Biografisches, Februar 1936

Textdaten
Autor: Hans Brass
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Titel: Biografisches, Februar 1936
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Entstehungsdatum: 1936
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Kurzbeschreibung: Tagebuchauszüge zum Thema Biografisches, Februar 1936
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Einführung

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Der Artikel Biografisches, Februar 1936 zeigt die von Stefan Isensee im Rahmen seines Werkes „Biografisches“ zusammengestellten Tagebuchauszüge von Februar 1936. Textauslassungen wurden mit [...] gekennzeichnet, eingefügte Erläuterungen von Stefan Isensee in eckigen Klammern kursiv [Erläuterung]. Mit Ergänzungen von Bettina Brass.

Tagebuchauszüge

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[1]
Montag, den 3. Februar 1936.     

[...] [Er = Rektor Drüding] [2] Er gab mir aber zwei Bücher, die ich längst gern lesen wollte: Der „Rembrandtdeutsche“ von Momme-Nissen u. „Rembrandt als Erzieher“. Das letztere Buch habe ich flüchtig gelesen als ich etwa 24 Jahre alt war, ohne es damals zu verstehen, jetzt habe ich das Buch von Momme Nissen zu lesen begonnen u. bin davon ungemein gefesselt. Ich erkenne daraus mich selbst u. den Kampf meines Lebens – es ist derselbe Kampf, den Langbehn geführt hat nur daß jener ihn bewußt führte, – ich aber unbewußt. Langbehn entstammt bodenständigen Verhältnissen u. hat eine gründliche Bildung besessen. Seine Kindheit verlief noch in einer Zeit, in der das „Berlinertum“ noch nicht seinen verruchten Stempel auf das Geistesleben Deutschlands gedrückt hatte u. in seinen Lernjahren erlebte er dann diesen Prozeß. Ich aber bin in diesem „Berlinertum“, – in diesem preußischen Geiste, aufgewachsen, – in diesem Geiste, der allen Geist mit Kommißstiefeln niedertrampelt u. der gegenwärtig Orgien feiert. Von Bodenständigkeit ist bei mir keine Rede, nicht einmal über meine Familie weiß ich mehr, als bis zum Großvater. Dieser war väterlicherseits Politiker von fragwürdiger Färbung. Man hat mir erzählt, er sei der Sohn des Hofgärtners am königl. Schloß in Charlottenburg gewesen. Jedenfalls hat er studiert, besaß den Doktorgrad u. war sicher ein intelligenter Mann. Er hat viele Romane höchst unbedeutender Art geschrieben, die ich eine Zeitlang gesammelt, dann aber wieder verschleudert habe. Als Politiker gehörte er den sog. Freiheitskämpfern von 1848 an u. er mußte dann nach der Schweiz flüchten. Dort hat er als Journalist gelebt u. sich mit einer französischen Schweizerin verheiratet, von der ich nur weiß, daß sie sehr musikalisch gewesen sein soll. Sie ist die Mutter meines Vaters gewesen u. von dessen Schwester. Der Großvater ist dann aber wieder nach Berlin zurückgekehrt, nachdem er sich von seiner Frau hat scheiden lassen, – seinen Sohn, meinen Vater, nahm er mit sich, während seine Tochter, die Schwester meines Vaters, in Genf bei der Mutter verblieb. In Berlin begründete der Großvater dann die Norddeutsche Allgemeine Zeitung, die heutige D.A.Z. u. war als Politiker sehr tätig. Er heiratete dann abermals ein Judenmädchen namens Oppenheim, ich selbst aber habe mit dieser Familie, die er begründete, niemals [3] mehr als ganz oberflächliche Verbindung gehabt, alle waren äußerst unsympathisch, jüdisch u. verkörperten so recht dieses widerliche Berlinertum. Den Großvater habe ich nie gekannt, er starb früh.

     Mein Vater ist dann preußischer Offizier geworden u. lebte gänzlich im Geiste dieses neuen Preußentumes, – nicht, weil er eine innere Neigung dazu hatte, sondern, weil ihm dieses Preußentum imponierte u. er zu charakterschwach war, um seine eigene Persönlichkeit zu bewahren, die diesem preußischen Geiste völlig entgegengesetzt war. So ist sein ganzes Leben leider eine einzige Unwahrheit gewesen. Auch meine Mutter ist dieser Unwahrhaftigkeit verfallen. Sie ist eine geborene Chevalier, ihr Vater war preußischer Oberstleutnant. Die beiden Brüder des Großvaters, den ich gut gekannt habe u. der weit entfernt war vom Preußentum, sind nach ihrer französischen Heimat zurückgewandert, – sie wurden französische Offiziere, sodaß im Kriege 1870/71, den mein Großvater als preußischer Offizier mitmachte, seine Brüder auf französischer Seite kämpften. Die Kinder dieser Brüder sind heute ebenfalls französische Offiziere, wie ich hörte, gehörten sie zur Besatzungsarmee, die nach dem Kriege das Rheinland besetzte. – Die Großmutter war eine französische Luxemburgerin, eine verwöhnte, stolze u. hochmütige Frau.

     So ist also schon meine Herkunft ohne Tradition, die sehr bald im Dunkel untertaucht. Geboren bin in in Wesel aus Zufall, weil mein Vater dort in Garnison stand, aber ich kann mich nur dunkel dieser meiner Geburtsstadt entsinnen, eher schon ist mir Kleve in Erinnerung, wo mein Vater eine zeitlang ein Kommando hatte. Dann kamen wir nach Berlin. Wir wohnten in der Kantstraße, Ecke Leibnizstraße, u. ich entsinne mich eines abscheulichen Gefühles von Furcht u. Fremdheit, das ich hier hatte. Später kam ich in die Vorschule in Charlottenburg u. habe von dieser Zeit nur ein einziges Gefühl von Grauen u. Abscheu im Gedächtnis. Dann zogen wir nach Hannover, wo es entschieden schöner war, als in Berlin; aber nun kam ich bald in's Kadettencorps nach Oranienstein, später nach Lichterfelde, so hörte also mit meinem 10. Lebensjahre jedes individuelle Eigenleben auf. Während meiner Kadettenzeit wurde mein Vater nach Dieuze in Lothringen versetzt, dann nahm er den Abschied u. zog nach Magdeburg, welches die verabscheuungswürdigste Stadt ist, die ich je im Leben kennengelernt habe. Seit meinem 10. Lebensjahre ist mir also jede Neigung zu einem individuellen Leben mit Stockschlägen, Ohrfeigen u. Fußtritten, welches die Erziehungselemente im preußischen Kadettencorps darstellten, ausgetrieben worden. Daneben lief eine geistige Knechtung unerhörtester Art u. eine Anerziehung eines dummen, bornierten Dünkels u. widerlichster Überheblichkeit über alles, was nicht Uniform trug. Die Schulbildung war mehr als mangelhaft.

     Es erscheint mir heute oft rätselhaft, woher ich den Mut genommen habe, – ja wieso ich überhaupt auf den Gedanken kommen konnte, dieses Milieu zu verlassen, um Maler zu werden. Ich entsinne mich besonders aus der Zeit in Lichterfelde, daß in mir ein erbitterter, aber unterdrückter Haß bohrte gegen meine Vorgesetzten, die [4] ich nur als meine Peiniger u. als Folterknechte betrachtete u. die ich teilweise tief verachtete; aber andererseits war mir der dumme Stolz u. der Eigendünkel so tief eingeimpft worden, daß auch ich den Offiziersstand als den einzig würdigen ansah. In dieser Verfassung kam ich zuerst an die Kunstgewerbeschule in Magdeburg in einen Kreis von Schülern, der fast ausschließlich aus einem üblen Proletariat bestand. Diesen jungen Leuten wurde hier, ähnlich wie mir vorher im Kadettenkorps, ein dummer Stolz eingeimpft. Sie, die nichts weiter waren als brave Malergehilfen oder Tischler oder Buchdrucker oder Klempner, ihnen wurde ein alberner Dünkel eingebleut, als wären sie große Künstler u. Studenten u. die Zukunft Deutschlands. Nicht ein einziger von all diesen jungen Leuten ist später irgendetwas geworden, dagegen sind sie für ein vernünftiges Handwerk radikal verdorben worden.

     Nach zwei Jahren war ich von diesem Leben derart angeekelt, daß ich kurzer Hand nach Berlin ging u. nun ein grausames Leben begann im Kampfe gegen Hunger, Not u. Elend. Ich arbeitete auf einem Neubau als Anstreicherlehrling mit 10– Rm. Wochenlohn, bis ich infolge von Entkräftung einen äußerst schmerzhaften Rheumatismus bekam, wobei mich meine Zimmerwirtin, eine alte Hebamme u. leibhaftige Kuppelmutter pflegte. Ich rückte dann einfach nach München aus u. versuchte, bei Wilhelm von Debschitz zu arbeiten; aber unversehens geriet ich in jene ganz leichtsinnige Gesellschaft junger Künstler u. Studenten, die ihre Nächte im Simplizissimus bei Kathi Kobus verbrachten u. den Tag verschliefen. Nach einem knappen Jahre hatte ich auch das über, ging nach Berlin zurück u. begann hier mit anderen jenes zwecklose Bohèmeleben im Kaffee des Westens, stets ohne Geld, zuweilen ohne Wohnung. Es war ein ständiges Wandern am Abgrunde.

     In all diesen Jahren habe ich eigentlich nichts weiter getan, als gegen den Dünkel anzukämpfen, der mich selbst dann nicht verließ, wenn ich obdachlos im Tiergarten auf Bänken nächtigte – oder wenn ich sinnlos betrunken war. Es war ein Kampf um die Erkenntnis des Sinnes des Lebens, dessen Sinnlosigkeit gleichwohl überall offenbar war. Ich hätte gut u. gern nicht schlecht bezahlte Stellungen annehmen können. an Angeboten dazu fehlte es keineswegs; aber das war für mich schlechterdings unmöglich. Wenn ein junger Mensch sich plagen muß, um alles in sich totzuschlagen, was er bis dahin gelernt hat, einschließlich der Erziehungswerte, die er im Elternhause empfangen hat, dann ist er damit voll beschäftigt, – er kann nicht in harter Sklavenarbeit um Brot arbeiten. Es war eine Zeit, in der ich aber auch alles verachtete, – ich verachtete Vater u. Mutter, Lehrer u. jeden, der es überhaupt in diesen Verhältnissen zu etwas gebracht hatte. Achten tat ich nur die Vagabunden unter Brückenbögen, – aber auch hier, – u. nun zum Glück, – rettete mich mein Dünkel davor, mit diesen gänzlich unterzutauchen. So muß ich also am Ende sagen, daß der Dünkel meiner Erziehung mich zwar in diesen Kot gebracht hat, aber andererseits hat er mich auch davor bewahrt, darin zu verkommen. Und die eiserne Disziplin, in der ich erzogen [5] worden war, gab mir die nötige körperliche Kraft, um all das ohne ernste Schädigung der Gesundheit zu überstehen.

     Wenn ich dagegen den Werdegang eines Langbehn vergleiche, so muß ich doch sagen, daß dieser wie auf Rosen gewandelt ist. Er war aus sicheren, fest fundierten Verhältnissen hervorgegangen, – wenigstens geistig, wenn auch arm, – u. hatte als Rüstzeug eine vorzügliche Bildung mitbekommen, – damit konnte er den Kampf gegen den Ungeist der modernen Zeit schon aufnehmen, zumal dieser Ungeist damals gerade erst begann u. er selbst davon frei war. Ich hingegen bin in diesen Ungeist hineingeboren, habe keine Familientradition gehabt u. bin in diesem Ungeist erzogen worden. Ich hatte ja keine Vergleiche, denn auch meine Schulbildung war sehr mangelhaft, von Religion wußte ich fast nichts. Mir waren die Ziele als erstrebenswert vorgestellt worden die der Materialismus zu bieten hat: Geld, Stellung, Ansehen. Diesen Zielen strebte ich entgegen, aber ein innerer Widerwille davor versagte mir jeden Erfolg. Diese Erfolglosigkeit höhlte mein Selbstvertrauen aus u. kränkte meine dünkelhafte Eigenliebe. Ich konnte zudem diese Erfolglosigkeit nicht begreifen, weil es offenbar war, daß ich viel mehr Fähigkeiten besaß, als die Meisten, die ich kannte, u. die doch Erfolg hatten. So bin ich selbst ein Beispiel für die Richtigkeit alles dessen, was Langbehn vorausgesehen hat, – nämlich, daß dieses preußisch-berlinische Strebertum unbedingt zum Ruin des deutschen Volkes führen müsse. Dieses preußisch-berlinische Strebertum ist wahrhaftig die innerste u. eigentlichste Ursache des Weltkrieges geworden; u. das deutsche Volk hat nichts daraus gelernt.