Brodvisitation beim Dorfbäcker

Textdaten
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Autor: Hans Stiglmaier
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Titel: Brodvisitation beim Dorfbäcker
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 8, S. 124–126
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Brodvisitation beim Dorfbäcker.


Es lebt in München eine kleine Schaar von Künstlern, die den hervorragenden Rang, den sie unter ihren gleichaltrigen Collegen einnehmen, keiner Schule, keiner Akademie, auch nicht einem glücklichen Schicksale, sondern nur ihrem eigenen Talente, ihrer Strebsamkeit und der oft im Kampfe mit den schwierigsten Verhältnissen gestählten Energie zu danken haben. Dem Dichten und Schaffen solcher Männer spenden wir um so freigebiger unser Interesse, als dieselben vollständig ihre eigenen Wege gegangen, durchaus originell in ihrer Compositionsweise und in der Manier ihrer Technik geworden und durch selbsteigene Thätigkeit zu einem Resultate gelangt sind, das Anderen nur erreichbar ist, wenn ihnen durch die besten Schulen und Anleitungen das Vorwärtskommen auf jede mögliche Weise erleichtert wird.

Dieser Autodidakten Einer ist es, dessen Bild „die Brodvisitation“ wir heute unseren Lesern vorführen; es ist dasjenige Bild, welches dem Künstler, nachdem er lange in Verhältnissen gelebt, die jedem Anderen alle Lust zum Schaffen verkümmert hätten, das Schicksal zum ersten Male geneigt machte und ihm endgültig einen Platz unter den berühmteren Namen in München verschaffte.

Hirschfelder führt uns in eine Bäckerstube seiner Heimath Hohenzollern; der Tag der Vergeltung für die Bäcker, der Tag der Brodvisitation, der mit dem jüngsten Tage das Ueberraschen Unvorbereiteter gemein hat, sucht den Bäcker mit einem Actuar nebst Amtsdiener heim. Den kritischesten Moment der Prüfung sehen wir vor uns. Bäcker, die zu schweres Brod backen, gehören zu den seltensten Ausnahmen; auch unser Mann ist nicht darunter, denn – das Zünglein der Wage hat entschieden Partei genommen, es hat einen unwiderstehlichen Zug empfunden, sich stark nach der Schale zu neigen, welche das erbarmungslose Gewicht enthält. Bei so bedeutender Differenz müßte der Visitator nicht ein Auge, sondern beide zudrücken, wenn er nicht sehen wollte. Darum macht er auch mit der linken Hand eine bedenkliche Bewegung, als wollte er sagen: „es thut mir leid, aber –“ Die Frau des Bäckers, der verlegen und rathlos sich das Kinn kratzt, sucht sofort Herrin der Situation zu werden und das drohende Unwetter abzuwenden. Sie wendet sich nicht direct an den Amtsdiener, aber indem sie ihrem Gatten darüber Vorwürfe macht, daß er sich die Praxis des „neuen, metrischen Gewichtes“ (das alte Gewicht war in Hohenzollern leichter) gehörig anzueignen zu saumselig gewesen sei, sucht sie den Herrn Visitator für die Annahme mildernder Umstände geneigt zu machen. Auch die Großmutter will das Ihrige thun; sie macht sich an den Actuar, und will mit einem Gläschen feinen, für besondere Anlässe bereit gehaltenen Liqueurs die Härte seines Herzens erweichen; die Unschuld und Naivetät des Kindes, das sie schlau mit einem Teller vorschiebt, sollen gleichfalls zum Attentat auf den Mann des Gesetzes dienen. Letzterer, eine urkomische Gestalt mit der Physiognomie eines Mannes, der unter Umständen mit sich reden läßt und in früheren Zeiten vielleicht viele „Beschwichtigungen“ miterlebt hat, blickt lüsternen Blickes auf die Verführungsmittel, den Liqueur und die schönen Aepfel, die vollständig auf seinen Geschmack berechnet scheinen, er ist noch nicht im Reinen mit sich, was er thun soll, er hat den qualvollen

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„Schau – schau – die neuen Gewichte!“
Nach dem Oelgemälde von S. Hirschfelder in München.

[126] Seelenkampf noch nicht ausgekämpft – vielleicht sprechen seine Lippen doch noch die beglückenden Worte: „Nun, für dieses Mal will ich es noch hingehen lassen, aber es darf ja gewiß nicht mehr vorkommen.“ – Ein Knabe ist eben, die Peitsche in der Hand, zur Thür hereingestürmt, bleibt aber verdutzt festgebannt, als er die Situation gewahr wird. Der Großvater, seine Ofenecke bei der drohenden Gefahr verlassend, scheint eben im Begriffe zu sein, zu Gunsten seines Sohnes in die Handlung einzugreifen, während die neben dem Fenster postirte Tochter des Bäckers mit ihrem jüngsten Bruder in stummer Verwunderung dem bösen Handel zuschaut. – Da dem Künstler nicht das Brilliren mit geschickter Technik oder drastischen Lichteffecten, sondern die poetische Auffassung und Behandlung des Gedankens Hauptsache ist, so läßt das Bild sich auch ohne Farbe sehr gut sehen. Das Original befindet sich in dem Besitze des Banquiers M. Wogau in Moskau.
Hanns Stiglmaier.