Textdaten
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Autor: I. Kurz
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Titel: Ciociara
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aus: Die Gartenlaube, Heft 34, S. 557, 564
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1885
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[557]

Ciociara. Nach dem Oelgemälde von L. Bonnat.
Photographie im Verlag von E. Lecadre u. Comp. in Paris.

[564] Ciociara. (Mit Illustration S. 557.) Wie die nationalen Charaktereigenthümlichkeiten im großen Weltverkehr sich mehr und mehr abschleifen und verwischen, so verschwinden auch die charakteristischen Nationaltrachten und machen der nivellirenden Herrschaft der Mode Platz, bei den beweglichen, für äußere Eindrücke empfänglichen Italienern noch mehr, als unter den zäheren germanischen Rassen. Vergebens sucht heute das Auge des Fremden die große Heerstraße der Touristen entlang nach jenem malerischen Schnitte, nach jenen brennenden Farben, die früher so gut zu dem blauen Himmel und dem satten Kolorit der Landschaft stimmten. Die reizenden oberitalienischen Kostüme fristen nur noch in weltabgeschiedenen Dörfern ein kärgliches Dasein und werden höchstens bei Karnevalsfesten in den Städten sichtbar. Nur die südlichen Provinzen wie Neapel und Calabrien, die von der modernen Kultur noch nicht so gründlich beleckt sind, haben sich das Vorrecht einer künstlerisch-schönen Tracht bewahrt.

Am besten jedoch hat sich die alte Tradition bei den „Ciociaren“ (Bauern aus der Umgegend von Rom) erhalten, denn ihre Mädchen tragen noch alle den malerisch geschürzten Rock, die buntgewirkte Schürze, das farbige Mieder, das anmuthige, glatt auf den Kopf gelegte Tuch und die breit geschnäbelten Schuhe, welche die kleine Italienerin unserer Abbildung schmücken – die Männer dagegen jene zottigen Beinkleider von Ziegenfell, die ihnen ein faunenartiges Aussehen geben, den großen, spitzigen schwarzen Filzhut auf dem struppigen Haar, die kurze, offene Jacke über der rauhen Brust. So kommen sie aus der Campagna, von den Bergen herunter nach der Ewigen Stadt – liebliche und abenteuerliche Gestalten – und lungern Tage lang auf der „Spanischen Treppe“, dem Sammelplatz der Künstlermodelle, wo sie den Vorübergehenden Sträußchen der großen starkduftenden Campagnaveilchen aufdrängen, bis sich Gelegenheit zu besserem Erwerb bietet. Auch unsere Kleine ist eine solche „Ciociara“, die in ihrem Sonntagsstaat von den Eltern in die Stadt geschickt ist, um mit ihrem braunen Rasseköpfchen ein paar Lire zu verdienen – und so hat sie der Künstler vor uns hingestellt, wie sie leibt und lebt, die Hände im Schoß gefaltet, die großen, träumerisch leeren Augen, die so viel sagen und so wenig meinen, gedankenlos ins Blaue gerichtet, ein Bild des Dolce far niente, fast möchte ich sagen ein Sinnbild des träumenden Sonnenlandes, das nicht säen und ernten mag, sondern ruhig im Besitz seiner Schönheit aus der Bewunderung des Fremden die Mittel seines mühelosen Daseins schöpft. I. Kurz.