Christliche Patriarchen und muhamedanische Studenten

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Autor: Wilhelm Gentz
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Titel: Christliche Patriarchen und muhamedanische Studenten
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aus: Die Gartenlaube, Heft 32, S. 508–512
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Besuch beim koptischen Papst Dimitrios II., dem Scheich Mustafa al-Arusi und der al-Azhar-Moschee bzw. al-Azhar-Universität
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Christliche Patriarchen und muhamedanische Studenten.

Der Papst in Rom behauptet den Stuhl des heiligen Petrus einzunehmen; den des heiligen Marcus nimmt der koptische Patriarch von Alexandria, der zu Kairo residirt, in Anspruch. Die Kopten, die christlichen Nachkommen der alten Aegypter, welche ihren Namen ihrer Zufluchtsstätte während der Christenverfolgungen unter den römischen Kaisern verdanken sollen, haben von den geistigen Eigenschaften des alten Pharaonenvolkes den Haß und die Verachtung gegen alle fremde Völker ererbt. Im paradiesischen Nilthale, durch die Wogen des Meeres und die Sandwellen der Sahara abgeschlossen und in sich befriedigt, sehen sie in den eingedrungenen Fremdlingen nur die Störer des heimischen Glücks. Sie gehören einer der ältesten Gestaltungen der christlichen Kirche

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Arabische Universität in Kairo. Nach der Natur aufgenommen von W. Gentz.

[510] an. Aber die Religion der Bruder- und Nächstenliebe hindert sie nicht, ihre Brüder in Christo noch mehr zu hassen, als die in Muhamed, denen sie stammverwandt sind.

Der Patriarch dieser Kopten ist das Oberhaupt aller ägyptischen, äthiopischen und abyssinischen Christen. Die Mönche des am rothen Meere in tiefster Wüsteneinsamkeit gelegenen Klosters des heiligen Antonius wählen ihn aus ihrer Mitte. Seine Einkünfte sind sehr bedeutend, besonders durch den Besitz von Häusern, deren Zahl sich in neuerer Zeit außerordentlich vermehrt hat. Verkauft in Kairo ein Kopte sein Haus, so ersteht es größtentheils der Patriarch für die Kirche; aus der frommen Gemeinde wagt Niemand den geistlichen Oberhirten zu überbieten. So mehren sich Häuser auf Häuser fort und fort im Besitz der Kirche. Auch sie hat einen guten Magen und hat sich auch noch niemals übernommen.

Der norddeutsche Consul, Herr Dr. Nerenz, hatte im Auftrage unserer Regierung für heimische Gelehrte von dem Patriarchen einige alte Manuscripte zu erbitten; ich begleitete ihn mit Vergnügen bei dieser Mission. Wir trafen Seine Heiligkeit in dem bescheidenen Garten seines Hauses. Die Gestalt des hohen Herrn hatte ein wahrhaft patriarchalisches Ansehen; die Physiognomie seines Kopfes glich der eines Rhamses oder Thutmosis; seine Corpulenz jedoch erinnerte weniger an die hehren Pharaonengestalten, als an die seiner christlichen Kirchenfürsten-Brüder. Seine Kleidung bestand aus einem hellblauen Kaftan vom feinsten Tuch, unter dem er auf bloßem Körper stets wollene Kleider tragen muß. Der volle und runde Turban mit dem darüber geworfenen schwarzen Cashmirshawl vervollständigten das Bild einer altbiblischen Erscheinung.

Der Patriarch schritt voran, uns in seinen Empfangssaal zu führen. Ich hatte vor einigen Wochen die üppigen Prachtgemächer des Vatican und die fürstlichen Empfangszimmer römischer Cardinäle gesehen und erwartete bei dem Primas der orientalischen Kirche einen gleichen Luxus zu finden, wie bei den in behaglicher Ueppigkeit lebenden Kirchenfürsten des Abendlandes. Meine Erwartung rücksichtlich des koptischen Patriarchen ward getäuscht. Die Einfachheit dieses Patriarchensitzes würde selbst den gestrengen Martin Luther zufrieden gestellt haben, den der Luxus Roma’s, der Hauptstadt der Christenheit, so tief verletzte.

Die einzige majestätische Eigenschaft des Saales bestand in seiner Höhe. Die ursprünglich wohl weiß getünchte Wand hatte ihre Eigenschaft, zu blenden, längst verloren. In den großen Fenstern befanden sich bedenkliche Lücken durch zerbrochene Scheiben. Das Oeffnen der Fenster, um frische Luft zuzulassen, ward dadurch unnöthig. Alte in Holz geschnitzte Bänke, von gleicher Arbeit wie die zierlichen Muscharabien, d. h. Haremsfenster, standen an den Wänden, und spärlich bedeckten den einfachen steinernen Fußboden verschossene und arg beschädigte Teppiche. In einer Wandnische lagen große Folianten auf einander geworfen, über welche Spinnen emsig ihre Netze spannen. Das gelehrte Haupt des Patriarchen hatte gewiß nur selten nöthig, zu den literarischen Schätzen der Vergangenheit seine Zuflucht zu nehmen!

Es wurde uns Scherbet in hohen vergoldeten Deckel-Tassen gereicht, über die ein golddurchwirktes seidenes Tuch gebreitet war, später Kaffee und Schibuks. Wie vorauszusehen, war Seine Heiligkeit taub gegen das Gesuch des Consuls. Die angeblichen Manuscripte sollten nur in unserer Einbildung existiren. Die Schmeichelei, daß der Protestantismus seiner Kirche verwandt sei und gleichfalls den Papst nicht anerkenne, verfehlte auch die beabsichtigte Wirkung. – Da das Gerücht in Kairo ging, der Patriarch würde im nächsten Jahre nach Rom zum ökumenischen Concile gehen, so erlaubten wir uns hierüber eine Frage an ihn zu richten. Ein fast verächtliches Lächeln begleitete die Antwort: „Lassen wir,“ sagte der Patriarch, „den Papst in seinem Stolze sitzen. Er hat uns zwar aufgefordert, zu kommen; wie können wir aber einer Versammlung beiwohnen, in welcher sich derselbe anmaßen wird, als der gesammten Christenheit Oberhaupt den Vorsitz zu führen! Wir erkennen nur einen Herrn über uns, das ist der Gott, der im Himmel thront!“

Während des Besuchs fixirte ich das interessante Gesicht des Patriarchen und zeichnete es gleich nach beendigter Audienz in frischer Erinnerung, so daß ich ein treues Bild von ihm mit mir nehmen konnte. –

In der Nähe von Alt-Kairo steht am Rande der Wüste ein verlassenes Gotteshaus, eine Moschee, die älteste Aegyptens. Hunderte von Säulen, deren Capitäle alle verschieden sind, – es sind altägyptische, dorische, ionische, korinthische, römische, christlich-byzantinische, arabische darunter – tragen die offenen Hallen, welche das ganze Tempelgebäude in einem länglichen Viereck umschließen. In der Mitte des freien Raums, dessen Bedachung das tiefblaue Himmelsgewölbe, steht ein zerfallenes Kiosk, daneben wiegt eine einsame Palme im reinen Aether ihr leicht bewegliches Kronenhaupt, das allabendlich die scheidende Sonne vergoldet. Friedlich tragen die aus den mannigfaltigsten Religionsepochen hervorgegangenen Kunstgebilde die Vorhalle des Tempels, – ein schönes Bild idealen religiösen Friedens! Mit ihm harmonirt freilich die Wirklichkeit des Orients äußerst wenig. Bildet doch selbst die heilige Grabeskirche Jerusalems mit ihren vielen, den verschiedenen Confessionen angehörigen Capellen ein Bild ewigen Parteihaders, bei dem schließlich der bewaffnete Moslem das entscheidende Wort spricht und die gestörte Ordnung wieder herstellt. Die religiösen Parteien Aegyptens haben allmählich den offenen Fanatismus mit der Glaubensinnigkeit eingebüßt, und das ist eine heilsame Wirkung unserer Zeit!

Anders war es zur Zeit des Kalifen El Hákim, der im Jahre 996 zur Herrschaft gelangte; er erließ eine Verordnung, nach der sämmtliche Christen, Männer und Frauen, honigfarbene Kleider und schwarze Turbane tragen mußten; an den schwarzen Turbanen erkennt man noch heute die Kopten; außerdem aber mußten die Christen in jenes Kalifen Zeit ein fünf Pfund schweres hölzernes Kreuz, und die Juden ein Stück Holz von gleichem Gewicht um den Hals tragen. Ihre Hausthüren mußten durch Teufelsbilder gekennzeichnet sein. Trotz alledem weist auch der Koran auf die Toleranz hin. Denn als Muhamed einst, bei einem Leichenzug zum stillen Gebet stehen bleibend, aufmerksam gemacht wurde, daß sein Gebet einem Juden gälte, erwiderte er: „Ich bete für eine Menschenseele!“

Gegenwärtig bestehen in Aegypten die Religionsformen neben einander etwa so, wie Lessing es im „Nathan“ geschildert hat. Für die Christen ist dort die Schilderung nicht gerade schmeichelhaft, aber sie paßt leider noch auf die ägyptischen Christen unserer Tage. Der Muhamedanismus hat als herrschende Religion nicht blos materiell das Uebergewicht über die anderen Religionsformen; auch in geistiger Hinsicht und in den imposanten Formen seines Cultus ist er ihnen überlegen. Diese Ansicht gewann ich zunächst bei einem Besuch, den wir dem Scheikh el Arussi Pascha, dem Rector der muhamedanischen Universität von Kairo, abstatteten. Der Ruf seiner Gelehrsamkeit, hatten wir ihm sagen lassen, wäre auch zu uns nach Preußen gelangt, und wir wünschten deshalb ihm unsere Huldigungen darbringen zu dürfen. Unsere Bitte um eine Audienz wurde genehmigt, und wir verfügten uns – es war in der Rhamadanzeit, wo die Nacht zum Tage gemacht wird – Abends eilf Uhr in die Gesellschaft der arabischen Gelehrten, Dichter und Theologen, welche in jener Fastenzeit sich um das Haupt der arabischen Gelehrsamkeit zu versammeln pflegen.

Der Hof, den wir passirten, war festlich geschmückt und in ein großes Zelt verwandelt, unter dessen roth, grün, blau und gelb gestreiftem Dache zu Ehren des Namens Gottes eine feierliche Andachtsübung oder religiöse Fantasia gehalten wurde. Dieselbe heißt zickr. Ein großer Kreis von Gläubigen hatte sich um den in der Mitte stehenden Vorsänger, den eine klangvolle Stimme und besonders feierliche Haltung auszeichneten, gesammelt. Die frommen Uebungen bestanden neben Absingen religiöser Liebeslieder in endlosem, nur durch kurze Pausen unterbrochenem Allahrufen, welches stundenlang fortdauerte und von der andächtigen Versammlung mit regelmäßigen Kopfbewegungen begleitet wurde. Bei unserer Ankunft mußten die Uebungen schon lange gewährt haben, denn die Stimmen waren erschöpft und klangen dumpf, wie Töne aus dem Grabe. Die Zeltbedachung und die fanatisch erregt aussehenden Gesichter der Gläubigen gewährten bei dem Helldunkel der Kerzenbeleuchtung einen höchst eigenartigen feierlichen Anblick. Der Divan, der zu der klösterlichen Zerfallenheit der Wohnung des koptischen Patriarchen stark contrastirte, war gleichfalls festlich geschmückt. Kostbare persische Teppiche bedeckten den Fußboden. Die nach dem Hofe geöffneten Fenster zeigten uns den Anblick der in ihrem monotonen Gesang unermüdlichen Beterschaar.

Der Pascha, ein feiner alter Herr, lud uns zu sich auf den [511] Divan und suchte uns eine möglichst vortheilhafte Vorstellung von der arabischen Literatur und Wissenschaft zu geben. Seine eigene arabische Bibliothek, erzählte er, enthalte ein Buch, in dem sechsunddreißig Wissenschaften vorgetragen seien. – Auch machte er interessante Mittheilungen über die Liebeslieder, welche von der Beterschaar des Hofes vorgetragen wurden. Interessant war es mir, daß jene Lieder merkwürdige Uebereinstimmungen mit dem Hohen Liede Salomonis zeigten.

Während unserer Unterhaltung langten mehrere in reiche seidene Kaftane gekleidete Araber zum Besuch an, die nach Entledigung der Schuhe sich dem gelehrten Pascha mit dem Ausdruck großer Ehrerbietung näherten und ihm die Hand küßten. Die Feinheit und Grazie in den Bewegungen dieser Gelehrten war – verglichen mit denen ihrer abendländischen Collegen – sehr auffallend. Der gelehrte Pascha mit seinen Freunden erweckte in der äußeren Erscheinung mir das Bild des Hafis und seiner Genossen. Nachdem wir den üblichen Schibuk zum Kaffee geraucht hatten, erbaten wir nach der herrschenden Sitte die Erlaubniß, uns zurückziehen zu dürfen; aber der liebenswürdige alte Herr behauptete, nach seiner Religion ein Recht zu haben, während des Rhamadan solche Bitte abschlagen zu dürfen. Er hatte für uns Scherbet bestellt, welcher gleich darauf von schwarzen Sclaven auf vergoldeten Präsentirbrettern in schön geschliffenen, eigenthümlich geformten Gläsern gebracht wurde.

Die Erlaubniß zum Besuch der Universität und der mit ihr verbundenen Moschee el-Azhar zu erlangen, wandten wir uns an Scherif Pascha, den Minister des Auswärtigen. In Abwesenheit des Ministers selbst gelang es nur mit Mühe, seinen Cabinetssecretair aufzufinden. Eine lange Irrfahrt führte uns durch eine Reihe von Arbeitszimmern, deren Fenster vor Schmutz undurchsichtig oder zerbrochen waren, deren Fußboden so mit Staub und Häcksel, den der Wind durch die zerbrochenen Scheiben getrieben haben mochte, bedeckt waren, daß man in einem Eselstall zu sein glaubte. Auf den Divans trafen wir viele Beamte, den Rauchwolken ihrer langen Schibuks nachspähend, manche schlafend, andere auch schreibend. Hierbei diente die linke Hand als Schreibpult und Unterlage für die langen schmalen Papierstreifen, deren sich die Araber allgemein bedienen; auf dem Divan zur Seite stand das Tintenfaß.

Das Zimmer des Cabinetssecretairs war im Gegensatz zu den anderen Räumen elegant, wie der feinste Pariser Salon mit seinen Möbeln, Teppichen und den schweren seidenen Ueberzügen des Divans und der Stühle. Die erbetene Erlaubniß konnte uns indeß hier nicht ausgestellt werden, sondern wir wurden mit unserem Gesuch an den Polizei-Pascha verwiesen. Die Erklärung, vom Scherif Pascha zu kommen, verschaffte uns hier trotz der Einspruch thuenden Kawassen schnell Zutritt und mit stolzem Kopfnicken wurde unsere Bitte gewährt. Aber erst nach einer halben Stunde war das betreffende Schriftstück ausgefertigt und dem Janitscharen übergeben, der uns führen und gegen die unbequeme Neugier sicher stellen mußte. Niemals habe ich mich eines energischeren Schutzes erfreut; denn zahlreich waren die Genickpüffe und Prügel, mit denen die Unart gerächt und der Anstand rehabilitirt wurde.

Am Eingang zur Moschee wurden für uns ein paar alte, von Motten zerfressene Zeugschuhe herbeigeholt, um durch sie den heiligen Boden gegen die directe Berührung von dem Fuße der Ungläubigen zu schützen. Sie mochten lange nicht gebraucht sein, denn Europäern wird selten die Erlaubniß ertheilt, in diese geweihten Räume einzutreten. Durch ein schönes Portal gelangt man in die auf den Hof führende Vorhalle, auf deren beiden Seiten eine Anzahl Barbiere in fleißiger Arbeit begriffen sind. Hier werden die Köpfe eingeseift und purificirt, mit besonderen Zangen werden den Stutzern die zu weit in die oberen Theile des Gesichts hineingewachsenen Haare ausgezogen.

Durch ein zweites Portal blickt man in den immensen Hof, der von den mannigfaltigsten Gruppen belebt ist. Eine Menge junger aufmerksamer Studenten hat sich um einen docirenden alten Professor geschaart; ein anderer Docent steht gegen eine Säule gelehnt und demonstrirt mit lebhafter Gesticulation einer anderen Gruppe von Zuhörern; während diese eifrig dem Vortrage folgen und Notizen auf ihren Papieren machen, haben hie und da andere sich auf ihre Matten geworfen und schlafen den Schlaf des Gerechten. Für die Hungrigen sind Haufen Brodes aufgestapelt, für die Dürstenden ist durch ein steinernes, wie ein Sarkophag aussehendes, vielleicht dreißig Fuß langes Behältniß gesorgt, an dem sich eine lange Reihe messingener Tüllen befindet. Aus diesen muß mit dem Munde das Wasser herausgesogen werden. Große und Kleine, Alte und Junge schaaren sich hier, um aus den Tüllen wie aus Brüsten Erquickung zu trinken – Alle in gebückter Stellung – ein recht wunderliches Bild.

In der Mitte dieses belebten Hofes genießt man den Anblick einer durchaus fremdartigen Welt. In das tiefe Blau des über uns sich wölbenden Himmels streben abwechselnd mit schlanken Palmen zierlich vergoldete hohe Minarets und bunte Kuppeln empor, deren reiche Arabeskengebilde noch mit farbigen Steinen verziert sind. Ein weites Portal in Hufeisenform eröffnet einen Blick in die belebte Straße, ein anderes in die reich geschmückte Moschee, in der ein Wald von Säulen den mächtigen Kuppelbau trägt. Ein drittes Portal zeigt uns das erfrischende Wasserbassin, in dem die Waschungen vor dem Gebet vorgenommen werden. Lange Reihen offenstehender kleiner, niedriger Zimmer, welche Mönchszellen gleichen, zeigen uns die arbeitenden Gelehrten. Die Knieenden, Betenden, Schlafenden, endlich die beim Lernen lärmenden Knaben geben ein Bild, wie man es bei der Pracht der Architectur nicht reicher, mannigfaltiger und interessanter zu denken vermag. In Nebenräumen finden wir Kinderschulen; in einer derselben hatte der Lehrer, wie es schien, auch seine Frau bei sich, die vollständig mit dem Kopfe in Weiß gehüllt war, so daß nicht einmal die Augen sichtbar wurden. Sie lag vor der offenen Thür der Schulstube und gab ihrem Kinde die Brust – den einzigen nicht verdeckten Theil ihres Körpers. Ein schwarzes Kätzchen saß auf ihren Beinen.

In alten geschnitzten Kisten werden die zum Studium nöthigen Bücher aufbewahrt, welche, wie die in der Universität gehaltenen Vorlesungen, alle Weisheit und Wissenschaft des Orients umfassen. Die Grundlage aber alles Studirens bildet der Koran, nach dessen Satzungen gleichmäßig das religiöse wie bürgerliche Leben geordnet ist. –

Zur Erinnerung an den Todestag Mehemed-Ali’s war in der von ihm auf der Citadelle ganz aus Alabaster erbauten prächtigen Moschee eine nächtliche Feier veranstaltet. Die schöne Kuppel der Moschee und ihre schlanken Minarets waren erleuchtet und strahlten weithin durch die dunkle Nacht. Die labyrinthisch sich zur Citadelle hinaufwindenden Straßen waren belebt und beleuchtet von zahlreichen Fackelträgern, welche die zum Fest fahrenden Equipagen der Paschas geleiteten. Die schönen inneren Räume der Moschee strahlten in einer blendenden Illumination und gewährten einen zauberischen Anblick, der zugleich in hohem Maße die Wirkung des Feierlichen machte. Schaaren von Gläubigen lagerten in bunten Gruppen auf den prächtigen Teppichen, mit denen der Fußboden überdeckt war; die Teppiche zeigten die mannigfaltigsten Zeichnungen und die interessantesten Farbenzusammenstellungen. Kaffee- und Wasserverkäufer bewegten sich geschäftig durch die Massen, den erspähten Winken zu folgen. Vor einer großen capellenartigen Nische hatte sich ein dichter Halbkreis gebildet, in dem besonders fremdartige Costüme auffielen. Denn die bevorstehende Mekkapilgerfahrt hatte vom Süden und Westen, vom fernen Osten und Norden die Anhänger des Propheten in Kairo versammelt, unter denen als besonders eigenthümliche Erscheinungen die stolzen Gestalten der Kurden mit ihren hohen phrygischen Mützen hervortraten. Eine religiöse Uebung von Derwischen fesselte die Blicke der Andächtigen.

Die Derwische sind die Mönche des Muhamedanismus. Die meisten derselben unterscheiden sich jedoch von ihren christlichen Collegen dadurch, daß sie für die bürgerliche Gesellschaft nicht ganz verloren sind, da sie neben ihren religiösen Uebungen auch noch irgend ein Handwerk betreiben. Ein Kreistanz wurde hier von etwa zwanzig jungen, zum Theil mädchenhaft aussehenden Derwischen, welche hohe, weiße, zuckerhutartige Mützen trugen, unter Leitung ihrer Schechs aufgeführt. Köpfe und Körper bewegten sich dabei in regelmäßigen Verbeugungen und endloses Allahrufen accompagnirte die schnelle Bewegung des Reigens. In der Mitte führten einzelne Derwische auf beiden Füßen mit horizontal ausgestreckten Armen einen Drehtanz mit einer Dauer aus, daß man glauben mußte, sie würden vor Schwindel auf den Boden stürzen. Die langen Kleider erhielten durch die Schnelligkeit der Bewegung eine trichterartige Gestalt, die mit der Unbeweglichkeit des Kopfes und den ausgestreckten [512] Armen vollkommen den Eindruck eines Automaten machte. Etwa zehn Minuten mochte dieser Kreiseltanz dauern, dann verneigten sich die Tanzenden mit gekreuzten Armen vor ihrem Schach, gingen, ohne ein Zeichen von Ermüdung oder Schwindel zu geben, ruhig im Kreise herum, um, in den größeren Reigen eintretend, anderen ihre Stelle zu überlassen. Nur selten ruhten die Acteure von ihrer religiösen Kraftproduction, um dann ihr monotones Drehen und Allahrufen mit ungeschwächter Kraft zur Ehre Gottes von Neuem zu beginnen.

Die mit so feierlichem Ernste aufgeführten Tänze dieser wunderlichen Asketen, die bunten belebten Gruppen der Andächtigen, deren Trachten in Farbenreichthum mit dem der ausgebreiteten Teppiche wetteiferten, der hohe erhabene Kuppelbau im feinsten Alabaster mit der magisch wirkenden Beleuchtung – welch’ ein wunderbares, märchenhaft wirkendes Bild des Ostens! In den Capellennischen zwitscherten und sangen unzählige dort nistende Vögel, die von dem hellen Kerzenschein aus der Ruhe der Nacht aufgescheucht waren; von draußen aber erklang durch das offene Portal zu Ehren des Kronprinzen eine rauschende Janitscharenmusik. Die wild aufwirbelnden, schmetternden Töne standen in vollstem Einklang mit den religiösen Tänzen der fanatischen Diener Allahs.

W. Gentz.