Textdaten
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Autor: Enoch Heinrich Kisch
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Titel: Brunnen- und Badekuren
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 6, S. 183–184
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1898
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[183]

Brunnen- und Badekuren.

Von Professor Dr. E. Heinrich Kisch.

Es ist keine neue Mode, wie dies mancher brummige Ehegatte, dessen Frau ins Bad geschickt wird, oder mancher behäbige Sitzmensch, dem die Reise in einen Kurort verordnet wird, behauptet, sondern eine uralte Gepflogenheit der Aerzte, wenn sie mit ihrem Latein zu Ende sind, den Kranken eine Badereise anzuraten. So war es schon in der alten Römerzeit, als sich vor nahezu 1900 Jahren der Badeort Bajae eines ganz besonderen Rufes erfreute, so daß daselbst die vornehme Welt Villen baute, die bewährtesten gichtbrüchigen Feldherren Bäder nahmen und schöne Frauen auf Eroberungen ausgingen. So war es im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert, als hochfürstliche Persönlichkeiten mit großem Pompe und riesigem Gefolge nach Baden in der Schweiz, nach Gastein und Karlsbad zogen.

Was aber die Badereisen der Gegenwart von jenen altvergangener Zeiten unterscheidet, ist vorerst das bedeutungsvolle Moment, daß durch die hochentwickelten Verbindungsmittel unserer im „Zeichen des Verkehres“ stehenden Zeit es nicht nur den oberen Zehntausend, sondern auch den breiten Schichten der Bevölkerung ermöglicht ist, an den Heilquellen Hilfe zu suchen; und dann die richtigere Erkenntnis von dem Wesen und der Wirkungsweise einer solchen Kur.

Wenn man ursprünglich glaubte, die Quellen ständen unter dem besonderen Schutze von Göttern, und dieser Anschauung gemäß das Wirken der Heilwässer als etwas geheimnisvoll Göttliches in mystischer Weise zu deuten suchte, wenn später den Mineralwässern eine besondere Kraft, welche von dem „Brunnengeiste“ ausging, zugemutet ward – so hat die naturwissenschaftliche Erkenntnis gegenwärtig auch dieses Dunkel aufgehellt und dargethan, daß die Mineralquellen nicht etwa eigens für sie ersonnenen, sondern den allgemein gültigen Naturgesetzen unterworfen sind.

Wir wissen jetzt ganz genau, daß die Mineralwässer, auch wenn sie noch so heilkräftig sind, nicht einem Wunder ihr Emporquellen verdanken, sondern daß sie aus Regen- und Schneewasser ebenso wie die gewöhnlichen Trinkquellen entstehen, nur verändert durch die festen und flüchtigen Bestandteile, welche sie dem Boden während ihres Laufes durch denselben entziehen. Der hohe Wärmegrad, durch den sich viele Heilquellen auszeichnen, ist nicht, wie man früher annahm, stets das Resultat vulkanischer Thätigkeit im Innern der Erde oder gar durch eine geheimnisvolle Hexenküche erzeugt; die Ursache dieser Erscheinung ist vielmehr in der Regel eine andere: die heißen Quellen entstammen einer größeren Tiefe, und da die Eigenwärme der Erde nach bestimmten Gesetzen mit der Tiefe zunimmt, so ist die Tieflage der Wasserkanäle die Bedingung, von welcher die Bildung der „Thermen“ (heißen Quellen) abhängig ist. Wenn man den eigentümlichen fleischbrühartigen Geschmack mancher Thermen früher mysteriös auf eine Beimengung von Fleischüberresten vorsintflutlicher Tiere zurückführte, so weiß man jetzt, daß an jenem Geschmacke zersetzte Pflanzen, wie Algen und Conferven, schuld tragen, die sich in dem Mineralwasser finden. Und auch der „wilde Geist“, welcher die Quellen beleben und ihr Brodeln verursachen sollte, wurde vom Chemiker wirksam beschworen und zumeist als kohlensaures Gas entlarvt.

Wie die Entstehung und Zusammensetzung der Heilquellen dem Gebiete des Ueberirdischen und Unfaßbaren entrückt worden ist, so hat auch die Wirksamkeit derselben, lange Zeit vom Vorurteil und Aberglauben verschleiert, mit den Fortschritten der Arzneikunde immer schärfere Aufklärung gefunden. Die chemische Untersuchung der Quelle giebt hierzu den Schlüssel, und in dem Gehalte des Mineralwassers an festen und gasförmigen Stoffen sowie in seiner Temperatur liegt der Erklärungsgrund für die Wirksamkeit der Quellen, mögen diese zum Trinken oder Baden gebraucht werden.

[184] Ist auch die Wirkungsweise mancher Quellenbestandteile noch nicht genau erforscht, so haben doch wissenschaftliche Untersuchungen wie praktische Erfahrungen über die meisten jener Bestandteile genügenden Aufschluß gegeben, um den Einfluß der Trinkkuren auf den gesamten Stoffwechsel wie auf einzelne Organe des Körpers zu deuten und abzuschätzen.

Der Umstand, daß die wirksamen Salze in den Mineralwässern nur in geringen, oft sogar ganz winzigen Mengen enthalten sind, hat Zweiflern vielfach Anlaß gegeben, die Heilquellen selbst als ein bedeutungsloses Nichts zu bezeichnen und nur der frischen Luft und der zweckentsprechenden Diät in den Kurorten einige Wirksamkeit zuzuerkennen. Mit Unrecht! Neuere Forschungen haben ergeben, daß gerade verdünnte Lösungen von Salzen, wie sich als solche die meisten Mineralwässer darstellen, eigentümliche Wirkungen auf die Lebensthätigkeit der Zellen des menschlichen (wie tierischen) Organismus und auf die chemischen Prozesse in denselben ausüben. Es haben ferner Erfahrungen am Krankenbette dargethan, daß besser als eine große Gabe eines bestimmten Heilmittels die Verbindung mehrerer nach gleicher Richtung wirkender Arzneien, in ganz kleinen Gaben zusammengestellt, sich wirksam erweist. Und solcher Art enthalten sehr viele Mineralwässer eine Summe ähnlich wirkender heilkräftiger Bestandteile in kleinen Gaben. Man braucht also durchaus nicht auf die Homöopathie zu schwören, um die Wirkung einer durch mehrere Wochen fortgesetzten Trinkkur mit Mineralwässern begreiflich zu finden.

Das natürliche Mineralwasser ist ein gar merkwürdiges und kompliziertes Heilmittel, und es wird noch langer Forschung bedürfen, um ganz genau und unwiderleglich über die Beschaffenheit aller seiner Bestandteile, über die Art der Zusammensetzung und über die Wirksamkeit desselben Aufklärung zu erhalten. Vorläufig müssen wir uns damit bescheiden, daß für bestimmte Gruppen von Mineralwässern, so für die Natronwässer, Glaubersalzwässer, Kochsalzwässer, Eisenwässer, Schwefelwässer, erdige Mineralquellen, gewisse grundlegende Wirkungen erkannt sind, welche dieselben auf Absonderung der Verdauungssäfte, auf Beeinflussung der Thätigkeit des Herzens und der Atmungsorgane, auf Aenderung der Blut- und Säftebestandteile ausüben.

Die Lücken der Erkenntnis muß vorläufig die Erfahrung der praktischen Aerzte sowie der an den Brunnen wirkenden Aerzte, auf zahlreiche und gute Beobachtungen sich stützend, auszufüllen bemüht sein.

Weniger als bei den Trinkkuren spielt bei den Badekuren die verschiedenartige Zusammensetzung der Bestandteile der Heilquelle die Hauptrolle; hier erweisen sich vielmehr als heilkräftig die Temperatur des Badewassers, die Dauer des durch das Bad auf die Haut geübten Reizes, die Menge der im Bad sich entwickelnden Gase und flüchtigen Stoffe, die Form der Anwendung, als Vollbad, Halbbad, Brause, Welle etc., die zum Bade verwendete Beimengung, wie bei Moorbädern, Fichtennadelbädern.

Seitdem es erwiesen ist, daß die Haut des Badenden von den in dem Badewasser gelösten festen Bestandteilen nichts oder wenigstens nahezu nichts aufsaugt, ist es vorzugsweise der Hautreiz, auf welchen man als wirksames Moment der Bäder den Hauptwert legt. Dieser Reiz ist bei den Mineralbädern größer als bei den gewöhnlichen Wasserbädern, denn bei jenen tritt zu dem Reize, welchen die Wärme auf das Hautorgan übt, zu dem mechanischen Reize der Wassermasse und ihrer Bewegung noch der chemische Reiz hinzu, welcher vorzugsweise von den in den Mineralwässern enthaltenen Gasen und flüchtigen Stoffen ausgeübt wird, wobei aber auch die festen Bestandteile nicht ganz ohne Einfluß sind. Dieser chemische Hautreiz, den die Mineralbäder verursachen, giebt sich dem Badenden durch das Gefühl von leichtem Prickeln, durch Empfinden von Brennen sowie durch Hautrötung kund; er beeinflußt, sich im Nervensysteme fortpflanzend, die Herzthätigkeit und Blutverteilung, die Atmungsarbeit, die Wärmeerzeugung sowie den gesamten Stoffwechsel des Körpers in wesentlicher Weise.

Wissenschaftliche Untersuchungen haben auch des näheren die Beeinflussung des Organismus durch die mit großem Reichtum an Kohlensäure bevorzugten Säuerlingsbäder, durch die an Kochsalz sehr gehaltreichen Solbäder, durch die eisenhaltigen Stahlbäder, dann durch Schwefelbäder sowie Moorbäder und Gasbäder dargethan und darauf die Heilanzeigen der verschiedenen Bäderarten begründet. Auch die weder an festen noch gasförmigen Bestandteilen irgend hervorragenden, sondern nur durch natürliche Wärme ausgezeichneten Wildbäder haben sich als heilkräftig erwiesen, wenn auch die Art ihrer von gewöhnlichen warmen Wasserbädern gewiß wesentlich verschiedenen Wirkung noch der Aufklärung bedarf.

Außer dem Trinken und Baden kommen aber in den Kurorten noch andere Momente zur Geltung, welche für den Gesundung Suchenden von ganz wesentlicher Bedeutung sind. Das ist vor allem die Aenderung aller jener in der Beschaffenheit der Luft wie in der Bodenbeschaffenheit gelegenen Einflüsse, welche man mit der Bezeichnung Klima zusammenfaßt, die Versetzung in neue, von den gewohnten ganz verschiedene Lebensverhältnisse, die Einhaltung einer bestimmten, dem Einzelfalle entsprechenden Ernährung (Diät) sowie auch bestimmter geregelter Bewegungsformen und die Belebung des Gemütes durch eine neue hoffnungsreiche Behandlungsweise. Einen erfreulichen Einfluß übt auch der Umgang mit Leidensgenossen, welche schon am eigenen Leibe die günstige Wirkung der Quellen erprobt haben und nun zu Herolden des Ruhmes dieser Kurorte geworden sind, die aber auch anderseits ein aufmunterndes Beispiel geben, sich den strengen Kurregeln folgsam zu fügen und liebgewordenen, aber schädlichen Gewohnheiten zu entsagen.

Wenn man diese Hilfsmomente der Kuren an den Quellen erwägt, so wird man es begreiflich finden, daß es nicht gut möglich ist, denselben Heilzweck mit Mineralwässern zu erzielen, welche zu Hause unter den Alltagsverhältnissen des Kranken gebraucht werden; man wird aber auch verstehen, wie schwierig es für den Arzt oft ist, die richtige Auswahl des Kurortes in jedem einzelnen Falle zu treffen. Derselbe muß ja nicht nur auf die Beschaffenheit der Heilquelle Rücksicht nehmen, sondern auch auf alle örtlichen und geselligen Verhältnisse des Kurortes.

Eine Fülle von Erwägungen muß die Bestimmung der Badereise leiten. Der geistig überangestrengte Stubenhocker soll angenehme Zerstreuung und anregende Gesellschaft aufsuchen; der durch gesellige Verpflichtungen übermüdete Staatsmann braucht Waldeinsamkeit und erholende Ruhe; andere Kurorte eignen sich für fettleibige Personen, die in kühler Luft recht viel Bewegung auf Bergen und Höhen unternehmen sollen, und wiederum andere für blutarme schwächliche Damen, die, wärmebedürftig, nur sich schonen sollen und wenig spazieren gehen dürfen. Aber auch die materiellen Verhältnisse müssen bei der Wahl des Kurortes mitsprechen, wenn es heißt, die Ansprüche des Notwendigen mit dem Zustande des Geldbeutels in Einklang zu bringen. Zum Glück herrscht auch auf dem Gebiete der Bäder eine große, stets wachsende Konkurrenz, und es ist bei der riesigen Erleichterung des gesamten Verkehrs jedermann, auch dem minder Bemittelten, möglich, auf einige Wochen sich an einer Heilquelle niederzulassen und Gesundheit aus dem frischen Born zu schöpfen oder den Körper in einem erquickenden Bade zu stärken oder zum mindesten in einer der vielen Sommerfrischen gesunde, reine Luft einzuatmen und das Blut neu zu beleben.

Nur darf niemand von einer Kur Wunder erwarten und denken, mit der durch althergebrachten Glauben geheiligten Zahl von 28 Trinktagen oder 21 Badetagen alle Gebresten des Leibes hinweg bannen und dann, nachdem er den Quellen den Rücken gekehrt hat, sich gleich wieder in den Strudel der ernsten Geschäfte oder aufreibenden Vergnügungen hineinstürzen zu können, um sich nur recht bald für das schadlos zu halten, was er durch mehrwöchiges kurgemäßes Leben versäumt hat. Auch für die Brunnen- und Badekuren gilt des Dichters Wort:

„Wie arm sind die, die nicht Geduld besitzen,
Wie heilten Wunden, als nur nach und nach!“