Bruchbergwinter
Du bist ewig schön, mein Bruchberg!
Du bist schön, wenn des Lenzwindes brausende Ballade durch deine Wildnis harft; wenn die Schneewässer in tausend schwäbenden Bächlein in frühlingsgrüne Täler hinabrieseln und früh, ehe zart hinter dem Brocken die erste Morgenröte den Himmel lichtet, der Auerhahn seinen Liebesruf über das dampfende Hochmoor schickt und irgendwo die Zippe ihr schwermütiges Lenzlied flötet.
Schön bist du, wenn über deinem grünen Wäldermeer flimmernde Sommerluft zittert, ein würziger Brodem von Harzduft und Moosgeruch die Brust weitet und blau, endlos blau, die Fernen zu deinen Füßen liegen. Dann klingen Finkenlieder durch deine Fichtenhallen, und draußen am Moor wo rosenfarbene Knabenkräuter im quellenden Torfmoose blühen, singt unverdrossen der Baumzieper seine armselige Weise, schmaust der Dompfaff blauschwarze Heidelbeeren. In heimlichen Gründen hütet das Alttier sein Kalb. Und über weiten Waldblößen, auf denen zwischen Rispen und Borstengras der rote Fingerhut leuchtet, schwebt in gelassenem Flug der Bussard. Wie liebe ich deine blaugrünen Sommertage!
Und schön bist du, wenn brauende Herbstnebel dich mit feuchtem Dampf umhüllen und deine triefenden Fichten und Felsen riesenhaft in graue Wolken wachsen; wenn die Quitsche sich herbstlich färbt und in kalten, reiffrostigen Oktobernächten des Rothirsches Brunftschrei die Waldstille durchhallt.
Aber am schönsten bist du doch, wenn dich des Winters Königsmantel überdeckt und glitzernder Rauhreif deine Wälder eingesponnen hat! Dann, Bruchberg bist du zu einem Gottestempel geworden, zu einem Märchenland voller Schönheit ohnegleichen und an verschwiegenen Wundern reich. Wer dich zur Winterszeit sah, über deine weiten Schneefelder fuhr, oder deine schweigenden Fichtengänge durchquerte, ist ein Stündlein froh der Welt entrückt gewesen und hat seine Seele reingebadet in heiliger Andacht.
Wie groß und herrlich ist die Stille, die in der Wintereinsamkeit deiner verschneiten Höhe wohnt! Alles Laute ist dir fremd. Du bist schweigsam, wie alles Ewige stille ist. Dein Antlitz ist voll Ernst und voll herber Melancholie. Das Dunkel deiner Wälder kann sich lastend auf die Seele legen. Aber der Winter breitet über das Düster eine lichte Verklärung. Das bang Bedrückende weicht, deine Ruhe wird Wohltat, erhebender Gottesfriede.
Wie köstlich fern liegt das Leben!
Tief unten verdämmert die Welt in silbernem Duft. Was in der Tiefe den lärmenden Alltag bewegt, nichts von allem dringt hinauf in den Frieden dieser weißen Einsamkeit, in der der Herrgott wohnt!
Die Fichten schlafen. Sie schlafen wie alle die nunteren Wässerlein, die im Sommer jauchzende Berglieder ins Tal fangen. – Ihr Schlaf ist tief und fest. Sie beugen sich unter schwerer Bürde und stehen da wie betende Büßer, die in stummer Ergebung auf Erlösung harren. Wie nickende Träumer, die von Lenz und Drosselflöten träumen.
Kein Laut in der Kunde, rings Schweigen, Schlaf, Schlaf.
Manchmal nur rüttelt ein Windstoß an den Wipfeln. Dann rauschts über dem Wald wie klagendes Sehnen: Wann kommst du wieder schöner Frühling? ... Es verklingt mit einem leidvollen Mollakkord, leise, schmerzlich, und wieder schläft der Wald.
Sein Schlafgewand ist weiß und rein. Jedes Fichtennädelchen, jedes Rindenschüppchen ist mit flimmernden Kristallen umsponnen. Sie lichten des Waldes Ernst freundlich auf. Aber nirgends ist eine aufdringliche Helle. Wie in einem feierlichen Dom ists, der aus Silber und Marmor aufgebaut wurde und in dessen Inneres ein mildgedämpftes Licht durch zarte grünviolette Scheiben hereinfließt.
Bleibe stehen, o Wanderer, und genieße die Weihestimmung des winterlichen Bruchbergwaldes! Laß die Gottesruhe auf dich wirken und spüre, [26] wie durch deine Seele ein heiliges Ahnen geht. Verhalte deinen Atem, daß du die Ruhe nicht störst ... Laß deine Schneeschuhe langsam gleiten, daß ihr Knirschen nicht die Stille zerreißt ...
Fühlst du das Pochen des Blutes in der Brust?
Bleibe stehen und lausche voll Andacht. Und so du ein Gottsucher bist, wird dir der Wald eine stumme Predigt halten. Von unsichtbaren Altären wird sich eindringlich in dein Herz hineinsprechen. Harre aus bis zum feierlichen Amen. Dann wirst du als froher Mensch beglückt und innerlich reich von dannen ziehen.
Und fährst mit stillem Lächeln hinauf und hinaus aus dem Wald aufs freie Moor. Da grüßen dich von nahe her alle die Ehrwürdigen des Hochharzes; dort in ruhigen Linken der Brocken, da das scharfe Profil des Achtermanns, da der Wurmberg, der Sonnenberg. Und wenn ein klarer Winterhimmel über der Welt liegt, Ichaust du weit über Kuppen und Hänge des Südwestharzes hinweg ins flache Land hinein. Und ganz dicht vor dir grüßen Torfhaus und Oderbrück und das Sonnenberger Weghaus aus weißen Wiesen herauf. Blicke dich gemach um in der Runde. Wie schön ist der Harz!
Und hast du genug in die Weite geschaut, zieht dich der Alte wieder in einen Bann, über dessen Rücken du dahinfährst. Sieh, wie der ewige Wind, der aus allen Ecken und Enden ungehindert über das Moor pfeifen kann, alle die verstreuten Bäume und Bäumchen zu Boden gedrückt hat. Was für sonderbare Gestalten hat der Zauberer Winter aus ihnen gemacht! Da hocken buckelige Kobolde, schnarchen ungeschlachte Riesen, kauern schlafende Heren, schlummern vermummelte Prinzen und Prinzessinnen, schnauben feuersprühende Drachen, springen greuliche Saurier, – Gott sei Dank, daß sie starr wurden, just als sie zum gefährlichen Sprung ausholten!
Ein wunderliches Märchenland! Und wenn du lange hineinschaust in diese spukhafte Gespensterwelt, nimmt dich die Märchenphantasie auf die Flügel. Ein Märchenbuch schlägt sich vor dir auf, und es grüßen dich, zu Eis und Schnee erstarrt, alle die lieben Gestalten von einstmals; es fehlt keiner vom Däumling und Däumelinchen bis zum menschenfressenden Riesen. Aber alles schläft wie Dornröschen ...
Und wenn du lächelnd wieder ein Kind geworden bist und noch ein lebendiges Stücklein vom frohen Kinderherzen in dir fühlst und zu einer glücklichen Stunde hier oben weilst, dann wird dir auch die Bruchbergkönigin erscheinen . . . . Siehst du, jetzt kommt sie auf einem weißen Hirsch aus dem Walde hergeritten. Über ihren Schultern hängt ein Hermelinmantel und in ihren Blondlocken strahlt ein silbernes Krönlein. Sie reitet schweigend über das Moor. Die Bäume neigen sich vor ihr. Sie nickt ihnen einen milden Gruß zu, und in ihren blanken Blaugugen spiegelt sich die weiße Welt.
Nun ist sie vorbei. Du stehst noch da und starrst und hältst den Atem an, möchtest vor ihrer Schönheit in die Knie sinken, ihr die Hände küssen oder gar – ach ja, den Mund, und denkst an den Edelknaben und Schön-Rohtraut oder an Tom, den Reimer ... Aber sie ist längst vorbei und heim nach ihrem Schloß Wolfswarte. Und wenn du ihr folgst, wirst du ihre Spur nicht finden und vergeblich die Pforte des verfallenen Schlosses suchen. Und in dir wird eine heimliche Sehnsucht brennen bleiben. Sie hat dich verzaubert. Ewig wirds dich zurückziehen, sie noch einmal zu schauen und die Schönheit ihres Reiches, des winterlichen Bruchberges.
Glaubs einem, der ihr rettungslos verfallen ist!