Textdaten
Autor: Johann Wolfgang von Goethe
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Titel: Clavigo. Ein Trauerspiel
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Entstehungsdatum: 1774
Erscheinungsdatum: 1774
Verlag: Weygandsche Buchhandlung
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Schauspiel
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[1]
Clavigo.


Ein Trauerspiel
von
Göthe.





Leipzig,
in der Weygandschen Buchhandlung.
1774.

[2] [3]

Personen.


Clavigo, Archivarius des Königs.

Carlos, dessen Freund.

von Beaumarchais.

Marie von Beaumarchais.

Sophie Guilbert, gebohrne von Beaumarchais.

Guilbert, ihr Mann,

Buenko.

Saint George.


Der Schauplatz ist zu Madrid.



[4]

[5]
Erster Akt.
Clavigos Wohnung.


Clavigo. Carlos.

Clavigo (vom Schreibtisch aufstehend) Das Blatt wird eine gute Würkung thun, es muß alle Weiber bezaubern. Sag mir, Carlos, glaubst du nicht, daß meine Wochenschrift jezo eine der ersten in Europa ist?

[6] Carlos. Wir Spanier wenigstens haben keinen neuern Autor, der so viel Stärke des Gedankens, so viel blühende Einbildungskraft mit einem so glänzenden und leichten Styl verbände.

Clavigo. Laß mich! Ich muß unter dem Volke noch der Schöpfer des guten Geschmaks werden. Die Menschen sind willig, allerley Eindrücke anzunehmen, und ich habe einen Ruhm, ein Zutrauen unter meinen Mitbürgern, und, unter uns gesagt, meine Kenntnisse breiten sich täglich aus; meine Empfindungen erweitern sich, und mein Styl bildet sich immer wahrer und stärker.

Carlos. Gut, Clavigo! Doch, wenn du mir’s nicht übel nehmen willst, so gefiel mir damals deine Schrift weit besser, als du sie noch zu Mariens Füssen schriebst, als noch das liebliche, muntere Geschöpf auf dich Einfluß hatte, ich weis nicht, das Ganze hatte ein jugendlicheres, blühenderes Ansehn.

Clavigo. Es waren gute Zeiten, Carlos, die nun vorbey sind. Ich gestehe dir gern, ich schrieb damals mit offenerm Herzen, und wahr ist’s, sie hatte viel Antheil an dem Beyfall, den das Publikum mir gleich Anfangs gewährte. [7] Aber in der Länge, Carlos, man wird der Weiber gar bald satt, und warst du nicht der erste, meinem Entschluß Beyfall zu geben, als ich mir vornahm, sie zu verlassen.

Carlos. Du wärst versauert. Sie sind gar zu einförmig. Nur, dünkt mich, wär’s wieder Zeit, daß du dich nach einem neuen Plan umsähest, es ist doch auch nichts, wenn man so ganz auf’m Sand ist.

Clavigo. Mein Plan ist der Hof, da gilts kein feyern. Hab ich’s für einen Fremden, der ohne Stand, ohne Namen, ohne Vermögen hierher kam, nicht weit genug gebracht? Hier an einem Hofe! unter dem Gedräng von Menschen, wo es so schwer hält, sich bemerken zu machen? Mir ist’s so wohl, wenn ich den Weg ansehe, den ich zurückgelegt habe. Geliebt von den Ersten des Königreichs, geehrt durch meine Wissenschaften, meinen Rang! Archivarius des Königs! Carlos, das spornt mich alles; ich wäre nichts, wenn ich bliebe was ich bin! Hinauf! hinauf! Und da kostets Mühe und List! Man braucht seinen ganzen Kopf, und die Weiber, die Weiber! Man vertändelt gar zu viel Zeit mit ihnen.

Carlos. Narre, das ist deine Schuld. Ich kann nie ohne Weiber leben, und mich [8] hindern sie gar nichts. Auch sag ich ihnen nicht so viel schöne Sachen, tröste mich nicht Monate lang an Sentiments und dergleichen. Wie ich denn mit honnetten Mädchen am ungernsten zu thun habe. Ausgeredt hat man bald mit ihnen, hernach schleppt man sich eine Zeitlang herum, und kaum sind sie ein bisgen warm bey einem, hat sie der Teufel gleich mit Heurathsgedanken und Heurathsvorschlägen, die ich fürchte wie die Pest. Du bist nachdenkend, Clavigo?

Clavigo. Ich kann die Erinnerung nicht los werden, daß ich Marien verlassen – hintergangen habe, nenn’s wie du willst.

Carlos. Wunderlich! Mich dünkt doch, man lebt nur einmal in der Welt, hat nur einmal diese Kräfte, diese Aussichten, und wer sie nicht zum Besten braucht, wer sich nicht so weit treibt als möglich, ist ein Thor. Und heurathen! heurathen just zur Zeit, da das Leben erst recht in Schwung kommen soll, sich häuslich niederlassen, sich einschränken, da man noch die Hälfte seiner Wanderung nicht zurückgelegt, die Hälfte seiner Eroberungen noch nicht gemacht hat! Daß du sie liebtest, das war natürlich, daß du ihr die Ehe versprachst, war eine Narrheit, und wenn du Wort gehalten hättest, wär’s gar Raserey gewesen.

[9] Clavigo. Sieh, ich begreife den Menschen nicht. Ich liebte sie warlich, sie zog mich an, sie hielte mich, und wie ich zu ihren Füssen sas, schwur ich ihr, schwur ich mir, daß es ewig so gehen sollte, daß ich der Ihrige seyn wollte, so bald ich ein Amt hätte, einen Stand – Und nun, Carlos!

Carlos. Es wird noch Zeit genug seyn, wenn du ein gemachter Mann bist, wenn du dich zu dem erwünschten Ziele aufgeschwungen hast, daß du alsdann, um all dein Glük zu frönen und zu befestigen, dich mit einem angesehenen und reichen Hause durch eine kluge Heurath zu verbinden suchst.

Clavigo. Sie ist verschwunden! Glatt aus meinem Herzen verschwunden, und wenn mir [i]hr Unglück nicht manchmal durch durch den Kopf führe – Daß man so veränderlich ist!

Carlos. Wenn man beständig wäre, wollt ich mich verwundern. Sieh doch, verändert sich nicht alles in der Welt, warum sollten unsere Leidenschaften bleiben. Sey du ruhig, sie ist nicht das erste verlaßne Mädchen, und nicht das erste, das sich getröstet hat. Wenn ich dir rathen soll, da ist die junge Wittwe gegen über –

[10] Clavigo. Du weist, ich halte nicht viel auf solche Vorschläge, ein Roman, der nicht ganz von selbst kommt, ist nicht im Stand, mich einzunehmen.

Carlos. Ueber die delikaten Leute.

Clavigo. Laß das gut seyn, und vergiß nicht, daß unser Hauptwerk gegenwärtig seyn muß, uns dem neuen Minister nothwendig zu machen. Daß Whal das Gouvernement von Indien niederlegt, ist immer beschwerlich vor uns. Zwar ist mir’s weiter nicht bange, sein Einfluß bleibt – Grimaldi und er sind Freunde, und wir können schwatzen und uns bücken –

Carlos. Und denken und thun was wir wollen.

Clavigo. Das ist die Hauptsache in der Welt. (er schellt dem Bedienten) Tragt das Blatt in die Druckerey.

Carlos. Sieht man euch den Abend?

Clavigo. Nicht wohl. Nachfragen könnt ihr ja.

Carlos. Ich möchte heut Abend gar zu gern was unternehmen, das mir das Herz erfreute, ich muß diesen ganzen Nachmittag wieder schreiben. Das endigt nicht.

[11] Clavigo. Laß es gut seyn. Wenn wir nicht für so viele Leute arbeiteten, wären wir so viel Leuten nicht über den Kopf gewachsen.

(ab.)


Guilberts Wohnung.


Sophie Guilbert. Marie von Beaumarchais. Don Buenko.

Buenko. Sie haben eine üble Nacht gehabt?

Sophie. Ich sagt’s ihr gestern Abend. Sie war so ausgelassen lustig, und hat geschwatzt bis eilfe, da war sie erhitzt, konnte nicht schlafen, und nun hat sie wieder keinen Athem, und weint den ganzen Morgen.

Marie. Daß unser Bruder nicht kommt. Es sind zwey Tage über die Zeit.

Sophie. Nur Geduld, er bleibt nicht aus.

Marie. (aufstehend) Wie begierig bin ich, diesen Bruder zu sehen, meinen Richter und meinen Retter. Ich erinnere mich seiner kaum.

Sophie. O ja, ich kann mir ihn noch wohl vorstellen, er war ein feuriger, offener, braver Knabe von dreyzehn Jahren, als uns unser Vater hierherschickte.

[12] Marie. Eine edle grosse Seele. Sie haben den Brief gelesen, den er schrieb, als er mein Unglück erfuhr. Jeder Buchstabe davon steht in meinem Herzen. Wenn Du schuldig bist, schreibt er, so erwarte keine Vergebung; über dein Elend soll noch die Verachtung eines Bruders auf Dir schwer werden, und der Fluch eines Vaters. Bist du unschuldig! O dann alle Rache, alle, alle glühende Rache auf den Verräther! – Ich zittere! Er wird kommen. Ich zitere, nicht für mich, ich stehe vor Gott in meiner Unschuld. – Ihr müßt, meine Freunde – Ich weis nicht was ich will! O Clavigo.

Sophie. Du hörst nicht! Du wirst Dich umbringen.

Marie. Ich will stille seyn! Ja ich will nicht weinen. Mich dünkt auch, ich hätte keine Thränen mehr! Und warum Thränen? Es ist mir nur leid, daß ich euch das Leben sauer mache. Denn im Grunde, worüber beklag ich mich. Ich habe viel Freude gehabt, so lang unser alter Freund noch lebte. Clavigos Liebe hat mir viel Freude gemacht, vielleicht mehr als ihm die meinige. Und nun – Was ist’s nun weiter? Was ist an mir gelegen? [13] an einem Mädchen gelegen, ob ihm das Herz bricht? Ob es sich verzehrt und sein armes junges Leben ausquält?

Buenko. Um Gotteswillen Mamsell.

Marie. Ob’s ihm wohl einerley ist – daß er mich nicht mehr liebt? Ach! warum bin ich nicht mehr liebenswürdig? – Aber bedauern, bedauern sollt’ er mich! daß die Arme, der er sich so nothwendig gemacht hatte, nun ohne ihn ihr Leben hinschleichen, hinjammern soll. – Bedauern! Ich mag nicht von dem Menschen bedauert seyn.

Sophie. Wenn ich dich ihn könnte verachten lernen, den Nichtswürdigen! den Hassenswürdigen!

Marie. Nein, Schwester, ein Nichtswürdiger ist er nicht, und muß ich denn den verachten, den ich hasse! – Hassen! Ja manchmal kann ich ihn hassen, manchmal, wenn der spanische Geist über mich kommt. Neulich, o neulich, als wir ihm begegnet hatten, sein Anblick würkte volle warme Liebe auf mich! und wie ich wieder zu Hause kam, und mir sein Betragen auffiel, und der ruhige, kalte Blick, den er über mich herwarf an Seite der glänzenden Donna; da ward ich Spanierin in [14] meinem Herzen und grif nach meinem Dolch und nahm Gift zu mir, und verkleidete mich. Ihr erstaunt, Buenko, alles in Gedanken, versteht sich.

Sophie. Närrisches Mädgen.

Marie. Meine Einbildungskraft führte mich ihm nach, ich sah ihn, wie er zu den Füssen seiner neuen Geliebten all die Freundlichkeit, all die Demuth verschwendete, mit der er mich vergiftet hat, ich zielte nach dem Herzen des Verräthers! Ach Buenko! – Auf einmal war das gutherzige französische Mädchen wieder da, das keine Liebestränke kennt und keine Dolche zur Rache. Wir sind übel dran! Vaudevilles, unsere Liebhaber zu unterhalten, Fächer, sie zu strafen, und wenn sie untreu sind? – Sag, Schwester, wie machen sie’s in Frankreich, wenn die Liebhaber untreu sind?

Sophie. Man verwünscht sie.

Marie. Und?

Sophie. Und läßt sie laufen.

Marie. Laufen! Nun und warum soll ich Clavigo nicht laufen lassen. Wenn das in Frankreich Mode ist, warum soll’s nicht in Spanien seyn? Warum soll eine Französin [15] in Spanien nicht Französin seyn. Wir wollen ihn laufen lassen und uns einen andern nehmen, mich dünkt, sie machen’s bey uns auch so.

Buenko. Er hat eine feyerliche Zusage gebrochen, und keinen leichtsinnigen Roman, kein gesellschaftliches Attachement. Mademoiselle, Sie sind bis ins innerste Herz beleidigt, gekränkt. O mir ist mein Stand, daß ich ein unbedeutender ruhiger Bürger von Madrid bin, nie so beschwerlich, nie so ängstlich gewesen, als jetzt, da ich mich so schwach, so unvermögend fühle, Ihnen gegen den falschen Höfling Gerechtigkeit zu schaffen!

Marie. Wie er noch Clavigo war; noch nicht Archivarius des Königs, wie er der Fremdling, der Ankömmling, der neu eingeführte in unserm Hause war, wie liebenswürdig war er, wie gut! Wie schien all sein Ehrgeiz, all sein Aufstreben ein Kind der Liebe zu seyn. Für mich rang er nach Namen, Stand, Güter, er hats, und ich! – –

Guilbert (kommt).

(Heimlich zu seiner Frau.) Der Bruder kommt.

Marie. Der Bruder! – (sie zittert, man führt sie in einen Sessel.) Wo! wo! Bringt mir ihn! Bringt mich hin!

[16]
von Beaumarchais (kommt).

Meine Schwester! (von der ältesten weg, nach der jüngsten zugehend.) Meine Schwester! Meine Freunde! o Schwester!

Marie. Bist du da! Gott sey Dank, du bist da!

Beaumarchais. Laß mich zu mir selbst kommen.

Marie. Mein Herz, mein armes Herz!

Sophie. Beruhigt euch; lieber Bruder, ich hoffte, dich gelassener zu sehn.

Beaumarchais. Gelassener. Seyd ihr denn gelassen! Seh ich nicht an der zerstörten Gestalt dieser lieben, an deinen verweinten Augen, deiner Blässe des Kummers, an dem todten Stillschweigen eurer Freunde, daß ihr so elend seyd, wie ich mir euch den ganzen langen Weg vorgestellt habe – und elender – denn ich seh euch, ich hab euch in meinen Armen, die Gegenwart verdoppelt meine Gefühle, o meine Schwester!

Sophie. Und unser Vater?

Beaumarchais. Er segnet euch und mich, wenn ich euch rette.

[17] Buenko. Mein Herr, erlauben Sie einem Unbekannten, der den edlen braven Menschen in Ihnen bey’m ersten Anblick erkennt, seinen innigsten Antheil an Tag zu legen, den er bey dieser ganzen Sache empfindet. Mein Herr! Sie machen diese ungeheure Reise, Ihre Schwester zu retten, zu rächen. Willkommen! seyn Sie willkommen wie ein Engel, ob sie uns alle gleich beschämen!

Beaumarchais. Ich hofte, mein Herr, in Spanien solche Herzen zu finden, wie das Ihre ist, das hat mich angespornt, den Schritt zu thun. Nirgend, nirgend in der Welt mangelt es an theilnehmenden beystimmenden Seelen, wenn nur einer auftritt, dessen Umstände ihm völlige Freyheit lassen, all seiner Entschlossenheit zu folgen. Und o, meine Freunde, ich habe das hoffnungsvolle Gefühl! überall giebts treffliche Menschen unter den Mächtigen und Großen, und das Ohr der Majestät ist selten taub, nur ist unsere Stimme meist zu schwach, bis dahinauf zu reichen.

Sophie. Kommt, Schwester! Kommt! Legt euch einen Augenblick nieder. Sie ist ganz außer sich. (Sie führen sie weg.)

Marie. Mein Bruder!

[18] Beaumarchais. Will’s Gott, du bist unschuldig, und dann alle, alle Rache über den Verräther.

(Marie. Sophie. ab.)

Beaumarchais. Mein Bruder! Meine Freunde! ich seh’s an euren Blicken, daß ihr’s seyd. Laßt mich zu mir selbst kommen. Und dann! Eine reine unpartheyische Erzählung der ganzen Geschichte, die soll meine Handlungen bestimmen. Das Gefühl einer guten Sache soll meinen Entschluß befestigen, und glaubt mir, wenn wir Recht haben, werden wir Gerechtigkeit finden.


Zweyter Akt.
Das Haus des Clavigo.


Clavigo.

Wer die Franzosen seyn mögen, die sich bey mir haben melden lassen? – Franzosen! Sonst war mir diese Nation willkommen! – Und warum nicht jetzt? Es ist wunderbar, ein Mensch, der sich über so vieles hinaussetzt, [19] wird doch an einer Ecke mit Zwirnsfäden angebunden. – Weg! – und war ich Marien mehr schuldig, als mir, und ist’s eine Pflicht, mich unglücklich zu machen, weil mich ein Mädgen liebt.

Bediente.

Die Fremden, mein Herr.

Clavigo. Führ sie herein. Du sagtest doch ihrem Bedienten, daß ich sie zum Frühstück erwarte?

Bediente. Wie sie befahlen.

Clavigo. Ich bin gleich wieder hier.

(ab.)
von Beaumarchais. Saint George (Der Bediente setzt ihnen Stühle und geht.)

Beaumarchais. Es ist mir so leicht! so wohl! mein Freund, daß ich endlich hier bin, daß ich ihn habe, er soll mir nicht entwischen. Seyn Sie ruhig, wenigstens zeigen Sie ihm die gelassenste Aussenseite. Meine Schwester, meine Schwester! Wer glaubte, daß du so unschuldig als unglücklich bist. Es soll an den Tag kommen, du sollst auf das grimmigste gerochen werden. Und du guter Gott erhalt mir die Ruhe der Seele, die du mir in diesem Augenblicke gewährest, daß ich mir aller Mäßigung [20] in dem entsetzlichen Schmerz und so klug handle als möglich.

Saint George. Ja diese Klugheit, alles, mein Freund, was Sie jemals von Ueberlegung bewiesen haben, nehm ich in Anspruch. Sagen Sie mir’s zu, mein Bester, noch einmal, daß Sie bedenken, wo Sie sind. In einem fremden Königreiche, wo alle Ihre Beschützer, wo all Ihr Geld nicht im Stande ist, Sie gegen die geheimen Maschinen nichtswürdiger Feinde zu sichern.

Beaumarchais. Seyn Sie ruhig. Spielen Sie Ihre Rolle gut, er soll nicht wissen, mit welchem von uns beyden er’s zu thun hat. Ich will ihn martern. O ich bin guten Humors genug, um den Kerl an einem langsamen Feuer zu braten.

Clavigo.

Meine Herren, es ist mir eine Freude, Männer von einer Nation bey mir zu sehen, die ich immer geschätzt habe.

Beaumarchais. Mein Herr, ich wünsche, daß auch wir der Ehre würdig seyn mögen, die Sie unsern Landsleuten anzuthun belieben.

Saint Georg. Das Vergnügen, Sie kennen zu lernen, hat bey uns die Bedenklichkeit überwunden, daß wir beschwerlich seyn könnten. [21] Clavigo. Personen, die der erste Anblick empfiehlt, sollten die Bescheidenheit nicht so weit treiben.

Beaumarchais. Freylich kann Ihnen nicht fremd seyn, von Unbekannten besucht zu werden, da Sie durch die Vortreflichkeit Ihrer Schriften sich eben so sehr in auswärtigen Reichen bekannt gemacht haben, als die ansehnlichen Aemter, die Ihro Majestät Ihnen anvertrauen, Sie in Ihrem Vaterlande distinguiren.

Clavigo. Der König hat viel Gnade für meine geringe Dienste, und das Publikum viel Nachsicht für die unbedeutende Versuche meiner Feder, ich wünschte, daß ich einigermassen etwas zu der Verbesserung des Geschmacks in meinem Lande, zur Ausbreitung der Wissenschaften beytragen könnte. Denn sie sind’s allein, die uns mit andern Nationen verbinden, sie sind’s, die aus den entferntesten Geistern Freunde machen, und die angenehmste Vereinigung unter denen selbst erhalten, die leider durch Staatsverhältnisse öfters getrennt werden.

Beaumarchais. Es ist entzückend, einen Mann so reden zu hören, der gleichen Einfluß auf den Staat und auf die Wissenschaften hat. Auch muß ich gestehen, Sie haben mir das Wort aus dem Munde genommen, und mich gerades [22] Wegs auf das Anliegen gebracht, um dessentwillen Sie mich hier sehen. Eine Gesellschaft gelehrter würdiger Männer hat mir den Auftrag gegeben, an jedem Orte, wo ich durchreiste und Gelegenheit fände, einen Briefwechsel zwischen ihnen und den besten Köpfen des Königreichs zu stiften. Wie nun kein Spanier besser schreibt, als der Verfasser der Blätter, die unter dem Namen: der Denker, so bekannt sind, ein Mann, mit dem ich die Ehre habe zu reden –

Clavigo (macht eine verbindliche Beugung.)

Beaumarchais. und der eine besondere Zierde der Gelehrten ist, indem er gewußt hat, mit seinen Talenten einen solchen Grad von Weltklugheit zu verbinden; dem es nicht fehlen kann, die glänzende Stufen zu besteigen, deren ihn sein Charakter und seine Kenntnisse würdig machen. Ich glaube meinen Freunden keinen angenehmern Dienst leisten zu können, als wenn ich sie mit einem solchen Manne verbinde.

Clavigo. Kein Vorschlag in der Welt konnte mir erwünschter seyn, meine Herren, ich sehe dadurch die angenehmsten Hoffnungen erfüllt, mit denen sich mein Herz oft ohne Aussicht einer glücklichen Bewährung beschäftigte. Nicht daß ich glaubte, durch meinen Briefwechsel denen [23] Wünschen Ihrer gelehrten Freunde genug thun zu können, so weit geht meine Eitelkeit nicht. Aber da ich das Glück habe, daß die besten Köpfe in Spanien mit mir zusammenhängen, da mir nichts unbekannt bleiben mag, was in unserm weiten Reiche von einzelnen, oft verborgenen Männern für die Wissenschaften, für die Künste gethan wird; so sahe ich mich bisher als einen Kolporteur an, der das geringe Verdienst hat, die Erfindungen anderer gemeinnützig zu machen, nun aber werd ich durch Ihre Dazwischenkunft zum Handelsmann, der das Glück hat, durch Umsetzung der einheimischen Produkten den Ruhm seines Vaterlandes auszubreiten, und darüber es noch mit fremden Schätzen zu bereichern. Und so erlauben Sie, mein Herr, daß ich einen Mann, der mit solcher Freymüthigkeit eine so angenehme Botschaft bringt, nicht wie einen Fremden behandle; erlauben Sie, daß ich frage, was für ein Geschäft, was für ein Anliegen Sie diesen weiten Weg geführt hat? Nicht, als wollt’ ich durch diese Indiskretion eine eitle Neugierde befriedigen; nein, glauben Sie vielmehr, daß es in der reinsten Absicht geschieht, alle Kräfte, allen Einfluß, den ich etwa haben mag, für Sie zu verwenden; denn ich sage Ihnen zum voraus, Sie sind an einen Ort gekommen, [24] wo sich einem Fremden zu Ausführung seiner Geschäfte, besonders bey Hofe, unzählige Schwürigkeiten entgegen setzen.

Beaumarchais. Ich nehme ein so gefälliges Anerbieten mit allem Dank an. Ich habe keine Geheimnisse für Sie, mein Herr, und dieser Freund wird bey meiner Erzählung nicht zu viel seyn, er ist sattsam von dem unterrichtet, was ich Ihnen zu sagen habe.

Clavigo. (betrachtet Saint George mit Aufmerksamkeit)

Beaumarchais. Ein französischer Kaufmann, der bey einer starken Anzahl von Kindern wenig Vermögen besaß, hatte viele Correspondenten in Spanien. Einer der reichsten kam vor funfzehn Jahren nach Paris, und that ihm den Vorschlag: Gebt mir zwey von euren Töchtern, ich nehme sie mit nach Madrid, und versorge sie. Ich bin ledig, bejahrt, ohne Verwandte, sie werden das Glück meiner alten Tage machen, und nach meinem Tode hinterlaß ich ihnen eine der ansehnlichsten Handlungen in Spanien.

Man vertraute ihm die älteste und eine der jüngern Schwestern. Der Vater übernahm, das Haus mit allen französischen Waaren zu versehn, [25] die man verlangen würde, und so hatte alles ein gutes Ansehn, bis der Correspondent mit Tode abgieng, ohne die Französinnen im geringsten zu bedenken, die sich denn in dem beschwerlichen Falle sahen, allein einer neuen Handlung vorzustehen.

Die älteste hatte unterdessen geheurathet, und ohnerachtet des geringen Zustandes ihrer Glücksgüter, erhielten sie sich durch gute Aufführung und durch die Annehmlichkeit ihres Geistes eine Menge Freunde, die sich wechselsweise beeiferten, ihren Credit und ihre Geschäfte zu erweitern.

Clavigo. (wird immer aufmerksamer)

Beaumarchais. Ohngefähr um eben die Zeit hatte sich ein junger Mensch, von den Canarischen Inseln bürtig, in dem Hause vorstellen lassen.

Clavigo. (verliert alle Munterkeit aus seinem Gesicht, und sein Ernst geht nach und nach in eine Verlegenheit über, die immer sichtbarer wird.)

Beaumarchais. Ohngeachtet seines geringen Standes und Vermögens nimmt man ihn gefällig auf. Die Frauenzimmer, die eine große Begierde zur französischen Sprache an ihm bemerkten, [26] erleichtern ihm alle Mittel, sich in weniger Zeit große Kenntnisse zu erwerben.

Voll von Begierde, sich einen Namen zu machen, fällt er auf den Gedanken, der Stadt Madrid das, seiner Nation noch unbekannte Vergnügen einer Wochenschrift im Geschmack des englischen Zuschauers zu geben. Seine Freundinnen lassen es nicht ermangeln, ihm auf alle Art beyzustehen, man zweifelt nicht, daß ein solches Unternehmen großen Beyfall finden würde; genug, ermuntert duch die Hofnung, nun bald ein Mensch von einiger Bedeutung werden zu können, wagt er es, der jüngsten einen Heurathsvorschlag zu thun.

Man giebt ihm Hofnung. Such euer Glück zu machen, sagt die älteste, und wenn euch ein Amt, die Gunst des Hofes, oder irgend sonst ein Mittel, ein Recht wird gegeben haben, an meine Schwester zu denken, wenn sie euch denn andern Freyern vorzieht, kann ich euch meine Einwilligung nicht versagen.

Clavigo. (bewegt sich in höchster Verwirrung auf seinem Sessel)

Beaumarchais. Die jüngste schlägt verschiedene ansehnliche Parthien aus; ihre Neigung gegen den Menschen nimmt zu, und hilft [27] ihr die Sorge einer ungewissen Erwartung tragen, sie interessiert sich für sein Glück, wie für ihr eigenes, und ermuntert ihn, das erste Blatt seiner Wochenschrift zu geben, das unter einem vielversprechenden Titel erscheint.

Clavigo. (ist in der entsetzlichsten Verlegenheit)

Beaumarchais. (ganz kalt) Das Werk macht ein erstaunendes Glück; der König selbst, durch diese liebenswürdige Produktion ergötzt, gab dem Autor öffentliche Zeichen seiner Gnade. Man versprach ihm das erste ansehnliche Amt, das sich aufthun würde. Von dem Augenblicke an entfernt er alle Nebenbuhler von seiner Geliebten, indem er ganz öffentlich sich um sie bemühte. Die Heurath verzog sich nur in Erwartung der zugesagten Versorgung. – Endlich nach sechs Jahren Harren, ununterbrochener Freundschaft, Beystand und Liebe von der Seite des Mädgens; Ergebenheit, Dankbarkeit, Bemühungen, heilige Versicherungen von der Seite des Mannes erscheint das Amt – und er verschwindet –

Clavigo. (Es entfährt ihm ein tiefer Seufzer, den er zu verbergen sucht, und ganz ausser sich ist.)

Beaumarchais. Die Sache hatte zu großes Aufsehn gemacht, als daß man die Entwicklung [28] sollte gleichgültig angesehen haben. Ein Haus für zwey Familien war gemiethet. Die ganze Stadt sprach davon. Alle Freunde waren aufs höchste aufgebracht und suchten Rache. Man wendete sich an mächtige Gönner, allein der Nichtswürdige, der nun schon in den Cabalen des Hofs initiiret war, weis alle Bemühungen fruchtlos zu machen, und geht in seiner Insolenz so weit, daß er es wagt, die Unglücklichen zu bedrohen; wagt, denen Freunden, die sich zu ihm begeben, ins Gesicht zu sagen: die Französinnen sollten sich in Acht nehmen, er böte sie auf, ihm zu schaden, und wenn sie sich unterstünden, etwas gegen ihn zu unternehmen, so wär’s ihm ein leichtes, sie in einem fremden Lande zu verderben, wo sie ohne Schutz und Hülfe seyen.

Das arme Mädgen fiel auf diese Nachricht in Convulsionen, die ihr den Tod drohten. In der Tiefe ihres Jammers schreibt die älteste nach Frankreich die offenbare Beschimpfung, die ihnen angethan worden. Die Nachricht bewegt ihren Bruder auf’s schröcklichste, er verlangt seinen Abschied, um in so einer verwirrten Sache selbst Rath und Hülfe zu schaffen, er ist im Flug von Paris zu Madrid, und der Bruder – bin ich! der alles verlassen hat, Vaterland, [29] Pflichten, Familie, Stand, Vergnügen, um in Spanien eine unschuldige unglückliche Schwester zu rächen.

Ich komme bewaffnet mit der besten Sache und aller Entschlossenheit, einen Verräther zu entlarven, mit blutigen Zügen seine Seele auf sein Gesicht zu zeichnen und der Verräther – bist du!

Clavigo. Hören sie mich, mein Herr – Ich bin – Ich habe – Ich zweifle nicht –

Beaumarchais. Unterbrechen sie mich nicht. Sie haben mir nichts zu sagen und viel von mir zu hören.

Nun um einen Anfang zu machen, seyn Sie so gütig, vor diesem Herrn, der expreß mit mir aus Frankreich gekommen ist, zu erlären: ob meine Schwester durch irgend eine Treulosigkeit, Leichtsinn, Schwachheit, Unart oder sonst einen Fehler diese öffentliche Beschimpfung um Sie verdient habe.

Clavigo. Nein, mein Herr. Ihre Schwester, Donna Maria, ist ein Frauenzimmer voll Geist, Liebenswürdigkeit und Tugend.

Beaumarchais. Hat sie Ihnen jemals seit ihrem Umgange eine Gelegenheit gegeben, sich über sie zu beklagen, oder sie geringer zu achten.

[30] Clavigo. Nie! Niemals!

Beaumarchais. (aufstehend) Und warum, Ungeheuer! hattest du die Grausamkeit, das Mädgen zu Tode zu quälen! Nur weil dich ihr Herz zehn andern vorzog, die alle rechtschaffner und reicher waren als du.

Clavigo. Oh mein Herr! Wenn Sie wüsten, wie ich verhetzt worden bin, wie ich durch mancherley Rathgeber und Umstände –

Beaumarchais. Genug! (zu Saint George) Sie haben die Rechtfertigung meiner Schwester gehört; gehn Sie und breiten Sie es aus. Was ich dem Herrn weiter zu sagen habe, braucht keine Zeugen.

Clavigo. (steht auf. Saint George geht)

Beaumarchais. Bleiben Sie! Bleiben Sie! (beyde setzen sich wieder) Da wir nun so weit sind, will ich Ihnen einen Vorschlag thun, den Sie hoffentlich billigen werden.

Es ist Ihre Convenienz und meine, daß Sie Marien nicht heurathen, und Sie fühlen wohl, daß ich nicht gekommen bin, den Komödienbruder zu machen, der den Roman entwickeln und seiner Schwester einen Mann schaffen will. Sie haben ein ehrliches Mädgen mit kaltem [31] Blute beschimpft, weil sie glaubten, in einem fremden Lande sey sie ohne Beystand und Rächer. So handelt ein Niederträchtiger, ein Nichtswürdiger. Und also, zuförderst erklären Sie eigenhändig, freywillig, bey offenen Thüren, in Gegenwart Ihrer Bedienten: daß Sie ein abscheulicher Mensch sind, der meine Schwester betrogen, verrathen, ohne die mindeste Ursache erniedrigt hat, und mit dieser Erklärung geh ich nach Aranjouez, wo sich unser Gesandte aufhält, ich zeige sie, ich lasse sie drucken, und Uebermorgen ist der Hof und die Stadt davon überschwemmt. Ich habe mächtige Freunde hier, Zeit und Geld, und das alles wend ich an, um Sie auf alle Weise auf‘s grausamste zu verfolgen, bis der Zorn meiner Schwester sich legt, befriedigt ist, und mir Einhalt thut.

Clavigo. Ich thue diese Erklärung nicht.

Beaumarchais. Das glaub ich, denn vielleicht thät ich sie an Ihrer Stelle eben so wenig. Aber hier ist das andere: Schreiben sie nicht, so bleib ich von diesem Augenblick bey Ihnen, ich verlasse Sie nicht, ich folge Ihnen überall hin, bis Sie, einer solchen Gesellschaft überdrüßig, hinter Buenretivo meiner los zu werden [32] gesucht haben. Bin ich glücklicher als Sie; ohne den Gesandten zu sehn, ohne mit einem Menschen hier gesprochen zu haben, faß ich meine sterbende Schwester in meine Arme, hebe sie in meinen Wagen und kehre mit ihr nach Frankreich zurück. Begünstigt Sie das Schicksal; so hab ich das Meine gethan, und so lachen sie denn auf unsere Kosten. Unterdessen das Frühstück.

(Beaumarchais zieht die Schelle. Ein Bedienter bringt die Schokolade, Beaumarchais nimmt seine Tasse, und geht in der anstossenden Gallerie spazieren, die Gemälde betrachtend.)

Clavigo. Luft! Luft! – Das hat dich überrascht, angepackt wie einen Knaben – Wo bist du, Clavigo? Wie willst du das enden? – Wie kannst du das enden? – Ein schröcklicher Zustand, in den dich deine Thorheit, deine Verrätherey gestürzt hat! (Er greift nach dem Degen auf dem Tisch) Ha! Kurz und gut! – (Er läßt ihn liegen) – Und da wäre kein Weg, kein Mittel, als Tod – oder Mord, abscheulicher Mord. – Das unglückliche Mädgen ihres letzten Trostes, ihres einzigen Beystandes zu berauben, ihres Bruders! – Des edlen, braven Menschen Blut zu sehen! Und so den doppelten und unerträglichen Fluch einer vernichteten [33] Familie auf dich zu laden! – O das war die Aussicht nicht, als das liebenswürdige Geschöpf dich die erste Stunden ihrer Bekanntschaft mit all denen Reizen anzog! Und da du sie verliessest, sahst du nicht die gräßlichen Folgen deiner Schandthat! – Welche Seligkeit wartete dein in ihren Armen! in der Freundschaft solch eines Bruders! – Marie! Marie! O daß du vergeben könntest, daß ich zu deinen Füssen das all abweinen dürfte! – Und warum nicht? – Mein Herz geht mir über; meine Seele geht mir auf in Hoffnung! – Mein Herr!

Beaumarchais. Was beschließen Sie?

Clavigo. Hören Sie mich! Mein Betragen gegen ihre Schwester ist nicht zu entschuldigen. Die Eitelkeit hat mich verführt. Ich fürchtete, all meine Plane, all meine Aussichten auf ein ruhmvolles Leben durch diese Heurath zu Grunde zu richten. Hätte ich wissen können, daß sie so einen Bruder habe, sie würde in meinen Augen keine unbedeutende Fremde gewesen seyn, ich würde die größten Vortheile von dieser Verbindurg gehofft haben. Sie erfüllen mich, mein Herr, mit der größten Hochachtung für Sie; und indem Sie mir auf diese [34] Weise mein Unrecht lebhaft empfinden machen, flössen Sie mir eine Begierde ein, eine Kraft, alles wieder gut zu machen. Ich werfe mich zu Ihren Füssen! Helfen Sie! Helfen Sie, wenn‘s möglich ist, meine Schuld austilgen und das Unglück endigen. Geben Sie mir Ihre Schwester wieder, mein Herr, geben Sie mich ihr, wie glücklich wär ich, von Ihrer Hand eine Gattin und die Vergebung aller meiner Fehler zu erhalten.

Beaumarchais. Es ist zu spät! Meine Schwester liebt Sie nicht mehr, und ich verabscheue Sie. Schreiben Sie die verlangte Erklärung, das ist alles, was ich von Ihnen fordere. Und überlassen Sie mir die Sorgfalt einer ausgesuchten Rache.

Clavigo. Ihre Hartnäckigkeit ist weder gerecht noch klug, Ich gebe Ihnen zu, daß es hier nicht auf mich ankommt, ob ich eine so weit verschlimmerte Sache wieder gut machen will. – Ob ich sie gut machen kann, das hängt von dem Herzen Ihrer vortreflichen Schwester ab, ob sie einen Elenden wieder ansehen mag, der nicht verdient das Tageslicht zu sehen. Allein Ihre Pflicht ists, mein Herr, das zu prüfen und darnach sich zu betragen, wenn Ihr Schritt nicht einer jugendlichen unbesonnenen [35] Hitze ähnlich sehen soll. Wenn Donna Maria unbeweglich ist; o ich kenne das Herz! o ihre Güte, ihre himmlische Seele schwebt mir ganz lebhaft vor! Wenn sie unerbittlich ist, dann ist es Zeit, mein Herr.

Beaumarchais. Ich bestehe auf der Erklärung.

Clavigo. (nach dem Tisch zu gehend) Und wenn ich nach dem Degen greife.

Beaumarchais. (gehend) Gut, mein Herr! Schön, mein Herr!

Clavigo. (ihn zurückhaltend) Noch ein Wort. Sie haben die gute Sache; lassen Sie mich die Klugheit für Sie haben. Bedenken Sie, was Sie thun. Auf beyde Fälle sind wir alle unwiederbringlich verlohren. Müßt ich nicht für Schmerz, für Beängstigung untergehen, wenn Ihr Blut meinen Degen färben sollte, wenn ich Marien noch über all ihr Unglück auch ihren Bruder raubte, und – dann der Mörder des Clavigo würde die Pyrenäen nicht zurückmessen.

Beaumarchais. Die Erklärung, mein Herr, die Erklärung!

Clavigo. So sey‘s denn. Ich will alles thun, um Sie von der aufrichtigen Gesinnung [36] zu überzeugen, die mir Ihre Gegenwart einflöst. Ich will die Erklärung schreiben, ich will sie schreiben aus Ihrem Munde. Nur versprechen Sie mir, nicht eher Gebrauch davon zu machen, bis ich im Stande gewesen bin, Donna Maria von meinem geänderten reuvollen Herzen zu überzeugen. Bis ich mit ihrer Aeltsten ein Wort gesprochen, bis diese ihr gütiges Vorwort bey meiner Geliebten eingelegt hat. So lang, mein Herr.

Beaumarchais. Ich gehe nach Aranjouez.

Clavigo. Gut denn, bis Sie wiederkommen, so lange bleibt die Erklärung in Ihrem Portefeuille, hab ich meine Vergebung nicht, so lassen Sie Ihrer Rache vollen Lauf. Dieser Vorschlag ist gerecht, anständig, klug, und wenn Sie so nicht wollen, so sey‘s denn unter uns beyden um Leben und Tod gespielt. Und der das Opfer seiner Uebereilung wird, sind immer Sie und Ihre arme Schwester.

Beaumarchais. Es steht Ihnen an, die zu bedauern, die Sie unglücklich gemacht haben.

Clavigo. (sich setzend) Sind Sie das zufrieden?

[37] Beaumarchais. Gut, denn ich gebe nach! Aber keinen Augenblick länger. Ich komme von Aranjouez, ich frage, ich höre! Und hat man Ihnen nicht vergeben, wie ich denn hoffe, wie ich‘s wünsche! Gleich auf, und mit dem Zettel in die Druckerey.

Clavigo. (nimmt Papier) Wie verlangen Sie‘s?

Beaumarchais. Mein Herr! in Gegenwart Ihrer Bedienten.

Clavigo. Wozu das?

Beaumarchais. Befehlen Sie nur, daß sie in der anstossenden Gallerie gegenwärtig sind. Man soll nicht sagen, daß ich Sie gezwungen habe.

Clavigo. Welche Bedenklichkeiten.

Beaumarchais. Ich bin in Spanien und habe mit Ihnen zu thun.

Clavigo. Nun denn! (er klingelt. Ein Bedienter) Ruft meine Leute zusammen, und begebt euch auf die Gallerie herbey.

(Der Bediente geht, die übrigen kommen, und besetzen die Gallerie.)

Clavigo. Sie überlassen mir, die Erklärung zu schreiben.

[38] Beaumarchais. Nein, mein Herr! Schreiben Sie, ich bitte, schreiben Sie, wie ich’s Ihnen sage.

Clavigo. (schreibt)

Beaumarchais. Ich Unterzeichneter, Joseph Clavigo, Archivarius des Königs

Clavigo. Des Königs.

Beaumarchais. bekenne, daß, nachdem ich in dem Hause der Madam Guilbert freundschaftlich aufgenommen worden,

Clavigo. Worden.

Beaumarchais. Ich Mademoiselle von Beaumarchais, ihre Schwester, durch hundertfältig wiederholte Heurathsversprechungen, betrogen habe. – Haben Sie’s –

Clavigo. Mein Herr!

Beaumarchais. Haben Sie ein ander Wort davor?

Clavigo. Ich dächte –

Beaumarchais. Betrogen habe. Was Sie gethan haben, können Sie ja noch eher schreiben. – Ich habe sie verlassen, ohne daß irgend ein Fehler oder Schwachheit von ihrer [39] Seite einen Vorwand oder Entschuldigung dieses Meyneids veranlasset hätte.

Clavigo. Nun!

Beaumarchais. Im Gegentheil ist die Aufführung des Frauenzimmers immer rein ohntadelich und aller Ehrfurcht würdig gewesen.

Clavigo. Würdig gewesen.

Beaumarchais. Ich bekenne, daß ich durch mein Betragen, den Leichtsinn meiner Reden, durch die Auslegung, deren sie unterworfen waren, öffentlich dieses tugendhafte Frauenzimmer erniedrigt habe, weswegen ich sie um Vergebung bitte, ob ich mich gleich nicht werth achte, sie zu erhalten.

Clavigo. (hält inne)

Beaumarchais. Schreiben Sie! Schreiben Sie! – Welches Zeugnis ich mit freyem Willen und ungezwungen von mir gegeben habe, mit dem besondern Versprechen, daß wenn diese Satisfaktion der Beleidigten nicht hinreichend seyn sollte, ich bereit bin, sie auf alle andere erforderliche Weise zu geben. Madrid.

Clavigo. (Steht auf, winkt den Bedienten sich wegzubegeben und reicht ihm das Papier.) Ich [40] habe mit einem beleidigten, aber mit einem edlen Menschen zu thun. Sie halten Ihr Wort, und schieben ihre Rache auf. In dieser einzigen Rücksicht, in dieser Hofnung hab ich das schimpfliche Papier von mir gestellt, wozu mich sonst nichts gebracht hätte. Aber ehe ich es wage, für Donna Maria zu treten, hab ich beschlossen, jemanden den Auftrag zu geben, mir bey ihr das Wort zu reden, für mich zu sprechen – und der Mann sind Sie.

Beaumarchais. Bilden Sie sich das nicht ein.

Clavigo. Wenigstens sagen Sie ihr die bittere herzliche Reue, die Sie an mir gefühlt haben. Das ist alles, alles, warum ich Sie bitte, schlagen Sie mir’s nicht ab, ich müßte einen andern weniger kräftigen Vorsprecher wählen, und Sie sind ihr ja eine treue Erzählung schuldig. Erzählen Sie ihr, wie Sie mich gefunden haben!

Beaumarchais. Gut, das kann ich, das will ich. Und so Adieu.

Clavigo. Leben Sie wohl! (er will seine Hand nehmen, Beaumarchais hält sie zurück.) [41] Clavigo. (allein) So unerwartet aus einem Zustand in den andern. Man taumelt, man träumt! – Diese Erklärung, ich hätte sie nicht geben sollen. – Es kam so schnell, unerwartet, als das Donnerwetter!

Carlos (kommt).

Was hast du für Besuch gehabt? Das ganze Haus ist in Bewegung, was giebts?

Clavigo. Mariens Bruder.

Carlos. Ich vermuthet's. Der Hund von einem alten Bedienten, der sonst bey Guilberts war und der mir nun trätscht, weis es schon seit gestern, daß man ihn erwartet und trift mich erst diesen Augenblick. Er war da?

Clavigo. Ein vortreflicher Junge.

Carlos. Den wollen wir bald los seyn. Ich habe den Weg über schon gesponnen! – Was hatt‘s denn geben? Eine Ausforderung? eine Ehrenerklärung? War er fein hitzig, der Bursch?

Clavigo. Er verlangte eine Erklärung, daß seine Schwester mir keine Gelegenheit zur Veränderung gegeben. [42] Carlos. Und du hast sie ausgestellt?

Clavigo. Ich hielt es für‘s beste.

Carlos. Gut, sehr gut! Ist sonst nichts vorgefallen?

Clavigo. Er drang auf einen Zweykampf, oder die Erklärung.

Carlos. Das letzte war das gescheutste, wer wird sein Leben gegen einen so romantischen Fratzen wagen. Und forderte er das Papier ungestüm?

Clavigo. Er diktirte mir‘s, und ich mußte die Bedienten in die Gallerie rufen.

Carlos. Ich versteh‘! Ah! nun hab ich dich, Herrchen, das bricht ihm den Hals! Heis mich einen Schreiber, wenn ich den Buben nicht in zwey Tagen im Gefängnis habe, und mit dem nächsten Transport nach Indien.

Clavigo. Nein, Carlos, die Sache steht anders, als du denkst.

Carlos. Wie?

Clavigo. Ich hoffe durch seine Vermittelung, durch mein eifriges Bestreben, Verzeihung von der Unglücklichen zu erhalten.

Carlos. Clavigo! [43] Clavigo. Ich hoffe, all das Vergangene zu tilgen, das Zerrüttete wieder herzustellen, und so in meinen Augen und in den Augen der Welt wieder zum ehrlichen Mann zu werden.

Carlos. Zum Teufel, bist du kindisch geworden! Man spührt dir doch immer an, daß du ein Gelehrter bist. – Dich so bethören zu lassen, siehst du nicht, daß das ein einfältig angelegter Plan ist, um dich ins Garn zu sprengen?

Clavigo. Nein, Carlos, er will die Heurath nicht, sie sind dagegen, sie will nichts von mir hören.

Carlos. Das ist die rechte Höhe. Nein, guter Freund, nimm mir‘s nicht übel, ich hab wohl in Komödien gesehen, daß man einen Landjunker so geprellt hat.

Clavigo. Du beleidigst mich. Ich bitte, spare deinen Humor auf meine Hochzeit. Ich bin entschlossen, Marien zu heurathen. Freywillig aus innerm Trieb. Meine ganze Hofnung, meine ganze Glückseligkeit ruht auf dem Gedanken, ihre Vergebung zu erhalten. Und dann fahr hin, Stolz! An der Brust dieser Lieben liegt noch der Himmel wie vormals, aller Ruhm, den ich erwerbe, alle Größe, zu der [44] ich mich erhebe, wird mich mit doppeltem Gefühl ausfüllen, denn das Mädgen theilt‘s mit mir, die mich zum doppelten Menschen macht. Leb wohl! ich muß hin; ich muß die Guilbert wenigstens sprechen.

Carlos. Warte nur bis nach Tisch.

Clavigo. Keinen Augenblick.

(ab.)

Carlos. (ihm nachsehend und eine Weile schweigend) Da macht wieder jemand einmal einen dummen Streich.

(ab.)



Dritter Akt.
Guilberts Wohnung.


Sophie Gulilbert. Marie von Beaumarchais.

Marie. Du hast Ihn gesehn? mir zittern alle Glieder! Du hast ihn gesehn? ich war nah an einer Ohnmacht, als ich hörte, er käme, und du hast ihn gesehn? Nein, ich kann, ich werde, nein, ich kann ihn nie wieder sehn. [45] Sophie. Ich war außer mir, als er herein trat; denn ach! liebt ich ihn nicht, wie du, mit der vollsten, reinsten, schwesterlichsten Liebe? Hat mich nicht seine Entfernung gekränkt, gemartert? – Und nun, den Rückkehrenden, den Reuigen zu meinen Füssen. – Schwester! es ist so was Bezauberndes in seinem Anblick, in dem Ton seiner Stimme. Er –

Marie. Nimmer, nimmermehr!

Sophie. Er ist noch der Alte, noch eben das gute, sanfte, fühlbare Herz, noch eben die Heftigkeit der Leidenschaft, noch eben die Begier, geliebt zu werden, und das ängstliche marternde Gefühl, wenn ihm Neigung versagt wird. Alles! alles! und von dir spricht er, Marie! wie in jenen glücklichen Tagen der feurigsten Leidenschaft, es ist, als wenn dein guter Geist diesen Zwischenraum von Untreu und Entfernung selbst veranlaßt habe, um das einförmige, schleppende einer langen Bekanntschaft zu unterbrechen und dem Gefühl eine neue Lebhaftigkeit zu geben.

Marie. Du redst ihm das Wort?

Sophie. Nein, Schwester, auch versprach ich’s ihm nicht. Nur, meine Beste, seh ich die Sachen, wie sie sind. Du und der Bruder [46] ihr seht sie in einem allzuromantischen Lichte. Du hast das mit gar manchem guten Kinde gemein, daß dein Liebhaber treulos ward, und dich verließ; und daß er wieder kommt, reuig seinen Fehler verbessern, alle alte Hoffnungen erneuern will – das ist ein Glück, das eine andere nicht leicht von sich stossen würde.

Marie. Mein Herz würde reissen!

Sophie. Ich glaube dir, der erste Augenblick muß auf dich eine empfindliche Wirkung machen – und dann, meine Beste, ich bitte dich, halt‘ diese Bangigkeit, diese Verlegenheit, die dir alle Sinnen zu übermeistern scheint, nicht für eine Wirkung des Hasses, für keinen Widerwillen, dein Herz spricht mehr für ihn, als du es glaubst, und eben darum traust du dich nicht, ihn wieder zu sehen, weil du seine Rückkehr so sehnlich wünschest.

Marie. Sey barmherzig.

Sophie. Du sollst glücklich werden. Fühlt‘ ich, daß du ihn verachtetest, daß er dir gleichgültig wäre, wollt ich kein Wort weiter reden, sollt‘ er mein Angesicht nicht mehr sehen. Doch so, meine Liebe – Du wirst mir danken, daß ich dir geholfen habe diese ängstliche Unbestimmtheit [47] überwinden, die ein Zeichen der innigsten Liebe ist.

Guilbert. Buenko.

Sophie. Kommen Sie, Buenko! Guilbert, kommen Sie! Helft mir dieser Kleinen Muth einsprechen, Entschlossenheit, jetzt, da es gilt.

Buenko. Ich wollte, daß ich sagen dürfte, nehmt ihn nicht wieder an.

Sophie. Buenko!

Buenko. Mein Herz wirft sich mir im Leib herum bey dem Gedanken; Er soll diesen Engel noch besitzen, den er so schändlich beleidigt, den er an das Grab geschleppt hat. Und besitzen? – warum? – wodurch macht er das all wieder gut, was er verbrochen hat? – Daß er wiederkehrt, daß ihm auf einmal beliebt, wieder zu kehren, und zu sagen: jetzt mag ich sie, jetzt will ich sie. Just als wäre diese trefliche Seele eine verdächtige Waare, die man am Ende dem Käufer doch noch nachwirft, wenn er euch schon durch die niedrigsten Gebote und jüdisches Ab- und Zulaufen bis auf’s Mark gequält hat. Nein, meine Stimme kriegt er nicht, und wenn Mariens Herz selbst für ihn [48] spräche. – Wieder zu kommen, und warum denn jetzt? – jetzt? – Mußte er warten, bis ein tapferer Bruder käme, dessen Rache er fürchten muß, um wie ein Schulknabe zu kommen und Abbitte zu thun? – Ha! er ist so feig, als er nichtswürdig ist!

Guilbert. Ihr redet wie ein Spanier und als wenn Ihr die Spanier nicht kenntet. Wir schweben diesen Augenblick in einer größern Gefahr, als ihr alle nicht seht.

Marie. Bester Guilbert!

Guilbert. Ich ehre die unternehmende Seele unsers Bruders, ich habe im Stillen seinem Heldengange zugesehn, und wünsche, daß alles gut ausschlagen möge, wünsche, daß Marie sich entschliessen könnte, Clavigo ihre Hand zu geben, denn – (lächelnd) ihr Herz hat er doch. –

Marie. Ihr seyd grausam.

Sophie. Hör ihn! ich bitte dich, hör ihn!

Guilbert. Dein Bruder hat ihm eine Erklärung abgedrungen, die dich vor den Augen aller Welt rechtfertigen soll, und die wird uns verderben. [49] Buenko. Wie?

Marie. O Gott!

Guilbert. Er stellte sie aus in der Hofnung, dich zu bewegen. Bewegt er dich nicht, so muß er alles anwenden, um das Papier zu vernichten, er kann’s, er wird’s. Dein Bruder will es gleich nach seiner Rückkehr von Aranjouez drucken und ausstreuen. Ich fürchte, wenn du beharrest, er wird nicht zurückkehren.

Sophie. Lieber Guilbert!

Marie. Ich vergehe!

Guilbert. Clavigo kann das Papier nicht auskommen lassen. Verwirfst du seinen Antrag und er ist ein Mann von Ehre, so geht er deinem Bruder entgegen und einer von beyden bleibt; und dein Bruder sterbe oder siege, er ist verlohren. Ein Fremder in Spanien! Mörder dieses geliebten Höflings! – Schwester, es ist all gut, daß man edel denkt und fühlt, und sich und die Seinigen zu Grunde zu richten –

Marie. Rathe mir, Sophie, hilf mir!

Guilbert. Und, Buenko, widerlegen Sie mich.

Buenko. Er wagts nicht, er fürchtet für sein Leben, sonst hätt er gar nicht geschrieben, sonst böt er Marien seine Hand nicht an.

[50] Guilbert. Desto schlimmer, so findet er hundert, die ihm ihren Arm leihen, hundert, die unserm Bruder tückisch auf dem Wege das Leben rauben. Ha! Buenko, bist du so jung? Ein Hofmann sollte keine Meuchelmörder im Sold haben!

Buenko. Der König ist groß und gut.

Guilbert. Auf denn! Durch all die Mauern, die ihn umschliessen, die Wachen, das Ceremoniel, und all das, womit die Hofschranzen ihn von seinem Volke geschieden haben, dringen Sie durch, und retten Sie uns. – Wer kommt?

Clavigo kommt.

Clavigo. Ich muß! Ich muß!

Marie. (thut einen Schrey und fällt Sophien in die Arme)

Sophie. Grausamer, in welchen Zustand versetzen Sie uns. (Guilbert und Buenko treten zu ihr.)

Clavigo. Ja Sie ist's! Sie ist's! Und ich bin Clavigo. – Hören Sie mich, Beste, wenn Sie mich nicht ansehen wollen. Zu der Zeit, da mich Guilbert mit Freundlichkeit in sein Haus aufnahm, da ich ein armer unbedeutender [51] Junge war, da ich in meinem Herzen eine unüberwindliche Leidenschaft für Sie fühlte, war’s da Verdienst an mir? Oder war’s nicht vielmehr innere Uebereinstimmung der Charaktere, geheime Zuneigung des Herzens, daß auch Sie für mich nicht unempfindlich blieben, daß ich nach einer Zeit mir schmeicheln konnte, dies Herz ganz zu besitzen? Und nun – bin ich nicht ebenderselbe? Sind Sie nicht ebendieselbe? Warum sollt ich nicht hoffen dürfen? Warum nicht bitten? Wollten Sie einen Freund, einen Geliebten, den Sie nach einer gefährlichen unglücklichen Seereise lange für verlohren geachtet, nicht wieder an Ihren Busen nehmen, wenn er unvermuthet wiederkäme, und sein gerettetes Leben zu Ihren Füssen legte? Und bin ich weniger auf einem stürmischen Meere diese Zeit geschwebet, sind unsere Leidenschaften, mit denen wir im ewigen Streit leben, nicht schröcklicher, unbezwinglicher, als jene Wellen, die den Unglücklichen fern von seinem Vaterlande verschlagen? Marie! Marie! Wie können Sie mich hassen, da ich nie aufgehört habe Sie zu lieben? Mitten in allem Taumel, durch all den verführerischen Gesang der Eitelkeit und des Stolzes, hab ich mich immer jener seligen unbefangenen Tage erinnert, die [52] ich in glücklicher Einschränkung zu Ihren Füssen zubrachte, da wir eine Reihe von blühenden Aussichten vor uns gelegt sahen. – Und nun, warum wollten Sie nicht mit mir alles erfüllen, was wir hoften? Wollen Sie das Glück des Lebens nun nicht ausgenießen, weil ein düsterer Zwischenraum sich unsern Hofnungen eingeschoben hatte? Nein, meine Liebe, glauben Sie, die besten Freuden der Welt sind nicht ganz rein, die höchste Wonne wird auch durch unsere Leidenschaften, durch das Schicksal unterbrochen, wollen wir uns beklagen, daß es uns gegangen ist wie allen andern, und wollen wir uns strafbar machen, indem wir diese Gelegenheit von uns stossen, all das Vergangene herzustellen, eine zerrüttete Familie wieder aufzurichten, die heldenmüthige That eines edlen Bruders zu belohnen, und unser eigen Glück auf ewig zu befestigen? – Meine Freunde, um die ich’s nicht verdient habe, meine Freunde, die es seyn müssen, weil Sie Freunde der Tugend sind, zu der ich rückkehre, verbinden Sie Ihr Flehen mit dem meinigen. Marie! (er wirft sich nieder) Marie! Kennst du meine Stimme nicht mehr? vernimmst Du nicht mehr den Ton meines Herzens? Marie! Marie!

[53] Marie. O Clavigo!

Clavigo. (springt auf und faßt ihre Hand mit entzückenden Küssen) Sie vergiebt mir, sie liebt mich! (er umarmt den Guilbert, den Buenko) Sie liebt mich noch! O Marie, mein Herz sagte mir's! Ich hätte mich zu Deinen Füssen werfen, stumm meinen Schmerz, meine Reue ausweinen wollen, Du hättest mich ohne Worte verstanden, wie ich ohne Worte meine Vergebung erhalte. Nein, diese innige Verwandtschaft unserer Seelen ist nicht aufgehoben; nein, sie vernehmen einander noch wie ehemals, wo kein Laut, kein Wink nöthig war, um die innersten Bewegungen sich mitzutheilen. Marie – Marie – Marie. –

Beaumarchais. (tritt auf.)

Ha!

Clavigo. (ihm entgegen fliegend) Mein Bruder!

Beaumarchais. Du vergiebst ihm?

Marie. Laßt, laßt mich! meine Sinnen vergehn. (Man führt sie weg.)

Beaumarchais. Sie hat ihm vergeben?

Buenko. Es sieht so aus.

Beaumarchais. Du verdienst dein Glück nicht.

[54] Clavigo. Glaube, daß ich's fühle.

Sophie. (kommt zurück) Sie vergiebt ihm. Ein Strohm von Thränen brach aus ihren Augen. Er soll sich entfernen, rief sie schluchsend, daß ich mich erhole! Ich vergeb ihm. – Ach Schwester! rief sie, und fiel mir um den Hals, woher weiß er, daß ich ihn so liebe?

Clavigo. (ihr die Hand küssend) Ich bin der glücklichste Mensch unter der Sonne. Mein Bruder!

Beaumarchais. (umarmt ihn) Von Herzen denn. Ob ich Euch schon sagen muß: noch kann ich Euer Freund nicht seyn, noch kann ich Euch nicht lieben. Und somit seyd Ihr der Unsrige und vergessen sey alles! Das Papier, das ihr mir gabt, hier ist's. (er nimmts aus der Brieftasche zerreißt's und giebts ihm hin.)

Clavigo. Ich bin der Eurige, ewig der Eurige.

Sophie. Ich bitte, entfernt euch, daß sie Eure Stimme nicht hört, daß sie sich beruhigt.

Clavigo. (sie rings umarmend) Lebt wohl! Lebt wohl! – Tausend Küsse dem Engel.

(ab.)

[55] Beaumarchais. Es mag denn gut seyn, ob ich gleich wünschte, es wäre anders. (lächelnd) Es ist doch ein gutherziges Geschöpf, so ein Mädgen – Und, meine Freunde, auch muß ich's sagen, es war ganz der Gedanke, der Wunsch unsers Gesandten, daß ihm Marie vergeben, und daß eine glückliche Heurath diese verdrüßliche Geschichte endigen möge.

Guilbert. Mir ist auch wieder ganz wohl.

Buenko. Er ist Euer Schwager, und so Adieu! Ihr seht mich in Eurem Hause nicht wieder.

Beaumarchais. Mein Herr!

Guilbert. Buenko!

Buenko. Ich haß ihn nun einmal bis ans jüngste Gericht. Und gebt Acht, mit was für einem Menschen ihr zu thun habt.

(ab)

Guilbert. Er ist ein melancholischer Unglücksvogel. Und mit der Zeit läßt er sich doch wieder bereden, wenn er sieht, es geht alles gut.

Beaumarchais. Doch wars übereilt, daß ich ihm das Papier zurückgab.

Guilbert. Laßt! Laßt! Keine Grillen.

(ab)

[56]
Vierter Akt.
Clavigos Wohnung.


Carlos.

Es ist löblich, daß man dem Menschen, der durch Verschwendung oder andere Thorheiten zeigt, daß sein Verstand sich verschoben hat, von Amtswegen Vormünder setzt. Thut das die Obrigkeit, die sich doch sonst nicht viel um uns bekümmert, wie sollten wir's nicht an einem Freunde thun! Clavigo, du bist in übeln Umständen! Noch hoff ich! Und wenn du nur noch halbweg lenksam bist wie sonst; so ist's eben noch Zeit, dich vor einer Thorheit zu bewahren, die bey deinem lebhaften empfindlichen Charakter, das Elend deines Lebens machen, dich vor der Zeit in's Grab bringen muß. Er kommt.

Clavigo (nachdenkend).

Clavigo. Guten Tag, Carlos.

[57] Carlos. Ein schwermütiges, geprestes guten Tag! Kommst du in dem Humor von deiner Braut?

Clavigo. Es ist ein Engel! Es sind vortreffliche Menschen!

Carlos. Ihr werdet doch mit der Hochzeit nicht so sehr eilen, daß man sich noch ein Kleid drauf kann sticken lassen?

Clavigo. Scherz oder Ernst. Bey unserer Hochzeit werden keine gestickte Kleider paradieren.

Carlos. Ich glaubs wohl.

Clavigo. Das Vergnügen an uns selbst, die freundschaftliche Harmonie sollen der Prunk dieser Feyerlichkeit seyn.

Carlos. Ihr werdet eine stille kleine Hochzeit machen?

Clavigo. Wie Menschen, die fühlen, daß ihr Glück ganz in ihnen selbst beruht.

Carlos. In denen Umständen ist es recht gut.

Clavigo. Umständen! Was meinst du mit den Umständen?

Carlos. Wie die Sache nun steht, und liegt, und sich verhält.

[58] Clavigo. Höre Carlos, ich kann den Ton des Rückhalts an Freunden nicht ausstehen. Ich weis, du bist nicht für diese Heurath, demohngeachtet, wenn du etwas dagegen zu sagen hast, sagen willst, so sag’s geradezu. Wie steht denn die Sache? wie verhält sie sich?

Carlos. Es kommen einem im Leben mehr unerwartete wunderbare Dinge vor, und es wäre schlimm, wenn alles im Gleise gieng, man hätte nichts, sich zu verwundern, nichts, die Köpfe zusammen zu stoßen, nichts, in Gesellschaft zu verschneiden.

Clavigo. Aufsehn wird’s machen.

Carlos. Des Clavigo Hochzeit! das versteht sich. Wie manches Mädgen in Madrid harrt auf dich, hofft auf dich, und wenn du ihnen nun diesen Streich spielst?

Clavigo. Das ist nun nicht anders.

Carlos. Sonderbar ist’s. Ich habe wenig Männer gekannt, die so großen und allgemeinen Eindruck auf die Weiber machten, als du. Unter allen Ständen giebts gute Kinder, die sich mit Planen und Aussichten beschäftigen, dich habhaft zu werden. Die eine bringt ihre Schönheit in Anschlag, die ihren Reichthum, [59] ihren Stand, ihren Witz, ihre Verwandte. Was krieg ich nicht um deinetwillen für Complimente. Denn warlich, weder meine Stumpfnase, noch mein Krauskopf, noch meine bekannte Verachtung der Weiber kann mir so was zuziehen.

Clavigo. Du spottest.

Carlos. Wenn ich nicht schon Vorschläge, Anträge in Händen gehabt hätte, geschrieben von eignen zärtlichen krizlichen Pfötgen, so unortographisch, als ein originaler Liebesbrief eines Mädgen nur seyn kann. Wie manche hübsche Duena ist mir bey der Gelegenheit unter die Finger gekommen!

Clavigo. Und du sagtest mir von allem dem nichts?

Carlos. Weil ich dich mit leeren Grillen nicht beschäftigen wollte, und niemals rathen konnte, daß du mit einer einzigen Ernst gemacht hättest. O Clavigo, ich habe dein Schicksal im Herzen getragen, wie mein eignes! Ich habe keinen Freund als dich, die Menschen sind mir alle unerträglich, und du fängst auch an, mir unerträglich zu werden?

Clavigo. Ich bitte dich, sey ruhig.

[60] Carlos. Brenn einem das Haus ab, daran er zehen Jahre gebauet hat, und schick ihm einen Beichtvater, der ihm die christliche Geduld empfiehlt. – Man soll sich für niemand intereßieren als für sich selbst, die Menschen sind nicht werth – –

Clavigo. Kommen deine feindseligen Grillen wieder?

Carlos. Wenn ich aufs neue ganz drein versinke, wer ist schuld dran als du? Ich sagte zu mir: was soll ihm jetzt die vortheilhafteste Heurath, ihm, der es für einen gewöhnlichen Menschen weit genug gebracht hätte, aber mit seinem Geist, mit seinen Gaben ist es unverantwortlich – ist es unmöglich, daß er bleibt was er ist. – Ich machte meine Projekte. Es giebt so wenig Menschen, die so unternehmend und biegsam, so geistvoll und fleißig zugleich sind. Er ist in alle Fächer gerecht; als Archivarius kann er sich schnell die wichtigsten Kenntnisse erwerben, er wird sich nothwendig machen, und laßt eine Veränderung vorgehn, so ist er Minister.

Clavigo. Ich gestehe dir, das waren oft auch meine Träume.

[61] Carlos. Träume! So gewiß ich den Thurn erreiche und erklettere, wenn ich darauf losgehe, mit dem festen Vorsatze, nicht abzulassen bis ich ihn erstiegen habe, so gewiß hättest du auch alle Schwürigkeiten überwunden. Und hernach wär mir für das übrige nicht bang gewesen. Du hast kein Vermögen von Hause, desto besser! das hätte dich auf die Erwerbung eifriger, auf die Erhaltung aufmerksamer gemacht. Und wer am Zoll sitzt, ohne reich zu werden, ist ein Pinsel. Und dann seh ich nicht, warum das Land dem Minister nicht so gut Abgaben schuldig ist, als dem König. Dieser giebt seinen Namen her und jener die Kräfte. Wenn ich denn mit all dem fertig war, dann sah ich mich erst nach einer Parthie für dich um. Ich sah manch stolzes Haus, das die Augen über deine Abkunft zugeblinkt hätte, manches der reichsten, das dir gern den Aufwand deines Standes verschaft haben würde, nur an der Herrlichkeit des zweyten Königs Theil nehmen zu dürfen – und nun –

Clavigo. Du bist ungerecht, du setzest meinen gegenwärtigen Zustand zu tief herab; und glaubst du denn, daß ich mich nicht weiter treiben, nicht auch noch mächtigere Schritte thun kann?

[62] Carlos. Lieber Freund, brich du einer Pflanze das Herz aus, sie mag hernach treiben und treiben unzählige Nebenschößlinge, es giebt vielleicht einen starken Busch, aber der stolze königliche Wuchs des ersten Schusses ist dahin. Und denke nur nicht, daß man diese Heurath bey Hofe gleichgültig ansehen wird. Hast du vergessen, was für Männer dir den Umgang, die Verbindung mit Marien mißriethen, hast du vergessen, wer dir den klugen Gedanken eingab, sie zu verlassen? Soll ich dir sie an den Fingern herzehlen?

Clavigo. Der Gedanke hat mich auch schon gepeinigt, daß so wenige diesen Schritt billigen werden.

Carlos. Keiner! Und deine hohen Freunde sollten nicht aufgebracht seyn, daß du, ohne sie zu fragen, ohne ihren Rath dich so gerade zu hingegeben hast, wie ein unbesonnener Knabe auf dem Markte sein Geld gegen wurmstichige Nüsse wegwirft?

Clavigo. Das ist unartig, Carlos, und übertrieben.

Carlos. Nicht um einen Zug. Denn daß einer aus Leidenschaft einen seltsamen Streich macht, das laß ich gelten. Ein Kammermädchen [63] zu heurathen, weil sie schön ist wie ein Engel! Gut, der Mensch wird getadelt, und doch beneiden ihn die Leute.

Clavigo. Die Leute, immer die Leute.

Carlos. Du weißt, ich frage nicht ängstlich nach andrer Beyfall, doch das ist ewig wahr: wer nichts für andere thut, thut nichts für sich, und wenn die Menschen dich nicht bewundern, oder beneiden, bist du auch nicht glücklich.

Clavigo. Die Welt urtheilt nach dem Scheine. O! wer Mariens Herz besitzt, ist zu beneiden!

Carlos. Was die Sache ist, scheint sie auch. Aber freylich dacht ich, daß das verborgene Qualitäten seyn müssen, die dein Glück beneidenswerth machen, denn was man so mit seinen Augen sieht, mit seinem Menschenverstande begreifen kann –

Clavigo. Du willst mich zu Grunde richten.

Carlos. Wie ist das zugegangen? wird man in der Stadt fragen. Wie ist das zugegangen? fragt man bey Hofe. Um Gotteswillen, wie ist das zugegangen? Sie ist arm, ohne Stand, hätte Clavigo nicht einmal ein Abentheuer mit ihr gehabt, man wüste gar nicht, daß sie [64] in der Welt ist. Sie soll artig seyn, angenehm, witzig! – Wer wird darum eine Frau nehmen? das vergeht so in den ersten Zeiten des Ehestands. Ach! sagt einer, sie soll schön seyn, reizend, ausnehmend schön. – Da ist’s zu begreifen, sagt ein anderer –

Clavigo. (wird verwirrt, ihm entfährt ein tiefer Seufzer) Ah!

Carlos. Schön? O! sagt die eine, es geht an! Ich hab sie in sechs Jahren nicht gesehn, da kann sich schon was verändern, sagt eine andere. Man muß doch Acht geben, er wird sie bald produciren, sagt die dritte. Man fragt, man guckt, man geht zu gefallen, man wartet, man ist ungeduldig, erinnert sich immer des stolzen Clavigos, der sich nie öffentlich sehen lies, ohne eine stattliche, herrliche, hochäugige Spanierin im Triumph aufzuführen, deren volle Brust, ihre blühenden Wangen, ihre heißen Augen, all, alles die Welt rings umher zu fragen schien: bin ich nicht meines Begleiters werth? und die in ihrem Uebermuth den seidnen Schlepprock so weit hinten aus in Wind segeln ließ, als möglich, um ihre Erscheinung ansehnlicher und würdiger zu machen? – Und nun erscheint der Herr – und allen Leuten versagt das Wort im Munde – kommt angezogen mit seiner trippelnden, [65] kleinen, hohläugigen Französin, der die Auszehrung aus allen Gliedern spricht, wenn sie gleich ihre Todtenfarbe mit weis und roth überpinselt hat. O Bruder, ich werde rasend, ich laufe davon, wenn mich nun die Leute zu packen kriegen, und fragen und quästioniren, und nicht begreifen können –

Clavigo. (ihn bey der Hand fassend) Mein Freund, mein Bruder, ich bin in einer schröcklichen Lage. Ich sage dir, ich gestehe dir, ich erschrack, als ich Marien wiedersah! Wie entstellt sie ist, – wie bleich, abgezehrt. O das ist mein, meine Schuld, meiner Verrätherey! –

Carlos. Possen! Grillen! Sie hatte die Schwindsucht, da dein Roman noch sehr im Gange war. Ich sagte dir’s tausendmal, und – aber, ihr Liebhaber habt keine Augen, keine Nasen. Clavigo, es ist schändlich! so alles, alles zu vergessen, eine kranke Frau, die dir die Pest unter deine Nachkommenschaft bringen wird, daß alle deine Kinder und Enkel so in gewissen Jahren höflich ausgehen, wie Bettlerslämpgen. – Ein Mann, der Stammvater einer Familie sein könnte, die vielleicht künftig – Ich werde noch närrisch, der Kopf vergeht mir.

Clavigo. Carlos, was soll ich dir sagen als ich sie wiedersah; im ersten Taumel flog [66] ihr mein Herz entgegen – und ach! – da der vorüber war – Mitleiden – innige, tiefe Erbarmung flößte sie mir ein: aber Liebe – sieh! es war, als wenn mir in der warmen Fülle der Freuden, die kalte Hand des Todes über’n Nacken führe. Ich strebte munter zu seyn, wieder vor denen Menschen, die mich umgaben, den Glücklichen zu spielen, es war alles vorbey, alles so steif, so ängstlich! Wären sie weniger außer sich gewesen, sie müstens gemerkt haben.

Carlos. Hölle! Tod! und Teufel, und du willst sie heurathen?

Clavigo. (steht ganz in sich selbst versunken, ohne zu antworten)

Carlos. Du bist hin! verlohren auf ewig. Leb wohl, Bruder! und laß mich alles vergessen, laß mich mein einsames Leben noch so ausknirschen, über das Schicksal deiner Verblendung. Ha! das all all! sich in den Augen der Welt verächtlich zu machen, und nicht einmal dadurch eine Leidenschaft, eine Begierde befriedigen, dir muthwillig eine Krankheit zuziehen, die, indem sie deine innern Kräfte untergräbt, dich zugleich dem Anblick der Menschen abscheulich macht.

Clavigo. Carlos! Carlos!

[67] Carlos. Wärst du nie gestiegen, um nie zu fallen! Mit welchen Augen werden sie das ansehn! Da ist der Bruder, werden sie sagen! das muß ein braver Kerl seyn, der hat ihn in’s Bockshorn gejagt, er hat sich nicht getraut, ihm die Spitze zu bieten. Ha! werden unsre schwadronierende Hofjunkers sagen, man sieht immer, daß er kein Cavalier ist; Pah! ruft einer, und rückt den Hut in die Augen, der Franzos hätte mir kommen sollen, und patscht sich auf den Bauch; ein Kerl, der vielleicht nicht werth wäre, dein Reitknecht zu seyn.

Clavigo. (der in dem Ausbruch der heftigsten Beängstigung, mit einem Strohm von Thränen, dem Carlos um den Hals fällt) Rette mich! Freund! mein Bester, rette mich! Rette mich von dem gedoppelten Meineid, von der unübersehlichen Schande, von mir selbst, ich vergehe!

Carlos. Armer! Elender! Ich hofte, diese jugendlichen Rasereyen, diese stürmenden Thränen, diese versinkende Wehmuth sollte vorüber seyn, ich hoffte, dich als Mann nicht mehr erschüttert, nicht mehr in dem beklemmenden Jammer zu sehen, den du ehemals so oft in meinen Busen ausgeweint hast. Ermanne dich, Clavigo, ermanne dich!

[68] Clavigo. Laß mich weinen! (er wirft sich in einen Sessel)

Carlos. Weh dir, daß du eine Bahn betreten hast, die du nicht endigen wirst! Mit deinem Herzen, deinen Gesinnungen, die einen ruhigen Bürger glücklich machen würden, mußtest du den unseligen Hang nach Größe verbinden! Und was ist Größe, Clavigo? Sich in Rang und Ansehn über andre zu erheben? Glaub’ es nicht! Wenn dein Herz nicht größer ist, als anderer ihr’s; wenn du nicht im Stande bist, dich gelassen über Verhältnisse hinaus zu setzen, die einen gemeinen Menschen ängstigen würden, so bist du mit all deinen Bändern und Sternen, bist mit der Krone selbst nur ein gemeiner Mensch. Fasse dich, beruhige dich.

Clavigo. (richtet sich auf, sieht Carlos an, und reicht ihm die Hand, die Carlos mit Heftigkeit anfaßt)

Carlos. Auf, auf mein Freund! und entschließe dich. Sieh, ich will alles bey Seite setzen, ich will sagen, hie liegen zwey Vorschläge auf gleichen Schaalen, entweder du heurathest Marien, und findest dein Glück in einem stillen bürgerlichen Leben, in den ruhigen häuslichen Freuden; oder du führst auf der ehrenvollen Bahn deinen Lauf weiter nach dem nahen Ziele. [69] – Ich will alles bey Seite setzen und will sagen, die Zunge steht inne, es kommt auf deinen Entschluß an, welche von beyden Schaalen den Ausschlag haben soll! Gut! Aber entschließe dich. – Es ist nichts erbärmlicher in der Welt, als ein unentschlossener Mensch, der zwischen zween Empfindungen schwebt, gern beyde vereinigen möchte, und nicht begreift, daß keine andere Vereinigung ihrer möglich ist, als eben der Zweifel, die Unruhe, die ihn peinigen. Auf, und gieb Marien deine Hand, handle als ein ehrlicher Kerl, der das Glück seines Lebens seinen Worten aufopfert, der es für seine Pflicht achtet, was er verdorben hat, wieder gut zu machen, der auch den Kreis seiner Leidenschaften und Würksamkeit nie weiter ausgebreitet hat, als daß er im Stande ist, alles wieder gut zu machen, was er verdorben hat: und so genieße das Glück einer ruhigen Beschränkung, den Beyfall eines bedächtigen Gewissens und alle Seligkeit, die denen Menschen gewährt ist, die im Stande sind, sich ihr eigen Glück und die Freuden der Ihrigen zu machen – Entschließe dich, so will ich sagen, du bist ein ganzer Kerl –

Clavigo. Einen Funken, Carlos, deiner Stärke, deines Muths

[70] Carlos. Er schläft in dir, und ich will blasen, bis er in Flammen schlägt. Sieh auf der andern Seite das Glück und die Größe, die dich erwarten. Ich will dir diese Aussichten nicht mit dichterischen bunten Farben vormahlen, stelle sie dir selbst in der Lebhaftigkeit dar, wie sie in voller Klarheit vor deiner Seele stunden, ehe der französische Strudelkopf dir die Sinnen verwirrte. Aber auch da, Clavigo, sey ein ganzer Kerl, und mache deinen Weg stracks, ohne rechts und links zu sehen. Möge deine Seele sich erweitern, und die Gewißheit des großen Gefühls über dich kommen, daß außerordentliche Menschen eben auch darin außerordentliche Menschen sind, weil ihre Pflichten von den Pflichten des gemeinen Menschen abgehen; daß der, dessen Werk es ist, ein großes Ganze zu übersehen, zu regieren, zu erhalten, sich keinen Vorwurf zu machen braucht, geringe Verhältnisse vernachläßiget, Kleinigkeiten dem Wohl des Ganzen aufgeopfert zu haben. Thut das der Schöpfer in seiner Natur, der König in seinem Staate; warum sollten wir’s nicht thun, um ihnen ähnlich zu werden?

Clavigo. Carlos, ich bin ein kleiner Mensch.

[71] Carlos. Wir sind nicht klein, wenn Umstände uns zu schaffen machen, nur wenn sie uns überwältigen. Noch einen Athemzug, und du bist wieder bey dir selber. Wirf die Reste einer erbärmlichen Leidenschaft von dir, die dich in jetzigen Tagen eben so wenig kleiden, als das graue Jäckgen und die bescheidene Miene, mit denen du nach Madrid kamst. Was das Mädchen für dich gethan hat, hast du ihr lange gelohnt; und daß du ihr die erste freundliche Aufnahme schuldig bist – Oh! eine andere hätte um das Vergnügen deines Umgangs eben so viel und mehr gethan, ohne solche Prätensionen zu machen, – und wird dir einfallen, deinem Schulmeister die Hälfte deines Vermögens zu geben, weil er dich vor dreyßig Jahren das Abc gelehrt hat. Nun, Clavigo?

Clavigo. Das ist all gut, im Ganzen magst du Recht haben, es mag also seyn; nur, wie helfen wir uns aus der Verwirrung, in der wir stecken? Da gieb Rath, da schaff Hülfe, und dann rede.

Carlos. Gut! Du willst also?

Clavigo. Mach mich können, so will ich. Ich habe kein Nachdenken; hab’s für mich.

[72] Carlos. Also denn. Zuerst gehst du, den Herrn an einen dritten Ort zu bescheiden, und alsdann forderst du mit der Klinge die Erklärung zurück, die du gezwungen und unbesonnen ausgestellt hast.

Clavigo. Ich hab sie schon, er zerriß und gab mir sie.

Carlos. Treflich, Treflich! Schon den Schritt gethan – und du hast mich so lange reden lassen. – Also kürzer! Du schreibst ihm ganz gelassen: „Du fändest nicht für gut, seine Schwester zu heurathen, die Ursache könnte er erfahren, wenn er sich heut Nacht, von einem Freunde begleitet, und mit beliebigen Waffen versehen, da oder dort einfinden wollte. Und somit signiert.“ – Komm, Clavigo, schreib das. Ich bin dein Secundant und – es müßte mit dem Teufel zugehen –

Clavigo. (Geht nach dem Tische)

Carlos. Höre! Ein Wort! Wenn ich’s so recht bedenke, ist das ein einfältiger Vorschlag! Wer sind wir, um uns gegen einen aufgebrachten Abentheurer zu wagen? Und die Aufführung des Menschen, sein Stand, verdient nicht, daß wir ihn für unsers gleichen [73] achten. Also hör mich! Wenn ich ihn nur peinlich anklage, daß er heimlich nach Madrid gekommen, sich bey dir unter einem falschen Nahmen mit einem Helfershelfer anmelden lassen, dich erst mit freundlichen Worten vertraulich gemacht, dann dich unvermuthet überfallen, eine Erklärung dir abgenöthigt und sie auszustreuen weggegangen ist. Das bricht ihm den Hals, er soll erfahren, was das heist, einen Spanier mitten in der bürgerlichen Ruhe zu befehden.

Clavigo. Du hast Recht.

Carlos. Wenn wir nun aber unterdessen, bis der Proceß eingeleitet ist, bis dahin uns der Herr noch allerley Streiche machen könnte, das Gewisse spielten, und ihn kurz und gut bey’m Kopf nähmen?

Clavigo. Ich verstehe, und kenn’ dich, daß du Mann bist, es auszuführen.

Carlos. Nun auch! wenn ich, der ich schon fünf und zwanzig Jahre mitlaufe und dabey war, da den ersten unter den Menschen die Angsttropfen auf dem Gesichte stunden, wenn ich so ein Possenspiel nicht entwickeln wollte. Und somit läßt du mir freye Hand, du brauchst [74] nichts zu thun, nichts zu schreiben. Wer den Bruder einstecken läßt, giebt pantomimisch zu verstehen, daß er die Schwester nicht mag.

Clavigo. Nein, Carlos, es gehe wie es wolle, das kann, das werd ich nicht leiden. Beaumarchais ist ein würdiger Mensch und er soll in keinem schimpflichen Gefängnisse verschmachten um seiner gerechten Sache willen. Einen andern Vorschlag, Carlos, einen andern.

Carlos. Pah! pah! Kindereyen! Wir wollen ihn nicht fressen, er soll wohl aufgehoben und versorgt werden, und lang kann’s auch nicht währen. Denn siehe, wenn er spürt, daß es Ernst ist, kriecht sein theatralischer Eifer gewiß zum Kreuz, er kehrt betuzt nach Frankreich zurück, und dankt auf das höflichste, wenn man ja seiner Schwester ein jährliches Gehalt aussetzen will, warum’s ihm vielleicht einzig und allein zu thun war.

Clavigo. So seys denn! nur verfahrt gut mit ihm.

Carlos. Sey unbesorgt – Noch eine Vorsicht! Man kann nicht wissen, wie’s verschwätzt wird, wie er Wind kriegt, und er überläuft dich und alles geht zu Grunde. [75] Drum begieb dich aus deinem Hause, daß auch kein Bedienter weis, wohin. Laß nur das nöthigste zusammenpacken. Ich schicke dir einen Burschen, der dir’s forttragen und dich hinbringen soll, wo dich die heilige Herrmandad selbst nicht finden soll. Ich hab so ein paar Mauslöcher immer offen. Adieu!

Clavigo. Leb wohl!

Carlos. Frisch! Frisch! Wenn's vorbey ist, Bruder, wollen wir uns laben.

(ab.)


Guilberts Wohnung.


Sophie Guilbert. Marie von Beaumarchais (mit Arbeit.)

Marie. So ungestüm ist Buenko fort?

Sophie. Das war natürlich. Er liebt dich und wie konnte er den Anblick des Menschen ertragen, den er doppelt hassen muß?

Marie. Er ist der beste, tugendhafteste Bürger, den ich je gekannt habe. (ihr die Arbeit zeigend) Mich dünkt, ich mach es so? Ich [76] zieh das hier ein und das Ende steck ich hinauf. Es wird gut stehn.

Sophie. Recht gut. Und ich will paille Band zu dem Häubchen nehmen; es kleidt mich keins besser. Du lächelst?

Marie. Ich lache über mich selbst. Wir Mädchen sind doch eine wunderliche Nation, kaum heben wir den Kopf nur ein wenig wieder, so ist gleich Putz und Band, was uns beschäftigt.

Sophie. Das kannst du dir nicht nachsagen; seit dem Augenblick, da Clavigo dich verlies, war nichts im Stande, dir eine Freude zu machen.

Marie. (fährt zusammen und sieht nach der Thür)

Sophie. Was hast du?

Marie. (beklemmt) Ich glaubte, es käme jemand! Mein armes Herz! O, es wird mich noch umbringen. Fühl, wie es schlägt, von dem leeren Schrecken.

Sophie. Sey ruhig. Du siehst blaß; ich bitte dich, meine Liebe!

[77] Marie. (auf die Brust deutend) Es drückt mich hier so. – Es sticht mich so. – Es wird mich umbringen.

Sophie. Schone dich.

Marie. Ich bin ein närrisches unglückliches Mädchen. Schmerz und Freude haben mit all ihrer Gewalt mein armes Leben untergraben. Ich sage dir, es ist nur halbe Freude, daß ich ihn wieder habe. Ich werde das Glück wenig geniessen; vielleicht nicht, das mich in seinen Armen erwartet.

Sophie. Schwester, meine liebe Einzige! Du nagst mit solchen Grillen an dir selber.

Marie. Warum soll ich mich betrügen?

Sophie. Du bist jung und glücklich und kannst alles hoffen.

Marie. Hoffnung! O der süsse einzige Balsam des Lebens bezaubert oft meine Seele. Muthige jugendliche Träume schweben vor mir, und begleiten die geliebte Gestalt des Unvergleichlichen, der nun wieder der Meine wird. O Sophie, wie reizend ist er! Seit ich ihn nicht sah, hat er – ich weis nicht, wie ichs ausdrücken soll – es haben sich alle große Eigenschaften, die ehemals in seiner Bescheidenheit [78] verborgen lagen, entwickelt, er ist ein Mann worden, und muß mit diesem reinen Gefühle seiner selbst, mit dem er auftritt, das so ganz ohne Stolz, ohne Eitelkeit ist, er muß alle Herzen wegreissen. – Und er soll der Meinige werden? – Nein, Schwester, ich war seiner nicht werth! – Und jetzt bin ich's vielweniger!

Sophie. Nimm ihn nur und sey glücklich. – Ich höre deinen Bruder!

Beaumarchais.

Wo ist Guilbert?

Sophie. Er ist schon eine Weile weg, lang’ kann er nicht mehr ausbleiben.

Marie. Was hast du, Bruder? – (aufspringend und ihm um den Hals fallend) Lieber Bruder, was hast du?

Beaumarchais. Nichts! Laß mich, meine Marie!

Marie. Wenn ich deine Marie bin, so sag mir, was du auf dem Herzen hast?

Sophie. Laß ihn. Die Männer machen oft Gesichter, ohne just was auf dem Herzen zu haben.

[79] Marie. Nein, nein. Ich sehe dein Angesicht nur wenige Zeit; aber schon drückt es mir alle deine Empfindungen aus, ich lese jedes Gefühl dieser unverstellten unverdorbenen Seele auf deiner Stirn. Du hast etwas, das dich stuzzig macht. Rede, was ist’s?

Beaumarchais. Es ist nichts, meine Lieben. Ich hoffe, im Grunde ists nichts. Clavigo –

Marie. Wie?

Beaumarchais. Ich war bey Clavigo. Er ist nicht zu Hause.

Sophie. Und das verwirrt dich.

Beaumarchais. Sein Pförtner sagt, er sey verreißt, er wisse nicht wohin, wisse niemand, wie lange. Wenn er sich verläugnen ließe! wenn er würklich verreißt wäre! Wozu das? Warum das?

Marie. Wir wollen's abwarten.

Beaumarchais. Deine Zunge lügt. Ha! Die Blässe deiner Wangen, das Zittern deiner Glieder, alles spricht und zeugt, daß du das nicht abwarten kannst. Liebe Schwester! (er faßt sie in seine Arme) an diesem klopfenden, ängstlich bebenden Herzen schwör ich dir. Hör mich, Gott, der du gerecht bist, höret mich, [80] alle seine Heiligen! Du sollst gerochen werden, wenn er – die Sinnen vergehn mir über dem Gedanken, – wenn er rückfiele, wenn er doppelten gräßlichen Meineids sich schuldig machte, unsers Elends spottete – Nein, es ist, es ist nicht möglich, nicht möglich – du sollst gerochen werden.

Sophie. Alles zu früh, zu voreilig. Schon ihrer, ich bitte dich, mein Bruder.

Marie. (setzt sich)

Sophie. Was hast du? du wirst ohnmächtig.

Marie. Nein, nein. Du bist gleich so besorgt.

Sophie. (reicht ihr Wasser) Nimm das Glas.

Marie. Laß doch! wozu soll's? – Nun meinetwegen, gieb her.

Beaumarchais. Wo ist Guilbert? wo ist Buenko? Schick nach ihnen, ich bitte dich.

(Sophie ab.)

Beaaumarchais. Wie ist dir, Marie?

Marie. Gut, ganz gut! Denkst du denn, Bruder! –

[81] Beaumarchais. Was, meine Liebe?

Marie. Ach!

Beaumarchais. Der Athem wird dir schwer.

Marie. Das unbändige Schlagen meines Herzens versetzt mir die Luft.

Beaumarchais. Habt ihr denn kein Mittel? Brauchst du nichts niederschlagendes?

Marie. Ich weiß ein einzig Mittel, und darum bitt ich Gott schon lange.

Beaumarchais. Du sollst’s haben, und ich hoffe, von meiner Hand.

Marie. Schon gut.

Sophie (kommt).

Sophie. So eben gibt ein Courier diesen Brief ab, er kommt von Aranjouez.

Beaumarchais. Das ist das Siegel und die Hand unsers Gesandten.

Sophie. Ich hieß ihn absteigen und einige Erfrischungen zu sich nehmen, er wollte nicht, weil er noch mehr Depeschen hätte.

[82] Marie. Willst du doch, Liebe, das Mädgen nach dem Arzte schicken?

Sophie. Fehlt dir was? Heiliger Gott! was fehlt dir?

Marie. Du wirst mich ängstigen, daß ich zuletzt kaum traue, ein Glas Wasser zu begehren – Sophie! – Bruder! – Was enthält der Brief? Sieh, wie er zittert! wie ihn aller Muth verläßt!

Sophie. Bruder, mein Bruder!

Beaumarchais. (wirft sich sprachlos in einen Sessel und läßt den Brief fallen)

Sophie. Mein Bruder! (Sie hebt den Brief auf und liest)

Marie. Laß mich ihn sehn! ich muß – (sie will aufstehn) Weh! Ich fühls. Es ist das letzte. Schwester, aus Barmherzigkeit den letzten schnellen Todesstos! – Er verräth uns! –

Beaumarchais. (aufspringend) Er verräth uns! (an die Stirn schlagend und auf die Brust) Hier! hier! es ist alles so dumpf, so todt vor meiner Seele, als hätt ein Donnerschlag meine Sinnen gelähmt. Marie! Marie! du bist verrathen! – und ich stehe hier! – Wohin [83] – was? – Ich sehe nichts, nichts! Keinen Weg! Keine Rettung (er wirft sich in Sessel)

Guilbert (kommt).

Sophie. Guilbert! Rath! Hülfe! Wir sind verlohren!

Guilbert. Weib!

Sophie. Lies! Lies! Der Gesandte meldet unserm Bruder: Clavigo habe ihn peinlich angeklagt, als sey er unter einem falschen Namen in sein Haus geschlichen, habe ihm im Bette die Pistole vorgehalten, habe ihn gezwungen, eine schimpfliche Erklärung zu unterschreiben, und wenn er sich nicht schnell aus dem Königreiche entfernt, so schleppen sie ihn in’s Gefängnis, daraus vielleicht ihn zu befreyen, der Gesandte selbst nicht im Stande ist.

Beaumarchais. (aufspringend) Ja, sie sollens! sie sollen's! Sollen mich in’s Gefängnis schleppen. Aber von seinem Leichname weg, von der Stätte weg, wo ich mich in seinem Blute werde geletzt haben. – Ach! der grimmige, entsetzliche Durst nach seinem Blute füllt mich ganz. Dank sey dir, Gott im Himmel, daß du dem Menschen mitten im glühenden unerträglichsten Leiden ein Labsal sendest, eine Erquickung. [84] Wie ich die dürstende Rache in meinem Busen fühle! wie aus der Vernichtung meiner selbst aus der stumpfen Unentschlossenheit mich das herrliche Gefühl, die Begier nach seinem Blute herausreißt, mich über mich selbst reißt! Rache! Wie mir’s wohl ist, wie alles an mir nach ihm hinstrebt, ihn zu fassen, ihn zu vernichten.

Sophie. Du bist fürchterlich, Bruder.

Beaumarchais. Desto besser. – Ach! Keinen Degen, kein Gewehr! mit diesen Händen will ich ihn erwürgen, daß mein die Wonne sey! Ganz mein eigen das Gefühl: ich hab ihn vernichtet.

Marie. Mein Herz! Mein Herz!

Beaumarchais. Ich hab dich nicht retten können, so sollst du gerochen werden. Ich schnaube nach seiner Spur, meine Zähne gelüstet’s nach seinem Fleische, meinen Gaumen nach seinem Blute. Bin ich ein rasendes Thier geworden! Mir glüht in jeder Ader, mir zuckt in jeder Nerve die Begier nach ihm, nach ihm! – Ich würde den ewig hassen, der mir ihn jetzt mit Gift vergäbe, der mir ihn meuchelmörderisch aus dem Wege räumte. O hilf mir, Guilbert, [85] ihn aufsuchen! Wo ist Buenko? helft mir ihn finden.

Guilbert. Rette dich! Rette dich! du bist außer dir.

Marie. Fliehe, mein Bruder!

Beaumarchais. Nein, hab ich ihn, ich muß ihn haben! O hätt ich ihn drüben über dem Meere! Fangen wollt ich ihn lebendig, und an einen Pfahl gebunden stückweise seine Glieder ablösen, vor seinem Angesichte braten und mir’s schmecken lassen, und euch auftischen, Weiber!

Sophie. Führ ihn weg, er bringt seine Schwester um.

Buenko (kommt).

Auf! Herr! Fort! Ich sah’s voraus. Ich gab auf alles Acht. Und nun! man stellt euch nach, ihr seyd verlohren, wenn ihr nicht im Augenblick die Stadt verlaßt.

Beaumarchais. Nimmermehr! Wo ist Clavigo?

Buenko. Ich weis nicht.

Beaumarchais. Du weißts. Ich bitte dich fußfällig, sag mir’s.

[86] Sophie. Um Gotteswillen, Buenko!

Marie. Ach! Luft! Luft! (sie fällt zurück) Clavigo! –

Buenko. Hülfe, sie stirbt!

Sophie. Verlaß uns nicht, Gott im Himmel! – Fort, mein Bruder, fort!

Beaumarchais. (fällt für Marien nieder, die ohngeachtet aller Hülfe nicht wieder zu sich selbst kommt) Dich verlassen! dich verlassen!

Sophie. So bleib, und verderb’ uns alle, wie du Marien getödtet hast! Du bist hin, o meine Schwester! durch die Unbesonnenheit deines Bruders.

Beaumarchais. Halt, Schwester!

Sophie. (spottend) Retter! – Rächer! – Hilf dir selber!

Beaumarchais. Verdien ich das?

Sophie. Gieb mir sie wieder! Und dann geh in Kerker, geh aufs Martergerüst, geh, vergieße dein Blut, und gieb mir sie wieder.

Beaumarchais. Sophie!

Sophie. Ha! und ist sie hin, ist sie todt – so erhalte dich uns! (ihm um den Hals fallend) Mein Bruder, erhalte dich uns! Unserm Vater! [87] Eile, eile! Das war ihr Schicksal! Sie hat’s geendet. Und ein Gott ist im Himmel, dem laß die Rache.

Buenko. Fort! fort! Kommen Sie mit mir, ich verberge Sie, bis wir Mittel finden, sie aus dem Königreiche zu schaffen.

Beaumarchais. (fällt auf Marien und küßt sie) Schwester! (Sie reißen ihn los, er faßt Sophien, sie macht sich los, man bringt Marien weg, und Buenko mit Beaumarchais ab.)

Guilbert. Ein Arzt.

Sophie. (aus dem Zimmer zurückkommend, darein man Marien gebracht hat) Zu spät! Sie ist hin! Sie ist todt!

Guilbert. Kommen Sie, mein Herr! Sehen Sie selbst! Es ist nicht möglich!

(ab.)
[88]
Fünfter Akt.
Straße vor dem Hause Guilberts. Nacht.


Das Haus ist offen. Vor der Thür stehen drey in schwarze Mäntel gehüllte Männer, mit Fackeln. Clavigo in einem Mantel gewickelt, den Degen unterm Arm, kommt. Ein Bedienter geht voraus mit einer Fackel.

Clavigo. Ich sagte dir’s, du solltest diese Straße meiden.

Bedienter. Wir hätten einen gar großen Umweg nehmen müssen, und Sie eilen so. Es ist nicht weit von hier, wo Don Carlos sich aufhält.

Clavigo. Fackeln dort?

Bedienter. Eine Leiche. Kommen Sie, mein Herr.

Clavigo. Mariens Wohnung! Eine Leiche! Mir fährt ein Todesschauer durch alle Glieder. Geh, frag, wen sie begraben?

[89] Bedienter. (geht zu den Männern) Wen begrabt ihr?

Die Männer. Marien von Beaumarchais.

Clavigo. (setzt sich auf einen Stein und verhüllt sich)

Bedienter. (kommt zurück) Sie begraben Marien von Beaumarchais.

Clavigo. (aufspringend). Mußtest du’s wiederholen, Verräther! Das Donnerwort wiederholen, das mir alles Mark aus meinen Gebeinen schlägt!

Bedienter. Stille, mein Herr, kommen Sie. Bedenken Sie die Gefahr, in der Sie schweben.

Clavigo. Geh in die Hölle, ich bleibe.

Bedienter. O Carlos! O daß ich dich fände, Carlos! Er ist außer sich!

(ab.)
Clavigo (in der Ferne die Leichenmänner).

Clavigo. Todt! Marie todt! Die Fackeln dort! ihre traurigen Begleiter! – Es ist ein Zauberspiel, ein Nachtgesicht, das mich erschröckt, das mir einen Spiegel vorhält, darinn [90] ich das Ende meiner Verräthereyen ahndungsweise erkennen soll. – Noch ist es Zeit! Noch! – Ich bebe, mein Herz zerfließt in Schauer! Nein! Nein! du sollst nicht sterben. Ich komme! Ich komme! – Verschwindet, Geister der Nacht, die ihr euch mit ängstlichen Schrecknissen mir in Weg stellt – (er geht auf sie los) Verschwindet! – Sie stehen! Ha! sie sehen sich nach mir um! Weh! Weh mir! es sind Menschen wie ich. – Es ist wahr – Wahr – Kannst du’s fassen! – Sie ist todt – Es ergreift mich mit allem Schauer der Nacht das Gefühl, sie ist todt! Da liegt sie, die Blume, zu deinen Füßen – und du – Erbarme dich meiner, Gott im Himmel, ich habe sie nicht getödtet! – Verbergt euch, Sterne, schaut nicht hernieder, ihr, die ihr so oft den Missethäter saht in dem Gefühl des innigsten Glücks diese Schwelle verlassen; durch eben diese Straße mit Saitenspiel und Gesang in goldenen Phantasien hinschweben, und sein am heimlichen Gegitter lauschendes Mädchen mit wonnevollen Erwartungen entzünden. – Und du füllst nun das Haus mit Wehklagen und Jammer! und diesen Schauplatz deines Glückes mit Grabegesang! – Marie! Marie! nimm mich mit dir! nimm mich mit dir! [91] (eine traurige Musik tönt einige Laute von innen) Sie beginnen den Weg zum Grabe! – Haltet, haltet! schließt den Sarg nicht! Laßt mich sie noch einmal sehen! (er geht aufs Haus los) Ha! wem wag ich's unters Gesicht zu treten? wem in seinem entsetzlichen Schmerzen zu begegnen? – Ihren Freunden! Ihrem Bruder! dem wüthender Jammer den Busen füllt! (die Musik geht wieder an) Sie ruft mir! sie ruft mir! Ich komme! – Welche Angst umgiebt mich! Welches Beben hält mich zurück! (die Musik fängt zum drittenmale an und fährt fort. Die Fackeln bewegen sich vor der Thüre, es treten noch drey andere zu ihnen, die sich in Ordnung reihen, um den Leichenzug einzufassen, der aus dem Hause kommt. Sechse tragen die Bahre, darauf der bedeckte Sarg steht. Guilbert, Buenko in tiefer Trauer).

Clavigo. (hervortretend) Haltet!

Guilbert. Welche Stimme!

Clavigo. Haltet! (die Träger stehn)

Buenko. Wer untersteht sich den ehrwürdigen Zug zu stören?

Clavigo. Setzt nieder!

Guilbert. Ha!

[92] Buenko. Elender! ist deiner Schandthaten kein Ende? Ist dein Opfer im Sarge nicht sicher vor dir?

Clavigo. Laßt! macht mich nicht rasend! die Unglücklichen sind gefährlich! Ich muß sie sehen! (er wirft das Tuch ab und den Deckel. Marie liegt weis gekleidet und mit gefalteten Händen im Sarge, Clavigo tritt zurück und verbirgt sein Gesicht)

Buenko. Willst du sie erwecken, um sie wieder zu tödten?

Clavigo. Armer Spötter! – Marie! (er fällt vor dem Sarge nieder)

Beaumarchais (kommt).

Beaumarchais. Buenko hat mich verlassen, Sie ist nicht todt, sagen sie, ich muß sehen, Trotz dem Teufel! Ich muß sie sehen. Fackeln! Leiche! (er rennt auf sie los, erblickt den Sarg und fällt sprachlos drüber hin, man hebt ihn auf, er ist wie ohnmächtig. Guilbert hält ihn)

Clavigo. (der an der andern Seite des Sargs aufsteht) Marie! Marie!

Beaumarchais. (auffahrend) Das ist seine Stimme! Wer ruft Marie? Wie mit dem [93] Klang der Stimme sich eine glühende Wuth in meine Adern goß?

Clavigo. Ich bin's.

Beaumarchais. (wild hinsehend und nach dem Degen greifend. Guilbert hält ihn.)

Clavigo. Ich fürchte deine glühende Augen nicht, nicht die Spitze deines Degens! sieh hier her, dieses geschlossene Aug, diese gefalteten Hände!

Beaumarchais. Zeigst du mir das? (Er reißt sich los, dringt auf Clavigo ein, der zieht, sie fechten, Beaumarchais stößt ihm den Degen in die Brust)

Clavigo. (sinkend) Ich danke dir, Bruder! Du vermählst uns. (er sinkt auf den Sarg)

Beaumarchais. (ihn wegreißend) Weg von dieser Heiligen, Verdammter!

Clavigo. Weh! (Die Träger halten ihn)

Beaumarchais. Blut! Blick auf, Marie, blick auf deinen Brautschmuck, und dann schließ deine Augen auf ewig. Sieh, wie ich deine Ruhestätte geweiht habe mit dem Blute deines Mörders! Schön! Herrlich!

[94]
Sophie (kommt).

Sophie. Bruder! Gott! was giebt’s?

Beaumarchais. Tritt näher, Liebe, und schau. Ich hoffte, ihr Brautbette mit Rosen zu bestreuen, sieh die Rosen, mit denen ich sie ziere auf ihrem Wege zum Himmel.

Sophie. Wir sind verlohren.

Clavigo. Rette dich, Unbesonnener! rette dich, eh der Tag anbricht. Gott, der dich zum Rächer sandte, geleite dich – Sophie – vergieb mir. – Bruder – Freunde, vergebt mir!

Beaumarchais. Wie sein fließendes Blut all die glühende Rache meines Herzens auslöscht, wie mit seinem wegfliehenden Leben meine Wuth verschwindet! (auf ihn losgehend) Stirb, ich vergebe dir!

Clavigo. Deine Hand! und deine, Sophie! Und eure! (Buenko zaudert)

Sophie. Gieb sie ihm, Buenko.

Clavigo. Ich danke dir! du bist die alte! Ich danke euch! Und wenn du noch hier diese Stätte umschwebst, Geist meiner Geliebten, [95] schau herab, sieh diese himmlische Güte, sprich deinen Segen dazu, und vergieb mir auch! – Ich komme! ich komme! – Rette dich, mein Bruder! Sagt mir, vergab sie mir? Wie starb sie?

Sophie. Ihr letztes Wort war dein unglücklicher Name! Sie schied weg ohne Abschied von uns.

Clavigo. Ich will ihr nach! und ihr den eurigen bringen.

Carlos. Bediente.

Carlos. Clavigo! Mörder!

Clavigo. Hör mich, Carlos! Du siehest hier die Opfer deiner Klugheit – Und nun, um des Blutes willen, in dem mein Leben unaufhaltsam dahin fließt! rette meinen Bruder –

Carlos. Mein Freund! Ihr steht da! lauft nach Wundärzten! (Bedienter ab)

Clavigo. Es ist vergebens. Rette, rette den unglücklichen Bruder! – Deine Hand dadrauf! Sie haben mir vergeben, und so vergeb ich dir. Du begleitest ihn bis an die Gränze, und – ah!

[96] Carlos. (mit dem Fuße stampfend) Clavigo! Clavigo!

Clavigo. (sich dem Sarge nähernd, auf den sie ihn niederlassen) Marie! Deine Hand! (er entfaltet ihre Hände, und faßt die rechte)

Sophie. (zu Beaumarchais) Fort, Unglücklicher! fort!

Clavigo. Ich hab' ihre Hand! Ihre kalte Todtenhand! Du bist die Meinige – Und noch diesen Bräutigamskuß. Ah!

Sophie. Er stirbt. Rette dich, Bruder!

Beaumarchais. (fällt Sophien um den Hals)

Sophie. Ich vergehe. [97]