Critik der reinen Vernunft (1781)/Anhang. Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe durch die Verwechselung des empirischen Verstandesgebrauchs mit dem transscendentalen.


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Anhang.
Von der
Amphibolie der Reflexionsbegriffe
durch die
Verwechselung des empirischen
Verstandesgebrauchs mit dem transscendentalen.
Die Ueberlegung (reflexio) hat es nicht mit den Gegenständen selbst zu thun, um gerade zu von ihnen Begriffe zu bekommen, sondern ist der Zustand des Gemüths, in welchem wir uns zuerst dazu anschicken, um die subiective Bedingungen ausfindig zu machen, unter denen wir zu Begriffen gelangen können. Sie ist das Bewustseyn des Verhältnisses gegebener Vorstellungen zu unseren verschiedenen Erkentnißquellen, durch welches allein ihr Verhältniß unter einander richtig bestimt werden kan. Die erste Frage vor aller weitern Behandlung unserer Vorstellung ist die: in welchem Erkentnißvermögen gehören sie zusammen? Ist es der Verstand, oder sind es die Sinne, vor denen sie verknüpft, oder verglichen werden? Manches Urtheil wird aus Gewohnheit angenommen, oder durch Neigung geknüpft; weil aber keine Ueberlegung vorhergeht, oder wenigstens critisch darauf folgt,| so gilt es vor ein solches, das im Verstande seinen Ursprung erhalten hat. Nicht alle Urtheile bedürfen einer Untersuchung, d. i. einer Aufmerksamkeit auf die Gründe der Wahrheit; denn, wenn sie unmittelbar gewiß sind: z. B. zwischen zwey Puncten kan nur eine gerade Linie seyn, so läßt sich von ihnen kein noch näheres Merkmal der Wahrheit, als das sie selbst ausdrücken, anzeigen. Aber alle Urtheile, ia alle Vergleichungen bedürfen einer Ueberlegung, d. i. einer Unterscheidung der Erkentnißkraft, wozu die gegebene Begriffe gehören. Die Handlung, dadurch ich die Vergleichung der Vorstellungen überhaupt mit der Erkentnißkraft zusammenhalte, darin sie angestellt wird, und wodurch ich unterscheide, ob sie als gehörig zum reinen Verstande oder zur sinnlichen Anschauung unter einander verglichen werden, nenne ich die transsc. Ueberlegung. Das Verhältniß aber, in welchem die Begriffe in einem Gemüthszustande zu einander gehören können, sind die der Einerleyheit und Verschiedenheit, der Einstimmung und des Widerstreits, des Inneren und des Aeusseren, endlich des bestimbaren und der Bestimmung (Materie und Form). Die richtige Bestimmung dieses Verhältnisses beruhet darauf, in welcher Erkentnißkraft sie subiectiv zu einander gehören, ob in der Sinnlichkeit oder dem Verstande. Denn der Unterschied der letzteren macht einen grossen Unterschied in der Art, wie man sich die ersten denken solle.
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| Vor allen obiectiven Urtheilen vergleichen wir die Begriffe, um auf die Einerleyheit (vieler Vorstellungen unter einem Begriffe) zum Behuf der allgemeinen Urtheile, oder der Verschiedenheit derselben, zu Erzeugung besonderer, auf die Einstimmung, daraus beiahende, und den Widerstreit, daraus verneinende Urtheile werden können, u. s. w. Aus diesem Grunde sollten wir, wie es scheint, die angeführte Begriffe Vergleichungsbegriffe nennen, (conceptus comparationis). Weil aber, wenn es nicht auf die logische Form, sondern auf den Inhalt der Begriffe ankomt, d. i. ob die Dinge selbst einerley oder verschieden, einstimmig oder im Widerstreit sind, etc. die Dinge aber ein zwiefaches Verhältniß zu unserer Erkentnißkraft, nemlich zur Sinnlichkeit und zum Verstande haben können, auf diese Stelle aber, darin sie gehören, die Art ankomt, wie sie zu einander gehören sollen: so wird die transscendentale Reflexion, d. i. das Verhältniß gegebener Vorstellungen zu einer oder der anderen Erkentnißart, ihr Verhältniß unter einander allein bestimmen können, und ob die Dinge einerley oder verschieden, einstimmig oder widerstreitend seyn etc., wird nicht so fort aus den Begriffen selbst durch blosse Vergleichung, (comparatio) sondern allererst durch die Unterscheidung der Erkentnißart, wozu sie gehören, vermittelst einer transscendentalen Ueberlegung (reflexio) ausgemacht werden können. Man könte also zwar sagen: daß die logische Reflexion eine blosse Comparation sey, denn bey ihr wird von der Erkentnißkraft,| wozu die gegebene Vorstellungen gehören, gänzlich abstrahirt, und sie sind also so fern ihrem Sitze nach, im Gemüthe, als gleichartig zu behandeln, die transscendentale Reflexion aber (welche auf die Gegenstände selbst geht) enthält den Grund der Möglichkeit der obiectiven Comparation der Vorstellungen unter einander, und ist also von der lezteren gar sehr verschieden, weil die Erkentnißkraft, dazu sie gehören, nicht eben dieselbe ist. Diese transscendentale Ueberlegung ist eine Pflicht, von der sich niemand lossagen kan, wenn er a priori etwas über Dinge urtheilen will. Wir wollen sie iezt zur Hand nehmen, und werden daraus vor die Bestimmung des eigentlichen Geschäfts des Verstandes nicht wenig Licht ziehen.
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 1. Einerleyheit und Verschiedenheit. Wenn uns ein Gegenstand mehrmalen, iedesmal aber mit eben denselben innern Bestimmungen, (qualitas et quantitas) dargestellet wird, so ist derselbe, wenn er als Gegenstand des reinen Verstandes gilt, immer eben derselbe, und nicht viel, sondern nur ein Ding (numerica identitas); ist er aber Erscheinung, so komt es auf die Vergleichung der Begriffe gar nicht an, sondern, so sehr auch in Ansehung derselben alles einerley seyn mag, ist doch die Verschiedenheit der Oerter dieser Erscheinung zu gleicher Zeit ein genugsamer Grund der numerischen Verschiedenheit des Gegenstandes (der Sinne) selbst. So kan man bey zwey Tropfen Wasser von aller innern Verschiedenheit (der| Qualität und Quantität) völlig abstrahiren, und es ist genug, daß sie in verschiedenen Oertern zugleich angeschaut werden, um sie vor numerisch verschieden zu halten. Leibnitz nahm die Erscheinungen als Dinge an sich selbst, mithin vor intelligibilia, d. i. Gegenstände des reinen Verstandes, (ob er gleich, wegen der Verworrenheit ihrer Vorstellungen, dieselben mit dem Nahmen der Phänomene belegte) und da konte sein Satz des Nichtzuunterscheidenden (principium identitatis indiscernibilium) allerdings nicht gestritten werden; da sie aber Gegenstände der Sinnlichkeit sind, und der Verstand in Ansehung ihrer nicht von reinem, sondern blos empirischem Gebrauche ist, so wird die Vielheit und numerische Verschiedenheit schon durch den Raum selbst, als die Bedingung der äusseren Erscheinungen angegeben. Denn ein Theil des Raums, ob er zwar einem andern völlig ähnlich und gleich seyn mag, ist doch ausser ihm, und eben dadurch ein vom ersteren verschiedener Theil, der zu ihm hinzukomt, um einen grösseren Raum auszumachen, und dieses muß daher von allem, was in den mancherley Stellen des Raums zugleich ist, gelten, so sehr es sich sonsten auch ähnlich und gleich seyn mag.
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 2. Einstimmung und Widerstreit. Wenn Realität nur durch den reinen Verstand vorgestellt wird, (realitas noümenon), so läßt sich zwischen den Realitäten kein Widerstreit denken, d. i. ein solches Verhältniß, da sie in| einem Subiect verbunden einander ihre Folgen aufheben, und 3 - 3 = 0 sey. Dagegen kan das Reale in der Erscheinung (realitas phaenomenon) unter einander allerdings im Widerstreit seyn, und vereint in demselben Subiect, eines die Folge des andern ganz oder zum Theil vernichten, wie zwey bewegende Kräfte in derselben geraden Linie, so fern sie einen Punct in entgegengesezter Richtung, entweder ziehen, oder drücken, oder auch ein Vergnügen, was dem Schmerze die Wage hält.
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 3. Das Innere und Aeussere. An einem Gegenstande des reinen Verstandes ist nur dasienige innerlich, welches gar keine Beziehung (dem Daseyn nach) auf irgend etwas von ihm verschiedenes hat. Dagegen sind die innere Bestimmungen einer substantia phaenomenon im Raume nichts als Verhältnisse, und sie selbst ganz und gar ein Inbegriff von lauter Relationen. Die Substanz im Raume kennen wir nur durch Kräfte, die in demselben wirksam sind, entweder andere dahin zu treiben (Anziehung), oder vom Eindringen in ihn abzuhalten (Zurückstossung und Undurchdringlichkeit); andere Eigenschaften kennen wir nicht, die den Begriff von der Substanz, die im Raume erscheint, und die wir Materie nennen, ausmachen. Als Obiect des reinen Verstandes muß iede Substanz dagegen innere Bestimmungen und Kräfte haben, die auf die innere Realität gehen. Allein was kan ich mir vor innere Accidenzen denken, als dieienigen, so| mein innerer Sinn mir darbietet, nemlich das entweder, was selbst ein Denken, oder mit diesem analogisch ist. Daher machte Leibnitz aus allen Substanzen, weil er sie sich als Noümena vorstellete, selbst aus den Bestandtheilen der Materie, nachdem er ihnen alles, was äussere Relation bedeuten mag, mithin auch die Zusammensetzung, in Gedanken, genommen hatte, einfache Subiecte mit Vorstellungskräften begabt, mit einem Worte, Monaden.
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 4. Materie und Form. Dieses sind zwey Begriffe, welche aller andern Reflexion zum Grunde gelegt werden, so sehr sind sie mit iedem Gebrauch des Verstandes unzertrenlich verbunden. Der erstere bedeutet das bestimbare überhaupt, der zweite dessen Bestimmung, (beides in transscendentalem Verstande, da man von allem Unterschiede dessen, was gegeben wird, und der Art, wie es bestimt wird, abstrahirt). Die Logiker nanten ehedem das Allgemeine die Materie, den specifischen Unterschied aber die Form. In iedem Urtheile kan man die gegebene Begriffe logische Materie (zum Urtheile), das Verhältniß derselben (vermittelst der Copula) die Form des Urtheils nennen. In iedem Wesen sind die Bestandstücke desselben (essentialia) die Materie, die Art, wie sie in einem Dinge verknüpft sind, die wesentliche Form. Auch wurde in Ansehung der Dinge überhaupt unbegränzte Realität, als die Materie aller Möglichkeit, Einschränkung derselben aber (Negation) als dieienige Form angesehen, wodurch| sich ein Ding vom andern nach transsc. Begriffen unterscheidet. Der Verstand nemlich verlangt zuerst, daß etwas gegeben sey, (wenigstens im Begriffe), um es auf gewisse Art bestimmen zu können. Daher geht im Begriffe des reinen Verstandes die Materie der Form vor, und Leibnitz nahm um deswillen zuerst Dinge an (Monaden) und innerlich eine Vorstellungskraft derselben, um darnach das äussere Verhältniß derselben und die Gemeinschaft ihrer Zustände, (nemlich der Vorstellungen) darauf zu gründen. Daher waren Raum und Zeit, iener nur durch das Verhältniß der Substanzen, diese durch die Verknüpfung der Bestimmungen derselben unter einander, als Gründe und Folgen, möglich. So würde es auch in der That seyn müssen, wenn der reine Verstand unmittelbar auf Gegenstände bezogen werden könte und wenn Raum und Zeit Bestimmungen der Dinge an sich selbst wären. Sind es aber nur sinnliche Anschauungen, in denen wir alle Gegenstände lediglich als Erscheinungen bestimmen, so geht die Form der Anschauung (als eine subiective Beschaffenheit der Sinnlichkeit) vor aller Materie, (den Empfindungen), mithin Raum und Zeit vor allen Erscheinungen und allen datis der Erfahrung vorher, und macht diese vielmehr allererst möglich. Der Intellectualphilosoph konte es nicht leiden: daß die Form vor den Dingen selbst vorhergehen, und dieser ihre Möglichkeit bestimmen sollte; eine ganz richtige Censur, wenn er annahm, daß wir die Dinge anschauen, wie sie sind, (obgleich mit verworrener| Vorstellung). Da aber die sinnliche Anschauung eine ganz besondere subiective Bedingung ist, welche aller Wahrnehmung a priori zum Grunde liegt, und deren Form ursprünglich ist; so ist die Form vor sich allein gegeben, und weit gefehlt, daß die Materie (oder die Dinge selbst, welche erscheinen) zum Grunde liegen sollten (wie man nach blossen Begriffen urtheilen müßte) so sezt die Möglichkeit derselben vielmehr eine formale Anschauung (Zeit und Raum) als gegeben voraus.


Anmerkung
zur Amphibolie der Reflexionsbegriffe.
 Man erlaube mir, die Stelle, welche wir einem Begriffe entweder in der Sinnlichkeit, oder im reinen Verstande ertheilen, den transscendentalen Ort zu nennen. Auf solche Weise wäre die Beurtheilung dieser Stelle, die iedem Begriffe nach Verschiedenheit seines Gebrauchs zukomt, und die Anweisung nach Regeln, diesen Ort allen Begriffen zu bestimmen, die transscendentale Topik; eine Lehre, die vor Erschleichungen des reinen Verstandes und daraus entspringenden Blendwerken gründlich bewahren würde, indem sie iederzeit unterschiede, welcher Erkentnißkraft die Begriffe eigentlich angehören. Man kan einen ieden Begriff, einen ieden Titel, darunter viele Erkentnisse gehören, einen logischen Ort nennen. Hierauf gründet sich die logische Topik des Aristoteles, deren sich Schullehrer und Redner bedienen konten, um unter| wissen Titeln des Denkens nachzusehen, was sich am besten vor seine vorliegende Materie schikte, und darüber, mit einem Schein von Gründlichkeit, zu vernünfteln, oder wortreich zu schwatzen.

 Die transscendentale Topik enthält dagegen nicht mehr, als die angeführte vier Titel aller Vergleichung und Unterscheidung, die sich dadurch von Categorien unterscheiden, daß durch iene nicht der Gegenstand, nach demienigen, was seinen Begriff ausmacht, (Grösse, Realität) sondern nur die Vergleichung der Vorstellungen, welche vor dem Begriffe von Dingen vorhergeht, in aller ihrer Mannigfaltigkeit dargestellt wird. Diese Vergleichung aber bedarf zuvörderst einer Ueberlegung, d. i. einer Bestimmung desienigen Orts, wo die Vorstellungen der Dinge, die verglichen werden, hingehören, ob sie der reine Verstand denkt, oder die Sinnlichkeit in der Erscheinung giebt.

 Die Begriffe können logisch verglichen werden, ohne sich darum zu bekümmern, wohin ihre Obiecte gehören, ob als Noumena vor den Verstand, oder als Phänomena vor die Sinnlichkeit. Wenn wir aber mit diesen Begriffen zu den Gegenständen gehen wollen, so ist zuvörderst transscendentale Ueberlegung nöthig, vor welche Erkentnißkraft sie Gegenstände seyn sollen, ob vor den reinen Verstand, oder die Sinnlichkeit. Ohne diese Ueberlegung mache ich einen sehr unsicheren Gebrauch von diesen Begriffen, und es entspringen vermeinte synthetische Grundsätze,| welche die critische Vernunft nicht anerkennen kan, und die sich lediglich auf einer transscendentalen Amphibolie, d. i. einer Verwechselung des reinen Verstandesobiects mit der Erscheinung gründen.
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 In Ermangelung einer solchen transscendentalen Topik, und mithin durch die Amphibolie der Reflexionsbegriffe hintergangen, errichtete der berühmte Leibnitz ein intellectuelles System der Welt, oder glaubte vielmehr der Dinge innere Beschaffenheit zu erkennen, indem er alle Gegenstände nur mit dem Verstande und den abgesonderten formalen Begriffen seines Denkens verglich. Unsere Tafel der Reflexionsbegriffe schaft uns den unerwarteten Vortheil, das Unterscheidende seines Lehrbegriffs in allen seinen Theilen, und zugleich den leitenden Grund dieser eigenthümlichen Denkungsart vor Augen zulegen, der auf nichts, als einem Mißverstande beruhete. Er verglich alle Dinge blos durch Begriffe mit einander, und fand, wie natürlich, keine andere Verschiedenheiten, als die, durch welche der Verstand seine reine Begriffe von einander unterscheidet. Die Bedingungen der sinnlichen Anschauung, die ihre eigene Unterschiede bey sich führen, sahe er nicht vor ursprünglich an; denn die Sinnlichkeit war ihm nur eine verworrene Vorstellungsart, und kein besonderer Quell der Vorstellungen: Erscheinung war ihm die Vorstellung des Dinges an sich selbst, obgleich von der Erkentniß durch den Verstand, der logischen Form| nach, unterschieden, da nemlich iene, bey ihrem gewöhnlichen Mangel der Zergliederung, eine gewisse Vermischung von Nebenvorstellungen in den Begriff des Dinges zieht, die der Verstand davon abzusondern weiß. Mit einem Worte: Leibnitz intellectuirte die Erscheinungen, so wie Locke die Verstandesbegriffe, nach seinem System der Noogonie, (wenn es mir erlaubt ist, mich dieser Ausdrücke zu bedienen) insgesamt sensificirt, d. i. vor nichts, als empirische, aber abgesonderte Reflexionsbegriffe ausgegeben hatte. Anstatt im Verstande und der Sinnlichkeit zwey ganz verschiedene Quellen von Vorstellungen zu suchen, die aber nur in Verknüpfung obiectivgültig von Dingen urtheilen könten, hielte sich ein ieder dieser grossen Männer nur an eine von beiden, die sich ihrer Meinung nach unmittelbar auf Dinge an sich selbst bezöge, indessen, daß die andere nichts that, als die Vorstellungen der ersteren zu verwirren oder zu ordnen.
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 Leibnitz verglich demnach die Gegenstände der Sinne als Dinge überhaupt blos im Verstande unter einander, Erstlich, so fern sie von diesem als einerley oder verschieden geurtheilt werden sollen. Da er also lediglich ihre Begriffe, und nicht ihre Stelle in der Anschauung, darin die Gegenstände allein gegeben werden können, vor Augen hatte, und den transscendentalen Ort dieser Begriffe, (ob das Obiect unter Erscheinungen, oder unter Dinge an sich selbst zu zehlen sey) gänzlich aus der Acht ließ, so konte| es nicht anders ausfallen, als daß er seinen Grundsatz des Nichtzuunterscheidenden, der blos von Begriffen der Dinge überhaupt gilt, auch auf die Gegenstände der Sinne (mundus phaenomenon) ausdehnete, und der Naturerkentniß dadurch keine geringe Erweiterung verschaft zu haben glaubte. Freilich: wenn ich einen Tropfen Wasser als ein Ding an sich selbst nach allen seinen innern Bestimmungen kenne, so kan ich keinen derselben von dem andern vor verschieden gelten lassen, wenn der ganze Begriff desselben mit ihm einerley ist. Ist er aber Erscheinung im Raume, so hat er seinen Ort, nicht blos im Verstande (unter Begriffen), sondern in der sinnlichen äusseren Anschauung (im Raume) und da sind die physische Oerter, in Ansehung der inneren Bestimmungen der Dinge, ganz gleichgültig, und ein Ort = b kan ein Ding, welches einem andern in dem Orte = a, völlig ähnlich und gleich ist, eben so wol aufnehmen, als wenn es von diesem noch so sehr innerlich verschieden wäre. Die Verschiedenheit der Oerter macht die Vielheit und Unterscheidung der Gegenstände, als Erscheinungen, ohne weitere Bedingungen, schon vor sich nicht allein möglich, sondern auch nothwendig. Also ist ienes scheinbare Gesetz kein Gesetz der Natur. Es ist lediglich eine analytische Regel oder Vergleichung der Dinge durch blosse Begriffe.
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 Zweitens: der Grundsatz: daß Realitäten (als blosse Beiahungen) einander niemals logisch widerstreiten,| ist ein ganz wahrer Satz, von dem Verhältnisse der Begriffe, bedeutet aber, weder in Ansehung der Natur, noch überall in Ansehung irgend eines Dinges an sich selbst (von diesem haben wir gar keinen Begriff) das mindeste. Denn der reale Widerstreit findet allerwerts statt, wo A - B = 0 ist, d. i. wo eine Realität mit der andern, in einem Subiect verbunden, eine die Wirkung der andern aufhebt, welches alle Hindernisse und Gegenwirkungen in der Natur unaufhörlich vor Augen legen, die gleichwol, da sie auf Kräften beruhen, realitates phaenomena genant werden müssen. Die allgemeine Mechanik kan so gar die empirische Bedingung dieses Widerstreits in einer Regel a priori angeben, indem sie auf die Entgegensetzung der Richtungen sieht: eine Bedingung, von welcher der transscend. Begriff der Realität gar nichts weiß. Obzwar Herr von Leibnitz diesen Satz nicht eben mit dem Pomp eines neuen Grundsatzes ankündigte, so bediente er sich doch desselben zu neuen Behauptungen, und seine Nachfolger trugen ihn ausdrücklich in ihre Leibnitzwolffianische Lehrgebäude ein. Nach diesem Grundsatze sind z. E. alle Uebel nichts als Folgen von den Schranken der Geschöpfe, d. i. Negationen, weil diese das einzige Widerstreitende der Realität seyn, (in dem blossen Begriffe eines Dinges überhaupt, ist es auch wirklich so, aber nicht in den Dingen als Erscheinungen). Imgleichen finden die Anhänger desselben es nicht allein möglich, sondern auch natürlich, alle Realität, ohne irgend einen besorglichen Widerstreit, in| einem Wesen zu vereinigen, weil sie keinen andern, als den des Widerspruchs (durch den der Begriff eines Dinges selbst aufgehoben wird), nicht aber den des wechselseitigen Abbruchs kennen, da ein Realgrund die Wirkung des andern aufhebt, und dazu wir nur in der Sinnlichkeit die Bedingungen antreffen, uns einen solchen vorzustellen.

 Drittens: die Leibnitzische Monadologie hat gar keinen andern Grund, als daß dieser Philosoph den Unterschied des Inneren und Aeusseren blos im Verhältniß auf den Verstand vorstellete. Die Substanzen überhaupt müssen etwas Inneres haben, was also von allen äusseren Verhältnissen, folglich auch der Zusammensetzung frey ist. Das Einfache ist also die Grundlage des Inneren der Dinge an sich selbst. Das Innere aber ihres Zustandes kan auch nicht in Ort, Gestalt, Berührung oder Bewegung, (welche Bestimmungen alle äussere Verhältnisse sind,) bestehen, und wir können daher den Substanzen keinen andern innern Zustand, als denienigen, wodurch wir unsern Sinn selbst innerlich bestimmen, nemlich, den Zustand der Vorstellungen, beylegen. So wurden denn die Monaden fertig, welche den Grundstoff des ganzen Universum ausmachen sollen, deren thätige Kraft aber nur in Vorstellungen besteht, wodurch sie eigentlich blos in sich selbst wirksam sind.

 Eben darum mußte aber auch sein Principium der möglichen Gemeinschaft der Substanzen unter einander eine| herbestimte Harmonie, und konte kein physischer Einfluß seyn. Denn weil alles nur innerlich, d. i. mit seinen Vorstellungen beschäftigt ist, so konte der Zustand der Vorstellungen der einen mit dem der andern Substanz in ganz und gar keiner wirksamen Verbindung stehen, sondern es mußte irgend eine dritte, und in alle insgesamt einfliessende Ursache, ihre Zustände einander correspondirend machen, zwar nicht eben durch gelegentlichen, und in iedem einzelnen Falle besonders angebrachten Beystand, (Systema assistentiae) sondern durch die Einheit der Idee einer vor alle gültigen Ursache, in welcher sie insgesamt ihr Daseyn und Beharrlichkeit, mithin auch wechselseitige Correspondenz unter einander nach allgemeinen Gesetzen bekommen müssen.
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 Viertens: der berühmte Lehrbegriff desselben von Zeit und Raum, darin er diese Formen der Sinnlichkeit intellectuirte, war lediglich aus eben derselben Täuschung der transscendentalen Reflexion entsprungen. Wenn ich mir durch den blossen Verstand äussere Verhältnisse der Dinge vorstellen will, so kan dieses nur vermittelst eines Begriffs ihrer wechselseitigen Wirkung geschehen, und soll ich einen Zustand eben desselben Dinges mit einem andern Zustande verknüpfen, so kan dieses nur in der Ordnung der Gründe und Folgen geschehen. So dachte sich also Leibnitz den Raum als eine gewisse Ordnung in der Gemeinschaft der Substanzen, und die Zeit als die dynamische Folge ihrer Zustände. Das Eigenthümliche aber, und von| Dingen Unabhängige, was beide an sich zu haben scheinen, schrieb er der Verworrenheit dieser Begriffe zu, welche machte, daß dasienige, was eine blosse Form dynamischer Verhältnisse ist, vor eine eigene vor sich bestehende, und vor den Dingen selbst vorhergehende Anschauung gehalten wird. Also waren Raum und Zeit die intelligibele Form der Verknüpfung der Dinge (Substanzen und ihrer Zustände) an sich selbst. Die Dinge aber waren intelligibele Substanzen (substantiae Noümena.) Gleichwol wollte er diese Begriffe vor Erscheinungen geltend machen, weil er der Sinnlichkeit keine eigene Art der Anschauung zugestand, sondern alle, selbst die empirische Vorstellung der Gegenstände, im Verstande suchte, und den Sinnen nichts als das verächtliche Geschäfte ließ, die Vorstellungen des ersteren zu verwirren und zu verunstalten.
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 Wenn wir aber auch von Dingen an sich selbst etwas durch den reinen Verstand synthetisch sagen könten, (welches gleichwol unmöglich ist) so würde dieses doch gar nicht auf Erscheinungen, welche nicht Dinge an sich selbst vorstellen, gezogen werden können. Ich werde also in diesem letzteren Falle in der transscendentalen Ueberlegung meine Begriffe iederzeit nur unter den Bedingungen der Sinnlichkeit vergleichen müssen, und so werden Raum und Zeit nicht Bestimmungen der Dinge an sich, sondern der Erscheinungen seyn: was die Dinge an sich seyn mögen, weiß| ich nicht, und brauche es auch nicht zu wissen, weil mir doch niemals ein Ding anders, als in der Erscheinung vorkommen kan.
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 So verfahre ich auch mit den übrigen Reflexionsbegriffen. Die Materie ist substantia phaenomenon. Was ihr innerlich zukomme, suche ich in allen Theilen des Raumes, den sie einnimt, und in allen Wirkungen, die sie ausübt, und die freilich nur immer Erscheinungen äusserer Sinne seyn können. Ich habe also zwar nichts Schlechthin – sondern lauter Comparativinnerliches, das selber wiederum aus äusseren Verhältnissen besteht. Allein, das schlechthin, dem reinen Verstande nach, Innerliche der Materie ist auch eine blosse Grille; denn diese ist überall kein Gegenstand für den reinen Verstand, das transscendentale Obiect aber, welches der Grund dieser Erscheinung seyn mag, die wir Materie nennen, ist ein blosses Etwas, wovon wir nicht einmal verstehen würden, was es sey, wenn es uns auch iemand sagen könte. Denn wir können nichts verstehen, als was ein unsern Worten Correspondirendes in der Anschauung mit sich führet. Wenn die Klagen: Wir sehen das Innere der Dinge gar nicht ein, so viel bedeuten sollen, als wir begreifen nicht durch den reinen Verstand, was die Dinge, die uns erscheinen, an sich seyn mögen, so sind sie ganz unbillig und unvernünftig; denn sie wollen, daß man ohne Sinnen doch Dinge erkennen, mithin anschauen könne, folglich, daß wir ein von dem menschlichen nicht blos dem Grade,| sondern so gar der Anschauung und Art nach, gänzlich unterschiedenes Erkentnißvermögen haben, also nicht Menschen, sondern Wesen seyn sollen, von denen wir selbst nicht angeben können, ob sie einmal möglich, vielweniger wie sie beschaffen seyn. Ins Innre der Natur dringt Beobachtung und Zergliederung der Erscheinungen, und man kan nicht wissen, wie weit dieses mit der Zeit gehen werde. Iene transscendentale Fragen aber, die über die Natur hinausgehen, würden wir bey allem dem doch niemals beantworten können, wenn uns auch die ganze Natur aufgedeckt wäre, da es uns nicht einmal gegeben ist, unser eigenes Gemüth mit einer andern Anschauung, als die unseres inneren Sinnes zu beobachten. Denn in demselben liegt das Geheimniß des Ursprungs unserer Sinnlichkeit. Ihre Beziehung auf ein Obiect und was der transscendentale Grund dieser Einheit sey, liegt ohne Zweifel zu tief verborgen, als daß wir, die wir so gar uns selbst nur durch innern Sinn, mithin als Erscheinung kennen, ein so unschickliches Werkzeug unserer Nachforschung dazu brauchen könten, etwas anderes, als immer wiederum Erscheinungen, aufzufinden, deren nichtsinnliche Ursache wir doch gern erforschen wollten.
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 Was diese Critik der Schlüsse, aus den blossen Handlungen der Reflexion, überaus nützlich macht, ist: daß sie die Nichtigkeit aller Schlüsse über Gegenstände, die man lediglich im Verstande mit einander vergleicht, deutlich darthut, und dasienige zugleich bestätigt, was wir| hauptsächlich eingeschärft haben: daß, obgleich Erscheinungen nicht als Dinge an sich selbst unter den Obiecten des reinen Verstandes mit begriffen seyn, sie doch die einzige sind, an denen unsere Erkentniß obiective Realität haben kan, nemlich, wo den Begriffen Anschauung entspricht.
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 Wenn wir blos logisch reflectiren, so vergleichen wir lediglich unsere Begriffe unter einander im Verstande, ob beide eben dasselbe enthalten, ob sie sich widersprechen oder nicht, ob etwas in dem Begriffe innerlich enthalten sey, oder zu ihm hinzukomme, und welcher von beiden gegeben, welcher aber nur als eine Art, den gegebenen zu denken, gelten soll. Wende ich aber diese Begriffe auf einen Gegenstand überhaupt (im transsc. Verstande) an, ohne diesen weiter zu bestimmen, ob er ein Gegenstand der sinnlichen oder intellectuellen Anschauung sey, so zeigen sich so fort Einschränkungen (nicht aus diesem Begriffe hinauszugehen), welche allen empirischen Gebrauch derselben verkehren, und eben dadurch beweisen: daß die Vorstellung eines Gegenstandes, als Dinges überhaupt, nicht etwa blos unzureichend, sondern ohne sinnliche Bestimmung derselben, und, unabhängig von empirischer Bedingung, in sich selbst widerstreitend sey, daß man also entweder von allem Gegenstande abstrahiren (in der Logik) oder, wenn man einen annimt, ihn unter Bedingungen der sinnlichen Anschauung denken müsse, mithin das intelligibele eine ganz sondere Anschauung, die wir nicht haben, erfordern würde, und in Ermangelung derselben vor uns nichts sey,| gegen aber auch die Erscheinungen nicht Gegenstände an sich selbst seyn können. Denn, wenn ich mir blos Dinge überhaupt denke, so kan freilich die Verschiedenheit der äusseren Verhältnisse nicht eine Verschiedenheit der Sachen selbst ausmachen, sondern sezt diese vielmehr voraus, und, wenn der Begriff von dem einen, innerlich von dem des andern gar nicht unterschieden ist, so setze ich nur ein und dasselbe Ding in verschiedene Verhältnisse. Ferner, durch Hinzukunft einer blossen Beiahung (Realität) zur andern, wird ia das Positive vermehrt, und ihm nichts entzogen, oder aufgehoben, daher kan das Reale in Dingen überhaupt einander nicht widerstreiten, u. s. w.
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 Die Begriffe der Reflexion haben, wie wir gezeigt haben, durch eine gewisse Mißdeutung einen solchen Einfluß auf den Verstandesgebrauch, daß sie sogar einen der scharfsichtigsten unter allen Philosophen zu einem vermeinten System intellectueller Erkentniß, welches seine Gegenstände ohne Dazukunft der Sinne zu bestimmen unternimt, zu verleiten im Stande gewesen. Eben um deswillen ist die Entwickelung der täuschenden Ursache der Amphibolie dieser Begriffe, in Veranlassung falscher Grundsätze von grossem Nutzen, die Gränzen des Verstandes zuverlässig zu bestimmen und zu sichern.

 Man muß zwar sagen: was einem Begriff allgemein zukomt, oder widerspricht, das komt auch zu, oder| widerspricht allem besondern, was unter ienem Begriff enthalten ist; (dictum de Omni et Nullo) es wäre aber ungereimt, diesen logischen Grundsatz dahin zu verändern, daß er so lautete: was in einem allgemeinen Begriffe nicht enthalten ist, daß ist auch in den besonderen nicht enthalten, die unter demselben stehen; denn diese sind eben darum besondere Begriffe, weil sie mehr in sich enthalten, als im allgemeinen gedacht wird. Nun ist doch wirklich auf diesen letzteren Grundsatz, das ganze intellectuelle System Leibnitzens erbauet: es fällt also zugleich mit demselben, samt aller aus ihm entspringenden Zweideutigkeit im Verstandesgebrauche.

 Der Satz des Nichtzuunterscheidenden gründete sich eigentlich auf der Voraussetzung: daß, wenn in dem Begriffe von einem Dinge überhaupt eine gewisse Unterscheidung nicht angetroffen wird, so sey sie auch nicht in den Dingen selbst anzutreffen, folglich seyn alle Dinge völlig einerley (numero eadem) die sich nicht schon in ihrem Begriffe (der Qualität oder Quantität nach) von einander unterscheiden. Weil aber bey dem blossen Begriffe von irgend einem Dinge von manchen nothwendigen Bedingungen einer Anschauung abstrahirt worden, so wird, durch eine sonderbare Uebereilung, das, wovon abstrahirt wird, davor genommen, daß es überall nicht anzutreffen sey, und dem Dinge nichts eingeräumt, als was in seinem Begriffe enthalten ist.

|  Der Begriff von einem Cubicfusse Raum, ich mag mir diesen denken, wo und wie oft ich wolle, ist an sich völlig einerley. Allein zwey Cubicfüsse sind im Raume dennoch blos durch ihre Oerter unterschieden, (numero diuersa) diese sind Bedingungen der Anschauung, worin das Obiect dieses Begriffs gegeben wird, die nicht zum Begriffe, aber doch zur ganzen Sinnlichkeit gehören. Gleichergestalt ist in dem Begriffe von einem Dinge gar kein Widerstreit, wenn nichts verneinendes mit einem beiahenden verbunden worden, und blos beiahende Begriffe können, in Verbindung, gar keine Aufhebung bewirken. Allein in der sinnlichen Anschauung, darin Realtät (z. B. Bewegung) gegeben wird, finden sich Bedingungen (entgegengesezte Richtungen), von denen im Begriffe der Bewegung überhaupt abstrahirt war, die einen Widerstreit, der freilich nicht logisch ist, nemlich aus lauter Positivem ein Zero = 0 möglich machen, und man konte nicht sagen: daß darum alle Realität unter einander in Einstimmung sey, weil unter ihren Begriffen kein Widerstreit angetroffen wird.[1] Nach blossen Begriffen ist das Innere das Substratum| aller Verhältniß oder äusseren Bestimmungen. Wenn ich also von allen Bedingungen der Anschauung abstrahire, und mich lediglich an den Begriff von einem Dinge überhaupt halte, so kan ich von allem äusseren Verhältniß abstrahiren, und es muß dennoch ein Begriff von dem übrig bleiben, das gar kein Verhältniß, sondern blos innere Bestimmungen bedeutet. Da scheint es nun, es folge daraus: in iedem Dinge (Substanz) sey etwas, was schlechthin innerlich ist, und allen äusseren Bestimmungen vorgeht, indem es sie allererst möglich macht, mithin sey dieses Substratum so etwas, das keine äussere Verhältnisse mehr in sich enthält, folglich einfach: (denn die körperliche Dinge sind doch immer nur Verhältnisse, wenigstens der Theile ausser einander) und weil wir keine schlechthin innere Bestimmungen kennen, als die durch unsern innern Sinn, so sey dieses Substratum nicht allein Einfach, sondern auch (nach der Analogie mit unserem innern Sinn) durch Vorstellungen bestimt, d. i. alle Dinge wären eigentlich Monaden, oder mit Vorstellungen begabte einfache Wesen. Dieses würde auch alles seine Richtigkeit haben, gehörete nicht etwas mehr, als der Begriff von einem Dinge überhaupt, zu den Bedingungen,| unter denen allein uns Gegenstände der äusseren Anschauung gegeben werden können, und von denen der reine Begriff abstrahirt. Denn da zeigt sich: daß eine beharrliche Erscheinung im Raume (undurchdringliche Ausdehnung) lauter Verhältnisse, und gar nichts schlechthin Innerliches enthalten, und dennoch das erste Substratum aller äusseren Wahrnehmung seyn könne. Durch blosse Begriffe kan ich freilich ohne etwas Innerem nichts Aeusseres denken, eben darum, weil Verhältnißbegriffe doch schlechthin gegebene Dinge voraussetzen, und ohne diese nicht möglich seyn. Aber, da in der Anschauung etwas enthalten ist, was im blossen Begriffe von einem Dinge überhaupt gar nicht liegt, und dieses das Substratum, welches durch blosse Begriffe gar nicht erkant werden würde, an die Hand giebt, nemlich, ein Raum, der, mit allem, was er enthält, aus lauter formalen, oder auch realen Verhältnissen besteht, so kan ich nicht sagen: weil, ohne ein Schlechthininneres, kein Ding durch blosse Begriffe vorgestellet werden kan, so sey auch in den Dingen selbst, die unter diesen Begriffen enthalten seyn, und ihrer Anschauung nichts Aeusseres, dem nicht etwas Schlechthin innerliches zum Grunde läge. Denn, wenn wir von allen Bedingungen der Anschauung abstrahirt haben, so bleibt uns freilich im blossen Begriffe nichts übrig, als das Innre überhaupt, und das Verhältniß desselben unter einander, wodurch allein das Aeussere möglich ist. Diese Nothwendigkeit aber, die sich allein auf Abstraction gründet, findet nicht bey den Dingen statt,| so fern sie in der Anschauung mit solchen Bestimmungen gegeben werden, die blosse Verhältnisse ausdrücken, ohne etwas Inneres zum Grunde zu haben, darum, weil sie nicht Dinge an sich selbst, sondern lediglich Erscheinungen sind. Was wir auch nur an der Materie kennen, sind lauter Verhältnisse, (das, was wir innre Bestimmungen derselben nennen, ist nur comparativ innerlich), aber es sind darunter selbstständige und beharrliche, dadurch uns ein bestimter Gegenstand gegeben wird. Daß ich, wenn ich von diesen Verhältnissen abstrahire, gar nichts weiter zu denken habe, hebt den Begriff von einem Dinge, als Erscheinung nicht auf, auch nicht den Begriff von einem Gegenstande in abstracto, wol aber alle Möglichkeit eines solchen, der nach blossen Begriffen bestimbar ist, d. i. eines Noumenon. Freilich macht es stutzig, zu hören, daß ein Ding ganz und gar aus Verhältnissen bestehen solle, aber ein solches Ding, ist auch blosse Erscheinung, und kan gar nicht durch reine Categorien gedacht werden; es besteht selbst in dem blossen Verhältnisse von Etwas überhaupt zu den Sinnen. Eben so kan man die Verhältnisse der Dinge in abstracto, wenn man es mit blossen Begriffen anfängt, wol nicht anders denken, als daß eines die Ursache von Bestimmungen in dem andern sey; denn das ist unser Verstandesbegriff von Verhältnissen selbst. Allein, da wir alsdenn von aller Anschauung abstrahiren, so fällt eine ganze Art, wie das Mannigfaltige einander seinen Ort bestimmen kan, nemlich, die Form der Sinnlichkeit (der| Raum) weg, der doch vor aller empirischen Caussalität vorhergeht.
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 Wenn wir unter blos intelligibelen Gegenständen dieienigen Dinge verstehen, die durch reine Categorien, ohne alles Schema der Sinnlichkeit, gedacht werden, so sind dergleichen unmöglich. Denn die Bedingung des obiectiven Gebrauchs aller unserer Verstandesbegriffe ist blos die Art unserer sinnlichen Anschauung, wodurch uns Gegenstände gegeben werden, und, wenn wir von der lezteren abstrahiren, so haben die erstere gar keine Beziehung auf irgend ein Obiect. Ja wenn man auch eine andere Art der Anschauung, als diese unsere sinnliche ist, annehmen wollte, so würden doch unsere Functionen zu denken in Ansehung derselben von gar keiner Bedeutung seyn. Verstehen wir darunter nur Gegenstände einer nichtsinnlichen Anschauung, von denen unsere Categorien zwar freilich nicht gelten, und von denen wir also gar keine Erkentniß (weder Anschauung, noch Begriff) iemals haben können, so müssen Noümena in dieser blos negativen Bedeutung allerdings zugelassen werden: da sie denn nichts anders sagen, als: daß unsere Art der Anschauung nicht auf alle Dinge, sondern blos auf Gegenstände unserer Sinne geht, folglich ihre obiective Gültigkeit begränzt ist, und mithin vor irgend eine andere Art Anschauung, und also auch vor Dinge als Obiecte derselben Platz übrig bleibt. Aber alsdenn ist der Begriff eines Noümenon problematisch, d. i. die Vorstellung eines Dinges, von dem wir weder| sagen können, daß es möglich, noch daß es unmöglich sey, indem wir gar keine Art der Anschauung, als unsere sinnliche kennen, und keine Art der Begriffe, als die Categorien, keine von beiden aber einem aussersinnlichen Gegenstande angemessen ist. Wir können daher das Feld der Gegenstände unseres Denkens über die Bedingungen unserer Sinnlichkeit darum noch nicht positiv erweitern, und ausser den Erscheinungen noch Gegenstände des reinen Denkens, d. i. Noümena annehmen, weil iene keine anzugebende positive Bedeutung haben. Denn man muß von den Categorien eingestehen: daß sie allein noch nicht zur Erkentniß der Dinge an sich selbst zureichen, und ohne die data der Sinnlichkeit blos subiective Formen der Verstandeseinheit, aber ohne Gegenstand, seyn würden. Das Denken ist zwar an sich kein Product der Sinne, und so fern durch sie auch nicht eingeschränkt, aber darum nicht so fort von eigenem und reinem Gebrauche, ohne Beytritt der Sinnlichkeit, weil es alsdenn ohne Obiect ist. Man kan auch das Noumenon nicht ein solches Obiect nennen; denn dieses bedeutet eben den problematischen Begriff von einem Gegenstande vor eine ganz andere Anschauung und einen ganz anderen Verstand, als der unsrige, der mithin selbst ein Problem ist. Der Begriff des Noumenon ist also nicht der Begriff von einem Obiect, sondern die unvermeidlich mit der Einschränkung unserer Sinnlichkeit zusammenhängende Aufgabe, ob es nicht von iener ihrer Anschauung ganz entbundene Gegenstände geben möge,| welche Frage nur unbestimt beantwortet werden kan, nemlich: daß, weil die sinnliche Anschauung nicht auf alle Dinge ohne Unterschied geht, für mehr und andere Gegenstände Platz übrig bleibe, sie also nicht schlechthin abgeläugnet, in Ermangelung eines bestimten Begriffs aber, (da keine Categorie dazu tauglich ist) auch nicht als Gegenstände vor unsern Verstand behauptet werden können.
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 Der Verstand begränzt demnach die Sinnlichkeit, ohne darum sein eigenes Feld zu erweitern, und, indem er iene warnet, daß sie sich nicht anmasse, auf Dinge an sich selbst zu gehen, sondern lediglich auf Erscheinungen, so denkt er sich einen Gegenstand an sich selbst, aber nur als transscendentales Obiect, das die Ursache der Erscheinung (mithin selbst nicht Erscheinung) ist, und weder als Grösse, noch als Realität, noch als Substanz etc. gedacht werden kan, (weil diese Begriffe immer sinnliche Formen, erfordern, in denen sie einen Gegenstand bestimmen) wovon also völlig unbekant ist, ob es in uns, oder auch ausser uns anzutreffen sey, ob es mit der Sinnlichkeit zugleich aufgehoben werden, oder, wenn wir iene wegnehmen, noch übrig bleiben würde. Wollen wir dieses Obiect Noumenon nennen, darum, weil die Vorstellung von ihm nicht sinnlich ist, so steht dieses uns frey. Da wir aber keine von unseren Verstandesbegriffen darauf anwenden können, so bleibt diese Vorstellung doch vor uns leer, und dient zu nichts, als die Gränzen unserer sinnlichen Erkentniß zu| bezeichnen, und einen Raum übrig zu lassen, den wir weder durch mögliche Erfahrung, noch durch den reinen Verstand ausfüllen können.

 Die Critik dieses reinen Verstandes erlaubt es also nicht, sich ein neues Feld von Gegenständen, ausser denen, die ihm als Erscheinungen vorkommen können, zu schaffen, und in intelligibele Welten, so gar nicht einmal in ihren Begriff auszuschweifen. Der Fehler, welcher hiezu auf die allerscheinbarste Art verleitet, und allerdings entschuldigt, obgleich nicht gerechtfertigt werden kan, liegt darin: daß der Gebrauch des Verstandes, wider seine Bestimmung, transscendental gemacht, und die Gegenstände, d. i. mögliche Anschauungen, sich nach Begriffen, nicht aber Begriffe sich nach möglichen Anschauungen (als auf denen allein ihre obiective Gültigkeit beruht) richten müssen. Die Ursache hievon aber ist wiederum: daß die Apperception, und, mit ihr, das Denken vor aller möglichen bestimten Anordnung der Vorstellungen vorhergeht. Wir denken also Etwas überhaupt, und bestimmen es einerseits sinnlich, allein unterscheiden doch den allgemeinen und in abstracto vorgestellten Gegenstand von dieser Art ihn anzuschauen; da bleibt uns nun eine Art, ihn blos durch Denken zu bestimmen, übrig, welche zwar eine blosse logische Form ohne Inhalt ist, uns aber dennoch eine Art zu seyn scheint, wie das Obiect an sich existire (Noümenon), ohne auf die Anschauung zu sehen, welche auf unsere Sinne eingeschränkt ist.

|  Ehe wir die transscendentale Analytik verlassen, müssen wir noch etwas hinzufügen, was, obgleich an sich von nicht sonderlicher Erheblichkeit, dennoch zur Vollständigkeit des Systems erforderlich scheinen dürfte. Der höchste Begriff, von dem man eine Transscendentalphilosophie anzufangen pflegt, ist gemeiniglich die Eintheilung in das Mögliche und Unmögliche. Da aber alle Eintheilung einen eingetheilten Begriff voraussezt, so muß noch ein höherer angegeben werden, und dieser ist der Begriff von einem Gegenstande überhaupt (problematisch genommen, und unausgemacht, ob er Etwas oder Nichts sey.) Weil die Categorien die einzige Begriffe sind, die sich auf Gegenstände überhaupt beziehen, so wird die Unterscheidung eines Gegenstandes, ob er Etwas oder Nichts sey, nach der Ordnung und Anweisung der Categorien fortgehen.
1) Den Begriffen von Allem, Vielen und Einem ist der, so alles aufhebt; d. i. Keines entgegen gesezt, und so ist der Gegenstand eines Begriffs, dem gar keine anzugebende Anschauung correspondirt, = Nichts, d. i. ein Begriff ohne Gegenstand, wie die Noümena, die nicht unter die Möglichkeiten gezehlt werden können, obgleich auch darum nicht vor unmöglich ausgegeben werden müssen, (ens rationis) oder wie etwa gewisse neue Grundkräfte, die man| sich denkt, zwar ohne Widerspruch, aber auch ohne Beyspiel aus der Erfahrung gedacht worden, und also nicht unter die Möglichkeiten gezehlt werden müssen.
2) Realität ist Etwas, Negation ist Nichts, nemlich ein Begriff von dem Mangel eines Gegenstandes, wie der Schatten, die Kälte (nihil privativum).
3) Die blosse Form der Anschauung, ohne Substanz, ist an sich kein Gegenstand, sondern die blos formale Bedingung desselben, (als Erscheinung) wie der reine Raum, und die reine Zeit (ens imaginarium) die zwar Etwas sind, als Formen anzuschauen, aber selbst keine Gegenstände sind, die angeschauet werden.
4) Der Gegenstand eines Begriffs, der sich selbst widerspricht, ist Nichts, weil der Begriff nichts ist, das Unmögliche, wie etwa die geradlinigte Figur von zwey Seiten (nihil negativum).

Die Tafel dieser Eintheilung des Begriffs von Nichts (denn die dieser gleichlaufende Eintheilung des Etwas folgt von selber) würde daher so angelegt werden müssen:


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  Nichts
als
1.
Leerer Begriff ohne Gegenstand
ens rationis
 
2.
Leerer Gegenstand eines
Begriffs
nihil privativum
3.
Leere Anschauung ohne
Gegenstand
ens imaginarium
  4.
Leerer Gegenstand ohne Begriff
nihil negativum.
 


 Man siehet: daß das Gedankending (n. 1.) von dem Undinge (n. 4.) dadurch unterschieden werde, daß ienes nicht unter die Möglichkeiten gezehlt werden darf, weil es blos Erdichtung (obzwar nicht widersprechende) ist, dieses aber der Möglichkeit entgegen gesezt ist, indem der Begriff so gar sich selbst aufhebt. Beide sind aber leere Begriffe. Dagegen sind das nihil privativum (n. 2.) und ens imaginarium (n. 3.) leere Data zu Begriffen. Wenn das Licht nicht den Sinnen gegeben worden, so kan man sich auch keine Finsterniß, und, wenn nicht ausgedehnte Wesen wahrgenommen worden, keinen Raum vorstellen. Die Negation so wol, als die blosse Form der Anschauung, sind, ohne ein Reales keine Obiecte.



  1. Wollte man sich hier der gewöhnlichen Ausflucht bedienen: daß wenigstens realitates Noümena einander nicht entgegen wirken können, so müßte man doch ein Beyspiel von dergleichen reiner und sinnenfreier Realität anführen, damit man verstände, ob eine solche überhaupt etwas oder gar nichts vorstelle. Aber es kan kein Beyspiel woher anders, als aus der Erfahrung genommen [283] werden, die niemals mehr, als Phaenomena darbietet, und so bedeutet dieser Satz nichts weiter, als daß der Begriff, der lauter Beiahungen enthält, nichts verneinendes enthalte, ein Satz, an dem wir niemals gezweifelt haben.


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