Critik der reinen Vernunft (1781)/Der Transscendentalen Doctrin der Urtheilskraft (oder Analytik der Grundsätze) Zweites Hauptstück. System aller Grundsätze des reinen Verstandes.


|
Der
Transscendentalen Doctrin der Urtheilskraft
(oder Analytik der Grundsätze)
Zweites Hauptstück.
System aller Grundsätze des reinen
Verstandes.

Wir haben in dem vorigen Hauptstücke die transscendentale Urtheilskraft nur nach den allgemeinen Bedingungen erwogen, unter denen sie allein die reine Verstandesbegriffe zu synthetischen Urtheilen zu brauchen befugt ist. Iezt ist unser Geschäfte: die Urtheile, die der Verstand unter dieser critischen Vorsicht wirklich a priori zu Stande bringt, in systematischer Verbindung darzustellen, wozu uns ohne Zweifel unsere Tafel der Categorien die natürliche und sichere Leitung geben muß. Denn diese sind es eben, deren Beziehung auf mögliche Erfahrung alle reine Verstandeserkentniß a priori ausmachen muß, und deren Verhältniß zur Sinnlichkeit überhaupt um deswillen alle transscendentale Grundsätze des Verstandesgebrauchs vollständig und in einem System darlegen wird.

 Grundsätze a priori führen diesen Namen nicht blos deswegen, weil sie die Gründe anderer Urtheile in sich enthalten, sondern auch weil sie selbst nicht in höhern und allgemeinern Erkentnissen gegründet sind. Diese Eigenschaft überhebt sie doch nicht allemal eines Beweises.| Denn obgleich dieser nicht weiter obiectiv geführt werden könte, sondern vielmehr alle Erkentniß seines Obiects zum Grunde liegt, so hindert dies doch nicht, daß nicht ein Beweis, aus den subiectiven Quellen der Möglichkeit einer Erkentniß des Gegenstandes überhaupt, zu schaffen möglich, ia auch nöthig wäre, weil der Satz sonst gleichwol den größten Verdacht einer blos erschlichenen Behauptung auf sich haben würde.

 Zweitens werden wir uns blos auf dieienigen Grundsätze, die sich auf die Categorien beziehen, einschränken. Die Principien der transscendentalen Aesthetik, nach welchen Raum und Zeit die Bedingungen der Möglichkeit aller Dinge als Erscheinungen sind, imgleichen die Restriction dieser Grundsätze: daß sie nemlich nicht auf Dinge an sich selbst bezogen werden können, gehören also nicht in unser abgestochenes Feld der Untersuchung. Eben so machen die mathematischen Grundsätze keinen Theil dieses Systems aus, weil sie nur aus der Anschauung, aber nicht aus dem reinen Verstandesbegriffe gezogen sind; doch wird die Möglichkeit derselben, weil sie gleichwol synthetische Urtheile a priori seyn, hier nothwendig Platz finden, zwar nicht, um ihre Richtigkeit und apodictische Gewisheit zu beweisen, welches sie gar nicht nöthig haben, sondern nur die Möglichkeit solcher evidenten Erkentnisse a priori begreiflich zu machen und zu deduciren.

 Wir werden aber auch von dem Grundsatze analytischer Urtheile reden müssen, und dieses zwar im Gegensatz| mit der synthetischen, als mit welchen wir uns eigentlich beschäftigen, weil eben diese Gegenstellung die Theorie der lezteren von allem Mißverstande befreyet, und sie in ihrer eigenthümlichen Natur deutlich vor Augen leget.


  Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.