Charakterbilder vom Hofe des Onkels

Textdaten
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Autor: J. G.
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Titel: Charakterbilder vom Hofe des Onkels
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 15, S. 233–236
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Charakterbilder vom Hofe des Onkels.

1. Der Schulterknochen des heiligen Johannes.
.

Madame Lätitia Bonaparte war sehr fromm. Sie verabscheute die Immoralität ihrer Kinder aus tiefstem Herzen, denn sie war fünfundfünfzig Jahre alt. Der Papst Pius der Siebente faßte eine besondere Zuneigung zu der frommen Matrone, und sie machte sich dieser Zuneigung würdig. Ihre Bibliothek bestand aus hundertneunundsiebenzig Gebetbüchern und vierhundertundsechsundsechszig Bibeln. Ihr Lieblingsbrevier, ein Geschenk des Cardinals Maury, war vom heiligen Franciscus mit einem eigenhändigen Commentar verziert. Dieses unschätzbare Kleinod bildete aber nur einen kleinen Theil einer ebenso seltenen wie kostbaren Sammlung [234] von Reliquien. Ihr Schlafzimmer war mit Todtenknochen und Bruchstücken anderer Art angefüllt. Da war ein Finger des heiligen Antonins, eine Zehe des heiligen Dominicus, ein Zahn des heiligen Jacobus etc.; kein Heiliger von einiger Bedeutung mangelte in dieser angenehmen Gesellschaft. Besonders verehrt waren auch die Fragmente der Hosen des heiligen Mathurin.

Ihr erstes Kammermädchen, Rosina Gaglini, war ihrer Herrin getreues Zerrbild. Sie galt in Ajaccio für eine kleine Heilige; daß sie Gestohlenes wiederverschaffen und gewinnende Lotterienummern anzeigen konnte, war bei den Corsen eine ausgemachte Sache. Auch verlaufenes Vieh und verlorene Kinder aufzufinden und zurückzuführen, sollte in ihrer Begabung liegen; doch war diese Seite ihrer Wunderkraft mehr in ein mystisches Dunkel gehüllt. Als getreue Dienerin glaubte sie auch Anspruch auf die heiligen, Ihrer Frömmigkeit sicherlich zuträglichen Reliquien zu haben; da sie von den communistischen Ideen der französischen Revolution nicht ganz frei geblieben war, schnitt sie sich ohne Weiteres von dem heiligen Hosenpaar des Mathurin, von dem Hemde der heiligen Agnes und von anderen zerschneid und zertrennbaren Reliquien das ihr zukommende Stück ab, klebte den Namen des heiligen Eigenthümers darauf, um sie nicht zu verwechseln, und legte sie in ein sorgfältig verschlossenes Kästchen von Rosenholz, das bei Tag ihr Betschemel, bei Nacht zu mehrerer Kasteiung ihr Kopfkissen wurde. Die heiligen Hosen und die anderen heiligen Kleidungsstücke waren in so defectem Zustande, daß Madame Lätitia ihren Verlust nicht merkte, und so schritten Herrin und Dienerin auf dem Wege zur Heiligung beharrlich und vertrauensvoll weiter.

In dieser frommen Gesellschaft erregte es nicht geringes Aussehen, als sich eines Abends im August 1805 der Abbé Saladin aus Jerusalem melden ließ. Von unbestimmten Ahnungen durchwogt, empfing Madame Bonaparte den ehrwürdigen Mann. Empfehlungen der Klosterbrüder in Jerusalem, unter denen Abbé Saladin seine Jugend zugebracht, steigerten ihre Hochachtung bereits zu gelinder Bewunderung. Beinahe wäre sie aber dem frommen Pilgrim um den Hals gefallen, als dieser zu dem eigentlichen Zwecke seines Besuches kam. Er hatte – in gerechter Anerkennung der unvergänglichen Verdienste des Hauses Bonaparte um die Aufrechthaltung der alleinseligmachenden Kirche – den Schulterknochen des heiligen Johannes von Syrien mitgebracht, um ihn in Demuth der Mutter dieses erlauchten Hauses zu Füßen zu legen.

Leider war er auf der Herreise in etwelche Geldverlegenheit gekommen, und da es sich für den Ueberbringer des Schulterknochens des heiligen Johannes doch nicht schickte zu hungern oder gar zu betteln, so hatte er ihn bei einem griechischen Bischof in Montenegro für zweihundert Louisd’or versetzt. Er lebte dabei der sichern Erwartung, daß die großmüthige Beschirmerin und hervorragendste Bekennerin der katholischen Kirche diese kleine Summe sich nicht reuen lassen werde, um in den Besitz einer so werthvollen Reliquie zu kommen. Bis zu zwanzigtausend Scudi hatte ihm ein eifriger Christ darauf geboten, er aber hatte den Antrag mit Verachtung zurückgewiesen, denn mir für die Hände der Würdigsten war ihm der heilige Knochen von den syrischen Brüdern übergeben worden.

Abbé Saladin hatte sich in der kirchlichen Gesinnung seiner hohen Gönnerin nicht getäuscht. Die zweihundert Louisd’or wurden ihm nebst einem Trinkgelde von weiteren hundert als vorläufiges Zeichen der Erkenntlichkeit sogleich ausbezahlt. Er wurde gebeten, die Wohnung Lätitia’s ferner mit feiner erbauungsreichen Gegenwart beglücken zu wollen, und eine seiner würdige Stellung ihm für spätere Zeiten versprochen.

Damals lebte noch in Paris Madame Genlis, die bekannte Erzieherin Louis Philipp’s. Als sich der letzte Liebhaber, ihrer alternden Reize satt, treulos einer Andern zugewandt hatte, brach sie für immer mit der Sünde und schrieb umfangreiche Werke über Sitte, Keuschheit, Tugend und Kindererziehung. Die Kirche besuchte sie des Tages zwei Mal und ließ sich die Armen in ihrem Almosen angelegen sein. An ihren Nebenmenschen nahm sie regen Antheil, doch allezeit lieber in Freude als in Leid. Die sündigen Gemälde ihres Schlafcabinets hatte sie durch getreue Abbildungen der Leiden der hervorragendsten Märtyrer ersetzen lassen; über der Thür prangte, in großen goldenen Lettern der Spruch: „Wer viel geliebt hat, dem wird viel vergeben werden.“

Als sie von dem Pilgrim aus Jerusalem hörte, ruhte sie nicht, bis er auch ihre Wohnung mit seiner heiligenden Nähe beglückte. Lange Stunden saß sie zu seinen Füßen und horchte aufmerksam den glühenden Worten, mit denen er die Pracht Palästinas, die grausame Herrschaft der Mohammedaner, die Leiden und Kasteiungen seiner Jugend schilderte. Ihr Glaube blieb nicht unbelohnt. Bald zeigte es sich, daß Abbé Saladin noch mehr der heiligen Schätze besaß. Anfangs wollte er damit nicht recht herausrücken. Als ihm aber Madame Genlis einmal eine mit Gold gefüllte Börse zeigte, die sie für eine echte Reliquie mit Freuden zu opfern bereit sei, wurde sein hartes Herz erweicht. Er nahm ihr das Gelübde der strengsten Verschwiegenheit ab, damit er nicht etwa die Gunst der Madame Bonaparte verliere, die den einzigen Anspruch auf Schätze solcher Art zu haben glaube, und ließ sie dann baldige Erfüllung ihres heißen Wunsches hoffen. – Schon bei seinem nächsten Besuche zog er nach einer auf die Wichtigkeit des Momentes vorbereitenden längeren Rede ein kleines Kästchen vor, öffnete es, griff hinein und brachte ein Saffianetui zum Vorschein, das er erst selber küßte und dann Madame Gellis zum Kusse darreichte. Dann hieß er sie niederknieen, kniete selbst und öffnete das Etui. In einer strahlenden Umfassung edler Steine lag ein gelber, von Caries zerfressener Knochen, der sich nach einer mit vielen Siegeln versehenen Urkunde, die der Abbé nun aus den Falten seines geistlichen Gewandes zog, als der linke Eckzahn des heiligen Matthäus auswies. Er war es, er war es ganz sicher, und damit ja kein Zweifel bestehe, fing er gleich an und wirkte Wunder: Madame Gellis verdoppelte den Inhalt ihrer Börse und reichte sie ohne Zögern dem Abbé hin, der ganz in Andacht versunken mechanisch die Hand ausstreckte und, ohne es gewahr zu werden, die Börse in seine Tasche gleiten ließ. Madame Gellis hatte den linken Eckzahn des heiligen Mathäus mit fünfzig Louisd’or bezahlt.

Zu derselben Zeit vermißte Madame Lätitia mit Schrecken den Zahn des heiligen Jacobus in ihrer Sammlung. Sämmtliches Dienstpersonal mit Ausnahme der frommen Rosina wurde verabschiedet, obgleich die Beichtzettel eines Jeden in der besten Ordnung waren. Der Dieb wurde trotz aller Nachforschungen nicht entdeckt.

Unterdessen war der Schulterknochen des heiligen Johannes immer noch nicht angekommen. Es hatte hierbei offenbar der Fürst der Finsterniß seine Hand im Spiel. Bei der Ueberfahrt nach Italien war das heilige Stück einem mohammedanischen Piraten in die Hände gefallen, der nur gegen dreihundert Louisd’or den heiligen Knochen mit seinem Rachegelüste verschonen zu wollen erklärte. Es war ein wahres Glück, daß der ungläubige Hund den Werth seiner Beute so wenig kannte! Die verlangte Summe wurde dem Abbé Saladin übergeben und ihm beförderlichste Lösung des hohen Gefangenen anbefohlen. Eine solche glaubenseifrige Aufopferung überwindet alle Hindernisse: ein halbes Jahr nach der Ankunft des Abbé Saladin folgte ihm auch der Knochen des heiligen Johannes und wurde mit gebührenden Ehren empfangen. Als er in demüthigem Triumph von vier Abbés in die inneren Zimmer seiner neuen Besitzerin getragen wurde, lag sämmtliche Dienerschaft auf den Knieen. An der Spitze des Zuges schritt stolz, doch mit christlicher Bescheidenheit der Held des Tages, der Abbé Saladin.

Ende Januar wurde auch Madame Gellis um ein neues Stück bereichert. Sie hatte durch Geld mehr als durch gute Worte den Abbé Saladin vermocht, sich von seinem Liebsten zu trennen – von den Hosen des heiligen Sebastian, die er zu mehrerer Stärkung im Glauben, wie er gestand, stets unter seinen Beinkleidern trug. Dem frommen Andringen der verdienten Gläubigen hatte er nicht länger widerstehen können, – das wunderreiche Hosenpaar ward ihr übergeben. Sie hatte sie um die Kleinigkeit von einhundert Louisd’or erworben.

Zwei Tage vorher waren Madame Bonaparte die Hosen des heiligen Mathurin abhanden gekommen. Es erregte dies den gerechten Zorn aller Gläubigen; selbst das Heiligste war nicht mehr sicher. Die ganze Dienerschaft wurde einem scharfen Verhör unterworfen, der ganze Palast von oben bis unten durchsucht. Das war das Unglück der armen Rosina, der Wunderthäterin aus Ajaccio. Ihr Reliquienkästchen wurde entdeckt; die aufgeklebten Namen verriethen nur zu sicher den Ursprung und die Heimath der drei- und viereckigen Tuchfetzen, die man sonst wohl für Abfälle [235] aus dem Atelier eines Kleiderkünstlers gehalten hätte. Ueberwiesen, gestand sie weinend ihr Verbrechen; über die Hosen des heiligen Mathurin jedoch, sowie über den Zahn des heiligen Jacobus beharrte sie in einem hartnäckigen Leugnen, das jedes Mitleid in der Brust ihrer gekränkten Herrin erstickte. Ohne Reisegeld wurde sie in ihre Heimath geschickt, wo sie durch ihre ungnädige Entlassung auch ihren Ruf als Heilige und Wunderthäterin gänzlich einbüßte. Noch einmal wurde auch die übrige Dienerschaft entlassen und in Zukunft für den Eintritt in die Dienste der Dame Bonaparte ein authentisches Certificat über das zweifellose Christenthum der sich Meldenden verlangt. So gedachte sich Madame Bonaparte vor dergleichen unangenehmen Vorkommnissen zu sichern.

Der Abbé Saladin gewann ihre Gunst noch mehr als bisher. Er hatte an ihrer Betrübniß so regen Antheil genommen und so scharf auf die – leider verstockte – Dienerschaft hineininquirirt, daß sie ihm ihr ganzes Vertrauen zu schenken beschloß. Der Zugang zu ihr ward ihm zu allen Stunden des Tages gestattet; sie beteten gemeinsam und erholten sich dann in gemeinsamer Bewunderung und andächtiger Verehrung der heiligen Trümmerwelt. Eine reiche Diöcese wurde für ihn in Aussicht genommen, trotz seiner bestimmten Weigerung, ein Amt in der Kirche zu bekleiden, da er nur ein unwürdiger Diener derselben sei. Das Bestallungsdecret wurde bereits ausgefertigt. Madame Lätitia dachte ihn am Jahrestage seiner Ankunft damit zu überraschen und für so viele treue Dienste zu belohnen. Ach, es sollte ganz anders kommen!

Abbé Saladin saß eines Nachmittags in dem Betzimmer seiner hohen Gönnerin und stützte nachdenklich sein sorgenbeladenes Haupt auf die Hand. Vor ihm lag auf dem Betpulte das Brevier mit den Randbemerkungen des heiligen Franciscus, und der matte Goldglanz des Schnittes spiegelte das ergrauende Haar des wackern Mannes wieder. Er hatte unglücklicher Weise der Genlis von einem Brevier des heiligen Augustin gesprochen, und die fromme Dame hatte ihm seitdem keine ruhige Minute mehr gelassen. Bis zu fünfhundert Louisd’or hatte sich ihr Fanatismus bereits verstiegen; das Herz des Dulders war durch dieses verlockende Anerbieten schwer gekränkt, und doch waren fünfhundert Louisd’or soviel wie zehntausend Livres, womit sich bequem die zwei Jahre leben ließ, die der Abbé Saladin im Auslande zuzubringen gedachte. Ja, es war so: der Abbé Saladin wollte sich entfernen. Die Gnade seiner Gönnerin fing an, ihm furchtbar zu werden. Drohend stand die Diöcese vor seinen Augen, denn er war ein schwacher sündhafter Mensch, er war wirklich ein unwürdiger Diener der Kirche. So sehr es uns schmerzt, wir müssen es gestehen: er war eigentlich nicht unter den Klosterbrüdern in Jerusalem, sondern unter den Straßenjungen Venedigs aufgewachsen. Seine spätern Jahre hatte er als actives Mitglied einer „geschlossenen Gesellschaft“ auf einer venetianischen Galeere zugebracht. Freiheitdürstend brach er die Fesseln der Tyrannen; ein italienischer Abbate, dessen Bekanntschaft er auf seinem Weg zum Ruhme machte, mußte ihm Geld, Leben und Rock, sowie den Abbétitel lassen. Der Name Saladin, der ihm echt jerusalemitisch vorkam, stand nicht im Kirchenbuche, sondern war ein Product des galeerensträflichen Witzes, da unser Held von jeher viel natürliches Talent zum Muselmann an den Tag gelegt hatte. Die Briefe der Klosterbrüder in Jerusalem, sowie der griechische Bischof in Montenegro und der Pirate im adriatischen Meere waren Producte, die erstern seiner kunstgeübten Hand, die letzteren seiner reichbevölkerten Phantasie. Er hatte auf die Leichtgläubigkeit Madame Lätitia’s, sowie auf die Wirkung seines schwarzen Kleides gezählt und sich hierbei, wie wir sahen, nicht verrechnet. Unter solchen Umständen konnte ihm die Gunst der nächsten Wochen in keinem rosigen Lichte erscheinen. Ueber eine halbe Stunde saß er in tiefem Sinnen versunken. Dann stand er mit raschem Entschlusse auf, sein Gesicht glättete sich, er sandte einen freudigen Blick gen Himmel und durchschritt darauf mit feierlichen Schritten die Vorzimmer, indem er den Dienern seinen priesterlichen Segen gab.

Das Brevier des heiligen Franciscus war aber von dem Betpulte verschwunden.

In der gleichen Stunde noch fühlte Madame Genlis ihr Herz um fünfhundert Louis erleichtert. Was wog aber diese Summe gegen den Besitz des Gebetbuches des heiligen Augustin, das der Heilige mit eigenhändigen Meditationen versehen hatte! Madame Genlis küßte die heiligen Buchstaben, dann fuhr sie zu einer Freundin, um ihr den glücklichen Erwerb zu zeigen, mit der stillen Hoffnung, diese, die auch eine alte Magdalene und sehr devot war, durch den Besitz eines solchen Kleinods ein wenig zu ärgern. Und so geschah es. Natürlich wurde der guten Freundin das größte Stillschweigen anempfohlen; natürlich war ferner, daß diese gute Freundin zehn andere Freundinnen mit ihrem Geheimniß beglückte, Alles unter dem Siegel der strengsten Verschwiegenheit, und so gelangte die Kunde in kurzer Zeit zu den Ohren des officiellen Alleswissers Fouché.

Madame Lätitia Bonaparte hatte den Verlust bereits entdeckt. Nachdem die obligatorischen Ohnmachten vorbei waren, eilte sie zu dem Kaiser, ihrem Sohne, und verlangte strenge Gerechtigkeit. Napoleon befahl dem Polizeiminister Fouché, den Dieb ausfindig zu machen, und Fouché setzte sogleich seine Agenten, öffentliche und geheime, in Bewegung. Das Verhör des Dienstpersonals der Bestohlenen überließ er einem seiner Untergebenen, er selbst sprach bei Madame Genlis vor. Diese war durch den unerwarteten Besuch sehr überrascht, faßte sich jedoch und war bald in lebhaftem Gespräch mit dem gewandten Manne. Spielend wußte dieser das Gespräch auf Reliquien zu bringen und bat schließlich Madame Genlis, auch ihn des Anblicks ihrer Schätze dieser Art, von denen er Erstaunliches gehört, zu würdigen. Nach einigen Ausflüchten war Madame Genlis nach Art aller Sammler hierzu nur zu gern bereit. Die Arglose, sie ahnte nicht, welche Schlange sie an ihrem Busen nährte! Fouché nahm an Allem lebhaftes Interesse; die Hosen des heiligen Sebastian besonders unterwarf er einer eingehenden Betrachtung, aber auch dem Zahn des heiligen Matthäus widmete er die gebührende Aufmerksamkeit. Madame Genlis war von ihm entzückt, und als sie sich an seinem Erstaunen gehörig geweidet, beschloß sie bei sich selbst, ihn vollständig zu beglücken, und brachte nach einigen dunkeln Anspielungen das Brevier des heiligen Augustin zum Vorschein. Fouché’s Freude, übertraf ihre höchsten Erwartungen; er erklärte, sich von diesem heiligen Buche nicht so schnell trennen zu können, eine hohe Freundin verdiene auch mit diesem Schatz bekannt gemacht zu werden, und er bitte Madame Genlis, in ihrer Wohnung seine Zurückkunft zu erwarten. Alle Einwendungen ihrerseits wurden durch eben eintretende uniformirte Polizeiagenten gehoben, welche die ohnmächtig Werdende auffingen und mit schuldiger Hochachtung auf ein Ruhebett legten, worauf sie sich aller Ausgänge versicherten. Fouché aber, der rohe Materialist, steckte ohne Ceremonie das Brevier in die Tasche und eilte zu Madame Lätitia.

Hier war Alles in der größten Verwirrung. Der treueste Freund der alten Dame ließ sich nicht blicken, auch Abbé Saladin schien entwendet worden zu sein. Als Fouché sich melden ließ, schöpfte die arme, geplagte Frau wieder Hoffnung. Diese Hoffnung wurde zum überschwänglichen Triumphe, als er, diesmal mit der gehörigen Andacht, das Brevier seiner hohen Gönnerin übergab und um gefällige Bescheinigung der Echtheit hat. „Und nun noch Eins, lieber Fouché,“ bat Lätitia, „schaffen Sie mir den Abbé Saladin wieder her, retten Sie ihn aus den Händen meiner Feinde, die ja nur mich in ihm treffen wollen.“ Bei diesem Namen überschlich ein Lächeln die glatten Züge Fouché’s, sein pfiffiges Gesicht wurde noch um Vieles pfiffiger, und mit freundlichen Worten versprach er, ihrem Wunsche nachzukommen. Er eilte fort und kehrte nach kurzer Zeit mit dem verlorenen Sohne wieder.

Ach, wie hatten die Feinde des Abbé ihm mitgespielt! Anstatt des ehrwürdigen Abbékleides schlotterte ein weites, abscheulich gestreiftes Gewand von grobem Tuch um seine Glieder; an den Füßen klirrte eine schwere Kette und die Hände waren durch eine eiserne Schraube brüderlich verbunden. Zwei bewaffnete Begleiter gingen ihm zu beiden Seiten, und sein Gesicht zeigte Spuren körperlicher Mißhandlung. Mit dem Kleide schien ihn auch die Würde verlassen zu haben, denn frech musterte er die Versammlung und schlug selbst vor seiner einstigen Freundin die Augen nicht nieder. Fouché erläuterte dieser kurz den Thatbestand.

Schon von Anfang an war ihm der Abbé Saladin eine unangenehme Persönlichkeit, weil er lange nichts Authentisches über ihn erfuhr. Endlich gelang es seinen stillen, aber unablässigen Studien, über die früheren Lebensjahre Saladin’s einige Auskunft zu erlangen; von da an wandte er ihm eine sorgsame Aufmerksamkeit zu und wartete nur auf Anlaß, diese zu bethätigen. Dieser Anlaß bot sich bald, wie wir gesehen haben; [236] Saladin wurde an der Barriere festgenommen, da er eben von der verdorbenen Stadt Paris stillen Abschied nehmen wollte. Trotz ganz unchristlicher Gegenwehr, wobei ein Gensdarm das Leben ließ, wurde er bemeistert und zu seinem eigenen Besten nach Art der Büßer im Mittelalter mit Eisen beschwert. Nach seinen Antecedenzien, sowie nach seinem Verkehr mit Madame Genlis, der Besitzerin des Gestohlenen, konnte über den Vater der verschiedenen Diebstähle länger kein Zweifel mehr obwalten.

Madame Lätitia sah dies ein und riß den unwürdigen Freund für immer aus ihrem Herzen. Madame Genlis wurde von jeden gesetzlichen Folgen befreit, da man kein Aufsehen machen wollte, mußte aber die so theuer bezahlten Reliquien ohne Entschädigung der rechtmäßigen Besitzerin zurückstellen. Von dieser Sammelwuth soll sie für immer geheilt gewesen sein.

Der Abbé Saladin aber widmete seine Talente von nun an ausschließlich dem französischen Staatsdienste im Hafen von Toulon. Der Schulterknochen des heiligen Johannes wurde von Sachkundigen als ein Stück aus dem Kinnbacken eines Walfisches erkannt und festgestellt. Was wir hier erzählt haben, beruht auf strenger geschichtlicher Wahrheit.

J. G.