Textdaten
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Autor: B. B.
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Titel: Briefe aus London 1
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aus: Die Grenzboten (1841/1842), 1. Jg., Band 1, S. 60—64
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Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1841
Verlag: Herbig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Band 1: SUUB Bremen = Commons
Kurzbeschreibung:
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Briefe aus London.
1.
Sophie Löwe. Deutsche Isolirung, Herzog Carl von B.......... Proceß der Eisenbahn.
Doctor Helber. Proceß der Times. Doctor Kolb. Escroquerieen. Deutsche Zeitung, Kühne's
Rebellen in Irland. Gutzkow's Savage.


Die Abreise Sophie Löwe's hat das Bischen Zusammenleben der hiesigen deutschen Colonie, welches sich während ihres Engagements hier gebildet hatte, wieder aufgelöst, wenn man überhaupt die hier vereinzelt und zerstreut lebenden Deutschen eine Colonie nennen kann. Man kann es leider den Deutschen nicht nachrühmen, daß sie in der Fremde zusammenhalten, sogar in Paris, wo doch die Zahl derselben so unverhältnißmäßig groß ist, drängt sich diese Bemerkung auf, um wie viel mehr in dem ungeheuren London, wo das isolirte Leben ohnehin an der Tagesordnung ist. Die Triumphe, welche die Löwe hier feierte, hatte die Nationaleitelkeit etwas aufgerüttelt; man freute sich des Sieges, den die geistreichen Augen der liebenswürdigen Landsmännin auf Freund John, mit den hochblonden Haaren, ausübten, und das Theater bot an solchen Tagen eine Art Stelldichein, wobei man Dialecte aus allen Gegenden Deutschlands hören konnte. Indeß wurde der Triumph, den die Deutschen von der Bühne herab feierten in etwas wieder gestört durch einen Landsmann, der, in einer der ersten Logen sitzend, die spöttischen Blicke des Parterres auf sich zog. Denken Sie sich einen Mann mit hochgeschminkten Wangen und gefärbtem Barte, die Farbe der Kleidung im schreienden Gegensatze, mit goldenen Ketten, wie ein Zahnarzt, behängt, glänzende Brillantringe an den Fingern über die Handschuhe, mit einem Binocle bewaffnet, das an Dimension einer kleinen Kanone nahe kömmt, mit herausgebogenem Leibe, und Blicken, die zu sagen scheinen: Betrachtet mich! Denken Sie sich diesen Mann in Mitte der englischen Aristokratie, in ihrer feinen Zurückhaltung in Toilette und Bewegung, und Sie werden leicht begreifen, daß das landsmännische Gefühl durch diese Erscheinung eben nicht sehr erquickt wurde, um so mehr, als jener Herr allgemein als ein Deutscher bekannt ist.

Es war der ehemalige regierende Herzog von B..........., der Herzog Carl, der jetzt London zum Aufenthalt sich erwählt hat, und die Klatschchronik mit willkommenen Stoffen bereichert. Sophie Löwe ist vor vierzehn Tage» von hier abgereist, mit dem festen Versprechen, wieder hieher zurückzukehren.

Es wäre überflüssig, über das Talent und die Leistungen dieser Sängerin noch ein Wort zu melden; es ist ein Mädchen voll Geist und feinem Witz. Der österreichische Baron N. sagte zu ihr in meiner Gegenwart: Ich wette, Sie gehen am Ende doch wieder nach Berlin, was wollen Sie in diesem fremden London, wo Sie doch nie heimisch werden, und wo Ihnen mancher Verdruß eben so wenig fehlt, als in Deutschland. „Verdruß, antwortete die Löwe, Verdruß bleibt Verdruß, es ist das unausbleibliche Loos eines Schauspielers, daß er sich über seine Collegen ärgert. Aber ich ziehe es vor, mich über Lablache und die Grisi zu ärgern, als über Herrn Blum und Fräulein von Faßmann."

Die Löwe spricht allerliebst englisch, was sonst bei den hiesigen deutschen Damen selten der Fall ist. Man sollte überhaupt nicht glauben, welch' eine Masse von Deutschen England bereisen, ohne ein Wort von der Sprache zu verstehen. Man rühmt die Deutschen sonst mit Recht als gründlich, in dieser Beziehung sind sie aber nicht viel besser, als die Franzosen.

Das Einzige, was sich zu ihrer Entschuldigung anführen läßt, ist, daß die deutsche Sprache so viele vortreffliche Werke über das Nationalleben anderer Völker, und, so getreue und prächtige Uebersetzungen der fremden Literaturen besitzt. So lernt der Deutsche in seinem Studirzimmer, hinter dem warmen Ofen, die Sitten und Lebensweise anderer Völker kennen, und gewöhnt sich nicht selten an den Gedanken, daß die Kenntniß ihrer Sprachen nicht eben sehr nothwendig sei. Und zieht es ihn nach dem Lande seiner Sehnsucht, so schnallt er seinen Reisekoffer, und tritt die Wanderung an, ohue sich viel zu kümmern, ob er die gehörige Summe an Worten und Redensarten mit sich führt, um zu verstehen, oder auch nur, um sich verständlich zu machen.[1]

So wurde vor wenigen Tagen ein junger preußischer Arzt, Herr Doctor Helber, bald ein Opfer seiner Unkenntniß. Es ist einer der Unglücklichen,der bei dem schrecklichen Unfall aus der Eisenbahn, zwischen London und Brighton, verwundet wurde. Bei dem ungeheuren Stoß der Wagen ging ihm das Seitenschloß in die Rippe, da er in der Angst sich hinausstürzen wollte. Die Aerzte, die nicht sogleich bei der Hand waren, konnten bei ihrer Ankunft den Halbohnmächtigcn, der durch Zeichen sich nicht verständlich machen konnte, und der Sprache nicht mächtig war, nicht die gehörige Hilfe leisten; die Verwundung hat einen ernsthaften Charakter angenommen, und das Leben des jungen Gelehrten soll noch immer in Gefahr sein. Bei der Gelegenheit dieses Eisenbahnunglücks hatten wir wieder eine Probe von der englischen Jury. Es war ein allgemeiner Schrei des Entsetzens, als die Nachricht nach London kam; man sprach von dreißig Todten, und unzähligen Verwundeten, da Fama bei solchen Gelegenheiten sehr geschäftig sich zeigt. Die Ueberzeugung, daß die Compagnie an Allem Schuld sei, und zu Strafe und Schadenersatz verurtheilt werden müsse, war so allgemein, daß die Aktien jener Eisenbahn sogleich um ein Bedeutendes sanken. Zwar erfuhr man bald, daß die Zahl der Todten glücklicherweise nur auf vier sich erstrecke, nichtsdestowenigerwar man überzeugt, daß die Compagnie verurtheilt werden müsse. Die Untersuchung fand sogleich statt, und wurde Tags darauf einer Jury vorgelegt. Wie groß aber war das Erstaunen, als man vernahm, die Compagnie sei zum Ersatze von Einem Schilling verurtheilt worden.

Der Gang des öffentlichen Lebens in London ist so himmelweit unterschieden von dem in Deutschland, daß dem Deutschen das Verständniß oft dazu fehlt. Gibt es in Deutschland eine Zeitung, die ihrer Ehre das Opfer brächte, welches die Times unlängst sich kosten ließ? Ich weiß nicht, ob Ihnen der Fall schon bekannt ist. Eine nähere Angabe der Thatsachen, welche dabei statt gefunden, können eine Vorstellung von der Wichtigkeit des Jonrnalismus geben und von dem Ansehen, dessen er hier genießt, und in allen Ländern genießen muß, wenn er ohne Rückhalt die Wahrheit zu sagen und zu vertheidigen versteht.

Im Monat Mai 1840 zeigte die Times eine Gaunerbande, von vornehmem Stande, an, welche vermittelst Wechsel auf das Haus Glyn und Comp. zu London, die Banquiers des Continents ausbeutete, und bereits eine Summe von 3 bis 400,000 Franken an sich gebracht hatte. Unter den zwölf oder fünfzehn Individuen, welche das englische Journal, als dieser Bande angehörig, bezeichnet hatte, befand sich ein gewisser Herr Bogle, Associe eines englischen Hauses zu Florenz. Auf diese öffentliche Anzeige versuchte es Herr Bogle nicht, sich zu vertheidigen; er sagte zu seinen Associes, daß er ein ruinirter Mann sei, versprach ihnen, die Bank nie wieder zu betreten, und verstand sich dazu, den nämlichen Tag die gerichtliche Aufhebung des mit ihnen geschlossenen Vertrages zu unterzeichnen. Den Tag darauf wurde er, durch einen Befehl der großherzoglichen Regierung von Toscana, angewiesen, unverzüglichdas Land zu verlassen; er reiste nach England, indem er sich jedoch hütete, Frankreich zu berühren, wo er befürchtete, festgenommen zu werden.

Noch ehe Herr Bogle in England anlangte, hatte die Times schon die ganze Verschwörung enthüllt. Durch den Eifer eines ihrer Correspondenten hatte sie Abschriften von fünf, auf der Pariser Post, mit Beschlag belegten Briefen erhalten, in denen die Theilnehmer des Betruges sich über ihre Operationen gegenseitig in Kenntniß fetzten; auch hatte sie einen Bericht in Händen, über das Verhör von zweien aus dem Lande, die man in Belgien festgenommen hatte, und deren Geständnisse über die Mitschuldigen, unter denen auch der Banquier von Florenz figurirte, den vollständigsten Aufschluß gaben. Nach London zurückgekehrt, besann sich indeß Letzterer eines andern; er erklärte die Angabe der Times für Verleumdung, und forderte das Journal, unter Androhung eines Ehrenkränkungsprocesscs, auf, alles zu widerrufen, was es, in Betreff seiner, ausgesagt hatte. Die Eigenthümer der Times, überzeugt von der Zuverlässigkeit ihres Correspondenten, und im Gefühl der Pflicht, welche ihnen, gegenüber dem Publikum, obliegt, zogen es vor, die Sache zur gerichtlichen Untersuchung kommen zu lassen. Kein Opfer schien ihnen zu groß, um sich die Beweise der veröffentlichten Thatsachen zu verschaffen. Fünfzehn Untersuchungscommissionen begaben sich, auf ihre Kosten, nach Brüssel, Florenz, Triest, und nach andern Orten, wo man Nachweise über jene Bande zu finden erwarten durfte.

Frankreich wurde in dieser saubern Verbindung durch zwei Marquis, einen Baron und ein Freudenmädchen repräsentirt. Aus den gerichtlichen Nachforschungen ist hervorgegangen, daß einer der Marquis in London die Platte hat stechen lassen, mit der man die falschen Wechsel abzog; daß derselbe sich sodann nach Florenz verfügte, wo Herr Bogle ihm einen wahren, von H. Glyn und Comp. unterzeichneten Wechsel einhändigte, und daß der Schwiegervater des Herrn Bogle, mit Hilfe eines höchst sinnreichen Instruments, die Unterschrift auf die fälschen Wechsel setzte. Die Aussage eines Herrn Kerrik, Associes von Herrn Bogle, hat endlich die Sache zur Entscheidung gebracht; nach kurzer Berathung schätzte die Jury den Schadenersatz für die, Herrn Bogle zugefügte Ehrenkränkung, auf einen Pfennig!

Diesen Betrag hat Herr Bogle für die, ohne Zweifel sehr bedeutenden Kosten, die er gehabt, herausbekommen; außerdem aber hat er die, für diesen Proceß berufenen, Specialjurys bezahlen müssen; denn jeder Geschworne hat, in Betracht der Specialität, für die er ernannt ist, einen Anspruch auf eine Guinee Entschädigung. Die beiden in Belgien eingezogenen Individuen sind zu 12 und 15 Jahren Zwangsarbeit verurtheilt.

Die Ausgaben der Times belaufen sich auf 75,000 oder gar, wie man sagt, auf mehr als 100,000 Franken. Welche deutsche Zeitung würde, oder könnte eine solche Summe an ihre Ehrenrettung wagen? Ich erinnere mich nur eines Beispiels, wo ein deutscher Journalredacteur eine eclatante Manifestation gegeben hat, daß ihm die makellose Ehre der Redaction heiß und wahrhaft am Herzen liegt. Dieses Beispiel gab Doctor Kolb, in jener bekannten Duellgeschichte mit dem Redacteur eines andern politischen Blattes in Stuttgart. Freilich haben die deutschen Zeitungen nicht so häufig Gelegenheit, in Collisionen zu kommen, da sie ohnehin stets bewacht, und in ihren Aussprüchcn begrenzt werden. Dagegen fehlt ihnen leider auch der große Einfluß auf ihre Nation und die Gesellschaft. Der Proceß der Times hat dagegen gezeigt, welche Wichtigkeit man hier dem JonrnaliSmuS beilegt.

Die vornehmsten Banquiers und Handelsherren von London haben nämlich eine Zusammenkunft gehalten, um jenem Journal, im Namen des Handelsstandes, Danksagungen und Glückwünsche auszusprechen. Das Einladungsschreiben war von den Herren Rothschild, Mastermann, Baring, Barclay, Atwood, Joney Lloyd, Prescott, u. s. w., unterzeichnct. Die Versammlung hat am 2. Oktober im Mansionhouse, unter dem Vorsitz des Lord Mayor, statt gefunden. Folgender Vorschlag ist von Herrn Mastermann, einem Repräsentanten der City, gemacht worden:

„Die Versammlnng wünscht, auf die ausdrücklichste Weise, ihre Hochschätzung auszusprechen, wegen der unermüdlichen Thätigkeit, der Ausdauer, und Gewandtheit, welche die Eigenthümer der Times, in dem Proceß Bogle gegen Lawson, an den Tag gelegt haben, indem sie die ausgebreitetste und betrügerischste Verschwörung enthüllt haben, die jemals gegen die handeltreibende Welt angesponnen ist." Dieser Vorschlag ist einstimmig angenommen worden. —

Ich werde Ihnen in meinem nächsten Briefe ausführlichere Charakterumrisse über die hiesige periodische Presse geben. Die Details über die hier erscheinende deutsche Zeitschrift, die Sie von mir verlangen, sollen dann einen Platz darunter finden.

Ein junger Buchhändler in der City, Herr Gowdes, der längere Zeit in Deutschland gewesen, beabsichtigt eine Bibliothek moderner deutscher Schriftsteller in englischer Sprache herauszugeben. Ein gewisser Doctor Wagner und der tüchtige und verdienstvolle deutsche Sprachmeister Löhr sollen die Hauptübersetzer sein. Der Anfang wird mit Gutzkow’s Richard Savage und mit Kühnes Rebellen aus Irland gemacht werden. Es scheint als ob der Verleger sich mit Gutzkow in persönliche Verbindung gesetzt habe, da meines Wissens das vielbesprochene Drama dieses Schriftstellers noch nicht im Buchladen erschienen ist.[2] Wahrlich, es wäre einmal Zeit, daß dem deutschen Schriftsteller ein Theil von jener Ehre zuertheilt wird, die wir mit so vollen Händen fremden Literaturen geben. Was haben die deutschen Buchdruckereien in den letzten zehn Jahren nicht alles übersetzt, aus dem Englischen, aus dem Französischen, aus dem Russischen, Schwedischen, Holländischen, und in wie geringer Anzahl hat man unsere Geistesprodukte dem Auslande vorgeführt!

Dr. B. B.

  1. Es ist nicht so arg, als es scheint! Wir wollen doch einmal zählen, wie viele Engländer und Franzosen Deutschland bereisen, ohne ein Wort Deutsch zu verstehen, und wie viele Deutsche Frankreich und England bereisen, ohne Englisch, oder Französisch zu verstehen!
    D. Red.
  2. Wir wurden der Brockhausischen Buchhandlung rathen, einige Exemplare mehr von dem Franke'schen Taschenbuch nach London zu senden. Nicht jeder weiß, daß der Savage in diesem Winkel steckt.
    D. R.