Beschreibung des Oberamts Herrenberg/Kapitel B 11
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Am Fuß des Grafenbergs[1], der einen Vorsprung der Schönbuchsterrasse bildet, liegt eine Stunde südöstlich von der Oberamtsstadt, das in die Länge gebaute, meist aus kleinen Gebäuden bestehende Pfarrdorf, dessen reinlich gehaltene Ortsstraßen durchaus gekandelte sind. Die Lage des Orts ist eine sanft geneigte und gegen die Nord- und Ostwinde durch die Schönbuchsterrasse geschützte, daher auch im Frühjahr die Vegetation früher ist als in den Gäuorten, das Obst aber durch die nicht selten sich einstellenden Frühlingsfröste öfters leidet. Hagelschlag ist selten, und nur wenn Gewitter von Osten her über den Schönbuch ziehen, richten dieselben in der Regel Schaden an.
An dem südlichen Ende des Orts steht die ansehnliche Pfarrkirche mit ihrem stark ummauerten, ehemals festen Begräbnißplatz, der nun, nachdem im Jahre 1832 ein neuer außerhalb des Orts angelegt wurde, als Baumschule benützt wird.
Sie wurde an der Stelle der früheren Kapelle im Jahr 1487 im germanischen Styl erbaut, der übrigens im Laufe der Zeit durch vorgenommene Veränderungen theilweise zerstört worden ist; jedoch hat sich der mit einem halben Achteck schließende Chor mit seinen| Strebepfeilern und germanisch gefüllten Spitzbogenfenstern bis jetzt unverändert erhalten. Der viereckige Thurm, welcher früher zur Vertheidigung diente, und älter als die gegenwärtige Kirche ist, besteht aus zwei hohen, aus Stein erbauten Stockwerken, denen in neuerer Zeit ein drittes hölzernes aufgesetzt wurde, das ein hohes achteckiges Zeltdach trägt. Von den zwei auf denselben hängenden Glocken trägt eine die Namen der vier Evangelisten und die Jahreszahl 1453, die andere wurde 1826 gegossen. Im untern Stockwerke des Thurmes befindet sich die Sacristei mit einem Kreuzgewölbe, auf dessen Schlußstein das württemb. Wappen angebracht ist. Das Innere der Kirche ist hell, geräumig, flach getäfelt und mit schlecht bemalten Emporen versehen; außer einem sehr alten Taufsteine und einigen im germanischen Geschmack einfach geschnittenen Chorstühlen enthält sie nichts Bemerkenswerthes. Das Chor ist mit einem schön construirten Netzgewölbe gedeckt, dessen stark hervorstehende Gurten von Consolen ausgehen, welche menschliche Köpfe, Engel u. s. w. darstellen. Auf den Gewölbeschlußsteinen sind in der Richtung von Westen nach Osten folgende Figuren angebracht: 1) eine durchbrochene Rosette, 2) Mathäus, 3) Marcus, 4) Lucas, 5) Johannes, 6) ein Engel mit den Marterwerkzeugen und 7) die Mutter Gottes. Die Kirche gehört der Stiftungspflege, welche sie auch im Bau zu unterhalten hat.Das freundliche, getünchte, gut erhaltene Pfarrhaus, welches 1748 erbaut wurde, steht an der Hauptstraße unfern der Kirche und bildet mit seinen Öconomiegebäuden, Hofraum, Garten etc. einen schön geschlossenen Pfarrsitz; es ist von der K. Hofdomänenkammer im Bau zu erhalten.
Ein ansehnliches, gut erhaltenes Schulhaus enthält neben der Volksschule die Wohnungen der Lehrer; ganz in der Nähe desselben steht das alte, aus solidem Eichengebälke erbaute Rathhaus; in der Rathsstube unterstützt eine schön gearbeitete Eichenholzsäule mit zierlich geschnitztem Kapitäl und der Jahreszahl 1550 die getäfelte Decke. In dem untern Stockwerk wurde im Jahre 1848 ein Gemeindebackhaus und eine Kleinkinderschule eingerichtet; eine sehr besuchte Industrieschule besteht seit 10 Jahren. Beide verdanken ihre Entstehung dem früheren Pfarrer Freihofer. Die Zehentscheuer hat die Gemeinde im Jahre 1850 von der K. Hofdomänenkammer um 250 fl. erkauft; die in der Nähe des Rathhauses stehende Kelter[2] wurde in neuerer Zeit in ein Schafhaus umgewandelt.
| Ein großer Übelstand für die Gemeinde ist der Mangel an gutem Trinkwasser, indem im Ort selbst nur ein 20 Klafter tiefer Zugbrunnen vorhanden ist, dessen Wasser zum Kochen nicht gebraucht werden kann und auch von den Pferden nicht gerne getrunken wird; da derselbe überdies bei anhaltender trockener Witterung versiegt, so wurde einige 100 Schritte südwestlich vom Ort 1841 ein Brunnen erbohrt, der das ganze Jahr hindurch Wasser liefert, das übrigens ebenfalls gipshaltig – und zum Kochen unbrauchbar ist. Das Kochwasser, welches meist zur Hälfte mit dem im Ort vorkommenden gemischt wird, muß daher 1/4 Stunde nordöstlich vom Dorfe an der sog. Steige – zuweilen auch in Altingen geholt werden. Auf den Fall von Feuersgefahr sind zwei Wetten im Ort und zwei außerhalb desselben angelegt, die übrigens bei heißer Witterung austrocknen und dann unangenehm ausdünsten; außer diesen haben mehrere Ortseinwohner zum Viehtränken Wasserbehälter angelegt, die sie mittelst der Dachtraufe füllen.Auf dem Schönbuch, etwa 1/4 Stunde östlich vom Ort, an dem Weg nach Bebenhausen, liegt ein kleiner See, an dem häufig gewaschen wird, besonders wenn in dem Ort selbst Mangel an Wasser eintritt. In der Nähe des See’s stand ein Jägerhaus, welches vor etwa 22 Jahren abging.
Die Einwohner sind, vermuthlich in Folge des schlechten Wassers und des mühsam zu bebauenden Bodens, körperlich etwas unansehnlicher, als die Gäubewohner, wie denn bei denselben, neuerlich jedoch seltener, Spuren von Kretinismus hervortreten, andere Krankheiten indessen weniger vorkommen. In sittlicher Beziehung stehen die Einwohner denen der Gäuorte nicht nach, sie zeigen im Allgemeinen einen eisernen Fleiß, verbunden mit Sparsamkeit und vielem religiösem Sinn. Ihre Vermögensumstände gehören nicht zu den besten, die Mehrzahl ist unbemittelt. Der begütertste Bürger besitzt 30 Morgen Felder. Die Haupterwerbsquellen sind Feldbau mit etwas Viehzucht, und Obstbau, welcher in großer Ausdehnung betrieben wird.
Die Markung ist klein, und ihre Erzeugnisse würden nicht reichen, die ziemlich starke Bevölkerung zu ernähren, wenn nicht die Einwohner viele Güter auf den Markungen Altingen und Gültstein angekauft hätten. Die Figur der Markung ist sehr unregelmäßig, indem sich ein Theil der Gemeindewaldungen als ein schmaler, gekrümmter Streifen tief in den Schönbuch hineinzieht, weßhalb die Markung auf eine seltsame Weise folgendermaßen von andern Markungen begrenzt wird und zwar gegen Norden von Mönchberg, Gültstein, Herrenberg und Hildrizhausen, gegen Osten| von Altdorf (O.A. Böblingen) Breitenholz und einer zu der Markung Altingen gehörigen Waldparcelle, gegen Süden von Altingen und gegen Westen von Gültstein.Die Güter liegen ziemlich uneben theils an dem steilen Hang der Schönbuchsterrasse, theils an den Ausläufern derselben und haben im Allgemeinen einen schweren, hitzigen, mühsam zu bauenden Boden, dem der Keupermergel mit Gips als Unterlage dient. Sie liefern übrigens, wenn Dünger und Regen nicht fehlt, reichlichen Ertrag, besonders an Obst, vorausgesetzt, daß demselben der Frost zur Zeit der Blüthe nicht geschadet hat.
Die Landwirthschaft wird im Dreifeldersystem mit zu 1/10 eingebauter Brache so gut als möglich betrieben, und landwirthschaftliche Neuerungen, wie die Einführung des Flanderpflugs und die Anwendung der Walze haben Eingang gefunden; die Düngerstätten sind noch nach alter Weise angelegt, übrigens wird die Gewinnung und Benützung der Jauche immer häufiger. Außer dieser und dem gewöhnlichen Stalldünger bedient man sich zur Besserung des Bodens noch des Pferchs und des Gipses. Letzterer wird in mehreren Gruben auf der Markung selbst abgebaut und in sechs durch Pferde getriebenen Gipsmühlen gemahlen, um nicht nur das eigene Bedürfniß zu befriedigen, sondern hauptsächlich um Handel in der Umgegend damit zu treiben, was mehreren Familien ihr spärliches Auskommen sichert[3].
Von den gewöhnlichen Cerealien werden hauptsächlich Dinkel und Hafer, weniger Gerste, selten Einkorn und noch seltener Roggen gebaut; der Anbau von Erbsen ist ganz unbedeutend. Die Brache wird hauptsächlich mit dreiblättrigem Klee und Kartoffeln angeblümt – letztere kommen übrigens auch im Haferfeld häufig zum Anbau. Auf den Morgen rechnet man Aussaat 7 Simri Dinkel, 4 Simri Hafer und 3 Simri Gerste; der durchschnittliche Ertrag wird zu 7–8 Scheffel Dinkel, 5–6 Scheffel Hafer und 4–5 Scheffel Gerste angegeben. Die höchsten Ackerpreise sind 250 fl., die mittleren 180 fl. und die geringsten 80–100 fl. per Morgen. Der Verkauf von Früchten nach Außen ist nicht beträchtlich.
Die Wiesen, welche nicht bewässert werden können, erzeugen ein gutes, nahrhaftes Futter, erlauben aber wegen des hitzigen Bodens in ganz trockenen Jahrgängen nur einen Schnitt. In günstigen Jahren erträgt ein Morgen 25 Centner Heu und 8–10 Centner| Öhmd. Die Preise eines Morgens Wiese bewegen sich von 250–400 fl.Der Weinbau, welcher früher sehr ausgedehnt war, wird nur noch auf etwa sechs Morgen betrieben und liefert ein geringes Erzeugniß, das nur in ganz günstigen Jahren mittelmäßig wird und im Jahre 1846 um 36 fl. per Eimer verkauft wurde. Die Bauweise ist die gleiche, wie die des Unterlandes, und die Preise eines Morgens bewegen sich von 80–100 fl., was den sichersten Maßstab für die Ertraglosigkeit derselben abgibt.
Um so bedeutender ist die Obstzucht, welche in großer Ausdehnung mit musterhaftem Fleiß getrieben wird. Nicht nur die Straßen und Wege, sondern auch die ehemaligen Weinberge und viele Äcker, wie auch die um das Dorf liegenden Grasgärten sind mit Obstbäumen bepflanzt, so daß der Ort gleichsam in einem Obstwald versteckt liegt. Es werden Luiken, Fleiner, Knausbirnen, Palmischbirnen, Wadelbirnen, Kohlbirnen, (welsche Bratbirnen); von Tafelobst Reinetten, Rosenäpfel, Bietigheimer etc. gezogen. Von den Steinobstsorten sind es hauptsächlich Kirschen und etwas Zwetschgen, welche häufig gezogen werden. Das Obst wird theils gemostet, theils an Händler oder in die Schwarzwaldgegenden verkauft und bildet eine namhafte Erwerbsquelle. Das Mißrathen desselben übt daher den nachtheiligsten Einfluß auf die ohnehin ziemlich unbemittelten Einwohner.
Aus 140 Morgen Gemeindewaldungen, in denen die Buche vorherrscht, werden gegenwärtig alle drei Jahre etwa 30 Klafter und 600 Stück Wellen geschlagen und unter die Bürgerschaft vertheilt, so daß ein Bürger 1/4 Klafter und 8 Stück Wellen erhält.
Außerdem besitzt die Gemeinde 15–20 Morgen Weiden, welche nebst der Brach- und Stoppelweide an einen Schäfer verpachtet sind, der etwa 200 Stück Bastardschafe hält und jährlich 90–100 fl. Pacht bezahlt, woneben der Erlös aus der Pferchnutzung in die Gemeindekasse fließt.
Die Rindviehzucht ist gut; eine rothgelbe Landrace wird durch zwei tüchtige Landfarren, die ein Bürger gegen Entschädigung von 80 fl. hält, nachgezüchtet. Mit Schmal- und Mastvieh wird auf benachbarten Märkten einiger Handel getrieben. Schweine werden als Ferkel meist von Tübingen und Weil der Stadt bezogen und gemästet zum Theil wieder verkauft, zum größeren Theil aber in’s Haus geschlachtet.
Von der Geflügelzucht kommen nur Hühnereier nach Außen zum Verkauf.
Die Gewerbe dienen, mit Ausnahme der schon angeführten| Gipsmühlen, nur den nöthigsten örtlichen Bedürfnissen, auch wird als Nebengewerbe Handspinnerei für den Hausbedarf betrieben. Im Ort befinden sich ein Krämer und drei Schildwirthschaften.Bei geringem Kapitalvermögen und einiger Schuldenlast der Gemeindepflege sind jährlich etwa 800 fl. Gemeindeschaden umzulegen (s. Tab. III). Das Vermögen der Stiftungspflege beträgt etwa 5000 fl., worunter 700 fl. 30 kr. begriffen sind, deren jährliche Zinsen theils an Ortsarme ausgetheilt, theils zu Schulbüchern und Schulgeldern für unbemittelte Kinder verwendet werden.
Nördlich vom Ort am Saume des Waldes ist ein Stubensandsteinbruch angelegt, der theils der Gemeinde, theils Privaten gehört.
Bis zur Ablösung der Grundlasten bezog die K. Hofdomänenkammer den großen Zehenten; den kleinen Zehenten hatte die Pfarrei Altingen.
In kirchlicher Beziehung war Kayh ursprünglich Filial von Altingen und besaß nur eine eigene, der hl. Maria geweihte Kapelle und an derselben einen Kaplan, die Verstorbenen aber mußten bis 1434 nach Altingen beerdigt werden. Erst im Jahre 1487 wurde die Kaplanei zu einer Pfarrkirche erhoben und mit einem hohen Altar versehen, so daß sowohl ein besonderer Leutpriester, als auch ein Kaplan bestellt wurde. Nach Einführung der Reformation wurden die evangelischen Einwohner von dem paritätischen Ort Altingen Filialisten von Kayh. Der erste evangel. Pfarrer war Conrad Schreyvogel von 15..–1557. Die Besetzung der Pfarrei steht der Krone zu (vor der Reformation dem Kloster Bebenhausen).
Etwa 1/4 Stunde südlich vom Ort wird unfern der Landstraße eine Flur „auf dem Schloß“ genannt.
Der Ort, alt geschrieben Gahai (im 12. Jahrhundert), Gihai (1289), Gehei, kommt im 12. Jahrhundert vor; sein Name ist ursprünglich ein Appellativ, welches gehegtes Holz, gehegte Wiese bedeutet.
Er gehörte ursprünglich den Pfalzgrafen von Tübingen, aus Verbindungen, mit welchen wohl auch der anderweitige Mitbesitz herrührt.
An Württemberg gelangte am 10. Febr. 1382 mit Herrenberg der Ort mit seinen Einkünften (Schmid 503).
Hiesige Weinberge veräußerte Pfalzgraf Rudolf II. um 1292 zeitweise an den Schultheißen Heinrich von Rottenburg, dauernd im Jahre 1298 an das Kloster Bebenhausen (Schmid 267), andrerseits erkauften die Pfalzgrafen Rudolf III. und Konrad I. hiesige Leibeigene| im Jahre 1326 von Hugo von Hailfingen (Schmid 413) und im Jahre 1327 von Hugo dem jungen von Hailfingen (Schmid Urk. 156). Wiederum verpfändete Pfalzgraf Konrad II. im Jahre 1379, freilich nicht auf lange, das Dorf an Anselm von Hailfingen (Schmid Urk. 189).Bei der Theilung in der pfalzgräflichen Familie im Jahre 1334 fiel Kayh mit der Vogtei, Gericht, Zwing und Bänn, mit Leut und Gut, auch Weinbergen an Pfalzgraf Konrad I., welchem somit hiesige Häuser und Güter, die klösterlichen ausgenommen, zins- und steuerpflichtig wurden.
Von Klöstern hatte Ottobeuren wenigstens im 12. Jahrhundert einen zu seiner Probstei Altingen pflichtigen Zinsmann (Feyerabend Ottob. Jahrb. 2, 240). Reuthin erscheint im Jahre 1289 im Besitz hiesiger Weinberge (Schmid Urk. 85), Blaubeuren erhielt im Jahre 1312 einen Laienzehenten geschenkt und Bebenhausen gelangte zu einem erheblichen Besitz, worüber es mit dem Pfalzgrafen Konrad, als Grundherrn des Orts, Reibungen bekam (Schmid Urk. 174).
In Kayh hatte die Familie der „Laste“ einen ihrer Sitze (Schmid 413, 432, 475); Dietrich Last erkaufte im Jahre 1375 von Hans Herter von Dußlingen dessen Theil an der Vogtei und Weingülten in Kayh.
- ↑ Die Aussicht von dem Grafenberg gehört zu den reizendsten des Landes.
- ↑ Kayh hatte früher vier Keltern, von denen zwei der Kellerei, die andere dem Kloster Bebenhausen gehörten (s. Landbuch von 1624 S. 88 b).
- ↑ Früher wurde auch Alabaster auf der Markung gebrochen, namentlich ist aus solchem im Jahre 1718 der Altar in der neuen evangelischen Schloßkirche zu Ludwigsburg gefertigt worden.
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