Textdaten
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Autor: Ernst Meier
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Titel: Bruder Lustig
Untertitel:
aus: Deutsche Volksmärchen aus Schwaben, S. 215-223
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1852
Verlag: C. P. Scheitlin
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Erscheinungsort: Stuttgart
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Google und Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
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Begriffsklärung Andere Ausgaben unter diesem Titel siehe unter: Bruder Lustig.


[215]
62. Bruder Lustig.

Der Bruder Lustig befand sich einmal auf Reisen und hatte nur noch drei Kreuzer im Sack und ein einziges Brod, das er sich gekauft. Da begegnete ihm der heilge Petrus und sprach: „grüß Dich Gott, armer Bruder!“ „Grüß Dich Gott!“ sagte Bruder Lustig. „Wohin geht die Reise?“ sprach Petrus. „Weiß nicht, sprach der Bruder Lustig, wohin mich der Wind noch führen wird.“ Sprach der heilge Petrus zu ihm weiter: „ach, ich habe Hunger und kein Geld; sei so gut und gib mir ein Almosen!“ „Ich bin zwar selbst ein armer Schlucker, sagte Bruder Lustig, und hab nur noch drei Kreuzer und ein Brod im Sack, doch wir wollen’s theilen;“ und darauf gab er dem heilgen [216] Petrus, der als Bettler verkleidet war, einen Kreuzer und einen Vierling Brod. „Vergelts Gott!“ sprach Petrus und gieng weiter.

Ueber eine Weile begegnete ihm abermals der heilge Petrus als Bettler, aber in einer andern Gestalt als das erste Mal und sprach: „grüß Dich Gott, Bruder! ein Armer spricht Dich um eine Gabe an!“ „Grüß Dich Gott, armer Bruder!“ sprach der Bruder Lustig und gab dem Bettler einen Kreuzer und einen Vierling von seinem Brode. „Vergelts Gott!“ sprach Petrus und gieng weiter.

Wieder über eine Weile kam der heilge Petrus zum dritten Male als Bettler in einer andern Gestalt und bat ihn um eine Gabe, weil er so hungrig sei. Da sagte Bruder Lustig: „mit zwei Armen hab ich schon getheilt, was ich hatte; jetzt hab ich grad noch einen Kreuzer und ein halbes Brod, das wollen wir noch einmal theilen.“ Sprach der heilge Petrus: „Nun, ich habe auch noch einen Kreuzer, so wollen wir in’s Wirthshaus gehen und zu dem Brod ein Halbes Bier mit einander trinken.“ Ja, das war dem Bruder Lustig ganz recht und sie machten es so; und als sie nun alle beide nichts mehr hatten, so beschloßen sie, daß sie mit einander weiter reisen wollten.

Wie sie nun so eine gute Strecke zusammen marschirt waren, kamen sie in eine Stadt, darin war große Trauer, weil die Tochter des Königs gestorben war. Darauf ließ Petrus bei dem Könige sich melden als Doktor und versprach, die Prinzessin wieder lebendig zu machen; aber es sollte Niemand dabei sein und zusehen als bloß der Bruder [217] Lustig. – Nun ließ Petrus sich einen Keßel mit kochendem Waßer geben, zerschnitt den Leichnam und kochte das Fleisch in dem Keßel, legte dann die Knochen wieder zusammen, rief die Todte bei Namen und sprach die drei höchsten göttlichen Namen aus und hieß die Jungfrau aufstehen. Da stand sie auf und lebte und war frisch und gesund wie vorher. – Der König war außer sich vor Freude und bot dem heilgen Petrus Alles an, was er sich nur wünschen möge, und wenn’s das halbe Königreich wäre! Aber Petrus schlug Alles aus und wollte keinen Lohn. „Narr, sprach der Bruder Lustig zu ihm, Du hast selber nichts, so daß Du betteln mußt, und willst einem König was schenken!“ Petrus aber hörte nicht darauf und gieng fort, und Bruder Lustig ließ ihn allein ziehen und blieb in dem Schloße zurück, und ließ sich erst seinen Ranzen mit Geld füllen, so viel er nur tragen konnte. Dann lebte er eine lange Zeit herrlich und in Freuden, bis endlich der Ranzen leicht und leer war.

Da trug sich’s zu, daß der Bruder Lustig in ein Dorf kam und hörte, die Tochter eines reichen Bauers sei todtkrank. Da gieng er hin; wie er aber hinkam, war sie schon gestorben. Nun erbot er sich, er wolle sie wieder lebendig machen, und machte es grad so, wie er es den heilgen Petrus hatte thun sehen: er zerschnitt die Leiche, kochte das Fleisch und legte dann die Knochen an einander. Aber damit wollte es ihm nicht gelingen, denn er wußte nicht, welche Knochen zusammen gehörten, so daß er in die allergrößte Angst und Unruhe gerieth und sich gar nicht [218] mehr zu helfen wußte. Da klopfte plötzlich der heilge Petrus an’s Fenster und er ließ ihn sogleich herein. Der aber machte ein bös Gesicht und sprach: „ei Du schlechter Kerl, glaubst Du auch zu können, was ich kann! das geht ja nimmermehr so! – Dießmal will ich Dir noch helfen; aber daß Du Dir’s nur nicht einfallen läßest, so etwas noch einmal zu probiren, sonst wird Dir’s schlecht gehen!“ Darauf ordnete Petrus die Gebeine wie sie zusammen gehörten, und rief das Mägdelein bei Namen und hieß es aufstehen. Da stand es auf und gieng zu seinen Eltern. Dann entfernte sich Petrus wieder durch das Fenster, durch das er gekommen war, nachdem er noch dem Bruder Lustig streng anbefohlen hatte, daß er ja keine Belohnung nehmen sollte. Nein, das wollte er auch gewiß nicht, sagte er. Als nun die Bauersleute aus Dankbarkeit ihm Geld und Gut anboten, so schlug er’s aus, ließ es aber endlich doch geschehen, weil sie ihn so sehr nöthigten, daß sie ihm ein Lamm mit auf den Weg gaben. Das nahm er und trieb es zum Dorfe hinaus.

Vor dem Dorfe traf er wieder mit dem heiligen Petrus zusammen, der stellte ihn sogleich zur Rede wegen des Lammes. „Ach, sprach der Bruder Lustig[1], ich weiß nicht, was ich von Dir denken soll; wir sind alle beide arme Hungerleider und sollen nichts von andern Menschen annehmen! Komm her, wir wollen uns mit einander das Lamm schmecken laßen!“ – „Nun, meinetwegen, sprach Petrus, so mach es zurecht; ich will unterdessen einen Gang machen; aber Du mußt nicht eher anfangen zu eßen, bis ich wieder da [219] bin!“ – „Ei bei Leibe!“ sprach der Bruder Lustig und schlachtete sogleich das Lamm und machte ein Feuer an und briet es. Da dauerte es nicht lange, da war es fertig und roch so gut, daß der Bruder Lustig nicht wiederstehen konnte und das Herz herausfischte und es aufaß; denn Petrus blieb auch gar zu lange und er hatte außerdem Hunger. – Endlich kam Petrus zurück und sagte: „Du kannst alles eßen, bloß das Herz bitt’ ich mir aus!“ – „Ei Brüderchen, wo denkst Du hin?“ sprach Bruder Lustig; „besinn’ Dich doch, ein Lamm hat ja kein Herz!“ – „Ei freilich, sprach Petrus, ein Lamm muß doch ein Herz haben wie jedes andre Thier.“ – „Ganz gewiß nicht! glaub’s nur auf mein Wort! ein Lamm hat kein Herz!“ sprach der Bruder Lustig in Einem fort, so daß Petrus ihn zuletzt gewähren ließ und sagte: „so kannst Du auch das übrige allein eßen!“ Darauf gieng er fort. Bruder Lustig aber ließ sich den Braten schmecken, und wer auf der Straße daherkam, den lud er ein zum miteßen, bis das Lamm aufgezehrt war.

Nachdem er sich also gelabt und gesättigt hatte, reiste er weiter und kam an ein Waßer, über das er hinüber mußte. Das Waßer aber war angeschwollen, und wie er eben drin war, stieg es immer höher, daß er nahe dran war zu ertrinken und sich nicht mehr zu helfen wußte. Da rief mit einem Male von dem andern Ufer her Petrus: „gesteh mir, daß ein Lamm ein Herz hat und daß Du es aufgegeßen, so will ich Dir helfen!“ Bruder Lustig aber antwortete: „wie kann ich das gestehen und wie kann ich das Herz gegeßen haben, da ja ein Lamm, wie Jedermann [220] weiß, gar kein Herz im Leibe hat!“ Und obwohl Petrus das Waßer immer höher steigen ließ, so daß Bruder Lustig um’s Haar hätte ertrinken müßen, so wollte er doch nicht bekennen. Deshalb ließ Petrus, weil er Mitleid hatte mit dem gutmüthigen Narren, das Waßer wieder sinken, so daß er hindurchgehen konnte. Dann aber sagte Petrus zu ihm: „Du bist nun doch einmal ein rechter Taugenichts; damit Du aber nicht wieder so gottlose Streiche machst und Todte erwecken willst um’s Geld, so will ich Dir da einen Ranzen schenken, in den kannst Du Dir Alles hineinwünschen, was Du nur begehrst. Und nun leb’ wohl!“ Mit diesen Worten verließ ihn der heilige Petrus und Bruder Lustig wanderte mit seinem Wunsch-Ranzen allein weiter fort.

So kam er nach einiger Zeit einmal in ein Wirthshaus und trank ein Glas Bier. Da sah er zwei gebratene Gänse im Ofen stehen, ach, die rochen gar zu gut, und er hätte wohl ein Stück davon verzehren mögen. Wie er nun wieder draußen war, dachte er: ei, du solltest doch einmal den Ranzen probiren! und wünschte sich die Gänse hinein. Mit einem Mal fühlte er, daß der Ranzen schwer wurde und er roch auch sogleich den Duft der gebratenen Gänse, und setzte sich nieder und ließ sie sich wohlschmecken. Derweil kamen zwei Handwerksburschen daher, die baten um ein Stückchen Fleisch; da gab er ihnen die eine Gans, denn er hatte genug an der andern. Nun traf es sich, daß die beiden Handwerksburschen in dasselbe Wirthshaus kamen, aus welchem Bruder Lustig die Gänse weggewünscht hatte, und sich daselbst Bier und Brod geben ließen und dann vergnügt ihren Gänsebraten verzehrten. [221] Nach einer Weile wollte die Wirthin ihre Gänse holen; denn sie hatte Gäste am Tisch, die sie verzehren sollten. Aber da hättest Du einmal das Gesicht sehen sollen, das sie machte, als sie merkte, daß die Gänse fort waren und daß die Handwerksburschen sie aufgegeßen hatten; die mochten nun sagen, was sie wollten und so viel sie wollten: es habe Jemand draußen vor der Stadt ihnen den Braten geschenkt, – das half ihnen alles nichts; sie wurden für die Diebe gehalten und wurden in’s Gefängnis gesperrt, also, daß sie den Braten theuer bezahlen mußten.

Bruder Lustig aber ließ sich’s in der Welt wohl sein und wanderte von einer Stadt zur andern, bis daß er ein alter Mann geworden und er des ewigen Herumziehens müde war; auch dachte er, sein letztes Stündlein werde nicht mehr gar ferne sein, fragte deshalb einen frommen Einsiedler, was er thun müße, um in den Himmel zu kommen? Der fromme Mann sagte: er solle Buße thun und fleißig beten, und behielt den Bruder Lustig bei sich und wollte ihn vorbereiten auf den Himmel. – Allein es dauerte nicht lange, da konnte es der Bruder Lustig bei dem Einsiedler nicht mehr aushalten, denn er war ihm gar zu ernsthaft; deshalb nahm er alsbald seinen Ranzen auf den Rücken und begab sich wiederum auf die Wanderschaft.

Da war er nun den ganzen Tag lang fortgegangen und hatte nirgend einen Menschen oder ein Haus angetroffen. Endlich, als es schon dunkel wurde und er ganz ermüdet war, kam er in ein Wirthshaus und wollte daselbst übernachten. Da waren aber alle Zimmer schon besetzt und der [222] Wirth entschuldigte sich, daß er nicht mehr Raum habe; er habe da wohl noch ein zweites, großes Haus, das stehe leer; aber er könne keinen Menschen hineinquartiren; denn es sei noch Niemand, der es gewagt habe, darin zu schlafen, lebendig wieder daraus hervorgekommen. Bruder Lustig aber sagte: er müße irgendwo ein Unterkommen haben, der Wirth solle ihn nur in das Haus führen. Das that er denn auch, weil’s der Bruder Lustig so wollte; der legte sich dann getrost in’s Bett und schlief ein; sein Licht aber hatte er brennen laßen.

Wie es nun Mitternacht war und eben zwölf schlug, da wachte Bruder Lustig auf; denn er hörte ein Geräusch, und alsbald gieng die Thür auf und es traten neun Teufel in sein Schlafzimmer und stellten sich um sein Bett und stierten ihn beständig an. Das war ihm doch nicht angenehm, und weil er müde war und gern weiter fortschlafen wollte, so wünschte er die neun Teufel in seinen Ranzen, und wutsch! waren sie alle verschwunden. Dann schlief er ruhig bis zum andern Morgen; da nahm er seinen Ranzen und gieng damit in eine Schmiede und ließ den Schmied und seine Gesellen so lange darauf losschlagen mit den schwersten Hämmern, daß er meinte, von den Teufeln werde wohl keiner sich mehr rühren und regen. Als er aber den Ranzen aufmachte, war doch noch Einer am Leben und der lief was er konnte, gerades Wegs in die Hölle hinein. Niemand aber war jetzt vergnügter als der Wirth; denn es ließ sich von dem Tage an kein Teufel mehr in dem neuen Hause sehen, und zum Dank dafür behielt er den Bruder Lustig umsonst [223] bei sich, so lange er nur bleiben wollte. Es gefiel dem Bruder Lustig auch weit beßer in dem Wirthshause als bei dem Einsiedler und deshalb blieb er da bis zu seinem Ende.

Als er nun gestorben war und vor das Himmelsthor kam und anklopfte und Petrus ihn erblickte, sprach er: „So, Du kommst auch und willst in den Himmel? sieh, dorthin gehörst Du!“ und damit wies er ihn zum Höllenthor. Wie Bruder Lustig dort ankam, wurde er eingelaßen und wollte sogleich mit den Teufeln ein Kartenspiel machen; sie spielten aber um menschliche Seelen, und es war ausgemacht, daß er die Seelen, die er gewönne, mit herausnehmen dürfe. Da kam aber der eine Teufel dazu, der in dem Ranzen so gottsjämmerlich geklopft war und erkannte sogleich den Bruder Lustig und sagte zu den andern Teufeln: „fangt nur mit dem Kerl nichts an, sonst sind wir verloren und er nimmt uns alle Seelen mit fort!“ Da jagten sie ihn Hals über Kopf zur Hölle wieder hinaus, und Bruder Lustig wanderte ganz ärgerlich zurück zum Himmelsthore und klopfte an. So wie Petrus aber aufthat, warf er flink seinen Ranzen in den Himmel und wünschte sich dann selbst in seinen Ranzen hinein, und so ist er doch noch in den Himmel gekommen, obwohl Petrus ihm die Thür vor der Nase zuschlug.

Anmerkung des Herausgebers

[314] 62. Bruder Lustig. Mündlich aus Derendingen. Bei Grimm Nr. 81. Dem Märchen liegen alte Mythen zu Grunde. Die Wanderer sind zwei Götter, wobei Petrus wie gewöhnlich an die Stelle Donars, des Donner- und Regengottes getreten ist. Der Bruder Lustig aber, wie J. Grimm bemerkt, entspricht schon wegen des Herzeßens dem listigen Loki, dem auch die Edda eben diese Dieberei zuschreibt. Wir haben hier deutlich den Mythus, wie Thor und Loki auszogen, bei einem Bauer über Nacht blieben, Thor seine Böcke schlachtete und verzehren ließ, die Knochen dann zusammenlegte und wieder belebte. – Den Bock vertritt hier das Lamm; die Belebung aber wird nicht an dem Thier, sondern an den abgekochten Beinen einer Jungfrau vorgenommen. – Das Schwellenlaßen des Stroms passt gut für den Regengott. Vgl. weiter Grimm deutsche Mythologie XXXVI. ff. und Wolf, Beiträge zur deutschen Mythologie S. 88. 142. – In unserm Märchen haben sich auch noch andre Züge dem Mythus angehängt. So verleiht die Wunschdinge sonst Wuotan, während der Schmid, der auf den Teufel im Ranzen loshämmern muß, Donar ist. Ebenso führt das Spiel um Seelen in der Hölle auf Wuotan, dem Erfinder des Würfelspiels. Vgl. das Fabliau: Saint Pierre et le jongleur, worin [315] erzählt wird, wie Petrus vom Himmel in die Hölle steigt, um einem verstorbenen Spieler die Seelen, die er daselbst bewachen muß, abzugewinnen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: lustig