Critik der reinen Vernunft (1781)/Des ersten Hauptstücks Vierter Abschnitt. Die Disciplin der reinen Vernunft in Ansehung ihrer Beweise.

« Des ersten Hauptstücks Dritter Abschnitt. Die Disciplin der reinen Vernunft in Ansehung der Hypothesen. Immanuel Kant
Critik der reinen Vernunft (1781)
Inhalt
2. Hauptstück. Der Canon der reinen Vernunft »
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Des ersten Hauptstücks
Vierter Abschnitt.
Die Disciplin der reinen Vernunft in Ansehung
ihrer Beweise.
Die Beweise transscendentaler und synthetischer Sätze haben das Eigenthümliche, unter allen Beweisen einer synthetischen Erkentniß a priori an sich, daß die Vernunft bey ienen vermittelst seiner Begriffe sich nicht geradezu an den Gegenstand wenden darf, sondern zuvor die obiective Gültigkeit der Begriffe und die Möglichkeit der Synthesis derselben a priori darthun muß. Dieses ist nicht etwa blos eine nöthige Regel der Behutsamkeit, sondern betrift das Wesen und die Möglichkeit der Beweise selbst. Wenn ich über den Begriff von einem Gegenstande a priori hinausgehen soll, so ist dieses, ohne einen besonderen und ausserhalb diesem Begriffe befindlichen Leitfaden, unmöglich. In der Mathematik ist es die Anschauung a priori, die meine Synthesis leitet und da können alle Schlüsse unmittelbar an der reinen Anschauung| geführt werden. Im transscendentalen Erkentniß, so lange es blos mit Begriffen des Verstandes zu thun hat, ist diese Richtschnur die mögliche Erfahrung. Der Beweis zeigt nemlich nicht: daß der gegebene Begriff (z. B. von dem, was geschieht) geradezu auf einen anderen Begriff (dem einer Ursache) führe; denn dergleichen Uebergang wäre ein Sprung, der sich gar nicht verantworten liesse, sondern er zeigt: daß die Erfahrung selbst, mithin das Obiect der Erfahrung, ohne eine solche Verknüpfung unmöglich wäre. Also mußte der Beweis zugleich die Möglichkeit anzeigen, synthetisch und a priori zu einer gewissen Erkentniß von Dingen zu gelangen, die in dem Begriffe von ihnen nicht enthalten war. Ohne diese Aufmerksamkeit laufen die Beweise wie Wasser, welche ihre Ufer durchbrechen, wild und querfeld ein, dahin, wo der Hang der verborgenen Association sie zufälliger Weise herleitet. Der Schein der Ueberzeugung, welcher auf subiectiven Ursachen der Association beruht und vor die Einsicht einer natürlichen Affinität gehalten wird, kan der Bedenklichkeit gar nicht die Wage halten, die sich billiger maassen über dergleichen gewagte Schritte einfinden muß. Daher sind auch alle Versuche, den Satz des zureichenden Grundes zu beweisen, nach dem allgemeinen Geständnisse der Kenner, vergeblich gewesen und, ehe die transscendentale Critik auftrat, hat man lieber, da man diesen Grundsatz doch nicht verlassen konte, sich trotzig auf den gesunden Menschenverstand berufen, (eine Zuflucht, die| iederzeit beweiset, daß die Sache der Vernunft verzweifelt ist), als neue dogmatische Beweise versuchen wollen.
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 Ist aber der Satz, über den ein Beweis geführt werden soll, eine Behauptung der reinen Vernunft und will ich so gar vermittelst blosser Ideen über meine Erfahrungsbegriffe hinausgehen, so müßte derselbe noch vielmehr die Rechtfertigung eines solchen Schrittes der Synthesis (wenn er anders möglich wäre) als eine nothwendige Bedingung seiner Beweiskraft in sich enthalten. So scheinbar daher auch der vermeintliche Beweis der einfachen Natur unserer denkenden Substanz aus der Einheit der Apperception seyn mag, so steht ihm doch die Bedenklichkeit unabweislich entgegen: daß, da die absolute Einfachheit doch kein Begriff ist, der unmittelbar auf eine Wahrnehmung bezogen werden kan, sondern als Idee blos geschlossen werden muß, gar nicht einzusehen ist, wie mich das blosse Bewustseyn, welches in allem Denken enthalten ist, oder wenigstens seyn kan, ob es zwar so fern eine einfache Vorstellung ist, zu dem Bewustseyn und der Kentniß eines Dinges überführen solle, in welchem das Denken allein enthalten seyn kan. Denn, wenn ich mir die Kraft meines Körpers in Bewegung vorstelle, so ist er so fern vor mich absolute Einheit und meine Vorstellung von ihm ist einfach, daher kan ich diese auch durch die Bewegung eines Puncts ausdrücken, weil sein Volumen hiebey nichts thut und, ohne Verminderung der Kraft, so klein, wie man will, und also auch als in einem Punct| befindlich gedacht werden kan. Hieraus werde ich aber doch nicht schliessen: daß, wenn mir nichts, wie die bewegende Kraft eines Cörpers, gegeben ist, der Cörper als einfache Substanz gedacht werden könne, darum, weil seine Vorstellung von aller Grösse des Raumesinhalts abstrahirt und also einfach ist. Hiedurch nun, daß das Einfache in der Abstraction vom Einfachen im Obiect ganz unterschieden ist und daß das Ich, welches im ersteren Verstande gar keine Mannigfaltigkeit in sich faßt, im zweiten, da es die Seele selbst bedeutet, ein sehr complexer Begriff seyn kan, nemlich sehr vieles unter sich zu enthalten und zu bezeichnen, entdecke ich einen Paralogism. Allein, um diesen vorher zu ahnden, (denn, ohne eine solche vorläufige Vermuthung, würde man gar keinen Verdacht gegen den Beweis fassen) ist durchaus nöthig, ein immerwährendes Criterium der Möglichkeit solcher synthetischen Sätze, die mehr beweisen sollen, als Erfahrung geben kan, bey Hand zu haben, welches darin besteht: daß der Beweis nicht geradezu auf das verlangte Prädicat, sondern nur vermittelst eines Princips der Möglichkeit, unseren gegebenen Begriff a priori bis zu Ideen zu erweitern und diese zu realisiren, geführt werde. Wenn diese Behutsamkeit immer gebraucht wird, wenn man, ehe der Beweis noch versucht wird, zuvor weislich bey sich zu Rathe geht, wie und mit welchem Grunde der Hoffnung man wol eine solche Erweiterung durch reine Vernunft erwarten könne und woher man, in dergleichen Falle, diese Einsichten,| die nicht aus Begriffen entwickelt und auch nicht in Beziehung auf mögliche Erfahrung anticipirt werden können, denn hernehmen wolle: so kan man sich viel schwere und dennoch fruchtlose Bemühungen ersparen, indem man der Vernunft nichts zumuthet, was offenbar über ihr Vermögen geht, oder vielmehr sie, die, bey Anwandlungen ihrer speculativen Erweiterungssucht, sich nicht gerne einschränken läßt, der Disciplin der Enthaltsamkeit unterwirft.
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 Die erste Regel ist also diese: keine transscendentale Beweise zu versuchen, ohne zuvor überlegt und sich desfals gerechtfertigt zu haben, woher man die Grundsätze nehmen wolle, auf welche man sie zu errichten gedenkt und mit welchem Rechte man von ihnen den guten Erfolg der Schlüsse erwarten könne. Sind es Grundsätze des Verstandes (z. B. der Caussalität), so ist es umsonst, vermittelst ihrer, zu Ideen der reinen Vernunft zu gelangen; denn iene gelten nur vor Gegenstände möglicher Erfahrung. Sollen es Grundsätze aus reiner Vernunft seyn, so ist wiederum alle Mühe umsonst. Denn die Vernunft hat deren zwar, aber als obiective Grundsätze sind sie insgesamt dialectisch und können allenfals nur wie regulative Principien des systematischzusammenhangenden Erfahrungsgebrauchs gültig seyn. Sind aber dergleichen angebliche Beweise schon vorhanden: so setzet der trüglichen Ueberzeugung das non liquet eurer gereiften Urtheilskraft entgegen| und, ob ihr gleich das Blendwerk derselben noch nicht durchdringen könt, so habt ihr doch völliges Recht, die Deduction der darin gebrauchten Grundsätze zu verlangen, welche, wenn sie aus blosser Vernunft entsprungen seyn sollen, euch niemals geschaffet werden kan. Und so habt ihr nicht einmal nöthig, euch mit der Entwickelung und Widerlegung eines ieden grundlosen Scheins zu befassen, sondern könt alle an Kunstgriffen unerschöpfliche Dialectik am Gerichtshofe einer critischen Vernunft, welche Gesetze verlangt, in ganzen Haufen auf einmal abweisen.

 Die zweite Eigenthümlichkeit transscendentaler Beweise ist diese: daß zu iedem transscendentalen Satze nur ein einziger Beweis gefunden werden könne. Soll ich nicht aus Begriffen, sondern aus der Anschauung, die einem Begriffe correspondirt, es sey nun eine reine Anschauung, wie in der Mathematik, oder empirische, wie in der Naturwissenschaft, schliessen: so giebt mir die zum Grunde gelegte Anschauung mannigfaltigen Stoff zu synthetischen Sätzen, welchen ich auf mehr als eine Art verknüpfen und, indem ich von mehr wie einem Puncte ausgehen darf, durch verschiedene Wege zu demselben Satze gelangen kan.

 Nun geht aber ein ieder transscendentaler Satz blos von einem Begriffe aus und sagt die synthetische Bedingung der Möglichkeit des Gegenstandes nach diesem Begriffe. Der Beweisgrund kan also nur ein einziger seyn, weil ausser diesem Begriffe nichts weiter ist, wodurch der| Gegenstand bestimt werden könte, der Beweis also nichts weiter, als die Bestimmung eines Gegenstandes überhaupt nach diesem Begriffe, der auch nur ein einziger ist, enthalten kan. Wir hatten z. B. in der transscendentalen Analytik den Grundsatz: alles was geschieht, hat eine Ursache, aus der einzigen Bedingung der obiectiven Möglichkeit eines Begriffs, von dem, was überhaupt geschieht, gezogen: daß die Bestimmung einer Begebenheit in der Zeit, mithin diese (Begebenheit) als zur Erfahrung gehörig, ohne unter einer solchen dynamischen Regel zu stehen, unmöglich wäre. Dieses ist nun auch der einzigmögliche Beweisgrund; denn dadurch nur, daß dem Begriffe vermittelst[WS 1] des Gesetzes der Caussalität ein Gegenstand bestimt wird, hat die vorgestellte Begebenheit obiective Gültigkeit, d. i. Wahrheit. Man hat zwar noch andere Beweise von diesem Grundsatze z. B. aus der Zufälligkeit versucht; allein, wenn dieser beim Lichten betrachtet wird, so kan man kein Kennzeichen der Zufälligkeit auffinden, als das geschehen, d. i. das Daseyn, vor welchem ein Nichtseyn des Gegenstandes vorher geht und komt also immer wiederum auf den nemlichen Beweisgrund zurück. Wenn der Satz bewiesen werden soll: alles, was denkt, ist einfach, so hält man sich nicht bey dem Mannigfaltigen des Denkens auf, sondern beharrt blos bey dem Begriffe des Ich, welcher einfach ist und worauf alles Denken bezogen wird. Eben so ist es mit dem transscendentalen Beweise vom Daseyn Gottes bewandt, welcher lediglich auf der Reciprocabilität| der Begriffe vom realesten und nothwendigen Wesen beruht und nirgend anders gesucht werden kan.

 Durch diese warnende Anmerkung wird die Critik der Vernunftbehauptungen sehr ins kleine gebracht. Wo Vernunft ihr Geschäfte durch blosse Begriffe treibt, da ist nur ein einziger Beweis möglich, wo überall nur irgend einer möglich ist. Daher, wenn man schon den Dogmatiker mit zehn Beweisen auftreten sieht, da kan man sicher glauben, daß er gar keinen habe. Denn hätte er einen, der (wie es in Sachen der reinen Vernunft seyn muß) apodictisch bewiese, wozu bedürfte er der übrigen. Seine Absicht ist nur, wie die von ienem Parlamentsadvocaten: das eine Argument ist vor diesen, das andere vor ienen, nemlich, um sich die Schwäche seiner Richter zu Nutze zu machen, die, ohne sich tief einzulassen und, um von dem Geschäfte bald loszukommen, das Erstebeste, was ihnen eben auffält, ergreifen und darnach entscheiden.

 Die dritte eigenthümliche Regel der reinen Vernunft, wenn sie in Ansehung transscendentaler Beweise einer Disciplin unterworfen wird, ist: daß ihre Beweise niemals apogogisch, sondern iederzeit ostensiv seyn müssen. Der directe oder ostensive Beweis ist in aller Art der Erkentniß derienige, welcher mit der Ueberzeugung von der Wahrheit, zugleich Einsicht in die Quellen derselben verbindet, der apogogische dagegen kan zwar Gewißheit, aber nicht Begreiflichkeit der Wahrheit in Ansehung des Zusammenhanges mit den Gründen ihrer Möglichkeit hervorbringen.| Daher sind die leztere mehr eine Nothhülfe, als ein Verfahren, welches allen Absichten der Vernunft ein Gnüge thut. Doch haben diese einen Vorzug der Evidenz vor den directen Beweisen, darin: daß der Widerspruch allemal mehr Klarheit in der Vorstellung bey sich führt, als die beste Verknüpfung und sich dadurch dem anschaulichen einer Demonstration mehr nähert.
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 Die eigentliche Ursache des Gebrauchs apogogischer Beweise in verschiedenen Wissenschaften ist wol diese. Wenn die Gründe von denen eine gewisse Erkentniß abgeleitet werden soll, zu mannigfaltig oder zu tief verborgen liegen: so versucht man, ob sie nicht durch die Folgen zu erreichen sey. Nun wäre der modus ponens, auf die Wahrheit einer Erkentniß aus der Wahrheit ihrer Folgen zu schliessen, nur alsdenn erlaubt, wenn alle mögliche Folgen daraus wahr sind; denn alsdenn ist zu diesem nur ein einziger Grund möglich, der also auch der wahre ist. Dieses Verfahren aber ist unthunlich, weil es über unsere Kräfte geht, alle mögliche Folgen von irgend einem angenommenen Satze einzusehen; doch bedient man sich dieser Art zu schliessen, obzwar freilich mit einer gewissen Nachsicht, wenn es darum zu thun ist, um etwas blos als Hypothese zu beweisen, indem man den Schluß nach der Analogie einräumt: daß, wenn so viele Folgen, als man nur immer versucht hat, mit einem angenommenen Grunde wol zusammenstimmen, alle übrige mögliche auch darauf einstimmen werden. Um deswillen kan durch diesen| Weg niemals eine Hypothese in demonstrirte Wahrheit verwandelt werden. Der modus tollens der Vernunftschlüsse, die von den Folgen auf die Gründe schliessen, beweiset nicht allein ganz strenge, sondern auch überaus leicht. Denn, wenn auch nur eine einzige falsche Folge aus einem Satze gezogen werden kan, so ist dieser Satz falsch. Anstatt nun die ganze Reihe der Gründe in einem ostensiven Beweise durchzulaufen, die auf die Wahrheit einer Erkentniß, vermittelst der vollständigen Einsicht in ihre Möglichkeit, führen kan, darf man nur unter denen aus dem Gegentheil derselben fliessende Folgen eine einzige falsch finden, so ist dieses Gegentheil auch falsch, mithin die Erkentniß, welche man zu beweisen hatte, wahr.

 Die apogogische Beweisart kan aber nur in denen Wissenschaften erlaubt seyn, wo es unmöglich ist, das Subiective unserer Vorstellungen dem Obiectiven, nemlich der Erkentniß desienigen, was am Gegenstande ist, zu unterschieben. Wo dieses leztere aber herrschend ist, da muß es sich häufig zutragen, daß das Gegentheil eines gewissen Satzes entweder blos den subiectiven Bedingungen des Denkens widerspricht, aber nicht dem Gegenstande, oder daß beide Sätze nur unter einer subiectiven Bedingung, die, fälschlich vor obiectiv gehalten, einander widersprechen und da die Bedingung falsch ist, alle beide falsch seyn können, ohne daß von der Falschheit des einen auf die Wahrheit des andern geschlossen werden kan.

|  In der Mathematik ist diese Subreption unmöglich; daher haben sie daselbst auch ihren eigentlichen Platz. In der Naturwissenschaft, weil sich daselbst alles auf empirische Anschauungen gründet, kan iene Erschleichung durch viel verglichene Beobachtungen zwar mehrentheils verhütet werden; aber diese Beweisart ist daselbst doch mehrentheils unerheblich. Aber die transscendentalen Versuche der reinen Vernunft werden insgesamt innerhalb dem eigentlichen Medium des dialectischen Scheins angestellt, d. i. des Subiectiven, welches sich der Vernunft in ihren Prämissen als obiectiv anbietet, oder gar aufdringt. Hier nun kan es, was synthetische Sätze betrift, gar nicht erlaubt werden, seine Behauptungen dadurch zu rechtfertigen, daß man das Gegentheil widerlegt. Denn, entweder diese Widerlegung ist nichts anders, als die blosse Vorstellung des Widerstreits der entgegengesezten Meinung, mit den subiectiven Bedingungen der Begreiflichkeit durch unsere Vernunft, welches gar nichts dazu thut, um die Sache selbst darum zu verwerfen, (so wie z. B. die unbedingte Nothwendigkeit im Daseyn eines Wesens schlechterdings von uns nicht begriffen werden kan, und sich daher subiectiv iedem speculativen Beweise eines nothwendigen obersten Wesens mit Recht, der Möglichkeit eines solchen Urwesens aber an sich selbst mit Unrecht widersezt), oder beide, sowol der behauptende, als der verneinende Theil, legen, durch den transscendentalen Schein betrogen, einen unmöglichen Begriff vom Gegenstande zum Grunde und| da gilt die Regel: non entis nulla sunt praedicata, d. i. sowol was man bejahend, als was man verneinend von dem Gegenstande behauptete, ist beides unrichtig und man kan nicht apogogisch durch die Widerlegung des Gegentheils zur Erkentniß der Wahrheit gelangen. So wie zum Beispiel, wenn vorausgesezt wird: daß die Sinnenwelt an sich selbst ihrer Totalität nach gegeben sey, so ist es falsch, daß sie entweder unendlich dem Raume nach, oder endlich und begränzt seyn müsse, darum, weil beides falsch ist. Denn Erscheinungen (als blosse Vorstellungen), die doch an sich selbst (als Obiecte) gegeben wären, sind etwas Unmögliches und die Unendlichkeit dieses eingebildeten Ganzen würde zwar unbedingt seyn, widerspräche aber (weil alles an Erscheinungen bedingt ist) der unbedingten Grössenbestimmung, die doch im Begriffe vorausgesezt wird.
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 Die apogogische Beweisart ist auch das eigentliche Blendwerk, womit die Bewunderer der Gründlichkeit unserer dogmatischen Vernünftler iederzeit hingehalten worden: sie ist gleichsam der Champion, der die Ehre und das unstreitige Recht seiner genommenen Parthey dadurch beweisen will, daß er sich mit iederman zu raufen anheischig macht, der es bezweifeln wolte, obgleich durch solche Großsprecherey nichts in der Sache, sondern nur der respectiven Stärke der Gegner ausgemacht wird, und zwar auch nur auf der Seite desienigen, der sich angreifend verhält. Die Zuschauer, indem sie sehen, daß ein ieder| in seiner Reihe bald Sieger ist, bald unterliegt, nehmen oftmals daraus Anlaß, das Obiect des Streits selbst sceptisch zu bezweifeln. Aber sie haben nicht Ursache dazu und es ist gnug, ihnen zuzurufen: non defensoribus istis tempus eget. Ein ieder muß seine Sache vermittelst eines, durch transscendentale Deduction der Beweisgründe geführten rechtlichen Beweises, d. i. direct führen, damit man sehe, was seine Vernunftansprüche vor sich selbst anzuführen haben. Denn fusset sich sein Gegner auf subiective Gründe, so ist er freilich leicht zu widerlegen, aber ohne Vortheil vor den Dogmatiker, der gemeiniglich eben so den subiectiven Ursachen des Urtheils anhängt und gleichergestalt von seinem Gegner in die Enge getrieben werden kan. Verfahren aber beide Theile blos direct, so werden sie entweder die Schwierigkeit, ia Unmöglichkeit, den Titel ihrer Behauptungen auszufinden, von selbst bemerken, und sich zulezt nur auf Veriährung berufen können, oder die Critik wird den dogmatischen Schein leicht entdecken und die reine Vernunft nöthigen, ihre zu hoch getriebene Anmassungen im speculativen Gebrauch aufzugeben und sich innerhalb die Gränzen ihres eigenthümlichen Bodens, nemlich practischer Grundsätze, zurück zu ziehen.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: vermittilst
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