Critik der reinen Vernunft (1781)/Des Transscendentalen Leitfadens der Entdeckung aller reinen Verstandesbegriffe Erster Abschnitt. Von dem logischen Verstandesgebrauche überhaupt.


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Des
Transscendentalen Leitfadens der Entdeckung aller
reinen Verstandesbegriffe
Erster Abschnitt.
Von dem
logischen Verstandesgebrauche überhaupt.
Der Verstand wurde oben blos negativ erklärt: durch ein nichtsinnliches Erkentnißvermögen. Nun können wir, unabhängig von der Sinnlichkeit, keiner Anschauung| theilhaftig werden. Also ist der Verstand kein Vermögen der Anschauung. Es giebt aber, ausser der Anschauung, keine andere Art zu erkennen, als durch Begriffe. Also ist die Erkentniß eines ieden, wenigstens des menschlichen Verstandes, eine Erkentniß durch Begriffe, nicht intuitiv, sondern discursiv. Alle Anschauungen, als sinnlich, beruhen auf Affectionen, die Begriffe also auf Functionen. Ich verstehe aber unter Function, die Einheit der Handlung, verschiedene Vorstellungen unter einer gemeinschaftlichen zu ordnen. Begriffe gründen sich also auf der Spontaneität des Denkens, wie sinnliche Anschauungen auf der Receptivität der Eindrücke. Von diesen Begriffen kan nun der Verstand keinen andern Gebrauch machen, als daß er dadurch urtheilt. Da keine Vorstellung unmittelbar auf den Gegenstand geht, als blos die Anschauung, so wird ein Begriff niemals auf einen Gegenstand unmittelbar, sondern auf irgend eine andre Vorstellung von demselben, (sie sey Anschauung oder selbst schon Begriff), bezogen. Das Urtheil ist also die mittelbare Erkentniß eines Gegenstandes, mithin die Vorstellung einer Vorstellung desselben. In iedem Urtheil ist ein Begriff, der vor viele gilt, und unter diesem Vielen auch eine gegebene Vorstellung begreift, welche leztere denn auf den Gegenstand unmittelbar bezogen wird. So bezieht z. B. in dem Urtheile: alle Cörper sind veränderlich, der Begriff des Theilbaren auf verschiedene andre Begriffe; unter diesen aber wird er hier besonders auf den Begriff des Cörpers| bezogen; dieser aber auf gewisse uns vorkommende Erscheinungen. Also werden diese Gegenstände durch den Begriff der Theilbarkeit mittelbar vorgestellt. Alle Urtheile sind demnach Functionen der Einheit unter unsern Vorstellungen, da nemlich statt einer unmittelbaren Vorstellung eine höhere, die diese und mehrere unter sich begreift, zur Erkentniß des Gegenstandes gebraucht, und viel mögliche Erkentnisse dadurch in einer zusammengezogen werden. Wir können aber alle Handlungen des Verstandes auf Urtheile zurückführen, so daß der Verstand überhaupt als ein Vermögen zu urtheilen vorgestellt werden kan. Denn er ist nach dem obigen ein Vermögen zu denken. Denken ist das Erkentniß durch Begriffe. Begriffe aber beziehen sich, als Prädicate möglicher Urtheile, auf irgend eine Vorstellung von einem noch unbestimten Gegenstande. So bedeutet der Begriff des Cörpers Etwas, z. B. Metall, was durch ienen Begriff erkant werden kan. Er ist also nur dadurch Begriff, daß unter ihm andere Vorstellungen enthalten sind, vermittelst deren er sich auf Gegenstände beziehen kan. Er ist also das Prädicat zu einem möglichen Urtheile, z. B. ein iedes Metall ist ein Cörper. Die Functionen des Verstandes können also insgesamt gefunden werden, wenn man die Functionen der Einheit in den Urtheilen vollständig darstellen kan. Daß dies aber sich ganz wol bewerkstelligen lasse, wird der folgende Abschnitt vor Augen stellen.


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