Dante begegnet Mathilde
[483] Dante begegnet Mathilde. (Zu unserer Kunstbeilage.) Der Dichter der „göttlichen Kömödie“ schildert uns in seinen Gesängen, wie er die Hölle durchwandert und die Qualeu der Verdammten schaut, mit denen seine Phantasie den Ort des Grauens bevölkert hat. Sein Begleiter und Mentor auf diesem Gange ist Virgil, der römische Dichter. Dantes Weg führt von der Hölle zum Orte der Läuterung, zum Fegefeuer, und erhebt sich dann zum Lohne für die rückwärtsliegende bußfertige Wanderung in schöne Gefilde, wo der Pfad nicht mehr steil und schwierig ist. Noch immer ist er von Virgil begleitet, so auch bei der Begegnung mit Mathilde, die ihm hier erscheint. Diese Begegnung schildert Dante im achtundzwanzigsten Gesang des „Fegefeuers“, wenn er auch den Namen Mathilde erst im dreiunddreißigsten nennt. Durch den vom sanften Morgenschein erhellten Wald, in dem die Vöglein singen, der in scharfem Gegensatz steht zu dem todbringenden Walde der Sünde beim Beginn der Hölle, schreitet Dante einher und sieht
„Ein einsam wandelnd Weib, das wunderbar
Im Gehen sang, aufsammelnd Blüth’ an Blüthe,
Womit vor ihr gemalt der Boden war.“
Dante wünscht, daß sie ihm näher komme, damit er ihren Gesang verstehe:
„Und wie im Tanz ein Mägdlein kaum empor
Die Sohlen hebt, mit engen Schritten gleitend,
Und einen Fuß kaum setzt dem andern vor,
So sah ich sie durch bunte Blumen schreitend,
Jungfräulich bodenwärts den Blick gewandt,
Und Ehrbarkeit und Würde sie begleitend.“
Bald erhebt sie der Wimpern schöne Bogen, pflückt Blumen von der Wiese Saum und verkündet dem Dichter, daß er hier sich in dem Gebiet befinde, das an der Menschheit Morgen Gott der Herr als ihre Wiege auserwählt. Und nun übernimmt sie die Führung Dantes und bringt ihn zu Beatrice, die ihn dann weiter durch das himmlische Paradies geleitet. –
Daß Dante in dieser Beatrice seine Jugendgeliebte verherrlicht, ist ja allgemein anerkannt – wer aber ist Mathilde? Einige Erklärer meinen, der Dichter habe jene mächtige Markgräfin von Toscana, die Freundin Gregors VII., im Auge gehabt; andere glauben, daß eine frühverstorbene Geliebte das Urbild dieser Gestalt gewesen sei. Jedenfalls ist sie eine der reizvollsten Gestalten in der großen Dichtung, sie, die blumenfreundliche Hüterin jenes Paradieses, das weder Stürme noch Nebel kennt, das ohne Sonne Pflanzen, Wasser und Quellen ohne Regen erzeugt, dessen Bäume ein ewiger Ostwind flüstern macht, der von der Bewegung der Gestirne herrührt. †