« Kapitel B 8 Beschreibung des Oberamts Tettnang Kapitel B 10 »
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9. Gemeinde Hirschlatt,
bestehend aus 8 Parzellen mit 328 Einwohnern.

Der Gemeindebezirk liegt auf der rechten Seite der Schussen, welche den Bezirk alljährlich einige Mal überschwemmt. Er ist reich an Waldungen; im Übrigen ist die Gegend fruchtbar, hat bedeutende Obstzucht und auch etwas Weinbau. Die Güter sind alle vereinödet. Als Nebengewerbe treiben mehrere Einwohner der Gemeinde die Korb- und Wannenmacherei, wozu sie die nöthigen Weiden am Schussenufer selbst pflanzen. Die ökonomischen Verhältnisse der Gemeinde sind ziemlich gut. Der ganze Distrikt gehört zum Cameralamt Friedrichshafen und zur Pfarrei Kehlen, wo auch die Schule für die Gemeinde sich befindet. Den Zehnten bezieht der Staat, nur in Gerbertshaus hat die Pfarrei Kehlen einen kleinen Theil des großen und kleinen Zehntens. Die Grundlasten betragen nach dem Grundsteuer-Atlas, zu Geld berechnet, 546 fl. 51 kr. Die Güter sind Erblehen, sie haben aber Schlauf und Fall zu zahlen. Gefällherr ist die K. Finanzkammer. Der Gemeindezustand ist gut. Der Bezirk bildete vormals mit Jettenhausen, das erst in neuerer Zeit einer andern Gemeinde zugetheilt worden ist, die Kloster Kreuzlingische Herrschaft Hirschlatt, s. u.

  • 1) Hirschlatt, ein kath. Kirchdorf, an einem Hange und etwas uneben gelegen, mit 124 Einw. und 1 Schildwirthschaft. Der Ort ist Sitz des Pfarrers von Kehlen und eines Revierförsters; er hat ein Schloß und eine Kirche oder Kapelle. Auch steht eine Feldkapelle am äußersten Haus gegen Unter-Ailingen. Das Schloß ist ein ansehnliches dreistockiges Gebäude, jedoch ohne Graben und Mauern. Es gehört dem Staat und wird seit langer Zeit von dem Pfarrer und seit 1812 auch von dem Förster bewohnt. In älteren Zeiten mag es der Sitz adeliger Vögte gewesen seyn, später wurde es der Sitz eines Klostergeistlichen von Kreuzlingen, der die Pfarrei Kehlen, und als Pater Keller oder Pfleger zugleich die Verwaltung der Herrschaft Hirschlatt zu| besorgen hatte, und bis 1803 besorgte. Zur Versehung der Pfarrgeschäfte war ihm noch ein jüngerer Conventual beigegeben. Während der durch die Reformation verursachten Unruhen in der Schweiz 1523 flüchtete ein Theil der Mönche von Kreuzlingen hieher, und dieß gab Veranlassung, das Schloß zu erweitern. Die Kirche oder Kapelle dient theilweise auch als Pfarrkirche, weil der Pfarrer im Ort wohnt. Es werden Taufen und Trauungen darin verrichtet; auch ist damit ein Begräbnißplatz für die Einwohner von Hirschlatt verbunden. Im Übrigen ist Hirschlatt Filial der Pfarrkirche zu Kehlen.
  • 2) Gerbertshaus, W. mit 81 k. Einw.
  • 3) Gunzenhaus, W. mit 24 k. Einw.
  • 4) Hechelfurth, H. mit 3 k. Einw.
  • 5) Holzreute, H. mit 7 k. Einw.
  • 6) Kehlen, kath. Pfarrweiler mit 51 Einw., 1 St. westlich von Tettnang, auf einer sanften Erhöhung, am rechten Ufer der Schussen, mit 1 Schildwirthschaft. Der Ort wurde früher auch Kehlhof genannt, über die Bedeutung des Namens s. u. Die Pfarrkirche zur h. Verena wurde 1764 renovirt und der Chor an das Langhaus angebaut. Die Baulast liegt auf der Kirchenpflege. In K. ist die Schule für den ganzen Pfarrsprengel, das Schulhaus wurde 1833 erbaut. Der Pfarrsprengel besteht aus den 8 Parzellen der Gemeinde Hirschlatt, 6 Parzellen von G. Unter-Meckenbeuren und 1 Parzelle von Ettenkirch. Die Pfarrei ist sehr alt, sie war dem Kloster Kreuzlingen einverleibt. Das Kloster ließ sie längere Zeit durch einen Weltpriester, später aber durch einen in Hirschlatt wohnenden Klostergeistlichen versehen.
  • 7) Lochbrücke, W. mit 1 Schildwirthschaft und 21 k. Einw., an der Ravensburger Straße und der Schussen, über welche hier eine bedeckte Brücke führt. Östreich hatte hier ehemals eine Zollstätte.
  • 8) Schürten, W. mit 17 k. Einw., an der Schussen.
Die Herrschaft Hirschlatt, wozu auch noch mehrere im Territorium der Landvogtei gelegene Lehenhöfe, namentlich zu Ober- und Unter-Ailingen, Ober- und Unter-Lottenweiler, Wickenhausen etc. gehörten, lief ehedem unter verschiedenen Benennungen: „der Hof zu Hirschlatt,“ „die Reichsvogtei Hirschlatt,“ „der Kehlhof und die Reichsvogtei Hirschlatt.“[1] Die Besitzung soll| dem Kloster Kreuzlingen von den Grafen von Habsburg geschenkt worden seyn. Vergl. auch Ailingen. Sie lag im Gebiete der alten Reichs-Landvogtei Schwaben, welche die Vogtei darüber und alle hoheitlichen Rechte besaß. Noch ehe aber die Landvogtei an das Haus Östreich kam, verpfändete K. Albrecht dem Grafen Wilhelm von Montfort die Vogtei, und, laut Urkunde vom Jahr 1318, bestätigte K. Ludwig der Bayer dem Grafen die ihm von K. Albrecht um 200 M. S. verpfändete Vogtei des Hofes zu Hirschlatt, des Eigenschaft angehört dem Kloster Kreuzlingen, bis auf Wiederlosung. Eine Verpfändung des Gegenkönigs Friedrich vom Jahr 1315 wird dabei mit Stillschweigen übergangen. Die Wiederlosung scheint nicht erfolgt zu seyn, vielmehr wurde aus der Pfandschaft ein Lehen und als solches besaßen die Grafen von Montfort fortwährend die Vogtei als Reichs-Landvogtei mit Niedergerichtsbarkeit und Besteurungsrecht. Die hohe Gerichtsbarkeit und Territorial-Rechte blieben der Landvogtei vorbehalten. Auf diese Weise hatte die Herrschaft dreierlei Herren: das Kloster, die Grafen von Montfort und die Besitzer der Landvogtei. Im Jahr 1656 verkaufte Graf Hugo von Montfort die Vogtei an das Kloster Kreuzlingen um 5000 fl. mit Vorbehalt des Besteuerungs-Rechts. In Folge eines Vertrags vom 11. Dezember 1749 wurde Kreuzlingen von Östreich, als dem Inhaber der Landvogtei, gegen Erlegung von 4000 fl. mit der hohen malefizischen Jurisdiction und gegen weitere 10.000 fl. mit der Forst- und Jagd-Herrlichkeit belehnt, jedoch mit ausdrücklichem Vorbehalt der Territorial-Obrigkeit. Östreich behielt daher auch das allgemeine Gesetzgebungsrecht und hatte seine Zollstätte auf dem herrschaftlichen Hof Lochbrück. In diesem Zustande wurde die Herrschaft Hirschlatt, die ungefähr 360 Einwohner zählte, im Jahr 1803 durch den Regensburger Reichsdeputations-Schluß dem Fürsten von Hohenzollern-Hechingen, als Entschädigung für verlorene Feudalrechte im Lütticher Lande, zugetheilt, und derselbe trat nun an die Stelle des Klosters Kreuzlingen. Östreich übte jedoch auch hier das Heimfallrecht aus, und nahm alle Gefälle von solchen Kreuzlinger Lehen, die im Gebiete der Landvogtei lagen, wie z. B. die in dem Bezirk Ailingen, in Beschlag. Nachdem im Jahr 1805 die Landvogtei an die Krone Würtemberg gekommen war, suchte diese natürlich auch die damit erworbenen Rechte auf die Herrschaft Hirschlatt geltend zu machen; es entstanden darüber mancherlei Mißhelligkeiten, denen endlich König Friedrich dadurch ein Ende machte, daß er die Herrschaft Hirschlatt von dem Fürsten von Hohenzollern-Hechingen für die Summe von 140.000 fl. kaufte, und für die zu der Herrschaft gehörigen beiden Patronate der Kirchen zu | Kehlen und Hirschlatt die zu Stetten und Thannheim, im Fürstenthum Hechingen, hingab.
  1. Kehlhof, Kellerhof wurde vor Zeiten derjenige Hof und Hofbezirk genannt, der von der Guts-Herrschaft selbst durch einen Schaffner, Keller (Pater-Keller) verwaltet wurde. Zu dem Kellerhof gehörten gemeiniglich mehrere Höfe umher, und allmählig entstanden Weiler und Dörfer daraus.