« Kapitel B 25 Beschreibung des Oberamts Rottenburg Bericht »
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26. Wurmlingen,

in ältern Urkunden auch Wormelingen, Wurmeringen geschrieben, kath. Pfarrdorf, 1 St. von Rottenburg im Neckarthal, zum Theil eben, zum Theil etwas erhöht gelegen, so daß sich von ferne der Ort als in zwey Dörfer getheilt darstellt, mit 1019 Einw. Die Lage des Ortes ist sehr angenehm und gewährt reizende Aussichten; besonders reich sind Aus- und Fernsichten auf dem kegelförmig erhöhten Berge, mit einer Kapelle und dem Gottesacker um sie. Die Gegend liegt wie eine ungeheure Landkarte, in der die Gränzlinien der Feldungen nicht nur, sondern selbst einzelner Grundstücke unterschieden werden können, im Neckar- und Ammerthale ausgebreitet vor den Augen, während die umkränzenden Berge weithin in die Ferne sich plastisch erheben, und zuletzt sich in blauen Duft verschwimmend verlieren.

Die Einwohner ernähren sich weniger durch Gewerbe, als durch den sehr beträchtlichen Acker- und Weinbau, auch gewährt das Gypsgraben hier einen bedeutenden Nahrungszweig[1], sie sind nicht mittellos, sparsam, doch schleicht sich in ganz neuer Zeit ein Geist der Zwietracht in diese Gemeinde, | die nachtheilig auf die Ordnung und den häuslichen Sinn der Einwohnerschaft einwirkt.

Den Großzehnten bezieht der Staat zu 5/6, und voraus 63 Sch. Dinkel, die Universität Freyburg zu 1/6, den Kleinzehnten 1/2 der Staat (früher Kreuzlingen) und 1/2 die Universität, ebenso den Heuzehnten, den Weinzehnten größtentheils der Staat, den Rest die Universität etc. Einen kleinen Antheil am Großzehnten hat die Heiligenpflege. Zehentfrey sind 445/8 M. Äcker, und 1401/2 M. Wiesen und 2 M. Weinberge, so wie der Klee durchgängig in der Brach[2].

Es gab in ältesten Zeiten ein adeliches Geschlecht, das sich von Wurmlingen benannte. 1225 wird in einer Urkunde des Stifts Kreuzlingen unter den Zeugen Dictericus de Wurmelingen aufgeführt, so wie auch Rodolf Sacerdos vice plebanus in Wurmelingen, 1247 starb Agnes von Wurmlingen zu Sindelfingen. Unter den Chorherrn dieses Stiftes kommen die von Wurmlingen häufig vor, besonders Conrad von Wurmlingen und seine Brüder Reinhard, Walter und Veit, 1269–1277. 1317 kommt in dem Bestätigungsbrief der Freyheiten des Klosters Bebenhausen durch die Grafen Wilhelm, Heinrich und Gottfried von Tübingen, unter den Zeugen auch Ott von Wurmlingen vor. Auch andere alte adeliche Geschlechter hausten in Wurmlingen, darunter die Mörhilden, die Ammann, Bresteneggen, und später die Ow und Megenzer. Es scheint die von Wurmlingen und die Mörhilden, so wie die Amann und die von Brestenegg, seyen je ein Geschlecht gewesen, wenigst nennt sich 1277 Dictericus der Mörhild zu Wurmlingen, und in einer | anderen Urkunde von 1301 eben so Dictericus dictus Merchelt de Wurmlingen[3]; nach allen Urkunden haben dagegen die Amann die Burg Brestenegg zu Wurmlingen erbaut und früher besessen, sich auch häufig Ammann von Brestenegg geschrieben.

Diese beyden alten Geschlechter scheinen sich auch von den ältesten Zeiten her in das Dorf getheilt zu haben, indem sich dort auch zwey Burgen befanden, eine im Dorfe, welche den Möhrhilden, also dem alten Geschlechte von Wurmlingen gehörte, und die außer dem Flecken gegen nordwest, Brestenegg genannt, welche früher den Ammann eigen war. Beyde Theile waren Besitzungen der Grafen von Hohenberg, und nachmals von Östreich. Herzog Leopold versetzte 1393 Benzen von Bahingen das Dorf. Zu Zeiten Herzog Friedrichs war eine Hälfte an Merk von Ow, als Träger von Grethen des Schaalers Wittwe, die andere Hälfte an Otto von Wurmlingen d. j. verliehen. 1459 empfängt Merklin von Ow, von Erzherzog Albrecht, im Namen der Kinder des Hans von Ow, die Veste daselbst. Von denen von Ow kam diese 1475 an die Megenzer von Velldorf, und dieselben wurden 1478 damit belehnt; sie blieben im Besitz bis 1675, wo das Lehen an die Freyherrn von Hohenberg, 1731 an Gaudenz von Rost, und von diesen erst als Lehen, dann als Pfand an die von Raßler kam; nachher wurde es ausgelöst und verblieb Östreich.

Vorzüglich war das Kloster Kreuzlingen seit den ältesten Zeiten, nach Urkunden schon 1185, im Besitz vieler Güter und Gefälle. Es scheinen der Kirchensatz auf dem Wurmlinger Berg, so wie die gestifteten Gefälle von einem Grafen Anselm von Calw zur Abhaltung eines Jahrtags alldort, | diesem Kloster inkorporirt geworden zu seyn, 1192 übernimmt K. Heinrich VI. die Advokatie neben anderer Besitzungen des Klosters Kreuzlingen, auch die von Wormelingen, welche schon früher seinem Urgroßvater, Herzog Welf, und seinem Bruder Friedrich, Herzog von Schwaben, welcher im Verlauf des christlichen Kreuzzuges, zugleich mit seinem Vater umgekommen, zugestanden. 1213 war ein Zwist zwischen Theoderich Abt von Kreuzlingen als Plebanus in Wurmlingen und Hermann Plebanus in Sulken (Sülchen) über Zehnten in Pfaffenberg und Legimansberg. 1226 verpflichtet sich Albert Graf von Rottenburg gegen K. Heinrich VII. zu Ulm zum Ersatz des dem Kloster Kreuzlingen im Nechirgo, (Neckargau) und namentlich auch zu Wurmlingen zugefügten Schadens an Leuth und Gut.

Diese und andere das Kloster Kreuzthal betreffende Nachrichten, insbesondere eine Menge Schenkungen, Käufe, Belehnungen etc. von einzelnen Gütern zu Wurmlingen kommen in einem Manuskript, betitelt: Archivum Wurmlinganum, 1773 aus den Urkunden des Klosters Kreuzlingen, von Joh. Bapt. Lechner p. t. Archivario vor.

Das Vogtrecht über die Güter des Klosters in der Umgegend stund früher den Grafen von Hohenberg, nachmals Östreich zu. Das Kloster von Kreuzlingen hatte in den ältesten Zeiten Geistliche aus seinem Kloster auf den Berg, zum h. Remigius, daher auch Remigiberg genannt, wo die Pfarrkirche und Wohnung stund, gesendet. Diese verwalteten die Güter, und besorgten zugleich den Gottesdienst; doch war auch eine Frühmeßstiftung oder Kaplaney zum heil. Brictius im Dorfe. Später wurden auch Weltpriester als Pfarrer zu Wurmlingen angestellt. Nach dem dreyßigjährigen Kriege, während welchem Wurmlingen vieles erduldete, wurden auch die Kirche auf dem Berge und die Pfarrgebäude niedergebrannt, 1682 aber wieder hergestellt und 1685 eingeweiht, und wieder ein Klostergeistlicher von Kreuzlingen als Pfarrer aufgestellt. So blieb es bis auf die neueste Zeit, wo seitdem durch Würtemberg die Güter, welche schon unter | Östreich sequestrirt wurden, inkammerirt, und auch vom Staate der Pfarrer ernannt worden. Die Kirche auf dem Berge ward bis zur neuesten Zeit als Pfarrkirche betrachtet, und die Kirche im Ort nur als Filialkirche; als diese jedoch ganz baufällig ward, auch die Einwohner nicht mehr faßte, und geschlossen werden mußte, die Kapelle auf dem Berge jedoch zu klein, zu weit entfernt und zugleich baufällig erfunden ward, wurde der Gottesdienst in einer Scheuer mehrere Jahre gehalten, bis endlich die neue Kirche (im Orte) in gutem Style, und ziemlich groß 1820 erbaut, und 1821 von Joh. Baptist, Bischof von Evara, General-Vikar zu Rottenburg eingeweiht wurde. Der Bau ward vom Staat als Besitzer des größten Theils des Zehnten, unter Concurrenz der Universität Freyburg, als Mitzehentherrn aufgeführt. Die Kapelle auf dem Berg, eine Zierde für die Gegend, wurde von der Gemeinde Wurmlingen freywillig in baulichen Stand hergestellt. Die Baulast und der Unterhalt am Pfarrhaus, welches als Kreuzlinger Pfleghof längst im Dorfe erbaut war, liegt dem Staate ob. Merkwürdig dürfte noch die Jahrtagsstiftung auf dem Berge seyn. Es soll dieselbe schon 1050 durch Anselm Grafen von Calw, der auch hier begraben sey, gemacht worden seyn. Nach Angabe mehrerer Urkunden, wovon die älteste von 1348 durch Dekan Berthold zu Poltringen gefertigt ist, soll die Jahrzeit am Dienstage nach Allerseelentag gehalten werden. Da diese Stiftung schon vielfach abgedruckt worden, und namentlich in Crusius 3. Thl. 2. Bd. 17. Kap. und Haßler s. S. 71–77, so begnügen wir uns von diesem seltsamen Denkmal des damaligen Zeitgeistes nur einen kurzen Auszug zu geben. Am Vorabend hat sich der Kammerer mit seinem Waibel auf den Berg zu begeben, und alle Dienstleute in Eid und Pflicht zu nehmen. Ein Wagen mit dürrem Holz und einem Sack mit Kohlen, ein Fuder Heu, und oben darauf eine haselbraune Gans und einen dreyjährigen Stier, auch ein drey-, ein zwey- und ein einjähriges Schwein sollen auf den Berg gebracht werden; auch | dreyerley Weine, wenn man nicht drey-, zwey- und einjähriges Bier haben kann; ferner dreyerley Brod. Die benachbarten Pfarrer sollen sich Morgens zu Fuß oder zu Pferd in ihren Kuzenkappen mit ihren Meßnern auf den Berg begeben, und so ihnen ein ehrbarer Mann begegnet, sollen sie ihn mit zu Gast nehmen. Auf dem Berge sollen ihre Pferde an das Fuder Heu mit einem neuen Strick gebunden, und denselben ein neuer Kübel mit einem Viertel Haber vorgestellt werden, welche Geräthe die Meßner mit sich nach Haus nehmen mögen. So ein Pfarrer zu spät, oder gar nicht käme, soll er um einen Scheffel Korn gebüßt werden. Die sämmtlichen Geistliche begeben sich dann in ihren Kuzenkappen, jedoch ohne Sporn, in die Kirche, und verrichten die Vigil und Seelenmeß. Nach dem Libera geht der Dekan mit der Stole vor den Chor, legt die beyden Enden der Stole über die beyden Ältesten, und der Kammerer verliest die Stiftung, legt den Eid dem Dekan zur Vollbringung derselben ab, und ladet dann alle Gehörige zur Tafel. Dann heißt er die Sundersiechen um die Stierhaut sitzen, zugleich befiehlt er nun anzurichten. So bald die Herren niedergesessen, schneidet der Kammerer oben in ein Weißbrod ein Loch, und geht mit demselben umher, und jeder hat einen Pfenning einzulegen, das Brod bringt er nun den Sundersiechen, die auf der Stierhaut unten sitzen. Nun wird aufgetragen: zuerst die Schweinsköpfe gebraten oder geröstet, dann die Kräglin und Mäglin, dann versotten Hennen mit guten Stücken Fleisch; dann Sulzfisch mit gelber Brühe, ferner Ir zwayer Herren ein gebraten Gans, in der Gans ein Huhn und in dem Huhn eine Bratwurst. Zuletzt gibt man Trauben, Braten, Käß, Obst u. s. w. Nach einer jeden der angegebenen Trachten wird immer frisch Brod und Wein aufgestellt, auch Alles, was nicht geessen und getrunken wird, jedesmal so wie es abgetragen wird, den Sundersiechen gegeben. Wenn der Imbiß aus ist, so nimmt man was übrig bleibt, von Fleisch, Speck, Schmeer, Unschlitt, roh oder gekocht, und gibts den armen Leuten, die sonst daher kommen. | Die Speisung der armen Leute, über Obgenanntes soll seyn ein Pfefferbrüh und Fleisch, und jeglichem ein Brod und ein Krausen mit Wein. Dem Pedellen gibt man Speck, Schmeer und Fleisch, ungefährlich zimblich.

Auf die Nacht dem Hausgesinde nachdem Ihrer sind, ein Knollen Fleisch, daß sie zu essen haben. Item 10 Schilling pro Valete. Wann aber Sach were, daß die Herren von dem Kapitel alle, oder der Mehrere Thail Klag hätten von dem Dienst, das Inen nit beschehen oder gethan were, daß sy begnügt, so soll der eltest Herr von Calw stehen uf seinem Roß in syner Stegräffen, und sol ein güldin Pfenning schnellen gegen dem Gotteshaus, und sollen Im denn alle Gueter, die zu dem Seelengeräth geheren, ledig syn, und sol dann derselbig Herr von Calw von dem Capitul diesen Dienst und Seelgeredt geben in aller Wyß, als hievor benannt ist.

Diese Stiftung bestand bis auf die neueste Zeit, während den ersten Zeiten der Reformation in unserer Gegend fanden sich selbst evangelische Pfarrer dabey ein, was zu manchen Irrungen Anlaß gab, worauf dieselben wegblieben, noch heut zu Tag wird durch die Pfarrer der Nachbarschaft jährlich diese Stiftung mit Todtenvigil, Seelenämtern und Vesper am Dienstage nach der allgemeinen Kirchenweihe im Oktober gehalten, und jeder erhält für diese Mahlzeit 6 fl.



  1. Der Ort hat auch 2 Gypsmühlen. A. d. H.
  2. Die Zehnten des Staats sind auf 9 Jahre (bis 1827) an die Gemeinde um jährliche 115 fl. Geld, 186 Sch. Dinkel, 25 Sch. Haber, 65 Sch. Gerste und 3 Fdr. 48 Bd. Stroh verpachtet. Die zehentfreyen Wiesen liegen im Ammerthal und bilden dort mit einigen Morgen Äckern einen besondern, zwischen dem Ammerhof und Jesingen gelegenen Bezirk. S. die Karte und S. 1. Die Häuser, welche ehemals zum Stift Kreuzlingen gehörten, entrichten auch den Blutzehnten, und zwar an den Staat. A. d. H.
  3. Einen Beweis, daß die Mörhild und Wurmlingen Eine Familie waren, liefert auch die in einer Handschrift enthaltene Nachricht: „Einen Jahrtag im Carmeliterkloster zu Rotenburg haben im März Dietrich Merhild Ritter; Christina Merhildin uxor; Werner Merhilt der Schultheiß et conjux ejus; Renhard von Wurmlingen sein Vater etc. A. d. H.
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