Das Bild der Gemordeten
Das Bild der Gemordeten.
Nachdem wir in Nr. 38 der Gartenlaube einen gedrängten Lebensabriß des letzten Opfers der Afrikaforschung, der kühnen Pionierin Alexandrine Tinne, von zuverlässigster Hand mitgetheilt, sind wir durch die freundliche Bereitwilligkeit des Herrn W. Gentz, der sich der persönlichen Bekanntschaft der nun Gemordeten erfreute, auch in den Stand gesetzt, unsern Lesern ein ebenso sprechend ähnliches als charakteristisches Bild dieser schönen seltsamen Erscheinung darzubieten. Auch die Nachrichten über Fräulein Tinne sind seitdem reichlicher geflossen, so daß wir jetzt unserem ersten Artikel noch das Folgende nachtragen müssen.
Die Morgenlandliebe und Reiselust unserer „Contessa Hollandese“ scheint ein mütterliches Erbe gewesen zu sein, oder sie scheint Beides mit der Mutter getheilt zu haben; denn von Frau Tinne wird erzählt, daß sie nach dem Tode ihres Gatten (um 1856) die Selbstständigkeit, welche ein großartiges Vermögen ihr bot, benutzt habe, um mit Tochter und Schwester, einer Baronin von Capellen, den Orient zu besuchen und sich auf einem reizenden Landsitz bei Kairo niederzulassen. Dort habe dann der Anblick der Pyramiden den Forschertrieb nach den Geheimnissen der noch verschlossenen afrikanischen Welt in der energischen Seele der Tochter geweckt, und sie war sicherlich von da an die Führerin auf den gewagten Zügen, erst nach Chartum und von da später zum Gazellenfluß, welche den beiden älteren Damen das Leben kosteten.
In ihrem Schmerz über so rasch aufeinander folgende schwerste Verluste – denn auch ihr Leibarzt Dr. Steudner, die beiden europäischen Kammermädchen des Fräuleins, ihr Dolmetscher Contarini und ihr deutscher Gärtner Schubert waren dieser Reise erlegen – zog sich Alexandrine Tinne in jene Einsamkeit zurück, in welcher Gentz sie traf und in ihrem Abschließen von allen europäischen Verbindungen, Sitten und Erinnerungen schon bis zum Aeußersten fortgeschritten fand.
Wir wissen bereits, daß ihr Gefolge fast ausnahmslos aus Negern bestand, und zwar aus solchen, welche, wie Freiherr von Maltzan berichtet, von Kindheit auf in Aegypten, Tripolis, Algerien und anderen halbcivilisirten Ländern gelebt und die der kriegerischen Eigenschaften, welche sie ursprüglich besessen haben mochten, durch ein in weichlichem Müßiggang zugebrachtes Leben verlustig gegangen waren. – Diese in Gefahr nutzlose Hausgarde und Dienerschaar führte ein wahres Schlaraffenleben; der orientalische Hang verleitete Fräulein Tinne sogar, Wünsche zu befriedigen, welche ihrem Frauensinn hätten widerstreben müssen: sie gestattete ihren bevorzugten Dienern auch die Vielweiberei, ja sie wählte ihrem Intendanten selbst vier junge, hübsche, weiße Algiererinnen für seinen Harem aus. Da sie dann auch anderen ihrer Diener ähnliche Vergünstigungen nicht versagen konnte, so war es kein Wunder, daß sie in Kurzem eine Colonie von Frauen und Kindern um sich entstehen sah, die ihre späteren großen Reisezüge wie kleine Völkerwanderungen erscheinen ließ.
Diese Kinder und schöne Hunde bildeten einen Lieblingszeitvertreib im orientalisch-abgeschlossenen Hausleben der Dame. Durch letztere knüpfte sich sogar ein zwar sehr lockeres, aber doch höchst abenteuerliches Band mit einem jungen deutschen Menschenleben. Aus dem Gymnasium unserer sächsischen Weinstadt Meißen entfloh, als die Nachricht von Gerhard Rohlfs’ Reiseunternehmung durch die Zeitungen lief, ein Zögling, Namens Krause, und gelangte mit wirklich bewundernswerther Ausdauer und Odysseuslist bis nach Afrika und zu dem berühmten Reisenden. Dieser konnte dem Armen seinen Herzenswunsch nicht erfüllen, empfahl ihn aber Fräulein Tinne, die ihn freilich auch nicht besser zu verwenden wußte, als zur Beaufsichtigung ihrer arabischen Windhunde. Einen Monat vor dem Antritt ihrer letzten Reise entließ sie ihn jedoch aus seiner hohen Anstellung, weil einer der Hunde crepirt war und sie angeblich durch den Anblick des Hüters nicht an diesen Todesfall erinnert werden wollte. So verdankte einem Hundetod der junge Mensch sein Leben.
Die Arabisirung der Dame ging mit ihrer steigenden Abneigung gegen alle Europäer und alles Europäische überhaupt gleichen Schritt. Dieselbe mag wohl, wie v. Maltzan vermuthet, durch die Erfahrungen ihres früheren Lebens, namentlich eine ohne ihre Schuld abgebrochene Verlobung und die Zudringlichkeit vieler junger und alter Freier hervorgerufen worden sein. Zu beklagen ist es aber, daß diese Abneigung so weit ging, daß sie es auch verschmähte, in tüchtigen, muth- und charaktervollen Männern von naturwissenschaftlicher Bildung ebenbürtige Reisebegleiter an sich zu ziehen; nicht nur die Resultate ihrer Unternehmungen blieben dadurch an Werth weit hinter dem ungeheuren Aufwand zurück, den ihre Mittel ihr erlaubten, sondern auch die Gefahren ihrer Reisen mußten bei ihrem von keinem Mann gefestigten und gezügelten Negergefolge sich mehr als verdoppeln.
War sie trotz alledem, wohin sie mit ihrem schwarzen glänzenden Hofstaat kam, ein angestaunter und hochgeehrter Gast, so verursachte ihr doch einmal ihre Kleidung und zwar in Tunis, dem „Paris der Berberei“, einen harten Anstoß. Als sie dort die consularische Protection ansprechen wollte und, in arabischer Kleidung, sich bei dem holländischen Consulatsverweser melden ließ, wurde sie abgewiesen, weil der Consul Araberinnen niemals empfange. Nach einer zweiten Anmeldung wurde sie zwar vorgelassen, aber folgendermaßen angeredet: „Mein Fräulein, als die holländische Regierung Sie an mich empfahl, glaubte ich eine anständige Dame erwarten zu können, und nun, was muß ich sehen? Eine Beduine!“ Da der Consul darauf beharrte, sich zu ihrem Führer durch Tunis nur dann hergeben zu wollen, wenn sie in europäischer Tracht erscheine, so verließ sie sofort die Stadt.
Das schreckliche Ende des schönen kühnen Frauenbildes haben wir erzählt; alle späteren Nachrichten bestätigen es so. Nach Briefen aus Tripolis vom 30. September sind die türkischen Behörden der Mörder habhaft geworden und haben auch eine junge Negerin, Jasmina, sowie einen Theil des gestohlenen Gutes zurückerhalten. Ichenuchen, der Stammeshäuptling der Tuareggs, dessen Schutz sie sich anvertraut hatte, behauptet, er stehe mit der Escorte, welche die unglückliche Dame verrieth, in keinerlei Verbindung; er hat die Behörden bei der Verfolgung der Thäter unterstützt.