfiehlt, Dynamitattentate glorifiziert und über die Handhabung des Dynamits technische Vorschläge gibt. Dem Leser eines solchen Blattes konnte mithin die Wirkung des Dynamits nicht unbekannt sein. Der Gerichtshof ist daher der Ansicht, daß Bachmann nicht bloß wegen Brandstiftung im Sinne des § 306 al. 3 und § 311 des Strafgesetzbuches, sondern auch wegen versuchten Mordes zu bestrafen ist. Hierbei ist in Betracht zu ziehen, daß der Mordversuch nicht gegen einen einzelnen Menschen, sondern gegen eine größere Volksmenge begangen ist und daß er begangen war aus Haß gegen die besitzenden Klassen. Der Gerichtshof erblickt daher in der Handlungsweise des Bachmann eine ehrlose Gesinnung und hat deshalb neben einer zehnjährigen Zuchthausstrafe auf 10 Jahre Ehrverlust und Polizeiaufsicht erkannt. Zweifellos steht nach den Ergebnissen der Beweisaufnahme fest, daß Reinsdorf den Bachmann zu der Tat angestiftet hat. Der Anstifter ist gleich dem Täter zu bestrafen, es ist deshalb wegen dieses Vergehens gegen Reinsdorf eine 15jährige Zuchthausstrafe, 10 Jahre Ehrverlust und Polizeiaufsicht erkannt worden. Ich komme nun zu dem Attentate auf dem Niederwald. Rupsch und Küchler sind beschuldigt, hierbei als Täter, Reinsdorf als Anstifter gewirkt zu haben. Schon am 9. September hat eine Konferenz stattgefunden, in welcher Reinsdorf vorschlug, bei der Enthüllungsfeier des Niederwalddenkmals etwas zu begehen. Reinsdorf wollte selbst nach Rüdesheim reisen. Am 23. September sagte jedoch Küchler dem Rupsch: er solle zu Reinsdorf, der zurzeit im Krankenhause lag, gehen, dieser habe ihn ausersehen, zu der Enthüllungsfeier zu fahren und dort Se. Majestät den Kaiser, den Deutschen Kronprinzen und alle Generale, wie Küchler sich ausdrückte, zu töten. Rupsch leistete dieser Aufforderung des Küchler auch sofort Folge und nachdem ihm Reinsdorf den Auftrag persönlich mitgeteilt und er von Holzhauer das Dynamit und das nötige Reisegeld erhalten hatte, reiste er in Begleitung des Küchler nach Rüdesheim. Hier handelten beide in sehr wohlüberlegter Weise. Sie suchten sich am Abende vorher zunächst den Ort aus, wo- hin sie das Dynamit legen wollten, holten es alsdann und verbanden es mit einer bis in den Wald sich hinziehenden Zündschnur, welch letztere sie mit Gras, Laub und Erde bedeckten. Am folgenden Tage waren sie bemüht, die Explosion zu vollführen, dies gelang ihnen jedoch nicht. Es entsteht nun hier die Frage: Ist die ganze Geschichte glaubhaft, da ein objektiver Tatbestand nicht vorliegt? Der Gerichtshof hat die volle Überzeugung gewonnen, daß die Explosion in der von den Angeklagten erzählten Weise versucht worden ist. Es entsteht die Frage: sind hier Handlungen begangen worden, die einen Anfang der Aus- führung des beabsichtigten, aber nicht zur Vollendung gekommenen Verbrechens betätigt haben, oder sind nur vorbereitende Handlungen zum Hochverrat begangen worden? Der Gerichtshof hat die erstere Frage bejaht, und zwar aus dem Grunde, da Rupsch die Zündschnur bereits entzündet hatte. Der Gerichtshof hält in dieser Beziehung die Aussage des Küchler für glaubwürdig, daß Rupsch zunächst den Schwamm entzündete, dieser aber infolge der großen Nässe nicht brennen wollte, daß Rupsch alsdann neuen Schwamm von ihm forderte, aber das Anzünden des letzteren ebenfalls wirkungslos blieb, da die Zündschnur vollständig durchnäßt war. Es steht nun fest, daß es in der Nacht vom 27. zum 28. September 1883 sehr geregnet hat und nach den Bekundungen des Sachverständigen, Major Pagenstecher, ist es daher ganz erklärlich, daß die Explosion nicht erfolgte. Daß Rupsch die Zündschnur durchschnitten, um die Explosion zu vereiteln, glaubt der Gerichtshof nicht. Einmal erscheint es sehr unglaublich, daß er die Schnur zunächst mit einer kalten Zigarre entzündet hat, denn diese Manipulation konnte bloß einen Zweck haben, um den Küchler zu überzeugen, daß die Zündschnur nicht anbrennen wolle. Er mußte sich sagen, daß Küchler sehen werde, der Schwamm habe überhaupt nicht einmal geglimmt. Der Gerichtshof ist aber im übrigen der Meinung, Rupsch ist gar nicht willens gewesen, das Attentat zu vereiteln, denn einmal behauptet er selbst nicht, daß er nach Rüdesheim gefahren sei, um das Attentat zu vereiteln, sondern um sich auf Kosten anderer zu amüsieren und andererseits ist der Gerichtshof der Meinung, wenn es dem Rupsch mit der Verhinderung des Attentats ernst gewesen wäre, dann hätte er nicht nötig gehabt, die Einschnitte in die Baumstämme zu machen, um am folgenden Tage die Zündschnur wiederzufinden. Für seine fernere Schuld spricht, daß, nachdem das Attentat mißlungen, er gleich darauf den Entschluß faßte, die Festhalle in Rüdesheim in die Luft zu sprengen und diesen Entschluß auch zur Ausführung brachte. Es ist undenkbar, daß jemand, der soeben von der Begehung eines Mordes freiwillig Abstand genommen hat, sofort den Entschluß faßt, einen anderen Mord zu begehen. Küchler ist nun gleich dem Rupsch als Täter zu bestrafen. Er hat nicht bloß Wache gestanden, er nahm an der Legung des Dynamits teil, wickelte die mit dem Dynamit verbundene Zündschnur auf und half dem Rupsch neuen Schwamm suchen. Dies alles sind Handlungen, die zweifellos für die Mittäterschaft sprechen. Daß Küchler nur mitgereist war, um das Attentat zu verhindern, kann ihm in keiner Weise geglaubt werden. Er leugnete anfänglich, den Rupsch überhaupt zu kennen, suchte durch seine Verwandten einen Alibibeweis zu führen, und als ihm nachgewiesen wurde, daß er in Koblenz seine Uhr versetzt habe, gab er dies wohl zu, leugnete aber immer noch, überhaupt auf dem Niederwald gewesen zu sein. Noch in den jüngsten Tagen hat man einen „Kassiber“ bei ihm gefunden, in welchem er seine Verwandten um Geld bat, um seine Flucht zu bewerkstelligen. Erst hier in der Verhandlung ließ er sich zu dem Geständnis herbei, dabei gewesen zu sein, dies sei aber nur geschehen, um das Attentat zu verhindern. Ist es einmal unglaubhaft, daß zwei Leute die Begehung eines Attentats unternehmen, um die Ausführung zu verhindern, so hat Küchler absolut nichts getan, um das Attentat zu vereiteln. Er sagt wohl: er habe deshalb das Dynamit in die Drainage gelegt, weil er hoffte, es werde Wasser hineinkommen, und daß alsdann das Dynamit wirkungslos bleiben werde. Er mußte sich jedoch aber auch sagen, daß seine Hoffnung ihn täuschen und daß nicht soviel Wasser in die Drainage kommen könnte, um die Wirkung zu verhindern. Daß bei Rupsch und Küchler die Absicht vorgewaltet hat, Se. Majestät den Kaiser, den deutschen Kronprinzen nebst Umgebung zu töten, steht außer allem Zweifel. Dafür spricht die bekannte Äußerung des Küchler zu Rupsch und das Geständnis von Reinsdorf selbst, der dem Rupsch ganz direkt gesagt hat: er solle die Explosion vollführen, um Se. Majestät den Kaiser, den deutschen Kronprinzen und die deutschen Bundesfürsten zu töten. Daß auch die volle Absicht bei beiden Angeklagten obgewaltet hat, geht aus der Erzählung des Rupsch hervor, der bekundet hat: Er solle das erstemal den Wagen des Kaisers auf 50 oder 150 Schritt herankommen lassen und das zweitemal die Explosion dann vollführen, wenn das letzte Hoch auf Se. Majestät den Kaiser ertönt war, ein programmmäßiges Zeichen, daß der Festzug, an der Spitze der kaiserliche Wagen, zurückkomme. Daß die Explosion, wenn sie nicht durch den Regen vereitelt worden wäre, objektiv geeignet gewesen wäre, die Insassen der vorüberfahrenden Wagen zu töten, hat uns der Sachverständige, Herr Major Pagenstecher bekundet. Es ist nun in Erwägung zu ziehen, daß Rupsch den anarchistischen Ideen huldigte, daß er ein eifriger Leser der „Freiheit“ war, daß, als er bei seinem Prinzipal einmal einen Diebstahl beging, er zur Rede gestellt, antwortete, „Eigentum ist Diebstahl“, daß er ferner äußerte: Es sei ihm ein Leichtes, 500 Gesinnungsgenossen zusammenzubringen, er könne aus Säuren Dynamit bereiten, ja daß er sogar einmal über sein Treiben zur Rede gestellt, antwortete: „Es ist mir sehr gleichgültig, auf welche Art ich zugrunde gehe, werde ich einmal gefaßt, dann nehme ich eine Nitroglyzerin-Hülse in den Mund und töte mich selbst.“ Es besteht ferner kein Zweifel, daß Reinsdorf gewußt hat, Rupsch sei der geeignete Mensch zur Ausführung des Attentats und wenn Reinsdorf dem Rupsch den Küchler noch zur Begleitung mitgab, so geschah dies nicht, weil er an der Zuverlässigkeit des Rupsch, sondern nur weil er an seinem Mut etwas zweifelte. Was nun den Küchler anlangt, so zählte dieser ebenfalls zu den eifrigsten Anhängern der anarchistischen Partei und beherbergte sogar längere Zeit den Reinsdorf. Reinsdorf bekennt frei und offen, daß er die Angeklagten Rupsch und Küchler angestiftet hat, nach dem Niederwald zu reisen und dort Se. Majestät den Kaiser, den deutschen Kronprinzen und überhaupt alle dort versammelten deutschen Bundesfürsten zu töten. Er sagte dem Rupsch: Eine solche Gelegenheit, wie die Enthüllungsfeier, biete sich nicht wieder, dort sei die ganze Gesellschaft zusammen. Ja, Reinsdorf bekennt frei und offen: er habe die Absicht gehabt, eine Ermordung des Kaisers zu veranlassen, er bezeichnet diese Tat als eine Notwendigkeit zur Ausführung seiner anarchistischen Ideen und sagt: es sei besser, daß einer stirbt, als daß für Einen Hunderttausende hingeschlachtet werden sollen. Danach ist Reinsdorf als Anstifter des Hochverrats zu bestrafen. Es ist nun in Erwägung zu ziehen, in welch schleichender Weise das Verbrechen zur Ausführung gebracht werden sollte. Während die Täter selbst in Sicherheit waren, sollte eine Explosion erfolgen, die geeignet war, eine große Anzahl von Menschen zu töten und zwar an einem Tage, der für ganz Deutschland ein Nationalfesttag war. Es ist des weiteren zu erwägen, daß gegen Se. Majestät den Kaiser der Mordversuch zunächst gerichtet war, der Landesherr von Rupsch, Küchler und Reinsdorf ist. Es ist den Angeklagten nicht gelungen, den Nachweis zu führen, daß sie aus politischen Motiven gehandelt haben. Das Verbrechen ist demnach eine ehrlose Handlung, es mußte mithin neben der Todesstrafe auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. Was nun den Angeklagten Holzhauer anlangt, so hat sein Haus offenbar den Herd der anarchistischen Bewegung in Barmen-Elberfeld gebildet. In seiner Wohnung fanden mehrfach Zusammenkünfte statt, in denen Verschwörungen geplant wurden. Der Gerichtshof hat die Überzeugung gewonnen, daß Holzhauer dem Rupsch das Dynamit übergeben, ihn ebenfalls mit Instruktionen versehen und ihm durch Sammlungen das nötige Reisegeld verschafft hat. Ohne Holzhauer säßen Söhngen, Rheinbach und Töllner nicht auf der Anklagebank. Er hat diese zur Geldhergabe des Reisegeldes an Rupsch verleitet. Daß Holzhauer gleich Reinsdorf, Rupsch und Küchler mit voller Überlegung gehandelt hat, daß er wußte: es handle sich um die Tötung Sr. Majestät des Kaisers, ist zweifellos erwiesen, Holzhauer war deshalb, wie geschehen, wegen Beihilfe zum Hochverrat zu bestrafen. Bezüglich der Angeklagten Söhngen, Rheinbach und Töllner hat der Gerichtshof nicht als erwiesen erachtet, daß diese den wahren Zweck ihres Geldleihens gekannt haben. Aus diesem Grunde ist auf Freisprechung dieser Angeklagten erkannt worden. An dem Attentat an der Festhalle in Rüdesheim ist nur Rupsch und Küchler beteiligt. Dies wurde von den beiden letzteren erst geplant, nachdem das Attentat auf dem Niederwald mißlungen war. Der Gerichtshof hat auch hier als erwiesen erachtet, daß beide, Rupsch und Küchler gemeinschaftlich als Täter zu betrachten sind und daß sie die Absicht gehabt haben, einen Massenmord zu begehen, denn es waren zu dieser Zeit mindestens 1000 Menschen in der Festhalle anläßlich eines Konzerts versammelt. Daß das Dynamit 10 Schritt von der Festhalle gelegt wurde, ist nicht erwiesen, es ist vielmehr zeugeneidlich festgestellt, daß das Dynamit dicht unterhalb der Festhalle gelegt war und infolgedessen geeignet gewesen wäre, Menschen zu töten. Es ist deshalb dieses Verbrechens wegen gegen Küchler und Rupsch auf je 12 Jahre Zuchthaus und 10 Jahre Ehrverlust erkannt worden, während Reinsdorf und Holzhauer bezüglich dieses Verbrechens freizusprechen sind. Die Kosten des Verfahrens, insoweit auf Freisprechung erkannt ist, fallen der Reichskasse zur Last, die übrigen Kosten haben die verurteilten Angeklagten zu tragen. Die Angeklagten Söhngen, Rheinbach und Töllner sind sofort aus der Haft zu entlassen, die übrigen Angeklagten sind in Haft zu behalten. Ich schließe die Sitzung. – Angeklagter Reinsdorf hörte die Urteilsverkündung mit der größten Gleichgültigkeit an, Küchler und Rupsch dagegen drohten, als sie ihr Todesurteil vernahmen, förmlich zusammenzubrechen. Die freigesprochenen Angeklagten schüttelten den Verurteilten sämtlich zum Abschied freundlichst die Hand. – Rupsch wurde, seiner großen Jugend wegen, zu lebenslänglichem Zuchthaus begnadigt. Reinsdorf und Küchler wurden an einem kalten Wintermorgen (Februar 1885) auf dem Hofe des Zuchthauses zu Halle a./S. hingerichtet. Zunächst wurde Reinsdorf zur Richtstätte geführt. Er sang mit ziemlich lauter Stimme: „Stiefel, du mußt sterben, bist noch so jung, jung, jung“. Als ihm die Henkersknechte das Hemd heruntergezogen hatten und ihn auf dem Schaffot festschnallten, rief Reinsdorf: „Ich sterbe für die Befreiung der Menschheit. Es lebe die Anarchie.“ In demselben Augenblick blitzte das Henkerbeil in der Luft und sauste auf den Hals Reinsdorfs nieder. Der Kopf war vom Rumpfe getrennt. „Herr Reichsanwalt, das Urteil ist vollstreckt,“ rief der Scharfrichter. Küchler hatte die Hinrichtung des Reinsdorf von seiner Zelle aus gesehen. Kaum war diese grauenhafte Prozedur beendet und die Leiche Reinsdorfs auf einem Hundewagen nach der Leichenhalle des Zuchthauses geschafft, da ertönte wiederum die „Armensünderglocke“ in die kalte Morgenluft hinaus. Ein furchtbares Schreien und Wehklagen vernahm man. Unter Führung des Oberinspektors transportierten drei Zuchthauswärter Küchler zur Richtstätte. Küchler mußte förmlich getragen werden. Er schrie: „Ich sterbe unschuldig. Meine arme Frau, meine armen Kinder.“ In diesem Augenblick hatte auch schon das Henkerbeil dem Küchler den Kopf vom Rumpfe getrennt. Zwei Reichsgerichtsräte und ein Reichsanwalt waren in ihren scharlachroten Talaren zu der Doppelhinrichtung in amtlicher Eigenschaft erschienen. Es wohnten nur wenige Personen dem traurigen Akte bei.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: ich ich
  2. Vorlage: Küch-
  3. Vorlage: dei