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Spiegel,

Sinnbild der reinsten Aufnahme und Wiedergebung des Empfangenen, daher Attribut der christlichen Tugenden veritas und prudentie. Vorzugsweise aber Sinnbild der Jungfrau Maria und ihrer unbefleckten Empfängniss. Gott Vater spiegelte in ihrer Jungfräulichkeit sein Ebenbild im Sohne. Marien. Liederschatz. Augsb. 1841. S. 25. 289. Conrad von Würzburg, goldne Schmiede, herausg. von Grimm, S. XXXI. v. Schack, dram. Lit. d. Spanier II. 414. Maria heisst darum auch Spiegel der Weisheit, Spiegel der Wonne. Wackernagel, Kirchenlied S. XV. Haupt, Zeitschr. IV. 523.

Wie der Leib Christi in der Hostie sich vervielfältigt, wird verglichen mit der Sonne, die in jedem kleinsten Stück [401] eines zerbrochenen Spiegels immer dasselbe ganze Sonnenbild spiegelt, integer in fragmentis. Menetreji, symb. p. 152.

Nach der pantheistischen Lehre der alten Inder war die Natur selber der Spiegel Gottes. Einige Anklänge dieser Lehre gingen in die Gnosis der ersten christlichen Jahrhunderte über. Der Demiurg der Ophiten spiegelt seinen Gotteshass in der Finsterniss ab und aus diesem Spiegelbild entsteht Satan. Andere Gnostiker lassen den Adam in einen Spiegel schauen, den ihm der Demiurg vorhält, in sich selbst verliebt werden und dadurch seine himmlische Natur verlieren. Vgl. meine mytholog. Forschungen und Sammlungen S. 27 f. Neander, gnostische Systeme S. 216. 224.

Die Raskolniks (altgläubige Russen) bedienen sich nie eines Spiegels, weil sie ihn für eine dämonische Erfindung halten. Sie haben davon eine schöne Sage. Ein Mönch las in der heiligen Schrift die Worte: „Bittet, so wird euch gegeben.“ Zweifelnd, ob das wörtlich zu nehmen sey, und doch auch nicht geneigt, die Autorität der heiligen Schrift zu missachten, beschloss er, die Wahrheit jener Worte zu erproben, ersann sich etwas Ausserordentliches, und ging hin zum Czaar, ihn bittend, er möge ihm seine Tochter geben. Der Hof wusste sich vor Staunen kaum zu fassen. Die Prinzessin aber sagte, sie wolle die Seinige werden, wenn er ihr ein Ding verschaffe, in dem sie sich ganz naturtreu vom Kopf bis zu Füssen besehen könne. Die Spiegel waren nämlich damals noch nicht erfunden. Der Mönch entfernte sich ziemlich bestürzt, denn wo sollte er so ein Ding finden? Inzwischen stiess er auf einen gefangenen Dämon, den er unter der Bedingung frei liess, dass er ihm jenes Ding verschaffe. Da machte der Teufel den Spiegel und der Mönch trug ihn zur Prinzessin hin. Diese musste nun Wort halten und die Seinige werden. Aber der Mönch, als er auf diese Weise erfuhr, wie die Worte der heiligen Schrift ihn nicht betrogen hätten, sondern die lautere Wahrheit enthielten, bewunderte die Grösse Gottes und begnügte sich damit, sie erkannt zu haben, ohne von dem Mittel der Hölle, die ihm [402] dabei gedient, weiter Gebrauch zu machen. Der schönen Braut freiwillig entsagend, ging er zurück in seine klösterliche Einsamkeit. Die Prinzessin aber fürchtete den dämonischen Zauber nicht und bediente sich des Spiegels, was alle andern Frauen und Mädchen nachahmten. Vgl. Morgenblatt 1827. S. 771.

Nach einer schönen Legende in Steills Ephemeriden (28. März) sah die eben so reizende als leichtsinnige Maria Villana, als sie eben prächtig geschmückt zu einem Tanze ging, im Vorübergehen ihr Bild im Spiegel zur Teufelsfrazze entstellt, bekehrte sich von Stund an und wurde eine Heilige.

Dagegen zeigte sich nach der Legende dem heiligen Tommasuolo einmal die ganze Passion Christi im Spiegel. Vasari, Leben der Künstler II. 140. Ein Spiegel ist auch Attribut des heiligen Geminianus, weil man darin, wenn er ihn gegen sein Herz hielt, das Bild einer Jungfrau, d. h. der Jungfräulichkeit seines Herzens sah.

Der Spiegel der Wahrheit wird auch oft zum Scherz gebraucht, um Eitelkeit und Thorheit zu beschämen. So in dem Mährchen, in welchem die Mädchen sich eines solchen Spiegels bedienen, um ihren Liebhaber kennen zu lernen, und darin gerade den Schönsten, der Allen am meisten gefallen hat, mit zwei mächtigen Eselsohren prangen sehen. So kaufte einmal ein König einen ganz gemeinen Spiegel, gab ihn aber für einen Zauberspiegel aus, in dem er Jeden in seiner wahren Gestalt sehen könnte, und nun wollte keiner seiner Höflinge sich ihn vorhalten lassen.