Beschreibung des Oberamts Spaichingen/Kapitel B 17

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Rathshausen,
mit Mühle,
Gemeinde III. Kl. mit 698 Einw., wor. 6 Ev. und ein Israelit. – Kath. Pfarrei; die Ev. sind nach Erzingen O.-A. Balingen eingepfarrt. 4 Stunden nordöstlich von der Oberamtsstadt gelegen.
Rathshausen hat in dem Schlichemthale zwischen zwei hohen Albbergen (Plettenberg und Ortenberg) eine reizende, geschützte, jedoch unebene Lage. Der unregelmäßig angelegte, in die Länge gedehnte Ort besteht größtentheils aus kleinen einstockigen, wenig Wohlstand verrathenden Gebäuden, die durchaus mit Ziegelplatten bedacht, und an den Giebelseiten mit Brettern verkleidet| sind. Die das Dorf reichlich umgebenden Obstbaumgärten tragen zur freundlichen Ansicht desselben wesentlich bei.

Die der h. Afra geweihte Kirche steht etwas erhöht beinahe in der Mitte des Dorfs und wurde im Jahr 1816/17 auf Staatskosten in sehr einfachem antikisirendem Rundbogenstil erbaut; auf ihrem flach geneigten Westgiebel sitzt ein Dachreiter mit 3 Glocken. In dem freundlichen Inneren ist der Triumphbogen und der rechteckige Chor mit schönen modernen Fresken ausgeziert, nach der Unterschrift gemalt von M. Jacob 1873. Der hübsche Hochaltar ist im neugothischen Stil gehalten, die Orgel und die beiden Seitenaltäre sind im Zopfstil ausgeführt und auf dem linken Seitenaltar steht eine gut gearbeitete Madonna auf der Weltkugel (ebenfalls im Rococostil). Ebenso besitzt die Kirche ein schönes Ölbild, Maria mit dem Kinde. Die Unterhaltung der Kirche hat der Staat. Der Begräbnißplatz liegt außerhalb des Orts.

Das bei der Kirche gelegene, 1816/17 erbaute Pfarrhaus befindet sich in gutem Zustande und ist vom Staat zu unterhalten. Das ansehnliche zweistockige Schulhaus wurde 1829 erbaut; es enthält 3 Lehrzimmer und die Wohngelasse des Schulmeisters und des Lehrgehilfen. Das Rathhaus ist im Jahr 1843 von einem Privatmann erkauft, und zu seinem gegenwärtigen Zweck eingerichtet worden. Überdieß bestehen noch zwei öffentliche Waschhäuser, ein Backhaus und ein Schafhaus. Die Ortsstraßen lassen noch manches zu wünschen übrig. Vicinalstraßen sind nach Hausen a. Th., Schömberg und Weilen u. d. R. angelegt.

Mittelgutes Trinkwasser, das 3 laufende und ein Schöpfbrunnen liefern, ist hinreichend vorhanden, überdieß fließt die Schlichem mitten durch den Ort; sie tritt zuweilen aus und verursacht beträchtlichen Schaden. Auf der Markung kommen einige, jedoch nicht bedeutende Quellen hervor. Über die Schlichem sind 3 steinerne und 3 hölzerne Brücken angelegt, welche sämtlich von der Gemeinde unterhalten werden müssen.

Die Haupterwerbsquellen der Einwohner bestehen in Feldbau und Viehzucht, während die Gewerbe sich hauptsächlich auf die nöthigsten Handwerker beschränken, von denen die Zimmerleute und Maurer am zahlreichsten vertreten sind und viele davon auch auswärts Arbeit und Verdienst finden. Auch die Baumwollweberei auf Bestellung für Fabrikanten und Kaufleute beschäftigt viele Hände. Es bestehen 3 Wirthschaften, je mit| einer Brauerei verbunden, 4 Kramläden und eine unterhalb des Orts gelegene Mühle mit 3 Mahlgängen und einem Gerbgang.

Die Vermögensverhältnisse der Einwohner gehören zu den geringen, die vermöglichste Klasse besitzt 15 bis 20 Morgen, die mittlere 6–8 Morgen Grundeigenthum, während die ärmere Klasse nur auf die Benützung der Allmandtheile angewiesen ist. Übrigens erhält gegenwärtig Niemand Unterstützung von Seiten der Gemeinde.

Die kleine Markung, von der überdieß beinahe die Hälfte mit Wald bestockt ist, hat eine sehr unebene Lage, besteht theils aus den Steilabfällen des Heubergs und Plettenbergs theils aus deren vielfältig mit Schluchten und Rinnen durchzogenen, verworrenen Ausläufern gegen das Schlichem-Thal.

Der im allgemeinen minder ergiebige Boden besteht, so weit er für den Feldbau benützt wird, aus den Zersetzungsprodukten des braunen Jura, die zum Theil in Folge der früher stattgefundenen Erdrutschen von den unteren Schichten des weißen Jura, namentlich von den Impressathonen, überlagert wurden. Der Boden ist daher meist schwer und etwas naßkalt. Die Steilgehänge, welche jedoch durchaus als Wald und Weide benützt werden, bestehen aus den kalk- und steinreichen Zersetzungen des weißen Jura. Mehrere Steinbrüche sind im weißen Jura und in den blauen Kalken des braunen Jura angelegt, auch einige Lehm-, Töpferthon- und Kiesgruben (weißer Juraschutt) finden sich. Erdfälle (trichterförmige Einsenkungen) kommen zuweilen vor im sog. Loch, im Milchsteig und im Eichwäldle; sie sind von geringer Bedeutung, dagegen wurde die Gemeinde Rathshausen von Erdrutschen schon einigemal aufs empfindlichste und gefährlichste heimgesucht. Schon im Jahr 1744 löste sich ein Theil des Deilinger Bergs ab und stürzte in das Thal, diesem Sturz, der ziemlich starke Verwüstungen anrichtete, folgte im Jahr 1787 ein zweiter und endlich 1789 ein dritter gewaltiger Nachsturz, der eine große Strecke Waldungen und Felder verheerte und die losgetrennten Massen bis auf die rechte Seite der Schlichem wälzte, wodurch das Flüßchen in seinem Lauf gehemmt wurde und sich zu einem dem Dorf Unheil drohenden See anschwellte. Der Gefahr wurde abgeholfen und die Einwohner von Rathshausen kamen mit dem bloßen Schrecken davon, dagegen war der Schaden an den Feldern, namentlich an den Wiesen ein sehr beträchtlicher und hat der ohnehin wenig bemittelten Gemeinde tiefe Wunden geschlagen. Es wurden damals verwüstet auf der Markung| Deilingen 45 Jauchert Waldungen, auf der Markung Rathshausen aber 50 Jauchert Gemeindewald, 32 Jauchert Acker und 17 Jauch. Wiesen; der ganze Schaden betrug bei mäßigem Anschlag 21.600 fl. Um die Grundeigenthümer einigermaßen zu entschädigen, wurde ihnen von dem Tag der Wiederurbarmachung der Felder an 30 Jahre Steuerfreiheit gewährt. Nachdem sich die Gemeinde von diesem Unglück allmählig erholt hatte, ereignete sich im Jahr 1851 den 6. Oktober eine Katastrophe, welche die vorhergegangenen an Ausdehnung weit übertraf; es wurden nämlich am Plettenberg in Folge der damaligen lange andauernden nassen Witterung die am Fuß des Bergs lagernden Impressathone erweicht und schlüfrig gemacht, so daß diese sich gegen das Thal vorschoben und sodann der über ihnen lagernde untere geschichtete weiße Jura in gewaltiger Wucht nachstürzte. Hiedurch entstand eine großartige Verwüstung, die sich allein auf der Markung Rathshausen beinahe über 300 Morgen Wald und Feld und auf der anstoßenden Markung Schömberg über etwa 40 Morgen Waldungen erstreckte, wobei die gerutschte Masse sich an einzelnen Stellen über 3000′ weit gegen das Thal hin vordrängte. Es wurden dabei ganze Waldstrecken vorwärts geschoben, wobei die Tannen theilweise aufrecht stehen blieben, andere eine schiefe gegen den Berg geneigte Stellung einnahmen oder gänzlich umstürzten. Ein großer Theil der Felder wurde von den thonigen Schlammmassen und von Felstrümmern dermaßen überlagert, daß man die Abgrenzungen der Güterstücke nicht mehr erkennen konnte. Neben dem großen Schaden, den die Erdrutsche an Feld und Wald verursachte, war die Befürchtung der Einwohner von Rathshausen, die Rutsche möchte sich bis zum Ort erstrecken und diesem seine Zerstörung bringen, eine sehr große. Die k. Regierung hatte daher den Finanzrath Paulus beauftragt, sich eiligst an Ort und Stelle zu begeben und Vorkehrungen zu treffen, einem weiteren Vordringen der Rutsche zu begegnen; es wurden alsdann auf Kosten des Staats die herausdringenden, aufweichenden Gewässer mittelst Känern gefaßt und weiter geführt, wie auch die verschütteten Quellen wieder aufgesucht und denselben neue Abläufe verschafft, wodurch dem Weiterrutschen Einhalt gethan wurde (s. auch die Oberamtsbeschreibung von Rottweil S. 500 ff.). Nach den durchaus abnormen Terrain- und geognostischen Verhältnissen zu schließen, müssen am westlichen Abhange des Plettenbergs schon öfters mehr oder minder bedeutende Erdrutschen stattgefunden| haben, auch werden sich ohne Zweifel später derartige Vorkommnisse wiederholen.

Die klimatischen Verhältnisse der Gegend sind beträchtlich milder als auf dem Heuberg und gestatten noch den Obstbau, während feinere Gewächse nicht gut gedeihen. Frühfröste schaden häufig, dagegen kommt Hagelschlag selten vor.

Die Landwirthschaft wird mit Anwendung des Wendepflugs, so gut als es die natürlichen Verhältnisse erlauben, mühsam und fleißig betrieben, und zur Verbesserung des Bodens benützt man außer den gewöhnlichen Düngungsmitteln auch Gips und Asche. Zum Anbau kommen Dinkel, Haber, Gerste, viel Kartoffeln, Futterkräuter, Flachs und Hanf. Die Wechselwirthschaft ohne Brache ist die allgemein eingeführte Betriebsweise. Die Felderzeugnisse befriedigen das örtliche Bedürfniß nicht vollständig, so daß noch manches, namentlich Getreidefrüchte, von außen zugekauft werden muß. Die durchaus zweimähdigen, nicht wässerbaren Wiesen liefern ein mittelmäßiges, theilweise saures Futter, das im Ort verbraucht wird. Die Obstzucht beschäftigt sich hauptsächlich mit rauhen Kernobstsorten, auch pflanzt man ziemlich viel Zwetschgen; das Obst wird meist für den eigenen Bedarf gedörrt und nur in günstigen Jahrgängen kann ein kleiner Theil des Zwetschgenertrags nach außen verkauft werden. Die Jungstämme bezieht man theils aus der örtlichen Baumschule, theils von Dotternhausen und Reutlingen. Ein Baumwart ist aufgestellt.

Die Gemeinde besitzt etwa 300 Morgen Nadelwaldungen; von deren jährlichem in 225 Klaftern und 600 St. Wellen bestehendem Ertrag erhält jeder Bürger 1/2 Klafter und nebenbei noch von dem Erlös aus Nutzholz einen Geldantheil. Überdieß fließen etwa 200 fl. von dem Erlös in die Gemeindekasse. Auch bezieht die Gemeinde aus 50 Morgen Weide nebst der Herbstweide 200 fl. Pachtgeld, aus der Pferchnutzung 60 fl. und aus 5 Morgen Gemeindegüter 50 fl.

Die mit einer Simmenthalerrace sich beschäftigende Rindviehzucht ist in gutem Zustande und wird durch 3 Farren von gleicher Race nachgezüchtet. Der Handel mit nachgezogenem und entbehrlich gewordenem Vieh ist ziemlich beträchtlich. Auf der Markung läßt ein fremder Schäfer 250 Bastardschafe den Sommer über laufen. Die Schweinezucht ist von keinem Belang.

Von Anstalten nennen wir außer der Volksschule noch eine Zeichenschule und eine Industrieschule. Eine Kirchenstiftung mit etwa 2500 fl. ist vorhanden.

| Etwa 1/8 Stunde südöstlich vom Ort kommen die Flurbenennungen „Kernhausen“ und „alter Hof“ vor, was auf einen abgegangenen Wohnplatz hindeutet; nach der Sage soll hier die Kirche und das Meßnerhaus gestanden sein.

Zu der Gemeinde gehört:

Eine Mühle mit 3 Mahlgängen und einem Gerbgang, 1/16 Stunde unterhalb Rathshausen an der Schlichem gelegen.

Rathshausen, früher auch Raulßhusen, Raltshausen geschrieben, kommt das erste Mal vor, als den 25. Mai 1371 Gr. Rudolf III. von Hohenberg hiesige Gülten an seine Gemahlin Ida von Toggenburg verpfändete (Schmid, Urkb. 574). Es war überhaupt hohenbergisch-österreichisch und noch die Jurisdiktionstabelle vom J. 1804 nennt sämtliche Rechte allhier als österreichisch (vrgl. auch oben S. 279).

In der Hohenberger Erneuerung vom J. 1582 wird die Herrschaft als Kollator einer hiesigen Kaplanei mit dem Nominations- und Präsentationsrecht aufgeführt, allein wegen Geringfügigkeit der Einkünfte wurde diese letztere von 1603 an unbesetzt gelassen[1] und die Gemeinde zunächst durch Kapläne von Schömberg und Weilen abwechselnd versehen. Im J. 1698 stiftete Caspar Reiser, Kämmerer zu Benzingen, ein Kapital von 1500 fl. zum Aufenthalt eines eigenen Kaplans allhier, richtete ein Kaplaneihaus auf und verordnete zu dessen Erhaltung 170 fl., wozu noch Vogt, Richter und Älteste des Fleckens einen Zuschuß gewährten. Darauf befand sich allhier ein sog. Lokalie, allein den 23. April 1788 wurde dieselbe zur Pfarrstelle erhoben, im J. 1790 auch der Bau einer neuen Kirche genehmigt, allein in den Kriegsläufen der Zeit unterblieb derselbe und so wurde erst in den J. 1821/23 Kirche, Pfarrhaus und Scheuer erbaut.

Der große Zehente gehörte nach der genannten Erneuerung, abgesehen vom Widdumgut, zu 3/9 der Herrschaft Österreich, zu 5/9 der Pfarrei Schömberg, welche den 27. Apr. 1729 dem Chorherrnstift zu Waldkirch einverleibt wurde, zu 1/9 der Stadt Schömberg, welche im J. 1822 auch den stift-waldkirchischen Antheil von Baden, dem das Stift im J. 1805 zugefallen war, kaufte; der kleine stund der Pfarrei Schömberg (später Waldkirch, Baden, der Stadt Schömberg) zu.



  1. Im März 1655 wurde übrigens eine für den Ort bestimmte Glocke durch den St. Georger Abt Gaisser geweiht (Mone, Quellensamml. 2, 519).


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