Blinde Kuh (Die Gartenlaube 1897)
[68] Blindekuh. (Zu dem Bilde S. 56. und 57.) Wenn Alter und Jugend sich in demselben Raum unterhalten sollen, pflegt ersteres zu kurz zu kommen – das war in der „guten alten Zeit“ auch schon so. Drüben am Spieltisch sitzt das gräßliche Ehepaar mit seinen Gastfreunden. Herüben in der Saalmitte sollten sich die jungen Fräulein bemühen, den über Tisch noch etwas schüchternen Imker Franz zum Auftauen zu bringen. Erst wurde, fein sittig im Kreise sitzend, ein Pfänderspiel beliebt und die älteren Herrschaften wandten sich beruhigt ihrer eigenen Partie zu. Plötzlich, als sie eben im besten Zuge sind – ein Knall, ein Fall, Springen, Schreien und Gelächter … ein Blindekuhspiel im Salon als ob man draußen auf der Dorfwiese wäre! Befremdet wendet die Gräfin-Mutter den Kopf nach dieser geräuschvollen Belustigung, aber der Vater des offenbar gänzlich aufgetauten Imkers sieht voll Vergnügen, wie die zierliche Komtesse seinen Herrn Sohn im vollsten Sinne „am Bändel“ hat, während ihre Freundinnen, die frischen Pfarrtöchter, die unter dem „altmodischen“ Kleid ihre ganze ländliche Heiterkeit mit ins Grafenschloß bringen, ihn nach Herzenslust zupfen und necken. Die ganze Scene in ihrer harmlosen Fröhlichkeit steht eigentlich im Widerspruch mit der feierlichen Pracht des Saales, aber sie wirkt nur um so anziehender. Der Künstler hat es verstanden, uns ein Stückchen unbefangener Natürlichkeit im „Zeitalter der Unnatur“ zu zeigen, und er thut es mit so viel Frische und Anmut, daß sein Bild sicherlich beifällige Betrachter finden wird. Bn.