« Kapitel B 28 Beschreibung des Oberamts Backnang Kapitel B 30 »
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).
|
Unter-Weissach,

Gemeinde II. Kl. mit 934 Einw., worunter 3 Kath. a. Unter-Weissach, Pfarrdorf mit Marktrecht, 762 Einw., b. Aichholzhof, Weiler, 36 Einw., c. Dresselhof, Weiler, 72 Einw. d. Sachsenweiler, Weiler, 45 Einw., e. Seemühle, Haus, 11 Einw., f. Untere Mühle, Haus, 8 Einw. – Ev. Pfarrei; die Kath. sind nach Ebersberg eingepfarrt. 1 Stunde südöstlich von der Oberamtsstadt gelegen. Der Ort ist der Sitz eines K. Revierförsters, eines Amtsnotars und einer Postexpedition.

Wo in das nordwestwärts ziehende, ziemlich flache, von schlanken Laubbäumen besetzte Weissachthal von Osten her das Brüdenbachthälchen einzieht, liegt weit zerstreut, in reicher Baumumschattung, mit seinem nördlichen Theile, wo die Kirche steht, ziemlich ansteigend und ins Brüdenthal sich hineinstreckend, der wohlansehnliche, reinliche und sehr freundliche Ort, mit meist stattlichen, oft städtisch gehaltenen Häusern.

Die Kirche, frei und hoch auf dem früheren, einst festen Friedhofe stehend, wurde im Anfang des vorigen Jahrhunderts durch einen Anbau vergrößert und hat jetzt ein höchst breites unförmliches Schiff mit zwei spitzbogigen Portalen gegen Westen; an einem derselben liest man 1555. Der aus frühgothischer Zeit stammende mächtige massive Thurm steht im Osten, und bildet mit seinem ersten Geschosse den Chor, der schöngefüllte Spitzbogenfenster zeigt. Der Thurm ist hoch, dreistockig, geht in vier Giebel aus und wird von sehr schlankem achtseitigem Zeltdache bekrönt. Im Innern hat das Schiff eine flache Decke, der Chor einen spitzen Triumphbogen und ein schönes altes Rippenkreuzgewölbe mit einer Rosette am Schlußstein. An den Wänden des Schiffes stehen Grabplatten aus dem 17. und 18. Jahrhundert, im Chor Reste von gothischen Chorstühlen; der Taufstein ist alt und hohl. Von den drei Glocken hat die größte einen bedeutenden Umfang, eine schlanke Form und die Umschrift in lat. Majuskeln: Aus dem Feyer flos ich. Johann David Stich in Stuttgart. Den 31. Tag Marz gos mich Anno 1600, und unten steht Gott. Fried. Stimel; die zweite viel ältere Glocke zeigt in goth. Minuskeln die Namen der vier Evangelisten, die dritte ist vom Jahr 1846. Die Unterhaltung der Kirche ruht auf der Stiftungspflege.

Der jetzige Friedhof, 1836 vergrößert, liegt außerhalb des Ortes und dient auch für Ober-Weissach.

Das Pfarrhaus, ein hübsches stattliches Gebäude aus älterer Zeit, steht nahe, nordwestlich an der Kirche auf hoher Terrasse in | freundlichem ummauertem Garten; seine Unterhaltung hat der Staat. Das ansehnliche 1817 neuerbaute Schulhaus enthält zwei Lehrzimmer und die Wohnung des Schulmeisters; außer ihm unterrichtet noch ein Lehrgehilfe. Das Rathhaus ist ein guterhaltenes Gebäude mit einem Glockenthürmchen auf dem First; über seinem Eingang steht 1612. In der Mitte des Orts liegt angenehm die gut gebaute, dem Staat gehörige Wohnung des Revierförsters. Eine Kelter mit einem Baume besteht.

Gutes Trinkwasser liefern stets reichlich im Ort 4 laufende und 9 Pumpbrunnen, in den Parzellen ein laufender, ein Zieh- und vier Pumpbrunnen. Das Wasser wird größtentheils in hölzernen, theilweise auch in eisernen und thönernen Deucheln hergeleitet. Die Markung ist sehr reich an kleineren, gutes Wasser führenden Quellen; von Bächen fließen darüber die Weissach, der Brüdenbach, der Dresselbach und der Hoblersbach. Im Frühjahr treten sie zuweilen aus, richten aber nur selten bedeutenden Schaden an, wie in den Jahren 1819, 1824 und 1827; im Jahre 1819 erreichte der Wasserstand eine Höhe von 7′ über der Erdfläche des Rathhauses, wo der damalige Stand bezeichnet ist.

Vicinalstraßen gehen von hier nach Backnang, Heiningen, Cottenweiler, Ober-Weissach und Unterbrüden. Im Ort befinden sich drei steinerne Brücken, zwei steinerne und ein hölzerner Steg, auf der Markung drei steinerne Brücken und ein hölzerner Steg; sie sind sämtlich von der Gemeinde zu unterhalten.

Die im allgemeinen wohlgeordneten Einwohner sind meist gesund und kräftig, und ansteckende Krankheiten, wie Schleimfieber, Nervenfieber u. s. w., kamen noch nie vor; über 80 Jahre zählen gegenwärtig 3 Personen.

Haupterwerbsquellen sind Feldbau, Viehzucht, Obstbau und etwas Weinbau. Von den Handwerkern arbeiten nur die Schreiner nach außen und namentlich auf die Stuttgarter Möbelmesse.

Dann bestehen eine Ziegelei, eine Säg-, Öl- und Gipsmühle mit Hanfreibe, ferner zwei Mahlmühlen mit je vier Mahlgängen und einem Gerbgang, die Seemühle und die Benzenmühle, dann 6 Schildwirthschaften und drei Kaufläden.

Ein Frachtfuhrmann ist im Ort und bringt von Backnang hieher und in die Umgegend den Kaufleuten ihre Waren.

Die Vermögensverhältnisse gehören zu den mittleren: der reichste Bürger besitzt 70, der Mittelmann 15, die ärmere Klasse 1 Morgen Grundeigenthum. Einige Ortsbürger haben Weinberge am Ebersberg sich angekauft. Ferner ist das 70 Morgen große sog. Seegut auf Cottenweiler Markung von der Gemeinde vom Staate gepachtet und größtentheils an Ortsangehörige wieder verpachtet. Gemeindeunterstützung erhalten 10–12 Personen.

| Die mittelgroße von Ost nach West in die Länge gedehnte Markung hat eine flachwellige von kleinen Thälchen mehrfältig durchzogene Lage und im allgemeinen einen fruchtbaren, meist aus Lehm bestehenden Boden, der im ganzen etwas naßkalt ist und zuweilen in einen Thonboden übergeht. Zwei Muschelkalksteinbrüche, welche Material für die Ziegelei und die Unterhaltung der Straßen liefern, sind vorhanden; auch bestehen zwei Lehmgruben.

Das Klima ist mild, doch wird die Gegend nicht selten von Frühlingsfrösten heimgesucht, dagegen gehört Hagelschlag zu den Seltenheiten.

Die Landwirthschaft wird mit vielem Fleiß gut und umsichtig betrieben und der Boden mittelst Düngersurrogaten und des in gut angelegten Düngerstätten fleißig gesammelten Stalldüngers und der Jauche stets zu verbessern gesucht. Der Brabanterpflug, die eiserne Egge und die Walze haben allgemeinen Eingang gefunden, auch die Repssämaschine ist im Gebrauch. Von den Cerealien baut man besonders Dinkel, der ganz gut gedeiht, dann Haber, Roggen, Gerste und Einkorn; über das eigene Bedürfniß können jährlich 1400 Schfl. Dinkel, 15 Schfl. Gerste, 300 Schfl. Haber nach außen verkauft werden. Überdieß kommen zum Anbau Kartoffeln, sehr viel Futterkräuter (dreiblättriger Klee, Luzerne, Esparsette, Wicken) Angersen, etwas Reps und Flachs, ziemlich viel Hanf, der auch wie der in neuerer Zeit etwas verbreitete Hopfenertrag nach außen verkauft wird.

Der Wiesenbau ist ausgedehnt und liefert ein gutes Futter; die Wiesen, von denen 10 Morgen bewässert werden können, sind zweimähdig. Von Weinbergen bestehen 25–30 Morgen; auf einen Morgen kommen 2400 Stöcke (meist Silvaner und Drollinger), die den Winter über bezogen werden; der Wein gehört zu den geringen und die Preise eines Eimers schwankten in den legten 10 Jahren von 20–60 fl. Die Obstzucht wird stark betrieben und ist im Zunehmen; man pflanzt hauptsächlich späte Mostsorten und Zwetschgen, weil das Frühobst öfters durch Fröste leidet. In günstigen Jahren kann ein Theil des Obstertrags nach außen abgesetzt werden.

Die für Schafe benützte Brach- und Stoppelweide ist gut und trägt der Gemeindekasse jährlich 660 fl., die Pferchnutzung 350 fl. ein.

Die Allmanden, bestehend aus den 1852/55 ausgestockten 150 Morgen Waldungen, sind größtentheils an die Bürger gegen eine geringe Entrichtung abgegeben oder auch verpachtet, und sichern der Gemeinde jährlich eine Rente von 470 fl. Dann besitzt die Gemeinde auch 32/8 Morgen Äcker und Wiesen, welche dem Farrenhalter zur Benützung überlassen sind.

Die Rindviehzucht ist in ziemlich gutem Zustande, man zieht Neckarschlag gekreuzt mit Simmenthaler; zwei Farren sind aufgestellt. | Viehhandel und Viehmastung findet statt; das Mastvieh geht nach Preußen, Frankreich und England.

Schafzucht treibt ein hiesiger Bürger, der auf der Winterweide 350–450 Stücke (Landrace) laufen läßt und im Ort überwintert.

Das Fischrecht in den beiden Bächen hat der Staat, der es gegen 1 fl. jährlich verpachtet; man fängt Forellen.

Es besteht die S. Agathen- und S. Sebastiansstiftung mit einem Vermögen von etwa 3500 fl., dessen Zinsen zu allgemeinen kirchlichen Zwecken verwandt werden.

Der Ort hat das Recht in den Monaten April und Oktober einen Krämer- und Viehmarkt, je Tags zuvor einen Holzmarkt abzuhalten.

Bei Ausrodung des Gemeindewalds „Hardt“ wurden alte Waffen und Hufeisen gefunden. Außerhalb des Ortes an der Straße nach Ebersberg stehen drei sog. Bußkreuze.

Von den zur Gemeinde gehörigen Parzellen nennen wir:

Aichholz, 1/8 Stunde südöstlich vom Mutterort im Weissachthal gelegen.

Dresselhof, liegt 1/4 Stunde nördlich von Unter-Weissach auf dem Flachlande zwischen der Weissach und dem Dresselbach.

Sachsenweiler, hat eine schöne freie Lage 3/4 Stunden nordwestlich vom Mutterort und nur 1/4 Stunde östlich von Backnang, oben an dem nicht hohen rechten Abhange gegen das Weissachthal.

Den 11. April 1245 bestätigte Pabst Innocenz IV. dem Stift Backnang dessen Besitzungen zu Unter-Weissach, zu Sachsenweiler und zu Dresselhof (Treffelbach ist wohl verschrieben für Tresselbach und in Verbindung mit dem Bache Tresselbach, Dresselbach auf Dresselhof zu beziehen). Dasselbe Stift kaufte den 1. April 1392 von dem Spital Eßlingen Zinsen und Gülten aus Häusern, Äckern und Wiesen zu Weissach (Ober-Unter?. St.-A.) und es besaß in der Folge zu Unter-Weissach den großen und kleinen Frucht-, den Wein- und im Allgemeinen auch den Heuzehenten, ein Widdumgut, erbliche Lehengüter, Hellerzinsen und Gülten (Lagerb. von 1568/9).

Unter-Weissach und Sachsenweiler gehörten zu den im Jahr 1439 von den Grafen Ludwig und Ulrich von Württemberg mit der Feste Reichenberg an die Gebrüder Nothaft verpfändeten Orten, waren wohl schon früher mit dieser Feste verbunden und bildeten später Bestandtheile des Amts Reichenberg, nur das Widdumgut und gewisse Lehengüter gehörten mit Lehenschaft, Gebot, Verbot und den Freveln von Alters her vor das Gericht des Stifts Backnang. Für die im Reichenberger und Ebersberger Amte befindlichen Orte war der Stab und das Gericht zu Unter-Weissach (Lagerb. von 1528).

Nach Weissach schrieb sich eine ursprünglich wohl badische, später württembergische Ministerialenfamilie. Zwar ist Rudolf von Ober-Weissach, | welcher nach Crusius Annal. Suev. p. 2, 81 ums Jahr 910 nicht allein das Schloß Ebersberg erbaut, sondern auch die Stadt Backnang mit Mauern umgeben und dem dortigen Stifte die meisten seiner Güter vermacht haben soll, eine geschichtlich nicht nachweisbare Persönlichkeit, allein in der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts erscheinen zwei Mitglieder dieser Familie als Zeugen, nemlich Wolfradus de Wyzahe in der in castro Richenberg ausgestellten Urkunde des Markgrafen Rudolf I. von Baden vom 2. Dez. 1253 und zugleich mit Burkhard Sturmfeder Wolfgang von Weissach in einer Urkunde des Klosters Gottesau (Bader, Markgraf Rudolf von Baden 32). Demselben Geschlecht gehören ferner an: Berthold von Weissach, Zeuge in einer Urkunde des Stifts Backnang von 1344, Rudolf von Nieder-Weissach, welcher den 20. Mai 1349 dem Stifte ein Lehen zu Ober-Weissach verkauft (Reg. Boic. 8, 162), sowie die Klosterfrauen zu Steinheim: Else und Agnes von Weissach, welche den 11. Nov. 1358 obigem Stifte die Güter zu Rielingshausen übergeben, die ihr 1351 gestorbener Oheim Berthold von Weissach demselben vermacht, ihnen jedoch zu lebenslänglicher Nutznießung vorbehalten hatte (Gabelk.).

Das Speirer Diöcesanregister aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts (s. oben VII, 2) führt eine Plebanie in W. auf, welche dem Stift Backnang inkorporirt worden und durch Conventualen desselben versehen werde. Nach dem Lagerbuch von 1568/9 besaß das Stift den Kirchensatz, die Kastvogtei, das Patronat und die Advokatie der Pfarrei und gehörten in dieselbe lebendig und todt alle Einwohner von Unterbrüden, Lippoldsweiler, Ebersberg, Sechselberg, Wattenweiler, Däfern, Hohenweiler, Ober-Weissach, Waldenweiler, Heutensbach, Cottenweiler, Bruch, Schlichenweiler und Schnarrenberg.

Hinsichtlich der Geschichte der einzelnen Parzellen ist außer dem bisher Erwähnten noch Folgendes hervorzuheben. Den 23. Febr. 1459 erließ Graf Ulrich von Württemberg dem Stift Backnang Hellerzinsen zu Sachsenweiler und Dresselhof (St.-A.); solche hatte an dem letzteren Orte auch das Kloster Murrhardt zu beziehen (Lagerb. von 1698/1710).


« Kapitel B 28 Beschreibung des Oberamts Backnang Kapitel B 30 »
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).