« Kapitel B 12 Beschreibung des Oberamts Tuttlingen Kapitel B 14 »
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).
|
Renquishausen,


Gemeinde III. Klasse mit Ziegelhütte, 453 Einw. Kathol. Pfarrdorf. 33/4 Stunden nordöstlich von der Oberamtsstadt gelegen.

Der ansehnliche, reinlich gehaltene Ort hat auf dem Heuberg eine sehr hohe freie, den Winden ausgesetzte Lage und gestattet im Ort selbst, noch mehr aber an vielen Punkten der Markung, herrliche Aussichten an die Tiroler- und Schweizeralpen, von denen wir nur die ausgezeichnetsten auf Obermaden, bei den Stationen und bei der Signalstange nennen. Die meist weißgetünchten, durchaus ziegelbedachten, meist mit der Scheune unter einem Dach liegenden Häuser stehen in mäßigen Entfernungen von einander, nur von wenigen Obstbäumen umgeben, zu denen sich einzelne Pappeln, Eschen und Tannen gesellen, an den breiten, ziemlich gut unterhaltenen, etwa zur Hälfte mit Kandeln versehenen Ortsstraßen.

Die dem h. Stephanus geweihte Kirche steht hoch am nordöstlichen Ende des Dorfes und wurde im Jahre 1827 in sehr einfachem Geschmack, mit rechteckigen Fenstern erbaut. Über ihrem Westeingang ist ein reizendes spätgothisches Sakramenthäuschen aus feinem Sandstein und mit der Jahreszahl 1506 eingemauert, in welches statt des Gitters jetzt eine Tafel eingesetzt ist mit folgender Inschrift: 1827. „Deine Augen stehen über diesem Haus Tag und Nacht offen, als über dem Ort, von dem Du gesagt hast: da soll mein Nahme angerufen und geehret werden.“ Das weiß getünchte freundliche Innere der Kirche besitzt drei Spätrenaissance-Altäre, der Chor schließt rechteckig, der Thurm sitzt, als hoher Dachreiter mit Zwiebeldach, auf dem Westgiebel. In der Sakristei befindet sich ein alter Kelch. Von den zwei Glocken trägt die zugängliche die Umschrift in gothischen Minuskeln: lucas marcus matheus iohannes. o rex g. – Auf dem um die Kirche gelegenen ummauerten Friedhof stehen viele Schmiedeisenkreuze.

Das schöne, sonnig und heiter in einem Gärtchen gelegene Pfarrhaus wurde zwischen den Jahren 1690 und 1717 auf Kosten der Kirchenfabrik und der Gemeinde erbaut und ist, wie die Kirche, von der Stiftung zu unterhalten.

Das seit 80 Jahren stehende Schulhaus, früher ein Bauernhaus, enthält ein Lehrzimmer, die Wohnung des allein an der| Schule unterrichtenden Lehrers und die Gelasse für den Gemeinderath. Überdies sind noch von öffentlichen Gebäuden zu nennen: ein Backhaus, drei Waschhäuser und ein Schafhaus.

Minder gutes Trinkwasser liefern die im Ort befindlichen 11 Ziehbrunnen und 17 Cisternen, dagegen spenden zwei außerhalb nahe des Orts gelegene Brunnen gutes Wasser. Bei anhaltend trockener Witterung entsteht zuweilen Wassermangel und das Wasser muß alsdann aus der 1/4 Stunde entfernten Quelle an der Langquartensteige auf preußischem Gebiet herbeigeholt werden.

Vizinalstraßen bestehen nach Königsheim und weiterhin nach Egesheim, nach Kolbingen und weiter nach Mühlheim und mittelst der neuangelegten Steige in das Bärenthal nach Fridingen, wodurch dem Ort der Verkehr mit der Umgegend hinlänglich gesichert ist.

Die Einwohner, ein kräftiger gesunder Menschenschlag, finden ihre Haupterwerbsquellen in Feldbau und Viehzucht, während die Gewerbe sich nur auf die nöthigsten Handwerker, von denen nur die Schuster nach außen arbeiten, beschränken. Als Nebengewerbe ist die Musselinstickerei für Kaufleute in Ebingen und Balingen von ziemlicher Bedeutung; auch befinden sich 4 Besenbinder im Ort, die ihre Ware in der Nachbarschaft absetzen. Ferner bestehen zwei Schildwirthschaften und 5 Kramläden, und eine, 1/2 Stunde westlich vom Ort gelegene Ziegelhütte. Die Vermögensumstände der Einwohner sind die gewöhnlichen des Heubergs, der vermöglichste Ortsbürger besitzt 80 Morgen Feld und 2–3 M. Wald, der mittelbegüterte 30 M. Feld und 1/2 M. Wald und die minderbemittelte Klasse 3 M. Feld. Gegenwärtig erhält nur eine Person Unterstützung von Seiten der Gemeinde. Auf angrenzenden Markungen haben die Ortsbewohner 490 Morgen Güter, von denen allein 443 Morgen auf Kolbinger Markung liegen.

Die nicht große Markung hat eine theils hügelige, theils flachwellige Lage und einen mittelfruchtbaren, etwas schweren, aus den Zersetzungen des weißen Jura bestehenden steinreichen, theilweise lehmigen Boden. Steinbrüche sind keine vorhanden, dagegen eine Kiesgrube (weiße Juratrümmer) und einige Lehmgruben. Früher wurde im Walde Kirchholz Bohnerz gewonnen. Erdfälle kommen einige im sog. „Stritten“ vor und eine Höhle an der Langquartensteig; sie hat einen schmalen Eingang und bildet gleichsam| nur eine Spalte, die bald zu einer noch nicht untersuchten tiefen, nicht zugänglichen Kluft führt.

Das Klima ist, wie überhaupt auf dem Heuberg, rauh, windig und schädliche Frühlingsfröste, wie auch kalte Nebel kommen nicht selten vor. Hagelschlag war früher häufiger als in neuerer Zeit. Am 14. Juli 1807 Abends 10 Uhr vernichtete ein Hagelwetter in einer Viertelstunde den ganzen Ertrag der Markung und überdies wurden auf der Kirche und dem Pfarrhaus etwa 800 Dachplatten beschädigt.

Die Landwirthschaft wird, so gut als es die natürlichen Verhältnisse erlauben, betrieben, und zwar mit Anwendung des Suppinger- und Wendepflugs; auch sind zwei eiserne Eggen, eine Dreschmaschine zum Handbetrieb und mehrere Walzen im Ort. Die Düngerstätten lassen noch vieles zu wünschen übrig; als Düngungsmittel kommen die gewöhnlichen und von den Surrogaten Gips in Anwendung. Angebaut werden von den Getreidearten vorherrschend Dinkel und Haber, ferner Gerste (worunter wenig Wintergerste), Weizen, Roggen und gemengt Gerste und Linsen, wie auch Roggen und Dinkel. Von Brachgewächsen baut man Kartoffeln, sehr viel Futterkräuter (dreiblätt. Klee, Esparsette, Luzerne, Zetterklee), Rüben, Ackerbohnen, Sommerreps, Mohn, Flachs und Hanf. Von den Felderzeugnissen können jährlich über den eigenen Bedarf 1200 Scheffel Dinkel, 1260 Scheffel Haber, 7 Scheffel Gerste und 4 Scheffel Kleesamen nach außen abgesetzt werden. Der Wiesenbau ist nicht ausgedehnt, 17 auf preußischem Gebiet, im Bärenthal liegende Morgen Wiesen können bewässert werden. Die Wiesen sind zweimähdig und der Futterertrag wird im Ort verwendet. Die Obstzucht ist unbedeutend und beschränkt sich auf spätblühende Kernobstsorten, vorherrschend Birnen, und von Steinobst auf etwas Zwetschgen. Der Obstertrag wird meist grün verspeist und nur wenig gemostet oder gedörrt. Die Jungstämme werden aus der Gemeindebaumschule bezogen. Die Gemeinde besitzt 81 Hektar vorherrschend Laubwaldungen, die jährlich 466 Raummeter und 2020 St. Wellen ertragen; hievon erhält jeder Ortsbürger 4 Raummeter und 20 St. Wellen, während der Rest des Holzertrags zu Gunsten der Gemeindekasse um etwa 1000 fl. verkauft wird. Außer dieser Einnahme bezieht die Gemeinde aus 2843/4 Morgen Weide ein Pachtgeld von jährlich 600 fl., aus der Pferchnutzung 350 fl., aus Allmanden, von denen die 80 ältesten Bürger je 31/2 Morgen zur Benützung erhalten,| 250 fl. 20 kr. und aus verpachteten Gemeindegütern, dem ehemaligen Hof „Kesselhalde“ (etwa 48 Morgen), 86 fl.

Die Kirchenpflege besitzt ein Vermögen von 5752 fl. 46 kr.; Stiftungen sind keine vorhanden.

Was die Viehzucht betrifft, so ist die der Pferde unbedeutend, dagegen die des Rindviehs in ziemlich gutem Zustande; man hält einen Albschlag mit Simmenthaler Kreuzung und hat zur Nachzucht einen Albfarren und einen von Simmenthaler Race aufgestellt. Der Handel mit Rindvieh ist von keinem besonderen Belang. Die Schweinezucht ist nicht gerade bedeutend, dagegen wird die Schweinemastung (halbenglische Race) ziemlich schwunghaft, theils zum eigenen Bedarf theils zum Verkauf betrieben. Auf der Markung läßt ein fremder Schäfer etwa 500 Stück Bastardschafe den Sommer über laufen.

Spuren aus früherer Zeit finden sich in dem 1/4 Stunde östlich vom Ort gelegenen Wald „Kirchholz“; daselbst besteht ein alter, jetzt wasserloser Brunnen, der „Geigersbrunnen“, in dessen Nähe schon Reste von Gebäuden aufgefunden wurden. Im Ösch „Bohl“ steht ein altes Steinkreuz. Auch kommt 1/4 Stunde westlich vom Ort der Flurname „Hagen“ vor, was einen abgegangenen Wohnort vermuthen läßt, und etwa 1/8 Stunde südöstlich vom Ort wird eine Flur „Birken“ (vermuthlich Bürgen) genannt, in dessen Nähe das „Gückenbühle“ liegt; vielleicht bestand hier einst eine Befestigung.

(Das Geschichtliche siehe bei Kolbingen.)


« Kapitel B 12 Beschreibung des Oberamts Tuttlingen Kapitel B 14 »
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).