Bestellte Arbeit
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[583] Bestellte Arbeit. – Die moderne Zeit befindet sich, wie uns die verschiedensten Vorfälle in den letzten Jahren beweisen, auf dem Gebiete der politischen Intrige und hinsichtlich der hierbei benützten Mittel auf einem Tiefstand, der sich in nichts von den dunkelsten und blutigsten Epochen der Weltgeschichte unterscheidet. Daß von gewissenlosen Staatsleitern zu allen Zeiten mit Hilfe willfähriger Kreaturen Verschwörungen aller Art angezettelt wurden, nur um die Leidenschaften der blinden Massen zu erregen und oft grauenhafte, die Augen der Menge von innerpolitischen Vorgängen ablenkende Katastrophen herbeizuführen, daß Attentate wie Theaterstücke inszeniert und mit großem Aufwand von Geld und Menschenleben „heruntergespielt“ wurden, hat die Geschichtsforschung längst nachgewiesen.
Der altrömische Jurist Massurius Sabinus, der zur Zeit des Kaisers Nero lebte, erwähnt in seinen auf uns überkommenen Schriften einen derartigen Fall eines bestellten Attentats mit allen Einzelheiten, indem er daran zur Belehrung seiner Schüler verschiedene staatsrechtliche Fragen über die Schädlichkeiten eines absoluten Herrschertums knüpft.
Die im Anfang seiner Regierung große Beliebtheit des Kaisers Nero, der vielleicht der vollkommenste und verkommenste Schauspieler auf einem Thron war, wurde durch die vielfachen Verwandtenmorde, die er sich aus den verschiedensten Gründen zuschulden kommen ließ, immer geringer. Um sich wieder populär zu machen und die Gedanken der Römer von seinem wüsten, sittenlosen Lebenswandel abzulenken, verfiel der Kaiser schließlich auf ein Mittel, zu dem ihm sein Günstling Afranius Burrus riet. Dieser, der Befehlshaber der Prätorianer, der Leibgarde des Monarchen, wußte allerlei verbrecherisches Gesindel, von dem es in der Weltstadt Rom stets genug gab, durch Geld und das Versprechen völliger Straflosigkeit für dieses Vorhaben zu gewinnen. Er war es auch, der alle anderen Vorbereitungen für das sensationelle Schauspiel mit größter Genauigkeit traf.
Eine große Anzahl jener Leute, die nichts mehr zu verlieren hatten, trat plötzlich ganz offen der nur widerwillig geduldeten Christengemeinde in Rom bei und besuchte möglichst auffällig deren Versammlungen. An einem Junitage des Jahres 63 machte Nero dann mit geringer Begleitung eine Rundfahrt durch seine Hauptstadt, wobei er reichlich kleine Goldmünzen unter das Volk warf. In einer der Hauptstraßen mit besonders lebhaftem Verkehr spielte sich darauf das fein durchdachte Attentat ab. Der Kaiser hatte seinen Wagen halten lassen, war ausgestiegen und legte gerade einem blinden Bettler, der am Rande des Bürgersteiges hockte, ein bedeutendes Geldgeschenk in den Schoß, als ihn plötzlich ein Haufe von Männern umringte und mit Schwertern und Dolchen auf ihn einhieb. Es entstand ein wildes Getümmel, verschiedene Soldaten der Leibwache, die ihren Herrn zu retten suchten, sanken schwer verwundet nieder, bis eine Abteilung Reiterei erschien, den Schauplatz umstellte und die Verschwörer festnahm. Mit blutigem Gesicht und anscheinend ohnmächtig wurde Nero in seinen Wagen gehoben und in langsamster Fahrt durch die immer mehr anwachsende Volksmenge zu seinem Palast zurückgebracht. So gab er den Einwohnern Roms Gelegenheit, ihn in der Pose eines während eines Liebeswerkes von Meuchelmörderhand schwer Verletzten anstaunen zu können.
Tagelang sprach man in der Stadt von nichts anderem als diesem Attentat, das nur dadurch ermöglicht worden wäre, weil der Kaiser jenen Bettler beschenkt und sich dabei aus dem Kreise seiner Leibwache herausgewagt habe. Der schlau berechnete Plan war also vollständig geglückt. Allgemein wurde der Kaiser bedauert, und als er sich nach Wochen zum ersten Male wieder seinem Volk zeigte, jubelte man ihm laut zu.
Den Teilnehmern an dem Attentat machte man nun den Prozeß, und vor Gericht gestanden sie ein, daß sie den Kaiser nur deshalb hätten ermorden wollen, weil er die Christen in Rom unterdrückt habe. Es fanden sich Zeugen genug, die bekundeten, daß alle Verschwörer wirklich der Christengemeinde beigetreten waren.
Die Verschwörer wurden daraufhin sämtlich zum Tode verurteilt und, trotzdem Afranius Burrus, der Regisseur dieser Posse, ihnen Straflosigkeit zugesichert hatte, auch schleunigst hingerichtet, damit nichts von dieser politischen Komödie verraten werden konnte.
Wie raffiniert Nero bei diesem traurigen Plan weiter vorging, beweist der Umstand, daß er die jetzt plötzlich auflodernde Christenverfolgung mit allen Mitteln zu unterdrücken suchte. In einem phrasenreichen Manifest tat er seinem Volke kund, er wolle nicht, daß durch die Verblendung einiger Fanatiker in seiner Hauptstadt das Blut seiner Bürger fließe. Natürlich bezweckte er mit diesem Verhalten nur, sich als wohlwollenden und mildherzigen Landesvater hinzustellen.
Ein Jahr nachher aber, als ein furchtbarer Brand einen großen Teil Roms zerstört hatte, ließ Nero, um den aufgekommenen Verdacht der Brandstiftung von sich abzulenken, als die Urheber die römischen Christen unter den grausamsten Martern hinrichten. –
Ein zweites, aus ähnlichen Motiven inszeniertes Attentat weist die Geschichte Venedigs auf. Die Republik, die seit hundert Jahren einen mörderischen Krieg um ihre östlichen Besitzungen, besonders um Zypern, mit der Türkei geführt hatte, war im Jahre 1645 vor die Notwendigkeit gestellt, abermals das Waffenglück gegen die Pforte zu versuchen. Aber die Stimmung im Volke war entschieden gegen diesen neuen Waffengang. Die Venezianer, die der verlustreichen Kämpfe und der ungeheuren Kriegskosten müde waren, verlangten von ihrer Regierung, man solle die Insel Kreta, um die es sich damals handelte, ohne Schwertstreich den Türken ausliefern.
Um nun die Menge gegen die Pforte aufzureizen, bereitete der Rat der Zehn, die Vertretung der höchsten Staatsgewalt in der Republik, eine gegen das Leben des Dogen gerichtete Verschwörung vor, als deren Teilnehmer er türkische Kriegsgefangene anwarb. Der Doge wurde auf einer Fahrt in seinem Staatsboot überfallen und entging anscheinend nur durch ein Wunder dem Tode. Der großen Menge brachte man dann sehr geschickt bei, das Attentat sei von der türkischen Regierung ausgegangen, und wußte auf diese Weise die Volksstimmung derart gegen den alten Feind einzunehmen, daß die Venezianer plötzlich bereitwillig ins Feld zogen und auch die nötigen Geldmittel hergaben. –
Schließlich sei hier noch ein „bestelltes“ Attentat erwähnt, das zur Charakteristik Napoleons I. einen wertvollen Beitrag liefert und zeigt, mit welchen Mitteln sich der große Korse im Anfang seiner politischen Laufbahn seiner Gegner zu entledigen wußte. Nach Beendigung der großen französischen Revolution erhielt Napoleon bekanntlich durch die Verfassung vom Dezember 1799 unter dem Titel eines Ersten Konsuls auf zehn Jahre die volle Gewalt eines konstitutionellen Fürsten. Die beiden anderen Konsuln, Cambacères und Lebrun, hatten nur beratende Stimme. Schon damals war Napoleon jedoch durch seine nur schlecht verhehlte Herrschsucht den im Tribunat und im Gesetzgebenden Körper noch zahlreich vertretenen Jakobinern und Republikanern stark verdächtig geworden. Sie zu beseitigen, mußte sein nächstes Ziel sein. Denn vorher durfte er es nicht wagen, die nächste Nummer seines Programms zur Erlangung der längst erstrebten Kaiserwürde zu erledigen.
Fouché, der Polizeiminister der Republik, der spätere Herzog von Otranto, ein Mann von rücksichtsloser Verschlagenheit und infolge seines scharfen Verstandes wie geschaffen für die politische Intrige, war es, der sich schon damals in Vorausahnung der späterem Ereignisse der gewaltigen Persönlichkeit Bonapartes zur Verfügung stellte und ihn eifrig und heimlich bei seinen Plänen unterstützte. In seinen nachgelassenen Schriften, die von Madelin herausgegeben worden sind, schildert Fouché mit größter Offenheit, auf welche Weise er das gegen Napoleon am 24. Dezember 1800 verübte Attentat mit dessen Zustimmung in Szene gesetzt hat. Er bestach einige den untersten Volksschichten angehörende Leute durch die Aussicht auf spätere einträgliche Ämter und ließ sie eine großartige Verschwörung vorbereiten, durch die die Häupter der republikanischen Partei aufs schwerste bloßgestellt wurden, ohne daß diese tatsächlich eine Ahnung von den gegen das Leben Napoleons gerichteten Absichten hatten. So wurde eine eingehende Korrespondenz über die Verhandlungen des Verschwörerkomitees gefälscht, in der sich Briefe von Bonapartes hauptsächlichsten Gegnern befanden. Dann wurde am 24. Dezember 1800 bei einer Truppenbesichtigung die furchtbare Komödie zu Ende gespielt. Careil, ein Schlossermeister, feuerte aus der Menge auf den vorbeireitenden Ersten Konsul zwei blinde Schüsse ab, wurde sofort verhaftet und legte bald ein „umfassendes Geständnis“ ab. Man durchsuchte den Keller seines Hauses und fand dort die erwähnten Papiere, die belastend genug waren, um vierzig Jakobinern und hundertdreißig Republikanern wegen Hochverrats den Prozeß zu machen. Diese bestiegen dann sämtlich am 3. März 1801 das Schafott, und ihre Köpfe fielen unter dem Beifallgeschrei der irregeleiteten Pariser Bevölkerung, die von dem wahren Sachverhalt keine Ahnung hatte. Jetzt war Napoleons Weg frei. Und ein Jahr später, am 11. Mai 1802, ließ er sich durch ein Plebiszit zum Konsul auf Lebenszeit wählen, wodurch er bereits, wenn auch noch nicht dem Namen nach, Kaiser der Franzosen wurde.