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Titel: Briefliche Kuren
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aus: Die Gartenlaube, Heft 8, S. 138–139
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Briefliche Kuren.[1]

Als Warnung mitgetheilt von einem langjährigen praktischen Arzte.

Die Frage, was von brieflichen Kuren zu halten sei, muß auf das Absprechendste beantwortet werden. denn mit geringen Ausnahmen lernt man in dieser Beziehung nur Trauriges und geradezu Verderbliches kennen. Viele Kranke kommen erst in die Hände gebildeter Aerzte, nachdem sie mit brieflichen Kuren und anderen Pfuschereien den letzten Sparpfennig ohne den geringsten Nutzen verschwendet haben. Die Meisten von ihnen flüchten sich zwar gerade, um zu sparen, zu brieflichen Kuren, werden aber gewöhnlich bitter getäuscht. Wieder Andere waren zur Zeit ihrer Erkrankung nicht in der Lage, ohne große Umstände den weitentfernten Arzt zu sich zu rufen, und bei einem großen Theile war es falsche Scham über ihre Krankheit, oder die Sorge, daß von den Angehörigen ihr bisher verheimlichtes Leiden erkannt würde, wenn sie sich einem bekannten Arzte anvertrauen würden. Dieselben vergessen, daß jeder anständige Arzt das Geheimniß seines Amtes zu bewahren weiß.

Denke ich an Alles zurück, was ich in meiner dreißigjährigen praktischen Thätigkeit in dieser Angelegenheit erfahren habe, so fand ich sehr wenige Kranke, welche mit ihren brieflichen Kuren zufrieden waren. Es waren nur einige wenige, wo es sich um deutlich in die Augen fallende Krankheiten handelte, oder um die Beschreibung einer typischen Kur, und dieses fiel gewöhnlich nur dann zum Vortheile aus, wenn ein Arzt, der den Kranken selbst untersucht hatte, die Korrespondenz besorgte.

Recht traurige Folgen sah ich hingegen, wenn Kranke, ohne sich ärztlich untersuchen zu lassen, briefliche Kuren unternahmen, etwa weil sie an dieser oder jener Krankheit zu leiden glaubten Man muß wissen, welche Macht die Einbildungskraft auf die Menschen ausübt, um die Schädlichkeit solcher Kuren zu beurtheilen. Viele hielten sich für herzleidend oder leberleidend und nahmen monatelang die schädlichsten Mittel, welche ihnen brieflich verschrieben wurden.

Oft habe ich mich überzeugt, daß solche eingebildete Kranke weder herz- noch leberkrank waren und daß ihnen die erhaltenen Arzeneien auch nicht geholfen hätten, wenn sie an ähnlichen Leiden erkrankt gewesen wären. Entweder wurden die armen Kranken mit recht drastischen Abführmitteln bedient, die auf ihre eingebildete Stimmung einen tiefen Eindruck machten, aber nur schaden konnten, oder die Kurpfuscher waren schlau genug und gaben ganz wirkungslose Zucker- und Aschenpulver etc., womit nichts verdorben werden konnte. In vielen Fällen macht ja die gütige Mutter Natur früher oder später doch gesund, und der gutmüthige Kranke dankt dies dann seinen unschuldigen Mitteln. Dutzende von Kranken fand ich, welche steif und fest behaupteten, einen kranken verschleimten Magen zu haben, und überall nach Magenmitteln herumschrieben, während ihr Leiden in den Lungen oder woanders begründet war; die Appetitlosigkeit, welche aber fast alle ernsten Krankheiten begleitet, hatte sie auf die falsche Magendiagnose gebracht, und sie hatten sich nun mit brieflich verschriebenen Arzeneien sehr geschwächt und geschadet, während sie der Stärkung so sehr bedurft hätten.

[139] Geradezu lächerlich fand ich mehrere Bandwurmkuren. Nachdem ein großes Glas voll häßlicher Arznei verschluckt worden war und nichts geholfen hatte, kam von einer andern Weltgegend eine Schachtel voll Pulver , welches für den Bandwurm ganz passend gewesen sein mag, den betreffenden Kranken brachte es aber nur Schaden, denn als ich die Ausleerungen derselben genau untersuchte, fand ich, daß das, was die armen Märtyrer mit Sicherheit als Bandwurm ansahen und mit schrecklichem Abscheu in Weingeist aufbewahrten, nur sehnige Theile des genossenen Rindfleisches waren. Die Täuschung war bei Laien sehr verzeihlich, denn die Aehnlichkeit mit Bandwurmstücken war manchmal recht groß. Man sieht aber daraus, in welche Gefahren sich Kranke begeben, welche Arzneien für Krankheiten gebrauchen, die sie nur vermuthen, ohne je von einem ordentlichen Arzt untersucht worden zu sein. Den Bandwurm wird kein gebildeter Arzt verkennen.

Den größten Schaden sah ich von brieflichen Kuren bei chirurgischen Leiden.

Bei einem Knäbchen, dessen Haltung sich täglich verschlimmerte, dessen Rücken sich krümmte, dessen Kniee sich bogen, wurde brieflich gerathen, mit Strenge auf gute Haltung zu sehen und täglich Gymnastik zu treiben. Da aber darauf hin das kranke Kind täglich schlechter wurde, brachte man es zu mir, und ich fand, daß die angewandte Gymnastik in traurigster Weise den Beinfraß der Rückenwirbel zum vollsten Ausbruche brachte, während wir Aerzte uns in solchen Fällen Tag und Nacht mühen, dieses schreckliche Leiden durch Ruhe und Schonung zu verhüten.

Bei einem andern Kranken, welcher seit einem Sturze vom Pferde kaum mehr gehen konnte und dessen rechter Fuß im Hüftgelenke nur mit ziemlichem Schmerz bewegt wurde, war brieflich der Rath gegeben worden, den Schmerz zu verbeißen und den Fuß kräftig täglich ein paarmal hin und her zu rotiren. Schon nach wenigen Tagen steigerten sich die Schmerzen so, daß man den Fuß nicht mehr berühren, viel weniger zum Gehen benutzen durfte. Der herbeigeholte Arzt erzählte mir, daß das erkrankte Hüftgelenk trotz sofort angewandter größter Ruhe alsbald aufgebrochen sei und solche Massen von Eiter abgeflossen seien, daß der Kranke rasch einem hektischen Zustande erlag.

Wenn es nun bei so einfachen sichtbaren und greifbaren Uebeln solch unglückliche Irrungen giebt, wie wird es erst bei Krankheiten, deren Symptome schwerer von einander zu unterscheiden sind! Es gehört oft das ganze ärztliche Wissen und ein geübter Verstand dazu, um zu unterscheiden, ob ein schmerzhaftes Kopfweh von Blutüberfüllung oder Blutmangel, von überreizten Nerven oder einem leidenden Magen, oder von gichtischen Einflüssen herrührt, und jede Irrung, jede Verwechselung ist von gefährlichen und schweren Folgen, denn was bei dem einen Uebel nützt, kann bei dem andern sehr schaden. Aerzte, welche 10 und 12 Jahre fleißig gelernt und das Lesen und Studiren nie aufgegeben haben, müssen alle ihre Sinnesorgane anstrengen, Gesicht, Gehör und Gefühl im höchsten Maße ausnützen und nebst sorgfältiger Beobachtung mit mikroskopischer und chemischer Untersuchung nachforschen, um die krankhaften Veränderungen des komplicirten, wunderbar organisirten menschlichen Körpers richtig herauszufinden.

Wer es weiß, welche Schwierigkeiten hierbei zu überwinden sind, der kann von brieflichen Kuren mit sehr wenig Ausnahmen nur mit Abscheu sprechen und wird darin meist nur eine verbrecherische Ausbeutung der armen Kranken erblicken. Die lukrativsten brieflichen Kuren sind aber jene armen Hypochonder, die in ihrer Ueberspannung einen Jugendfehler irrthümlicher Weise als die Ursache aller ihrer Leiden und Schmerzen betrachten, von jedem ehrlichen Arzte aber nach kurzer Besprechung und Untersuchung erfahren würden, daß ihre Uebel damit in keinem Zusammenhange stehen und vielleicht sehr einfach zu heben sind.

Das Gefühl, eine Krankheit selbst verschuldet zu haben, die Sorge, bei den umgebenden Verwandten verrathen zu werden, führt oft selbst vernünftige Leute zu brieflichen Kuren oder gar zur Selbstbehandlung, nachdem sie sich durch die Lektüre von Büchern, die in bekannter Weise in den Inseratenspalten der Zeitungen angepriesen werden, belehrt zu haben glauben.

Daß damit noch Niemand gesund gemacht wurde, kann man auf das Bestimmteste behaupten. Nach meinen Erfahrungen ist dies der beste Weg, auf eine Bahn der Verirrung zu kommen, aus welcher man sich nicht so schnell wieder heraus findet. Die in solchen Briefen und Büchern ausgenützte Angst der Patienten trägt reichliche Früchte. Jedes rothe Fleckchen, jede unangenehme Empfindung wird mit Sorge betrachtet, und jahrelang lassen sich solche Leute an Krankheiten kuriren, die sie in der That gar nie hatten.

Mit Recht theilen wir die Aerzte in gute und schlechte. Wir nennen jene, welche gut diagnosticiren, welche nichts zu untersuchen vergessen und mit der chemischen Retorte und mit dem Mikroskop ergänzen, was ihren geübten Sinnesorganen entgehen möchte, die guten Aerzte. Jene, welche sich aus Unwissenheit oder strafbarer Faulheit mit dem oberflächlichen Blicke begnügen, nennen wir die schlechten, die gewissenlosen und gefährlichen Aerzte. Machen wir nun schon bei den Aerzten einen so großen Unterschied, klagen wir schon eine oberflächliche Untersuchung so schwer an, um wie viel gefährlicher müssen wir deßhalb erst im Allgemeinen die brieflichen Kuren bezeichnen, bei denen jede Beobachtung, jede Untersuchung gänzlich ausgeschlossen ist!


  1. Der Umstand, daß bei uns täglich Briefe einlaufen, in welchen wir oder unsere ärztlichen Mitarbeiter um Heilmittel gegen diese oder jene Krankheit ersucht werden, veranlaßte uns, einen der hervorragendsten Aerzte Deutschlands um ein Urtheil über den Werth der brieflichen Kuren zu bitten. Wir erhielten als Antwort den obenstehenden Artikel, den wir mit dem Wunsch abdrucken, daß er einen weitverbreiteten Wahn zerstören und Tausende vor Unheil behüten möge. Die Redaktion.