Textdaten
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Autor: Isidor Kastan
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Titel: Bernhard von Langenbeck
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 38, S. 632–634
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Bernhard von Langenbeck.

Eine Portraitskizze.

„Ich bin stets ein Vertreter der conservativen Chirurgie gewesen.“ Dies waren so ziemlich die letzten Worte, welche der Altmeister der deutschen Chirurgie am 29. Juli d. J. gesprochen, als er von der Stätte seiner glänzendsten öffentlichen Wirksamkeit als Lehrer und hülfreicher Arzt, von dem Operationssaal in der Berliner Universitätsklinik, Abschied nahm. Freiwillig hat der unermüdliche Mann, da er die Einflüsse des herannahenden Alters an sich verspüren mochte, seine an ungewöhnlichen wissenschaftlichen Erfolgen und äußeren Ehren überreiche Stellung aufgegeben. Fürwahr ein seltenes Beispiel hoher, gewissenhafter Pflichttreue!

Wer ihm noch in der allerletzten Zeit am Operationstische zusehen durfte, wie er mit seiner sprüchwörtlich gewordenen Eleganz und seiner unerschütterlichen Kaltblütigkeit sein schweres Amt vollführte und mit ungebrochener geistiger Kraft seine kühnen Entwürfe ausführte, der hätte nur sehr ungern sich dem Gedanken hingegeben, daß diese „sichere Hand“ fortan nicht länger im Dienste der Leidenden würde thätig sein.

Als zuerst von dem Rücktritte Langenbeck’s etwas in die Oeffentlichkeit drang, da gerieth wirklich die ganze Hauptstadt in eine nicht geringe Aufregung. Alle Kreise der Bevölkerung, bis in die höchsten hinan, wurden durch diese Kunde in Mitleidenschaft gezogen. Kein Mittel blieb unversucht, um den allverehrten Mann zu weiterem Verbleiben in seinem Lehramte und in seiner chirurgischen Wirksamkeit zu vermögen. Allein umsonst! Langenbeck’s Entschluß stand unwiderruflich fest, und mit Ende des Sommersemesters sollte derselbe endgültig ausgeführt werden. Und fürwahr! Diese allgemeine Theilnahme, welche dem Rücktritte des berühmten Wundarztes entgegengebracht wurde, war gar wohl gerechtfertigt; galt sie doch einer Persönlichkeit, welche auch außerhalb der eigentlichen Berufswirksamkeit so viele menschlich liebenswerthe Eigenschaften zu entfalten gewußt. Wenn wir daher in nachfolgenden Zeilen ein Bild von dem vielgefeierten Arzt unsern Lesern zu geben versuchen, werden wir nicht nur seine Stellung in der chirurgischen Wissenschaft, sondern auch seine gesellschaftliche – und diese nicht zum geringsten Theile – zu berücksichtigen haben.

Langenbeck entstammt einer Gelehrten-, insonderheit einer Medicinerfamilie. Sein großer Oheim, der berühmte Göttinger Anatom und Chirurg, ist sein bestimmender Lehrer und Leiter gewesen. Der große Langenbeck mochte frühzeitig die seltene Befähigung seines gelehrigen Schülers und Neffen erkannt haben, als er ihm rieth, vor allem anatomische und physiologische Studien eifrig zu betreiben; denn diese bilden die alte und die neue Grundlage für jeden wissenschaftlichen Fortschritt in der Chirurgie.

Die ersten Arbeiten des jungen Gelehrten gehörten auch wirklich der Physiologie an, für welche Wissenschaft er sich an der Göttinger Hochschule als Privatdocent habilitirte. Indessen sah er in dieser Beschäftigung nur die wissenschaftliche Vorstufe für seinen eigentlichen praktischen Lebensberuf. Langenbeck trat, wenn man so sagen darf, unter den denkbar günstigsten Zeichen in die Chirurgie ein. Die mannigfachen großartigen Errungenschaften der modernen, auf dem wissenschaftlich angeordneten Versuch aufgebauten Naturerkenntniß, der tiefe Einblick, welchen die moderne Forschung in das Wesen der Einzelvorgänge innerhalb des thierischen und menschlichen Organismus verstattete, sie sollten nicht blos zur Sicherung und Erweiterung der Gesammtanschauung, zur Vermehrung des theoretischen Wissens dienen, nein, sie sollten zum Heile der Leidenden, zur Linderung ihrer Gebrechen, zur Beseitigung von Uebeln verwendet werden. Die Chirurgie war, sozusagen, rasch zur Hand, sich alle die günstigen Aussichten zu nutze zu machen. Sie nahm die ihr von den gelehrten Schwestern dargebotenen Erkenntnißmittel bereitwillig an und zeigte sich ihrerseits schnell entschlossen, alle die guten Gedanken und vortrefflichen Rathschläge in die Praxis einzuführen. Physiologie und Chemie gaben die leitende Richtung an, und die Chirurgen, eingedenk der Wurzelbedeutung des Wortes, übernahmen die Ausführung aller von jenen eben genannten Wissenschaften gegebenen Aufträge und Andeutungen.

Zu den vorzüglichsten Ausführern aber jener wissenschaftlicherseits gegebenen Aufträge gehört eben Bernhard von Langenbeck. Er hat viel, sehr viel zu dem Triumphzuge beigesteuert, welchen die Chirurgie während der lezten Jahrzehnte feiern durfte, und namentlich dadurch hat er ihr zu dem allgemeinen Jubel über ihre Wunderleistungen verholfen, daß er ihr vorzugsweise die Aufgabe stellte, das Vorhandene an dem erkrankten Körper so viel wie nur irgend angänglich zu erhalten und nur im außersten Nothfalle endgültig die Beseitigung des Unhaltbaren vorzunehmen. Doch wohlgemerkt: dieser äußerste Nothfall mußte aber auch als ein solcher vorher und mit den schärfsten wissenschaftlichen Prüfungsmitteln erkannt sein. Dies hieß aber nichts Anderes, als jene unüberwindliche Nothfallsgrenze immer weiter und weiter hinauszuschieben.

In diesem Betrachte unterschieden sich vorzugsweise die ältere und die neuere Chirurgie. Jene sah in den scharf geschliffenen Messern, den spitzen Haken und Zangen, den Hämmern und Sägen vornehmlich die Werkzeuge zur möglichst schleunigen Entfernung von erkrankten Körpertheilen; diese hingegen machte sie zu wohlgeeigneten Bundesgenossen an ihrem conservirenden, erhaltenden Werke. Kaum waren die nähern Bedingungen des Knochenwachsthums, das Verhältniß der Knochenhaut zum eigentlichen Knochengewebe, [633] erklärt, als hieraus sofort neue Aufgaben für die erhaltende Chirurgie gegeben waren.

Mehr und mehr wurde die Nothwendigkeit der völligen Abtrennung einzelner Körpertheile eingeschränkt und die Ausschälung der betreffenden erkrankten Theile in’s Auge gefaßt. Die Amputationen verminderten sich; die Resectionen (das Herausschneiden eines Knochenstückes, zumeist eines Gelenkes) gewannen mehr und mehr an Bedeutung. Auf diesem Gebiete erntete Langenbeck zuerst seine glänzenden Erfolge. Die Behandlung erkrankter Knochentheile oder erkrankter Gelenkverbindungen – mochten die Ursachen mechanische, von außen her einwirkende oder innere, allgemein-constitutionelle sein – wurde mit einem Schlage eine von Grund aus veränderte.

Aber sollte das Werk des Chirurgen gelingen, das auf Erhaltung oder Wiedererlangung der durch die eingetretene Erkrankung zerstörten oder beeinträchtigten Gebrauchsfähigkeit des betreffenden Organes gerichtet war, dann kam Alles auf die Art und Weise der auszuführenden Operation, auf die weitere Wundbehandlung, auf die zweckmäßige Lagerung des operirten Körpertheiles an. Eine Fülle von Aufgaben harrte der Lösung, und es bleibt ein unvergänglicher Ruhmestitel Langenbeck’s, dieselben theils vollendet, theils weitergeführt, theils vorbereitet oder angebahnt zu[WS 1] haben.

Auf Grund seiner ausgezeichneten, in das Kleinste gehenden anatomischen Kenntnisse, der ihm allezeit geläufigen Lagerungsverhältnisse der einzelnen Organe und Organgruppen zu einander, ersann er die zweckmäßigsten Methoden, nach welchen derartige Gelenk- oder Knochenresectionen ausgeführt werden mußten. Sein an Auskunftsmitteln überreicher Sinn ließ ihn die brauchbarsten Instrumente erfinden oder die vorhandenen verbessern. Dem Laienauge mag manches unbedeutend erscheinen: aber wie viel auf diese vermeintlichen Unbedeutendheiten ankommt, das vermag in vollem Umfange nur zu würdigen, wer an derlei Arbeiten thätigen Antheil zu nehmen berufen ist. Langenbeck erlangte mit der Zeit nach dieser Richtung hin eine staunenerregende Virtuosität, die vor keinem noch so kühnen Eingriffe zurückzuschrecken brauchte.

Bernhard von Langenbeck.
Nach der Marmorbüste von Professor R. Siemering.

Mit sichtbarster Genugthuung erfüllte es ihn, und durfte es ihn erfüllen, wenn er seinen Schülern die erzielten Heilerfolge an den Opfern der modernen Industrie oder der modernen Kriege vorführte. Mit unauslöschlichen Lettern ist sein Name in die Geschichtsannalen der Kriegschirurgie eingegraben. Kein Wort des Lobes ist vollwichtig genug für das, was er in dieser Richtung an unseren todesmuthigen Soldaten vollbracht. Und wenn die Zahl der Amputationen an zerschossenen Gliedmaßen so zusehends zusammenschrumpfte, wenn die Größe der Opfer, welche unsere letzten nationalen Kämpfe gefordert, mehr und mehr gesunken, so ist dies nicht in letzter Reihe den erfolgreichen Mühen Langenbeck’s und seiner zahlreichen Schüler zu danken.

Kam es bei dieser Gruppe von auszuführenden operativen Eingriffen vor Allem darauf an, die ursprüngliche Gebrauchsfähigkeit der beschädigten Organe wieder herzustellen, so waren bei anderen verwandten Operationen mehr ästhetische Rücksichten zu nehmen. Wer kennte nicht die schauderhaft entstellenden Mißbildungen, welche, durch gewisse örtliche oder allgemeine Erkrankungen hervorgerufen, das menschliche Antlitz entstellen? Wem wären nicht schon einmal jene furchtbaren Narbenbildungen zu Gesicht gekommen, wie solche nach umfangreichen Verbrühungen, Verbrennungen in Folge von Explosionen der mannigfachsten Art sich einstellen? Wer hätte nicht schon hier und da jene gräulichen Bildungsfehler gesehen, die unter dem Namen Hasenscharten, Wolfsrachen volksbekannt sind? In allen diesen Fällen gilt es, so viel wie irgend möglich, die von Haus aus vorhandenen oder erst später entstandenen Defecte zu beseitigen. In allen diesen Fällen wird der Wundarzt zum Modelleur; er treibt sozusagen einen Wettbewerb mit dem künstlerischen Bildner. Nur hat es dieser um so Vieles leichter, als der leblose Thon oder Stein unendlich fügsamer ist, denn der menschliche Organismus.

Dieses Gebiet der Chirurgie, gemeinhin das plastische genannt, wurde von dem Vorgänger Langenbeck’s, dem bahnbrechenden Dieffenbach, recht eigentlich begründet und von dem Nachfolger auf die glücklichste Weise fortentwickelt und vervollkommnet. Und die große Gewandtheit, welche den Meister gerade in dieser Richtung auszeichnete, war mehr als einmal die Veranlassung zu den bezeichnendsten Anekdoten. Es ist vorgekommen, daß man nachträglich die Langenbeck’sche Nase für schöner halten mußte, als die ursprüngliche gewesen. Hier hatte der nachbildende Operateur eben der launenhaften Natur sozusagen die Wege gewiesen.

Trotz der unaufhörlichen Beschäftigung mit dem chirurgischen Handwerkszeuge hatte Langenbeck gewisse Derbheiten, wie sie sich bei jedem Metier im Laufe der Zeit einzustellen pflegen, stets von sich fern zu halten gewußt. Oder richtiger vielleicht, daß sie an seiner von Hause aus zu einer gewissen äußerlichen Eleganz hinneigenden Natur spurlos abglitten. Mitten in seiner blutigen Arbeit am Operationstische behielt er die natürliche Anmuth seiner feinen Gestalt, die so wohl zu seinem ganzen übrigen maßvollen Wesen paßte. In seiner ganzen Art sich zu geben lag eine Verbindlichkeit, wie sie sonst nur, dem allgemeinen Erfahrungsurtheile nach, den höheren Schichten unserer Gesellschaft eigen ist. Derselbe Mann, welcher im Sommer schon um sechs Uhr Morgens in dem Leichenhause der Berliner Charité einen Operationscursus gab, sodann die Krankenvisite in der Universitätsklinik machte, eine ungeheure consultative Praxis in der Stadt versah und in den Nachmittagsstunden bis gegen vier Uhr die chirurgische Klinik abhielt, war so wenig in die jedem Berufe bis zu einem gewissen Grade sonst eigenen Formen eingezwängt, daß man in dem zierlichen Reiter im Thiergarten, wie er mit einer kleinen, aber unleugbaren Koketterie durch die schattigen Wege dahin trabte, auch [634] nicht entfernt den Universitätsprofessor vermuthet hätte. Er sah wie ein geborener Edelmann aus und wie einer obenein, der einem alten, erbangesessenen Hause entstammte.

In der That, er liebte auch die Gesellschaft dieser Kreise und wußte es ihnen in ihren Gewohnheiten völlig gleich zu thun. Als er später geadelt wurde, erschien dies Allen wie etwas ganz Selbstverständliches, aber er hörte auch jetzt nicht auf, ein Bürger in des Wortes schönster Bedeutung zu sein. Stets blieb er eingedenk, was gerade er seinem Stande schuldig war, und auch hierin zeigte er sich als ein echter, rechter Edelmann.

Eine Persönlichkeit wie die Langenbeck’s vermag, ohne scheinbar selbstthätig in irgend welche bestehende Verhältnisse einzugreifen, dennoch gar Vieles zu deren Umgestaltung beizutragen. Der Einfluß, den sie unter Umständen im gegebenen Augenblicke ausübt, wirkt beinahe mit der Selbstverständlichkeit eines Naturvorganges. Es ist daher nicht zu viel behauptet, wenn man die bedeutsame Stellung, welche die deutschen Militärärzte innerhalb der großartigen Organisation unserer Armee nunmehr zugewiesen erhielten, dem indirecten Wirken dieser eigenthümlich gearteten Persönlichkeit Langenbeck’s zu einem nicht geringen Theile zuschreibt. Als man einen Mann von solch anerkannter Bedeutung auf den verantwortlichen Posten eines consultirenden Generalarztes der Feldarmeen stellte, da war es wiederum etwas, was sich von selbst verstand, daß man für ihn einen ihm entsprechenden militärischen Rang schaffen mußte. Was weiter noch in der angedeuteten Richtung zu geschehen hatte, erwies sich nur als eine einfache Schlußfolgerung, welche der erste Schritt mit Nothwendigkeit nach sich zog, und so erwuchs denn nach und nach ganz zwanglos die Einreihung des militärärztlichen Personals als Sanitätscorps in den Armeeverband. Die frühere Zwitterstellung war ein- für allemal beseitigt. Was und ob überhaupt Langenbeck zu dieser Umgestaltung beigetragen, entzieht sich gänzlich unserer Beurtheilung. Sicherlich kann aber nicht bezweifelt werden, daß der in seinem Wirken selbst von der höchstentscheidenden Stelle aus anerkannte Mann schon aus diesem Grunde die ganze Organisation wirklich beeinflußt hat. So bethätigte er sich, ohne es doch absichtlich zu wollen, und gewiß erwies sich diese Art der unmittelbar persönlichen Wirksamkeit als eine um so nachhaltigere.

Und wie ein rechter Edelmann es sein soll, blieb er von gewissen häßlichen, weil auf niedrigen Gemüthseigenschaften beruhenden Vorurtheilen vollkommen frei. Es war ein Genuß, mit diesem natürlich-höflichen Manne zu verkehren. Seine wissenschaftliche Bedeutsamkeit, sein ungeheures Können hatte für die mittelmäßigen Söhne dieser Erde nichts Bedrückendes, und gern ließ er auch geringes Verdienst gelten. Freilich mangelte es ihm auch keineswegs an den Waffen einer feinsten Ironie, sobald es galt, gewissen Anmaßlichkeiten zu begegnen. Er verstand meisterlich zu sticheln, und mit seinem scharfen, durch viele Erfahrung gesicherten Gefühle just den empfindlichen Punkt zu treffen. Wurde aber diese Operation ihrem Sinne nach begriffen, dann war’s geschehen und abgethan.

Eine derartige Ausnahmsstellung, wie sie Langenbeck in der universitären und außerfachmännischen Gesellschaft errungen hatte, wiederholt sich so leicht nicht.
Isidor Kastan.     



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: zn