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Herman Melville Omoo oder Abenteuer im stillen Ocean mit einer Einleitung, die sich den „Marquesas-Inseln“ anschließt und Toby’s glückliche Flucht enthält. Aus dem Englischen von Friedrich Gerstäcker. Verlag von Gustav Mayer, Leipzig 1847

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Omoo
oder
Abenteuer im stillen Ocean
mit einer Einleitung,
die sich den „Marquesas-Inseln“ anschließt und Toby’s
glückliche Flucht enthält.
Von
Hermann Melville.
Aus dem Englischen von
Friedrich Gerstäcker.


Erster Theil.
Leipzig,
Verlag von Gustav Mayer.
1847.

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Vorwort.

Nirgends wohl zeigt sich die sorglose Tollkühnheit und der wilde zügellose Leichtsinn der Matrosen stärker und auffallender, als gerade in der Südsee oder im stillen Ocean. Größtentheils sind die Fahrzeuge welche diese Gewässer durchziehen, mit dem Pottfisch- oder Wallfischfang beschäftigt, und das ist schon an sich ein Geschäft, was die abenteuerlichsten, heißköpfigsten Matrosen aller Nationen hier zusammenzieht und ihnen in gar mancher Hinsicht fast völlige Freiheit gewährt, ihren Launen zu fröhnen. Solche Reisen sind auch meistentheils ungemein lang und gefährlich, denn die einzigen erreichbaren Häfen liegen an den barbarischen oder doch nur halbcivilisirten Inseln Polynesiens, oder die gesetzlose westliche Küste von Süd-Amerika entlang; deshalb fallen auch nicht selten, und keineswegs mit dem Wallfischfang in Verbindung stehende Scenen auf solchen Fahrzeugen des stillen Oceans vor.

Ohne hier einen genauen Bericht über Wallfischfang geben zu wollen, denn der Plan des Werkes schloß das ganz aus, habe ich mich nur bemüht dem Leser, während ich zugleich meine

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eigenen Schicksale und Abenteuer schilderte, einen kleinen Begriff von dem Leben und Treiben zu geben gesucht, das an Bord mancher Wallfischfänger herrscht.

Dabei habe ich mich auch zugleich bemüht den gegenwärtigen Zustand der bekehrten und halbbekehrten Polynesier zu beschreiben, und wie der Verkehr mit Fremden und die Lehren der Missionaire auf sie eingewirkt haben.

Als umherstreifender Matrose verlebte ich etwa drei Monate in den verschiedenen Theilen der Inseln Tahiti und Imeeo, und zwar in Verhältnissen die mir, so ungünstig sie auch für mich selbst sein mochten, doch gestatteten, am allerbesten und ungestörtesten richtige Beobachtungen anzustellen.

Wo ich die Missionäre erwähnte, habe ich mich, wie sich das auch wohl von selbst versteht, fest und treu nur an Thatsachen gehalten, und wenn ich manches hier rüge, was mir nicht gefiel, so geschah es nicht um zu tadeln, sondern vielmehr eine günstigere Aenderung der Dinge herbeizuführen. Auch die hie und da eingeflochtenen scherzhaften Bemerkungen über die Tahitier sollen keineswegs jene Nation lächerlich machen; ich schilderte sie nur nach dem wunderlichen Eindruck, den ihr erster Anblick, ihre erste Bekanntschaft, auf mich, den Fremden machte; mein eignes Wesen wird ihnen vielleicht ebenso komisch vorgekommen sein.

Die gegenwärtige Erzählung beginnt da, wo die „Vier Jahre auf den Marquesas“ schließen, steht aber weiter in keiner Verbindung mit dem früheren Werk, als daß ich selbst der Held der einen wie der andern bin. Alles was der Leser deshalb über die Marquesas zu wissen braucht, wenn diese nicht selber genug Interesse haben sollten ihn zu fesseln, wird in einer kurzen Einleitung gesagt werden.

Um übrigens denen meiner freundlichen Leser, welche die „Vier Jahre aus den Marquesas“ gelesen haben und dabei auch

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über Toby’s Flucht im Unklaren geblieben sind, diesen kleinen Nachtrag jener Erzählung, wie ich ihn aus Toby’s Munde selbst empfing, zu liefern, so will ich hier seine Flucht aus dem Typeethal so kurz als möglich erzählen. Zu diesen Abenteuern im stillen Ocean gehört es aber eigentlich nicht, und soll blos zum Verständniß, oder vielmehr zur Vervollständigung des Früheren dienen.

Toby’s Flucht aus dem Typee-Thal.

An dem Morgen, an dem mich mein Kamerad, wie in der Erzählung erwähnt, verließ, wurde er durch eine Menge von Eingeborenen zum Ufer begleitet; einige von diesen trugen Früchte und Schweine, um mit den Booten, die sie dort zu finden erwarteten, Handel zu treiben.

Als sie durch die bewohnte Gegend des Thales zogen, schlossen sich ihnen eine Masse Anderer an, die fast von jeder Seite, schreiend und jubelnd, herbeikamen. So aufgeregt schien die ganze Gesellschaft, daß Toby, dem doch gewiß daran gelegen war den Strand zu erreichen, kaum mit ihnen Schritt halten konnte.

Plötzlich kamen sie zu einer Stelle, wo der Pfad einen Arm des Hauptstroms durchschnitt. Da traf ein eigenthümlicher Klang ihr Ohr und Alle blieben stehen und horchten. Es war Mow-Mow, der einäugige Häuptling, der vorausgegangen sein mußte, und jetzt seine schwere Kriegslanze gegen den hohlen Stamm eines Baumes schlug.

Dies schien ein Alarmzeichen zu sein, denn jetzt wurde nichts gehört wie die Rufe: „Happar, Happar!“ und die Krieger warfen und schwangen ihre Speere, und die Weiber und Knaben riefen einander unverständliche Ermuthigungen zu, und suchten Steine auf im Bett des Stroms.

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Im nächsten Augenblick sprangen Mow-Mow und zwei oder drei andre Häuptlinge aus dem Hain heraus, in dem sie sich bis dahin versteckt gehalten, und der Spektakel vermehrte sich nun um das Zehnfache.

– Aha, dachte Toby, nun setzt’s Schläge! und er bat schon einen der jungen Leute um seinen Speer; dieser aber verweigerte ihn, indem ihm der junge Krieger lächelnd sagte: die Waffe sei sehr gut für ihn (Typee), aber ein weißer Mann könne viel besser mit seinen Fäusten kämpfen.

Solcher muntern Laune schienen auch alle Uebrige zu sein, und trotz ihrer kriegerischen Ausrufungen und Stellungen thaten sie gerade, als ob es etwas ungemein Interessantes wäre, ein Dutzend Pfeile und Wurfspieße aus dem Dickicht heraus zu erwarten.

Während mein Kamerad noch umsonst zu begreifen suchte, was dies Alles bedeute, trennte sich eine gute Anzahl der Insulaner von den Uebrigen und liefen in eine benachbarte Baumgruppe, wo sie lauernd das Resultat abzuwarten schienen. Nach einer kleinen Weile winkte ihnen jedoch Mow-Mow, der weiter vorne stand, zu, vorsichtig heranzukommen, und das thaten sie denn auch und zwar so leise, daß man kein Blatt rauschen hörte. So krochen sie etwa eine Viertelstunde vorwärts und hielten dann und wann an, um zu lauschen.

Toby’n gefiel nun diese Art von Herumschleichen gar nicht, wenn es einen Kampf gab so wollte er auch gern daß der gleich anfangen sollte. Sein Wunsch schien aber in Erfüllung zu gehen, denn gerade in demselben Moment als sich die Krieger dem dichtesten Theil des Waldes näherten, schlug das fürchterlichste Geheul von allen Seiten an sein Ohr, und Pfeile und Steine zischten und donnerten über den Pfad hinüber. Doch kein Feind war zu sehen, ja kein Mann stürzte, obgleich die Waffen wie Hagel zwischen sie hinein schlugen.

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Eine augenblickliche Pause entstand nun; da aber ernannten sich die Typee’s und warfen sich mit geschwungenen Speeren in das Dickicht; auch Toby blieb keineswegs zurück, denn er hatte ja noch eine alte Rechnung mit den Happar’s abzumachen. Während er aber noch in wildester Aufregung dein Ort zustürmte, wo er den Feind vermuthete und eben nach dem Speer eines andern Kriegers griff, um wenigstens eine Waffe zu haben, herrschte wiederum Todtenschweigen und der Wald lag in durch nichts unterbrochener Ruhe da. Das sollte aber nicht lange dauern. Als sich Toby noch überrascht und bestürzt über diese, ihm unerklärliche Zurückhaltung umsah, sprang aus dem Dickicht die Partei hervor, die sich zuerst so vorsichtig fortgeschlichen hatte und Alle vereinigten sich seht in ein wildes unauslöschliches Gelächter.

Es war Alles nur Spiel gewesen und Toby, der sich in Eile und Aufregung ganz außer Athem gelaufen hatte, ärgerte sich nicht wenig so zum Narren gehabt zu sein.

Später fand er, daß die ganze Sache zu seiner besondern Erbauung veranstaltet worden war; zu welchem Zweck blieb ihm allerdings dunkel, nur vermuthete, ja fürchtete er, sie hätten ihn damit aufhalten wollen, denn er fand auch, daß sie jetzt keineswegs in so großer Eile schienen, als das früher der Fall gewesen war. Die Zeit, ehe sie die See erreichten, dauerte ihm entsetzlich lang; da kamen zwei Männer auf sie zugelaufen und es wurde jetzt ein förmlicher Halt gemacht, bei dessen lebhafter Berathung Toby seinen Namen sehr häufig nennen hörte. Natürlich machte ihn das um so eifriger, zu erfahren, was am Strande vorgehe, umsonst versuchte er aber vorauszueilen, sie hielten ihn zurück.

Nach einigen Minuten endete die Verhandlung, und während ein Theil von ihnen dem Wasser zulief, umgab ihn ein andrer und bat ihn dringend sich niederzusetzen; auch mitgebrachte

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Speisen breiteten sie vor ihm ans und reichten ihm eine Pfeife zum Rauchen. Toby bezwang auch seine Ungeduld eine Weile, endlich aber sprang er wieder auf und eilte vorwärts. Nun überholten sie ihn zwar wieder und umzingelten ihn, hielten ihn aber doch nicht weiter zurück, so daß er die See endlich erreichen konnte.

An einem freien grasigen Platz, und zwar dicht unter dem Schatten der Happarberge, wo sich ein Pfad durch das Thal hinabwand, verließen sie die, dasselbe bis dahin von beiden Seiten einengenden Halden. Doch ein Boot konnten sie nirgends erkennen, nur eine Menge von Männern und Frauen stand am Ufer und schien sich um einen Mann zu drängen, der eifrig mit ihnen sprach. Als sich Toby diesem näherte, sah er, daß das für ihn kein Fremder sei. Es war ein alter grauhaariger Matrose, den wir Beide in Nukaheva gesehen hatten, wo er bei dem König Mowanna ein ganz behagliches Günstlings-Leben führte, Jimmy genannt wurde und in seines Herrn Rath ein gar bedeutendes Wort mit einzulegen hatte. Er trug einen Manilla-Hut und eine Art Tappa-Schlafrock, der weit genug vorn aufstand, um auf seiner Brust einen tättowirten Vers sehen zu lassen.

Dieser alte Bursche hatte sich hier zur Ruhe gesetzt, kannte die Landessprache und wurde auch deshalb von den Franzosen sehr häufig als Dollmetscher gebraucht. Sobald Schiffe anlandeten ging er gewöhnlich in seinem kleinen Canoe an Bord und regalirte die Matrosen mit Hofanekdoten, daß z. B. Se. Majestät eine schändliche Intrigue mit einer jungen Dame in Happar, einer öffentlichen Festtänzerin, betreibe und andere eben so unglaubliche Erzählungen über die Marquesaner im Allgemeinen. So erinnere ich mich recht gut, daß er einst auf die Dolly kam und der Mannschaft irre Vertrauen mittheilte, es lebe ein Ungeheuer auf der Insel, das sich weit in den Bergen drin versteckt

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halte, um ein Paar riesengroße Hörner zu verbergen, die ihm auf der Stirn wüchsen, Nachts aber krieche es im Dunkeln auf die Menschenjagd herum und irgend Jemand, der einmal zufällig an seine Hütte gekommen sei, wolle diese ganz voll Knochen gefunden haben.

Doch um zu Toby zurückzukehren, so sah er kaum den alten Burschen am Ufer, als er auf ihn zulief und die Eingeborenen schlossen einen Cirkel um die Beiden.

Jimmy begrüßte ihn erst und sagte ihm dann, daß er recht gut wisse, wie wir Beide vom Schiff weggelaufen und unter den Typee’s seien, ja Mowanna habe ihn sogar dazu aufgefordert sie zurückzubringen, um die Belohnung dann mit ihm zu theilen, die auf weggelaufene Matrosen gesetzt worden; jedoch versicherte er, eine solche Zumuthung mit Entrüstung zurückgewiesen zu haben.

Dies Alles setzte meinen Kameraden nicht wenig in Erstaunen, denn er hatte gar nicht geglaubt, daß jemals Weiße die Typee’s freundschaftlich besuchten. Jimmy behauptete jedoch, daß dies manchmal der Fall sei, obgleich er selten in die Bai hinein käme und kaum jemals zu Wasser zurückkehre. Durch eine Bekanntschaft mit einem Typee und Nukuheva-Priester war er selbst tabotirt worden. Er erzählte aber dabei, daß er hier manchmal Früchte, für die in Nukuheva liegenden Schiffe, ankaufe; in der That sei er in diesem Augenblick zu solchem Zwecke da und zwar über die Happarberge gekommen. Am nächsten Tag brächten die Insulaner die bestellte Frucht an den Strand, häuften sie dort auf und Boote kämen an, sie abzuholen.

Jimmy frug jetzt Toby ob er wünsche die Insel zu verlassen; wenn das der Fall wäre, so läge gerade ein Schiff im andern Hafen, dem Leute fehlten, und er würde ihn mit Vergnügen über die Berge führen und an Bord bringen.

– Nein, sagte Toby, ich kann diese Insel nicht ohne meinen Kameraden verlassen und der ist noch oben im Thal, weil

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sie nicht wollten, daß er mich begleite. Kommt, wir wollen ihn holen.

– Wie würde er aber mit uns, da er den bösen Fuß hat, über die Berge haben klettern können! Nein, das geht nicht, laßt ihn lieber noch bis morgen dort, und dann kann ich ihn bis Nukuheva im Boot schaffen.

– Nein, das geht nicht, rief Toby; auf jeden Fall muß ich ihn mit hierher bringen, und damit wollte er augenblicklich zurückkehren um mich zu holen. Noch hatte er aber keine zwanzig Schritte gethan, als die Eingeborenen hinter ihm herliefen und ihn zurückhielten, ja weder auf sein Bitten noch sein Wüthen achteten und ihm unter keiner Bedingung mehr erlaubten, das Thal zu betreten.

So wenig wußte er damals, daß eben jener Jimmy ein herzloser Schuft war, der, davon überzeugt, die Insulaner würden uns Beide nie Zusammenziehen lassen, nur seinen eignen Vortheil im Auge hatte, Toby auf das Schiff zu bringen.

Noch rang dieser mit den Eingeborenen als Jimmy zu ihm trat und ihn ermahnte, die Wilden nicht böse zu machen, da sie sonst zum Schlimmsten fähig wären. Endlich ließ er Toby auf ein altes zerbrochenes Canoe dicht neben einen großen Steinhaufen niedersitzen, auf dem, von vier Rudern unterstützt, eine Art Heiligthum oder Götzenbild stand, dem die Fischer, wenn sie sich hier versammelten, ihre Opfer brachten. Jimmy behauptete, dieser Platz sei gänzlich Taboo und Keiner würde ihn, so lange er sich in dessen Schatten befinde, belästigen; dann ging er fort und sprach sehr ernstlich mit Mow-Mow und den andern Häuptlingen, während sich die Uebrigen dicht um den Taboo-Platz schaarten, Toby dabei fortwährend aufmerksam betrachteten, und sich angelegentlich mitsammen unterhielten.

Trotzdem, was ihm Jimmy eben gesagt, näherte sich ihm eine alte Frau und setzte sich neben ihn auf das Canoe.

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Typee Mortarkee! redete sie ihn an.

Mortarkee nuee, erwiderte Toby.

Dann frug sie ihn, ob er nach Nukuheva wolle, als er das aber bejahete, füllten sich ihre Augen mit Thränen und sie erhob sich und ging fort.

Diese Alte war, wie er von den Matrosen später erfuhr, die Frau eines alten Königs aus dem Innern der Insel, dessen Thal mit dem der Typees in Verbindung stand und dessen Stamm mit diesen auch verwandt sein mußte, da sie einerlei Namen führten. Als sie ihn verließ, kam Jimmy wieder zu Toby und versicherte ihm, er hätte die ganze Sache eben mit den Eingeborenen besprochen und es bliebe ihm nichts als das Eine zu thun übrig. Die Insulaner verweigerten ihm die Rückkehr in’s Thal – der alte Schuft hatte sie selbst dazu beredet – und nur Beiden würde es zum Schaden gereichen, wenn sie länger hier am Ufer stehen blieben. –

Deshalb fuhr er fort, gehen wir jetzt lieber über Land nach Nukuheva und morgen hole ich Tommo, wie sie ihn nennen, zu Wasser nach. Sie haben mir versprochen, ihn bis Tagesanbruch hierher zu schaffen und nachher leidet unsre Fahrt weiter gar keinen Aufenthalt.

– Nein, nein, rief Toby verzweifelt, ich kann ihn nicht so verlassen, wir müssen zusammen fliehen.

– Gut, brummte da der alte Matrose, so bleibt alle Beide hier; das weiß ich aber, und so weit kenne ich die Sitten des Landes, geschieht das, so kriegt Keiner von Euch je wieder die See zu sehen. Dagegen versicherte er Toby mit tausend Schwüren, er wolle mich auf jeden Fall morgen nach Nukuheva führen, wenn er nur heute mit ihm ginge.

– Woher wißt Ihr aber, daß sie ihn morgen zum Strande bringen werden, wenn sie es heute nicht thun wollen?

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Der alte Matrose nannte aber so viele Ursachen und that dies unter so wunderlichen Gebräuchen, daß Toby nur noch verwirrter dadurch wurde. Auch begriff er jetzt gar nicht, warum sie ihn nicht wieder zurücklassen wollten, und fing noch dazu an, dem alten Burschen zu mißtrauen. Doch, was sollte er thun! blieb er hier, so befanden wir uns auf der alten Stelle; ging er aber, so konnte er ja auch mir vielleicht Hülfe bringen.

Tausend Zweifel bestürmten dabei sein Herz und traurig sinnend saß er auf dem alten Canoe, während die Wilden ihn immer aufmerksamer und neugieriger betrachteten. Endlich legte ihm Jimmy die Hand auf die Schulter und sagte:

– Es wird spät; Nukuheva ist noch weit und ich kann das Land der Happars nicht im Dunkeln kreuzen. Ihr seht wie die Sachen stehen, kommt jetzt mit mir und Alles wird gut gehen; denn bleibt Ihr hier, so habt weder Ihr, noch Tommo auf Rettung zu hoffen.

– Leider Gottes sehe ich wie Alles ist, seufzte Toby, stand auf und warf einen traurigen Blick in das Thal zurück; ich werde mich Euch wohl anvertrauen müssen.

– Nun so haltet Euch dicht an meiner Seite, sagte der Matrose, und laßt uns machen, daß wir fortkommen.

Tinor und Fayway erschienen hier und die gute alte Frau umarmte Toby’s Kniee, während Fayway kaum weniger bewegt, einige Worte Englisch sprach, die sie gelernt hatte und drei Finger vor ihm aufhob, als ein Zeichen, daß er in so viel Tagen zurückkehren würde.

Endlich zog Jimmy den, noch fast immer widerstrebenden Toby aus der Menschenmasse heraus, winkte einem jungen Typee, der mit einem Ferkel auf der Schulter nicht fern stand, und alle drei brachen nach den Gebirgen auf.

– Ich habe ihnen gesagt, lachte der Alte, daß Ihr zurückkämt,

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die werden aber lange warten müssen. Toby wandte sich und sah die Eingeborenen alle in Bewegung; die Mädchen schwenkten ihre Tappas zum Abschied und die Männer ihre Speere. Endlich betrat die letzte Figur den Hain und hob noch einmal wie mahnend den Arm gegen ihn empor.

Die Eingeborenen müssen aus jeden Fall auf seine Rückkehr gerechnet haben; sie hielten uns wahrscheinlich für ein paar unzertrennliche Freunde, von denen der Eine dem Andern sein Wort unter keiner Bedingung brechen würde; auch hatte ich ihnen ja gesagt, Toby müsse mir die Medicin holen, die ich so sehr brauchte, was wahrscheinlich durch den Matrosen noch bestätigt wurde. Nichts desto weniger bleibt mir ihr wunderliches halb herzliches, halb feindliches Betragen noch bis auf den heutigen Tag ein Räthsel.

– Ihr seht nun, was ich für ein Taboo-Mann bin, sagte der Matrose, während sie auf dem Pfad dahin schritten. Mow-Mow machte mir ein Geschenk mit diesem Ferkel hier, und der Mann, der es trägt, geht gerade durch Happar durch und hinein bis Nukuheva mit uns. Er ist Taboo so lange er bei mir ist, ebenso wie Ihr, und ebenso wird es Tommo morgen sein. So seid denn gutes Muths, morgen früh werdet Ihr ihn wieder sehen

Das Erklettern des Berges ging ziemlich leicht von statten, da die, dem Meere am nächsten Abhänge selten so hoch sind als die, weiter im Innern gelegenen. Auch der Pfad wand sich reizend zwischen den schattigen Laubgängen hin und es dauerte nicht lange, so standen sie oben auf dem Gipfel des Gebirgsrückens, der die beiden Thäler von einander schied. Die weißen Cascaden, welche die Quellen des Typeethales auszeichnen, ließen sich vor allem deutlich erkennen, doch fand Toby, da sie auf der Kuppe weiter schritten, daß sich das Thal der Happars keineswegs so weit in das Land hineindehne als das der Typees, deshalb mochten wir auch wohl das Letztere im Irrthum betreten haben.

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– Nun sagte Jimmy, während sie in das Happarthal mit schnellen Schritten hinabstiegen, nun will ich Euch meine beiden Frauen hier zeigen. Wir Taboo-Männer haben in allen Thälern Weiber.

Er hatte sich aber doch getäuscht, denn als wir das im schattigen Thal errichtete Haus betraten, fanden wir es leer; die Damen waren ausgegangen und Jimmy spielte den entrüsteten Ehemann. Doch die Wahrheit zu gestehen, so blieben sie nicht lange und bewillkommten Jimmy dann herzlich; ebenso Toby, über den sie sich sehr neugierig bezeugten. Uebrigens schien ein Weißer hier keineswegs so viel Bewunderung und Aufmerksamkeit zu erregen, wie das in Typee der Fall war.

Des alten Matrosen Frauen mußten nun etwas zu essen bereiten, da die Wanderer noch vor Dunkelwerden in Nukuheva eintreffen wollten; die Happars fragen Jimmy viel über seinen Begleiter. Auch Toby sah sich aufmerksam zwischen ihnen um, den Burschen zu erkennen, der ihm den Hieb über den Kopf gegeben; dieser, mit seinem Speer so bereitwillige Gentleman aber hatte wahrscheinlich nicht unangenehme Rückerinnerungen wecken wollen und war nirgends zu sehen. Sein Anblick würde auch schwerlich dazu beigetragen haben, ihn an das freundliche Happa zu fesseln.

Während dieser ganzen Zeit hielt sich der junge Typee so dicht an Jimmy, wie sein Schatten, und obgleich er sonst munter genug gewesen, zeigte er steh doch jene äußerst schüchtern und einsilbig und öffnete nie seinen Mund, ausgenommen zum Essen. Einige der Happars blickten ihn auch grimmig genug an; Andere jedoch waren artiger und wollten ihn ein wenig im Thal herumführen; der Typee ließ sich aber nicht auf diese Art überlisten, denn obgleich es für Toby schwer gewesen wäre zu bestimmen, wie viele Schritte weit von seinem Führer der Taboo ihn sicher

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machte, so wußte Jener das doch gewiß bis auf den Zoll und hütete sich wohl darüber hinauszugehen.

Dieser arme Bursche hatte auf das Versprechen eines rothbaumwollnen Schnupftuchs und noch etwas andern hin, das er geheim hielt, diese, sicherlich für ihn höchst gefährliche, Fahrt unternommen und es war wohl das erste Mal, daß sich ein Typee auf solche Art zwischen seine grimmigsten Feinde hineinwagte.

Toby nun, während er in dem Happarhause saß, fing fast an seinen Schritt zu bereuen und bat sogar schon einmal den Matrosen, er möchte ihn bis auf den Gipfel des Gebirgsrückens zurückbegleiten. Davon wollte dieser aber nichts hören und reichte ihm, um ihn zu zerstreuen, den Inselpunsch, die sogenannte arvo. Toby kannte die narkotische Wirkung dieses Getränks und weigerte sich es anzunehmen; Jimmy aber versicherte ihm, er würde etwas hineinthun, das ihm das Betäubende benehme und den Körper aufrege, anstatt ihn zu erschlaffen. Das geschah denn auch und darin hatte er auf jeden Fall Recht gehabt, denn Toby, nachdem er ein paar Becher voll getrunken, wurde munter und vergaß fast alles Geschehene. Der alte Bursche aber ließ nun einen Theil dessen durchschimmern, was er wirklich war, obgleich Toby an dem Abend noch keinen Verdacht schöpfte; er nahen nemlich Toby das Versprechen ab, daß er ihn, weil er ihn doch aus dem Thal gerettet habe, fünf spanische Dollar gebe, sobald er seinen Vorschuß vom Schiff empfangen habe. Toby versprach ihm noch viel mehr, wenn er mich nur bringe.

Als sie das Happarthal endlich verließen, schien Niemand froher darüber zu sein, als der junge Typee. Als sie die Höhe einmal erreicht hatten, führte ihre Bahn auf mehreren Gebirgsrücken hin, die mit ungeheuren Farrnkraut bedeckt waren. Endlich betraten sie wieder Holzland, und hier überholten sie eine Abtheilung von Nukuhevakriegern, die wohlbewaffnet, große Bündel langer Stangen schleppten. Jimmy schien sie Alle zu

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kennen und blieb eine Zeitlang stehen, sich mit ihnen zu unterhalten und über die Wee-Wees, wie die Nukuhevaleute die Franzosen nennen, zu reden.

Die Leute mit den Stangen waren König Mowannas Männer und hatten ihre Last auf seinen Befehl in den Schluchten gehauen, um sie seinen Alliirten, den Franzosen, an Bord ihrer Fahrzeuge zu schaffen.

Toby und seine Gefährten hielten sich übrigens nicht lange mit diesen Leuten auf, denn die Sonne fing schon an zu sinken. Bald erreichten sie auch die Thäler von Nukuheva, und sahen hier, daß das französische Kriegsschiff noch immer im Hafen lag. Toby, der jetzt, mit den bekannten Gegenständen vor sich, an all das Erlebte zurückdachte, konnte sich kaum überreden, daß er nicht geträumt habe.

Bald stiegen sie an den Strand hinab und erreichten, ehe es noch vollkommen dunkel wurde, .Jimmy’s Haus, wo er ebenfalls wieder freundlich von seinen Nukuheva-Weibern empfangen wurde und als Erfrischung Cocosmilch und einiges Poee-Poee vorgesetzt erhielt, dann bestiegen sie ein Canoe – der Typeer natürlich mit – und ruderten zu einem Wallfischfänger hinüber, der dort lag und Leute brauchte, denn unser Fahrzeug hatte vor wenig Tagen die Anker gelichtet. Der Capitän desselben freute sich Toby zu sehen, meinte aber, er sähe sehr erschöpft aus, und würde wohl nicht ganz arbeitstüchtig sein. Dennoch verstand er sich dazu, ihn und auch mich anzunehmen, wenn ich nämlich herbei geschafft werden könnte.

Toby bat nun dringend, doch ein bewaffnetes Boot nach mir auszusenden, und mich zu retten, ohne weiter auf Jimmy’s Versprechungen zu achten; davon wollte jedoch der Capitän gar Nichts hören und rieth ihm nur Geduld zu haben, da der alte Matrose sein Wort gewiß halten würde; auch die fünf Dollar schien er nicht gern auszahlen zu wollen, doch fügte er sich endlich,

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da Toby darauf bestand. Toby fing nemlich jetzt an, den Alten nur für einen Geldpresser zu halten und versprach ihm deshalb auch eine viel bedeutenden Summe, wenn er mich glücklich und gesund einliefern würde.

Vor Sonnenaufgang am nächsten Tag ruderte Jimmy und der Typee, mit noch mehrern andern tabotirten Eingeborenen in zwei von den Schiffsbooten nach der Bai hinüber, wollte aber unter keiner Bedingung Toby mitnehmen, der sonst, wie er betheuerte, nur Alles verderben werde. An demselben Abend kehrten sie jedoch ohne mich zurück und der Alte hatte jetzt eine Menge Ausflüchte – erklärte, sie hätten mich nicht ans Ufer bekommen können, und verschwor sich hoch und theuer, mich am nächsten Morgen aus dem Thal heraus zu holen, es möchte kosten was es wolle. Toby wollte er aber wiederum nicht mitnehmen.

Noch einmal hoffte mein armer Kamerad, der alte Schurke werde sein Wort halten, und beruhigte und vertröstete sich auf den nächsten Morgen; kaum war aber an diesem das Canoe, denn die Boote ließ der Alte am Bord, um das nächste Vorgebirge verschwunden, als der Capitän den Befehl gab die Anker zu lichten – er wollte in See stechen.

Vergebens war Toby’s Bitten und Wüthen – er wurde gar nicht weiter beachtet, und als er endlich wieder zu sich kam, blähten sich die Segel im frischen Winde und das Schiff verließ rasch das Land.

* * * * * Ach – sagte er zu mir, als wir uns endlich wieder fanden – wie viel schlaflose Nächte hat mir jene unfreiwillige Flucht gemacht – wie oft, wie oft habe ich mir in den bittersten härtesten Worten vorgeworfen, den Freund in solchem Zustand auf der Insel und unter Kannibalen verlassen zu haben.

* * * * * * * * * * * *

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Wenig bleibt mehr zu erzählen, Toby verließ sein Schiff in Neu-Seeland und erreichte, nach einigen andern Abenteuern und in etwas weniger als zwei Jahren, die Heimath. Natürlich hielt er mich für todt, und ich hatte ebenfalls alle Ursache zu glauben daß auch er nicht mehr unter den Lebenden wandle, ein wunderbares Begegnen führte uns aber wieder zusammen, und Toby war besonders entzückt, mich und meinen frühzeitigen Tod nicht mehr auf dem Gewissen zu haben.


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Inhaltsverzeichniß.
Seite
Capitel I.
Mein Empfang an Bord 1
Capitel II.
Nachrichten über das Schiff selbst 9
Capitel III.
Scene in Vorcastle und was in Hytyhoo geschah 22
Capitel IV.
Was in Hannamanoo geschah – die Tättowirer von La Dominica 40
Capitel V.
Wir steuern westlich. Unsere Gesellschaftszimmer. Doktor Lattengeist und seine Streiche 52
Capitel VI.
Tod und Begräbniß zweier Matrosen. Unser Cours geändert 70
Capitel VII.
Ropey. Spahn und Spunt. Ein Sturm. Die Korallen-Inseln 83
Capitel VIII.
Tahiti. Eine Ueberraschung. Mehr über Bembo 102
Capitel IX.
Der runde Robin. Der Besuch vom Ufer. Was der Consul that 114

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Seite
Capitel X.
Des Consuls Abschied. Die zweite Nacht vor Papeetee 132
Capitel XI.
Die wüthende Mannschaft. Jermin findet einen alten Schiffskameraden. Wir laufen in den Hafen ein. Jim, der Lootse 145
Capitel XII.
Ein Blick auf Papeetee. Wir werden an Bord einer Fregatte geschickt. Unser Empfang bei den Franzosen 161
Capitel XIII.
Sie nehmen uns ans Ufer. Was dort geschah. Die Calabouse Beretanee 173
Capitel XIV.
Die Franzosen in Tahiti 190
Capitel XV.
Wir empfangen im Hotel der Calabouse Besuch. Leben in der Calabouse 199
Capitel XVI.
Eine alte Bekanntschaft besucht uns 209
Capitel XVII.
Wir werden vor den Consul und Capitän geführt. Die französischen Priester besuchen uns 219
Capitel XVIII.
Die kleine Jule segelt ohne uns 231
Capitel XIX.
Jermin leistet uns einen guten Dienst. Freundschaften in Polynesien 241

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Omoo
oder
Abenteuer im stillen Ocean


Erster Theil.


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Einleitung.

Im Sommer 1842 besuchte der Autor dieser Zeilen die Marquesas Inseln „vor dem Mast“, d. h. als gemeiner Matrose, und zwar in einem Amerikanischen Wallfischfänger. An der Insel Nukuheva verließ er sein Schiff, das später ohne ihn absegelte. Das Innere der Insel durchstreifend kam er zu dem Typeethal, das noch von einem, kaum mit der Civilisation bis dahin in Berührung gekommenen Wildenstamm bewohnt wurde, und von wo aus sein Gefährte (Toby) entkam, während der Autor selbst etwa vier Monate lang, jedoch in keiner harten Gefangenschaft, zurückgehalten wurde. Zuletzt entkam er in einem Boot, das die Bai besuchte.

Dieses Boot gehörte einem Mannschaft suchenden Fahrzeug an, das erst kürzlich den benachbarten Hafen derselben Insel berührt und dort zufällig von des Autors Gefangenschaft in Typee gehört hatte. Um mit dem Matrosen seine Mannschaft womöglich zu verstärken, segelte er dorthin und legte, vor der Bucht, bei. Da man übrigens die Typees

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für feindlich gesinnt hielt, so wurde das Boot mit „Taboo“ Eingeborenen des andern Hafens bemannt – mit solchen nämlich, die nach den, selbst von feindlichen Stämmen anerkannten Gesetzen, frei überall hingehen konnten – und diese sollten, mit einem Dolmetscher versehen, des Autors Freilassung bewirken. Das wurde auch endlich, doch nicht ohne Gefahr, glücklich bewerkstelligt, da noch dazu der Gefangene gerade zu jener Zeit einen kranken Fuß hatte.

Das Boot erreichte die offene See – in der Ferne lag das Schiff und hiermit beginnt unsere Erzählung.

Das Wort „Omoo“, das ich zum Titel des Buchs gewählt habe, bedeutet in der Landessprache der Tahitier „einen Wanderer von Insel zu Insel“.


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Capitel I.
Mein Empfang an Bord.

An einem wundervollen tropischen Nachmittage war es, als wir, wie ich in der Einleitung erwähnte, glücklich aus der Bai von Typee entkamen. Das Schiff, dem wir zuruderten, lag mit seinem großen Marssegel backgebraßt etwa eine League vom Lande, und war der einzige Gegenstand, der die weite monotone Wasserwüste dort unterbrach.

Je näher wir kamen, desto mehr erkannten wir übrigens, daß es nur ein höchst mittelmäßiges, unordentlich aussehendes Fahrzeug sei, mit dunkeln, wettergefärbten Rumpf und Takelwerk und unnatürlich weißgebleichten und nachlässig aufgeriggten Segeln, die allerdings für die innere Einrichtung nicht besonders sprachen. Die vier Boote, die an den Seiten befestigt hingen, verkündeten den Wallfischfänger, und über die Bulwarks nachlässig gebogen, lehnten die Matrosen; wilde, ruppig aussehende Burschen mit schottischen Mützen und verschossenen blauen Jacken, manche von ihnen

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mit einer wahren Mumienfarbe, zu der wohl Sonne wie Krankheit gleichviel beigetragen hatten. –

Auf dem Quarterdeck stand Einer, den ich für den Obersteuermann hielt; er trug einen breitrandigen Pananahut und sein Fernglas war, als wir uns näherten, auf uns gerichtet.

Sobald sie uns mit bloßen Augen vom Deck aus erkennen konnten, klang ein Ausruf des Erstaunens von vor bis aft und alle betrachteten uns mit neugierigen, verwunderten Blicken; sie hatten aber auch wahrlich Ursache dazu. Die wilde Bootsmannschaft gar nicht zu erwähnen, die in all ihrer Aufregung keuchte und hetzte und ganz Leben und Bewegung schien, mußte mein eigenes Aussehen allein schon die Neugierde eines Jeden, selbst des nüchternsten Menschen rege machen. Ein Mantel vom Zeug der Eingeborenen hing über meine Schultern, und neben ungeschorenem Bart und ungeschnittenem Haupthaar verrieth sicherlich mein ganzes Wesen und sonstiges Aussehen, welch wunderliche Abenteuer ich kürzlich bestanden haben mußte; ich erreichte auch kaum das Deck, so bestürmten sie mich schon,von allen Seiten mit einer solchen Unmasse von Fragen, daß ich sie kaum verstehen, vielweniger beantworten konnte.

Wie wunderbar aber doch, beiläufig gesagt, das Schicksal oft wieder Menschen, die sich einmal kennen gelernt

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haben, zusammenführt; so fand ich hier zwei Leute, mit denen ich schon in früherer Zeit befreundet gewesen, und zwar mit dem Einen , einem alten Kriegschiffsegler, in Rio Janeiro. Mit dem Zweiten hatte ich in einem Matrosenkosthaus in Liverpool zusammen gewohnt. Ich erinnerte mich noch recht gut der Zeit, wo wir an Princes-Dock’s inmitten eines Schwarms von Polizeibeamten, Kofferträgern, Bettlern u. dgl. Abschied von einander genommen, und hier sahen wir uns wieder. Jahre waren indeß vorbeigerollt, manch lange Seemeile hatten wir durchzogen und wurden jetzt unter Umständen aufs Neue zusammengeworfen, die mich fast meine eigne Existenz bezweifeln ließen.

Nur wenige Momente vergingen, ehe der Kapitän mich in die Kajüte rufen ließ.

Er war noch ein junger Mann, blaß und zart gebaut, und glich eher einem bleichsüchtigen Handlungscommis als einem derben Seekapitän. Er ließ mich niedersetzen und mir durch den Steward ein Glas Pisco[1] reichen; in dem Zustande aber, in dem ich damals war, machte mich dies starke Getränk so confus, daß ich gar nicht mehr wußte,

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was mit mir vorginge. Auf die Frage übrigens, ob ich mich „einschiffen“ wollte, antwortete ich natürlich bejahend, mit der Bedingung jedoch, daß er mich bloß für eine Fahrt schiffte und im nächsten Hafen, wenn ich es verlangen würde, wieder aussetze. Seeleute gehen auf diese Art in der Südsee häufig an Bord von Wallfischfängern. Der Capitän nahm auch mein Anerbieten an, und ich bekam die Schiffsgesetze zum unterzeichnen vorgelegt.

Der Obersteuermann wurde nun heruntergerufen und damit beauftragt, einen „ordentlichen Menschen“ aus mir zu machen; nicht aber etwa weil sich der Capitän besonders für mich interessirt hätte, sondern bloß, damit ich nicht zum Scandal herumliefe und sobald als möglich Dienste thun könne.

Wieder an Deck angekommen, legte mich der Obersteuermann auf den Windlaß hin, untersuchte mein krankes Bein, docterte es dann mit irgend einem mir unbekannten Kraut aus der Medicinkisie und rollte es in Segeltuch ein; machte aber ein so dickes Bündel daraus, daß ich kaum darüber hinweg sehen konnte und, auf dem Windlaß sitzend, das Bein vor mir ausgestreckt, einem Matrosen mit der Gicht glich. Während dies geschah nahm mir Einer meinen Tappamantel ab und zog mir an dessen Platz eine blaue Jacke an, und ein Anderer, ebenfalls mit dem freundlichen Wunsche, einen civilisirten Sterblichen aus

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mir zu machen, arbeitete mit einer Art Papierscheere an meinem Kopf herum, was meine beiden Ohren in nicht unbedeutende Gefahr, Haar und Bart aber in kurzer Zeit an Deck brachte.

Der Tag näherte sich nun seinem Ende und das Land schwand mehr und mehr in blaue Ferne – träumend aber starrte ich auf die wogende See hinaus, die uns umgab. Akte meine Wünsche waren erfüllt – ich befand mich wieder an Bord eines Schiffes und durfte hoffen, nach kurzer Zeit Heimath und Freunde wiederzusehn, und dennoch – dennoch bedrückte mich ein wehmüthiges Gefühl nieder, das ich nicht abzuschütteln vermochte. Es war der Gedanke, die nie wieder zu sehen, die mich doch, trotzdem, daß sie mich als Gefangenen hielten, so freundlich und liebevoll behandelt hatten. Ich verließ sie auf immer.

So plötzlich und unerwartet war meine Flucht gewesen, und so groß kam mir jetzt der Unterschied zwischen der üppigen Ruhe am Ufer und dem rauhen, wilden, beweglichen Schiffsleben vor, daß ich nicht übel Lust hatte, alle meine eben überstandenen Abenteuer für einen Traum zu halten, und ich konnte mich kaum selbst davon überzeugen, daß diese Sonne, die jetzt in einer unbegrenzten Wasserwüste niedersank, an demselben Morgen über Gebirgen aufgegangen war und durch schattige Haine auf mich niedergeblickt

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hatte, während ich selbst ausgestreckt auf einer Matte in Typee lag.

In das Vorcastle, etwas nach Dunkelwerden, hinabsteigend, wurde mir eine elende Coje angewiesen, eine Art Schlafkasten, von dem zwei übereinander angebracht sind, und deren zerlegene Holzmatratze mit Stücken Wollendecke überlegt, mein Lager ausmachte. Ich bekam dann einen aus aller Façon gebogenen Zinnbecher mit „Thee“ – und zwar Thee wohl nur aus Höflichkeit so genannt, denn ob die Brühe der Stengel, die noch darin herumschwammen, diesen Namen wirklich verdiente, ist eine Sache, die Schiffs-Eigenthümer mit ihrem eigenen Gewissen abmachen müssen. – Ein Stück gesalzenes Rindfleisch auf einem harten Schiffszwieback als Teller wurde mir ebenfalls herauf gereicht, und ohne weitere Umstände hielt ich eine Mahlzeit, die mir allerdings nach der ungesalzenen Nebukadnezarkost des Thales delikat erschien.

Während ich mich noch so beschäftigte, paffte ein alter Matrose, auf der Kiste unter mir, ganze Wolken von Dampf zu mir empor, wischte dann, als ich mein Mahl beendet, das Mundstück der verräucherten Pfeife an seinem Aermel ab und hielt sie mir artig hinauf. Diese Aufmerksamkeit war ächt seemännisch und wer jemals im Vorcastle gelebt hat, ist auch gerade nicht so eigen. Nach ein paar tüchtigen Zügen also drehte ich mich herum und that mein Bestes,

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mich selbst zu vergessen – doch umsonst. Meine Krippe, anstatt vor und aft zu gehen wie es eigentlich sein sollte, bildete mit dem Kiel einen rechten Winkel, d. h. ging von Larbord nach Starbord, und da das Schiff vor dem Wind segelte, und die See ziemlich hoch ging, so rollte es dabei so, daß ich jedes Mal, wenn meine Hacken in die Höhe und mein Kopf herunter fuhr, glaubte, ich würde einen Purzelbaum schlagen. Außerdem gab es noch einige andre Sachen, die alles Mögliche thaten, meinen Schlaf zu verderben. Dann und wann schlug sogar eine Welle über Bug, und sandte ihren Antheil durch die offne Luke herab, was mir jedes Mal das kalte Wasser ins Gesicht spritzte.

Endlich nach einer schlaflosen Nacht, die zwei Mal durch den erbarmungslosen Ruf der Wache unterbrochen wurde, sah ich den ersten Tagesstrahl zu mir niederdringen und irgend Jemand stieg herab. Es war mein alter Freund mit der Pfeife.

– Hier, Kamerad, sagte ich, helft mir ’mal hier heraus und laßt mich an Deck gehen.

– Halloh, wer krächzt da? lautete die Antwort, als Jener in die Dunkelheit hineinstarrte, wo ich lag. Ah Typee, mein Kanibalenkönig, seid Ihr das? Aber hört einmal, mein Bursche, wie gehts denn Eurer Spiere? Der Obersteuermann meint, es sähe verdammt bös damit aus und er hat den Steward gestern Abend die Handsäge schärfen

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lassen. Ich hoffe doch nicht, daß er an Euch herumzuarbeiten bekömmt?

Noch lange vor Tageslicht erreichten wir die Bai von Nukuhewa und machten bis gegen Morgen kurze Gänge, wo wir dann einliefen und ein Boot mit den Wilden, die mich an Bord gebracht, zum Ufer schickten. Als das zurück kehrte, setzten wir Segel bei und ließen das Land im Rücken. Es wehte eine prächtige Briese und trotz meiner ruhelosen Nacht machten doch die kühlen, kräftigen Seewinde einen unbeschreiblich wohlthätigen Eindruck auf mich.

Den größten Theil des Tages saß ich nun auf dem Windlaß und unterhielt mich mit den Leuten, lernte auch dadurch das Schiff und seine bisherigen Schicksale kennen, und will die dem Leser hier kurz vorführen.


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Capitel II.
Nachrichten über das Schiff selbst.

Zuerst möchte es wohl nöthig sein, das Fahrzeug selbst, die „Julia“ oder die „kleine Jule“, wie sie die Matrosen nannten, etwas näher zu beschreiben.

Sie war eine niedliche Barke von ausgezeichneter Form, etwas über zweihundert Tonnen, Yankee-Baum und sehr alt. In einem Neu-Englandhafen während des Krieges von 1812 als Caper ausgerüstet, war sie durch einen brittischen Kreuzer genommen und nach allen möglichen Dienstleistungen endlich zu einem Regierungspacketboot in den australischen Seen verwendet. Zu dem Dienst nicht mehr tauglich, hatte sie vor etwa zwei Jahren ein Haus in Sidney in Auction erstanden, und nach einigen unbedeutenden Ausbesserungen auf ihre jetzige Fahrt ausgeschickt.

Trotz dieser Reparatur nun, befand sie sich doch noch in gar traurigem Zustande. Die unteren Maste sollten ungesund sein, das stehende Tauwerk war entsetzlich abgenutzt

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und selbst ein großer Theil der Bulwarks angefault; dennoch schien sie ungemein wasserdicht, und kaum mehr als das gewöhnliche Pumpen an jedem Morgen hielt sie frei.

Das Alles hatte aber gar nichts mit ihrem Segeln zu thun, und was das betraf, so war unsere brave kleine Jule eine wahre Hexe. Schwache Briese oder starker Wind, sie gehorchte gern und willig den Segeln, und wenn sie sich die Wellen vorn über den Bug warf und tanzte und stampfte, da dachte man wahrlich nicht an ihre geflickten Segel und ihren abgewetterten Rumpf. Wie das wackere kleine Ding vor dem Wind dahin schoß! Es ist wahr, sie rollte ein bischen, aber es kam Einem ordentlich vor, als ob sie das nur zum Spase thäte, und bei dem Winde konnte sie kein Sturmwind über den Haufen blasen; mit fest angebraßten Segeln schien sie dem Winde gerade in die Zähne zu deuten und dort ging sie auch hin.

Mit all’ diesen guten Eigenschaften durfte man der kleinen Jule freilich nicht recht vertrauen; lebhaft und spielig war sie, doch deshalb vielleicht auch gerade umso unsicherer, denn wer wußte, ob sie nicht, wie ein noch recht lebenslustiger, alter Sterblicher, einmal in einer schönen Nacht einen Leck springen und uns alle mit hinabnehmen würde. Doch sie that das nicht, und ich will ihr deshalb auch keine bösen Vermuthungen nacherzählen.

Sie hatte eine freie Commission und ihren Papieren

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nach konnte sie gehen, wohin sie wollte, auf Wallfischfang, Handel oder sonst etwas. Auf den Pottfischfang ging aber ihr vorzüglichstes Augenmerk, wenn auch bis jetzt erst zwei Fische eingebracht worden.

Als sie Sidney verließ, bestand die ganze Mannschaft aus etwa zwei und dreißig Seelen, jetzt zählte sie noch zwanzig, die Uebrigen waren desertirt. Selbst die drei Untersteuerleute, die Führer der Wallfischboote, hatten sich empfohlen, und von den vier Harpunieren nur zwei ihren Platz behauptet, – Einer, ein wilder Neuseeländer oder Mowree, wie seine Landsleute im stillen Ocean genannt werden. Doch das war noch nicht Alles; die große Hälfte der zurückgebliebenen Seeleute lag an den Folgen eines langen Aufenthalts im ungesunden Hafen darnieder; Einige von ihnen gänzlich unfähig zum Dienst, ein Paar sogar lebensgefährlich krank, und die Uebrigen suchten zwar ihre Wachen zu halten, konnten aber auch wenig oder gar nichts thun.

Der Capitän war ein junger Cockney[2], der vor einigen Jahren nach Australien auswanderte und dort durch Connexionen dieses Commando erhielt, dem er aber keineswegs vorzustehen wußte. Obgleich vielleicht wissenschaftlich gebildet,

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paßte er kaum besser auf die See als ein Friseur, und deshalb machte sich auch Jedermann über ihn lustig. Sie nannten ihn den „Cajütenjungen“, den „Papierjack“ und noch Gott weiß wie sonst. Die Leute schienen das auch keineswegs geheim halten zu wollen und er selbst wußte es eben so gut, und betrug sich deshalb mit der gehörigen Bescheidenheit. So wenig als möglich mit den Matrosen verkehrend, überließ er alles dem Obersteuermann, dem, wie man sich am Bord erzählte, der Capitän mitgegeben war. Trotzdem und trotz seiner scheinbaren Unthätigkeit hatte unser stiller Cockney jedoch mehr mit den Leuten zu thun, als man sich im Anfang dachte. Es war einer jener mehr schaafmäßig aussehenden Gesellen, die hinter dem wolligen Felle eine Art heimlicher Schlauheit verbergen, und diese wird deshalb gefährlicher als jede andre, weil man sie da so wenig vermuthete. So wurde selbst der derbe Obersteuermann, der stets glaubte er thue nur das, was er wolle, gar nicht selten zu einem bloßen Werkzeug gemacht und manche, den Matrosen höchst fatale Regeln, die er einführte und trotz allem Gemurre durchsetzte, entsprangen in der That in dem Kopfe unsers kleinen „Jack mit Nankinjäckchen und weißen Leinwandhosen“. Im Ganzen genommen that aber der Obersteuermann wirklich nur das, was er selbst wollte, und es ließ sich wohl nicht verkennen, daß ihn der Capitän fürchtete.

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So weit denn auch, als Muth, seemännische Kenntnisse und eine natürliche Fähigkeit aufrührerische Geister in Subordination zu halten, in Betracht kam, so weit besaß kein Mensch bessere Fähigkeiten als eben unser Obersteuermann John Jermin. Er war das wirkliche Ideal eines kurzen, untersetzten Mannes; sein in dichte, feste Locken geringeltes, eisengraues Haar bedeckte den runden Kugelkopf; die stark markirten Züge trugen bedeutende Spuren der Blattern, dabei schielte er ein klein wenig auf dem einen Auge; die Nase zog sich etwas keck nach der linken Seite und sein breiter Mund mit dem hellglänzenden Gebiß hatte, besonders wenn er lachte, etwas wirklich haifisch ähnliches. Wie wenig Versprechend nun auch sein Aeußeres sein mochte, so besaß Jermin doch auch wieder seine sehr guten Eigenschaften, mit denen man nach gar kurzer Bekanntschaft vertraut wurde.

Eine seiner Hauptschattenseiten war dagegen die, daß er allen schwachen Eindrücken widerstand und sich gern an äußerst starke Getränke hielt, unter deren Einfluß er sich fast stets befand. Mäßig genossen glaube ich auch in der That, daß sie einem Manne von seiner Constitution zusagten; sie machten ihm die Augen klar, wuschen ihm die Spinnweben aus dem Hirn und regulirten seinen Puls; manchmal trank er aber doch zuviel und ein dickköpfigerer Bursche als Jermin dann war, existirte gar nicht mehr. In diesem Zustande schlug er sich mit Jedem, der ihm in den Weg kam,

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aber gerade die, die er prügelte, liebten ihn wie einen Bruder, denn er hatte eine solche unwiderstehliche gutmüthige Art Jemand zu Boden zu schlagen, daß man ihm doch nicht böse sein konnte. Aber genug für jetzt von unserm kleinen Jermin.

Alle englischen Wallfischfänger müssen dem Gesetz nach einen Arzt mitführen, der natürlich als Gentleman behandelt wird, in der Kajüte wohnt und nichts als die in sein Fach schlagenden Geschäfte zu besorgen hat. Außerdem trinkt er noch jedenfalls Flip und spielt Whist mit dem Capitän. Auch an Bord der Julia befand sich ein solches Individuum, sonderbarer Weise aber hauste dieses im Vorcastle bei den Leuten, und das zwar aus folgender Ursache.

Im Anfang der Reise hatte Doktor und Capitän so gemüthlich mitsammen gelebt, wie man es sich nur wünschen kann, auch mitsammen getrunken, während es ihnen, da der Eine belesen, der Andere viel gereist war, nie an Stoff zur Unterhaltung fehlte. Einmal aber geriethen sie über Politik in Streit, und der Doctor, ein etwas heißköpfiger Bursche, vertheidigte sein Argument so. lebhaft, daß er in der Hitze des Gesprächs den Capitän zu Boden schlug und ihn so im wahren Sinne des Worts zum Schweigen brachte. Da er hierin ohne Zweifel ein wenig zu weit gegangen, so mußte er zuerst in seiner Coje zehn Tage brummen, um bei Wasser und Brod über sein unverantwortliches

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Betragen nachzudenken. Entrüstet über diese Schmach versuchte er bald darauf an einer der Inseln die Julia heimlich zu verlassen, wurde aber erwischt, zurückgebracht und wieder eingesperrt. Zum zweiten Male befreit, schwur er da, keinen Augenblick länger mit dem Capitän „unter einem Dach“ zu wohnen und schaffte seine Kisten und Siebensachen nach vorn zu den Matrosen, wo man ihn, als einen beleidigten Mann, mit offenen Armen empfing.

Da er übrigens in dieser Erzählung eine sehr bedeutende Rolle spielen wird, so muß ich mich noch etwas weiter über ihn auslassen. Die Geschichte seiner früheren Jahre lag, wie die mancher anderer Helden, in tiefem Dunkel begraben, obgleich er dann und wann einzelne Winke fallen ließ, die auf bedeutende Vorfahren, einen Nabob-Onkel und eine unglückliche Geschichte, die ihn in die Welt stieß, hindeuten sollten. So viel man von ihm wußte, war, daß er als Gehilfe eines Wundarztes auf einem Auswanderer-Schiffe nach Sidney gekommen, dort ins Innere des Landes gegangen und nach einigen Monaten, von Geld total entblößt, in die Hafenstadt zurückgekehrt sei, wo er dann die Stelle eines Doctors auf der Julia annahm.

Seine persönliche Erscheinung machte einen merkwürdigen Eindruck; – er war über sechs Fuß hoch, ein wahrer Knochenthurm mit völlig farblosem Teint, blondem Haar und einem kleinen grauen Auge, das auf eine verwünscht

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maliciöse, oder vielmehr schadenfrohe Art umherblitzte. Unter den Leuten hieß er der lange Doctor, oder noch häufiger Doctor Lattengeist. Woher er nun aber auch gekommen und was seine früheren Lebensansprüche gewesen sein mochten, er hatte auf jeden Fall schon einmal viel Geld verthan, Burgunder getrunken und unter Gentlemen gelebt.

Was seine Gelehrsamkeit betraf, so citirte er Virgil, sprach viel über Hobbes von Malmesbury und deklamirte oft ganze Gedichte. Uebrigens hatte er die Welt gesehen und schwatzte auf eine liebenswürdige und ganz unbefangene Weise von einer Liebschaft in Palermo, einer Löwenjagd mit den Hottentotten und über den Kaffee in Muskat, und wußte von all diesen Plätzen und hundert andern mehr Anekdoten als ich wieder erzählen könnte. Dabei sang er prächtige alte Lieder und zwar mit einer so weichen melodischen Stimme, daß man gar nicht begriff, wie die aus dem langknochigen Leibe herauskam.

Im Ganzen war Doctor Lattengeist ein so angenehmer Gesellschafter, wie ihn sich nur Jemand wünschen konnte, und für mich und die Julia ein wahrer Gottgesandter.

Wirkliche Disciplin fehlte übrigens an unserem Bord gänzlich, und das Fahrzeug befand sich deshalb in einem fortwährenden und förmlichen Aufruhr. Der Capitän ließ sich, seit langer Zeit durch Krankheit in der Cajüte zurückgehalten, gar nicht mehr an Deck sehen; der Steuermann

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jedoch war so wacker wie ein junger Löwe und machte einen greulichen Spektakel im ganzen Schiffe herum. Bembo, der Neuseelandharpunier, verkehrte mit fast Niemand weiter als dem Steuermann, da dieser nur allein seine Sprache verstand. Den größten Theil des Tages saß er vorne am Bugspriet und fischte nach Albicoren mit einem Fischhaken von Knochen, und weckte manchmal in einer dunkeln Nacht die ganze Mannschaft auf, wenn er vorn auf dem Vorcastle, und ganz allein für sich, irgend einen kannibalischen Fandango stampfte. Im Ganzen betrug er sich höchst ruhig, obgleich etwas in seinem Auge allerdings verrieth, daß er keineswegs gefahrlos sei.

Doktor Lattengeist hatte dem Capitän seine „Niederlegung der Schiffsdoktorwürde“ eingesandt, sich als Passagier nach Sidney angegeben und machte sich’s nun ungemein bequem. Was die Mannschaft betraf, so schien sie für Leute in ihrer Lage sehr ergeben in ihr Schicksal und die Uebrigen betrugen sich gerade wie Männer, die den heutigen Tag benutzen und sich den Teufel daran kehren, was aus dem morgenden wird.

Die Provisionen der Julia waren unter der Würde; wenn ein Faß eingesalzenes Schweinefleisch aufgemacht wurde, so sah es gerade aus, als ob es in Eisenrost gelegen hätte und verbreitete einen nichtswürdigen Geruch. Das Pökelfleisch war noch schlechter; eine mahagonyfarbene,

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sehnige Masse und so zähe und geschmacklos, daß ich des Kochs Anekdote wirklich glaube, der erzählte, er hätte einen Pferdehuf, mit dem Hufeisen dran, aus einem der Fässer heraus gefischt. Die Zwiebacke harmonirten mit dem Ganzen, sie waren in kleine harte, feuersteinartige Stücke zerbrochen und total durchlöchert, als ob die Käfer, die diesen Artikel auf langen tropischen Reisen gewöhnlich zum Aufenthaltsorte wählen, den Stoff, nach Nahrung suchend, durchbohrt hätten, und nun an den Antipoden wieder herausgekommen wären, ohne irgend etwas gefunden zu haben.

Von dem, was die Matrosen „kleine Mundvorräthe“ nennen, führte die Julia fast gar nichts, nur Thee sollte in Ueberfluß an Bord sein, die Hongkong-Kaufleute hatten ihn aber schwerlich versandt. Einen um den andern Tag bekamen wir dabei „Kugelsuppe“, wie sie die englischen Matrosen nennen, ein Gebräu aus großen grauen Erbsen, die sich in lauwarmem Wasser herumtreiben und gegenseitig blank poliren.

Wie ich später erfuhr, so waren alle unsere Provisionen von den Eigenthümern in einer Auktion condemnirten Schiffsproviants aufgekauft worden; ein Matrose hätte aber dennoch trotz der wässrigen Suppe und dem übersalzenen Fleisch eine übrigens gute Mahlzeit am Bord der Julia halten können, wäre nur vielleicht eine Kartoffel, ein Yam oder ein Pisang dabei gewesen; doch Gott bewahre, nicht

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die Probe von alledem befand sich an Bord, oder wenigstens im Bereich des Vorcastles, und nur eins konnte die Mannschaft mit der Kost wieder in etwas versöhnen, und das war der regelmäßig ausgetheilte Pisco.

Es mag sonderbar scheinen, daß bei solchem Zustand der Dinge der Capitän überhaupt in See blieb; die Sache hatte aber ihren Haken; im Hafen riskirte er, daß ihm alle seine Leute desertirten und auch so fürchtete er wohl nicht ohne Grund, in irgend einer fremden Bai einmal plötzlich seinen Anker über Bord und keinen Mann an Bord zu haben, der ihn wieder heraufholte.

Unter vernünftigen Offizieren kann auch der widersetzlichste Seemann in offener See im Zaum gehalten werden, einmal aber in Taulänge vom Lande und es ist schwer sie zurückzuhalten. Deshalb gehen viele Südsee-Wallfischfänger manchmal in achtzehn oder zwanzig Monaten gar nicht vor Anker und wenn sie frische Provisionen haben müssen, so legen sie lieber acht oder zehn Miles davon bei, und schicken ein Boot an’s Ufer. Die Mannschaft auf solchen Fahrzeugen besteht denn auch meistens aus Vagabunden von allen Nationen und Farben, die in den gesetzlosen Häfen des spanischen Gebietes, oder auf den verschiedenen Inseln aufgelesen sind. Wie Galeerensklaven können solche Menschen nur mit Peitsche oder Ketten in Ordnung gehalten werden, und die Offiziere tragen stets ihre Pistolen

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und Dolche, – wohl gut versteckt – doch immer schlagfertig bei sich.

Nicht wenige unsrer eignen Mannschaft bestanden aus dieser Art Leute, doch so toll sie auch zu Zeiten sein mochten, so hielt gerade die derbe trunkene Energie Jermins sie in einer Art lärmender Subordination; wenn es einmal noth that, so flog er mitten zwischen sie, und seine Püffe und Stöße regneten nach allen Seiten. Wie ich aber schon vorher erwähnte, so ertrugen sie seine derbe Schlag-mich-nieder-Autorität mit dem vortrefflichsten guten Humor, während ein anderer nüchterner Offizier gar nichts hätte mit ihnen anfangen können. Solch eine Bande würde ihn und seine Anständigkeit über Bord geworfen haben.

Da die Sachen nun einmal so standen, blieb der Julia weiter nichts übrig, als die See zu halten und der Capitän hoffte, wenn er und die Mannschaft nur erst hergestellt sei, noch vielleicht eine ruht gute Jagd zu machen. Als ich an Bord kam, hieß es auch wirklich, Capitän Guy beabsichtige das Vergangene wieder gut zu machen und sein Schiff in möglichst kurzer Zeit mit Thran zu füllen.

In dieser Absicht richteten wir unsern Cours nach Hytyhoo, einem Städtchen auf der Insel St. Catharine (in der Marquesas-Gruppe und von Mendanna so genannt) und zwar um acht Seeleute wieder aufzunehmen, die vor einigen Wochen dort von der Julia an’s Ufer gegangen

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und nicht wieder zurückgekehrt waren. Man hoffte nämlich, daß sie sich bis dahin genug amüsirt hätten und nun selbst wünschen würden, an Bord zurückzukehren.

Also nach Hytyhoo mit allen Segeln gesetzt, und mit den warmen Passaten kokettirend, glitten wir auf den langen, mächtigen Schwellungen hin, während die Bonettas und Albicoren neben uns spielten und schwärmten.


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Capitel III.
Scene in Vorcastle und was in Hytyhoo geschah.

Ich war kaum vierundzwanzig Stunden an Bord, als etwas vorfiel, das, obgleich nichts weniger als romantisch, doch in die Verhältnisse unseres Fahrzeuges einen so trefflichen Blick erlaubt, daß ich nicht umhin kann, es zu erwähnen.

Zuerst muß ich hier vorausschicken, daß sich unter der Mannschaft ein Matrose befand, der so entsetzlich häßlich war, daß er den ironischen Namen „die Schönheit“ erhalten hatte. Er versah die Stelle eines Schiffszimmermanns und wurde deshalb auch oft mit dem dieser Menschenklasse zugegebenen nautischen Beinamen „Spahn“ benannt. Man konnte ihn übrigens nicht verwachsen nennen, nein, er war symmetrisch häßlich, nichts destoweniger aber von bester Gemüthsart; seine Gestalt hatte sein Herz sicherlich nicht versauert. Dieser und Jermin standen sich fortwährend feindlich gegenüber, denn Spahn war der einzige

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Mann im Schiff über den dieser noch nicht Herr geworden, was dessen Ehrgefühl natürlich ganz besonders verletzte. Was „die Schönheit“ aber anbetraf, so that er sich etwas zu gute darauf, dem Steuermann die Spitze zu bieten, wie wir auch bald hören werden.

Gegen Abend war Einiges an Deck zu thun und der Zimmermann, der zur Wache gehörte, fehlte.

– Wo ist der Schlingel, der Spahn, schrie Jermin die Vorcastleluke hinab.

– Ruht sich hier aus, wie Ihr seht, hier unten auf seiner Kiste, wenn Ihr’s wissen wollt, erwiderte der würdige Mann selbst, während er kaum indeß die Pfeife aus dem Munde nahm.

Diese Unverschämtheit erzürnte den Steuermann auf’s Aeußerste; „die Schönheit“ sagte aber gar nichts, sondern tauchte nur stillzufrieden fort. Hiebei muß ich jedoch vorerwähnen, daß, was auch immer ein Matrose verbrochen haben mag, kein kluger Offizier auch nur daran denken würde in feindlicher Absicht in das Vorcastle eines Schiffes hinabzusteigen. Wenn er einen Matrosen von da unten herauf haben will, so muß er geduldig warten, bis dieser Lust hat heraufzukommen. Die Ursache ist die: der Platz ist sehr dunkel und nichts leichter als Jemandem, der hinab steigt, eins über den Kopf zu geben, ehe dieser nur weiß, wo er selber ist, und vielleicht nie erfährt, wer es

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gewesen. Niemand wußte das besser als Jermin, und deshalb begnügte er sich auch nur hinabzuguken und zu wüthen, bis „die Schönheit“ endlich eine sehr trockene Bemerkung machte, die den Steuermann in blinder Wuth sich selbst vergessen ließ.

– Kommt an Deck! schrie er hinunter. Herauf mit Euch, oder ich hole Euch.

Der Zimmermann bat ihn sich nicht zu geniren und Jermin, aller Klugheit vergessend, sprang hinab, hatte aber, einem gewissen Instinkt dabei folgend, seinen Mann an der Kehle, ehe er ihn nur ordentlich sehen konnte. Einer der Leute fuhr nun auf ihn zu; den hielten die Uebrigen aber zurück, und erklärten, daß sie einen ehrlichen Kampf haben sollten.

– Jetzt kommt an Deck! schrie der Steuermann und that sein Bestes den stämmigen Burschen festzuhalten.

– Bringt mich hinauf, lautete die trotzige Antwort, und Spahn wand sich unter dem nervigen Griff des Seemanns wie ein paar Ellen Boa-Constrictor. Der Angreifer versuchte nun den Delinquenten in eine Art Bündel zusammenzupacken, um ihn besser transportiren zu können, dabei aber bekam Spahn seine Arme frei und warf ihn hinterrücks über sich. Jermin raffte sich jedoch augenblicklich wieder auf und eine kurze Zeit hatten sie’s nun oben und unten; sie zogen einander herum, stießen ihre Köpfe gegen

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Kisten und hervorstehende Balken, und erwiederten die gegenseitigen Püffe, wo sich nur irgend eine günstige Gelegenheit dazu bot. Unglücklicher Weise rutschte Jermin endlich aus und fiel, während sich sein Gegner ihm auf die Brust setzte und ihn niederhielt Dies ist aber eine von den Situationen, wo ein guter Rath oder eine freundliche, liebevolle Warnung mit besonderer Salbung ertheilt werden kann. „Die Schönheit“ ließ sich solche Gelegenheit denn auch nicht entgehen, der Steuermann dagegen erwiderte kein Wort, sondern versuchte nur mit schäumenden Lippen sich wieder aufzuarbeiten.

In diesem Augenblick ließ sich oben ein dünnes, zitterndes Stimmchen vernehmen; es war der Capitän, der gerade zufällig beim Anfang des Kampfes an Deck gekommen war und sich selbst gewiß wieder hinunter in seine Kajüte wünschte, wohin er auch gegangen wäre, hätte er nicht gefürchtet, sich lächerlich zu machen. Da nun der Lärm wuchs und er nicht mehr zweifeln konnte, daß sich sein Offizier in Noth befand, so dachte er denn doch, er dürfe dies nicht länger ignoriren, schritt deshalb auf’s Vorcastle und beschloß – das Beste was ihm übrig blieb – die Sache leicht zu nehmen.

– Ei, ei! rief er mit schneller Stimme, was soll das alles heißen, Mr. Jermin, Mr. Jermin – Zimmermann,

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Zimmermann, was macht Ihr Alle drunten? – Kommt an Das, kommt an Deck.

Gleich darauf wurde Doktor Lattengeist gehört, der mit hoch hinaufgeschraubten Tönen ausrief:

– Ah, Miß Guy, sind Sie das? gehen Sie ja nach Hause, mein Herzchen, Sie könnten hier Schaden nehmen.

– Bah, bah, Sir, wer Ihr auch seid, Sir – ich habe nicht mit Euch gesprochen – fort mit Eurem Unsinn. Jermin, ich sprach mit Euch, habt die Güte an Deck zu kommen, Sir, ich brauche Euch hier oben.

– Und wie in des drei Teufels Namen soll ich da hinaufkommen, schrie der Steuermann wüthend. Springt hier herunter, Captän Guy, und zeigt Euch als ein Mann. – Laßt mich los, Spahn, verdammter! – Laßt mich los. – Na, wartet, das sollt Ihr mir bezahlen. Kommt herunter, Captän Guy.

Bei dieser Zumuthung bekam der arme Mann fast Krämpfe.

– Bah, bah, Zimmermann, hört jetzt mit Eurem Unsinn auf, laßt ihn gehn, Sir, laßt ihn gehn. – Hört Ihr? laßt Mr. Jermin an Deck.

– Macht, daß Ihr fortkommt, Papierjack, erwiderte „die Schönheit,“ – der Streit hier geht den Steuermann und mich an. Also geht in Eure Kajüte, wo Ihr hingehört.

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Als der Capitän noch einmal seinen Kopf in die Luke steckte, um hinauf zu antworten, erhielt er plötzlich von ungesehener Hand einen ganzen Becher voll aufgeweichten Zwieback und Theeblätter in’s Gesicht – der Doktor stand zu der Zeit gar nicht weit von der Luke, – wonach sich der sehr außer Fassung gebrachte Gentleman mit triefendem, weit vorgestrecktem Angesicht in seine Kajüte zurückzog.

Einige Augenblicke später wurde Jermin zu einem Vertrag gezwungen und sah nun in seiner zerrissenen Jacke und blutigen Physiognomie gerade so aus, als ob er sich eben aus seiner höchst verwickelten Maschinerie herausgearbeitet hätte. Eine halbe Stunde etwa blieben Steuermann und Capitän in der Cajüte zusammen, wo des Erstern rauhe Stimme weit über die feinen Laute des Andern hervorschallten.

Dies war das erste Mal gewesen, daß Jermin in seinen Streitigkeiten mit den Matrosen den Kürzern gezogen, was ihn natürlich nicht wenig in Wuth setzte. In der Cajüte hatte er, wie der Steward nachher erklärte, dem Capitän auch rund heraus erklärt, daß sich dieser in Zukunft selber um sein Schiff bekümmern möge, denn wenn das die Art wäre, wie er seine Offiziere behandeln ließe, dann wolle er nichts weiter damit zu thun haben. Nach manchen derben Redensarten beruhigte ihn endlich der Capitän damit,

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daß er ihm versicherte, der Zimmermann solle bei der ersten passenden Gelegenheit die neunschwänzige Katze zu kosten bekommen; obgleich das Experiment, wie die Sachen jetzt standen, gewiß ein etwas gefährliches gewesen wäre. Auf diese Zusage hin entschloß sich denn Jermin, wenn auch zögernd, die Sache für jetzt ruhen zu lassen, und ersäufte alle Gedanken daran in einer Kanne Flip, die der Steward auf des Capitäns Befehl schnell für ihn hatte bereiten müssen.

Das waren die einzigen Folgen, die dieser Kampf je hatte.

In noch nicht ganz achtundvierzig Stunden, nachdem wir Nukuhewa verlassen, begrüßte uns in weiter Ferne die blaue Insel St. Christina, und als wir dem Ufer näher kamen, wurde das grimme schwarze Takelwerk und der wespenartige Rumpf eines kleines Kriegsschiffs sichtbar, dessen Masten und Raaen scharf gegen den Horizont abstachen. Es lag in der Bai vor Anker und wies sich als eine französische Corvette aus.

Dies schien unserm Capitän ungemein zu behagen, und an Deck kommend, untersuchte er sie aus den Besanwanten mit seinem Glas. Im Anfang mochte er auch wohl beabsichtigt haben, gar nicht vor Anker zu gehen, jetzt aber, im schlimmsten Fall auf den Beistand der Corvette zählend, änderte er seinen Plan, warf dicht neben dieser den Anker

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aus, und ließ sich dann augenblicklich an ihren Bord hinübersetzen, um dem Befehlshaber derselben seine Aufwartung zu machen, und ihn auch noch wahrscheinlich zu bitten, ihm bei der Wiedererlangung seiner Matrosen behülflich zu sein.

Nach kaum zwanzig Minuten kehrte er zurück und brachte zwei Offiziere in undress Uniform und Backenbärten und drei grimmig aussehende, trunkene alte Häuptlinge mit an Bord. Einer von diesen hatte seine Beine durch die Armlöcher einer alten rothen Weste geschoben, ein Anderer trug ein Paar Sporen an den nackten Hacken und der Dritte einen dreieckigen Hut mit Federn; außer diesen Auszeichnungen befanden sie sich total in ihrer Landestracht, d. h. mit einem Stück Matte um den Lenden. So unanständig aber auch ihr äußeres Ansehen und Betragen sein mochte, so wurde uns doch bald klar, daß sie nichts weniger waren, als eine Deputation der ehrwürdigen Geistlichkeit der Insel, die an Bord gekommen, uns unter ein scharfes Taboo[3] zu stellen. Das sollte nämlich die unordentlichen Scenen wie

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auch Desertionen verhindern, die dadurch erleichtert werden, sobald die Eingeborenen, Männer und Frauen, freien Ein- und Ausgang auf Fahrzeugen haben.

Die Ceremonie dieser Sache wurde bald beendet. Die Häuptlinge gingen ein wenig bei Seite, steckten ihre alten geschorenen Schädel zusammen und machtest Hokus Pokus, dann riß ihr Führer einen langen Streifen von seinem weißen Tappagürtel und überreichte ihn einem der französischen Offiziere, der ihn wieder, dabei erklärend was damit geschehen solle, Jermin übermachte. Der Steuermann stieg nun schleunigst damit zum Klüverbaum hinaus und befestigte dort dies mystische Symbol des Bannes. Kaum war das auch geschehen, so zeigte sich sein Erfolg auf eine ganze Schaar schwimmender Mädchen, die eben hatten zu uns heran kommen wollen. Ihre Arme emporwerfend, schlugen sie das Wasser wie die Delphine, wandten sich und kehrten mit dem lauten Ausruf: „Taboo! Taboo!“ zum Ufer zurück.

Die Nacht nach unsrer Ankunft sollten der Steuermann und der Mowree abwechselnd die Wache halten, d. h. sich alle vier Stunden ablösen, während die Mannschaft, wie das gewöhnlich vor Anker der Fall ist, die ganze Nacht unter Luken blieb. Mistrauen in die Leute mochte aber in diesem Falle die Hauptursache solcher Vorkehrungen sein, denn es lag auch fast außer allem Zweifel, daß Einige den

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Versuch machen würden, zu desertiren. Deshalb, als Jermins erste Wache begann – um Mitternacht, die sogenannte Hundewache – bis wohin sich Alles beruhigt hatte, nahm er dicht neben der Vorcastleluke mit einer Piscoflasche seinen Platz und schien vollkommen bereit, die erste Physiognomie, die sich über Deck zeigen möchte, mit seiner breitkräftigen Faust zu begrüßen.

So vorbereitet, hatte er wahrscheinlich auch geglaubt, er würde wach bleiben; es dauerte aber gar nicht lange, so nickte er ein und schlief nun mit einer so herzlichen Seelenruhe und schnarchte durch seine schiefe Nase so fabelhaft, daß er schon dadurch alle die, die wirklich an Flucht dachten, wach halten mußte. Als er wieder zu sich kam, dämmerte es gerade; er konnte aber doch genug erkennen, um zu sehen, daß zwei Bote fehlten und wußte augenblicklich was vorgefallen sei.

Den Mowree aus einem alten Segel herausziehend, in das er sich eingewickelt hatte, hieß er ihm augenblicklich ein andres Boot klar machen und flog dann in die Kajüte dem Capitän die Flucht der Matrosen anzuzeigen. Als er wieder an Deck kam, tauchte er in das Vorcastle hinab, um von hier ein paar Ruderer heraufzuholen, hörte aber auch schon, kaum dort angelangt, einen Schrei und einen Schlag ins Wasser und sah nun, sich über das Bulwark

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hinauslehnend, den Mowree und das Boot, die übereinander herum rollten.

Dieses war nämlich vor Abend zu seinem Platz am Starbordquarter hinaufgehißt und befestigt worden. Irgend Jemand hatte aber dann die Falle, die es hielten, so durchschnitten, daß ein mäßiger Druck sie zerreißen mußte. Bembos Gewicht entsprach diesem vollkommen, denn kaum sprang er hinein, als es abriß und mit ihm niederstürzte. Noch ein andres Boot hing an der Seite, doch das Geschehene lehrte sie Vorsicht und gut war es wahrlich, daß sie es Vorher untersuchten, denn die Flüchtigen hatten ein Loch in den Boden geschnittene, durch das ein erwachsener Mann hätte durchschlüpfen können.

Jermin raste förmlich, er schleuderte mit aller Kraft, deren er fähig war, seinen Hut breit an Deck und wollte über Bord springen und zur Corvette schwimmen, einen Cutter zu requiriren, als Capitän Guy erschien und ihn ersuchte, da zu bleiben, wo er wäre. Unterdessen hatte auch der Offizier an Bord des Franzosen unsre Bewegungen bemerkt und rief uns an, um zu erfahren was vorgefallen sei.

Guy schrie es ihm durch sein Sprachrohr zu, und er versprach augenblicklich Leute, die den Deserteuren folgen sollten. Eine Bootmannspfeife wurde gehört, ein oder zwei Befehle gegeben, ein großer Cutter schoß von dem Stern

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des Kriegsschiffes herbei und war mit wenigen Ruderschlägen an unsrer Seite. Unser Steuermann sprang hinein und sie griffen aus, dem Ufer zu.

Ein andrer Cutter mit bewaffneter Mannschaft folgte diesem bald darauf.

Nach einer Stunde etwa kehrte der erste zurück und hatte die beiden Wallfischboote im Schlepptau, die sie, wie Schildkröten umgekehrt, am Ufer gefunden.

Nachmittag kam und nichts wurde mehr von den Deserteuren gehört; indessen knüpfte ich mit dem langen Doktor eine Unterhaltung an und wir amüsirten uns dabei, die vor uns liegende Scenerie zu betrachten. Die Bai lag regungslos vor uns; die Sonne stand hoch und heiß, und dann und wann glitt still und verstohlen ein dunkles Canoe hinter irgend einer Landspitze vor und schoß schnell und flüchtig über die ruhige Wasserfläche dahin.

An dem ganzen Morgen hinkten auch unsre armen Kranken am Deck herum und schauten mit sehnsüchtigen Blicken nach dem Lande hinüber, wo die Palmen wehten und sie in ihren freundlichen Schatten einzuladen schienen. Die armen Burschen; wie segensreich würde jene balsamische Luft auf ihre zerrüttete Gesundheit eingewirkt haben; der hartherzige Jermin versicherte sie aber mit einem Fluch, daß kein Fuß von ihnen jemals das Land da drüben betreten solle.

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Gegen Sonnenuntergang sahen wir, wie sich ein dunkler Menschenhaufe der Küste zuwälzte; vor ihm her, o trauriger Anblick – kamen die Flüchtlinge im bloßen Kopfe – ihre Jacken und Beinkleider zerrissen, die Gesichter mit Blut und Staub bedeckt und die Arme mit Bast auf den Rücken gebunden; hinter ihnen drein stürmte schreiend und jubelnd eine Schaar von Eingeborenen und stieß sie mit den Spitzen ihrer langen Speere, während sie die Mannschaft der Corvette an der Flanke mit Cutlassen bedrohte.

Die, dem König der Bai versprochene Muskete und ein Becher voll Pulver für jeden Wiedergefangenen, hatte die ganze Bevölkerung auf die Beine gebracht, und so erfolgreich war ihre Jagd gewesen, daß sie nicht allein sämmtliche an diesem Tage entflohene Deserteure, sondern auch fünf von denen wieder einlieferten, die sich bei dem frühem Besuch auf der Insel empfohlen hatten. Die Eingeborenen halfen jedoch nur als Spürhunde auf dieser Jagd; sie fanden das Wild auf und überließen nachher die Gefangennahme desselben den Franzosen, denn so wenig hier, wie auf andern Inseln denken sie daran, sich einer Abtheilung verzweifelter Seeleute entgegen zu stellen. Sie wissen besser, was sie ihrem eignen Leben schuldig sind.

Die Deserteure wurden wieder an Bord gebracht, wenn sie aber auch im Anfang ein bischen mürrisch drein schauten,

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so behandelien sie die Sache doch bald als einen zwar mißglückten, doch lustigen Streich.

Um nun nicht noch eine zweite Nacht bei Hytyhoo liegen zu bleiben, ließ Capitän Guy den Anker gleich nach Dunkelwerden wieder lichten; am nächsten Morgen dagegen, als wir schon alle glaubten, wir wären nun auf einem langen Kreuzzuge begriffen, änderten wir plötzlich unsern Cours nach La Dominica oder Hivarhoo zu – eine Insel, die gerade nördlich von der eben verlassenen liegt. Der Grund davon war, wie wir später erfuhren, eine Nachricht, die unser Capitän von dem Franzosen erhalten, daß dort nemlich mehrere englische Matrosen erst kürzlich von einem amerikanischen Wallfischfänger an’s Ufer gegangen seien, und sich nun auf einem Fahrzeug ihres eignen Landes einzuschiffen wünschten.


Wir machten das Land am Nachmittage aus, und erreichten bald darauf eine freundliche von schattiger Bucht begrenzte Bai. Fock- und Hauptmarssegel wurden backgebraßt und gleich darauf tanzte die flinke Jule plötzlich wie ein rasch eingezügeltes Pferd, in ihrem Cours gehemmt auf den Wogen, während der Schaum hoch an ihrem Brig emporspritzte.

Dies war der Platz, wo wir die Leute zu bekommen gedachten und ein Boot wurde deshalb klar gemacht, um

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ans Ufer zu gehen; hierzu mußte aber eine besondere Auswahl zwischen den Matrosen getroffen und zwar solche genommen werden, von welchen man am wenigsten fürchtete, daß sie ausreißen würden. Nach langem Delibriren wählten Capitän und Steuermann denn auch endlich vier Seeleute, denen sie am meisten vertrauen konnten, d. h. sie nahmen solche aus der Mannschaft, die sie für die am wenigsten schurkischen und liederlichsten hielten.

Mit Cutlassen alle bewaffnet, – denn den Eingeborenen wurde hier das Lob ertheilt, daß sie die blutdürstigsten Hallunken der Südsee seien, – stiegen sie von dem invaliden Capitän selbst gefolgt, in die Schaluppe, und Guy schien sich bei dieser Gelegenheit wirklich vorgenommen zu haben, eine ausgezeichnete Rolle zu spielen. Außer seinem Cutlaß trug er noch einen alten Entergürtel und ein paar Pistolen. Gleich darauf stießen sie ab.

Mein Freund Lattengeist hatte unter andern Dingen, was in einem Schiffsvorcastle in der That etwas sonderbar aussah, ein treffliches Fernrohr; bei der gegenwärtigen Gelegenheit nahmen wir dies denn auch in Gebrauch und als sich das Boot der Landspitze näherte, so konnten wir die Leute, obgleich dem nackten Auge längst entschwunden, wie kleine, niedliche Zwerggestalten dort agiren sehen.

Das zierliche Miniatur-Boot schoß jetzt über die Brandung des Ufers, die uns wie ein langer Streifen Schaum

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erschien, hin; doch keine Seele ließ sich am Lande sehen. Einer von unsern Matrosen mußte nun als Wache zurückbleiben, die Andern sprangen auf den Strand und schauten sich sehr vorsichtig um, blieben fortwährend stehen und betrachteten, wie es uns vorkam, höchst mißtrauisch einen bis dicht ans Meer gehenden schattigen Hain. Doch niemand trat daraus hervor; alles lag still wie das Grab und Er mit den Pistolen, von den Uebrigen die blanken Cutlasse Schwingenden gefolgt, verschwand gleich darauf hinter den Bäumen, mußte aber doch wohl irgend einen ungastfreundlichen Angriff gefürchtet haben, denn es dauerte nicht lange, so kamen Alle, ein kleines Stück davon entfernt, wieder zum Vorschein.

Wenig Minuten später schifften sie sich wieder ein, und glitten bald nachher aufs Neue über die Wogen. Da sprang der Capitän plötzlich im Boote empor; dieses flog herum und ruderte noch einmal dem Ufer zu, und jetzt erkannten wir auch einige zwanzig oder dreißig Eingeborene, die mit Speeren bewaffnet gerade aus dem Wald kamen und allem Anschein nach den Fremden zuwinkten, nicht in solcher Eile zu sein, sondern zurückzukommen und freundlich mit ihnen zu verkehren. Man mußte ihnen aber doch wohl nicht so recht trauen, denn das Boot hielt sich immer eine kurze Strecke vom Strand, während der Capitän vorn in dessen Bug stand und seiner Pantomime nach, eine Anrede an die

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Insulaner hielt, in der er sie höchst wahrscheinlich aufforderte, selbst näher zu kommen. Einer von ihnen trat jetzt vor und antwortete, der Art aber nach, wie er die Arme warf, mußte er gegen die Fremden die Bitte wiederholen, zu landen. Der Capitän weigerte sich jedoch noch immer und warf seine Arme in einer andern Pantomime. Endlich sagte er etwas, was die Eingeborenen wohl ärgern mußte, denn sie drohten ihm mit den Speeren, und er feuerte nun eine seiner Pistolen auf sie ab, was die ganze Schaar in die Flucht trieb. Ein armer Bursche nur ließ seinen Speer fallen, hielt mit beiden Händen den hintern Theil seines Körpers und hinkte fort, während ich Gott weiß was darum gegeben hätte, in dem Augenblick den Schuft von Capitän selbst in Schußnähe zu haben.

Solche Handlungen unverzeihlicher Grausamkeit werden überhaupt von Seecapitänen, die an solchen noch unbekannten Inseln anlegen, keineswegs selten verübt. Selbst in der Pomatu-Gruppe, nur ein Tagessegeln von Tahiti entfernt, ist oft auf die armen Wilden, die ans Ufer kamen, sie vorbeifahren zu sehen, von Handelsschoonern aus geschossen worden, was solche nichtswürdige Hallunken nur um sich zu amüsiren thaten.

Es ist in der That kaum glaublich, in welchem Lichte manche Matrosen diese nackten Heiden betrachten und nur zu oft habe ich bemerkt, daß, je ungebildeter und roher die

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Menschen sind, sie auch mit desto größerer Verachtung auf solche herabsehen, die noch unter ihnen stehen.

Da des Capitäns glühende Beredtsamkeit keinen Eindruck auf diese Wilden hervorgebracht zu haben, auch jede Hoffnung auf künftige Unterhandlungen abgeschnitten zu sein schien, so kehrte das Boot wieder zur Julia zurück.


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Capitel IV.
Was in Hannamanoo geschah. – Die Tättowirer von La Dominica.

An der andern Seite der Insel lag die große und starkbevölkerte Bai von Hannamanoo, wo die gesuchten Männer doch vielleicht noch gefunden werden konnten; da jedoch bis das Boot wieder herankam, die Sonne schon zu sinken begann, so wendeten wir und suchten mit kurzen Gängen vom Lande fortzukommen. Erst mit Tagesanbruch drehten wir uns wieder dem Ufer zu und liefen, als die Sonne schon herauf war, in den schmalen Canal ein, der die beiden Inseln La Dominica und St. Christina von einander scheidet.

An der einen Hand lag eine Kette steiler, grüner Berge, viele hundert Fuß hoch und die weißen Hütten der Eingeborenen klebten hie und da wie Vogelnester in der üppigen Vegetation. Auf der andern Seite rollte das Land in hellen, saftigen Hügeln hin und so warm und schwellend schienen sie, daß es ordentlich aussah, als ob sie in der Sonne athmeten. Doch hindurch glitten wir, an Hügel und Niederung,

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an Fels und Thal, an dunkler Schlucht und sprudelndem Wasserfall vorbei; eine frische Landbriese füllte unsre Segel, die von der Bai umschlossenen Wasser lagen so still wie die Fluthen eines See’s und jede blaue Woge brach sich mit einem harmonischen Klingen an unserm gekupferten Bug.

Als wir das Ende des Kanals erreichten, bogen wir um eine Landspitze und liefen voll ein in die Bai von Hannamanoo, die den einzigen namhaften Hafen auf der Insel bildet, obgleich sie, was einen sichern Ankergrund betrifft, den Titel kaum verdient.

Ehe wir in Verbindung mit dem Ufer traten, fiel etwas an Bord vor, das vielleicht im Stande ist, einen schwachen Begriff von dem Charakter unsrer Mannschaft zu geben.

Nachdem wir uns dem Land so weit genähert, als es die Vorsicht zuließ, wurden die nöthigen Segel backgebraßt, um den Lauf des Schiffes aufzuhalten und die Ankunft eines Canoes zu erwarten, das eben aus der Bai schoß. Plötzlich geriethen wir in eine starke Strömung, die uns schnell einem felsigen Vorgebirge entgegenriß, welches die eine Seite des Hafens bildete. Der Wind war gänzlich eingeschlafen und zwei Boote mußten niedergelassen werden, um unsern Bug herumzuziehen. Ehe dies aber geschehen konnte, brach sich das Wasser schon überall um uns her, und der Fels kam uns so nahe, daß es ordentlich aussah, als ob man vom Mast aus hätte hinüber springen können. Der Capitän

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wurde vor Angst leichenblaß und Jermin schrie sich fast die Lungen aus. Die Leute handhabten aber ihre Taue mit einer Gemüthsruhe, die ans Fabelhafte grenzte, und Einige schwelgten schon in der nahen Aussicht, das Ufer zu betreten, während Andere ihre Freude kaum unterdrücken konnten, das Fahrzeug stranden zu sehen. Ganz unerwartet kam uns eine Gegenströmung zu Hülfe und durch Unterstützung der Boote gelang es uns bald der Gefahr zu entgehen.

Welch getäuschte Hoffnung für unsre Mannschaft, alle ihre kleinen freundlichen Pläne, vom Wrak aus ans Ufer zu schwimmen und sich für den Rest ihrer Tage einem gemüthlichen Leben zu ergeben, wurden so in der Blüthe erstickt.

Bald darauf schoß das Canoe an uns heran und darin saßen acht oder zehn Eingeborene, hübsche, munter aussehende Burschen, ganz Bewegung und Leben, mit den rothen Federn in ihren Kopfbändern, nickend und winkend. Sie begleitete ein Fremder, ein Renegat von Christenthum und Menschlichkeit, ein weißer Mann in dem Südseegürtel, mit tättowirtem Angesicht. Ein breites blaues Band lief ihm quer durchs Gesicht von Ohr zu Ohr, und seinem Antlitz war die schlanke Figur eines blauen Haifisches, nichts wie Flossen von Kopf bis Schwanz, eingegraben. Es war ein Englander der sich Tom Hardy nannte. Vor zehn Jahren etwa desertirte er hier von einer Handelsbrig, die an der Insel landete, um Holz und Wasser einzunehmen.

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Damals betrat er übrigens das Ufer als eine souveräne Macht mit Muskete und Munition bewaffnet und bereit, wenn angegriffen, der ganzen Bevölkerung den Krieg zu erklären. Zum Glück für ihn theilten sich in jener Zeit zwei einander feindlich gesinnte Könige in das Land, von denen er mit einem – natürlich mit dem, der ihm die ersten Anerbietungen machte, – ein Bündniß schloß, und was er jetzt war, dessen Verbündeter, der Feldherr des Stammes und der Kriegsgott der ganzen Insel wurde.

Gegen seine Campagnen konnten die Napoleons gar nicht aufkommen. In einem Nachtangriff besiegte seine entsetzliche Muskete, von der leichten Infanterie der Speere und Wurfspieße gedeckt, zwei Clans, und der nächste Morgen brachte alle zu den Füßen seines königlichen Aliirten.

Eben so wenig blieb sein häusliches Glück hinter seinem militärischen zurück. Drei Tage nach seiner Landung erhielt er die ganz vortrefflich tättowirte Hand einer Prinzessin, und mit der jungen Dame ihre Mitgift: eintausend Klafter feine Tappa, funfzig doppelt gewobene Matten von gespaltenem Gras, vierhundert Schweine, zehn Häusern in verschiedenen Theilen des Thales, und die geheiligte Beschützung eines besondern Edikts des Taboo, die seine Person für ewige Zeiten unantastbar erklärte.

Dieser Mann hatte sich hier, mit seinem Schicksal vollkommen zufrieden, niedergelassen und fühlte nicht das mindeste

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Verlangen, zu seinen Freunden und in die Heimath zurückzukehren. Er besaß auch in der That keine Freunde mehr, denn er erzählte mir seine Geschichte. In die Welt als ein Findling geworfen, wußte er so wenig von seinen Vorfahren, wie von der Genealogie Odins. Von Jedem verachtet, entfloh er aus dem Parish-Arbeitshaus schon als Knabe und schiffte sich zur See ein. Vor dem Mast hatte er viele Jahre gedient und bezeigte nun nicht die mindeste Lust zu solchem Plack zurückzukehren.

Solche Leute, wie dieser, die keinen Menschen mehr haben, an dem ihr Herz hängt, ja nicht selten solche, die auch gerade deshalb das Seeleben wählten, werden am häufigsten in ähnlichen Verhältnissen auf einsamen Inseln gefunden, und ist es nicht natürlich, daß sie dies freundliche Leben hier, dem harten Loose in der Heimath vorziehen sollten?

Dem Bericht nach, den uns der Renegat gab, existirte auf dieser Insel kein Weißer weiter als er selber, und da der Capitän keine Ursache hatte zu glauben, daß uns Hardy hintergehen würde, so glaubte er, der Franzose müsse sich in dem, was er ihm erzählt, geirrt haben. Als unsre Absicht übrigens den andern Besuchern erklärt wurde, so erbot sich einer von ihnen, ein schlanker, kräftiger Bursche mit kühnen, blitzenden Augen, uns auf einer Fahrt zu begleiten. Seine ganze Belohnung, die er dafür verlangte, bestand in einem

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pränumerando auszuliefernden rothen Hemd, einem Paar Beinkleidern und einem Hut und außerdem noch in einer Stange Tobak und einer Pfeife. Der Handel wurde augenblicklich abgeschlossen. Wymontoo rückte indessen noch mit einer Klausel vor und zwar die, daß sein mit ihm gekommener Freund ebenfalls zehn ganze Schiffszwiebacke, ohne Sprung oder Fehler, zwanzig vollkommen neue und symmetrisch gerade Nägel und ein Matrosenmesser überliefert bekommen solle. Dies ebenfalls angenommen, überreichte man ihm die ausbedungenen Artikel, die besonders der zweite Eingeborene mit augenscheinlicher Gier in Empfang nahm. Wegen Mangel an Kleidern benutzte dieser indessen seinen Mund als Tasche, um die Nägel hinein zu thun, von denen jedoch vor allen Dingen zweie, Ohrringstelle versehen mußten, und einige, aus weißlichem Holz wunderlich gefertigte Putzstücke verdrängten.

Da jetzt übrigens die Seebriese stark zu wehen anfing, so durften wir keine Zeit weiter verlieren, das Land zu verlassen. Nach einem höchst freundschaftlichen Nasenreiben zwischen unserm neuen Schiffskameraden und seinen Landsleuten, der auch zu unserm Erstaunen die Abschiedsrufe von dem Canoe aus, als wir unter den geblähten Oberbramsegeln dahinschossen, gar nicht zu beachten schien, segelten wir also hinweg; das wurde aber anders. Noch an demselben Abend, als das dunkle Blau seine heimischen Hügel am

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Horizont begrub, lehnte sich der arme Wilde über die Bulwarks und gab sich seinem unbegrenztem Schmerze hin. Das Schiff stampfte sehr und Wymontoo – traurig zu erzählen – wurde noch zu seinen andern Leiden entsetzlich seekrank.

Indeß wir aber die kleine Jule auf ihrer Bahn dahin schießen lassen, will ich hier einige wunderbare, von Hardy eingezogene Nachrichten mittheilen.

Der Renegat hatte so lange auf der .Insel gelebt, daß er mit ihren Gebräuchen natürlich ganz vertraut geworden, und ich bedauerte sehr, unseres kurzen Aufenthalts wegen nicht mehr von ihm erfahren zu können. Uebrigens hörte ich doch zu meinem Erstaunen, daß die Bewohner von Hivarhoo, wenn sie auch zu derselben Inselgruppe gehören, in manchen Stücken gar sehr von meinen Typeefreunden abwichen.

Da seine Tättowirung so viel Aufmerksamkeit erregte, so mußte er besonders über die Art und Weise einiges erklären, wie sie auf der Insel gehandhabt wurde, und er vertraute uns nun, daß sich gerade die Tättowirer von Hivarhoo eines bedeutenden Rufes erfreuten. Sie hatten diese Kunst zur höchsten Vollkommenheit, und dadurch die Profession der Tättowirer selbst zu Ehren gebracht; kein Wunder denn, daß sie, wie fashionabele Schneider, ihre Dienste auch sehr hoch anschlugen und zwar so hoch, daß nur die

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höheren Klassen von ihnen Gebrauch machen konnten. Die Eleganz einer Tättowirung wurde also zugleich ein Zeichen von Rang und Reichthum.

Meister von bedeutender Praxis lebten in geräumigen Häusern, die durch Tappagardinen in zahlreiche kleine Zimmer getheilt wurden, wo Jeder privatim konnte bedient werden. Diese Einrichtung entspringt aber großentheils aus einem eigenthümlichen Gesetz des Taboo, das bei der Tättowirung beobachtet werden muß und nach welchem alle Männer, sei es nun von hohem oder niederm Rang, jedem Verkehr mit der Welt entsagen müssen. Für diese Zeit wird ihnen denn auch gar keine Unterhaltung mit Andern gestattet und selbst die wenige Nahrung, die sie genießen dürfen, schiebt eine unsichtbare Hand unter dem Teppich herein. Die dabei beobachtete Diät soll indeß wohl nur dazu dienen, das Blut während der Operation abzukühlen und die Entzündung zu verhindern, die dem Punktiren der Haut folgt; selbst mit dieser Vorsicht kommt sie doch noch schnell genug und es bedarf einiger Zeit bis sie heilt, weshalb denn auch die Periode der Abgeschlossenheit manchmal mehrere Tage, oft ganze Wochen erfordert.

Nachdem alle Spuren von Entzündung verschwunden sind, geht der Tättowirte eine Zeitlang herum, doch da des Schmerzes wegen nur immer ein kleiner Theil aus einmal vorgenommen werden kann, so kehrt er bald wieder in seine

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Klause zurück und es läßt sich denken, welch ungeheure Zeit oft darauf verwandt wird, den ganzen Körper auf solche Art zu verschönen. Mit einer selbst bei uns unerhörten Eitelkeit verschwenden Manche oft einen großen Theil ihrer Lebenszeit, einem solchen Künstler zu sitzen oder zu liegen.

Das Jünglingsalter wird zum Tättowiren für die passendste Zeit gehalten und die Freunde des jungen Mannes führen ihn dann in das Haus eines berühmten Künstlers, um dort zuerst die Umrisse gezeichnet zu bekommen, wobei der Künstler in der That ein gutes Auge haben muß, da eine Tracht, die für das ganze Leben bestimmt ist, doch auch gewiß gut zugeschnitten werden sollte.

Einige Tättowirer, von edlem Eifer beseelt sich in dieser schönen Kunst zu vervollkommnen, benutzen oft, natürlich einen bedeutenden Lohn zahlend, zwei oder drei Männer vom niedrigsten Stande – Proletarier, die sich den Henker um äußere Erscheinung kümmern – und an diesen versuchen sie zuerst ihre Muster und Arbeit. Wenn deren Haut dann über und über zerkratzt ist und kein Stückchen Pergament mehr bleibt, irgend einen Schnörkel anzubringen, dann werden sie entlassen und gehen nachher lebenslang zum Skandal ihrer Landsleute herum.

Unglückselige Wichte, Märtyrer der schönen Künste.

Außer den regelmäßigen Meistern in dieser Sache, existirt auch noch eine Bande schäbiger, vagabondirender Tättowirer,

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die durch ihre Kunst beschützt, von einer feindlichen Bai zu der andern streifen und ihre Dienste der Masse zu einem Spottpreis anbieten Diese besuchen vorzüglich alle religiösen Festlichkeiten, bei denen sich große Menschenmassen versammeln und wenn die beendet und die Plätze leer sind, ja, wenn selbst die Tättowirer ihren Abschied genommen haben, dann bleiben noch immer eine ganze Menge kleiner Zelte aus grober Tappa stehen, jedes mit einem einzigen Insassen, der mit seinem unsichtbaren Nachbar nicht reden darf, und dort residiren muß, bis er vollkommen wieder geheilt ist. Diese herumstreifenden Tättowirer sind aber ein Flecken auf ihrer Profession, eine Art Flickschuster, die nichts wie krumme Linien und Klexe auf die Haut zu bringen vermögen, und sich nie zu jener Höhe hinaufschwingen werden, wo die Gentlemen der Fakultät unübertroffen stehen.

Alle Beschützer und Verehrer der Künste lieben gemeinschaftliche Berathungen und so kommen denn auch in Hannamanoo die Tättowirer zur gemeinsamen Feier ihres religiösen Ritus zusammen. In dieser Gesellschaft, die richtig organisirt ist und auch ihre verschiedenen Grade hat, war Hardy, durch seinen Einfluß als Weißer, eine Art Großmeister. Der blaue Hai wurde das Siegel seiner Einweihung und über ganz Hivarhoo sind diese Orden der Tättowirer verbreitet. Die Art, auf welche man den des Renegaten gründete, ist die folgende:

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Ein oder zwei Jahr nach seiner Landung mißrieth die Brodfruchterndte zwei- oder dreimal hintereinander total, und das hatte denn natürlich auch die Folge, daß die ärmere Klasse, die kaum im Stande war ihr Leben zu fristen, gar nicht mehr daran denken konnte, sich tättowiren zu lassen, wodurch die ganze Profession unbeschreiblich litt. Der königliche Aliirte Hardy’s jedoch, fiel auf ein Mittel, den armen Künstlern nicht allein zu helfen, sondern auch manchen seiner leidenden Unterthanen mit einer hübschen Zeichnung unter die Arme zu greifen.

Durch den Klang einer Kongmuschel wurde es auf dem Strande, vor dem Palast, kund gethan, daß Noomai, König von Hannamanoo und Freund des Hardy-Hardy, des Weißen, offen Herz und Tisch für alle Tättowirer, wer sie auch sein möchten, hielt. Um sich aber dieser Gastfreundschaft würdig zu zeigen, so sollten sie indessen selbst die ärmsten seiner Unterthanen, die ihre Dienste in Anspruch nehmen würden, so herstellen, daß sie sich anständiger Weise vor jedem Menschen und Bewohner der Insel, sehen lassen konnten.

Dieser Aufruf blieb nicht erfolglos. Künstler und Tättowir-Verlangende eilten in Massen zum königlichen Palast, der indeß für alle, nur nicht für die Tättowirer und Häuptlinge tabotirt war. Das Volk bivouakirte indessen auf der

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Gemeindewiese und bildete mit seinen Zelten ein förmliches Lager.

Die „Lora Tattoo“ oder die Zeit des Tättowirens wird wohl noch lange auf dieser Insel im Andenken bleiben. Ein enthusiastischer Sitzer feierte auch jene merkwürdige Begebenheit durch Poesie, von der uns Hardy mehrere Strophen citirte, die recitativartig gesungen wurden. Uebersetzt würden sie etwa folgendermaßen lauten:

„Wo ist der Klang?
In Hannamanoo
Und weshalb der Klang?
Der Klang von hundert Hämmern
Die klopfen, klopfen, klopfen
Die Haifischzähne.“[4]

„Wo ist das Licht?
Um des Königs Haus herum
Und das Gelächter?
Das leise fröhliche Lachen
Die Töchter und Söhne sind’s der Tättowirten.“


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Capitel V.
Wir steuern westlich. Unsere Gesellschaftszimmer. Doktor Lattengeist und seine Streiche.

Die Nacht, in der wir Hannamanoo verließen, war sternenhell und so warm, daß sich die meisten der Leute, anstatt hinabzugehen, um den Fockmast lagerten.

Gegen Morgen, als mir die Hitze im Vorcastle zu drückend wurde, stieg ich an Deck, wo alles in tiefen Schlummer begraben schien. Die Passatwinde lagen mit leichtem Druck in den Segeln und trieben das Fahrzeug gerade hinaus in die ungeheure Weite des westlichen Ozeans. Die Wachen schliefen, selbst der Mann am Rad nickte, ebenso der Steuermann, der mit untergeschlagenen Armen am Gangspill lehnte.

In solcher Nacht und allein, wer hätte da die Erinnerung des Vergangenen von sich scheuchen können und mögen. Ich lehnte mich über die Seite und schaute träumend in die Tiefe. Meine Ideen wurden aber bald durch einen grauen

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gespensterartigen Schatten unterbrochen, der über die wogenden Fluthen glitt. Es war die Dämmerung, der bald die ersten Lichter und Strahlen des Morgens folgten. Hell und heller zuckten sie empor; noch ruhte da drüben nur ein lichter glänzender Streif, aber jetzt stieg voll und rund die blutrothe Sonnenscheibe am Horizont empor und der lange Seetag begann.

Nach dem Frühstück sollte das erste was vorgenommen wurde, Wymontoo’s Taufe sein, der nach trübdurchwachter Nacht traurig genug dreinschaute.

Die Meinungen theilten sich hier; die Einen wollten ihn Sonntag nennen, weil das der Tag gewesen, an den sie ihn gefangen, Andere stimmten für den kürzeren „Achtzehnhundertzweiundvierzig,“ dem Jahre des Herrn, während Doktor Lattengeist unbedingt seinen frühern Namen beibehalten haben wollte und zwar: Wymontoo-Hee, was seiner Meinung nach in der bilderreichen Sprache des Landes Jemand bedeute, der seinen Finger in einen beißen Brei gesteckt habe. Der Steuermann machte der Discussion ein Ende, indem er den armen Teufel plötzlich mit einem ganzen Eimer Seewasser begrüßte und ihm dabei eben so eigenmächtig die nautische aber angenehm klingende Benennung: „Luff“ gab.

Obgleich nun eine gewisse Fröhlichkeit Wymontoo’s – denn ich will ihn so fort nennen, – erstem Heimweh

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folgte, so fiel er doch bald wieder in seine alte Stimmung zurück und wurde sehr melancholisch. Oft beobachtete ich ihn, wie er ganz allein im Vorcastle kauerte und mit seinen hellen funkelnden Augen jeder Bewegung der Leute folgte. O wie oft wird er an seine Bambushütte gedacht haben, während die Schaar von Sidney und dessen Gelagen sprach.

Wir befanden uns jetzt förmlich in See, obgleich Keiner von uns wußte, welches die eigentlich beabsichtigte Route sei, die wir nehmen würden. Fast Niemand kümmerte sich aber auch darum. Ueber eine sanft wogende See dahingetragen, war fast nichts zu thun, als das Schiff zu steuern und die Ausseher in den Marsen abzulösen; die Kranken hatten übrigens noch ein Paar zu ihrer Liste bekommen; es waren Einige der Entflohenen, denen die Landluft nicht zugesagt haben mochte. Um Allem die Krone aufzusetzen, bekam der Capitän auch wieder einen Rückfall.

Die zum Dienst fähige Mannschaft wurde in zwei kleine Wachen eingetheilt, von denen die eine der Steuermann, die andere der Mowree befehligte, denn dieser war, seiner Würde als Harpunier gemäß und da sich die übrigen Untersteuerleute aus dem Staube gemacht, in solchen Posten eingerückt.

Wie die Sachen standen, konnte an Wallfischfang natürlich gar nicht gedacht werden; Jermin behauptete jedoch noch immer, daß sich die Kranken bald erholen und wir dann noch immer eine gute Jagd machen würden. Wie dem auch sei,

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mit demselben lichtblauen Himmel über uns liefen wir fortwährend westlich und schienen, obgleich immer fortrückend doch stets auf demselben Platz zu bleiben. Ein Tag war wie der andere; wir sahen keine Schiffe und erwarteten keine zu sehen; nichts lebendiges zeigte sich als die Delphine und andere Fische, die unter unserm Bug wie junge Katzen spielten und nur dann und wann strich das in diesen Seen heimische Albatroß mit seinen ungeheuren Fittichen über uns hin, und mied uns dann als ob wir ein Pestschiff gewesen wären. Auch ganze Völker jenes tropischen Vogels, der von den Matrosen „Bootsmann“ genannt wird, umschwirrten uns und stießen ihren gellenden Schrei aus, während sie an uns vorbeischossen.

Das Unbestimmte unsrer Fahrt übrigens, und die Thatsache, daß wir auf sehr wenig befahrenen Gewässern dahintrieben, goß über diese Reise einen gewissen Zauber, den ich nie vergessen werde.

Der stille Ozean ist nemlich größtentheils auf schon bekannten Straßen durchsegelt worden und das ist auch die Ursache, weshalb, trotz der großen Anzahl Schiffe, die ihn befahren, durch kühne Wallfischfänger oder besonders dazu ausgesandte Schiffe, noch immer neue Inseln entdeckt werden. In der That liegen auch ungeheure Strecken ununtersucht und keinem Zweifel ist es unterworfen, daß manche auf den Seekarten angegebene Sandbänke und Riffe, ja

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ganze Inselgruppen nur nach ungefähren Vermuthungen gezeichnet wurden. Der Umstand selbst also schon, daß ein Fahrzeug wie das unsre in solche Regionen eindrang, genügte, um Jeden, der nur ein wenig nachdachte, doch gewiß unruhig zu machen. Was mich betrifft, so fielen mir besonders wieder jene Erzählungen ein, wo Schiffe Nachts mit allen Segeln gesetzt, auf irgend einen Felsen hinaufliefen und während die Mannschaft schlief, mit Mann und Maus zu Grunde ging. Mit keinem Schiffe hätte so etwas leichter passiren können, als mit dem unsern, da uns schon unsre schwache Mannschaft und die gänzliche Disciplinlosigkeit ohnedies einer größern Gefahr aussetzte.

Solche Gedanken kamen aber meinen sorglosen Schiffskameraden wohl kaum in den Kopf und fort gings, während die Sonne jeden Abend ganz accurat vor dem Top unsers Klüverbaumes in die See sank.

Aus welchem Grunde der Steuermann solch geheimnißvolles Schweigen über unsere beabsichtigte Fahrt beobachtete, weiß ich heute noch nicht, denn was er uns darüber erzählte, waren sicher nur erdachte Märchen, die Mannschaft zu beschäftigen.

Er sagte z. B. wir wären nach einem ausgezeichneten Jagdstrich bestimmt, den nur wenige Wallfischfänger kennten und den er selbst auf einem früheren Zuge entdeckt hätte; dort sollte die See förmlich schwärmen von Wallfischen und

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alles, was man zu thun brauche, sei hinauszufahren und sie zu harpuniren; sie seien viel zu ängstlich sich zu wehren. Ein klein wenig zu leewärts von dort sollte eine freundliche Inselgruppe liegen, wo wir uns erholen könnten; die herrlichsten Früchte gediehen darauf und die Eingeborenen wären fast noch durch keine früheren Fremden mißtrauisch gemacht.

Um uns auch jede Möglichkeit zu nehmen, jenen Platz herauszubekommen, wo wir hingingen, theilte er uns selbst nicht die zu Mittag genommene Messung mit, obgleich das auf solchen Fahrzeugen sonst gewöhnlich Brauch ist.

Indessen besorgte er die Wartung der Invaliden höchst aufmerksam und da Doktor Lattengeist die Schlüssel zur Medicinkiste abgeliefert hatte, so wurden sie ihm übergeben. Auch war er gar kein so übler Wundarzt; Pillen und Pulver wurden gewöhnlich den Fischen zugeworfen; aber ein geheimnißvolles kleines Fäßchen mußte desto öfter seinen Inhalt spenden, und seine Medicin mischte er am Gangspill in kleinen Cocosschalen, von denen jede den Namen eines Patienten trug. Den Landdoktoren unähnlich, haßte er übrigens seine eigenen Medicinen keineswegs und manchmal kam er förmlich angetrunken ins Vorcastle herunter, wo er auch denen, die seiner Hülfe bedurften, lange mächtige Erzählungen abspann.

Meiner Lahmheit zufolge, von der ich mich übrigens bald erholte, that ich weiter keinen aktiven Dienst, als manchmal

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am Rade, und deshalb verbrachte ich den größten Theil meiner Zeit im Vorcastle mit dem langen Doktor, der sich die größte Mühe gab unterhaltend zu sein. Seine, obgleich bösartig zerlesenen und beschmuzten, Bücher wurden ein wahrer Schatz für mich und ich las sie immer und immer wieder, ja studirte sogar eine höchst gelehrte Abhandlung über das gelbe Fieber gründlich durch. Außer diesen besaß er noch ein Packet alter Sidneyzeitungen, durch welche ich mich bald mit den Lokalitäten der dortigen Handelsleute auf das Vollkommenste vertraut machte.

Außer seiner angenehmen Gesellschaft war er mir übrigens auch in mancher andern Hinsicht sehr nützlich; seine Behandlung in der Kajüte hatte ihn dabei nur um so mehr den guten Willen der Schiffsdemokratie im Vorcastle erworben und sie behandelten ihn nicht allein auf das freundlichste, sondern sogar höchst achtungsvoll, und lachten dabei doch herzlich über all seine Späße. Da ich sein auserwählter Gesellschafter wurde, so erstreckte sich diese Behandlung auch bald auf mich, und sie schienen uns zuletzt mehr wie ein Paar ausgezeichnete Gäste zu betrachten. Bei den Mahlzeiten wurden wir immer zuerst bedient und auch außerdem begegnete man uns mit der größten Achtung.

Unter andern Sachen, die wir während der häufigen Windstille hervorsuchten, die Zeit zu tödten, tauchte auch die Lust auf Schach zu spielen; unsere Figuren schnitten

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wir uns deshalb mit einem Messer ganz zierlich aus Stücken Holz und unser Schachbret wurde mit Kreide auf einen Kistendeckel gezeichnet, auf dem wir beim Spielen zu beiden Seiten ritten. Um aber die Figuren zu unterscheiden, so band ich den meinigen kleine schwarze Seidenlappen von einem alten zerrissenen Halstuch um. Daß sie also trauerten war auch, wie der Doktor sagte, ganz in der Ordnung, da sie in vier Spielen immer bei dreien Ursache hatten betrübt zu sein.

Die Leute übrigens, die dem Schachspiele zusahen, konnten in die ganze Geschichte weder Kopf noch Schwanz bringen, und gaben das Spiel, nachdem sie ein paarmal zugesehen, auf.

Allerdings verdient aber hier der Platz, in dem der Doktor und ich hausten, eine etwas nähere Beschreibung.

Die meisten Menschen wissen, daß ein Schiffsvorcastle den vorderen Theil eines Schiffs um das Bugspriet herum einnimmt; derselbe Name bezeichnet aber auch zugleich der Matrosen Schlaf- und Gesellschaftszimmer, das dicht unter dem oberen Theile liegt.

Gerade im Bug oder, wie die Matrosen sagen, in den „Augen“ des Schiffs befindet sich dieses ungemein freundliche, dreieckige Gemach, das zu Larbord und Starbord von zwei Reihen niederer Schlafkasten oder Cojen begrenzt wird. Die Cojen der Julia befanden sich aber in einem beklagenswürdigen

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Zustande; es waren eigentlich nur noch förmliche Wraks, von denen manche total eingerissen waren, um andere damit auszubessern, ja auf der einen Seite standen nur noch zwei. Dem größten Theil der Mannschaft schien es übrigens sehr egal, ob sie eine Coje hatten oder nicht, Betten befanden sich außerdem nicht in ihrem Besitz und sie wußten also doch nichts weiter hineinzuthun, als sich selber.

Unten in meinem eigenen Kasten breitete ich all das alte Leinen und Lumpenwerk, was ich zusammentreiben konnte, aus, und benutzte als Kissen ein Stück Holz mit einer darum gewickelten alten Jacke, was den Körper doch wenigstens in etwas verhinderte sich vollständig abzunutzen.

Aus altem Segeltuch verfertigte Hängematten mußten hier und da die Stelle der zerstörten Cojen vertreten; da jedoch der Raum, in dem sie hingen, sehr beengt war, so lag es sich keineswegs bequem darin.

Der Anblick des Vorcastles im Allgemeinen war übrigens schauerlich genug; kaum fünf Fuß von Deck zu Deck hoch, kreuzten es auch nach oben ein paar ausländische Balken, und die Matrosenkisten, die unten standen, beengten nun gar noch den Raum, daß man förmlich darunter hinkriechen mußte, um von einem Platz zum andern zu kommen; besonders nach dem Essen, wenn wir uns noch ein Bischen unterhalten wollten, saßen wir dort wie Schneider zusammen In der Mitte des Ganzen standen zwei viereckige

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hölzerne Säulen, etwa einen Fuß aus einander, und zwischen diesen an einer rostigen Kette hing die Vorcastlelampe, die Tag und Nacht brannte und zwei ewig lange Schatten warf. Unter dieser befand sich ein Verschlag, eine Art Matrosenspeisekammer, aber in fürchterlicher Unordnung gehalten, so daß sie manchmal eine Reinigung von Grund aus erforderte.

Nun befand sich wohl das ganze Schiff in einem traurigen Zustand, nach vorn aber glich es einem angefaulten hohlen Baum; wohin man faßte, war das Holz feucht und weich, und oft konnte man ganze Stücke davon herunterkratzen. Außerdem hing es auch an manchen Stellen noch in Splintern herunter, denn der Koch nahm sich oft die Freiheit von den mittelsten, noch gesunden Querbalken Späne herunter zu schlagen, um Feuer damit anzumachen. Unter der Decke sah alles schwarz und rußig aus, und hier und da hatten sogar auf vorigen Reisen trunkene Matrosen förmliche Löcher hineingebrannt.

Von oben stieg man durch ein kleines miserables Loch hinunter, über das nicht einmal ein ordentlicher Schutz gezogen werden konnte; denn das Stückchen getheerte Leinwand, was solchen Dienst versehen sollte, genügte keineswegs. Sobald die See nur ein wenig hoch ging, spritzte fortwährend das Wasser herein und während eines Sturms schoß die Fluth förmlich herunter, schlug plätschernd im

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Innern hin und her, und spritzte wie Fontainen zwischen den Kisten empor.

Solcher Art war unser Wohnort an Bord der Julia, und dennoch hatten wir keinen ungestörten Besitz davon. Unmassen von Käfern und ganze Regimenter von Ratten nahmen sich die Freiheit ihn mit uns zu theilen, und ein größeres Leiden kann ein Schiff in der Südsee kaum befallen.

So warm ist das Klima dort, daß man sich ihrer gar nicht entledigen kann; man mag die Luken versiegeln und das Schiff mit Kohlendampf räuchern, bis der Qualm aus den Säumen preßt, es ist einerlei, und genug bleiben leben, um das Fahrzeug in kurzer Zeit wieder zu bevölkern.

In manchen Fahrzeugen hat sich die Mannschaft nach harten Kämpfen denn auch ganz in ihr Schicksal ergeben und das Ungeziefer Besitz von einem Raum genommen, in dem die Matrosen zuletzt kaum noch geduldete Miethsleute schienen. Wallfischfänger, die sich oft mehrere Jahre zusammen unter dem Aequator herum treiben, sind dabei viel schlimmer daran, als andere Fahrzeuge.

Was die Julia anbetraf, so hatten diese Bestien wohl auf keinem Fahrzeug der Welt solch ein angenehmes Leben, als auf ihr; jede Spalte, jeder Winkel schwärmte förmlich, und sie lebten nicht mehr unter uns, sondern wir unter

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ihnen, was zuletzt so arg wurde, daß man am besten seine Mahlzeiten im Dunkeln verzehrte.

Mit den Käfern besonders fand ein ganz eignes Phänomen statt, das sich Keiner von uns erklären konnte.

In jeder Nacht feierten sie ein förmliches Fest und die ersten Anzeichen desselben bestanden in einem ungewöhnlichen Summen und Rascheln derer, die die oberen Balken und das Innere der Cojen in Besitz hatten, diesem folgte ein reges Herbeidrängen jener, die in verborgenen Winkeln hausten, und plötzlich ging der Cravall los. Von allen Seiten stürmten sie herbei; die größten klapperten über die Kisten weg, beflügelte Ungethüme sausten aus allen Ecken heran und schossen hin und wieder in der Luft, und die kleine Bande summte in unbeschreiblicher Confusion durcheinander.

Bei dem ersten Zeichen solchen Ereignisses stürmten alle von uns, die noch die Kräfte dazu besaßen, an Deck und nur die Kranken und Schwachen, die nicht mehr fortkonnten, blieben vollkommen ruhig liegen und ließen das wahnsinnige Ungeziefer nach Belieben über sich weg marschiren. Diese Vorstellungen dauerten gewöhnlich zehn Minuten, und indessen konnte wohl kein Bienenstock wilder summen. Die Zeit solcher Generalversammlung blieb aber stets unbestimmt und konnte uns in jeder Stunde der Nacht überraschen.

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Glücklich fühlten wir uns, wenn sie schon früh am Abend statt fand.

Auch die Ratten darf ich nicht vergessen; sie haben meiner wenigstens stets gedacht. So zahm wie Trenk’s Maus standen sie in ihren Löchern wie alte Großväter in Hausthüren; oft sprangen sie sogar während des Essens auf die Kisten und naschten von den Speisen. Wymontoo erschrak besonders im Anfang darüber und fürchtete sich förmlich vor ihnen; bald aber gewöhnte er sich an sie und schien nun viel besser mit ihnen auszukommen, als wir andern alle. Mit besonderer Geschicklichkeit ergriff er dabei die Bestien oft an den Beinen und schleuderte sie zur Luke hinaus in die See, wo sie ihr feuchtes Grab fanden.

Aber ich habe hier noch eine von meinen eigenen Rattenerzählungen beizufügen.

Eines Tages schenkte mir der Steward etwas Syrup, den ich, um ihn mir ja sicher zu halten, in einem Blechbecher und in der entferntesten Ecke meiner Coje verbarg. Bei der Kost die wir erhielten, war solcher Syrup, auf ein wenig Schiffszwieback geträuft, ein förmlicher Luxus-Artikel, den ich nur mit dem Doktor, und auch dann selbst noch im Geheimen, theilte.

Da geschah es, daß sich unser Vorrath erschöpfte, als wir aber im Dunkeln das Gefäß umkippten, glitt noch etwas anderes als reiner Syrup heraus; es war irgend eine

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Bestie; wie lange sich diese aber darin gefangen hatte und was es eigentlich gewesen, weiß nur Gott, wir mochten es keineswegs untersuchen und schauderten schon bei dem bloßen Gedanken daran. Das Vieh starb auf jeden Fall einen süßen Tod.

Was nun unsern Doktor betraf, so war er, so ernst er auch zu Zeiten sein mochte, doch ein entschiedener Schäker, und wer da weiß, wie gern Matrosen am Ufer einen tollen Streich mitmachen, während sie an Bord selbst wahrhaft versessen darauf sind, wird sich denken können, wie freudig sie darauf eingingen.

Der arme alte schwarze Koch hatte Manches von ihm zu leiden; wenn er Abends in seine Hängematte steigen wollte, fand er nicht selten einen nassen Klotz darin fest eingeschlafen und wachte selbst mit einem getheerten Wollkopf auf. Wie manchmal, wenn er seine Kessel öffnete, siedete ganz fidel ein alter Stiefel drin oder Stücken Pech stänkerten ihm die Cambuse aus.

Baltimore’s[5] Prüfungen nahmen in der That kein Ende, denn der arme Teufel war zu gutmüthig und hatte in Folge hiervon weder Tag noch Nacht Ruhe. – Sagt,

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was Ihr wollt zu Gunsten gutmüthiger Personen, manchmal ist’s viel besser das Temperament eines Wolfs zu haben. Wer hätte sich z. B. Freiheiten mit dem grimmen schwarzen Dan erlaubt?

Des Doktors wunderlichste Späße bestanden darin, die Leute, wenn sie auf ihrer Wacht eingeschlafen waren, an Fuß oder Schulter in die Höhe zu hissen.

Als er einmal aus dem Vorcastle kam, fand er die ganze Wache eingenickt und ging augenblicklich an seine Arbeit; an jedem Schläfer befestigte er ein Tau, stieß diese durch eine Anzahl Blöcke und führte sie alle zum Windlaß, wo er dann lustig an zu drehen fing und sie bald alle an Arm und Beinen herum hängen hatte. Als wir durch den Lärmen erweckt von unten heraufstürmten, fanden wir die armen Bursche im Mondenlicht wie eine Anzahl Piraten von allen Raaen herabhängen.

Nicht selten suchte er auch im Vorcastle nach solchen, die von ihrer Wacht herunter gekommen und eingeschlafen waren, und die fanden sich dann plötzlich mit gewaltigem Ruck durch die Luke gerissen und am Fockmast hinaufgezogen.

In einer Nacht, in der die vollkommenste Ruhe herrschte, lag ich wachend in meiner Coje; die Lampe brannte düster und schwankte, mit der regelmäßigen Bewegung des Schiffs, die Hängematten dabei accompagnirend, schwerfällig, hin

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und her. Die Schläfer rollten eben so gleichmäßig in ihren Schlafstellen und ich wollte eben die Augen wieder schließen, als ich einen Fuß auf der Leiter hörte und gleich darauf ein Paar weite weiße Beinkleider herabkommen sah. Es war Navy Bob, ein untersetzter, altgedienter Seemann, der leise niederstieg und vorsichtig im Dunkel nach etwas zu essen umherfühlte.

Abendbrot beendet, lud er seine Pfeife und setzte sich dann ganz behaglich zum Rauchen hin. Um aber den Genuß einer solchen Pfeife recht zu verstehen, muß man wirklich auf der See sein, und zwar auf der See im Vorcastle, wo selbst die Atmosphäre des Platzes, von dem Schnarchen der Schläfer erfüllt, den Rauchenden in ein unbeschreiblich wohlthuendes und behagliches Träumen versenkt. Kein Wunder denn, daß Bob ebenfalls nach kurzer Zeit zu nicken begann. Der Kopf sank ihm auf die Brust; sein Hut fiel ab; die ausgegangene Pfeife rutschte ihm zwischen den Lippen vor, und bald lag er so ruhig wie ein Kind ausgestreckt auf der Kiste.

Plötzlich wurde ein Befehl an Deck gegeben und diesem folgte das Stampfen von Füßen und das Anholen von Tauen. Die Raaen sollten gebraßt werden und natürlich vermißten sie Navy Bob bald dabei. Da glitt ein Schatten des Vorcastle herab; es war einer von der Wache, der sich dem verdachtlosen Bob näherte, und ein Tau in der Hand

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trug, das oben hinaus an Deck führte. Einen Augenblick stehen bleibend, drückte der Matrose leise mit der Hand gegen die Brust des Schlafenden, um zu sehen, ob er nicht gleich aufwachen würde; der lag aber fest und sicher, und rasch und geräuschlos das Ende des Fall’s um seinen Knöchel schlagend, sprang er rasch wieder an Deck.

Kaum drehete er übrigens den Rücken als ein Paar lange Beine aus einer gegenüber liegenden Coje hervorfuhren, und Doktor Lattengeist mit Blitzesschnelle folgte, das Bein des Schlafenden befreite und das Tau augenblicklich an einer mächtigen Kiste befestigte, die dem selber gehörte, der eben verschwunden war.

Gerade hatte er den Knoten festgeschlungen, als die unbehülfliche Kiste auch schon losgerissen wurde, zum Entsetzen aller Schläfer rechts und links gegen die Cojen donnerte und der Luke zuflog, hier stak sie einen Augenblick, die Leute an Deck aber, die da glaubten, daß Bob, der so stark wie ein Windlaß war, einen Balken erfaßt hätte und das Tau nun durchschneiden wollte, rissen aus Leibeskräften. Plötzlich schwang sich denn auch die Kiste frei, schoß an Deck, schlug gegen den Mast, platzte und regnete nun auf die untenstehende Gesellschaft einen wahren Schauer von viel zu zahlreichen Sachen, um sie einzeln aufzuführen, nieder.

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Der greuliche Spektakel weckte natürlich die ganze Mannschaft und als wir an Deck kamen, stand der Eigenthümer der Kiste mit sehr verblüfftem Antlitz zwischen seinem Besitzthum, und blickte starr und verwundert auf die Verwüstung umher.


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Capitel VI.

Gar traurig gegen die tolle Lustigkeit, die durchgängig am Bord herrschte, stach aber die Lage einiger Kranken ab, von denen auch bald darauf zwei der am meisten Leidenden zu einem besseren Dasein abgerufen wurden, ohne daß dies jedoch auch nur den mindesten Eindruck auf die rohe Schaar gemacht hätte.

Wir waren etwa zwanzig Tage wieder im See gewesen, als zwei von den Kranken, deren Zustand ganz plötzlich bedenklich wurde, in ein und derselben Stunde starben.

Einer hatte die dicht neben mir befindliche Coje in Besitz, die er schon seit mehreren Tagen nicht mehr verlassen. Während dieser Zeit phantasirte er oft und richtete sich manchmal empor, starrte wild um sich, und warf die Arme bewußtlos nach allen Seiten. – In seiner Todesnacht legte ich mich, bald nachdem die Mittelwache begonnen, nieder; als ich plötzlich in irgend einem entsetzlichen Traum

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wieder erwachte und etwas kaltes, klammiges neben mir fühlte. Es war die Hand des kranken Mannes, die er schon zwei- oder dreimal am vorigen Abend zu mir hereingesteckt, wobei ich sie nur stets langsam zurückschob. Jetzt schrak ich empor und schleuderte sie von mir; der Arm fiel starr und steif, und ich wußte der Mann war todt.

Ich weckte die Leute und der Leichnam wurde augenblicklich in die Leinwand eingehüllt, auf der er lag, und an Deck geschafft; dann riefen wir den Steuermann und trafen Vorbereitungen zu einem unverzögerten Begräbniß. Den auf der Vorluke ausgelegten Körper näheten wir nun in eine der Hängematten ein, gaben ihm einige Stück Blockeisen, da wir keine Kugeln hatten, an die Füße und trugen ihn dann auf den Gangweg, wo er auf eine Planke gestreckt und auf das Bulwark gehoben wurde. Als Feierlichkeit mußte dann des Schiffes Bahn gehemmt werden; was dadurch geschah, daß wir das große Marssegel gegen den Mast braßten.

Der Steuermann, keineswegs ganz nüchtern, taumelte nun herbei, hielt sich an einer Pardune fest und gab das Zeichen. Als die Matrosen die Planke an ihrer Seite hoben, senkte sie sich dem Meere zu, der todte Körper glitt hinab, schlug in das Wasser, ein Paar Luftblasen stiegen empor und – Alles war vorüber.

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– Vorgebraßtl Die große Raae schwang herum und das Fahrzeug schoß weiter, während die Leiche wahrscheinlich noch immer sank.

Wir hatten einen Schiffskameraden den Haifischen überliefert, Niemand würde das aber gedacht haben, der jetzt zwischen uns getreten wäre. Der Todte war stets ein mürrischer, unzugänglicher Bursche gewesen und man dachte jetzt auch schon nicht mehr an ihn, als was mit seiner Kiste geschehen sollte, die er stets verschlossen gehalten und in der man Geld vermuthete. Einige erboten sich sie aufzubrechen und ihren Inhalt, ehe der Capitän danach fragen sollte, zu vertheilen.

Während ich und Andere uns noch bemühten, sie davon abzubringen, lockte uns Alle ein Schrei vom Vorrastle dorthin, denn wir wußten, daß Niemand dort sein konnte, als zwei von den Kranken, die zu schwach gewesen an Deck zu kriechen. Einer von diesen war denn auch wirklich in irgend einem Krampfe aus seiner Hängematte gefallen und ohnmächtig geworden. Die Augenlider hielt er weit aufgerissen und athmete schwer und convulsivisch. Die Leute schraken vor ihm zurück, der Doktor jedoch ergriff seine Hand, hielt sie ein paar Sekunden, ließ sie dann fallen und sagte: – der ist fertig! Der Körper wurde augenblicklich die Leiter hinaufgetragen.

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Eine zweite Hängematte diente nun auch diesem Unglücklichen zum Sarge, doch Verlangte man jetzt noch etwas mehr Feierlichkeit und frug nach einer Bibel. Zufällig befand sich aber keine am Bord, nicht einmal ein Gebetbuch. Als dies bekannt wurde trat Anthony, ein Portugiese von den Capverdischen Inseln, hervor, murmelte etwas über dem Leichnam seines Landsmanns, zeichnete mit dem Finger auf der Hängematte ein großes Kreuz, und wenige Sekunden darauf folgte der Leichnam seinen vorangegangenen Schiffskameraden.

Diese beiden Männer verdarben, im wahren Sinne des Wortes, auf der See, und hätten am Land, und unter ordentlicher Behandlung sicherlich gerettet werden können.

Das ist das Schicksal eines Matrosen; man senkt ihn in sein nasses Grab, und Niemand fragt, wessen Kind er gewesen.

Für den übrigen Theil der Nacht dachte natürlich Niemand mehr an Schlaf und die Meisten blieben an Deck bis zum hellen Tageslicht, während sie sich dabei solche schauerliche Seemärchen erzählten, als sie die Gelegenheit hervorrief. So wenig ich an solche Geschichten glaubte, so fühlte ich mich doch von einigen besonders erregt. Den meisten Eindruck machte des Zimmermanns Erzählung auf mich.

Auf einer Reise nach Indien hatten sie das Fieber an Bord bekommen, das in wenigen Tagen fast die Hälfte der Mannschaft hinwegraffte. Nachher durften die Matrosen nie

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wieder einzeln ins Takelwerk hinaufsteigen; wenn Marssegel gerefft werden sollten, so saßen die Phantome auf den Nocken der Raaen und der Zimmermann selbst, der einmal in einer Boe das große Bramsegel hatte beschlagen wollen, wurde durch eine unsichtbare Hand fast von den Paarden heruntergestoßen, während sein Kamerad darauf schwor, daß ihm Jemand eine nasse Hängematte ins Gesicht geworfen.

Solche Geschichten wurden von denen, die sich als Augenzeugen dabei ausgaben, mit einem wahren Bibelglauben erzählt.

Eine vielleicht wenig bekannte Thatsache ist auch noch die, daß die Finnländer oder Finnen von den unwissenden Seeleuten nicht selten mit einem ganz besondern Aberglauben betrachtet werden. Aus einer, mir stets dunkel gebliebenen Ursache glaubt man, daß sie die Gabe eines zweiten Gesichts, und die Macht besäßen, eine übernatürliche Rache auf die Köpfe derer zu leiten, die sie beleidigt hätten. Aus diesem Grunde stehen sie auch bei den Matrosen in nicht geringer Achtung, und Zwei oder Drei, mit denen ich zu verschiedenen Zeiten segelte, waren denn auch wirklich geeignet, einen dem ähnlichen Eindruck wenigstens aus Solche hervorzubringen, die an derartige Sachen glaubten. Nun hatten wir ebenfalls einen von diesen Seepropheten an Bord, einen alten flachshaarigen Burschen, der stets eine rauhe, selbstgemachte Seehundsfellmütze und eine eben solche Tabakstasche

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trug. Van, wie wir ihn nannten, war ein ruhiger, stiller Mann und seine wenigen Eigenheiten verschwanden unter einer solchen Bande, wie ihn hier umgab, fast ganz. Jetzt rückte er übrigens mit einer Prophezeihung heraus, die allerdings erst durch ihre vollständige Erfüllung, wenn auch vielleicht nicht in dem Sinne, wie sie gemeint war, Aufsehen erregte. In der Nacht des Begräbnisses legte er seine Hand auf das alte Hufeisen, das als eine Art Bann an den Fockmast genagelt war, und erklärte feierlich, daß in weniger als drei Wochen nicht der vierte Theil unsrer Mannschaft mehr am Bord der Julia sein, sondern diese auf immer verlassen haben würde.

Einige lachten; Flash-Jack nannte ihn einen alten Narren; im Ganzen machten diese Worte aber doch einen eigenen Eindruck auf die Leute und mehrere Tage herrschte eine Ruhe unter der Mannschaft, die sicher keiner andern Ursache, als des Finnen Warnung zugeschrieben werden konnte. Was mich betraf, so hatten überhaupt die Begebenheiten der letzten Zeit keineswegs verfehlt, mich nachdenkend zu stimmen, denn ich konnte mir auf keinen Fall verhehlen, daß wir uns in einer höchst kritischen Lage befanden. Auch Doktor Lattengeist sprach sich ziemlich offen über die Sache aus, und versicherte mir mehrere Male, er würde viel darum geben, auf irgend einer der benachbarten Inseln, gleichviel welche, ausgesetzt zu sein.

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Wo wir uns eigentlich befanden, oder wohin wir gingen, schien Niemand als der Steuermann zu wissen; der Capitän, – eine bloße Null überhaupt – lag als Invalid in seiner Kajüte; ebenso wie viele seiner Leute im Vorcastle. Unser Boot, unter solchen Umständen in die offene See hinaus ziehen, was gleich im Anfange als sonderbar genug erschien, wurde mit jedem Augenblick unverantwortlicher, noch dazu, da unser Aller Schicksal einzig und allein in den Händen dieses tollköpfigen Jermin lag. Wenn ihm etwas zustieß, so saßen wir förmlich verlassen auf dem weiten Ozean, denn Niemand als er hatte, wie er auch schon selbst geäußert, die Schiffsrechnung geführt seit wir ausgelaufen; da der Capitän keineswegs die nöthigen Kenntnisse dazu besaß.

Sonderbarer Weise quälte sich aber die Mannschaft selbst selten oder nie mit solchen Gedanken, sie kannte nur ihre abergläubische Furcht, und als sich in augenscheinlichem Widerspruch mit des Firmen Prophezeihung die Kranken wieder erholten, wurden sie auch wieder so munter als früher und die Erinnerung an alles Vergangene schwand aus ihrem Gedächtniß. Im Laufe einer Woche wurde dabei – gleichfalls kein sehr spaßhafter Gegenstand – die Seeuntüchtigkeit der kleinen Julia immer mehr augenscheinlich, ohne daß sich die Matrosen deshalb groß bekümmert hätten. Flash-Jack grub mit seinem Messer gar nicht selten in die faulen schwammigen

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Planken, die uns vom Tode trennten und warf die Spähne mit irgend einem rohen Scherz zwischen uns.

Was die Invaliden betraf, so waren sie kaum mehr krank genug, ernsthafte Befürchtungen zu erregen, oder sie unterdrücken wenigstens so viel als möglich ihren Schmerz; so herzlich und theilnehmend der Matrose nemlich sonst auf dem festen Lande ist, so gleichgültig zeigt er sich gewöhnlich auf der See gegen traute Kameraden, und wenn er dann selbst das Lager suchen muß, so erwartet er natürlich, da wo er selbst kein Mitleiden gezeigt, auch keines von Andern.

Ein Umstand war übrigens noch, der nicht unbedeutend dazu beitrug, Manche mit ihrer Lage in See zu versöhnen; es war dies die regelmäßig zwei Mal ausgetheilte Portion Pisco, die der Steward am Gangspill einem Jeden in ein blechernes Gefäß „Tot“ genannt, zuertheilte. Im Hafen wurde dieser Luxusartikel zurückbehalten, wahrscheinlich um die Leute wenigstens in einer Hinsicht wünschen zu machen, wieder in See zu sein.

Da nun auf unserem Fahrzeug in keiner einzigen Hinsicht Ordnung herrschte, so blieb es denn auch natürlich nicht allein bei dem gesetzlichen Quantum von Spirituosen, was besonders durch Jermin den Kranken verschrieben wurde. Diese meldeten sich gewöhnlich noch zur regelmäßigen Vertheilung am Gangspill, und dann gab es außerdem noch allwöchentlich eine Ausnahmsflasche, die auf englischen

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Schiffen gewöhnlich die „Samstag-Abendflasche“ genannt wird. Von diesen bekamen wir stets zweie in das Vorcastle geschickt, die eine für die Starbord-, die andere für die Larbordwache, und bei diesen nimmt gewöhnlich nach einem alten Brauch der älteste Seemann in jeder, das Recht an sich das Getränk auszutheilen, was er nun wie ein Lord an seinem eignen Tische verabreicht.

Der Zimmermann und Böttcher, – in der Seesprache „Spahn“ und „Spunt“ genannt – die gewissermaßen als die Führer des Vorcastles galten, wußten dabei noch immer einen starken Extrabeitrag zu ihrem gewöhnlichen Deputat zu bekommen, was sie nicht allein in stets guter Nachmittagslaune erhielt, sondern sie auch veranlaßte, den jetzigen Stand der Dinge als keineswegs unangenehm zu betrachten.

Wo waren aber in dieser ganzen Zeit die Pottfische? – Aufrichtig gesagt, ich kümmern mich wenig darum, da wir ja auch gar nicht in den Verhältnissen waren, sie fangen zu können. Bis dahin hatten die Leute wohl ziemlich regelmäßige Wacht oben in den Marsen gehalten; jetzt aber kamen sie herunter und schwuren, sie würden nicht wieder hinaufgehen. Hierauf bemerkte der Steuermann ziemlich gleichgültig, sie müßten nun bald zudem Platz kommen, wo Mastwachen auch ganz unnütz wären, denn die Wallfische

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seien dort so zahm, daß sie gewöhnlich zu den Schiffen kämen und sich an denselben die Rücken scheuerten.

So standen die Sachen mit uns etwa vier Wochen, nachdem wir Hannamanoo verlassen.

Nicht lange nach dem Tode der beiden Männer hörten wir plötzlich, daß Capitän Guy schwächer und schwächer würde und bald darauf sogar, daß er im Sterben läge. Der Doktor nun, der sich früher geweigert hatte die Kajüte unter irgend einer Bedingung wieder zu betreten, bereute sein Gelübde und stattete seinem alten Feind einen ärztlichen Besuch ab.

Er verschrieb ein warmes Bad, das auf folgende Art hergerichtet wurde: Das über der Kajüte angebrachte Fenster nahm man ab, und ließ dann ein Faß in die Kajüte nieder, das durch erst heiß gemachtes Wasser gefüllt wurde. Der arme Teufel von Patient schrie fürchterlich; sie hoben ihn auch mehr todt als lebendig wieder heraus und legten ihn auf sein Bett.

An diesem Abend kam der Steuermann völlig nüchtern an Deck und holte plötzlich den Doktor, mich selbst und noch zwei andere seiner Lieblinge auf das Quarterdeck, wo er uns in Gegenwart von Bembo und dem Mowree plötzlich anredete:

– Ich habe Euch etwas mitzutheilen, sagte er; und da Niemand hier ist als Bembo, der aft gehört, so will ich

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von Euch hier die Guten auslesen, um das Beste des Schiffs betreffend, Raths mit Euch zu pflegen. Mit des Capitäns Wind stehts gerade so – und er drehte dabei die Hand um. – Wundern sollte mich’s gar nicht, wenn er noch vor morgen umkippt; was aber nachher? – Wenn wir ihn wirklich einnähen, so könnten es sich einige von den Piraten da vorne gerade so gut vornehmen, mit dem Schiff davon zu laufen, weil gerade Niemand am Steuer steht und ich habe nun deshalb meinen Plan gemacht; obgleich ich ihn nicht ausführen will, wenn ich nicht auch wackere Burschen habe, die bei mir stehen; damit, wenn wir einmal wieder nach Hause kommen, alles gut und in Ordnung abgemacht werden kann.

Wir fragen ihn jetzt natürlich, worin sein Plan eigentlich bestehe.

– Das will ich Euch sagen, Ihr Leute. Wenn der Capitän stirbt, so stellen sich Alle unter meine Befehle und ich mache mich dann verbindlich, in weniger als drei Wochen fünfhundert Fässer Thran unter den Luken zu haben, genug, um jeder Mutter Sohn eine Handvoll Dollar zu sichern, wenn wir nach Sidney kommen. Wenn Ihr Euch nicht zu dem versteht, so werdet Ihr keinen Cent zu fordern haben[6].

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Doktor Lattengeist erwiederte hierauf, daß man an so etwas gar nicht denken könne; sobald der Capitän sterbe, sei er verpflichtet, das Fahrzeug in den nächsten civilisirten Hafen zu bringen, um es dem englischen Consul zu übergeben, wo die Mannschaft wahrscheinlich nach einem kurzen Aufenthalt am Lande heimgeschickt würde. Alles sprach gegen des Steuermanns Plan.

– Dennoch, fuhr der Doktor mit angenommener Gleichgültigkeit fort, wenn die Leute hier auf den Wallfischfang wollen, gut, dann ist mir’s auch recht. Je eher wir aber in diesem Falle an Eure Inseln kämen, desto besser wär’s.

Der lange Doktor hatte noch mehreres dabei zu bemerken, und nach der Art, in welcher die Uebrigen zu ihm aufsahen, lag es bald außer allem Zweifel, daß er der sein würde, der des Schiffes Lauf zu bestimmen hätte. Endlich wurde der Beschluß gefaßt, daß wir, wenn sich des Capitäns Zustand in vier und zwanzig Stunden nicht besserte, auf Tahiti zusegeln sollten.

Diese Nachricht brachte einen gewaltigen Eindruck auf die ganze Mannschaft hervor, der wirklich erfrischend selbst auf die Kranken wirkte; der Doktor aber, ohne auf des Capitäns Gesundheit anzuspielen, wünschte mir Glück, daß ich bald einen so berühmten Platz zu sehen bekäme, als jene Insel war.

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Die Nacht nach dieser Berathung ging ich einmal in der Hundewache an Deck, und fand die Raaen auf dem Larbordgang fest angebraßt, während der Süd-Ost-Passat scharf an unsern Burg preßte; der Capitän befand sich noch nicht besser und wir segelten auf Tahiti zu.


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Capitel VII.
Ropey. Spahn und Spunt. Ein Sturm. Die Korallen-Inseln.

Ich möchte hier, indeß wir doch so ruhig unsre Bahn fortsetzen, einen armen Teufel erwähnen, den wir an Bord hatten und der gewöhnlich Ropey genannt wurde.

Er war ein wunderliches Individuum, das unser Fahrzeug als Landlubber betreten hatte, und sich dabei so ängstlich und ungeschickt anstellte, daß der Steuermann alle Hoffnung aufgab, je einen Seemann aus ihm zu machen. Er steckte ihn deshalb in die Kajüte als Steward, welchen Posten früher ein Seemann eingenommen; Ropey zeigte sich hier aber eben so ungeschickt zwischen dem Geschirr, als draußen zwischen dem Takelwerk. Eines schönen Morgens, da die See ein bischen hohl ging und das Schiff ein wenig stampfte, stürzte er denn auch einmal, mit einer hölzernen Terrine voll Suppe, mitten in die Kajüte hinein, und verbrannte die Offiziere so, daß sie sich in einer vollen Woche nicht

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wieder erholen konnten; noch an demselben Nachmittag steckten sie ihn wieder ins Vorcastle.

Nun ist wohl Niemand so herzlich verachtet, wie ein eben solcher erbärmlicher „Gutfürgarnichts-Landlubber“; so unnütz aber auch ein solcher Charakter sein mag, so ist doch eine Schiffsgesellschaft selten oder nie geneigt, ihn irgend einen Nutzen daraus ziehen zu lassen. Man betrachtet ihn gewöhnlich als eine Maschine, und wo irgend eine harte schwere Arbeit zu thun ist, da wird er gewiß hingesteckt. Soll ein bedeutendes Theeren vorgenommen werden, so wird er Hals über Kopf in das Theerfaß geschoben und dabei angestellt; apportiren muß er wie ein Hund. Schickt ihn der Steuermann nach seinem Quadrant, so begegnet ihm vielleicht unterwegs der Capitän, der ihm sagt, er soll Oakum zupfen, und während er zu diesem Zwecke ein altes Tauende sucht, so kommt gewiß ein Matrose und möchte wissen, was er hier herumzukriechen hat, und warum er nicht zum Vorcastle geht.

„Gehorcht dem letzten Befehl“ ist ein unumstößliches Gesetz in See; der Landlubber aber, aus Furcht etwas zu verweigern, stürzt rath- und thatlos von einem Ort zum andern und erhält am Ende nichts weiter als Knuffe und Stöße aus allen Ecken.

Zu seinen andern Leiden gehört noch das, daß er den Mund nicht aufthun darf ohne gefragt zu sein, und Gnade

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ihm Gott, wenn er sich einmal unterfangen wollte, einen Witz zu machen, das würde er bis an’s Ende seiner Tage zu hören bekommen; obgleich er sich die Späße Anderer über ihn selbst ruhig muß gefallen lassen.

Wehe ihm, wenn er beim Essen auch nur einen Seitenblick auf das Fleisch wirft, ehe die Andern zugelangt haben, und dabei muß er Alles auf sich nehmen, was irgend Jemand an Bord ausgeführt hat und nun nicht eingestehen will. Er ist das, was der heimliche Hallunke „Niemand“ am Ufer gewöhnlich vertritt, und sein Elend nimmt wirklich kein Ende. Des Landlubbers Geist erliegt endlich diesen ewigen Angriffen, und das erste Resultat seiner Melancholie ist eine totale Vernachlässigung seiner Toilette. Anstatt aber, daß nun die Matrosen in etwas auf ihn Rücksicht nehmen sollten, ist kaum seine Reinlichkeit in Frage gestellt, als sich auch Alle, wie die Christen im Mittelalter auf die Juden, über ihn werfen und ihn zu den Leespeygaten schleppen, wo er trotz Hülfe- und Jammerschrei, bis auf die Unterkleider ausgezogen und erbarmungslos abgescheuert wird.

Wehe, wehe dem Landlubber in See, er ist das unglückseligste Menschenkind auf der weiten, weiten Welt; und zwar ein solcher aus dem ff war unser Ropey. Er sah auch gleich so aus, sein Gesicht blieb ein förmliches Räthsel und obgleich scharf und lederfarben, trug es weder die Glätte der Jugend noch die Runzeln des Alters, und ich wäre

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z. B. ums Leben nicht im Stande gewesen zu sagen, ob er zwanzig oder funfzig Jahr alt war.

Was seine Geschichte anbetrifft, so mußte er in früherer Zeit ein Bäckergeselle in London gewesen sein, wo er damals Sonntags einen blauen Rock mit Metallknöpfen trug und seine Nachmittage in dem Wirthshaus zubrachte, seine Pfeife rauchte und sein Ale trank – ein heiterer, lebenskräftiger Bäckergeselle. Das dauerte aber nicht lange; ein alter „Misch Dich in Alles“ erklärte ihm plötzlich, London sei eine ganz gute Stadt für ältliche Gentlemen und Invaliden; für einen jungen Mann von Geist wäre aber Australien gerade das rechte, und an einem unglückseligen Tag ordnete Ropey seine Finanzen und schiffte sich richtig nach Auftralien ein.

In Sidney mit einem kleinen Capital angekommen, verbesserten sich nach harter Arbeit und unermüdlichem Kneeten seine Umstände, und er nahm sich ein Weib, die Lady aber schien mit seinen Eigenschaften nicht ganz zufrieden, und war an einem lauwarmen Sommermorgen mit seinem Gelde und Werkmeister plötzlich verschwunden. Ropey ging darauf augenblicklich in das Gasthaus von „Pfeife und Krug“, fing an zu trinken und beschloß beim fünften Glas Selbstmord, ein Entschluß, den er auch ausführte, denn er schiffte sich am nächsten Tag als Landlubber an Bord der Julia ein.

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Der Exbäcker würde sich übrigens noch viel besser befunden haben, wäre sein Herz nicht so unendlich weich gewesen; ein freundliches Wort machte einen Narren aus ihm, und die meisten Verlegenheiten, in die er kam, hatten darin ihren Ursprung.

So, um ein Beispiel zu geben, saß Ropey manchmal Morgens ganz früh, wenn die Wache eben aufgestanden und beim Frühstück war, in einer Ecke und verzehrte traurig seine Delikatessen. Matrosen nun, eben vom Schlaf erwacht, sind keineswegs Engel, und deshalb wird dabei selten ein Wort gesprochen; grimmig und unrasirt sitzen sie alle schweigend da und kauen ihren Zwieback. Zu solcher Zeit kommt nun einer von den zutraulich aussehenden Schuften, – Flash-Jack nicht selten – über die Kisten hingekrochen und setzt sich mit seinem Becher neben den Landlubber. – Hatte Bissen das, Ropey, beginnt er; hart genug noch dazu für Einen, der die Sache besser kennt und in London gelebt hat. Ich sage, Ropey, wenn Ihr nun heute morgen in Holborn wärt, was würdet Ihr da zu frühstücken haben?

– Zu frühstücken? rief Ropey mit Entzücken; o sprecht nicht davon.

– Was fehlt denn dem Burschen, knurrt hier ein alter Seebär und dreht floh wild nach ihm um.

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– O nichts, nichts, fiel Jack ein und bat Ropey, während er sich zu ihm hinüberlegte und ihm zuflüsterte leiser zu reden, fortzufahren.

– O, schwelgte dieser dann in der Erinnerung, während seine beiden Augen wie ein Paar Laternen glänzten, – o dann ging ich zu Mutter Moll, die so kostbare Muffins bäckt; dort ging ich hin wißt Ihr, setzte mich in die beste Ecke und ließ mir fürs erste Mal ein halb Viertel geben, um damit anzufangen.

– Und dann, Ropey?

– Ei dann, Flashy, fuhr das arme ahnungslose und in seinem Thema wärmer werdende Opfer fort – dann rückte ich mir den Stuhl ein bischen näher zum Tisch und rief nach Betty – Betty, das Mädchen, das die Kunden bedient. Betty, mein Herzchen, sagte ich dann, Du siehst ganz rosig schön aus diesen Morgen; gieb mir ein Paar hübsche Scheiben Schweinskeule und Eier, Betty, mein Herzchen, und dann mischte ich eine Pinte Ale haben und drei hübsche heiße Muffins und Butter und ein Scheibchen Cheshire, und Betty, mein gutes Kindchen, dann möchte ich noch –

– Ein Stück Haifisch und einen Strick, schrie der schwarze Dan fluchend und gleich darauf wurde der arme Teufel über die Kisten geschleppt und an Deck geknufft.

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Ich hatte es mir stets zur Pflicht gemacht, gegen den armen Ropey freundlich zu sein, wo ich nur konnte, und aus diesem Grunde war ich auch sein großer Liebling.

Die beiden Compagnons, wie sie von den Matrosen genannt wurden, oder Spahn und Spunt, wenn sie klassificirt werden mußten, weihten jetzt ihre Zeit, noch dazu da es einem Hafen zuging, immer mehr der Flasche und befanden sich zum großen Aerger und Neid der übrigen Mannschaft in einem fortwährenden, wenn auch noch geringen Grade von Seligkeit.

So fidel sie aber auch im Ganzen sein mochten, ein Paar discretere Trinker konnten kaum gefunden werden. Niemand sah sie einen Schluck thun, außer wenn das regelmäßige Maß ausgeschenkt wurde. Das Geheimniß war aber nicht so gut versteckt, daß wir nicht doch am Ende dahinter gekommen wären.

Die Fäßchen Pisco wurden nemlich unter den hinteren Luken gehalten, die auch zu diesem Zweck mit eisernen Stangen und Schlössern versehen waren. Der Böttcher jedoch unternahm zu Zeiten einen verbrecherischen Streifzug dorthin, indem er in die Vorluken hinabstieg, und nun, mit Gefahr erdrückt zu werden, über, und durch, und zwischen tausend Gegenständen hin, bis zu dem Platze kroch wo sie lagen.

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Bei seiner ersten Expedition fand er das Einzige, an das er kommen konnte mit dem Spuntloche oben; ein Stück eines eisernen Reifens mußte ihm nun als Werkzeug dienen und durch entsetzliches Stoßen und Drücken und Klopfen gelang es ihm endlich den Spunt hineinzustoßen. Die Art, das Getränk heraus zu bekommen, war eben so ingenieus; sein Halstuch tauchte er mit Hülfe des eisernen Reifens hinein und drückte es dann immer in ein kleines mitgebrachtes Gefäß aus, bis er das gefüllt hatte.

Spunt war ein Mann nach eines Kellermeisters Herzen; er trank ruhig, bis er gerade handbar benebelt war und so hielt er sich, wurde weder schlimmer noch besser, sondern blieb nach seinem eignen Ausdruck „gerade recht.“ In diesem interessanten Zustande hatte er ein gewisses freies Schaukeln in seinem Gange, eine eigne Art den Bund seiner Segelhosen heraufzuziehen, und vermied dem, mit dem er sprach, ins Auge zu sehen, sonst aber befand er sich immer munter. Wunderbarer Weise wurden dann aber auch ganz ungewöhnlich patriotisch, und zeigte das am häufigsten und auf höchst komische Art, sobald ihm Dunk, ein gutmüthiger Däne mit viereckigem Gesicht, ebenfalls Matrose an Bord, begegnete.

Hier muß ich jedoch vorher bemerken, daß der Böttcher auf echte Seemannsart ein ungeheurer Verehrer Lord Nelsons war; sonderbarer Weise machte er sich aber einen ganz

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falschen Begriff von dessen äußerer Erscheinung; denn nicht zufrieden damit ihn eines Auges und Armes zu berauben, behauptete er steif und fest, daß der Seeheld auch in einer seiner Schlachten ein Bein verloren habe. In dieser Voraussetzung nun, hoppte er manchmal, das eine Bein hinter seinem Rücken mit dem rechten Arm gefaßt und zu gleicher Zeit das eine Auge geschlossen, auf den Dänen los und schrie ihm in dieser Stellung zu, ihn anzuschauen und den Mann zu sehen, der seine Landsleute bei Kopenhagen so in die Pfanne gehauen hätte.

– Seht her, Dunk, sagte er dabei, während er oftmals gefährliche Seitensprünge machen mußte sein Gleichgewicht zu behaupten, und mit dem einen Auge stark blinzte, um das andere geschlossen zu halten. – Seht her, Dunk: ein Mann – hängt mich – nur ein halber Mann – der nur einen Arm, ein Bein und ein Auge hatte – hängt mich – ja der nur überhaupt ein Stück von einem Leichnam war, prügelte Eure ganze schäbige Nation. Leugnet Ihr das, Ihr Lubber?

Der Däne war ein höchst gutmüthiges Wesen und da er nur sehr wenig Englisch verstand, so gab er selten eine Antwort darauf; Spunt ließ aber dann sein eines Bein wieder herunter und stolperte mit der Miene eines Mannes fort, der es nicht der Mühe werth hält noch etwas Weiteres darüber zu sagen.

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Das freundliche, blaue Wetter, das uns in der Nähe der Marquesas-Inseln begünstigt, veränderte sich aber, je mehr wir südlich kamen und uns Tahiti näherten. In diesem gewöhnlich ruhigen Meere bläßt der Wind manchmal mit großer Gewalt, obgleich, wie jeder Seemann weiß, ein solcher von Gewürzdüften geschwängerter Sturm in den Tropen des stillen Ozeans, gar sehr verschieden von einem heulenden Orkan im nördlichen atlantischen Meere ist .

Trotz des Windes ließ aber der Steuermann die Segel fast sämmtlich oben, und die kleine Jule hielt sich wirklich tapfer und brav. Wenn sie auch manchmal in den Wasserschlünden umgelegt wurde, so sprang sie doch immer wieder augenblicklich auf ihren Kiel, und ließ sich nichts anhaben. Jeder alter Balken in ihr krachte dann, jedes gespließte Tau sah aus als ob es im Nu wieder von einander gehen wollte, und dennoch flog sie auf ihrer Bahn, trotz allem was sich ihr entgegen stemmen mochte, wie ein kecker Renner dahin. Jermin, ein wahrer Seejockey, stellte sich manchmal in die Bindenetketten, während ihm der Schaum über Kopf und Kragen schlug und schrie dabei: „Brav gemacht, meine Jule – preß hinein mein Herzchen, Hurrah!“

Eines Nachmittags hörten wir einmal ein wunderliches Prasseln oben im Takelwerk, das uns nach allen Richtungen hinaus sandte; es war die große Marsstenge. Krach! brach sie gerade über dem Top ab und schlug dort durch das Takelwerk

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gehalten, Von Seite zu Seite, während Alles was dazu gehörte um sie herum schlenkerte. Sie hing nur noch an wenigen Spähnen und flog mit jeder Woge gegen die Raaen an, während die Segel in lauter Streifen hinausflatterten, und die lockeren Taue sich zusammenrollten und die Luft wie Peitschenschnüre schlugen. „Von unten fort!“ ging der Ruf und nieder an Deck kamen die Blöcke, wie eben so viele Kugeln. Die Stenge überschlug sich, schoß zischend in die See und sprang im nächsten Moment wieder mit ihrer vollen Länge daraus zurück. Der Kamm einer Woge brach sich über ihr, – das Schiff glitt vorbei, und wir sahen das Holz nicht wieder.

So lange diese lebendige Briese dauerte, befand sich unser schwarzer Koch Baltimore in nicht geringer Verlegenheit.

Die Cambuse, oder das Kochhaus der Julia, war nemlich, wie das auf vielen Südseefahrern der Fall ist, an der Larbordseite des Vorcastles angebracht. Unter solch einem Segeldruck aber und bei so hoher See tauchte die Barke ihren Bug dann und wann unter, und schöpfte grüne glasige Wogen ein, die sich über dem Vordertheil brachen, jenen Theil des Schiffs förmlich unter Wasser setzten und dann bis aft wuschen. Die Cambuse, ziemlich fest auf ihrem Platz befestigt, diente solcher Ueberschwemmung als eine Art Wehrdamm.

Um diese Zeit herum trug Baltimore stets das, was er

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seine Sturmkleider nannte, einen Südwester (einen getheerten Segeltuchhut mit breiter Hinterkrämpe) und ein paar gut eingeschmierte Seestiefeln, die ihm fast bis an die Knie reichten. So ausgestattet, um dem Wasser wo möglich Trotz zu bieten, zog sich bei diesem Unwetter unser Hoherpriester der Küche in sein innerstes Gemach zurück, und verrichtete dort seine ruhigen Arbeiten in geheimnisvollem Schweigen.

So ängstlich war aber der alte Mann, einmal gelegentlich über Bord gewaschen zu werden, daß er wirklich das eine Ende eines schwachen Falltaues an seinen Gürtel befestigte und den Rest um sich herumwindend diesen dann und wann benutzte. Wenn er von seiner Cambuse fort mußte, wickelte er sich aus und befestigte das eine Ende in einem Ring an Deck, so daß ihn eine Welle wohl umwaschen aber weiter nichts mit ihm anfangen konnte.

Eines Abends, als er sich gerade mit der Bereitung des Soupers beschäftigte, bäumt die Julia, wie ein spieliges Fohlen auf ihren Stern, und schöpfte, als sie vorn wiederniederschlug, eine entsetzliche See. Nichts konnte dieser widerstehen. Ein Theil des verfaulten vordern Bulwarks brach krachend herein, schlug gegen die Cambuse, riß diese aus ihren Bändern und schlug sie von Seite zu Seite bis sie endlich am Windlaß strandete. Das Wasser schoß dann in einer wahren Fluth über Deck, überschwemmte Töpfe, Pfannen und Kessel und nahm selbst den alten Baltimore

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mit, der einem Delphine gleich darin herum sprudelte. Erst am Gangspill hinten theilte sich die Woge, und ließ den alten Koch, der die ausgegangene und fast entzwei gebissene Pfeife noch immer fest zwischen den Zähnen hielt, hoch und trocken auf der hintern Luke liegen.

Die wenigen Mann an Deck waren nach Matrosenart in das Takelwerk des Hauptmastes gesprungen und jubelten nur über das Unglück des armen Teufels.

In derselben Nacht brach unser Klüverbaum wie ein Pfeifenstengel ab und der Brodgewinner kam an Run herunter.

Am nächsten Morgen hatte sich der Wind bedeutend gelegt, ebenso die See; am Nachmittag waren fast alle unsere erlittenen Schäden wieder ausgebessert und wir segelten so ruhig dahin wie immer. Die zerstörten Bulwarks konnten wir freilich nicht wieder ausbessern, denn wir führten nichts an Bord was sie ersetzen konnte, sobald es also an zu wehen fing, brach die Fluth über unsern zerrissenen Bug; aber die kleine Jule schlug ihre Hacken noch immer so hoch in die Höhe als früher.

Wie weit wir westlich segelten, nachdem wir die Marquesas-Inseln verlassen, oder wie unsere Länge und Breite zu gewissen Zeiten gewesen sein mag, oder wie viele Meilen wir nach Tahiti zu machten, ist etwas, über das ich leider

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keine Auskunft geben kann. Jermin besorgte die ganze Messung und behielt das, wie schon vorher erwähnt, bei sich selber. Mittags brachte er seinen Quadranten an Deck, ein altes rostiges Ding, das eher aussah, als ob es einem Astrologen als einem Seemann gehörte, und manchmal, wenn er gerade ein bischen viel getrunken hatte, taumelte er, mit dem Instrument am Auge auf dem ganzen Deck herum und suchte überall die Sonne, die er doch, wie jeder nüchterne Mensch wissen mußte, über sich finden konnte. Wie in aller Welt er es manchmal zu Wege brachte, die Breite zu bestimmen, in der wir uns befanden, ist mehr als ich sagen kann, und die Länge muß er entweder durch Regel de tri oder geheime Offenbarung entdeckt haben. Daran war aber der Chronometer nicht etwa schuld, von dem vielleicht der Leser glauben möchte, er wäre unregelmäßig gegangen oder nicht zuverlässig gewesen, o Gott bewahre, der stand stockstill und bewahrte deshalb auch wahrscheinlich die ganz genaue und treue Greenwich-Zeit – die es damals gewesen als er stehen geblieben.

Der Steuermann übrigens behauptete außer seiner „todten Rechnung“ die Meridianentfernung von Bowbell’s auch noch durch eine gelegentliche Beobachtung des Mondes zu erlangen. Dies geschieht glaube ich, dadurch, daß man mit den dazu nöthigen Instrumenten die Entfernung zwischen dem Monde und einem gewissen Sterne

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mißt; dies muß aber zu gleicher Zeit durch zwei Beobachter geschehen.

Obgleich nun auch der Steuermann schon allein als vollkommen genügend zu solchem Zweck angesehen werden konnte, denn gewöhnlich sah er um diese Zeit alles doppelt, so wurde dennoch der Doktor meistentheils aufgerufen, um Jermins Quadranten zu sekundiren und wir Matrosen amüsirten uns dann nicht wenig über die wunderlichen Stellungen, die Beide dabei annahmen. Des Steuermann zitternde Versuche sein Instrument nach dem Stern zu richten, sahen wirklich zu komisch aus; übrigens begreife ich jetzt noch nicht, wie er ihn, wenn er ihn wirklich endlich fand, von denen unterscheiden konnte, die er im eignen Hirn trug.

Dennoch lootste er uns hin und ehe viele Tage vergingen warf einer der Leute, der hinauf gesandt war einen Riß im Fockmarssegel auszubessern, seinen Hut in die Luft und schrie: Land a hoi!

Land war es auch wirklich, in welchem Theil der Südsee aber, das wußte Jermin nur allein; obgleich Einige von uns behaupteten, selbst er wisse es nicht. Kaum hatte er aber die Ankündigung gehört, als er mit seinem Fernrohr in der Hand an Deck gesprungen kam, eine ganze Weile hindurch sah, und sich endlich mit der Miene eines Mannes nach uns umwandte, der von etwas die unbezweifelte Versicherung erhalten hätte, das er schon lange vorher gewußt.

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Das Land war, seiner Aussage nach, ganz genau das, nach welchem er gesteuert und in vier und zwanzig Stunden würden wir Tahiti sehen. – Er hatte wirklich recht.

Die Insel erwies sich bald als zu der Pomatu- oder niedern Gruppe, oft auch die Koralleninseln genannt, gehörig, vielleicht die merkwürdigsten Eilande des stillen Ozeans, die östlich von Tahiti liegen und von denen aus man dieses in einem Tag Segeln erreichen kann.

Diese Inseln sind sehr zahlreich, größtentheils klein, niedrig und flach, manchmal bewaldet, stets aber mit üppigem Grün bedeckt. Viele haben eine halbmond-, manche eine hufeneisenartige Bildung, diese Letztern bestehen dann nur aus einem schmalen Landstreifen, der eine Lagune umgiebt. Manche von diesen Letztern stehen nur mit der See durch einen ganz schmalen Kanal in Verbindung; manche müssen sich nur unsichtbar mit ihr vereinigen, da sie ganz eingeschlossen sind, und in diesem Falle gleichen sie einem grünen Smaragd-Ring, der einen wunderherrlichen Diamant umschließt. Noch andere Lagunen sind von zahlreichen kleinen Inseln umgeben, die dann ganz dicht an einander liegen.

Der Ursprung dieser ganzen Gruppe wird nur dem Koralleninsekt zugeschrieben.

Einige Naturforscher behaupten, dieses wunderbare kleine Geschöpf beginne seine Bauten auf dem Grunde der See

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und führe sie nach Jahrhunderten bis zur Oberfläche empor, wo seine Arbeiten dann aufhören. Hierauf hält aber die rauhe Oberfläche der Koralle alle schwimmende Körper auf und bildet im Verlauf der Zeit einen Fruchtboden, in dem die durch Vögel hierhergetragenen Samen keimen und das Ganze mit üppiger Vegetation bedecken. Hier und da über diesen ganzen Archipel hin zeigen sich zahllose nackte und abgerissene Korallenbildungen, die scheinbar gerade dem Ozean entstiegen, und also sich erst bildende Inseln sind. Man glaubt das wenigstens unwillkührlich, wenn man sie sieht.[7]

So viel ich weiß existiren, nur wenige Brodfruchtbäume in irgend einem Theile der Pomatugruppe; auf manchen Inseln gedeiht sogar die Cocospalme nicht, obgleich diese in andern desto häufiger vorkommt. Viele von den Inseln sind deshalb auch ganz unbewohnt, andere ernähren nur eine einzige Familie; aber keine ist stark bevölkert. In einiger Hinsicht gleichen die Eingeborenen den Tahitiern, auch in ihrer Sprache; das Volk der südöstlichen Gruppen aber,

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obgleich wenig bekannt, hat einen bösen Ruf als Kannibalen und deshalb wird seine Gastfreundschaft von den Seefahrern selten in Anspruch genommen. Die Korallen-Inseln werden hauptsächlich von den Perlfischern besucht, die gewöhnlich in kleinen Schoonern mit kaum mehr als fünf oder sechs Mann dort anlegen. Die Perlmuscheln werden in den Lagunen und an den Riffen gefunden, und für ein halb Dutzend Nägel den Tag, ja für noch viel geringere Gegenstände, lassen sich die Eingeborenen gern miethen, danach zu tauchen.

Eine große Menge Cocosnußöl wird hier ebenfalls gewonnen, denn einige der unbewohnten Inseln sind mit dichten Cocosnußwäldern bedeckt, in denen die seit Jahren gefallenen Nüsse den Boden in dichten Schichten überlagern. Zwei oder drei Männer mit den nöthigen Apparaten versehen das Oel auszulassen, können in ein oder zwei Wochen so viel gewinnen, ein ganzes Seecanoe damit zu beladen.

Der Wind schlief jetzt ein und der Abend rückte heran, ehe wir uns der Insel näherten, sie lag aber doch den ganzen Nachmittag vor uns; sie war klein und rund, ganz von Baumwuchs entblößt und schien sich kaum vier Fuß über das Wasser zu erheben; hinter ihr lag noch eine andere und größere, über die ein tropischer Sonnenuntergang all seine Glorie goß.

Die Passate füllten kaum die mattgehobenen Segel; die Luft war von dem Aroma tausend wunderbarer Gerüche

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erfüllt; einer der Kranken aber, der an Deck gekommen war, und schon seit einigen Tagen Spuren von Skorbut gezeigt hatte, schrie plötzlich, als er sie einathmete, laut auf und wurde wieder hinabgetragen. Dies ist ein nicht ungewöhnlicher Fall.

Wir glitten in kaum einer Cabellänge vom Ufer, das von funkelndem Schaum umkränzt wurde, weiter, während sich die stille schlummernde Lagune in seine Umarmung schmiegte. Kein lebendes Wesen ließ sich sehen und wir waren vielleicht die ersten Sterblichen, die diesen wundervollen Platz erblickten. Der Gedanke hatte einen eigenthümlichen Reiz; und dabei dachte ich fast unwillkührlich an die endlosen Korallen-Grotten und Gallerien, die dort unten, weit aus dem Bereich des Senkbleis, in die unergründliche Tiefe reichten; was für sonderbare Wesen konnten in ihnen hausen; sicherlich jagten sich dort die Seejungfern durch die Zellen und Grotten, und fingen sich mit ihren langen Locken in den astigen Korallenarmen.


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Capitel VIII.
Tahiti. Eine Ueberraschung. Mehr über Bembo.

Am nächsten Morgen noch in früher Dämmerung, sahen wir die Kuppen von Tahiti, die bei klarem Wetter auf neunzig Meilen Entfernung erkannt werden können.

– Hivarhoo, schrie Wymantoo jauchzend und lief, als er das Land zuerst in weiter Ferne erkannte, auf das Bugspriet hinaus. Da aber die Wolken verschwanden und er die drei Gipfel erkannte; die Obelisken gleich gegen das Firmament abstachen, da traten ihm die Thränen in die Augen. Armer Bursche, es war nicht Hivarhoo! Hivarhoo lag manche lange Meile entfernt.

Tahiti ist auf jeden Fall die berühmteste Insel in der Südsee, ja verschiedene Ursachen haben sie ordentlich klassisch gemacht. Schon ihre natürliche Gestaltung zeichnet sie vor den übrigen Gruppen aus; zwei runde und kühne Vorgebirge, deren Gipfel sich bis 9000 Fuß über die Meeresfläche erheben, sind durch einen niedern schmalen Isthmus

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mit einander verbunden, und das Ganze umfaßt etwa einen Umkreis von hundert Miles. Von den großen Centralkuppen der größern Peninsula, Orohena, Aorai und Pirohitee strahlt das Land nach allen Seiten der See zu in niederen grünen Bergrücken aus. Zwischen diesen liegen breite, schattige Thäler von herrlichen Strömen bewässert und dicht bewaldet. Tahiti umschließt auch, was nicht bei allen andern Inseln der Fall ist, ein Gürtel von niederm, ungemein kräftigen Fruchtboden, der mit der üppigsten Vegetation bedeckt ist; hier wohnen hauptsächlich die Eingeborenen.

Von der See aus gesehen ist der Anblick wundervoll. Dem Auge bietet sich eine förmliche Masse von grünen Tinten, die in wundervollen Schattirungen bis zu den höchsten Gipfeln der Berge hinaufsteigen; Thaler und Gebirgsrücken, Schluchten und Wasserfälle wechseln dabei ab, und hie und da werfen die höheren Klippen ihre weiten Schatten über die tiefer liegenden Gebirge, zwischen denen dann wieder die Cascaden in den Sonnenstrahlen blitzen, als ob sie sich durch lauter Lauben und Grotten ergössen. Ein solcher Zauber liegt hier über der Landschaft, daß sie dem Kommenden so frisch, wie eben aus der Hand des Schöpfers hervorgegangen, erscheint.

Das Gemälde verliert auch, wenn man näher kommt, keineswegs an Schönheit, und die Behauptung ist wahrlich nicht übertrieben, daß ein Europäer, wenn er diese Thäler

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zum ersten Mal betritt, seinen Sinnen kaum glauben mag, die ihm vorlügen wollen, es gäbe in der Wirklichkeit ein solch wunderherrliches, paradiesisches Land. Kein Wunder, daß die Franzosen dieser Insel den Beinamen von Neu-Cytherea gaben. De Bourgainville sagt: oft glaubte ich in dem Garten von Even selbst zu wandeln.

Der Anblick des Landes erfüllte uns mit einem unbeschreiblichen Entzücken. Nach langer Kreuzfahrt in einem Hafen einzulaufen ist stets angenehm genug für einen Seemann, der sich dann allerlei freudigen Hoffnungen überläßt; uns aber mußte dieser Abschnitt in unsrer Seefahrt, aus noch weit andern Gründen, ein sehr willkommner sein.

Seit wir dem Lande zusegelten, waren denn auch unsere Aussichten viel besprochen worden. Viele behaupteten, wenn der Capitän das Schiff verließe, so seien die Matrosen ebenfalls nicht mehr an dasselbe gebunden. Ueberhaupt galt das im Vorcastle als allgemein angenommen; obgleich ein Marinegesetz vielleicht anders darüber abgesprochen hätte. Auf jeden Fall befand sich Mannschaft wie Schiff in einem solchen Zustande, daß wir, komme was da wolle, viele Feiertage und einen ziemlich langen Aufenthalt in Tahiti erwarten durften.

Alle gaben sich den fröhlichsten Hoffnungen hin, und selbst die Kranken, die sich seit dem Wechsel in unsrer Lage reißend schnell, erholt hatten, waren auf den Decks und lehnten

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an den Bulwarks, und zwar Einige voller Lust und Leben, Andere in schweigender Bewunderung über das herrliche Schauspiel, das sich vor ihnen ausbreitete: – Tahiti von der See aus.

Das Quarterdeck stach übrigens sehr bedeutend gegen Das ab, was am andern Ende des Fahrzeugs vorging. Der Mowree saß dort, wie gewöhnlich in sich selbst hineinbrütend, und Jermin schritt in tiefen Gedanken hin und her, während er von Zeit zu Zeit nach luvwärts hinüberblickte oder in die Kajüte sprang und schnell wieder zurückkehrte.

All unsere leichten Segel wie liebend gegen das Land hin ausgebreitet, hielten wir unsern Weg, bis wir durch des Doktors Glas Papeetee, den Hauptort von Tahiti erkannten. Verschiedene Schiffe lagen dort im Hafen und unter diesen auch eines, das dunkel und mächtig emporstarrte; die beiden Reihen Zähne verkündeten eine Fregatte. Dies war die Reine blanche, kürzlich von den Marquesas eingetroffen, und führte an der Fockstenge die Flagge des Contre-Admirals Du Petit Thouars. Kaum hatten wir sie ausmachen können, als der dumpfe Donner ihrer Kanonen über die Wasserfläche zu uns herüberschallte, ihr Feuern geschah zu Ehren eines Vertrags oder vielmehr, soweit er die Eingeborenen betraf, einer gezwungenen Abtretung von Tahiti an die Franzosen, welche diesen Morgen abgeschlossen worden war.

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Die Kanonade hatte kaum nachgelassen, als Jermins Stimme eine so unerwartete Ordre gab, daß Jeder in die Höhe fuhr.

– Steht bei hier und braßt die große Raae back.

– Was bedeutet das? – sollen wir denn nicht in den Hafen? schrieen die Leute. –

– Schnell hier hinter und keine Worte, schrie der Steuermann.

Im nächsten Augenblick knarrte die Raae herum und die Julia lag mit ihrem Klüverbaum in See hinaus deutend, ruhig wie eine Ente auf den Wogen. Wir sahen uns Alle einander verwundert an, als ob wir fragen wollten, was nun geschehen würde.

Plötzlich erschien der Steward an Deck und trug eine Matraze, die er im Hintertheil von des Capitäns Boot ausbreitete, zwei oder drei Kisten und andere Sachen, die ebenfalls seinem Master gehörten, wurden auch hineingelegt.

Das genügte. Der Matrose braucht keine große Auseinandersetzung, um zu begreifen, was vorgeht.

Noch immer den Plan beibehaltend, die Julia trotz allem, was sich ihm entgegenstellen konnte, in See zu lassen, wollte der Capitän jetzt ans Ufer fahren, während er indessen sein Fahrzeug unter dem Befehl des Steuermanns ließ, der ihn nach einem gewissen Zeitraum hier wieder abholen sollte. Alles das konnte natürlich sehr leicht geschehen,

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ohne daß wir etwa näher zum Land zu segeln brauchten, als wir jetzt lagen; kranke Capitäne von Wallfischfängern greifen denn auch nicht selten zu einem solchen Mittel, um sich wiederherzustellen, ohne dabei ihr Fahrzeug selbst aufzuhalten. In diesem Falle war es aber gänzlich ungerecht, und selbst gegen jedes Princip von Klugheit und Menschlichkeit anstreitend, denn wenn es auch von Guy’s Seite mehr Entschlossenheit zeigte als wir ihm jemals zugetraut, so bewies es doch zu gleicher Zeit eine unbegreifliche Kurzsichtigkeit, daß er vermuthen konnte, seine Mannschaft würde sich gutwillig solcher Willkür fügen.

Bald fanden wir, daß unsre Vermuthungen ganz richtig gewesen und die Leute wurden wüthend. Spahn und Spunt erboten sich augenblicklich an die Spitze einer Meuterei zu treten, und während Jermin unter Deck war, sprangen Vier oder Fünfe aft, befestigten die Kajütenthüren und Andere schlangen die Brassen los und ließen das Hauptsegel wieder herum schwingen, während sie den Uebrigen zuriefen, ihnen mit beizustehen und dem Lande zu zuhalten.

Alles dies geschah in einem Augenblick und die Sachen standen äußerst kritisch als Doktor Lattengeist und ich selber zwischen sie traten, und sie veranlaßten, nichts hastig zu thun, sondern die Sache erst ruhig zu bereden, da wir ja völlig Zeit und das Schiff ganz in unsrer Gewalt hätten.

Während die Vorbereitungen indessen immer noch in

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der Kajüte getroffen wurden, musterten wir die Leute und hielten auf dem Vorcastle unsere Berathung.

Allerdings kostete es Mühe, diese Tollköpfe zu einer ruhigen Ueberlegung der Sache zu bringen, des Doktors Einfluß zeigte sich aber doch am Ende, und mit wenigen Ausnahmen beschlossen sie, sich durch ihn leiten zu lassen, natürlich dabei versichert, daß in diesem Falle das Fahrzeug ruhig vor Anker gehen müsse, ohne daß irgend Jemand von ihnen weitere Umstände hätte oder besondere Gefahr liefe. Außerdem versicherten sie uns noch geradezu, daß sie, wenn friedliche Mittel fehl schlügen, unter jeder Bedingung die kleine Jule nehmen und nach Papeetee hineinführen würden, und wenn sie alle dafür hängen müßten. Für den Augenblick sollte übrigens der Capitän seinen Willen haben.

Indessen war alles fertig gemacht, das Boot herunter gelassen und zu den Fallreepen gebracht, und der Capitän durch den Steuermann und Steward an Deck geführt worden. Wir sahen ihn hier seit zwei Monaten zum ersten Male wieder und er hatte sich sehr verändert. Als ob er gern jedem Auge ausweichen wolle, bedeckte ein großer, breittandiger Paytohut seinen Kopf und wir konnten sein Gesicht nur dann zu sehen bekommen, wenn der Wind den Rand desselben zurückschlug. Durch ein an der großen Raae angebrachtes Nocktakel ließen ihn der Koch und Bembo in das Boot hinab; als er aber stöhnend niederglitt,

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muß er auf jeden Fall die Verwünschungen gehört haben, die ihm seine Leute nachsandten.

Während der Steward noch unten alles in Ordnung brachte, drehte sich der Steuermann plötzlich nach einer geheimen Unterredung mit dem Mowree gegen uns um – und erklärte, er würde mit dem Capitän ans Ufer fahren, sobald als möglich aber zurückkehren. Während seiner Abwesenheit sollte Bembo, als nächster im Rang nach ihm, den Befehl übernehmen, da ja auch weiter nichts zu thun sei, als die Barke in sicherer Entfernung vom Lande zu halten. Er sprang dann ins Boot hinunter und steuerte, mit dem Koch und Steward als Ruderer, dem Ufer zu.

Daß Guy, dem Rath des Steuermanns gerade entgegen, das Schiff so in den Händen der Leute ließ, war ein anderer Beweis seiner Albernheit; wären der Doktor und ich nicht an Bord gewesen, Gott weiß wie dann Alles gekommen.

Für jetzt hatten wir nun Bembo als Capitän und soweit als es Seemannskunst betraf, hätte wohl schwerlich ein Besserer gefunden werden können. Nur mit seinem Englisch stand es ein wenig schwach, denn er kannte einzig und allein die nautischen Benennungen, und nachher alle nur erdenklichen Flüche, sonst aber weiter gar nichts.

Als Harpunier, der Zutritt zur Kajüte hatte, wurde dieser Mann, den Seegebräuchen gemäß, die keine Ausnahme

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kennen, über die Matrosen gestellt, und wenn auch noch nicht civilisirt, so fiel doch Keinem ein, etwas außerordentliches darin zu finden oder dagegen zu murren.

Eine nähere Nachricht möchte ich aber doch hier über Bembo geben. Wenige von uns mochten ihn gern leiden, und fast alle, der Steuermann ausgenommen, fürchteten den düstern trotzigen Wilden oder mißtrauten ihm wenigstens; auch schien das Gefühl gegenseitig stattzufinden. Wenn ihn nicht seine Pflicht dahin rief, so ging er selten unter die Mannschaft, die sich überdies gar schlimme Geschichten über ihn erzählte. So sollte er besonders an einem Erbübel leiden, nämlich „Menschen todt zu schlagen und sie zu fressen“; darüber wußte man jedoch weiter nichts Genaues, als daß er, was sich allerdings nicht leugnen ließ, von einer Kannibalen-Race abstammte.

Seine persönliche Erscheinung verminderte denn auch keineswegs den unangenehmen Eindruck, den sein übriges Benehmen hervorbrachte. Ganz unähnlich seinen Landsleuten war er fast noch unter der gewöhnlichen Höhe, aber stark und kräftig gebaut, und unter seiner schwartigen tättowirten Haut arbeiteten die Muskeln wie Stahlklammern; sein lockiges, kohlschwarzes Haar hing ihm über die rauhen Brauen herunter, und tief versteckte funkelnde Augen blitzten immer wie aus einem Hinterhalt hervor.

Früh schon hatte er zwei oder drei Reisen in Sidney-

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Wallfischfängern mitgemacht, sich aber stets wie auch bei uns, in der Insel Bai eingeschifft, wo er auch immer wieder an’s Land ging, wenn das Schiff heimwärts zog. Auf solche Art schiffen sich seine Landsleute häufig an Bord der Wallfischfänger aus den Colonien ein.

Einer von den Leuten an Bord war mit dem Mowree auf seiner ersten Reise zusammengewesen und behauptete, dieser habe sich seit der Zeit auch nicht im mindesten verändert, erzählte mir aber wunderliche Geschichten von ihm, unter andern auch die folgende, die mir wohl glaublich schien, da ich die tollkühne Weise mancher Wallfischfänger kannte, und unsern trotzigen, zu Allem fähigen Wilden dabei dicht vor mir sah.

Wie man sich wohl denken kann, war Bembo ein wilder toller Bursche hinter dem Fisch her, und alle Neuseeländer sind das, da es ja schon außerdem freundlichst mit ihren blutdürstigen Neigungen harmonirt. Deshalb werden sie auch sehr häufig zu Harpunirern genommen, als welche sie treffliche Dienste leisten, denn das ist ein Posten, in dem ein nervöser, ängstlicher Mann allerdings etwas außer seinem Element sein möchte.

Beim Werfen steht der Harpunirer natürlich aufrecht in der Spitze des Boots, ein Kniee dabei gegen einen Schutz vorn gestemmt. Bembo verschmähete das aber und ließ sich

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stets zu seinem Fisch, frei auf dem Bootrand stehend, hinanrudern.

Doch zu meiner Geschichte.

Eines Morgens mit Tagesanbruch brachten sie ihn zu einem großen, einsamen Wallfisch, er schleuderte seine Harpune, fehlte und der Fisch tauchte unter. Nach einer Weile stieg das Ungeheuer etwa eine Mile von ihnen entfernt wieder empor und sie verfolgten ihn; der Fisch mußte aber wohl ängstlich geworden sein, denn er hielt sich jetzt fern, und der Nachmittag kam, ohne daß sie ihn erreicht hätten. Beim Wallfischfang aber wird ein Fisch so lange man ihn nur sehen kann, nie aufgegeben, und jetzt, da sie so selten werden, selbst noch oft in der Nacht verfolgt.

Endlich bekamen sie Bembo’s Wallfisch zum zweiten Male neben das Boot und er schleuderte beide Harpunen; wie das aber nun, so wunderbar es auch klingen mag, gar nicht selten vorkommt, so fehlte er wieder – beide Male. Daß so etwas passiren kann, weiß ein jeder Matrose und es ist auch kein Wunder eigentlich, daß Jemand aufgeregt und unsicher wird, wenn er Stundenlang hintereinander und unter einer brennenden Sonne gerudert hat.

Die Matrosen mochten aber bei dieser Gelegenheit nicht schlecht geflucht und gemurrt haben und brachten dadurch den Mowree in volle, grimmige Wuth. Kaum schoß also das Boot zum dritten Male an das Unthier hinan, da flog

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et mit einem tollen Satz, die Harpune in der Rechten, hinaus auf den Rücken desselben, und stand einen Moment lang auf diesem emporgerichtet. In der nächsten Sekunde war Alles Schaum und Verwirrung und Beide verschwanden. Die Leute ruderten jetzt aus Leibeskräften zurück und ließen das Reep, so schnell sie konnten aus, während vor ihnen nichts als ein Wirbel von Blut und Seewasser sichtbar wurde.

Plötzlich tauchte ein dunkler Gegenstand empor. Das Reep straffte und mit Blitzesschnelle schoß das Boot durch das Wasser. Sie hingen fest und der Wallfisch floh.

Wo aber war der Mowree? Seine Hand lag auf dem Rand des Boots und er wurde mitten in dem tollen Schäumen und Brausen, das an dem Bug emporspritzte, an Bord gezogen.

Solch ein Mann oder Teufel war der Mowree.


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Capitel IX.
Der runde Robin. Der Besuch vom Ufer. Was der Consul that.

Nachdem der Capitän uns Verlassen, starb die Landbriese ab und gegen Nachmittag, wie das gewöhnlich bei diesen Inseln der Fall ist, trat eine gänzliche Windstille ein; es blieb jetzt nichts zu thun für uns, als ganz gemüthlich auf den langen Schwellungen herumzurollen. Die Ruhe der Elemente schien sich auch auf die Mannschaft auszudehnen und für kurze Zeit lagen sie alle in gänzlicher Unthätigkeit.

Gleich nach Mittag kehrte der Steuermann zum Schiff zurück, wie aber der Steward sagte, so wollten sie noch einmal mit dem übrigen Theil von des Capitäns Effekten ans Ufer gehen.

Als Jermin das Deck betrat, wich er uns absichtlich aus und stieg augenblicklich, ohne ein Wort zu sagen, in die Kajüte hinab; indessen arbeitete ich und Doktor Lattengeist hart daran, die Leute zur Ruhe zu bringen, und ihnen

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begreiflich zu machen wie sie, mit nur ein klein wenig Geduld und dem rechten Geist, am Ende doch Alles das ausrichten würden, und zwar ohne ernsthafte Folgen, was nur durch offne Gewalt geschehen konnte.

Wir befanden uns ja auch unter einer fremden Flagge; ein englischer Consul war ganz in der Nähe und ich wußte sehr gut, daß Matrosen gegen ihre Obern selten Recht bekommen; das Beste also, was wir thun konnten war, uns vorsichtig zu benehmen. Uebrigens fühlte ich mich so fest davon überzeugt, Capitän Guy behandle uns grausam und ungerecht und unsere Klagen seien keineswegs aus der Luft gegriffen, daß ich mir fest vornahm, im schlimmsten Falle die Sache mit durchzufechten, wie sie auch enden möge.

Einzelne der Mannschaft wurden aber jetzt, trotz aller unserer Vorstellungen so wild und unbändig, daß nichts als offene ungebundene Meuterei ihnen zu dienen schien. Da wir nach Tisch hinunter gingen, machten diese Burschen einen solchen Skandal, daß der alte Rumpf ordentlich zitterte und manche wilde donnernde Reden wurden gehalten. Unter andern stand der lange Jim oder – wie der Doktor ihn später nannte – der lacedämonische Jim, von seinem Platze auf und redete das Vorcastle-Parlament etwa auf folgende Weise an:

– Seht hier, Ihr Britten, wenn, nachdem was vorgefallen ist, dies Fahrzeug hier mit uns wieder in See geht,

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so sind wir keine Männer – versteht Ihr mich? – Lumpen sind wir – sprecht’s aus, meine Herzchen, und ich will sie hinein lootsen, die kleine Jule. Ich bin schon früher in Tahiti gewesen und kenne den Platz.

Dann setzte er sich unter einem allgemeinen hämmern von Kistendeckeln und dem Zusammenklappen aller erreichbaren Blechgefäße wieder nieder, und auch Einige von den Kranken, die bis dahin noch keinen Antheil genommen, machten ihre Cojen krachen und schaukelten ihre Hängematten.

Wilde, verworrene Schreie, wie: „Segel auf!“ Hurrahs und dergl. mehr wurden gehört und Mehrere stürmten an Deck; so daß ich schon glaubte, mit mein und des Doktors Regimente sei’s vorbei. Endlich gelang es uns aber doch, wenigstens einige Ruhe wieder herzustellen.

Um ihre Gedanken nun etwas abzulenken, schlug ich vor, daß ein Runder Robin hergestellt und durch Baltimore, den Koch, ans Ufer zum englischen Gesandten geschickt werden solle. Diese Idee gefiel allgemein und man trieb mich an, augenblicklich ans Werk zu gehen. Als ich mich aber an den Doktor wegen der dazu nöthigen Requisiten wandte, hatte dieser keine, denn nicht einmal ein Schmuztitel war mehr in seinen Büchern. Nach langen Suchen entdeckten wir endlich noch einen feuchten, schwartigen Band: „Geschichte der blutdürstigsten und fürchterlichsten Seeräuber“, dessen beide leere Blätter vorn und

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hinten herausgerissen, und mit Hülfe von etwas Pech zu einem Blatt verlängert wurden. Tinte fertigte einer der Leute, der etwas literarische Neigung zu haben schien, aus Lampenrus und Wasser, und eine ungeheure Feder wurde dem Flügel eines Albatrosses entrissen, das schon lange gegen die Bugsprietbalken genagelt, eine Zierde des Vorcastles gewesen.

Unsere Schreibmaterialien also solcher Art hergestellt, benutzte ich einen Kistendeckel zum Tisch und setzte einen vollen aber bündigen Bericht unserer Leiden auf, während ich mit der Hoffnung schloß, der Consul würde selbst augenblicklich an Bord kommen, und sehen wie unsre Sachen ständen. Dicht unter diesen Bericht nun wurde der sogenannte runde Robin angebracht, um den herum die Namen geschrieben und auf solche Art gestellt werden müssen, daß sie ihn alle im Kreis umziehen und also Keiner als der Führer des Ganzen herausgefunden werden kann.

Wenige unter den Leuten hatten wirklich ordentliche Namen; und fast alle beanspruchten einen Titel, der ihnen durch irgend eine persönliche Eigenschaft oder That zuertheilt worden, und wir beschlossen denn auch die Namen so zu unterschreiben, wie sie unter der Mannschaft selbst gäng und gäbe wären.

Zusammengefaltet und mit einem Tropfen Theer gesiegelt, wurde denn nun unser höchst wichtiges Dokument

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Der runde Robin

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„an den englischen Consul in Tahiti“ adressirt und dem Koch übergeben, der ihn jenem Gentleman überliefern sollte, sobald der Steuermann wieder ans Ufer ging. Baltimore, der dort hatte frei herumlaufen dürfen, erzählte uns denn auch viel Neues, als das Boot endlich, etwas nach Dunkelwerden zurückkehrte.

Allem Anschein nach befand sich ganz Tahiti in Aufruhr; Pritchard, der Missionar-Consul, war abwesend in England und sein Platz indessen durch einen gewissen Wilson ersetzt worden, ein Weißer, jedoch auf der Insel geboren, und der Sohn eines alten, noch dort lebenden Missionärs. Diesen jungen Wilson mochten übrigens so wenig die Eingeborenen wie die Weißen leiden und sein späteres Betragen gegen uns rechtfertigte ganz diesen Widerwillen; man tadelte Pritchard allgemein, daß er einen solchen Mann gewählt hatte, seine Stelle zu ersetzen.

Obgleich er niemals in Europa oder Amerika gewesen war, so hatte dieser Consul doch schon mehrere Reisen nach Sidney in einem Missionsschooner gemacht, und deshalb erstaunten wir auch nicht besonders als uns Baltimore sagte, er und Capitän Guy wären ganz vertraut mit einander und der Letztere hätte sich sogar in Wilsons Hause einquartirt. Das bedeutete für uns wenig Gutes.

Der Steuermann wurde nun von hundert Fragen bestürmt, was mit uns geschehen solle, erwiderte jedoch hierauf

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nur, daß uns gegen Morgen der Consul einen Besuch abstatten und Alles in Ordnung bringen würde. Nach Sonnenaufgang entdeckten wir denn auch ein Uferboot, das von Eingeborenen bemannt, diesen Consul und noch einen Weißen an Bord führte; dies war ein Doktor Johnson, ein Engländer und in Papeetee residirender Wundarzt.

Jermin ging an den Gangweg sie zu empfangen; kaum berührte aber der Consul das Deck, als sich auch schon zeigte, was wir von ihm zu halten hatten.

– Mr. Jermin, rief er hochnasig und hielt es nicht einmal der Mühe werth, die ehrerbietige Begrüßung dieses würdigen Mannes anzuerkennen. – Mr. Jermin, wenden Sie und stehen Sie in See.

Die Mannschaft nahm ihn indessen scharf aufs Korn um herauszubekommen was für ein Gesell er eigentlich sei; er stellte sich aber als ein höchst winziger heraus; mit keck aufgestülpter Nase und einem Paar äußerst dünnen Beinen; sonst ließ sich nichts besonderes an ihm finden und Jermin befolgte mit, wie es schien, keineswegs freudiger Bereitwilligkeit, den Befehl. – Gleich darauf deutete des Schiffes Klüverbaum wieder in See hinaus.

Wie aber der erste Anblick eines Menschen fast stets bestimmt, ob wir ihn hassen oder lieben sollen, so hatte dieser Bursche etwas so unbeschreiblich Widerliches an sich, daß

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wir schon alle einen ordentlichen Zorn auf ihn bekamen, ehe er nur einmal den Mund recht aufgethan.

– Der Rathsherr ist also da! rief Navy Bob, der ihn wie alle Uebrigen, und sehr zu meinem und des Doktors Ergötzen, von allem Anfange an so nannte.

– Ja wohl, sagte ein Anderer, aber verdammt wenig wird er uns nützen! und dies Letztere schien auch die Meinung aller Uebrigen zu sein.

Wilson und Jermin gingen indessen in die Kajüte hinab.

Niemand übertraf jetzt den Böttcher an Leidenschaftlichkeit, denn Alles verfluchend, was sich ihm in den Weg stellte, rief er den großen Mast zum Zeugen an, daß er, – Spunt – wenn er je wieder in der Julia vom Lande absegelte, den Himmel beschwöre, ihm eine Strafe zuzuertheilen, die viel zu außergewöhnlich war, um hier genannt werden zu können.

Wie ein Rohrsperling schimpfte er dabei auf das, was wir zu essen bekamen und nannte es nicht für Hunde genießbar, wonach et mit besonderer Schärfe dabei verweilte, wie unklug es sei, das Fahrzeug noch länger einem so unmäßigen Manne anzuvertrauen als der Steuermann sei. Was konnten wir auch mit so viel Kranken auf der Fischerei erwarten; parlamentiren half hier weiter gar nichts; das Einzige was uns zu thun übrig blieb war einfach vor Anker zu gehen. – Dieß war Spunts Meinung.

Da nun Spunt als ein tüchtiger Seemann und auch

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noch dazu als der Aelteste im ganzen Fahrzeug galt, hier aber seine Meinung in so kräftiger unzweideutiger Sprache dargethan hatte, so wurde er darauf hin, und ganz plötzlich zum Redner ernannt, sobald nemlich eine Unterhandlung mit dem Consul selbst nöthig werden sollte. Diese Wahl fand übrigens gegen meinen und des Doktors Rath statt; Alle jedoch versprachen uns sich ruhig zu verhalten, und zu hören was Wilson zu sagen habe, ehe sie etwas Entscheidendes unternähmen.

Wir sollten nicht lange darauf zu warten haben. Bald nachher sahen wir ihn auf dem Starbordgangweg, wobei er die lackirte Büchse in der Hand trug, die des Schiffes Papiere enthielt, und Jermins Stimme rief uns gleich darauf aufs Quarterdeck.

Diesem Befehle wurde augenblicklich Folge geleistet und die Matrosen stellten sich dem Consul gegenüber auf.

Es war eine wilde Gesellschaft; Männer von allen Klimaten; auch nicht besonders eigen in Herstellung ihrer Kleidung, aber doch pittoresk, selbst in den Lumpen. Mein Freund, der lange Doktor, befand sich ebenfalls dabei und mochte wohl gehofft haben, die Sympathie des Consuls für einen Gentleman im Unglück zu erwecken, was seine ausgesuchte Toilette wenigstens verrieth. Unter den Matrosen sah er freilich wie ein in See gewehter Strandläufer aus, der sich zu Sturmvögeln gesellt hat.

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Der unglückselige Ropey spielte jedoch bei weitem die auffallendste Figur; als Landlubber, der er war, hatte man ihm seine seemännischen Kleider schon lange confiscirt und er ging nun in Allem herum, was er gerade auftreiben konnte; dabei trug er, obgleich ihn der fast täglich vom Rücken gerissen wurde, einen alten Nagelhammerfrack, einen sogenannten Schwalbenschwanz, der früher Capitän Guy gehört und den er während seiner Stewarddienste bekommen.

Neben Wilson stand der Steuermann im bloßen Kopf und seine grauen Locken lagen ihm in festen Ringeln auf der bronzenen Stirn, während sein scharfes Auge die Menge überflog, als ob er jeden ihrer Gedanken kenne. Seine Jacke hing ihm locker auf den Schultern und ließ die runde Kehle und moosige Brust frei, auf der noch wunderliche Devisen mit rauher Hand tättowirt standen.

Inmitten eines feierlichen Schweigens rollte der Consul jetzt seine Papiere auf und suchte uns, allem Anschein nach schon durch seine gewaltigen Blicke, einzuschüchtern.

– Mr. Jermin, lesen Sie die Namen ab; – und er überreichte ihm dabei die Liste der Schiffsmannschaft.

Alle antworteten, nur nicht die zwei Deserteure und die Beiden, die wir, in ihre Hängematten eingenäht, der See übergeben.

Wir vermutheten nun natürlich, daß jetzt der runde Robin vorgebracht werden sollte; das geschah jedoch nicht;

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allerdings glaubten wir unter des Consuls Papieren dies merkwürdige Dokument zu entdecken. War das übrigens wirklich der Fall, so hielt er es für viel zu verächtlich, um davon Gebrauch zu machen. Einige der Anwesenden, die den Robin und auch wohl mit Recht, als ein höchst ungewöhnliches literarisches Produkt angesehen, mochten wohl Wunder davon erwartet haben, und fanden sich nun durch dessen so gänzliche Vernachlässigung höchst unangenehm berührt.

– Nun, Leute, begann Wilson endlich, wie ich höre, so sind, obgleich Ihr alle munter genug ausseht, auch einige Kranke zwischen Euch. Mr. Jermin, lesen Sie einmal die Namen von Ihrer Krankenliste da ab, und lassen Sie die Abgelesenen auf die andere Seite vom Des! gehen; ich möchte sehen, wer sie sind.

– Also Ihr, fuhr er dann, als sie alle hinüber waren fort, Ihr seid die Kranken? Nun gut, sehr gut, ich werde Euch untersuchen lassen, Ihr werdet nachher einer nach dem andern zu Doktor Johnson in die Kajüte hinunter gehen, der mir Eure verschiedenen Umstände rapportiren soll. Solche, die er mir als sterbend anzeigt, mögen ans Ufer gehen; die Uebrigen bleiben, mit Allem versehen was ihnen Noth thut, an Bord.

Bei dieser Ankündigung sahen wir einander verwundert an; neugierig zu erfahren, wer denn eigentlich sterbend sei;

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ja es mochte wohl Manchem einfallen, lieber an Bord zu bleiben und gesund, als ans Ufer zu gehen und begraben zu werden. Einige darunter merkten jedoch was Wilson beabsichtige und handelten danach, und ich selbst beschloß einen möglichst kläglichen Ausdruck anzunehmen; das blieb jetzt noch unsere einzige Hoffnung Land zu betreten und zu gleicher Zeit ohne weitere Umstände vom Schiff zu kommen.

In dieser Absicht nahm ich mir vor, keinen Antheil weiter an dem zu nehmen, was verhandelt wurde, bis mein eignes Schicksal entschieden sei; der Doktor hatte sich ebenfalls schon seit längerer Zeit krank gestellt, wobei er mir nun auch einen bedeutenden Blick zuwarf, der mir sogleich verrieth, wie viel schlimmer es auf einmal mit ihm stand.

Da die Invaliden auf solche Art bei Seite gebracht wurden, und während sich Einer von ihnen zur Untersuchung in der Kajüte befand, wandte sich der Consul gegen die Uebrigen um und redete sie auf folgende Art an:

– Leute, ich werde Euch zwei oder drei Fragen vorlegen und Einer von Euch mag Ja oder Nein antworten, die Uebrigen verhalten sich ruhig. Also, habt Ihr etwas gegen Euern Steuermann Mr.,Jermin zu sagen? Und er blickte dabei zuerst scharf die Matrosen, dann aber den Böttcher an, dem sich Aller Augen zuwandten.

– Ei nun, Sir, stammelte Spunt, wir können gerade nichts gegen Mr. Jermin als Seemann sagen – aber –

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– Ich will keine Aber’s, unterbrach ihn der Consul schnell, antwortet mir Ja oder Nein. Habt Ihr etwas gegen Mr. Jermin?

– Ich wollte sagen Sie, Mr. Jermin ist ein sehr guter Mann, aber denn – hier blickte der Steuermann Dolche nach Spunt, und dieser, nachdem er noch Einiges herausgestottert hatte, sah aufs Deck nieder und blieb ganz stecken.

So wild und trotzig sich der Böttcher gezeigt hatte, wo er allein zwischen seinen Kameraden gewesen, so sehr gab er jetzt klein bei, wo es galt.

– So viel also, was diesen Theil des Geschäfts betrifft, fiel nun Wilson rasch wieder ein, wäre abgemacht. Ihr habt, wie ich sehe, nichts gegen Euern Steuermann zu sagen.

Mehrere schienen jetzt allerdings sehr viel sagen zu wollen, durch des Böttchers Betragen aber irre gemacht, schwiegen sie still, und der Consul fuhr fort.

– Habt Ihr genug zu essen an Bord? Antwortet mir, Ihr da, der Ihr zuerst gesprochen!

– I nun, ich weiß nicht recht, was das anbetrifft, sagte der Böttcher und suchte sich langsam zurückzudrücken, kam aber immer unwillkührlich wieder vor. Manches von dem – Pökelpferd ist gerade nicht so süß, wie es eigentlich sein sollte.

– Das wollte ich nicht von Euch wissen, schrie da der

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Consul und wurde ordentlich tapfer. Antwortet mir, wie ich Euch frage, oder ich bringe Euch dazu.

Dies hieß die Sache ein kleines Bischen zu weit getrieben. Die Wuth, die durch des Böttchers Betragen in den Matrosen kochte, kam nun zum Ausbruch und Einer von ihnen, den wir Salem[8] nannten, sprang zwischen den Uebrigen vor, versetzte dem Böttcher einen Schlag, der ihn weithin gegen den Consul zusandte, schwang sein Messer in der Luft und schrie aus:

– Ich bin der, Sie, der Eure Fragen beantworten kann; richtet sie nur an mich, Rathsherr.

Der Rathsherr hatte aber in dem Augenblick gerade keine Fragen weiter zu thun, denn kaum erkannte er das blitzende Messer und den wunderbaren Erfolg, den Salem’s Schlag auf Spunt hervorbrachte, als er die Kajütentreppe hinabsprang und dort auch bleiben zu wollen schien.

Erst da, als ihm der Steuermann versicherte, daß Alles vorüber sei, kam er wieder hervor und schien allerdings sehr erschreckt, wollte aber doch noch gern dabei so grimmig aussehn wie möglich, rief deshalb den Uebrigen drohend zu, sich in Acht zu nehmen. Dann wiederholte er seine Frage, ob wir an Bord genug zu essen hätten.

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Jeder wollte aber jetzt sprechen und er wurde durch einen wahren Sturm von Zurufen angebrüllt, in dem die Flüche wie Hagel fielen.

– Was soll das heißen, was meint Ihr damit? schrie er in der ersten durchschreibaren Pause. – Halloh, Ihr da mit dem Messer, Ihr werdet noch Jemand die Augen ausstechen – hört Ihr – Ihr da, Sir, Ihr scheint sehr viel zu sagen zu haben. Wo seid Ihr an Bord gekommen.

– Ich bin weiter nichts als ein blutiger beech-comber[9], erwiderte Salem und trat ihm mit einem richtigen Piratenausdruck entgegen; wenn Ihrs aber wissen wollt: ich schiffte mich vor vier Monaten auf den Inseln ein.

– Erst vor vier Monaten? und führt hier ein größeres Wort, als alle die Uebrigen, die schon die ganze Reise mitgemacht haben? Und der Consul machte einen verzweifelten Versuch zornig zu scheinen, der ihm aber mißlang. – Von

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Euch will ich nichts weiter hören, Sir; wo ist jener achtbar aussehende grauköpfige Mann, der Bötcher, der soll meine Fragen beantworten.

– Am ganzen Bord ist kein achtbar aussehender, grauköpfiger Mann, schrie Salem dazwischen; wir sind Alle eine Bande von Piraten und Meuterern. – Verstanden?

Während dieser ganzen Zeit schwieg der Steuermann vollkommen still und Wissen, der jetzt gar nicht mehr wußte was er thun solle, nahm ihn beim Arme und ging einmal mit ihm über Deck. Zu den Matrosen zurückgekehrt, redete er dann diese plötzlich wieder an, ohne überhaupt zu thun, als ob schon irgend etwas vor-gefallen sei.

– Aus Gründen, Leute, die Ihr Alle kennt, ist dies Schiff in meine Hände gegeben und da Capitän Guy einige Zeit am Ufer bleiben muß, so soll Euer Steuermann Mr. Jermin unter der Zeit den Befehl übernehmen. So viel ich beurtheilen kann, sehe ich keinen Grund, weshalb die Reise nicht augenblicklich fortgesetzt werden könnte; übrigens werde ich dafür sorgen, daß Ihr noch zwei Harpuniere und genug gute Leute bekommt, drei Boote zu bemannen. Was die Kranken anbetrifft, so haben weder Ihr noch ich damit zu thun. Doktor Johnson wird sie behandeln; doch das ist Euch ja schon früher gesagt worden. Sobald alles arrangirt werden kann, – spätestens in zwei oder drei Tagen – geht

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Ihr auf eine dreimonatliche Fahrt wieder aus, und kommt am Ende derselben hierher zurück, Euern, bis dahin hoffentlich genesenen, Capitän aufzunehmen. Laßt mich dann einen guten Bericht von Euch hören. Jetzt bleibt Ihr hier liegen und ich will Euch sobald als möglich frische Provisionen schicken. – So! weiter habe ich Euch nichts zu sagen; nun geht wieder vor auf Eure Plätze.

Und ohne weiteres wollte er sich umdrehen und in die Kajüte hinabsteigen; kaum hatte er aber geendet, als ihn die empörten Matrosen von allen Seiten umgaben und verlangten, daß er sie hören solle. Jeder von ihnen leugnete die Gerechtigkeit dessen, was er thun wollte, bestand auf der Nothwendigleit, das Schiff in den Hafen zu nehmen und erklärte zuletzt kurz und bündig, auf keinen Fall und unter keiner Bedingung mit ihm wieder in See gehen zu wollen.

Inmitten dieses meuterischen Aufruhrs stand der entsetzte Consul stockstill. Das was geschehen würde und was er zu sagen hätte, mußte aber schon am Ufer überlegt und berathen sein, denn er tief jetzt nur noch:

– Geht nach vorn, Ihr Leute, geht nach vorn. Das hättet Ihr früher sagen sollen. Meine Anordnungen sind getroffen, ich habe nichts mehr mit Euch zu thun. Und damit verschwand er wieder die Kajütentreppe hinab.

Im Begriff ihm dahin zu folgen, wurden die wüthenden

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Seeleute durch etwas anderes davon abgehalten; es war eine Abtheilung, die den abtrünnigen Spunt in Arbeit genommen. Unter einem wahren Schauer von Prügeln und Knüffen schleppten sie ihn aufs Vorcastle, wo — doch ich kann nicht erzählen, was da weiter vorging.

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Capitel X.
Des Consuls Abschied. Die zweite Nacht vor Papeetee.

Während den obenbeschriebenen Scenen beschäftigte sich Doktor Johnson damit, die Kranken zu untersuchen, von denen, nur zwei ausgenommen, alle an Bord bleiben sollten. Jedenfalls hatte er diesen Wink von Wilson erhalten.

Einer der zuletzt in die Kajüte Gerufenen, stieg ich gerade hinab, als die Leute das Quarterdeck verließen, kam aber ganz empört und wüthend wieder herauf. Mein lahmes Bein, das sich allerdings in letzter Zeit sehr gebessert, wurde größtentheils erdichtet genannt und mein Name auf die Liste derer gesetzt, die in ein oder zwei Tagen wieder vollkommen seetüchtig sein würden. Das war genug. Was Doktor Lattengeist betrad, so mochte ihn wohl der Landdoktor anstatt eine kollegialische Freundlichkeit gegen ihn zu zeigen, sehr absprechend behandelt haben, und bis zu einem gewissen Grad entschlossen wir uns Beide jetzt mit den Matrosen gemeinschaftliche Sache zu machen.

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Ich muß hier übrigens dem Leser erst ein wenig erklären, was wir eigentlich beabsichtigten. Alles was wir verlangten, war, das Schiff in der Papeetee-Bai vor Anker zu bekommen, und wir zweifelten in diesem Falle keinen Augenblick, daß uns dort unser Recht werden müsse. Ohne ganz offne Meuterei blieb jedoch nur ein Ausweg, und zwar einfach jeden weiteren Dienst zu verweigern, den ausgenommen, das Schiff in die Bai zu führen. Die einzige Schwierigkeit zeigte sich nur darin, die Mannschaft in den gehörigen Schranken zu halten; auch fühlte ich selbst die Gefahr recht gut, mit solcher verzweifelten Bande etwas zu unternehmen, von dem man die Folgen noch gar nicht zu übersehen vermochte. Neutralität konnte aber unter diesen Verhältnissen unmöglich beobachtet werden, eben so wenig durften wir uns einer solchen Willkür ruhig unterwerfen.

Als ich nach vorn ging, fand ich die Mannschaft in noch zehnmal schlimmem Aufregung als vorher, und noch einmal suchten wir sie wiederum zu unserm Plan zu bewegen, einfach jede Arbeit zu verweigern und das Resultat abzuwarten. Im Anfang wollten nur wenige auf uns hören; endlich ließ sich aber doch eine größere Anzahl überzeugen, obgleich wir uns selbst auf die, die nun zu unsrer Seite gehörten, wenig verlassen konnten.

Als Wilson wieder an Deck kam, sein Boot zu besteigen, drängten sie von allen Seiten auf ihn ein und ich glaubte

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schon das Schiff würde ihm vor der Nase weggenommen werden.

– Habe Euch nichts mehr zu sagen, Leute – meine Anordnungen sind getroffen. Geht nach vorn, wohin Ihr gehört; keine Unverschämtheiten hier!und mit zitternden Gliedern und inmitten wilder Flüche und Verwünschungen stieg Wilson die Fallreepe hinunter in sein Boot.

Bald nach seiner Abfahrt hieß der Steuermann den Koch und Steward in seine Zelle hinabgehen und indem er uns zurief, daß er sehen wolle wie es dem Capitän ging, verließ er uns unter Bembos Oberbefehl.

Indessen lagen wir bei vollkommner Windstille ziemlich dicht am Land und unser großes Marssegel schlug schwerfällig bei jeder Schwellung gegen den Mast an.

Ein unbeschreiblicher und merkwürdiger Auftritt folgte aber Jermins und des Consuls Abfahrt. Die Matrosen stürmten wie wahnsinnig an Deck herum und nur Bembo stand gemüthlich gegen das Gangspill gelehnt und rauchte, ohne nur ein Wort darein zu reden, aus seiner heidnischen Steinpfeife; der Böttcher aber, der wohl fühlen mochte, daß er etwas thun müsse, um die empörten Gemüther wieder für sich zu gewinnen, ließ ohne Unterschied der Partei Alle hinzutreten, und Theil an dem Inhalt seines Eimers nehmen.

Etwas ließ sich übrigens dabei nicht verkennen. Ehe er

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sich erbot Andere zu berauschen, hatte er die höchst weise Vorsicht gebraucht, sich selbst in den gehörigen Zustand zu bringen; bald genug erfreute er sich auch wieder der vollen Liebe seiner Genossen, die ihn jetzt plötzlich als „kerngesund bis auf den Kiel hinunter“ erklärten.

Der Pisco zeigte bald seine Folgen und mit großer Mühe hielten wir eine Abtheilung der Männer ab, in die Hinterluken einzubrechen um mehr zu bekommen.

Jede Art von Streichen wurde jetzt gespielt.

– Masttop da oben, was seht Ihr? schrie „die Schönheit“ und brüllte durch eine große Kupferröhre nach der Oberbramraae hinauf.

– Hurrah! jubelte der Portugiese Anthony und fuhr mit einer Handspeiche durch die Deckenfenster der Kajüte, während Navy Bob mit einem: „Heave round cheerly, boys“ boys« eine Hornpipe auf dem Vorcastle tanzt.

Gegen Sonnenuntergang kehrte der Steuermann, ganz lustig in seinem Boot singend, zurück und brachte es auch glücklich zu Stande, während er an Bord heraufklettern wollte, wieder ins Wasser zu fallen. Der Steward rettete ihn und trug ihn mit manchen zärtlichen und liebevollen Ausdrücken über Deck in das Quarterboot, wo er ihn hineinwarf. Jermin schlief auch augenblicklich ein und erwachte erst wieder um Mitternacht, wo er etwas nüchterner aufstand und auf das Vorcastle unter die Leute ging; dort

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muß ich ihn aber, um den Leser auf das folgende vorzubereiten, einen Augenblick lassen.

Nach dem Vorhergegangenen lag es außer allem Zweifel, daß Jermin wirklich wünschte die Julia wieder in See zu haben; was aber seine Absicht dabei sein konnte, da er doch unsere Stimmung kannte, blieb ein Räthsel. So war es aber in der That, und indem er ein wenig zu viel auf seine Popularität unter den Leuten gerechnet, daß diese sich nemlich gern dazu verstehen sollten, eine kurze Fahrt unter ihm zu machen, sah er sich endlich in ihnen getäuscht. Dennoch mochte er wohl glauben, sie würden die Sache aus einem andern Lichte betrachten, wenn sie erst erführen was dort für herrliche Zeiten ihrer warteten, und er beschloß. ein wenig Ueberredung zu versuchen.

Er ging nach vorn und steckte den Kopf in das Vorcastle hinunter, begrüßte uns Alle höchst freundschaftlich und lud uns ein mit ihm in die Kajüte hinabzukommen, wo er für uns etwas besonders Gutes habe bereiten lassen. Dagegen hatten wir gar nichts, sondern schlenderten willig hinunter und warteten ruhig, was uns der Steward auftischen würde.

Da die Kanne nun umging, eröffnete uns Jermin, der des Capitäns eingeschraubten Lehnstuhl benutzte und sich dabei behaglich auf den Tisch stemmte, ganz frei und offen, wie gewöhnlich, was er eigentlich zu thun beabsichtige. Er war noch nicht einmal ganz nüchtern.

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Dabei stellte er uns vor, wie thöricht wir handelten und wie er uns, wenn wir nur beim Schiff aushielten, zu einem ganz fidelen Leben führen wolle. Dann zählte er die Fässer auf, die noch uneröffnet in dem hölzernen Keller der Julia lagen, und gab sogar nicht undeutlich zu verstehen, daß wir möglicher Weise gar nicht wieder zurück kämen, den Capitän abzuholen.

Außerdem, und vielleicht mit noch besonderer Hinweisung auf Doktor Lattengeist und mich, versicherte er uns im Allgemeinen, daß wenn etwa Einige unter uns wären, die Lust hätten die Steuermannskunde zu lernen, es ihm großes Vergnügen gewähren würde, sie die Geheimnisse der ganzen Schifffahrtskunst zu lehren, wobei sie die freie Benutzung seines Quadranten genießen sollten.

Ich muß hier noch erwähnen, daß er schon früher einmal den Doktor bei Seite genommen und ihm nicht undeutlich zu verstehen gegeben hatte, wie er ihn wieder in all seine Würden und also auch in die Kajüte einzusetzen gedenke, wobei er gleichzeitig fallen ließ, daß auch ich dabei eine Beförderung erwarten könne. Es half ihm aber alles nichts, die Leute wollten einmal ans Land und ließen sich davon nicht abbringen.

Endlich wurde er wüthend, was auch wohl Ursache seines häufigen Trinkens sein mochte und trieb Alle fluchend aus der Kajüte, wobei ihm die Leute gutmüthig lachend gehorchten

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und an Deck kletterten. Dort sah Alles so still und friedlich aus, daß sich schon einige der Wildesten ärgerten, nicht ein wenig Lärm und Spektakel zu haben. Diesen Wunsch sollten sie jedoch noch vor Ablauf von fünf Minuten befriedigt finden.

Sidney Ben nemlich, wie es hieß ein fortgelaufener Ticket-of-Leave-Man[10], der sich auch aus Gründen, die er wohl am besten kannte, bis dahin stets ruhig verhalten hatte, war des Spaßes wegen mit den Uebrigen in die Kajüte herabgegangen, während Bembo, der allein an Deck blieb, verschiedene Male nach ihm rief. Ben that zuerst als ob er es nicht höre; da er sich zerletzt aber doch nicht ganz taub stellen konnte, so verweigerte er offen heraus den Gehorsam, mit einem derben Fluch sich dabei auf des Mowrees Herkunft beziehend. Dieser konnte genug Englisch um die schmachvolle Beziehung zu verstehen, die Jener damit ausdrücken wolle, wartete also bis die Uebrigen herauskamen und fing nun in seinem gebrochenen Englisch so

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fürchterlich an zu fluchen, daß Einem angst und bang werden konnte. Der Sträfling hatte ein wenig zu viel getrunken, Bembo wohl eben so, und ehe wir uns dessen versahen, gab der Matrose den ersten Schlag, was die Beiden wie ein paar Magnete zusammenbrachte.

Der Sträfling war dabei ein trefflicher Boxer, Bembo dagegen verstand gar nichts von Pugilistik, was sie wieder gleich machte, denn im Nu umschlangen sie einander und rollten in einem Ring herum, der sich immer wieder von selbst zu bilden schien. Endlich fiel des weißen Mannes Kopf zurück und sein Gesicht nahm eine Purpurfarbe an. Bembos Zähne hielten seine Kehle erfaßt und Alle sprangen jetzt hinzu, um den Wilden fortzureißen, der jedoch nicht los ließ, bis er verschiedene Hiebe über den Kopf erhalten hatte.

Seine Wuth wurde nun wahrhaft teuflisch; er lag, sich windend und die Augen verdrehend, an Deck, und machte gar keinen Versuch wieder aufzustehen; die Mannschaft freute sich übrigens, daß sie ihn endlich einmal gedemüthigt sah, und schimpfte ihn, auf Matrosenart, einen Kannibalen und eine Memme.

Ben wurde indessen hinuntergeführt.

Bald nach diesem Vorfall zogen sich, mit nur wenigen Ausnahmen, alle Andern ebenfalls in das Vorcastle zurück und da wir fast sämmtlich die ganze vorige Nacht gewacht,

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so krochen die Meisten schnell in ihre Cojen oder Hängematten oder auf ihre Kisten, und bald lag Alles in tiefem Schlaf.

Ehe Bembo von seinem Opfer weggerissen wurde, hatte der Steuermann ebenfalls, wenn auch umsonst, versucht ihn abzuwehren und ihm, als das nicht ging, mehrere Hiebe über den Kopf versetzt. So betrunken Jermin übrigens, als sich die Andern zurückzogen, war, so kannte er sich doch selbst genug, um vorher erst noch dem Steward – beiläufig gesagt, ein trefflicher Seemann – die Sicherheit des Schiffs anzuvertrauen und gleich darauf stolperte er die Treppe hinab, auch die zweite Abtheilung seines Rausches auszuschlafen.

Nachdem ich noch mit dem Doktor eine Zeit lang an Deck geblieben war, wollte ich diesem eben zu unserm Schlafplatz folgen, als ich sah, wie der Mowree aufstand, einen Eimer mit Wasser herauszog, ihn hoch über seinem Kopf hielt und dann den Inhalt desselben auf sich niedergoß. Dieses wiederholte er mehrere Male. In der Sache selbst lag nun gerade nichts besonderes; etwas in seinem sonstigen Betragen fiel mir aber auf; doch dachte ich für den Augenblick nicht weiter darüber nach und stieg in das Vorcastle hinab.

Nach einem ruhelosen, unerquicklichen Schlummer fand ich die Luft da unten so schwül – da der größte Theil der

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Mannschaft zugleich unten war, daß ich mir eine alte Jacke suchte und wieder an Deck stieg, um dort bis zum nächsten Morgen zu schlafen. Hier fand ich noch den Koch, den Steward, Wymontoo, Ropey und den Dänen, die, Alles ruhige und friedliche Burschen, sich seit des Capitäns Abfahrt ziemlich fern von den Uebrigen gehalten und von dem Steuermann nun die Weisung bekommen hatten, nicht vor Sonnenaufgang in ihre Cojen zu gehen. Sie lagen unter dem Lee der Bulwarks und während Einige schliefen, rauchten die Andern und unterhielten sich dabei.

Zu meinem Erstaunen sah ich Bembo am Steuerruder; da jetzt aber so wenige von uns dort stehen konnten, so hatte er sich, wie mir die Andern sagten, erboten, die Zeit am Ruder, während er seine Wache hielt, mit der dienstthuenden Mannschaft abzuhalten und dagegen hatten sie denn natürlich nichts einzuwenden gehabt.

Es war eine helle, herrliche Nacht, und Mond und Sterne spiegelten sich in den Wogen. Die Briese wehte leicht aber erfrischend, und unsre arme kleine Jule zog fest angebraßt, als ob nichts geschehen sei, langsam dem Lande zu, das hoch und steil in der Ferne emporstieg.

Nach des Tages lärmendem Leben that diese Ruhe ordentlich wohl und ich lehnte mich lange über die Seite hinüber, um mich derselben zu erfreuen; endlich müde werdend, machte ich mir, mit der alten Jacke als Kopfkissen, mein

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Bett unter dem Windlaß und suchte zu vergessen, was mich an Erinnerungen bestürmte.

Wie lange ich so gelegen, weiß ich nicht, da ich aber endlich wieder erwachte, war das erste, das meinem Blick begegnete, Bembo am Ruder, dessen dunkle Gestalt langsam mit des Fahrzeugs Bewegung gegen den sternbesäeten Hintergrund stieg und fiel. Er schien ganz Ungeduld und Erwartung, stand in voller Armslänge mit einem Fuß vorgestellt von den Speichen und hielt den Kopf hoch erhoben. Wo ich lag konnte ich die Wache nirgends erkennen, und Niemand weiter regte sich sonst; das verödete Deck und die weißen breiten Segel schimmerten im bleichen Mondlicht.

Plötzlich schlug der Klang wie von schäumender Brandung an mein Ohr, und es war mir als ob ich denselben Laut vor nicht langer Zeit schon einmal gehört hätte. Im nächsten Augenblick sprang ich, vollkommen wach, auf die Füße und gerade vor uns – so nahe, daß mir das Herz aufhörte zu klopfen und mein Athem still stand – lag eine lange Reihe von schäumenden Klippen, über die sich die Wogen mit ihren weißglühenden Kämmen brachen. Die Briese wehte jetzt ziemlich stark und in gleichmäßiger, schneller Bewegung schossen wir den Felsen gerade entgegen.

Im Augenblick begriff ich Bembos teuflische Absicht, und mit lautem wilden Angstgeschrei die Wache erweckend stürmte ich dem Steuer zu. In toller Hast rafften sich Alle

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empor und nach kurzem aber verzweifeltem Kampfe rissen wir ihn vom Rade. Dadurch blieb aber dieses einen Augenblick unbewacht und flog nach leewärts, was glücklicherweise des Schiffes Bug gegen den Wind brachte und seine Bahn stemmte. Vorher mußte es wahrscheinlich drei oder vier Striche freigehalten sein, um die Riffe zu vermeiden. Seinen Lauf nun einmal aufgehalten trat ich an das Steuer und hielt den Wind gerade in den Segeln, während wir schräg gegen das Land hinglitten. Vor dem Wind fortzulaufen, was leicht genug gewesen wäre, hätte uns dem sichern Verderben entgegen geführt, denn die Riffe umschlossen uns dort oben herum in einem förmlichen Bogen. Während dieser ganzen Zeit rangen der Däne und Steward noch mit dem wüthenden Neuseeländer und die Andern stürmten in wilder Verwirrung an Deck umher, indeß der alte Koch mit einer Handspeiche auf Vorcastle niederdonnerte, und mit seinem Schreckensruf „Klippen gerade vor, – Schiff herum!“ die noch halb bewußtlosen Matrosen merkwürdig schnell munter machte.

Die Seeleute kletterten herauf, und starrten in sprachlosem Entsetzen um sich.

Wilde Befehle wurden von allen Seiten gegeben; Jeder schrie das hinaus, was er in dem Augenblick für das Nöthigste hielt und machte dadurch die Verwirrung vollkommen.

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Sie rannten von einem wirklich panischen Schrecken ergriffen rath- und thatlos herüber und hinüber an Deck.

Es schien vorbei mit uns und ich wollte eben das Fahrzeug voll in den Wind werfen – ein Schritt, der uns für den Augenblick gerettet, dann aber auch sicherm Verderben überliefert hätte, als ein scharfer Schrei mein Ohr traf.

Es war Salem. – Alle fertig, nach vorn hart nieder! schrie er und herum flogen die Speichen wie im Kreisel. Der Klüver peitschte an seiner Stenge und die Leute, die sich jetzt doch ein klein wenig gesammelt, flogen zu den Brassen.

– Hauptsegel an! wurde nun gehört, und die frische Briese strömte auf dem Deck vor und aft, während in der nächsten Sekunde die übrigen Raaen herum schwirrten.

Gleich darauf segelten wir auf dem andern Gang vom Lande fort und trugen jedes Segel ausgespannt vor dem Winde.

In kaum einem Zwiebackswurf von den Klippen hatten wir uns auf den Hacken herumgedreht und das Einzige nur was uns rettete, war: daß an solchen Korallenriffen keine Gefahr zu befürchten ist, bis man nicht wirklich an sie austößt


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Capitel XI.
Die wüthende Mannschaft. Jermin findet einen alten Schiffskameraden. Wir laufen in den Hafen ein. Jim, der Lootse.

Bembos Plan,war hauptsächlich durch die Wache den Uebrigen bekannt geworden und jetzt, da wir uns gerettet sahen, stießen sie einen wilden Racheschrei aus und stürzten auf ihn zu.

Gerade vorher durch Dznk und den Steward befreit, stand er jetzt in dumpfem Brüten am Besanmast, und als die wüthenden Matrosen herbeistürmten, rollten seine Blut unterlaufenen Augen und das hochgehobene Messer blinkte ihm über den Kopf.

– Nieder mit ihm! – Schlagt ihn zu Boden! – Hängt ihn an die große Raae! waren die Ausrufungen; doch er stand unbewegt, und einen Augenblick scheuten sich wirklich Alle ihn anzugreifen.

– Memmen! donnerte da Salem und warf sich auf ihn. Der Stahl zuckte wie ein Blitz herunter, that aber kein

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Leides, denn des Matrosen Herz schlug fest an gegen das des Neuseeländers, ehe dieser nur eine Ahnung davon hatte.

Sie fielen Beide an Deck. Bembos Messer wurde ihm aber augenblicklich entrissen und er selbst von allen Seiten sicher gefaßt.

– Nach vorn, nach vorn mit ihm, ging der Schrei. Laßt ihn einen Seesprung thun! über Bord mit dem Kannibalen! Und über Deck wurde er hingeschleppt, während er mit Zähnen und Nägeln dagegen ankämpfte.

All dieser fürchterliche Lärm war dicht über dem Kopfe des Steuermanns vorgegangen und weckte ihn endlich aus seinem Todtenschlaf, so daß er taumelnd an Deck kam.

– Was ist das? schrie er, und sprang mitten zwischen die Leute hinein.

– Es ist der Mowree, Sur; sie wollen ihn morden, Sur! winselte der arme Ropey und drückte sich dicht an ihn an.

Avast! avast! brüllte Jermin und sprang auf Bembo zu, während er Zwei oder drei der Matrosen bei Seite warf; der Elende war aber schon halb auf die Bulwarks gehoben, und diese erbebten vor seinem krampfhaften Ringen.

Umsonst suchten der Doktor und Andere ihn zu retten; die Leute wollten auf nichts hören.

– Mord und Meuterei bei der salzigen See! schrie

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der Steuermann und mit den Armen links und rechts hinüberwerfend hatte er den Mowree plötzlich bei den Schultern erfaßt.

– Hier sind zwei von uns und was Ihr mit ihm thut, müßt Ihr auch mit mir thun.

– Ueber dann mit allen Beiden, brummte der Zimmermann und sprang nach vorn; die Uebrigen wichen aber Jermins muthiger Entschlossenheit und mit Blitzesschnelle stand Bembo unbeschädigt an Deck.

– Aft mit Euch! schrie sein Befreier und er stieß Bembo gerade wieder zwischen die Leute hinein, dem er jedoch dicht auf den Hacken folgte, auch den Matrosen gar keine Zeit dabei gab, einen neuen Entschluß zu fassen. Endlich erreichten sie die Kajütenluke, in diese schob er den Neuseeländer hinein, schloß sie hinter ihm und stellte sich davor. Während allen hier beschriebenen Vorfällen sprach Bembo keine Silbe.

– Nun nach vorn, wohin Ihr gehört, brüllte der Steuermann den Seeleuten zu, die sich jetzt wieder sammelten, aber gar nicht daran dachten, ihr Opfer zu verlieren.

– Den Mowree, den Mowree! verlangten sie.

Auf des Steuermanns wiederholte Fragen trat jetzt der Doktor vor und erzählte, was Bembo gethan hatte, und einen Augenblick schien Jermin wirklich zu zögern, dann aber

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drehte er den Schlüssel um, und zischte durch die fest auf einander gebissenen Zähne:

– Ihr könnt ihn nicht bekommen; ich liefere ihn dem Consul aus. So, nun nach vorn mit Euch, nach vorne. Wenn Jemand ersäuft werden soll, dann werde ich’s Euch sagen. Fort mit Euch, Ihr blutdürstigen Piratenhunde!

Es half nichts daß sie baten oder droheten, Jermin, obgleich keineswegs schon ganz nüchtern, blieb unerschütterlich und es dauerte auch nicht lange so zerstreuten sie sich wieder, um, sobald die erste Wuth verraucht war, das Vorhergegangene zu vergessen.

Obgleich wir keine Gelegenheit bekamen es von ihm selbst zu hören, so lag doch außer allem Zweifel, daß uns der Mowree hatte vernichten wollen um das an der Mannschaft zu rächen, was ihm am vorigen Abend widerfahren. Er war ja nie freundlich gegen uns Alle gewesen, und da er sich selbst auf sein Schwimmen verlassen konnte, so durfte er hoffen, seine Rache im vollsten Maße zu befriedigen.

Während des ganzen Vorgangs that der Doktor sein Bestes ihn zu retten, doch umsonst. In der That wäre auch kein anderer Mensch wie Jermin im Stande gewesen, den Neuseeländer seinem, schon fast gewissen, Tode zu entreißen.

Als endlich der Morgen nach diesen wilden Scenen dämmerte, hielten wir uns ein wenig leewärts vom Hafen

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und erwarteten die Ankunft des Consuls, der dem Steuermann versprochen hatte, ihn noch einmal aufzusuchen.

Indessen hatten die Leute dem Böttcher sein Geheimniß entpreßt und die Folge davon war, daß er selbst fortwährend zwischen der Vor- und Hinterluke hin und herkriechen mußte.

Der Steuermann merkte sicherlich was vorging; das Singen, Tanzen und die dann und wann vorfallenden Prügeleien verriethen ihm auf jeden Fall die Ursache; aber er sagte nichts.

Durch diese geistige Aufregung verloren aber auch der Doktor und ich immer mehr den friedlichen Einfluß, den wir bis dahin ausgeübt.

Dem Zustand der Dinge vertrauend, daß das Fahrzeug doch endlich noch einlaufen würde, und da sie auch vernahmen, daß der Steuermann das wirklich gesagt hatte, so schienen sie für den Augenblick in gar keiner besondern Eile, noch dazu da Spunt für einen fortwährenden Vorrath ihres Lieblingsgetränkes sorgte.

Was Bembo betrifft, so wurde uns gesagt, der Steuermann hätte ihn in doppelte Eisen gelegt und in des Capitäns Kajüte eingeschlossen; und da er auch die Thür oben verschlossen hielt, so sahen wir von diesem Augenblick an den Mowree nie wieder, ein Umstand, der durch den Lauf der Erzählung erklärt werden wird.

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Der Nachmittag kam, aber kein Consul, und die Sonne sank mehr und mehr ohne daß uns selbst Nachricht vom Ufer wurde. Das ärgerte natürlich den Steuermann, und vielleicht noch mehr deshalb, weil er sich Mühe gegeben hatte, bei Wilsons Ankunft vollkommen nüchtern zu sein.

Etwa zwei Stunden vor Sonnenuntergang segelte ein kleiner Schooner aus dem Hafen und schien nach der gegenüberliegenden Insel von Imeeo oder Moreea zu wollen, die leicht erkennbar in etwa funfzehn Miles Entfernung lag. Da der Wind übrigens nachließ, so faßte sie die Strömung und führte sie dicht unter unserm Bug hin, wo wir die Eingeborenen an ihrem Deck recht bequem erkennen konnten.

Es lag vielleicht ein Dutzend von ihnen, auf Matten ausgestreckt und ihre Pfeifen rauchend, an Deck; da sie aber so nahe kamen, und das wilde Schreien und Toben unsrer Mannschaft hörten, so mochten sie wahrscheinlich glauben wir wären Piraten, denn plötzlich rannten sie in wilder Eile nach ihren Rudern und suchten nun, so schnell als nur irgend möglich, von uns fortzukommen.

Der Anblick unsrer Sechspfünder, die jetzt noch des Spaßes halber aus den Schießluken geschoben wurden, trug natürlich nicht wenig dazu bei ihren Verdacht zur Gewißheit zu machen. Sie waren aber noch nicht weit als ein weißer Mann mit einer rother Schärpe um den Leib auf

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ihrem Deck erschien und die Eingeborenen augenblicklich mit Rudern aufhörten.

Uns laut anrufend, sagte er, er wollte an Bord kommen, und nach einiger Verwirrung auf dem Schooner wurde von diesem ein kleines Canoe in See gelassen, und in ein paar Minuten war der Fremde bei uns, der sich als ein alter Schiffskamerad Jermins, als einen gewissen Viner auswies. Lange todt vermuthet, lebte er jetzt hier auf der Insel.

Das Wiedersehen dieser Männer unter solchen Umständen ist einer jener tausend Vorfälle, die übertrieben scheinen mögen, aber oft in der Wirklichkeit stattfinden.

Etwa vor funfzehn Jahren waren diese beiden Leute als Offiziere auf der Barke „Jane“ zusammen gesegelt, als sie etwa in der Nähe der neuen Hebriden eines Nachts auf einen Riff liefen und die Jane aus einander ging. Die Boote wurden jedoch gerettet und auch einige Provisionen, ein Quadrant und mehrere andere Artikel; mehrere Leute aber über Bord gewaschen ehe sie von Deck abkommen konnten.

Die drei Boote durch den Capitän, Jermin und den dritten Steuermann befehligt, segelten dann einer kleinen englischen Niederlassung in der Inselbai von Neuseeland entgegen, und hielten sich natürlich so viel als möglich zusammen. Ein Sturm trennte sie aber, eines der Boote schlug um, von dem nur ein Mann wieder aufgefischt wurde,

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und Jermin erreichte endlich mit dem seinigen eine Brig, die ihn an Bord nahm und später in Sidney ans Land setzte.

Seit dieser Zeit segelte unser Steuermann von dem Hafen aus und hörte nie wieder von seinen alten Schiffskameraden, die er nun natürlich verloren geben mußte; man kann sich deshalb sein Erstaunen denken, als Viner, der verlorene dritte Steuermann, jetzt an Deck sprang, auf ihn zueilte und seine Hand aus Leibeskräften schüttelte.

Während jenes Sturmes ward sein Boot leewärts von den Andern getrieben und hatte endlich eine Insel erreicht, wo sie auch freundlich von den Eingeborenen empfangen wurden. Einer von ihnen veruneinigte sich aber nach einigen Tagen, einer Frau wegen, mit den Wilden und da ihm seine Kameraden beistanden, so wurden sie alle erschlagen, nur Viner, der sich gerade damals in einem benachbarten Dorfe aufhielt, entging diesem Blutbad.

Nach mehr als zwei Jahren gelang es ihm auf einem amerikanischen Wallfischfahrer zu entfliehen, der später in Valparaiso landete. Von der Zeit an diente er bis vor etwa achtzehn Monaten vor dem Mast, wo er in Tahiti ans Ufer ging und jetzt Eigenthümer des Schooners war, den wir sahen, und mit den benachbarten Inseln -Handel trieb.

Da gerade nach Dunkelwerden die Briese wieder etwas lebhafter an zu wehen fing, so verließ uns Viner, versprach

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aber, seinen alten Schiffskameraden in drei Tagen im Papeeteehafen wieder zu finden.

Durch des Tages wüstes Zechen und Toben ermattet, ging die Mannschaft ziemlich früh zur Ruhe und überließ das Deck dem Steward und zweien der Leute; der Steuermann mit dem Koch und dem Dänen sollte sie um Mitternacht ablösen. In dieser Stunde war das Schiff – das jetzt unter kurzen Segeln vor Ufer stand – zu wenden.

Nicht lang nach Mitternacht wurden wir im Vorcastle durch die Löwenstimme Jermins geweckt, der den Klüver zu setzen befahl; gleich darauf schmetterte eine Handspeiche auf unsre Luke nieder und rief die Mannschaft: das Schiff in den Hafen zu nehmen.

Dieser Befehl kam uns ganz unerwartet; wir erfuhren aber bald, daß der Steuermann, der sich nicht mehr länger auf den Consul verlassen wollte, und auch wohl wußte, daß er die Leute nicht von ihrem einmal gefaßten Plan abbringen konnte, plötzlich seinen eignen entworfen hatte. Er beabsichtigte bis zum Eingang des Hafens hinanzulaufen und dort sein Signal für einen Lootsen zu geben.

Trotzdem weigerten sich die Matrosen jetzt auf das Bestimmteste noch irgend etwas, was es auch sei, für das Fahrzeug zu thun. Sinken oder Stranden, sie schwuren, keine Hand mehr anzulegen und weder ich noch der Doktor konnten sie zu etwas anderem bewegen. Diese Starrkköpfigkeit

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rührte natürlich auch sehr viel mit von der gestrigen Schwelgerei her.

Mit einer starken Briese nun, mit allen Segeln gehetzt und ein Fahrzeug in den Händen von vier oder fünf noch dazu durch zwei Nachtwachen erschöpften Männern, wurde unsre Lage denn auch wirklich bedenklich; überdies schien der Steuermann tollköpfiger als je zu werden und ließ das Schiff mehre Male wenden.

Wohl wissend, daß jetzt, wenn dem Schiff vor morgen noch etwas begegne, Alles dem Betragen der Mannschaft zugeschrieben werden würde, und recht böse Folgen haben könnte, sollten wir je deshalb zur Verantwortung gezogen werden, rief ich die an Deck befindlichen zusammen, um Zeuge meiner Erklärung zu sein, daß ich jetzt, da die Julia für den Hafen bestimmt sei (das einzige, wonach ich wenigstens bis dahin gestrebt) Willens und bereit wäre zu thun was in meinen Kräften stände, sie dorthin zu führen. Hierin folgte der Doktor meinem Beispiel.

Die Stunden bis zum Morgen verflossen in Angst und Sorge, wo wir dann windwärts von der Mündung des Hafens darauf zuhielten und die Unionflagge vorn Top des Focks flattern ließen. Kein Zeichen jedoch von Boot oder Lootse war zu sehen und, nachdem wir mehrere Male immer umsonst dicht hinan gefahren waren, setzten wir die Flagge

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auf den Besan – Union unten in Noth. – Aber auch das half nichts.

Jermin, über diese nichtswürdige Nachlässigkeit derer am Ufer empört, und sie blos Wilson Schuld gebend, beschloß jetzt, auf seine eigne Verantwortung keck in den Hafen zu halten und verließ sich dabei auf das, was er sich noch von der Einfahrt erinnerte, da er vor mehreren Jahren einmal hier eingelaufen.

Dieser Entschluß war charakteristisch. Selbst mit einem guten Lootsen wird die Einfahrt in den Papeeteehafen als sehr schwierig betrachtet. Von einem kühnen Bogen des Ufers aus ist er seewärts durch die Korallenriffe beschützt, über die sich die rollenden Wogen mit großer Kraft brechen, und diese Barriere erstreckt sich quer über die Bai und nach der Venusspitze[11] zu, im Distrikt von Matavai und etwa acht oder neun Miles entfernt. Hier befindet sich eine Oeffnung, durch welche Schiffe einlaufen und auf dem glatten, tiefen Canal zwischen den Riffen und dem Ufer zum Hafen hinfahren können. Die Seeleute ziehen übrigens gewöhnlich den leewärts gelegenen Eingang vor, da der Wind innerhalb der Riffe sehr wechselt. Dieser letztere Kanal ist eine offene Stelle in der Barriere, die der Bai und Stadt von

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Papeetee gerade gegenüber liegt, aber sehr eng, und die unbestimmten Winde, Strömungen und gesunkene Felsen lassen nicht selten Schiffe mit ihrem Kiel gegen den harten Grund streichen.

Der Steuermann ließ sich aber nicht irre machen, stellte die Leute, über die er gebieten konnte, an die Brassen, sprang selbst auf die Bulwarks, rief ihnen noch einmal zu hübsch munter zu sein, und gab dann seinen Befehl: Ruder auf! In wenigen Minuten liefen wir ein und da es übrigens gegen Nachmittag ging, so verließ uns der Wind immer mehr und während die Klippen an unsern beiden Borden schäumten, behielten wir kaum noch Steuerweg. Weiter glitten wir aber, immer weiter in der spiegelglatten Bucht, vermieden die grünen dunkeln Gegenstände, die hier und da über unsre Bahn gestreut schienen und Jermin blickte nur manchmal mit größter Gemüthsruhe vor sich in das Wasser hinunter und dann um sich her, ohne ein Wort weiter zu sprechen. So, leise hingeweht durch unsre felsige Bahn, hatten wir bald jede Gefahr hinter uns und liefen in die tiefe, ruhige Bucht ein. Dies war das beste Stückchen Seemannskunst, das uns Jermin jemals zeigte.

Als wir nun nach der Fregatte und den übrigen Schiffen hinüber hielten, kam plötzlich ein Canoe zwischen ihnen vor und auf uns zu. Ein Knabe und ein alter Mann saßen darin, beides Eingeborene; der Erste fast nackt und der

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Zweite mit einem alten nautischen Frack bekleidet. Beide ruderten auch mit aller Kraft, der Alte nur riß manchmal sein Ruder aus dem Wasser, versetzte dem Jungen eins damit über den Kopf, und dann gingen sie wieder mit vereinter Anstrengung an die Arbeit. Als sie in Rufsnähe kamen, sprang der Alte auf seine Füße und gestikulirte, sein Holz schwingend, auf die wunderbarste Art in der Luft herum, indeß er fortwährend ein Kauderwälsch herausstieß, von dem wir nur erst nach einer langen Weile einzelne Worte verstehen konnten.

„– Ah Ihr pemi – ah Ihr kommt – weshalb Ihr kommt? – Ihr seid schön – kommt ohne Pilot – Ich sage Ihr hört? – Ich sage, Ihr ita maitai (nicht gut) – Ihr hört? – Ihr kein Pilot – Ja – Ihr, verdammt mich – Ihr kein Pilot, gar nicht; Ich verdamm’ Euch –Ihr hört?“

Diese Tirade, die uns deutlich bewies, daß der alte profane Schuft, was er auch wolle, dies doch im vollkommen guten Ernst meine, versetzte die Schiffsmannschaft in die beste Laune und donnerndes Gelächter antwortete ihm. Das schien ihn aber ganz außer sich zu setzen; der Knabe, der mit gehobnem Ruder ganz verblüfft um sich starrte, erhielt einen derben Hieb über die Ohren, der ihn mit Blitzesschnelle wieder an seine Arbeit gehen hieß und das Canoe bis dicht an uns heran führte. Der Redner begann jetzt

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von neuem, und wir fanden nun, daß all diese freundlichen Worte gegen den Steuermann gerichtet gewesen, der immer noch oben auf den Bulwarks stand.

Jermin war übrigens keineswegs zum Spaßen aufgelegt und befahl ihm nur, mit einem Matrosensegen, sich zu packen. Das brachte aber den alten Burschen erst recht in Wirth und er fluchte schlimmer als ich bis dahin selbst civilisirte Menschen hatte fluchen hören.

Ihr sabbee[12] mie – ich weiß – Ihr Pratie – sehe Euch lange Zeit – aber ich nicht kommen – Ih sabbee Euch – Ihr ita maitai nuee (Superlativ von schlecht).

– Macht, daß Ihr fortkommt! schrie Jermin wüthend, geht zum Teufel oder ich werfe eine Harpune nach Euch

Anstatt dem Befehl aber zu gehorchen, ließ Jim sein Canoe bis dicht an den Gangweg hinschießen und stand in wenigen Sekunden an Deck; dann, das fettige Taschentuch noch mehr in seine Stirn ziehend während er gleich darauf seinem Frack einen verzweifelten Ruck versetzte, schritt er zum Steuermann hinan und gab ihm, in noch blumenreicherer Sprache als vorher, zu verstehen, daß er den berühmten Jim vor sich habe und das Schiff bis der Anker nieder sei, unter seinem Befehl stände, wonach er zu wissen

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wünschte, ob irgend Jemand noch etwas dagegen einzuwenden habe.

Da jetzt kein Zweifel blieb, daß er der wirklich sei, für den er sich ausgebe, so wurde ihm das Fahrzeug übergeben.

Unser Gentleman begann nun die Julia vor Anker zu bringen, sprang vorn auf das Bug und brüllte aus: „loff, loff ! haltie ob – haltie ob!“ und dann bestand er darauf, daß ihm der Mann am Ruder jedesmal achtungsvoll darauf antworte. Der Wind war jetzt so weit eingeschlafen, daß wir fast unsern ganzen Steuerweg verloren hatten; dennoch machte der alte Mann mit seinen Befehlen einen Scandal, wie eine weiße Boe am Bord des fliegenden Holländers.

Jim war denn auch wirklich der regelmäßige Lootse des Hafens, einen Posten von nicht geringem Einkommen und, in seinen Augen wenigstens, von ungemeiner Wichtigkeit. Unsere unceremoniöse Einfahrt betrachtete er daher als eine große Beleidigung, die nicht allein seiner Würde, sondern auch seinem Einkommen bedeutenden Schaden zufügen konnte.

Der alte Mann ist übrigens eine Art Hexenmeister und lebt in einem gewissen Einverständniß mit den Elementen; bestimmte Phänomene derselben erweisen sich denn auch so, als ob sie blos zu seinem eignen Nutzen und Frommen beständen. Ungewöhnlich klares Wetter mit einer ruhigen steten Briese

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stellt sich als ein sicheres Zeichen heraus, daß ein Kauffahrer in der Nähe ist; Wallfische, die in der Nähe des Hafens sichtbar werden, bedeuten die Ankunft eines Wallfischfahrers, und Blitz und Donner, so selten es vorkommt, wird zur ganz bestimmten Ankündigung eines Kriegsschiffes.

Jim, der Lootse ist wirklich ein Charakter und Niemand besucht Tahiti, der nicht irgend eine wunderliche Geschichte über ihn hört.

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Capitel XII.
Ein Blick auf Papeetee. Wir werden an Bord einer Fregatte geschickt. Unser Empfang bei den Franzosen.

Das kleine Städtchen Papeetee machte einen ungemein freundlichen Eindruck auf uns; es liegt in einem Halbzirkel um die Bai herum und die geschmackvollen Gebäude der Häuptlinge und Europäer verleihen ihm eine tropische Eleganz, die noch besonders durch die wehenden Palmbäume und die tiefdunkeln Gruppen der Brodfruchtbäume, die den Hintergrund bilden, vermehrt wird. Die niederen Hütten der ärmern Bewohner werden von den andern bedeckt, und vermindern also in keiner Weise den freundlichen Anblick.

Dicht um das Wasser herum erstreckt sich der breite, glatte Strand, der aus Korallenstücken und Kieseln gemischt ist. Dieser bildet die Hauptstraße des Städtchens und die schönsten Häuser umgeben ihn, wobei auch die geringe Fluth[13] diesem Ort nur wenig hinderlich wird.

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Die Pritchard-Residenz, ein schönes stattliches Gebäude, nimmt die eine Seite der Bai ein; ein grüner Wiesenplan senkt sich von ihr aus zur See hinab und vor ihr weht die englische Flagge. Ueber dem Wasser drüben verkünden die dreifarbige Fahne und die Streifen und Sterne die Wohnungen der andern Consuln.

Das Pittoreske der Scene zu erhöhen, trug besonders der Rumpf eines alten Schiffes bei, das zu dieser Zeit auf dem Strand des Hafens hoch und trocken lag. Von dort aus wo wir ankerten, kam es uns gerade so vor, als ob die Bäume ihre Zweige dicht über sein Bugspriet zusammenschlängen, das ebenfalls starr und gerade emporstieg. Es war ein amerikanischer Wallfischfänger, ein sehr altes Fahrzeug, das in der Nähe des Landes einen Leck gesprungen und sich nun nach Tahiti begeben, um dort ausgebessert zu werden. Dort erkannte man es aber als total seeuntüchtig, nahm das Oel heraus, sandte es auf andern Fahrzeugen heimwärts und verkaufte nachher den Rumpf für ein Spottgeld.

Ehe ich Tahiti verließ, trieb mich die Neugierde, dies arme alte Schiff, das auf einen fremden Strand hinaufgeschleudert


gleichmäßig am Mittag und Mitternacht anfangen zu ebben, während mit Sonnenauf- und Niedergang die Fluth eintritt. Der Ausdruck Tooerar-Po bedeutet deshalb auch zugleich Hochwasser und Mitternacht.

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lag, einmal zu besuchen. Was waren meine Gefühle, als ich auf ihrem Stern den Namen eines kleinen Städtchens am Hudson erkannte; sie stammte von dem edeln Strom, an dessen Ufern ich geboren war, und in einem Augenblick mischten sich Palmen und Ulmen, Canoes und Kähne, Kirchthürme und Bambus, die ganze Vergangenheit und Gegenwart in ein wild verworrenes Bild zusammen.

Doch wir dürfen die kleine Jule nicht so lange allein lassen.

Endlich waren die Wünsche so Vieler erfüllt und wie das Wurfeisen eines Luftschiffers, so faßte unser kleiner rostiger Anker in die Korallenarme ein, die den Grund der Papeetee-Bai bilden. Es mußten mehr als vierzig Tage verflossen sein, seit wir die Marquesas-Inseln verlassen hatten.

Die Segel waren übrigens noch nicht beschlagen als ein Boot heranschoß, das keine geringere Person an unsern Bord führte, als den von der Mannschaft so sehr geachteten Consul Wilson.

– Wie ist das, wie ist das, Mr. Jermin? rief er, und sah äußerst wild aus, als er das Deck betrat. Was bringt Sie ohne Befehle hier herein?

– Sie kamen nicht zu uns, wie Sie es versprochen, Sir, lautete die derbe Antwort, und mit Niemandem das Schiff zu regieren, wäre es doch Wahnsinn gewesen, länger in See zu bleiben.

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– Also diese niederträchtigen Hallunken hielten aus. Wirklich, – sehr gut, – dafür sollen sie schwitzen! und er überblickte die ihn grimmig anschauenden Seeleute mit ganz ungewohnter Keckheit. In der That fühlte er sich aber hier sicherer, als draußen vor den Riffen.

– Mustert die Meuterer auf dem Quarterdeck, fuhr er endlich fort. – Treibt sie alle aft hier, Sir, die Kranken und Gesunden, ich habe ein Wort mit ihnen zu reden.

– Nun, Leute, sagte er, nun denkt Ihr wohl, es ist Alles gut mit Euch, nicht wahr? Ihr wolltet das Schiff hier herein haben, und hier herein ist’s auch wirklich gekommen. Capitän Guy ist am Ufer hier, und Ihr glaubt, Ihr werdet auch dahin gehen, darin sollt Ihr Euch aber ganz elendiglich getäuscht haben. (Dies letzte waren seine wirklichen Worte). Mr. Jermin les’t die Namen derer ab, die den Gehorsam nicht verweigert haben und laßt sie herüber auf die Starbordseite treten.

Hiernach wurde eine Liste von den Meuterern gemacht, wie er so freundlich war die Uebrigen zu nennen, und der Doktor und ich befanden uns auch darunter, obgleich Jener vortrat und sich auf seine Stellung berief, die er von Sidney aus bekleidet habe. Auch machte ihn jetzt der Steuermann – der sich stets freundlich bewiesen, mit dem Dienst, den ich vor zwei Nächten geleistet, bekannt; ebenso mit meinem Betragen, als er erklärt hatte in den Hafen einlaufen

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zu wollen. Ich selbst blieb fest bei der Behauptung, daß nach meinem mit Capitän Guy abgeschlossenen Vertrag, meine Dienstzeit an Bord der Julia abgelaufen sei, da die Fahrt – wie? blieb sich gleich – wirklich und in der That zu Ende gebracht wäre, ich verlangte deshalb meine Entlassung.

Wilson wollte aber von alle dem nichts hören; in meinem Benehmen mochte er jedoch etwas finden, das ihm auffiel, er frag mich auch nach Namen und Vaterland und sagte dann mit einem maliciösen Blick:

– Aha, Ihr seid der Bursche, der den runden Robin geschrieben hat; auf Euch werde ich besonders Acht haben, mein guter Freund. Tretet zurück, Sir.

Was den armen Doktor Lattengeist betraf, so nannte er ihn einen „Sidney-Flaschenwürger“, obgleich ich nicht errathen konnte, was er mit diesem hochtrabenden Titel meinte. Der Doktor dagegen sagte ihm nun aber auch so ungenirt was er seinerseits von ihm, dem Consul, dachte, daß dieser ihm wühend zurief, still zu sein oder er würde ihn in die Rigging nehmen und peitschen lassen. Es gab für uns keine Hülfe, wir wurden nach der Gesellschaft beurtheilt, in der man uns gefunden hatte.

Wir wurden nun Alle nach vorn geschickt; keiner aber sagte uns, was mit uns geschehen würde.

Nach einem kurzen Gespräch mit dem Steuermann zog

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sich der Consul wieder zurück und ging an Bord der französischen Fregatte, die etwa in Gabelslänge von uns lag. Wir erriethen nun seine Absicht und freuten uns, da die Sachen nun einmal so standen, darüber. In einem oder zwei Tagen sollte der Franzose nach Valparaiso absegeln, was das gewöhnliche Rendezvous der englischen Schwadronen im stillen Meere ist, und Wilson gedachte wahrscheinlich uns an Bord derselben zu geben, um dort ausgeliefert zu werden. War dem wirklich so, so hatten wir, wie unsre erfahrensten Kameraden behaupteten, weiter nichts zu fürchten, als eine kurze Fahrt auf einen von Ihrer Majestät Schiffen und unsre Entlassung über kurz oder lang in Portsmouth.

Wir zogen jetzt alle Kleider an die wir hatten, Jacke über Jacke, Hose über Hose, um augenblicklich bereit zu sein, da bewaffnete Schiffe kein übermäßiges Gepäck erlauben, wodurch die Decks beengt würden. Sobald wir also an Bord der Fregatte gefordert würden, mußten unsre Kisten zurückbleiben.

In dem Verlauf einer Stunde etwa kann der erste Kutter der Reine blanche an unsre Seite, und zwar durch achtzehn oder zwanzig mit Cutlassen und Enterpistolen versehene Matrosen bemannt; auch trugen die Offiziere natürlich ihre Seitengewehre und der Consul stolzirte in einem

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offiziellen Dreimaster, den er sich für diese Gelegenheit geborgt hatte. Das Boot führte eine schwarze Piratenfarbe und die ganze Mannschaft bestand aus einer grimmigen, finster aussehenden Bande, die uns sicherlich nach des Consuls Plan gleich von Anfang an einschüchtern sollte.

Nach aft beordert, wurde jedes Mannes Name einzeln aufgerufen, und Jeder dann noch einmal feierlich ermahnt, daß dies der letzte Augenblick sei, wo er hoffen dürfe ungestraft zu entkommen, und wo Jeder dann zuletzt die Frage beantworten mußte, ob er noch immer die Erfüllung seiner Pflicht verweigere. Die einstimmige Antwort blieb: – Ja Sir, das thu ich, denn sobald Einer oder der Andere noch ein paar erklärende Worte hinzufügen wollte, so wurde er augenblicklich von Wilson unterbrochen und in den Kutter hinab beordert. Diesem Befehl gehorchten Alle mit größter Bereitwilligkeit und Manche sogar, um zu beweisen, wie gern sie Allen willfahrten, was vernünftiger Weise von ihnen verlangt werden konnte, tanzten und sprangen hinab.

Selbst die Invaliden, nachdem sie erklärt hatten, kein Tau mehr anzuziehen und wenn sie auch ganz gesund wieder würden, mußten uns in den Kutter begleiten und schienen besonders guter Laune, so daß sich schon einige Zweifel erhoben, ob sie überhaupt so krank gewesen, als sie vorgegeben.

Der Böttcher wurde zuletzt aufgerufen und wir hörten

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nicht, was er antwortete, aber er blieb zurück. Nichts geschah mit dem Mowree.

Als wir von der Julia abstießen, gab die Mannschaft drei laute Hurrahs, wofür Flash-Jack und Andere einen scharfen Verweis vom Consul erhielten.

Good bye kleine Jule, rief Navy Bob, als wir unter dem Bug dahinschossen.

– Fall nicht über Bord, Ropey, sagte ein Anderer zu dem akuten Landlubber, der mit Wymontoo, dem Dänen und den übrigen Zurückgelassenen uns über das Vorcastle nachschaute.

– Gebt ihr noch drei! schrie Salem, sprang in die Höhe und schwang seinen Hut um den Kopf.

Ihr sacre verdamm Schurken! schrie der Lieutenant der Abtheilung und schlug Salem mit dem flachen Säbel über die Schultern – Ihr jetzt seid still!

Der Doktor und ich, vorsichtiger als die Uebrigen, saßen ruhig im Vordertheil des Kutters und obgleich ich keineswegs das Gethane bereute, so waren doch meine Gedanken nichts weniger als beneidenswerth.

Wenige Minuten später paradirten wir in der Fregatte Gangweg und der erste Lieutenants ein ältlicher, gelbsüchtiger Offizier in einem gräulich zugeschnittenen Uniformsrock mit verschossener Goldborte, kam auf uns zu und blickte uns grimmig an.

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Der Kopf dieses Gentleman war ein einziger grauer Fleck; seine Beine glichen Stöcken, und seine ganze physische Kraft schien sich einzig und allein in einem fürchterlichen Schnurrbart erschöpft zu haben. Der alte Gamboge, wie wir ihn augenblicklich tauften, erhielt jetzt von dem Consul ein Papier, das er aufschlug und die überlieferten Waaren mit der Liste verglich.

Als er uns Alle für vollzählig befunden, überantwortete er uns einem kleinen schüchternen Seekadeten und bald sahen wir uns unter der Obhut von einem halben Dutzend Matrosen-Soldaten, Burschen mit Theerhüten und Musketen. Ein anderes Individuum, das wir für den Schiffscorporal hielten, als welchen ihn auch die Goldtressen auf dem Arm und sein Stock verkündeten, führte uns nun die Leitern hinab unter Deck.

Hier wurden wir höchst artiger und gewiß unerwarteter Weise mit Handschellen versehen und der Mann, der mit seinem Korb und einem ganzen Assortiment derselben herumging, suchte uns, mit wirklich liebenswürdiger Gefälligkeit, die passendsten aus. Einige, dadurch nicht wenig überrascht, wollten sich allerdings widersetzen, jede Sprödigkeit wurde aber bald besiegt und auch unsere Füße staken gleich darauf in schweren eisernen Ringen. Somit waren wir in unsere neue Wohnung förmlich eingezogen.

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– Der Henker hole Ihr kaltes Eisen, rief der Doktor, – wenn ich das gewußt hätte, wäre ich zurückgeblieben.

– Haha ! lachte Flash-Jack, Ihr seid mit in die Patsche gekommen, Doktor Lattengeist.

– Meine Hände und Füße wenigstens, lautete die Antwort.

Man gab uns eine Schildwache, eine wahre Stange von einem Burschen, der mit einem fürchterlich alten und langen Cavalleriesäbel vor uns auf- und abstiefelte. Der Länge dieser Waffe nach zu urtheilen, mußte sie wirklich ursprünglich dazu bestimmt sein, eine ganze Schaar in Ordnung zu halten, damit der nämlich, der sie trug, über die Köpfe der Vornstehenden hinweg den sechsten oder siebenten Mann damit todtstechen konnte.

– Großer Gott! sagte der Doktor schaudernd, was muß das für ein gräßliches Gefühl sein, eine solche Säge in den Leib gestoßen zu bekommen.

Wir fasteten bis Abend, wo denn Einer der Leute mit ein paar Schüsseln kam, die eine dünne, safranfarbige Flüssigkeit enthielten, auf der einige Fettaugen herumschwammen. Der junge Schäker sagte uns allerdings, das sei Suppe, es erwies sich aber als nichts weiter, wie warm Wasser mit Fett. Was es jedoch auch sein mochte, wir verschlangen es, und unsre Schildwache war gefällig genug die

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Armbänder indessen an sich zu nehmen. Die Schüsseln gingen von Mund zu Mund und wurden bald geleert.

Am nächsten Morgen, als sich die Schildwache einmal von uns abwandte, warf uns Jemand, den wir für einen englischen Matrosen hielten, ein paar Orangen zu, deren Schalen wir später zu Bechern benutzten.

Am zweiten Tag fiel nichts merkwürdiges vor; am dritten ergötzte uns folgender Auftritt.

Ein Matrose, den wir für einen Bootsmann hielten, denn er hatte eine silberne Pfeife anhängen, kam, ein paar schluchzende Jungen vor sich her treibend und von einer ganzen Bande anderer in Thränen gefolgt, herunter. Die beiden ersten schienen hierher gesandt zu sein, um für irgend ein Vergehen ihre Strafe zu erhalten, die Uebrigen waren wohl nur aus Mitleiden gefolgt. Der Bootsmann ging aber hier augenblicklich an die Arbeit; er ergriff die armen kleinen Verbrechen an ihren lockern Jacken und gerbte sie mit einem spanischen Rohr tüchtig durch.

Die andern Knaben weinten und schrieen, rangen die Hände und fielen auf die Kniee nieder; doch alles umsonst. Wenn sie ihm zu nahe kamen, hieb der Bootsmann einmal nach ihnen aus und trieb sie, noch lauter als die Andern schreiend, zurück.

Inmitten dieses Tumultes kam ein junges Seekadetchen,

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beorderte den Mann an Deck und trieb die Kleinen nach allen Richtungen hinaus.

Navy Bob betrachtete diesen ganzen Vorgang mit unbeschreiblicher Verachtung; er war vor mehreren Jahren Capitän des Vor Top’s auf einem Linienschiff gewesen, und seiner Meinung nach, konnte das eben Geschehene nur eine lubberhaftige Geschichte genannt werden. In der englischen Marine wurde so etwas anders betrieben.


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Capitel XIII.
Sie nehmen uns ans Ufer. Was dort geschah. Die Calabouse Beretanee.

Wenn ich mich recht erinnere, so befanden wir uns etwa fünf Tage und Nächte an Bord der Fregatte. Am Nachmittag des fünften wurde uns jedoch angekündigt, daß sie am nächsten Morgen nach Valparaiso segeln würde. Erfreut darüber, beteten wir nur um eine schnelle Fahrt, wie es sich aber erwies, so schien uns der Consul keineswegs so leichten Kaufs fortlassen zu wollen. Zu unserm nicht geringen Erstaunen kam gegen Abend ein Offizier an Bord und ließ unsre Eisen abnehmen. Im Gangweg wurden wir dann gemustert, in einen dicht daneben liegenden Kutter gethan und ans Ufer gerudert.

Wilson begegnete uns, da wir den Strand erreichten, und übergab uns einer zahlreichen Wache von Eingeborenen, von denen wir zu einem nicht fernen Hause geführt wurden. Hier mußten wir, dicht davor im Schatten, Platz nehmen

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und dann schritten der Consul und zwei andere ältliche Europäer an uns vorüber und in das Haus.

Nach einigem Zögern während dem uns die gutmüthige Lustigkeit unsrer Wache sehr amüsirte, wurde Einer von uns ausgerufen und ihm befohlen, das Haus allein zu betreten.

Als er ein paar Augenblicke nachher zurückkam, sagte er uns, wir hätten nicht viel zu befürchten, er wäre nur einfach gefragt worden, ob er noch auf seinem frühern Starrsinn beharre, worauf sie etwas niedergeschrieben und ihn wieder herausgeschickt hätten. Als alle darin gewesen waren, kam die Reihe auch zuletzt an mich.

Wilson saß mit seinen beiden Freunden sehr feierlich an einem Tisch, und ein Tintenfaß, einige Federn und ein großer Bogen Papier gaben dem Gemach etwas geschäftsmäßiges. Diese drei Gentlemen in Rock und Hose sahen übrigens besonders achtbar in einem Lande aus, wo volle Kleidung so selten gesehen wird. Einer der Gegenwärtigen wollte gern ehrwürdig aussehen; da er aber einen kurzen Nacken und ein volles Gesicht hatte, so gelang ihm das gar nicht und er sah höchstens albern aus.

Es war dies ein Individuum, das sich herabließ ein väterliches Interesse an mir zu bezeugen, denn nachdem ich, meine unabänderliche Meinung, das Schiff betreffend, erklärt und mich eben, wie die Uebrigen, zurückziehen wollte,

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so wandte sich dieser Fremde nach mir um und sagte salbungsvoll:

– Warten Sie einen Augenblick; Mr. Wilson, lassen Sie mich ein paar Worte mit diesem Jüngling reden. – Kommt hierher, mein junger Freund. Es thut mit sehr leid, daß ich Euch mit diesen bösen Menschen vereinigt sehe. Wißt Ihr, wie das enden wird?

O, das ist der Bursche, der den runden Robin geschrieben hat, unterbrach ihn hier der Consul. Er und der schurkische Doktor sind die Ursache dieser ganzen, niederträchtigen Geschichte – Geht hinaus, Sir.

Ich zog mich wie aus königlicher Gegenwart zurück und bekomplimentirte mich rückwärts vor die Thür.

Dieses augenscheinliche Vorurtheil Wilsons gegen mich und den Doktor war mir übrigens leicht erklärlich. Ein Mann von einiger Erziehung vor dem Mast wird von seinem Capitän nie gern gesehen; er mag sich noch so ruhig verhalten, so schreibt man ihm doch jede Störung zu, die irgendwie stattfinden sollte und glaubt stets, daß er auf irgend eine Art den Offizieren entgegen zu wirken suche.

So wenig ich nun auch von Capitän Guy gesehen hatte, so wußte ich doch wie er gegen mich gesinnt war, nachdem ich kaum eine Woche an Bord gewesen. Doch mochte in diesem Fall seine Feindschaft auch wohl noch dadurch gegen mich erweckt sein, daß ich mich an den langen Doktor

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anschloß, den er von Grund der Seele aus haßte und zugleich fürchtete.

Nach dem Examen traten Wilson und seine Freunde in die Thür, und der Erstere, einen gar majestätischen Ausdruck annehmend, erklärte unsern beharrlichen Trotz und Widerstand als schändliche Empörung. Auch sagte er, daß uns jetzt keine Aussicht auf Rettung mehr bliebe; die Gelegenheit, Verzeihung zu erlangen, sei vorüber, und wenn wir ihn jetzt auch auf den Knieen bitten würden zu ihm in Dienst zurückzukehren, so wäre es vergebens.

– O geht zum Teufel, Rathsherr, knurrte der schwarze Dan, darüber entrüstet daß Jener nur eine solche Idee fassen könnte; der Consul aber, in seiner Würde gekränkt, donnerte ihn an ruhig zu sein, rief dann einen fetten, alten Eingeborenen zu sich und befahl ihm auf tahitisch, uns zu einem sichern Bewahrungsort zu bringen.

Hierauf wurden wir in Reih und Glied gestellt, und mit dem Alten an der Spitze und unter dem Geschrei der uns Begleitenden, auf einem wundervollen Pfade hingeführt, der durch weite Haine von Cocospalmen und Brodfruchtbäumen lief.

Die uns umgebende Scenerie war entzückend. Der tropische Abend rückte heran und von da aus, wo wir uns befanden, glich die Sonne einem rothen ungeheuren Feuer, das in dem Holzland brannte. Ihre Strahlen fielen schräg hindurch

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diese schattigen Baumgruppen und jedes Blatt war mit flüssigem Gold übergossen.

Für uns nun noch besonders, die wir eben aus dem dumpfigen Deck der Fregatte kamen, athmete die Luft nur Wohlgerüche, während unsre Begleitung in herrlicher guter Laune nebenher trabte und uns in ihrem gebrochenen Englisch fortwährend dabei zu verstehen zu geben suchte, daß sie Wilson auch nicht leiden möchten, wir aber wackere Burschen wären, weil wir so gut ausgehalten hätten.

Als wir weiter vorrückten, überraschte mich mehr und mehr der pittoreske Anblick der weiten überschatteten Straße. Hier und da dehnten sich dauerhafte Holzbrücken über nicht unbedeutende Wasser und manchmal überspannte auch ein einzelner steinerner Bogen den Strom. An jeder Stelle hätten aber drei Reiter bequem neben einander hinreiten können.

Dieser herrliche Weg – jedenfalls das Beste, was die Civilisation für die Insel gethan hat, – wird von Freunden die Besenstraße genannt – warum? weiß ich selber nicht. Ursprünglich wurde sie zur Bequemlichkeit der Missionäre angelegt, damit die von einer Station nach der andern könnten; jetzt aber umzieht sie fast die ganze größere Halbinsel, während sie wohl über sechzig Miles lang an der See hin die fruchtbare Niederung einschließt. Nur an der Seite bei Tairboo durchschneidet sie ein schmales abgeschlossenes Thal und kreuzt so in dieser Richtung die Insel.

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Das unbewohnte Innere, fast unzugänglich durch die stark bewaldeten Schluchten, fürchterlichen Abgründe und scharfe Bergrücken, ist selbst von den Eingeborenen nur wenig gekannt, und anstatt also den geraden Weg von einem Dorf zum andern einzuschlagen, folgen sie der Besenstraße lieber rund herum.

Wie weit übrigens die Unwissenheit der Eingeborenen, ihr eigenes Land betreffend, geht, davon kann ich als Beispiel anführen, daß ein bedeutender Binnensee Whaiherea mit Namen existiren soll, obgleich die Nachrichten darüber ungemein verschieden lauten. Einige sagten mir, daß er keinen Grund und keinen Aus- und Einfluß habe. Andere, daß er die Ströme der ganzen Insel ernähre. Ein englischer Matrose jedoch, ein Bekannter von mir, wollte ihn mit einer Entdeckungstruppe vom Bord einer englischen Kriegsschaluppe aus besucht haben, und hat ihn höchst wunderbar in jeder Hinsicht gefunden. Sehr klein, tief und grün bildet er einen förmlich in die Gebirge hineingedrängten Brunnen, mit Unmassen der herrlichsten Fische.

Diese Straße wird jedoch keineswegs bloß von Fußgängern bereist, Pferde giebt es jetzt in großer Anzahl und zwar von Chili eingeführte, die alle die Lebhaftigkeit, Schnelle und Gelehrigkeit der spanischen Race in sich vereinigen und den höheren Klassen der Insel, unter denen es gar wackere Reiter giebt, ganz unentbehrlich geworden sind. Die Missionäre

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und Häuptlinge denken jetzt gar nicht daran eine Reise zu machen außer im Sattel, und jede Stunde im Tag kann man besonders die Letztern im vollen Galopp die Straße dahinsprengen sehen.

Meile nach Meile habe ich auf dieser Besenstraße zurück- gelegt, und bin in diesem ewig sich ändernden Scenenwechsel nie ermüdet. Nur eines bleibt, ob Ihr durch niederen Wald oder grasige Ebenen, oder über mit Palmen bedeckte Hügel wandert, immer habt Ihr die blaue herrliche See an der einen Seite und an der andern steigen schroff und steil die hohen felsigen Kuppen der Insel empor.

Etwa eine Meile von der Stadt machten wir Halt.

Es war ein wundervoller Fleck. Ein Bergstrom murmelte am Fuß eines grasigen Hügels hin, bis sich die Wasser auf einem Bett von funkelnden Kieseln plätschernd in die See ergossen; in das Land hinein jedoch sich wie ein silberner Faden zwischen den dunkeln Schatten der Palmen verlor.

Der zunächst der Straße gelegene Platz war von einer niedern Steinmauer umgeben, und auf dem Gipfel der dahinterliegenden Abdachung stand ein großes Haus, nach Art der Eingeborenen errichtet, mit blendend weißem und ovalem Dach.

Calabousa Beretanee (das englische Gefängniß), rief unser Führer und deutete auf das Gebäude.

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Diese Calabouse war schon seit einigen Monaten von dem Consul für seine widerspenstigen Matrosen benutzt und deshalb, um es von den andern ähnlichen Gebäuden in Papeetee zu unterscheiden, so genannt. Obgleich übrigens in seiner Lage sehr romantisch, zeigte sich doch, als wir näher kamen, daß es häusliche Bequemlichkeiten sehr entbehre. Es war wirklich eine bloße Schale und zwar erst kürzlich gebaut und noch nicht einmal beendet, auch überall offen, und hie und da im Innern, selbst an einigen Stellen unter dem Dach, wuchs Gras. Das einzige Möbel, das im ganzen Zimmer stand, war der Fußblock, eine unbeholfene Maschine, die dazu bestimmt ist, widerspenstige Leute in ein und derselben Stelle fest zu halten und wohl nur noch in wenigen Ländern angewandt wird. Die Spanier in Südamerika benutzen ihn jedoch noch und von diesen haben ihn die Tahitier abgesehen. Auch die Namen, womit alle Gefängnisse bezeichnet werden, sind spanisch.

Die Fußblöcke bestanden höchst einfacher Weise aus nichts anderem als zwei starken Ballen, etwa 20 Fuß lang und vollkommen egal; einer lag mit dem Rand auf dem Boden und der andere dicht über ihm, während in gewissen Zwischenräumen die bösartigen runden Löcher keinen Zweifel über seinen Zweck gestatteten. Jetzt machte uns auch unser Führer damit bekannt, daß er „capin Bob“ (Capitän Bob) hieß und ein gemüthlicher alter Bob war es auch, der

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Name paßte prächtig für ihn. Von dem ersten Augenblicke an hatten wir ihn gern und überließen uns mit dem größten Vergnügen seiner Leitung und fügten uns seiner Autorität.

Sobald wir das Gebäude betreten hatten, mußten wir eine Menge trockener Blätter herbei bringen, um hinter den Fußblöcken ein Lager zu bereiten. Der Stamm eines kleinen Cocosbaums wurde dann als eine Art Polster dahinter gelegt – freilich ein hartes Kissen, doch sind die Eingeborenen daran gewöhnt. Anstatt des Kopfkissens gebrauchen sie auch ein etwas ausgehöhltes Stück Holz mit vier kurzen Füßen, eine Art Kopfschemel.

Nachdem diese Vorbereitungen getroffen worden, ging Capitän Bob daran uns für die Nacht fest zu machen; der obere Balken dieser kunstreichen Maschinerie wurde aufgehoben, unsere Knöchel in die halbrunden Oeffnungen des untersten gelegt und der erste dann wieder niedergelassen, wonach man sie an beiden äußersten Enden mit einem eisernen Ring befestigte. Diese Einfügung fand jedoch unter dem lärmenden Jubel der Eingeborenen statt und amüsirte uns selbst nicht wenig.

Capitän Bob fuhr jetzt herum wie eine alte Frau die ihre Kinder zu Bett gebracht hat; ein Korb gebackener „Taro“ oder indianische Rüben wurde dann gebracht und wir bekamen Jeder ein Stück. Hiernach breiteten die Eingeborenen ein langes Stück roher brauner Tappa über uns Alle

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hin und nach verschiedenen Ermahnungen zu „moee-moee und maitai“ zu sein, d. h. zu schlafen und uns wie gute Kinder zu betragen, wurden wir allein gelassen und waren also auch wirklich zu Bett gebracht und zugedeckt.

Ein ziemlich lebhaftes Gespräch fand nun im Allgemeinen, und zwar unsre künftigen Lebensaussichten betreffend, statt. Der Doktor und ich aber, die neben einander lagen, hielten die Gelegenheit für besser geeignet zu Betrachtungen und schwiegen deshalb still; es dauerte auch nicht lange, so schliefen alle Uebrigen und als ich selbst einmal später den Versuch machte den Doktor anzureden, träumte der aus Leibeskräften. Wecken wollte ich ihn nicht und folgte also seinem Beispiel.

Wie sich die Uebrigen in dieser Nacht befanden, weiß ich nicht, mir wurde es aber sehr sauer einzuschlafen, denn das Bewußtsein seine Füße da zu haben, wo man sie nicht wieder wegbekommen kann, ist, das wenigste zu sagen, höchst unangenehm. Außerdem wurde es auf die Länge der Zeit eben so peinlich fortwährend auf dem Rücken zu liegen, was aber doch gar nicht anders geschehen konnte, wir hätten uns denn an unsern Knöcheln wie ein Warrel[14] herumdrehen können. Sobald ich nun ein klein wenig einschlief, fing ich auch schon an allerlei tolle Sachen zu träumen. Wenn ich

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mich nur bewegen wollte, fühlte ich auch den Zwang an den Füßen und fuhr dann gewöhnlich erschreckt empor, und es war mir immer als ob mir Jemand die Füße ausreißen wolle.

Capitän Bob und seine Freunde wohnten in einem kleinen, nicht weit von uns entfernten Dörfchen, und sobald der Morgen im Osten dämmerte, kam auch schon der alte Gentleman in derselben Richtung aus einem Hain hervor und begrüßte uns laut und fröhlich.

Da er Alle erwacht fand, setzte er uns in Freiheit, führte uns an den Fluß hinunter und befahl uns zu baden.

All Hand’s, mei Bursch! rief er – hanna – hanna wasch – Bob war einmal zu seiner Zeit zur See gewesen, wie er uns gar zu gern erzählte, und gebrauchte nicht selten die Seeausdrücke auf höchst komische Art.

In diesem Augenblicke befanden wir uns Alle allein mit ihm und es wäre nichts leichter gewesen als zu entlaufen; daran schien er aber gar nicht zu denken, und behandelte uns so ehrlich und freundschaftlich, daß wir, hätten wir so etwas beabsichtigt, uns wirklich geschämt haben würden, es auszuführen. Er wußte übrigens recht gut – und uns selber konnte das auch nicht verborgen bleiben – daß jeder Plan zur Flucht, wenn wir nicht früher Anstalt getroffen die Insel zu verlassen, scheitern mußte.

Da Bob übrigens ein Original in jeder Hinsicht war,

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so möchte ich hier wohl etwas Weiteres über ihn sagen. Seine Gestalt maß über sechs Fuß und sein Umfang war verhältnißmäßig, wie denn überhaupt die Tahitier nicht selten wegen ihrer starken Körperbildung berühmt geworden sind. Auch seine sonstigen Verhältnisse sicherten ihm ein gutes Auskommen; außerdem, daß er als englischer Gefängnißwärter galt, bewirthschaftete er auch noch ein kleines Tahitien-Gut, d. h. er war der Eigenthümer von mehrern Brodfrucht- und Cocosgruppen und hinderte nie deren Wachsthum. Dicht dabei hatte et auch ein kleines Tarofeld, welches er gelegentlich besuchte. Bob verkaufte übrigens selten etwas von seinen eignen Produkten, sondern verconsumirte gewöhnlich Alles selber.

Ein Freund von Bob erzählte mir einmal, daß seines entsetzlichen Appetits wegen die benachbarten Inseln seinen Besuch ordentlich fürchteten, denn nach Tahitischer Gewohnheit und Sitte findet völlige Gastfreundschaft statt, die in gewöhnlichen Fällen allerdings erwiedert wird; in diesem Falle war daran aber gar nicht zu denken, denn die Verwüstung, die Bob in einer Speisekammer der Eingeborenen bei einer einzigen Morgenvisite anrichtete, würde dieser nicht wieder haben ausgleichen können und wenn er sich die ganzen Feiertage bei ihm einquartirt hätte.

Der alte Mann war, wie ich schon oben angedeutet, ein oder zweimal mit auf dem Wallfischfang gewesen und deshalb

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nicht wenig stolz auf sein Englisch; da er übrigens alles, was er davon wußte, nur im Vorcastle erbeutet, so schmeckte seine Sprache auch bedeutend danach und klang wunderlich genug.

Ich frug ihn eines Tages, wie alt er sei. – Altie? erwiederte er und nahm eine sehr wichtige Miene an, daß er eine solche verwickelte Sprache verstand. – O sehr altie, tausend J–ahr. Großer Mann, wenn Capin Tuti (Cook) Hove in Sicht (in der Seesprache „sichtbar wurde“).

Das war unmöglich, doch meine Unterhaltung dem Manne anpassend, fuhr ich fort: Ah, Ihr saht Captain Tuti? nun, wie gefiel er Euch?

O! er maitai (gut) Freund von mich – und kennt mein Weib.

Als ich ihm nun auseinandersetzte, daß er damals noch gar nicht geboren sein konnte, erklärte er sich dahin, daß er die ganze Zeit von seinem Vater gesprochen hätte, und dann konnte er eher Recht haben.

Es ist übrigens eine sonderbare Thatsache, daß Alt und Jung versichert den großen Seefahrer persönlich gekannt zu haben, und wenn man ihnen zuhört, so erzählen sie in kurzer Zeit eine Menge der wunderlichsten Anekdoten von ihm. Dies entsteht jedoch nur aus ihrem Verlangen dem, mit dem sie sprechen, eine Freude zu machen, da sie wissen, daß dies für einen Weißen die angenehmste Unterhaltung ist.

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Auf einen Anachronismus kommt es ihnen dabei nicht an, Tag und Jahre sind ihnen ganz gleichgültig.

Nach unserm Morgenbad brachte uns Bob wieder in die Fußblöcke, wobei er übrigens fast zu Thränen gerührt war, daß er uns einem solchen Leiden unterziehen mußte; er sagte aber, er dürfe nicht anders handeln, oder er würde des Consuls höchsten Zorn auf sich ziehen. Wie lange wir noch gefangen gehalten werden sollten und was man später mit uns angeben würde, wußte er natürlich nicht.

Da der Nachmittag heranrückte und noch immer keine Zeichen einer Mahlzeit zu sehen waren, so frug endlich einer der Unsern, ob wir im Hotel der Calabouse eben so gut Kost als Logis zu erwarten hätten.

– Wart bischen, sagte Bob, kow-kow (Nahrung) kommt nach Schiff.

Und wahrhaftig, gar nicht lange dauerte es, so kam Ropey mit einem hölzernen Eimer, voll von der Julia niederträchtigem Zwieback, während er grinsend sagte, es sei ein Geschenk von Mr. Wilson und Alles, was wir für heute bekommen würden. Ein wilder Zornesruf tönte ihm entgegen und gut war es für den Landlubber, daß er ein paar Beine hatte und wir die unsern nicht gebrauchen konnten, Einer wie Alle erklärten wir aber, daß wir den Zwieback nicht berühren würden und das theilten wir auch den Eingeborenen mit.

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Hierbei hatten wir es aber ziemlich glücklich getroffen, denn nichts essen diese lieber als gerade Schiffszwieback; je härter er ist, desto lieber ist er ihnen; sie erboten sich also auch augenblicklich zu einem Tausch, und brachten uns für unsern Zwieback jeden Tag eine Quantität gebackener Brodfrucht und indianischer Rüben. Wir befanden uns sehr gut dabei und Bob und seine Freunde saßen jetzt den ganzen Tag vom Morgen bis zum Abend und kauten.

Nachdem unser sehr frugales Mahl beendet worden, watschelte Capitän Bob zu uns heran und brachte ein paar lange Stangen mit Haken am oberen Ende und mehrere Körbe von geflochtenen Cocosnußzweigen.

Nicht weit davon befand sich nemlich ein umfangreicher Orangenhain, der jetzt eine Unmasse der reifsten Früchte trug und ich und ein Anderer wurden ausgesucht, mit ihm zu gehen und einen Vorrath für die Unsern einzubringen. Einen größern Reichthum an Frucht habe ich aber im Leben nicht gesehen. Die Aeste bogen sich unter der süßen Last und die Lüfte waren geschwängert von den herrlichsten Wohlgerüchen.

An manchen Stellen bildeten die Bäume einen dichten Schatten, der mit den dunkelgrünen Zweigen und den goldglänzenden Aepfeln ein wundervolles Dach formt, während an andern Stellen die schweren Orangen die Zweige völlig

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niederzogen und den einzelnen Bäumen den Anblick eines grünen, golddurchwirkten Zeltes gaben.

Um die Früchte nicht zu drücken und sie am Faulen zu verhindern, bog Bob die Zweige mit seinem Haken herunter und schüttelte sie gleich in den Korb, das genügte uns aber nicht; wir ergriffen Stamm und Zweige und schüttelten so gewaltig, daß sich unser fetter Freund nur mit Mühe aus dem hageldick fallenden Schauer retten konnte. Allen Vorstellungen ungeachtet lagerten wir uns dann in den Schatten und aßen nach Herzenslust; dann füllten wir die Körbe und kehrten zu unsern Kameraden zurück, die uns natürlich mit einem Hurrahschreien empfingen. Es dauerte nicht lange, so war von den mitgebrachten Orangen nichts weiter als die Schale übrig geblieben.

So lange wir uns in der Calabouse aufhielten, bekamen wir so viel von dieser Frucht, als wir essen konnten und dies mag wohl auch die Ursache sein, daß sich die Kranken so schnell wieder von ihren Leiden erholten.

Die Orange von Tahiti ist delikat – klein und süß mit einer dünnen trocknen Rinde; obgleich sie jetzt sich überall im Ueberfluß findet, so kannte sie doch vor Cooks Zeit Niemand, denn ihm haben die Indianer diesen Segen zu verdanken. Eben sowohl führte er mehre andere Arten von Früchten ein, wie die Feige, die Ananas und die Citrone, die jedoch nur sehr wenig fortgekommen oder angepflanzt sein müssen.

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Außer Früchten brachten aber auch die ersten Besucher der Gesellschaftsinseln auch noch Rindvieh und Schafe, die sie an verschiedenen Stellen aussetzten, und Cook wie Vancouver waren gewiß, wenn Europäer überhaupt als solche betrachtet werden können, die größten Wohlthäter dieser Inseln.


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Capitel XIV.
Die Franzosen in Tahiti.

Da ich die Insel gerade in einem sehr interessanten Zustand ihrer politischen Verhältnisse betrat, so ist es vielleicht hier am Platz eine kurze Nachricht über die Franzosen selbst und ihr Verfahren auf diesem Eilande zu geben. Die Nachrichten dazu erhielt ich von den Eingeborenen selbst, und es sind die damals in Umlauf befindlichen Gerüchte von dem bestätigt, was ich bei einem späteren Besuch und auch endlich bei meiner Rückkehr in die Heimath erfuhr.

Es scheint, als ob schon seit einiger Zeit die Franzosen wiederholte Versuche gemacht hätten, eine römisch-katholische Mission hier zu gründen, was ihnen aber nie gelang, denn oft wurden sie sogar mit offner Gewalt daran verhindert, und jedesmal mußten die, die sich besonders dabei betheiligt hatten, die Insel verlassen. Einmal z. B. wurden zwei Priester, Laval und Caset, nachdem sie unendliche Verfolgungen erduldet, von den Eingeborenen überfallen und

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an Bord eines kleinen Handelsschooners geschleppt, der sie endlich auf der Insel Wallis, einem entsetzlich wilden Platz und etwa 2000 Miles westlich gelegen, aussetzte.

Daß die damals dort befindlichen englischen Missionäre die Verbannung dieser Priester betrieben, ist eine Thatsache die sie jetzt nicht einmal mehr leugnen, auch wurde mir von mehreren Seiten versichert, sie haben durch ihre Reden jenen Tumult, der dem Segeln des Schooners voraus ging, herbeigeführt. So viel bleibt gewiß, sie konnten bei dem Einfluß, den sie damals über die Eingeborenen ausübten, mit leichter Mühe jene Gewaltthat verhindern, wenn das überhaupt in ihrer Absicht gelegen.

So traurig solch ein Beispiel von Intoleranz auf Seiten der protestantischen Missionäre erscheinen mag, so ist es leider keineswegs das Einzige seiner Art; doch ich will hier darauf nicht weiter eingehen, denn mehrere Reisende haben das in letzter Zeit schon weitläufig berührt.

Die Behandlung dieser beiden Priester bildete nun den Hauptgrund – vielleicht den einzigen gerechten – auf welchen hin Du Petit Thouars Genugthuung verlangte, was denn endlich zur ganzen Besitznahme der Insel führte. Auch warf er noch auf, daß Merenhouts, des Consuls, Flagge verschiedene Male beschimpft und das Eigenthum eines gewissen französischen Bürgers auf Tahiti von der Regierung gewaltsam in Beschlag genommen worden sei. In

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dem letztern Falle hatten die Eingeborenen vollkommen Recht, denn das Verbot gegen den Handel mit spirituösen Getränken, dann und wann aufgehoben, befand sich damals gerade in Kraft und da sie eine große Quantität derselben auf dem Lager dieses Victor – eines überhaupt gemeinen, schurkischen Avanturiers von Marseille – fanden, so erklärten sie es als dem Gesetz anheim gefallen.

Für diese und ähnliche vorgegebene Beleidigungen wurde ein ungeheurer Geldersatz (10000 Dollars) verlangt, und da kein Schatzmeister vorhanden war, so nahmen sie die ganze Insel. Allerdings schlossen sie dabei einen Vertrag ab, das war aber jedenfalls nur zum Schein, denn er wurde dem Häuptling vom Kanonendeck der Du Petit Thouars’schen Fregatte diktirt. Der Sturz der Pomaren war einmal in den Tuilerien beschlossen und dieser Vertrag auf jeden Fall nur ein Mantel, der für jetzt ihre wirkliche Absicht verdecken sollte.

Nachdem sie das Protektorat, wie es genannt wurde, errichtet hatten, segelte der Contre-Admiral wieder ab und ließ Mr. Bruart als Gouverneur zurück, während Mr. Merhout, der frühere Consul, zum königlichen Commissionär emporstieg. Dem Gouverneur beigegeben waren die beiden Herrn Reine und Carpeigne, Mitglieder des Raths und von den Eingeborenen nicht ungern gesehen, die dagegen Bruart und Merenhout förmlich haßten. Bei mehreren

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Zusammenkünften mit der armen Königin suchte sie dieser gefühllose Gouverneur förmlich zu dem einzuschüchtern, was er von ihr verlangte und schlug mit der Hand an sein Schwert, drohte mit der Faust und fluchte gotteslästerlich. In einem Briefe an Louis Philipp schrieb Pomare: „O König einer großen Nation, nimm diesen Mann hinweg; ich und mein Volk können seine bösen Handlungen nicht mehr ertragen; er ist ein schamloser Mann.“

Obgleich sich die Aufregung unter den Eingeborenen nach des Contre-Admirals Abreise noch keineswegs gelegt hatte, so fiel doch unmittelbar keine Gewaltthätigkeit vor. Die Königin war nach Imeeo geflohen und die Uneinigkeit zwischen den Häuptlingen, wie die schlechten Rathschläge der Missionäre, hinderten eine Vereinigung nach gewöhnlichem Vertheidigungsplan. Die große Masse des Volks aber, ebensowohl als ihre Königin, hoffte vertrauungsvoll auf eine schleunige Einmischung Englands; eine Nation, die durch manche Bande an sie geleitet war und ihnen mehr als einmal ihre Unabhängigkeit feierlich zugesichert hatte.

Was die Missionäre anbetrifft, so trotzten sie dem französischen Gouverneur ganz offen und verkündeten, kindischer Weise, Flotten und Armeen von England. Was ist aber die Wohlfahrt eines Flecks wie Tahiti gegen das mächtige Interesse von Frankreich und England. Von der einen Seite kam eine Remonstration, von der andern eine Antwort und

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damit blieb die Sache ruhen. In dieser Sache wenigstens, so oft sie auch sonst zusammen gezankt, gingen St. Denys und St. George Hand in Hand und wollten nicht Tahiti’s halber die Degen kreuzen.

Während ich mich auf der Insel aufhielt, ließ sich eine Veränderung in der Regierung kaum erkennen; die einmal bestehenden Gesetze waren in Kraft, und die Missionäre wanderten ungehindert umher. Ruhe schien überall zu herrschen. Nichts destoweniger hörte ich oft, wie sich die Eingeborenen hart und bitter über die Franzosen äußerten, – die, beiläufig gesagt, in ganz Polynesien nicht gern gesehen werden – und wie sehr sie bedauerten, daß die Königin nicht gleich von Anfang an Stand gehalten.

Im Hause des Häuptlings Adea fanden häufige Unterredungen statt, ob die Insel im Stande sein würde, es mit den Franzosen aufzunehmen. Die Zahl der streitbaren Männer und die, der unter die Eingeborenen vertheilten Musketen, wurde berechnet, ebenso wie die Versicherung gegeben, daß mehrere Papeetee überwachende Höhen besetzt und vertheidigt werden könnten. Damals schrieb ich diese kecken Pläne dem Grimm über die erst frisch erlittene Niederlage, nicht einem entschlossenen Geiste des Widerstandes zu, und ahnte wenig den tapfern, wenn gleich nutzlosen Krieg, der meiner Abreise bald folgen sollte.

Die Insel, die früher in neunzehn Distrikte getheilt worden,

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und in jedem einen eingeborenen Häuptling zum Anführer hatte, wurde durch Bruart, als Gouverneur und Richter, in vier zusammengezogen und über diese setzte er eben so viele abtrünnige, nichtswürdige Häuptlinge, um ihrer Hülfe in der Ausführung seiner Pläne gewiß zu sein.

Das erste in einem regelmäßigen Kampf vergossene Blut floß zu Mahanar, auf der Halbinsel von Taraiboo und wurde durch einen Frauenraub herbeigeführt, den die Mannschaft eines französischen Kriegsschiffes ausführte. Bei dieser Gelegenheit fochten die Insulaner wie Verzweifelte und tödteten, während sie selbst etwa neunzig Mann verloren, funfzig ihrer Feinde. Die französischen Soldaten und Matrosen gaben keinen Pardon, sollen aber, wie der Bericht später einlief, damals berauscht gewesen sein. Die überlebenden Wilden konnten sich nur dadurch retten, daß sie in die Gebirge flüchteten.

Hiernach folgten die Gefechte von Hararparpi und Fararar, in denen die Eroberer jedoch nur geringen günstigen Erfolg hatten.

Bald nach der Schlacht von Hararparpi wurden in einem Bergthal drei Franzosen überfallen und erschlagen; einer von diesen war Lefevre, ein berüchtigter Schurke und Spion, den Bruart ausgesandt hatte, einen gewissen Major Fergus, – man sagt, es sei ein Pole gewesen – zu dem Versteck von

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vier Häuptlingen zu führen, die er zu fangen und hinzurichten wünschte.

Dieser Umstand entflammte natürlich noch mehr die, auf beiden Seiten herrschende, Feindseligkeit.

Etwa in dieser Zeit wurde Kitoti, ein abgefallener Häuptling, (das willige Werkzeug Bruarts) von diesem vermocht, ein großes Fest in dem Paren-Thal zu geben, wohin er alle seine Landsleute einladen solle. Der Gouverneur beabsichtigte augenscheinlich damit die Uebrigen seinem eignen Interesse zu gewinnen und schaffte Wein und Brandy in Ueberfluß dorthin; viehische Unmäßigkeit blieb aber die einzige Folge dieses Gelags; vorher wurden jedoch von den Insulanern noch einige Reden gehalten. Eine von diesen brachte ein alter Krieger, wenn auch schon taumelnd, vor, und sie lautete etwa in folgender Art:

– Dies ist ein sehr gutes Fest und der Wein ist auch sehr gut, aber ihr Bösgesinnten Wee-Wees (Franzosen) und ihr falschherzigen Männer von Tahiti seid alle sehr schlecht.

Den letzten Nachrichten zufolge weigern sich viele der Insulaner noch immer, die Oberherrschaft der Franzosen anzuerkennen. Wohl können auch diese Feindseligkeiten noch lange hingehalten werden, die Folge davon muß aber doch endlich die Vernichtung der ganzen Race sein.

Außer den Offizieren, die Du Petit Thouars nach dem Vertrage zurückließ, blieben auch einige französische Priester

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am Land, deren Sicherheit und freie Ausübung ihres Berufs noch ganz besonders festgestellt war. Keiner konnte aber natürlich gezwungen werden, sie zu unterstützen und zu beherbergen und obgleich sie genug Geld bei sich hatten, so war das für die Insulaner Taboo, und die frommen Männer mußten auf Nebucadnezars Art existiren. Ihr Geld erkaufte ihnen aber doch später christliche Gastfreundschaft; und wenn auch hierin die englischen Missionäre getadelt werden konnten, daß sie diesen Personen selbst einen anständigen Empfang verweigerten, so durften sich diese auch eigentlich nicht darüber wundern, denn sie kamen hierher sich einem Volke förmlich aufzuzwingen, das schon größtentheils zur christlichen Religion bekehrt worden, und doch lagen noch tausend und tausend Inseln umher, wo ihr frommer (?) Eifer einen thätigen Schauplatz finden konnte.


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Capitel XV.
Wir empfangen im Hotel der Calabouse Besuch. Leben in der Calabouse.

Da der Platz, in welchem wir gefangen gehalten wurden, nach allen Seiten zu offen, und so nahe der Besen-Straße lag, so konnten wir natürlich von Allen die dort passirten, gesehen werden und es fehlte uns zwischen einem so faulen neugierigen Volk, wie die Tahitier sind, keineswegs an Besuchen. Ein paar Tage hindurch kamen und gingen sie fortwährend, indeß wir, schändlicher Weise, an den Füßen festgehalten, eine passive Audienz geben mußten. In dieser Zeit waren wir sicherlich das Hauptgespräch der Nachbarschaft und ich zweifle nicht im mindesten daran, daß Fremde aus den entferntesten Städten hierher geführt wurden die „Karhowrees“ (weißen Männer) zu sehen, wie man die zur Stadt kommenden Bauern wohl in eine Menagerie führt.

Alles dies gab uns aber auch herrliche Gelegenheit unsre Betrachtungen anzustellen, und ich sah wirklich mit schmerzlichem

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Erstaunen die ungeheure Anzahl von kränklichen und meistens verwachsenen Personen, die dort vorbeikamen. Dies soll von einer ansteckenden Krankheit herrühren, die unter der Behandlung der Eingeborenen fast stets die Muskeln und Knochen des Körpers angreift, vorzüglich entstellt sie den Rücken auf eine wirklich traurige Art.

Obgleich nun diese und andre körperliche Leiden vor der Entdeckung der Inseln durch die Weißen unbekannt waren, so existirt doch dort eine dann und wann vorkommende Krankheit, die auf ihnen seit den ältesten bekannten Zeiten geherrscht hat. Es ist dies die Fa-Fa oder Elephantiasis; sie greift nur die Füße und Beine an und schwellt diese in manchen Fällen zu der Stärke eines ausgewachsenen Körpers an, während sich die Haut mit Schuppen bedeckt. Nun sollte man eigentlich denken, der mit solcher Krankheit Behaftete könne gar nicht daran denken zu marschiren, das ist aber keineswegs der Fall, und sie scheinen fast so aktiv wie alle Andern. Schmerzen haben sie nicht dabei und tragen ihr Leiden mit einer merkwürdigen Fassung und Ergebenheit.

Die Fa-Fa kommt sehr allmählich und Jahre vergehen, ehe die Glieder zu ihrer vollen Stärke geschwollen sind. Ihre Entstehung wird von den Eingeborenen verschiedenen Ursachen zugeschrieben; im Allgemeinen glaubt man aber, daß sie das Essen von unreifer Brodfrucht und indianischer Rübe am häufigsten herbeiführt. Nach dem was ich darüber erfahren

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konnte, ist diese Krankheit nicht erblich; nie und in keinem Grad derselben versuchen sie eine Heilung, denn die Elephantiasis wird für unheilbar gehalten.

Die Fa-Fa erinnert mich übrigens an einen armen Teufel von Matrosen, den ich später auf Roorootoo, einer einsamen Insel etwa zwei Tagereisen von Tahiti entfernt, fand.

Jene Insel ist sehr klein und die Einwohner derselben sind fast ausgestorben, oder auf andere übergesiedelt. Wir schickten ein Boot hinüber, um zu sehen ob wir einige Yanis bekommen könnten, denn die Yanis von Roorootoo waren bei den umliegenden Inseln so berühmt, wie die sicilier Orangen im mittelländischen Meere. Wie ich aber ans Ufer trat wurde ich, neben einem kleinen erbärmlichen Gebäude, zu meinem nicht geringem Erstaunen von einem weißen Manne angeredet, der aus einer zerfallenen Hütte hervorkroch und auf uns zuhinkte. Sein Haar und Bart umgab wirr und unverschnitten Kopf und Gesicht; sein Antlitz sah todtenbleich und eingefallen aus und das eine Bein war ihm durch die Fa-Fa zu einer kaum glaublichen Stärke angeschwollen. Hier sah ich zum ersten Male einen Fremden, der an dieser Krankheit litt; dies schreckliche Schauspiel ergriff mich auf’s Tiefste.

Schon jahrelang hatte er sich hier aufgehalten und damals, als sich die Krankheit zu zeigen begann, gar nicht geglaubt, daß sie es wirklich wäre, sondern sie nur stets für

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etwas Vorübergehendes gehalten. Da sich das Uebel aber immer mehr herausstellte, und er endlich fand daß ihn nur ein schleuniger Klimawechsel retten konnte, da wollte ihn kein Schiff mehr als Matrosen aufnehmen und als Passagier mitzugehen, daran durfte er gar nicht denken. Dies spricht allerdings nicht besonders für das Mitleiden der Schiffskapitäne, die aber, die den stillen Ocean befahren, sind besonders in neuerer Zeit so oft und so häufig angegangen, daß sie, ohnedies schon nicht übermäßig mitleidig, anfangen ganz hartherzig zu werden.

Ich bedauerte den armen Teufel von Grund meiner Seele, konnte aber nichts thun, da unser Capitän unerbittlich blieb. „Was, sagte er, hier sind wir eben im Beginn einer sechsmonatlichen Fahrt angekommen und ich soll mir gleich einen solchen Passagier aufladen, denn zurück kann ich doch nicht wieder. Laßt ihn auf der Insel, da befindet er sich überdies besser als auf der See.“ Und auf der Insel blieb er und wird auch wahrscheinlich dort sterben müssen.

Später hörte ich noch ein Mal von diesem Unglücklichen; seine Versuche, ein nördliches Klima zu erreichen, warm noch immer fruchtlos geblieben und sein hartes Schicksal näherte sich seinem Ende.

Trotz der physischen Entartung der Tahitier als Volk, sind doch recht stattliche und majestätische Figuren unter den Männern, und zarte, nymphenartige, wunderliebliche

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Gestalten unter den Frauen, keineswegs selten. Noch jetzt finden sich dieselben reizenden Geschöpfe dort, wie sie vor einem Jahrhundert Wallisschiffe umschwammen und tahitische Schönheit ist sicherlich so verführerisch geblieben, als sie damals war – weiche, volle Gestalten mit großen träumenden Augen.

Die natürliche Hautfarbe beider Geschlechter ist ziemlich hell, doch erscheinen die Männer dunkler als die Frauen, da sie sich der Sonne mehr aussetzen; übrigens sind die dunkeln Männer unter ihnen am meisten geachtet, denn man glaubt, daß diese Farbe Stärke in Leib und Seele andeute. Es giebt daher auch ein altes Lied unter ihnen:

„Wenn dunkel die Wange der Mutter
Dann läßt der Sohn die Kriegsmuschel tönen,
Wenn sie stark war, dann giebt er Gesetze.“

Kein Wunder also, daß die Tahitier bei solchem Begriffe von Männlichkeit mit Verachtung auf alle bleichen, kränklich aussehenden Europäer herabsehen, während ein Matrose, der ein Gesicht hat wie die Brust eines gebackenen Truthahns, für einen wackern Burschen oder, um ihren eignen Ausdruck zu gebrauchen, für einen „taata toba“, d. h. einen Mann von Knochen gehalten wird.

Da wir gerade von Knochen reden, so fällt mir eine häßliche Gewohnheit von ihnen ein; sie machen nemlich Fischhaken und Bohrer aus den Knochen ihrer Feinde; ähnlich

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wie die Skandinavier, die die Schädel der Erschlagenen zu Tassen und Bechern verwandten. –

Doch um zu unsrer Calabouse in Beretanee zurückzukehren, so war das Interesse, das wir bei denen erregten, die uns besuchten, ganz erstaunlich. Stundenlang standen sie dort, ereiferten sich ganz unnöthig und tanzten mit all’ der Lebhaftigkeit ihrer Race hin und her. Jedesmal aber nahmen sie unsre Partei und schimpften merkwürdig auf den Consul, den sie für „Ita matai nuee“, d. h. schlecht, wirklich sehr schlecht, erklärten. Sie müssen schon von früher her etwas auf ihn gehabt haben.

Eben so häufig kamen die lieben Kinder, die Frauen, uns zu besuchen und bezeigten fast noch mehr Interesse als die Männer. Mit wunderbar lebhaften Augen blickten sie uns an und schwatzten mit den kleinen rothen Mäulchen auf eine entsetzlich schnelle Art, doch wirkliches Gefühl besaßen sie wohl nicht. Neugierde, vielleicht auch ein vorübergehendes Mitleiden trieb sie hierher und viele lachten uns gerade zu aus, und suchten nur das in unsrer Lage, was ihnen komisch erschien.

Ich glaube es war der zweite Tag unsrer Haft, als ein wildes, aber wunderschönes Mädchen vor die Calabouse sprang und in schelmischer Stellung, aber etwas entfernt von uns stehen blieb und uns betrachtete. Der kleine Schalk hatte aber kein Herz und amüsirte sich königlich, besonders

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über den schwarzen Dan, der seinen geschwollenen Knöchel hielt und verschiedene moralische Betrachtungen über Capitain Guy und unsern Consul anstellte. Nachdem sie sich zur Genüge über ihn lustig gemacht, ließ sie sich auch herab, die Uebrigen zu beachten und blickte sich Einen nach dem Andern mit unbeschreiblich schelmischem Ausdruck an. Sobald ihr etwas als besonders komisch auffiel, durchzuckte es ihre Züge wie ein elektrischer Strahl. Blitzesschnell deutete sie mit dem kleinen malitiösen Finger darauf hin und überließ sich nun einem erbarmungslosen, aber silberhell tönenden Gelächter, das etwa so dumpf und leise klang wie eine Musikdose, die mit zugemachtem Deckel einen muntern Walzer spielt.

Nun wußte ich allerdings nichts, was in meiner eigenen Gestalt weniger lächerlich, als in der meiner Kameraden gewesen wäre, und nichts hätte sich hier auch schwerer ausführen lassen, als unter solchen Umständen heroisch auszusehen; dennoch machte es auf mich einen höchst unangenehmen Eindruck von dieser kleinen, tollen Hexe, wenn sie auch eine Insulanerin war, eben so ausgelacht zu werden; auch mochte, die Wahrheit zu gestehen, ihre wirklich auffallende Schönheit nicht wenig zu diesem Gefühle beigetragen haben. In den Klotz hinein geklemmt, und höchst unstatthaft gekleidet, fing ich an sentimental zu werden.

Ehe ihr Blick auf mich fiel, hatte ich mich, fast selbst

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unbewußt, in die interessanteste Stellung zurückgeworfen, die ich möglicher Weise annehmen konnte. Ich stützte meinen Kopf in die Hand und sah sinnend und nachdenkend aus. Jetzt fühlte ich, wie mir das Blut ins Gesicht stieg und wußte nun, ihr Blick haftete auf mir. Schneller und schneller schlug mir das Herz; kaum athmen konnte ich vor innerer Bewegung und – nicht das leiseste Lachen wurde gehört.

Süßer Gedanke, mein Anblick hatte sie gerührt; ich konnte die Ungewißheit nicht länger ertragen und fuhr empor. Großer Gott, da stand sie, die großen, lebhaften Augen wurden immer größer und runder, ihre ganze Gestalt zitterte in wilder, kaum zu unterdrückender Heiterkeit und um die zierlich geschnittenen Lippen zuckte ein Ausdruck, der jedes Gefühl, jede Empfindung augenblicklich über den Haufen werfen mußte.

Im nächsten Moment fuhr sie herum, brach in das tollste unmäßigste Gelächter aus, flog tanzend und wirbelnd aus der Calabouse und kehrte, Gott sei Dank, nie wieder dahin zurück.

Einige Tage vergingen und unsre Gefügigkeit wurde endlich auch durch Nachsicht von Seiten Captain Bob’s belohnt.

Er erlaubte uns Allen sich Tages über frei zu bewegen und machte nur die Bedingung, daß wir uns in Rufsnähe hielten. Dies geschah natürlich ganz gegen Wilsons Befehle,

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und es mußte vor diesem also geheim gehalten werden. Von den Eingeborenen hatten wir dabei nichts zu fürchten, keiner von Denen hätte es ihm verrathen; Fremde jedoch, die vorbei zogen, konnten das, vielleicht sogar unabsichtlich ausplaudern, und es wurden also in gewissen Entfernungen Knaben als Wachen aufgestellt; sobald sich ein weißer Mann blicken ließ, gaben diese den Alarm. Wie der Blitz fuhren wir Alle in unsre respektiven Löcher hinein, denn die Fußblöcke blieben zu diesem Zweck offen stehen; der obere Block wurde rasch herunter gelassen und wir waren Gefangene bis die Fremden Abschied genommen hatten.

Trotz der regelmäßigen Nahrung, die wir vom Capitain Bob erhielten, fiel diese doch so sparsam aus, daß uns oft ganz unverantwortlich hungerte. Die braven Eingeborenen trugen aber dabei nicht die Schuld, denn wir fanden bald, daß sie sich selbst einschränkten, um uns nur das zukommen zu lassen, was wir von ihnen erhielten und überdies empfingen sie ja gar nichts für ihre Güte, als den täglichen Eimer Brod.

Ein Volk wie die Tahitier versteht unter dem was wir harte Zeiten nennen, stets nur einen Mangel an Nahrungsmitteln, und so arm ist der größte Theil von ihnen, daß ein solcher Mangel fast das ganze Jahr über stattfindet. Allerdings hatten die Eingeborenen in der Nähe der Calabouse einen Ueberfluß an Limonen und Orangen, doch was halfen

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ihnen die? Die stillten ihren Hunger nicht, ja schärften vielmehr noch ihren Appetit. In der Zeit der Brodfruchtreife befinden sie sich wohl etwas besser, sonst aber erschöpft der Schiffsbedarf nur zu bald die unkultivirten Hülfsquellen dieses Landes, dessen besserer Theil noch überdies den Häuptlingen gehören. Viele der Aermern müßten verhungern, wenn sie nicht ihre Netze hätten.

Da Capitain Bob fast unbewußt mehr und mehr in seiner Wachsamkeit nachließ, so fingen wir auch an uns immer weiter und weiter von der Calabouse zu entfernen, wo wir durch ein systematisches Fouragiren unsere Lage doch wenigstens in etwas verbessern konnten. Glücklicher Weise standen uns die Häuser der wohlhabenden Eingeborenen eben so offen, als die der Aermern und wir wurden in dem einen so freundlich behandelt, wie in dem andern.

Dann und wann kamen wir auch zur Todesfeier irgend eines fetten Schweines, dessen lautes Schreien beim Schlachten unsre Aufmerksamkeit dorthin gelenkt hatte. Hierzu Versammeln sich auch häufig die Nachbarn, und Fremde sind dann stets willkommen. Nichts war uns also angenehmer, als ein lautes kräftiges Quietschen, denn es wurde uns zu einem ziemlich sichern Bürgen einer guten Mahlzeit.

Da wir gewöhnlich so ganz unerwartet bei solchen Gesellschaften erschienen, so erregten wir stets Aufsehen. Manchmal fanden wir das Opferthier noch am Leben und war dies

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der Fall, so verließen es die Eingeborenen gewöhnlich und sammelten sich um uns. Um hieraus entspringende Unannehmlichkeiten zu vermeiden, traf Flash-Jack gewöhnlich mit einem bloßen Messer in der einen und einem großen Knüppel in der andern Hand bei solchen Gelegenheiten ein, und Andre wieder halfen mit ungemeiner Bereitwilligkeit im Borstenabbrühen und Aufbrechen des Thieres. Nur Doktor Lattengeist und ich ließen uns nie auf derlei Hilfsleistungen ein, sondern gaben uns nur mit ganzer und ungeschwächter Energie dem Mahle hin.

Mein langer Freund erfreute sich dabei eines besonders scharfen Appetits, den zu befriedigen er übrigens auch stets bedacht war; dabei wußte er eine Unannehmlichkeit zu beseitigen, mit der wir sonst alle zu kämpfen hatten, den gänzlichen Mangel an Pfeffer und Salz. Er bat nemlich Ropey ihm etwas vom Schiff mitzubringen, was dieser auch that, das hing er sich in einem kleinen Ledersack, einem „Affenbeutel“, wie ihn die Matrosen nennen, um den Hals und hielt es vor den Uebrigen ziemlich sorgfältig versteckt.


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Capitel XVI.
Eine alte Bekanntschaft besucht uns.

Noch nicht lange hatten wir und in dieser theilweisen Freiheit befunden, als wir eines Morgens den Doktor Johnson auf der Besenstraße herankommen sahen.

Die Nachricht war uns schon früher geworden, daß er uns besuchen wolle, und wir erriethen seine Absicht. Da wir uns nämlich jetzt in des Consuls Obhut befanden, so mußten die Ausgaben, dir unser Aufenthalt verursachte, natürlich auch von ihm, d. h. von der Regierung bestritten werden, und Johnson, als ein Freund Wilsons, eines guten Honorares gewiß, schien nicht übel Lust zu haben, uns zu diesem Zweck zu benutzen. Allerdings konnte es sonderbar erscheinen, daß er von uns verlangte Medizin zu nehmen, während er an Bord selbst gesagt, daß wir sie nicht brauchten; doch schien er wenigstens den Versuch machen zu wollen.

Seine Annäherung wurde durch eine der ausgestellten

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Wachen verkündigt, wonach Einer Vorschlag, ihn hereinzulassen und dann selbst in den Block zu setzen. Doktor Lattengeist hatte aber einen anderen Plan.

Sehr freundlich und liebevoll kam Johnson endlich heran, stemmte seinen Spazierstock auf den Block, und schaute wohlwollend, wie wir da so vor ihm lagen, auf uns nieder.

– Nun, meine Burschen, begann er nach einer Weile; wie befindet Ihr Euch heute Morgen?

Die Leute, die sich sehr niedergeschlagen stellten, antworteten mit einem unartikulirten Gestöhn und er fuhr fort:

– Jene armen Burschen, die ich vor einigen Tagen sah, die Kranken meine ich, wie geht es denen? Und er ließ seine Blicke aufmerksam von Einem zum Andern schweifen. Endlich wählte er sich Einen, der am trübseligsten drein schaute aus, und bemerkte es käme ihm vor, als ob er sich außergewöhnlich unwohl befände.

Ja, sagte der Matrose wehmüthig, ich fürchte, Doktor, ich werde wohl bald meine Meßzahl verlieren (ein Seeausdruck für Sterben); und er schloß dabei die Augen und stöhnte.

– Was sagt er? frug Johnson und wandte steh schnell nach uns zu.

– Ei nun, erwiederte Flash-Jack, der als Dolmetscher volontirte; er meint, er würde bald abfahren.

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– Abfahren? frag wiederum erstaunt der Doktor; wohin abfahren?

Das Wort wurde ihm erklärt und er trat jetzt über den Fußblock den Puls des Mannes zu fühlen.

– Wie ist sein Name? sagte er und wandte sich diesmal an den alten Navy Bob.

– Wir nennen ihn Jingling Joe, erwiederte dieser würdige Mann.

– Nun denn, Leute, Ihr müßt gut acht auf den armen Joe haben, und ich will ihm ein Pulver schicken, das er nach der Anweisung darauf zu nehmen hat. Einige von Euch werden doch wohl lesen können?

Der junge Mensch da kann’s, erwiederte Bob und zeigte so scharf nach dem Platz hin auf dem ich lag, als ob er die Aufmerksamkeit der Uebrigen auf ein Segel am Horizont hätte lenken wollen. Nachdem der Doktor nun die Andern untersucht, von denen Einige wirklich krank gewesen, jetzt aber Reconvalescenten waren, Manche sich dagegen erst krank stellten, wandte er sich gegen die ganze Gesellschaft und sagte:

– Leute, wenn noch Jemand von Euch etwas fehlt, so laßt es mich wissen; auf des Consuls Befehl soll ich hier jeden Tag nachfragen und wenn Ihr krank seid, so versteht sichs von selbst, daß ich Euch die nöthigen Medizinen verschreibe. Dieser schnelle Wechsel von Schiffskost zum Landleben spielt

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Euch Matrosen gewöhnlich bös mit; seht Euch daher vor mit dem Fruchtessen. Guten Tag. Morgen ganz früh schicke ich Euch die Medizin.

So wenig nun Johnson auch verstehen oder wissen mochte, so bin ich doch überzeugt, daß er fühlte, wir hätten ihn nur zum Besten: Dies schien ihn jedoch keineswegs zu kümmern, so lange es nur seinem eignen Zweck entsprach und wenn er uns wirklich durchschaute, so ließ er es sich doch nicht merken.

Sobald denn auch die bestimmte Zeit heranrückte, kam ein junger Indianer mit einem kleinen aus Cocosnußfasern geflochtenen Korbe, der mit Pulvern, Pillen und Gläsern gefüllt war, die ihrerseits wieder sämmtlich die Verordnungen auf großmächtig daran befestigten Zetteln trugen. Die Matrosen fielen nun rasch über diese Sendung her, sie glaubten nemlich wunderbarer Weise, der ganze Vorrath müsse mit Spirituosen angesetzt sein. Doktor Lattengeist schlug sich aber hier ins Mittel, und verlangte als Arzt wenigstens zuerst die Zettel zu lesen; er erhielt also den Korb überantwortet. - Das Erste was er in die Hand nahm, war ein großes Glas mit der Umschrift „Für William; wohl einzureiben.“

Dem Inhalt nach allerdings spiritusartig; und als es dem Patienten überreicht wurde, nahm es dieser, öffnete es,

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roch daran und verschluckte es dann ohne weiter eine Miene zu verziehen.

Der Doktor sah ihn erschreckt an.

Es entstand jetzt eine allgemeine Bewegung. Pillen und Pulver wurden gänzlich misachtet und nur die, die Flaschen bekommen hatten, beneidet. Johnson wird auch hinlängliche Matrosenkenntniß gehabt haben, um seine Medizin mindestens genießbar zu machen; Doktor Lattengeist vermuthete das wenigstens; so viel bleibt gewiß, um die Gläser rissen sie sich förmlich und was nur ein kleines wenig gewürzig roch oder schmeckte, ging augenblicklich einen und denselben Weg. Verschreibungen wurden gänzlich misachtet.

Das größte von allen, und eine förmliche Quartflasche, erhielt der schwarze Dan; der Stoff hatte eine Art Brandy-Geruch und war überschrieben: „Für Daniel, reichlich zu trinken, bis er Linderung verspürt;“ das that Dan auch wirklich und würde sie gewiß gar nicht wieder abgesetzt haben, wären nicht die Andern über ihn hergefallen. Gleich darauf ging die Medizinflasche im Kreise herum und wurde unter Lachen und Jubeln ausgetrunken.

Am nächsten Morgen fand unser Arzt seine Patienten in bester Reihe hinter den Fußblöcken ausgestreckt und so wohl und munter wie es sich nur erwarten läßt.

Die Pillen und Pulver waren übrigens gänzlich erfolglos geblieben – vielleicht auch deshalb, weil sie Niemand

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genommen hatte – der Vorschlag wurde nun gemacht, daß sie künftig eine Flasche Pisco begleiten solle, da nach Flash-Jack’s Meinung unaufgelöste Medizin doch nur höchst trockener Stoff sei und etwas Gutes verlangte, womit man sie hinunter waschen könne.

Bis dahin hatte unser eigner M. D. Doktor Lattengeist keinen weitern Theil an dem Spas genommen; als uns Johnson aber zum dritten Male besuchte, nahm er ihn bei Seite und hatte eine Privatberedung mit ihm. Ueber was eigentlich konnten wir nicht genau heraus bekommen; nach einigen bezeichnenden Geberden aber kam es mir vor, als ob er ihm die Symptome irgend einer geheimnißvollen Desorganisation seiner Eingeweide beschriebe, die allerdings erst augenblicklich eingetreten sein mußte. Da er im Stande war, medizinische Ausdrücke nach Herzenslust zu gebrauchen, so mußte er auch wohl einen besonderen Eindruck auf den fremden Doktor gemacht haben, denn Johnson versprach ihm endlich, als er uns verließ, ganz laut, daß er ihm das Verlangte gewiß schicken würde.

Als der Medizinjunge am nächsten Morgen kam, nahm ihn der Doktor wie gewöhnlich in Empfang und zog sich nachher mit einem kleinen Gläschen, das einen dunkelbraunen Saft enthielt, zurück. Diesmal fanden wir wenig anderes im Korb, als eine große Flasche Brandy, über die wir uns endlich dahin vereinigten, daß der Inhalt in die Hälfte

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einer Cocosschale nach und nach ausgeschenkt und Jedem ein gehöriger Schluck verabreicht werden solle.

Als weiter nichts medizinisches mehr zu bekommen war, zerstreuten sich die Leute.

Ein oder zwei Stunden waren vergangen, als Flash-Jack die Aufmerksamkeit der Uebrigen auf meinen langen Freund lenkte, den wir bis dahin gar nicht weiter beachtet hatten. Mit geschlossenen Augen lag er hinter den Fußblöcken und Jack hob seinen Arm und ließ ihn wieder fallen als ob er todt, oder wenigstens ganz besinnungslos wäre. Da ich mit den Uebrigen zu ihm hinlief, so vermuthete ich augenblicklich daß dieser Zustand mit dem kleinen Fläschchen in Verbindung stehen müsse, ich untersuchte deshalb seine Taschen und fand auch bald daß ich mich nicht getäuscht hatte. Es war Opium.

Flash-Jack riß es mir jubelnd aus der Hand, unterrichtete die ganze Gesellschaft von dem was es sei, und schlug vor, ein kleines gemeinschaftliches Schläfchen zu halten. Einige von diesen verstanden ihn nun nicht ganz und der anscheinend selige Lattengeist – der übrigens so still lag, daß ich die Echtheit seines Schlafes schon zu bezweifeln anfing, wurde jetzt wie ein bewußtloses Stück Holz herumgerollt, um gewissermaßen als erläuterndes Beispiel zu dienen, wie entsetzlich stark die Wirkung dieses Trankes sei.

Dieser Gedanke gefiel ihnen ungemein; sie warfen sich

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also nieder und ließen das Fläschchen von Hand zu Hand gehen, wonach dann ein Jeder, als ob die Wirkung auch gleich folgen müsse, sobald er seinen Schluck genommen, den Kopf zurück sinken ließ, die Hände auf den Magen faltete und die Augen schloß.

Gefahr hatte dieses Opium nun auch keineswegs, denn das Fläschchen war sehr klein und da es regelmäßig vertheilt wurde, so kam aus Jeden nur eine höchst unbedeutende Quantität; dennoch war die Wirkung fast wunderbar. Wie die Todten lagen sie da, Keiner rührte ein Glied und nur hie und da kam es mir vor, als ob einer oder der Andre unter den Augenlidern hervorblinze.

Da kam ein Junge gerannt und meldete den Doktor Johnson, war aber nicht wenig verwundert, als ihn plötzlich ein fast einstimmiges lautes Schnarchen als Antwort entgegen schallte; es dauerte auch gar nicht lange, so kam der Doktor heran und staunte allerdings, seine Patienten in solch unbegreiflichem Schlaf versenkt zu finden.

– Daniel, rief er endlich und stieß den Verlangten mit seinem Stock in die Seite; Daniel, mein guter Mann, richtet Euch auf, – hört Ihr?

Aber Daniel hörte nicht, und er wandte sich nun an den nächsten Schläfer.

– Joe, Joe, wach auf, ich bin es, Doktor Johnson.

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Jingling Joe aber nahm mit offnem Mund und geschlossenen Augen weder von dem Doktor noch von seinen Worten Notiz.

– Segne meine Seele! rief dieser endlich mit erhobenen Händen, was ist den Leuten passirt? Halloh, Ihr da, schrie er dann und lief von Einem zum Andern, kommt zu Euch, – was um des Himmelswillen fehlt Euch denn? – Und er schlug auf die Blöcke und schrie immer lauter und lauter.

Es half ihm aber nichts. Wir blieben wie aus Stein gehauen liegen. Endlich hielt er inne, faltete über den Knopf seines Stockes die Hände und schaute uns Alle mit prüfendem Blicke an. Lautes Schnarchen war das Einzige, was an sein Ohr schlug; ein neuer Gedanke schien in ihm aufzusteigen.

– Ja, ja, murmelte er vor sich hin, die Schurken müssen sich benebelt haben. Nun, nun das geht mich weiter nichts an; da bin ich aber auch jetzt hier überflüssig. Und mit langen Schritten wandte er sich der Stadt wieder zu.

Kaum war er hinter den Bäumen verschwunden als wir, wie mit einem Zauberschlag, auf die Füße sprangen und lautes Gelächter im Waldesdom erschallte.

Ich hatte, wie wahrscheinlich die Andern Alle, das Ganze unter den halbgeschlossenen Augenlidern hervor beobachtet und wunderbarer Weise befand sich jetzt der

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Doktor eben so munter wie alle Uebrigen. Weshalb er Opium genommen – wenn das überhaupt geschehen, weiß ich allerdings nicht, er muß jedoch dazu wohl seinen guten Grund gehabt haben, und da das weder mich noch den Leser weiter angeht, so welken wir es auch dabei bewenden lassen.


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Capitel XVII.
Wir werden vor den Consul und Capitän geführt; die französischen Priester besuchen uns.

Wir waren etwa zwei Wochen in der Calabouse Beretanee als Capitän Bob eines Morgens splitternackt und nur mit einem Arm voll alter Tappa zu uns kam und sich bei uns ankleidete um auszugehen.

Diese Operation war sehr einfach. Die Tappa bestand aus einem einzigen langen Stück von der gröbsten Art, dessen eines Ende er an den ersten Stamm befestigte, der als Säule unserer Calabouse Dach trug; dann, soweit es ihm die Länge des Zeugs erlaubte, zurück trat, das Ende, was er hielt um seinen Leib befestigte und sich nun bis an den Pfosten fest hinanwickelte. Dies wunderliche Costüme mußte natürlich seine Wohlbeleibtheit noch vermehren, so daß er förmlich im Gange watschelte. Bob blieb jedoch nur der Tracht seiner Vorfahren getreu, denn in alter Zeit war der „Kihee“ oder große Gürtel für beide Geschlechter Mode

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gewesen, und er als Gentleman von der alten Schule, jede Neuerung hassend, blieb „der letzte der Kihee’s“, dem frühern Brauche treu.

Er kündigte uns jetzt an, daß er Befehl habe, sämmtliche Gefangenen vor den Consul zu führen und ganz zufrieden damit bildeten wir eine Prozession, und begann mit dem alten keuchenden Mann an der Spitze, unsern Marsch nach der Stadt, während wir von einigen zwanzig Eingeborenen begleitet oder vielmehr bewacht wurden.

Als wir die Office des Consuls erreichten, fanden wir Wilson dort, der mit noch vier oder fünf Europäern in einer Reihe saß und dadurch wahrscheinlich einen etwas imponirenden Eindruck auf uns hervorbringen wollte.

Auf einer Seite war ein Lager angebracht, auf welchem Capitän Guy ruhte, er sah etwas besser aus und beabsichtigte, wie wir hörten, bald wieder an Bord seines Fahrzeugs zu gehen. Er sagte übrigens gar nichts und überließ dem Consul die ganze Verhandlung.

Dieser erhob sich jetzt und ein mit einer rothen Schnur zugebundenes Papier aufrollend, las er uns den Inhalt ab.

Wie wir bald fanden war es ein Zeugniß von John Jermin, Obersteuermann der brittischen Colonienbarke Julia, Guy, Master, und wies sich, als ein langer Bericht von Thatsachen aus, die schon von der Barke Auslaufen in Sidney an, bis zu unsrer Ankunft im Hafen

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gesammelt sein mußten. Obgleich nun so künstlich gestellt, daß es gegen uns Alle hart zeugen mußte, so war es doch in den einzelnen Details ziemlich correct, überging jedoch Alles, was sich Jermin selber hatte zu Schulden kommen lassen, gänzlich mit Stillschweigen, was den Schlußworten eine besondere Wichtigkeit verlieh. Diese lauteten nemlich:

„– und weiterhin saget dies Dokument nichts.“

Wir sahen uns Alle nach dem Steuermann um; er war aber nicht gegenwärtig.

Das nächste Zeugniß bestand aus des Capitäns Aussage, der sich jedoch, wie Alles, was dieser unglückliche junge Mann bis dahin hervorgebracht, als ziemlich unbedeutend erwies und schnell beseitigt wurde.

Die dritte Anklage war die der an Bord zurückgebliebenen Seeleute, den Verräther Spunt mit eingeschlossen, der wie es schien als „Schiffszeuge“ aufgetreten war. Sie erwies sich als ein wirklich nichtswürdiges Stück von Uebertreibung und die, die es unterschrieben hatten, wußten sicher nicht, was es bedeutete; Wymontoo aus keinen Fall, dessen Zeichen ebenfalls darunter stand. Umsonst befahl der Consul während dies verlesen wurde, wiederholt Stillschweigen; bei jedem Paragraph brachen wir in lautes Geschrei aus.

Nachdem dies beendet worden, zog Wilson, der indessen so steif wie eine Handspeiche dagesessen, feierlich die Schiffsartikel aus ihrer Blechbüchse; dies Dokument sah schauerlich

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schmutzig und gelb und verblichen aus und konnte kaum noch entziffert werden, nichts desto weniger las es der Consul und frug endlich, während er auf die Zeichen der darunter angegebenen Mannschaft deutete, ob wir diese als die unsrigen erkännten.

– Ach, was hilft denn das viele Fragen, fuhr der schwarze Dan dazwischen. Capitän Guy weiß so gut wie wir, daß wir es unterschrieben haben.

– Ruhe Sir, gebot Wilson, der durch solche Fragen gehofft hatte einen ganz besonderen Eindruck auf die Matrosen hervorzubringen, sich nun aber durch des alten Seemanns Derbheit getäuscht sah.

Eine Pause von mehreren Minuten entstand nun, während welcher die Richter mit Capitän Guy einerseits mit halblauter Stimme das Obige besprachen, während wir uns indessen die Köpfe zerbrachen, was Wilson wohl dabei beabsichtigt haben könnte, solche Klagen aufzusetzen.

Die allgemeine Ansicht sprach sich endlich dahin aus, das Ganze sei nur deshalb geschehen, uns einzuschüchtern. Und so war es denn auch, denn Wilson, der jetzt aufstand, redete uns bald auf folgende Art an:

– Ihr seht, Leute, daß jede Vorbereitung getroffen ist, Euch nach Sidney in Euer Verhör zu schicken. Die Rosa (ein kleiner australischer Schooner, der damals im Hafen lag) segelt in höchstens zehn Tagen dorthin ab, die Julia

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wird heute über acht Tage auslaufen. Weigert Ihr Euch noch immer an ihren Bord zu gehen?

Ein einstimmiges „Ja“ antwortete ihm.

Hierauf wechselten der Consul und der Capitän Blicke miteinander und der Letztere konnte den Ausdruck bittrer Täuschung gar nicht verbergen.

Da gewahrte ich plötzlich wie Guy’s Auge auf mir haftete und jetzt zum ersten Male sprach er; er befahl mir nemlich, näher zu ihm zu kommen. Ich trat gegen ihn hin.

– Wart Ihr es nicht, den wir von der Insel aufnahmen?

– Ja.

– Ihr seid es also, der sein Leben meiner Menschlichkeit verdankt; aber sehen Sie, Mr. Wilson, das ist die Dankbarkeit eines Matrosen.

Diese Beschuldigung konnte ich nicht auf mir sitzen lassen und erklärte ihm nun ziemlich rund heraus, daß ich recht gut wisse, weshalb er ein Boot in die Bai gesandt habe. Seine Mannschaft war durch Deserteure so geschwächt worden, daß er nur Matrosen dort zu finden hoffte, die er nothwendig brauchte. Das Fahrzeug selbst war die Ursache meiner Rettung nicht der Capitän desselben.

Doktor Lattengeist hatte ebenfalls ein paar Worte mit einzulegen und schilderte Capitän Guy’s Charakter in einem

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kurzen Abriß, aber zum Vergnügen der anwesenden Matrosen höchst treffend.

Die Sache schien jetzt eine ernsthafte Wendung nehmen zu wollen; die Matrosen wurden immer lauter und fingen schon an, davon zu reden, daß sie am besten den Capitän und Consul mit in die Calabouse nähmen.

Die andern Richter geboten mehrmals Schweigen und dies wurde auch endlich wieder hergestellt. Dann redete uns Wilson zum letzten Male an, sagte noch etwas über die Rosa und Sidney und beschloß damit uns besonders darauf aufmerksam zu machen, daß noch eine volle Woche verginge, ehe die Julia segle.

Wahrscheinlich hoffte er, dies werde bei ruhiger Ueberlegung seine Wirkung auf uns nicht verfehlen, und entließ uns worauf er Capitän Bob befahl, den Rückmarsch mit seinen Gefangenen anzutreten.

Zwei Tage nach den oben beschriebenen Vorfällen wurden wir eines Morgens durch den Besuch von drei französischen Priestern beehrt, und wir mußten diese auf jeden Fall für besser erzogen als die englischen Missionäre halten, welche Letztere uns nur ihre Karten in Gestalt eines ganzen Packets Traktätchen geschickt hatten.

Die französischen Priester wohnten jetzt nemlich gar nicht weit von uns. Sobald man ein kleines Stückchen die Besenstraße hinabwandelte sah man schon von fern ein roh

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errichtetes Kreuz durch die Bäume schimmern und kam bald zu einem wunderlieblichen Platz. Oben ein sanfter Hügel mit Brodfruchtbäumen bepflanzt, zu dem sich eine weite Savannah bis zu einer Palmengruppe hinabzog, zwischen denen wieder die blauen sonnigen Wogen hervorschimmerten. Auf dem Gipfel des Hügels stand eine einfache Capelle von Bambus, die das Kreuz überragt. Zwischen den Rohrstücken hindurch erspähten dann manchmal die neugierigen Eingeborenen einen kleinen tragbaren Altar mit Kruzifix und mit vergoldeten Leuchtern und Rauchpfannen. Ihre Neugierde führte sie aber nicht weiter, denn nichts hätte sie bewegen können, dort zu beten, solche wunderliche Ideen hatten sie von den gehaßten Fremden. Messen und Gesänge waren in ihren Augen nichts weiter als böse Zauber und die Priester selber um wenig besser als diabolische Hexenmeister, wie jene, die in alten Zeiten ihre Vorväter geängstigt.

Dicht bei der Capelle stand eine Reihe von Häusern der Eingebornen, die hübsch ausgestattet und ihnen von einem Häuptling überlassen waren. Hier, und noch dazu ganz behaglich, wohnten die Priester, die auch wohl heilig und ehrwürdig genug aussehen mochten, daheim aber, ging das Gerücht, sollten sie einer Gesellschaft von Bruder Tucks gleichen, priesterliche Gelage mit rothem Brandy halten und sehr spät des Morgens aufstehen.

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Wie schade, daß sie nicht heirathen durften – wie schade für die Damen der Insel nemlich und für die Moralität überhaupt, denn was hatten diese geistlichen alten Junggesellen mit einer solchen Menge von niedlichen, kleinen Aufwärterinnen zu thun? Diese jungen Damen waren die Ersten die sie bekehrten und, o wie andächtig beteten sie.

Die Priester wurden, wie ich schon gesagt habe, für Zauberer gehalten; ihre Erscheinung widersprach jedoch dem vollkommen.

Zwei von ihnen waren kleine halbeingetrocknete Franzosen mit langen steifen Gewändern von schwarzem Tuch und fürchterlichen dreieckigen Hüten, die so entsetzlich groß waren, daß die ehrwürdigen Väter, wenn sie dieselben aufsetzten, stets drein schauten, als ob sie Lichter wären und sich auslöschen wollten.

Ihr Begleiter trug eine sehr verschiedene Tracht, und zwar eine Art Schlafrock von gelbem Flanell und einen breiträndigen Manilla Hut; dabei war er groß und breitschultrig, mit gelbem Teint, blauen Augen, gesunden Zähnen und dem richtigen breiten irischen Dialect. Er hieß denn auch Vater Murphy der Ire, und alle protestantischen Ansiedlungen in Polynesien haßten ihn wie die Sünde. In früher Jugend war er in ein frommes Stift nach Frankreich gesandt worden, und seit der Zeit erst ein oder zweimal wieder in dem Lande seiner Geburt gewesen.

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Vater Murphy kam nun mit schnellen Schritten auf uns zu und frug uns gleich von Anfang an, ob einige seine Landsleute wären; zwei waren denn das auch wirklich; der eine, ein blondlockiger, wilder Bursche, der als junger Irländer natürlich Pat hieß; der Andre dagegen, ein häßlicher, und fast melancholisch aussehender Spitzbube, ein gewisser M’Gee, dessen Lebensaussichten eine allzufrühe Deportation nach Sidney vernichtet haben mochte, so hieß es wenigstens, wenn das Gerücht nicht log.

Die meisten meiner Schiffsgefährten besaßen auch, so roh und wüst sie sonst sein mochten, wenigstens etwas, was für sie sprach, M’Gee dagegen gar nichts, und oft, wenn ich gezwungen war mit ihm zusammen zu leben, habe ich es bedauert, daß der Galgen nicht früher das beansprucht, was ihm gebührte. Es schien ordentlich als ob die Natur, da sie ihn doch nicht mehr aus der Welt zurückhalten konnte, wenigstens alles Mögliche gethan hatte, seinen Charakter außer allem Zweifel zu stellen. Schon seine Augen verriethen den ganzen Menschen; sie sahen aus, als ob eines dem andern nicht recht traute.

Der dicke Priester wandte sich denn auch augenblicklich an das gutmüthige Gesicht Pat’s, der mit einem schelmischen Lächeln, die enormen Filzdeckel der beiden andern Priester betrachtete, unter denen die beiden kleinen Franzosen wie schwarze Schnecken hervorpepten.

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Pat und der Priester stammten aus ein und derselben Stadt im Meath und sobald sie dies gegenseitig herausbekommen, so war kein Ende mehr mit Fragen, Pat erschien ihm wie ein Brief aus der Heimath und sagte ihm hundertmal so viel. Nach einem langen Gespräch zwischen den beiden und einem klein wenig gebrochenem Englisch, das die Franzosen einwarfen, empfahl sich unser Besuch wieder. Vater Murphy hatte aber kaum zwanzig Schritt gemacht, als er auch schon wieder zurückkam und frug, ob wir irgend etwas brauchten.

– Ja, rief Einer, etwas zu essen.

Und hierauf versprach er uns frisches Weizenbrod zu schiefen, das er selbst gebacken, und das in Tahiti für einen großen Luxusartikel galt. Wir alle wünschten Pat Glück einen solchen Freund gefunden zu haben, und versicherten ihm, daß er jetzt ein gemachter Mann sei.

Am nächsten Morgen erschien ein französischer Diener des Priesters, mit einigen Kleidungsstücken für den jungen Mann, und Brod für die ganze Gesellschaft. Da sich Pat’s Kniee und Elbogen in einem gar traurigen Zustand befanden, mit dem unsere Mägen vollkommen harmonirten, so kann man sich leicht denken, welchen angenehmen Eindruck die Gaben auf alle dabei Betheiligten machten.

Am Nachmittag kam Vater Murphy selbst noch einmal und gab, außer den kaum minder werthvollen Geschenken,

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Pat auch noch manchen guten Rath, wobei er sagte, es thäte ihm leid, daß er ihn gefangen sähe und er wolle wegen seiner Freiheit mit dem Consul sprechen.

Erst zwei oder drei Tage später kam er wieder; erklärte aber, daß der Consul unerbittlich wäre und ihm nur unter der Bedingung Freiheit verstatten wolle, wenn er augenblicklich wieder an Bord seines Schiffs ginge; das rieth er ihm denn auch von Herzen an zu thun, denn Wilson mochte wohl einige fürchterliche Drohungen haben fallen lassen, was geschehen würde, wenn wir noch länger widerspenstig wären. Pat dagegen blieb standhaft und ließ sich durch gar nichts irre machen.

Des Priesters Vorwort mußte aber doch wohl einigen Eindruck auf den Consul gemacht oder ihn auf die Idee gebracht haben, noch einen andern Weg zu versuchen, denn am nächsten Tag schon schickte Wilson und ließ Pat zu sich nach Papeetee kommen, wo dieser volle drei Tage blieb.

Dort hatten sie ihn nemlich an Bord des Schiffs gebracht und ihn, um ihn zu bestechen zuerst in die Kajüte geschafft und nach Herzenslust traktirt, was sich Pat auch ruhig gefallen ließ; sobald er sich aber erklären sollte, sagte er: Nein; und nun warfen sie ihn in den untern Raum in doppelte Eisen; aber auch hier ließ er sich nicht irre machen und so mußten sie ihn denn endlich, nach vieler Mühe und entsetzlichem, Aerger zu uns zurückschicken. Wahrscheinlich

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hatten sie gehofft, seiner Jugend wegen leichter auf ihn einwirken zu können. Pat sah aber nur wie ein Knabe aus, an Geist war er es keineswegs.

Das Interesse nun, das Pat’s Landsmann an ihm nahm, übte seinen wohlthätigen Einfluß auch auf uns aus, noch dazu, da wir sämmtlich katholisch wurden und an jedem Morgen zu Capitän Bob’s nicht geringem Entsetzen die Messe hörten.

Als er es herausbekam drohete er auch, er wolle uns in den Fußblöcken lassen, wenn wir nicht davon abständen; es blieb aber bei der Drohung und fast einen und den andern Tag schlenderten wir nach der Wohnung des heiligen Mannes hinüber, hörten die Messe und bekamen etwas Gutes zu essen und zu trinken.

Doktor Lattengeist und ich wurden ganz besonders die Lieblinge des Irischen Priesters, der uns oft aus einem, sehr versteckt gehaltenen, Reisekeller, regalirte. Dieser hielt vier große eckige Glasflaschen und wurde sonderbarer Weise und so oft wir auch einen recht wackern Anlauf nahmen, nie ganz leer. In der That war der alte Irländer ein prächtiger Bursche, und Seele und Antlitz glühte ihm immer im heiligsten Feuer.

Ich trinke nie französischen Brandy ohne daß ich Vater Murphy recht von Herzen leben lasse. Mag es ihm wohl gehen und er noch recht fröhliche Proselyten machen.


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Capitel XVIII.
Die kleine Jule segelt ohne uns.

Um uns die ausgesprochene Drohung recht wahrscheinlich zu machen, ließ ans Wilson nach dem Kinderspiel mit den vorgebrachten Klagen nochmals vor sich kommen.

Dieselbe Geschichte wurde noch einmal durchgespielt, ohne daß er dadurch ein andres Resultat erreichte, was ihn besonders deshalb sehr ärgern mußte, da er jetzt nothwendiger Weise anfing einzusehen, daß wir ihn und seine Pläne durchschauten oder uns wenigstens nicht im mindesten vor alle dem fürchteten, was er gegen uns unternehmen konnte.

Wahrscheinlich hatte er damals, als Guy ihm zuerst sein Leiden klagte, damit groß gethan, wie bald er uns wieder zum Gehorsam zwingen wolle; aber Drohungen, Handschellen, Fußblöcke, geheimnißvolle Andeutungen und Gott weiß was sonst noch, war alles umsonst verschwendet worden und er sah sich an derselben Stelle als vorher. Wir wußten recht gut, wie das bis jetzt Geschehene keine ernsthaften

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Folgen für uns haben könne und lachten Wilson deshalb mit all seinem unsinnigen Großthun aus.

Vom Steuermann sahen wir nichts mehr, seit er die Julia verlassen, hörten aber oft genug von ihm.

Es schien daß er an Bord blieb und dort ganz allein Haus hielt, während Viner, der ihn manchmal besuchte, endlich ganz sein Gast wurde. Diese beiden Bursche hatten jetzt gute Zeiten; sie zapften des Capitäns Fässer an, spielten Karten und gaben Abends Ball, wozu sie die Damen vom Ufer aus einluden. In der That trieben sie es so arg, daß sich die Missionäre endlich beklagten und der Steuermann einen tüchtigen Verweis vom Capitän erhielt.

Dies kränkte ihn so, daß er immer noch mehr trank. Eines Nachmittags, wo er mit einer außergewöhnlich starken Ladung auf dem Verdeck stand, fühlte er sich plötzlich durch das Betragen einer Anzahl von Eingebornen beleidigt. Diese nämlich wollten in einem großen Canoe vorbeirudern, als sie Jermin plötzlich anschrie, sie sollten an Bord kommen und ihre Papiere zeigen; darüber erschraken die armen Teufel so, daß sie die Flucht ergriffen und dem Ufer zuruderten. Jermin aber, über solche Hintansetzung jeder Höflichkeit empört, ließ augenblicklich sein eignes Boot herunter, bewaffnete Wymontoo und den Dänen mit mächtigen Schiffssäbeln und selbst eine ähnliche Wehr ergreifend,

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sprang er in das Boot hinab, an dessen Stern die Schiffsflagge wehte und folgte den Flüchtigen.

Die entsetzten Wilden, die natürlich glaubten sie hätten es mit Piraten zu thun, erreichten das Ufer, rissen ihr Canoe auf den Strand und flohen nun schreiend durch die Stadt, während der Steuermann, ihnen dicht auf den Hacken, mit seinem Säbel links und rechts um sich hieb. Eine Menschenschaar versammelte sich bald und der „Karhowree toonee“ ward gefaßt und vor Wilson gebracht.

Nun traf es sich zufällig, daß Wilson gerade in dem Hause eines Eingebornen mit Capitän Guy gemüthlich bei einer Parthie Cribbage saß, während eine vollbäuchige Brandyflasche daneben Wache stand. Dies machte aber einen so besänftigenden Eindruck auf den Steuermann, daß er jeden feindseligen Gedanken augenblicklich fahren ließ und sich erbot mitzuspielen. Der Consul befand sich zu dieser Zeit fast eben so angetrunken wie Jermin selber und hatte nichts dagegen, und da auch der Capitän seinen Steuermann nicht beleidigen durfte, so saßen die Drei denn gar bald friedlich und traulich beisammen und hielten die ganze Nacht aus. Von Jermins Vergehen wurde natürlich nicht wieder gesprochen.

Etwas Erzählungswerthen entstand aber doch aus diesem Streich.

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In Papeetee wanderte zu dieser Zeit eine kleine alte englische Hexe herum, die von den Matrosen, „Mütterchen Tot“ genannt wurde. Diese hatte von Neuseeland bis zu den Sandwichinseln fast das ganze stille Meer durchzogen und hielt überall eine kleine Hütte, wo sie Seeleute mit Nachtquartier, Rum und Würfeln versorgte. Auf den Missionärinseln mußte ein solches Geschäft natürlich als sehr strafbar erscheinen und an verschiedenen Orten hatten sie Mütterchen Tot’s Laden geschlossen und diese mit ihrem ganzen Kram auf das erste Schiff gebracht, das veranlaßt werden konnte, sie irgend wo anders hinzubringen. Sie ließ sich aber nicht irre machen und begann mit einer unglaublichen Ausdauer, wohin sie auch kam, jedes Mal ihr Geschäft von neuem, so daß sie bald berüchtigt wurde.

Ein kleiner einäugiger Schuhflicker, dem sie es auf eine oder die andere Art angethan haben mußte, folgte ihr überall umher, besserte Schuhe für weiße Leute aus, kochte für die Alte, und ließ sich, ohne zu murren, tagtäglich und auf das Gotteslästerlichste von ihr heruntermachen. Sonderbarer Weise kam ihm dabei eine alte zerfetzte Bibel selten von der Seite, und wenn er nur einen Augenblick Zeit hatte, und es hinter dem Rücken seiner Dame thun konnte, so saß er und studirte darin. Diese fromme Eigenschaft brachte dann die alte Dame in die äußerste Wuth und gar nicht selten schlug sie ihm das Buch um die Ohren und suchte es zu

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verbrennen. Mutter Tot und ihr Mann Joseph waren in der That ein wunderliches Paar.

Doch zu meiner Erzählung.

Etwa eine Woche nach unsrer Ankunft im Hafen war die alte Dame wieder einmal gezwungen worden, ihr Geschäft aufzugeben und das zwar hauptsächlich durch Wilsons Einfluß, der, aus irgend einer unbekannten Ursache, sie gründlich haßte. Die Alte natürlich fühlte dieselbe freundliche Zuneigung für ihn.

An dem Abend nun, wo sich der Consul mit seinen Freunden so wohl befand, schritt sie an jenem Hause vorbei, schaute neugierig durch die Bambus und erkannte kaum ihren alten Feind in solchem Zustande, als sie auch schon beschloß, diesen Moment zu benutzen, um ihre Rache an ihm auszulassen.

Da die Nacht sehr dunkel war, eilte sie erst heimwärts, eine alte, ungeheure Schiffslaterne, die gewöhnlich in ihrer Hütte hing, zu holen; damit kehrte sie nach dem Hause zurück und wartete nun geduldig, bis die Zecher aufbrechen würden. Dies geschah etwa um Mitternacht und Wilson ging voran, während zwei Eingeborene ihn zu beiden Seiten unterstützten und aufrecht hielten; gerade aber als sie in den dunkeln Schatten einer Straße traten, wurde dem aufs Aeußerste erstaunten Wilson ein blendendes Licht dicht an die Nase

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gehoben, während die alte Hexe vor ihm kniete und die Laterne mit ausgestreckten Händen ihm entgegen hielt.

Hahaha, mein feiner Rathsherr, Ihr verklagt eine arme alte Frau wie ich bin, weil sie Rum verkauft, und jetzt laßt Ihr Euch selber betrunken nach Hause führen? Pfui, Ihr Schrift, ich verachte Euch.

Und sie spie ihn an.

Die armen Eingeborenen über das, was sie für eine übernatürliche Erscheinung hielten, zum Tode erschreckt, ließen den zitternden Consul fallen und flohen nach allen Seiten; Mutter Tot aber, nachdem sie ihrem vollen Grimm erst Luft gemacht, hinkte fort und ließ die drei Zecher sehen, wie sie allein nach Hause kamen.

Am folgenden Tage nach unserer Zusammenkunft mit Wilson erfuhren wir, daß Capitän Guy an Bord seines eignen Fahrzeugs gegangen sei, um neue Mannschaft anzunehmen. Ein gutes Handgeld wurde geboten und ein schwerer Sack mit spanischen Dollars lag neben den zum Unterzeichnen auf der Gangspilltrommel ausgebreiteten Schiffsartikeln.

Nun befanden sich gerade eine Menge müßiger Matrosen am Ufer und zwar größtentheils Beachcombers, die sich zu einer förmlichen Bande organisirt und einen Schotten Namens Mack zu ihrem „Commodore“ gewählt hatten. Nach den Gesetzen dieser Brüderschaft war es keinem Mitglied

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gestattet, sich auf irgend einem Fahrzeug einzuschiffen, ohne daß er von den Uebrigen die Erlaubniß dazu bekommen, und da sich fast alle entlassenen Seeleute gezwungen sahen, dieser Gesellschaft beizutreten, so controllirte sie förmlich den Hafen.

Mack und seine Leute kannten nun unsere Geschichte sehr gut, ja hatten uns sogar mehrmals besucht und waren, was sie als Matrosen auch sein mußten, aufgebracht gegen Capitän Guy.

Da sie nun die Sache für wichtig hielten, so kamen sie in Masse zu uns in die Calabouse, und wollten wissen, ob wir, Alles in Betracht gezogen, es für vortheilhaft hielten, daß ein Theil von ihnen an Bord der,Julia ging.

Natürlich war unser Hauptzweck und Wunsch, die Julia sobald als möglich aus dem Hafen zu bekommen und wir antworteten deshalb auch unbedingt: Ja; Einige priesen sogar die Julia bis in den Himmel hinein, als das beste und schnellste Schiff, das es nur geben könne. Jeemin wurde ebenfalls als guter und braver Matrose gelobt und was den Capitän betraf, so war das ein ruhiger Mann, der Niemand etwas in den Weg legte. In der That wurde Alles hervorgesucht, was wir nur zum Vortheil des alten Schiffes sagen konnten und Flash-Jack versicherte zuletzt feierlichst, daß uns jetzt, da wir wieder Alle wohl und gesund wären,

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nichts verhindern würde, an ihren Bord zurückzukehren, wenn es nicht gälte, das Princip durchzufechten.

Das Resultat war, daß die Julia endlich neue Mannschaft bekam und zwar einen ordentlichen Neu-Engländer als Unter- Steuermann und drei gute Walfischfänger als Harpuniere.

Dabei wurde auch Alles an dem Schiff ausgebessert, was auszubessern war, und an Provisionen eingekauft, was nur ein Platz wie Tahiti liefern konnte. Was den Mowree betraf, so weigerte sich das Gericht ihn ans Ufer zu lassen und er wurde geschlossen mit in See genommen. Was weiter mit ihm geschah, habe ich nie gehört.

Ropey, der arme, arme Ropey, der ein paar Tage vorher, ehe die Julia segelte, krank geworden, wurde in Townor (ein kleiner Platz am Strande zwischen Papeetee und Matavai) im Matrosenhospital zurückgelassen. Hier starb er kurze Zeit darauf, aber Niemand wußte woran, wahrscheinlich haben ihn die harten Zeiten umgebracht. Mehrere von uns sahen ihn in dem Sande verscharren und ich selbst grub dort einen rohen Pfosten ein, um seinen Ruheplatz zu bezeichnen.

Der Böttcher und die Uebrigen, die gleich von Anfang an Bord geblieben waren, bildeten natürlich auch jetzt wieder einen Theil der Mannschaft.

Um übrigens dem Leser das Betragen des Consuls und Capitäns zu erklären, die sich solche entsetzliche Mühe gaben,

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uns wieder an Bord zu bekommen, wird es nur weniger Worte bedürfen.

Außerdem, daß in Tahiti ein jeder Matrose 15 bis 25 Dollar Handgeld verlangt, so muß auch eine gleiche Summe für jeden einzelnen Mann als Hafengeld an die Regierung gezahlt werden. Auch schiffen sich diese Leute, mit nur wenigen Ausnahmen, fast stets für eine Fahrt ein, und verlassen also das Schiff schon wieder, ehe es die Heimath erreicht, was den Capitän natürlich zwingt, noch einmal andere Matrosen, und zwar für einen ähnlichen Preis, zu werben. Nun befand sich der Schatzmeister der Julia in sehr traurigen Umständen und es mußte, um nur die nothwendigsten Ausgaben zu bestreiten, ein Theil des schon gewonnenen Thranes für einen Spottpreis in Papeetee verkauft werden.

Es war ein Sonntag in Tahiti und ein herrlicher Morgen als Capitän Bob in die Calabouse watschelte und uns durch eine Nachricht überraschte.

– Ah, meine Bursche, rief er aus – schiffin Ihr – Harrin – machi Segel – Mit andern Worten, die Julia stach in See.

Der Strand war nicht fern, und an diesem Theil fast ganz unbewohnt; dorthin liefen wir also und sahen, in etwa Cabelslänge, die kleine Julie vorbeigleiten. Ihre Bramsegel waren gesetzt und ein kleiner Knabe saß mit einem

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Beine über der Oberbramraae und löste das Royal. Das Verdeck lebte und wehte, und die Matrosen arbeiteten und sangen auf dem Vorcastle, während sie die Anker lichteten; der wackere Jermin stand mit bloßem Kopf, wie er stets gewohnt war, auf dem Bugspriet und gab seine Befehle.

Neben dem Mann am Rad lehnte Capitän Guy sehr ruhig und vornehm und rauchte seine Cigarre.

Bald darauf erreichte das Fahrzeug die Riffe und glitt, seine Richtung ändernd, durch den Engpaß in die offne See hinaus. So verschwand, nach etwa dreiwöchentlichem Aufenthalt im Hafen die kleine Julia, und ich habe nie wieder etwas von ihr gehört.


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Capitel XIX.
Jermin leistet uns einen guten Dienst. Freundschaften in Polynesien.

Da das Schiff nun einmal fort war, so wollten wir doch auch gern wissen, was nun mit uns geschehen würde; darüber konnte uns aber Capitän Bob gar nichts sagen, nur versicherte er uns, daß er noch alle als unter seiner Obhut stehend betrachten müsse. Uebrigens brachte er uns nie wieder zu Bett und wir konnten sonst thun und lassen was wir wollten.

An demselben Tage, an welchem uns die Julia verlassen, kam aber plötzlich der alte Mann in großer Noth zu uns und erklärte, daß er den Eimer Brod nicht mehr ausgeliefert bekäme; auch hätte Wilson sich geweigert, Lebensmittel hierher zu senden. Dies war natürlich nichts weiter, als ein freundschaftlicher Wink für uns, hinzugehen, wohin es uns beliebe; doch so leicht wollten wir uns nicht abschütteln lassen. Um daher unsern alten Feind zu ärgern, beschlossen

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wir noch da zu bleiben, wo wir wären. Ueberdies erfuhren wir auch, daß der Consul der Spott der ganzen Stadt wäre und sie ihn häufig mit seinen hoffnungsvollen Protegés in der Calabouse neckten.

Da wir uns auch ohne alle Hülfsquellen befanden, so gab es für uns gegenwärtig gar keinen bessern Platz, als die Calabonse; überdies hatten wir den alten Capitän Bob auch wirklich lieb gewonnen und dachten gar nicht daran, ihn so schnell zu verlassen.

Ueber unseren Lebensunterhalt suchten wir ihn zu beruhigen, denn wir beabsichtigten unser Fonragirsystem jetzt auf einen weiteren Umkreis auszudehnen.

Dem alten Jermin waren wir dabei nicht wenig verpflichtet, denn er hatte unsere Kisten mit ihren sämmtlichen Inhalt ans Ufer gesandt. Diese standen unter der Obhut eines kleinen, nicht gar entfernt wohnenden Häuptlings, dem übrigens der Consul befohlen hatte sie nicht auszuliefern; wir sollten dorthin gehen und jedesmal unsere Toilette machen.

Wir besuchten denn auch Mahinee, den alten Häuptling, und Capitän Bob begleitete uns, bestand aber dort so fest auf die Auslieferung unserer Sachen, daß Jener es nicht länger verweigern konnte. Die Kisten wurden nun in feierlicher Prozession in die Calabouse getragen, wo wir den innern Raum höchst geschmackvoll arrangirten und das Ganze

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so herstellten, daß der alte Bob und seine Freunde die Calabouse Beretanee für den am prächtigsten ausgestatteten Salon in ganz Tahiti erklärten. So lange wir die Calabouse in diesem Zustand ließen, wurden auch wirklich die Gerichtssitzungen der Eingeborenen dort gehalten, der Richter Mahinee und seine Gefährten nahmen auf den Kisten Platz, während die Verklagten und Zuschauer sich in voller Länge auf den Boden warfen; wir aber, die Fußblöcke als eine Art Gallerie betrachtend, gar andächtig zuschauten und unsere Meinung über die verschiedenen Verhandlungen abgaben.

Hier sollte ich eigentlich noch erwähnen, daß vor dem Abgang der Julia die Leute fast alle die Kleider, die sie möglicher Weise entbehren konnten, verhandelt hatten. Jetzt wurde aber beschlossen, sparsamer damit umzugehen.

Der Inhalt der Kisten bestand aus den wunderlichsten und gemischtesten Gegenständen, Nähzeug, Spließeisen, Streifen Kattun, Tauenden, Matrosenmessern und tausend andern Sachen, die ein Seemann nur brauchen kann. Kleidungsstücke fanden sich jedoch höchst mäßig darin und selbst nach mehrmaliger Durchwühlung konnten wir wenig mehr zu Tage fördern als alte Röcke, Ueberbleibsel von Jacken, Hosenbeine und dann und wann eine einzelne Socke; alle diese Dinge waren übrigens keineswegs werthlos, denn unter den armen Tahitiern wird jedes europäische Stück sehr

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geachtet. Es kommt ja von Beretanee, Fenooa, Pararee (England, das Land der Wunder) und das ist genug.

Die Kisten selber wurden für äußerst kostbar gehalten, vorzüglich die, die noch ganze Schlösser hatten und dem Inhaber erlaubten den Deckel zuzuschließen und mit dem Schlüssel fortzugehen. Risse, Sprünge wurden jedoch als große Fehler betrachtet und ein alter Bursche, dem des Doktors große und, beiläufig gesagt, wohlgefüllte Mahagonikiste besonders gefiel, blieb äußerst gern auf derselben sitzen, wobei wir ihn einmal erwischten, wie er eine Art Balsam auf einen Theil der sehr zerkratzten Politur strich, um die Schönheit des Deckels wieder herzustellen.

Man glaubt übrigens gar nicht, welche wunderbare Liebe die Eingeborenen für Matrosenkisten hegen; ja, die Frauen sollen ihre Männer fortwährend quälen, ihnen doch wo möglich eine solche zu verschaffen; man kann sich also denken, daß die Erlangung unseres Eigenthums, und zwar eines Eigenthums, das so werthvolle Gegenstände in sich schloß, ein sehr wichtiger Umstand für uns sein mußte.

Die Insulaner sind jedoch fast eben so wie andere Menschen; kaum war also bekannt geworden, daß wir plötzlich einen solchen Reichthum erlangt, als unser gutes Glück uns auch eine Masse von „Tayo’s“ oder Freunden brachte, die ungemein gern, nach dem Nationalgebrauch, ein Freundschaftsbündniß

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mit uns schließen und unsere leisesten Wünsche erfüllen wollten.

Die wirklich sonderbare Art, auf welche die Polynesier in unglaublich kurzer Zeit mit Andern innige Freundschaft schließen, verdient eine Bemerkung. Dies Gefühl hat auch wirklich einen edeln und schönen Ursprung; jetzt freilich ist es mehr in ein feiles, eigennütziges Verfahren ausgeartet und wird dem, den es betrifft, mehr zum Fluch als zum Segen.

Damals erfüllte das erste Erscheinen der Weißen die Herzen der Insulaner mit Liebe und Bewunderung und wir lesen noch oft von Kriegern, die in ihren Canoes zu den Schiffen hinausruderten und unter den wunderlichsten Geberden dem, der ihnen von den Fremden gefiel, ihre Freundschaft anboten. Diese Gewohnheit hat sich auf einigen Inseln auch noch bis auf den heutigen Tag erhalten.

Nicht gar so sehr weit von Tahiti entfernt liegt eine kleine Insel, die selten von Fahrzeugen berührt wird und an der ich einst vor Anker ging.

Natürlich hatten wir bald unter den einfachen Natursöhnen jeder seinen Freund. Der meinige war Poky, ein stattlicher junger Mann, der nie genug für mich thun konnte. Jeden Morgen nach Sonnenaufgang kam sein, mit allerlei Früchten beladenes Canoe, an unser Schiff, dort schaffte er seine Ladung an Bord und beseitigte den schwanken Kahn

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an Bugspriet, um jeden Augenblick bereit zu sein, irgend einen Auftrag für mich auszuführen.

Da er so unermüdlich war, so sagte ich Poky eines Tags, daß ich gern Muscheln und sonstige Merkwürdigkeiten hätte, und fort ruderte er augenblicklich und ließ vierundzwanzig Stunden nichts wieder von sich hören. Am nächsten Morgen erst glitt sein schwerbeladenes Canoe langsam am Ufer hin und der stark belaubte Gipfel eines jungen Baumes diente ihm dabei zum Segel. Um seine Ladung trocken zu halten, hatte er auch ein kleines Schutzdach über sein Boot gebaut, und dieses mit grüner Flechtenarbeit eingefaßt; darin aber lag eine Menge von gelben Bananas und Muscheln, junger Cocosnüsse und rothe Corallenzweige, zwei oder drei Stücken wunderlich geschnitztes Holz, einen kleinen Taschengötzen so schwarz wie Kohle, und Rollen von gedruckter Tappa.

Wir bekamen einen Feiertag, und als wie ans Ufer gingen war Poky natürlich mein Begleiter und Führer. Einen bessern hätte ich mir denn auch gar nicht wünschen können, denn von seinem schönen Lande kannte er jeden Zollbreit und während er mich herumführte, ward ich Jedem, der uns Begegnenden, als Poky’s „tayo hahowree nuee“ oder als sein intimer, weißer Freund vorgestellt.

Er zeigte mir alle Löwen der Insel, ja er that noch mehr, er führte mich auch zu einer reizenden kleinen Löwin,

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einer jungen Dame, der Tochter eines Häuptlings, deren Schönheitsruf sich so weit verbreitet hatte, daß er sogar bis auf die benachbarten Inseln gedrungen war, von denen Werber bis hierher kamen, unter andern Toobei, der Erbe von Tamatoy, des Königs von Raiatair – eine der Gesellschaftsinseln. Das Mädchen war auch wirklich schön, ein ganzer Himmel lag in ihren sonnigen Augen und ihr voller runder Arm schaute gar verführerisch unter dem weißen Tappagewande hervor.

Obgleich nun Poky’s Aufmerksamkeiten kein Ende nahmen, so erwähnte er doch nie das Wort, „Belohnung“ und als endlich der Tag unserer Abreise heranrückte, kam auch mit ihm sein Canoe bis an den Rand mit Geschenken für mich beladen. Ich gab ihm alles, was ich aus meiner Kiste entbehren konnte und ging dann an Deck, um meinen Platz an der Ankerwinde zu nehmen. Poky folgte mir und arbeitete mit mir an derselben Handspeiche.

Endlich lichtete sich der Anker und fort segelten wie auf der Bai, während mehr als zwanzig Schaluppen an unserm Stern hingen. Endlich verließen sie uns; so lange aber als ich die schlanken Boote erkennen konnte, stand Poky allein und regungslos im Vordertheil seines Canoes.


Ende des ersten Bandes.

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Druck von Breitkopf und Härtel in Leipzig.



  1. Dieses spirituose Getränk erhält seinen Namen von einer nicht unbedeutenden Stadt in Peru, wo es in großen Quantitäten gebraut wird; es ist an der ganzen westl. Küste von Südamerika wohl bekannt, auch schon nach Australien ausgeführt und sehr billig.
  2. Cockney werden von den Seeleuten gewöhnlich alle solche genannt, die sich mit dem Seewesen befassen wollen, aber nichts davon verstehen. Am häufigsten gebraucht man diesen Ausdruck von in London Geborenen.
  3. Das „Taboo“ ist ein ganz eigenthümliches und wohl noch keinem Europäer vollkommen klar gewordenes Gesetz – es verbietet theils, theils erlaubt es irgend etwas. Tabotirte Männer dürfen oft alle Theile der Insel durchziehen, und selbst feindliche Stämme besuchen – ist aber eine Sache tabotirt, wie hier das Fahrzeug, so wird es dadurch für die Eingebornen fast wie geheiligt.
  4. Der färbende Stoff wird in die Zeichnung vermittelst eines Haifischzahns gebracht. Dieser ist an dem einen Ende eines kurzen Stocks befestigt, der an dem andern durch einen kleinen hölzernen Hammer geschlagen wird.
  5. Er wurde so von dem Orte seiner Geburt genannt, denn er war ein entlaufener Maryland-Sklave.
  6. Die ganze Mannschaft hatte sich „zu der Unternehmung“ eingeschifft, d h. sie erhielt keinen Lohn, sondern war zu einem Theil des Profits der ganzen Reise berechtigt.
  7. Das Obige ist die gewöhnliche Meinung über diesen Gegenstand; kürzlich aber ist eine neuere Idee aufgemacht, die gerade das Gegentheil behauptet. Statt das Phänomen dieser Inseln für etwas zu halten, das eine schaffende, aus sich selbst erstehende Kraft anzeigte, sollen es nur die Ueberreste eines frühern Continents sein, der durch das ewige Schlagen der See aus einander gerissen und abgewaschen sei.
  8. Und zwar nach dem Platz, von welchem aus er gesegelt; ein sehr bekannter Hafen an der Küste von Massachusetts.
  9. Dies ist ein unter den Matrosen der Südsee sehr gebräuchlicher Ausdruck und wird einigen wandernden Charakteren beigelegt, die sich, ohne einem Schiff auf die ganze Fahrt anzugehören, dann und wann auf kurze Wallfischfahrten einschiffen und zwar nur unter der Bedingung, das nächste Mal, wenn das mit Ehren geschehen kann, ans Land gesetzt zu werden, sobald das Schiff wieder vor einem Hafen vor Anker geht. Es ist dies meistentheils ein wildes, tollkühnes Volk, in der stillen See heimisch, das nie mehr daran denkt, Cap Horn wieder zu dupliren und nach Hause zurückzukehren.
  10. Ein Theil der bessern Sträflinge in Neu-Süd-Wales, solche wenigstens, bei denen man Hoffnung hat, daß sie sich noch bessern können, werden von der Regierung an Grundbesitzer ausgemiethet und erhalten dadurch gewissermaßen eine bedingte Erlaubniß frei umherzugehen, obgleich sie der Regierung stets zugehörig bleiben. Diese bekommen nun Ticket’s oder Karten, welche sie Jedem vorzeigen müssen, dem es einfiele, sie in Verdacht zu haben daß sie ohne Erlaubniß aus wären.
  11. Es ist dies die nördlichste Spitze der Insel und von Cooks Observatorium so genannt, das dort während seiner ersten Reise aufgestellt wurde.
  12. Ein verdorbenes Wort aus dem Französischen savoir, das, viel von Matrosen fast aller Nationen gebraucht, auch auf die Eingeborenen der verschiedenen Inseln übergegangen ist.
  13. Die Newton’sche Theorie, die Fluth betreffend, findet auf Tahiti keine Anwendung, wo das ganze Jahr hindurch die Wasser [186] Seite:Melville-Omoo oder Abenteuer im stillen Ocean. Teil 1.djvu/186
  14. Warrel, nautischer Ausdruck für Drehring oder Wirbel.


Bulwark – Schanzkleid
Cutlass – Entermesser
undress Uniform – gewöhnliche Uniform
Brodgewinner – Zusatzsegel (Leesegel) an der Besangaffel



I Bearbeiten

Omoo
oder
Abenteuer im stillen Ocean
mit einer Einleitung,
die sich den „Marquesas-Inseln“ anschließt und Toby’s
glückliche Flucht enthält.
Von
Hermann Melville.
Aus dem Englischen von
Friedrich Gerstäcker.


Zweiter Theil.
Leipzig,
Verlag von Gustav Mayer.
1847.

II Bearbeiten

III Bearbeiten

Inhaltsverzeichniß.
Seite
Capitel I.
Wir schließen verschiedene Freundschaftsbündnisse und setzen die Schiffe in Contribution. Mootoo -Otoo, ein Tahitier Casuist 1
Capitel II.
Man wird nach der Gesellschaft beurtheilt, in der man sich befindet. Die Cathedrale in Papoar. Die Kirche von Cocosnußholz 17
Capitel III.
Eine Missionäirspredigt mit einigen Betrachtungen 25
Capitel IV.
Etwas über die Kannakippers, und wie sie sich in Tahiti kleiden 33
Capitel V.
Tahiti wie es ist 44
Capitel VI.
Dem langen Doktor passiert etwas. Wilson verläugnet uns. Abfahrt nach Imeeo 55
Capitel VII.
Das Thal von Martair 68
Capitel VIII.
Ackerbau in Polynesien 74
Capitel IX.
Das wilde Rindvieh in Polynesien und unsre Jagd 83
Capitel X.
Mosquitos. Die zweite Jagd in den Gebirgen 94
Capitel XI.
Ein Jagdfest und ein Besuch auf Afrehitoo. Die Kartoffeln 107

IV Bearbeiten

Seite
Capitel XII.
Was sie von uns in Martair hielten. Vorbereitungen zur Reise 119
Capitel XIII.
Tamai. Ein Tanz im Thale 129
Capitel XIV.
Der Geheimnißvolle 139
Capitel XV.
Die Flucht. Wie wir uns entschlossen nach Toloo zu gehen 144
Capitel XVI.
Die Wanderung am Strande 156
Capitel XVII.
Ein Diner in Imeeo. Die Cocospalme 167
Capitel XVIII.
Leben in Loohooloo. Aufbruch nach Toloo 180
Capitel XIX.
Ein Schmuggler 190
CapitelXX.
Der Empfang in Partowye; unser Lager. Der Doktor wird fromm 198
Capitel XXI.
Eine Wanderung durch die Ansiedelung. Der Unglücklich-Liebende. Wir besuchen das Schiff 211
Capitel XXII.
Eine Gesellschaft von Abenteurern. Die kleine Loo und der Doktor. Mrs. Bell 224
Capitel XXIII.
Die Toloo-Kapelle. Ein Gerichtshof in Polynesien 233
Capitel XXIV.
Die Königin Pomare. Wir besuchen den Hof 242
Capitel XXV.
Schluß 259

V Bearbeiten

Omoo
oder
Abenteuer im stillen Ocean
Zweiter Theil.

VI Bearbeiten

1 Bearbeiten

Capitel I.
Wir schließen verschiedene Freundschaftsbündnisse und setzen die Schiffe in Contribution. Motoo-Otoo, ein Tahitier Casuist.

Die Ankunft unserer Kisten machte meinen Freund, den Doktor, zum wohlhabendsten Mann der Gesellschaft; das brachte mir übrigens auch Nutzen, denn obgleich ich selber fast gar nichts hatte, so bewarben sich die Indianer, die unser intimes Verhältniß sahen, fast eben so viel um meine als um seine Gunst.

Unter andern bewarb sich Kooloo, eine Art indianischer Stutzer, um meine Freundschaft, und da er ein ganz netter, junger Mann schien, so acceptirte ich dessen Anerbietungen. Dadurch wurde ich aber auch von den Andern nicht mehr belästigt, denn so wenig der Tahitier geneigt ist, in Liebes-Angelegenheiten eifersüchtig zu sein, so streng hält er auf den Alleinbesitz der Freundschaft.

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Kooloo, der mir seine Eigenschaften als Freund aufzählte, theilte mir auch vor allen Dingen mit, daß er ein Mickonaree sei, also in Verbindung mit der Kirche stehe.

Dieser mein Tayo versicherte mir auch seine Zuneigung besonders dadurch, daß er mir wieder und immer wieder erklärte, die Liebe, die er zu mir hege, sei „nuee nuee nuee“ oder ganz unendlich ausgebreitet. Auf allen diesen Inseln bedeutet das Wort nuee nemlich eine Quantität und seine Repetition ist gerade so, als wenn man Null an die rechte Seite einer Zahl setzt; je mehr Ihr hinzufügt, desto größer wird die Summe. Man kann sich jetzt etwa einen Begriff von Kooloo’s Freundschaft machen.

Im Laufe von wenigen Tagen hatten diese Freunde den Doktor, mich und die Matrosen so weit ausgezogen, wie ihnen dieß nur irgend möglich war, und die innige Zuneigung begann ein wenig abzukühlen; ja so bedeutend ließen sie sogar in ihren Aufmerksamkeiten nach, daß sie uns nicht einmal mehr unsere täglichen Nahrungsmittel regelmäßig brachten, was sie doch früher fest versprochen hatten.

Was Kooloo betraf, so spielte er ganz die Rolle eines ungetreuen Geliebten; er erklärte mir nemlich, daß seine Zuneigung gewechselt und sein Herz sich einem Andern zugewendet habe, und dieser Andere war niemand als ein alter Matrose, der, gerade von einer glücklichen Fahrt zurückkehrend, reich und guter Dinge das Ufer betreten hatte.

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Es war ein rührender Abschied, und mit ihm löste sich auch unsere Bekanntschaft auf; doch hätte ich mich vielleicht bald wieder getröstet, wären nicht meine heiligsten Gefühle dadurch verletzt worden, daß ich sehen mußte, wie er ganz rücksichtslos auf mich und unsere frühere Freundschaft, und zwar fast stets wann ich ihm begegnete, ein breitgestreiftes Hemd trug, das ich ihm einst in glücklicheren Stunden verehrt hatte.

Er ging auch jetzt mit einer unnachahmlichen Gleichgültigkeit an mir vorüber und rief mir nur höchstens seinen vornehm-freundlichen Gruß „Yar onor boyoee“ zu, eine kalte Anrede, die höchstens soviel als unser: „Wie befinden Sie sich“ bedeutet. Nach mehreren Erfahrungen wie diese, fing ich wirklich an, eine Art Achtung vor Kooloo zu hegen, denn ich erkannte in ihm einen Mann von Welt, und ich hatte mich wahrlich nicht in ihm geirrt. Kaum acht Tage waren verflossen, so ließ er mich total links liegen und nickte mir nicht einmal mehr zu, wenn er vorbeischlenderte; er muß mich für einen Theil der Landschaft gehalten haben.

Ehe unsere Kisten ganz geleert waren, hatten wir eine grosse Wäsche im Strom, um anständig erscheinen und die europäische Capelle in der Stadt einmal besuchen zu können; jeden Sonntag ist diese nemlich für den Gottesdienst geöffnet und eines der Missionsmitglieder hält hier Kirche; dies war das erste Mal, daß wir Papeetee ohne Wache betraten.

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In der Capelle waren etwa vierzig Personen, die Offiziere mehrerer im Hafen liegender Schiffe eingerechnet, gegenwärtig. Der Missionär sprach auch aus Leibeskräften und hämmerte sein Kanzelkissen mit ungemein gutem Willen. Oben auf einem hohen Sitz in der Versammlung, und so steif wie eine Fahnenstange, saß unser geliebter Wilson und ich werde nie den erstaunten Blick vergessen, mit dem er uns anstarrte, als wir, seine interessanten Schützlinge, uns durch die Thüre drängten und die gerade ihm gegenüberliegenden Sitze einnahmen.

Nachdem die Predigt vorüber war, warteten wir draußen, um noch mehr von ihm zu sehen; unser Anblick mochte ihn aber wahrscheinlich genug geärgert haben, denn wir bemerkten, wie er oben von einem Fenster aus recognoscirte; er kam auch nicht eher herunter, als bis wir nach Hause aufgebrochen waren.

Die Julia hatte übrigens den Hafen noch keine Woche verlassen, als auch unsre rastlose Mannschaft die Calabouse Beretanee schon überdrüßig wurde und Einige sich entschlossen, keck auf die im Hafen liegenden Schiffe zu gehen und eine Stelle zu suchen.

Die Sache wurde versucht; obgleich aber durch den Commodore der Beachcombers dringend empfohlen, so wollte sich doch keiner der Capitaine darauf einlassen, einen von ihnen zu nehmen; sie hatten einen zweideutigen Ruf am

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Ufer und die Leute waren mißtrauisch geworden. So oft sahen sie sich dabei zurückgeschickt, daß sie endlich alle Hoffnung aufgaben in solcher Art die Insel zu verlassen; es dauerte denn auch gar nicht lange, so ließen sie sich wieder häuslich bei Capitän Bob nieder.

In dieser Zeit war es nun daß die Wallfischfahrer, die regelmäßige Jahreszeiten für ihre Fahrten haben, in Papeetee anfingen einzulaufen und deren Mannschaften besuchten uns natürlich sehr häufig. Dieß ist nemlich im ganzen stillen Meere gebräuchlich; kein Matrose betritt das Ufer, ohne augenblicklich nach der Calabouse zu gehen, wo er fast stets sicher ist, irgend einen oder den andern armen Teufel für Desertation, angebliche Meuterei oder sonst etwas dergleichen in Verhaft zu finden. Diesen wird ihr Mitleiden, und wenn es Noth thut, auch Tabak angeboten und die Gefangenen ziehen meistens den Letzteren vor, der ihnen als Tröstung fast unumgänglich nöthig und unschätzbar ist.

Da wir nun gegen Consul wie Capitän unsern Platz behauptet hatten, so waren wir diesen Philanthropen ein Gegenstand von mehr als gewöhnlichem Interesse und sie priesen unser Betragen allgemein. Außerdem brachten sie auch gewöhnlich noch einige Erfrischungen mit, und dann und wann sogar etwas ausgeschmuggelten Pisco. Ja einmal, als sich eine außergewöhnlich große Anzahl versammelt hatte, ließen

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sie eine Calabasse herumgehen und sammelten förmlich für uns.

Eines Tages machte ein eben Gekommener den Vorschlag, daß zwei oder drei von uns ihn einmal Nachts heimlich auf seinem Schiff besuchen sollten, wobei er uns eine richtige Ladung von Provisionen zusicherte. Dies war kein so übler Gedanke. Eben so wenig zeigten wir uns blöde ihn anzunehmen. Nacht für Nacht wurde nun jedes Schiff im Hafen nach einander besucht und die Fourageure borgten zu diesem Zwecke Capitän Bobs Canoe. Da wir nun in diesem Geschäft abwechselten, so kam im Laufe der Zeit die Reihe auch an den langen Doktor und mich, denn die Matrosen trennten uns Beide in keiner Beziehung. Bei solchen Unternehmungen traute ich übrigens dem Doktor gar nicht, denn er war kein Matrose und unverschämt lang; ein Canoe ist aber dabei das Kitzlichste von allen schiffbaren Gefäßen; doch das ließ sich nicht ändern und wir brachen auf.

Doch vorher ein Wort über Canoes im Allgemeinen. Auf den Gesellschafts-Inseln hat die Kunst sie zu bauen, mit allen andern Fertigkeiten der Eingeborenen, ungemein abgenommen und diese Canoes sind jetzt auf der ganzen Südsee die am rohesten und unsichersten gearbeiteten. Zu Cooks Zeiten existirte, seinem Berichte nach, in Tahiti eine königlicher Flotte von siebzehnhundert und zwanzig grossen Kriegscanoes, die sauber geschnitten und auch sonst noch

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auf andre Art verziert waren. Die jetzt gebrauchten sind dagegen klein, kaum mehr als ausgehöhlte Stämme, die an einem Ende zugespitzt und dann ins Wasser gelassen werden.

Um übrigens einer gewissen rollenden Bewegung entgegen zu wirken, befestigen die Tahitier, sowie überhaupt alle Polynesier, etwas daran, das die Matrosen einen Ausrigger nennen. Es ist dieß ein Stamm oder Klotz, der neben, und zwar parallel mit dem Canoe schwimmt und durch ein paar etwa drei Fuß lange Querstäbe nicht allein daran befestigt ist, sondern auch in gleicher Entfernung von ihm gehalten wird. So ausgerüstet kann das Canoe nicht umgeworfen werden, ausgenommen man höbe denn den daran gehangenen Klotz ganz aus dem Wasser, was keineswegs leicht geschehen kann.

Capitän Bobs Jolle war nun außergewöhnlich klein, ja so klein und von so origineller Gestalt, daß wir sie bald die Pillenschachtel tauften und diese Benennung behielt sie denn auch bei. In der That schien sie auch nur für einen einsamen Ruderer gebaut zu sein, obgleich sie im Nothfall auch zwei oder drei über Wasser halten konnte. Der Ausrigger vorzüglich bestand aus einem kaum ruthenartigen Stock, der nicht selten aus dem Wasser gehoben wurde und dann nur höchst ungern in dasselbe zurückzusinken schien.

Das Kommando der Expedition glaubte ich als Matrose übernehmen zu dürfen und packte deshalb den langen Doktor,

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mit einem Ruder bewehrt, in das Vordertheil, dann schob ich das Canoe vom Land und sprang in den Stern. Auf diese Art überließ ich ihm die ganze Arbeit und behielt für mich das viel würdigere Geschäft des alleinigen Steuerns vor. Alles wäre auch gut gegangen, hätte mein Ruderer nicht so blind ins Zeug gearbeitet, daß das Wasser fortwährend in förmlichem Schaum über uns hinspritzte. Ich ließ ihn jedoch gehen, denn ich glaubte, er würde sich schon nach und nach hineinarbeiten, da ich aber allmälich bis auf die Haut naß wurde und immer noch keine Besserung in der Sache sah, so bat ich ihn um Gotteswillen, doch einen Augenblick einzuhalten, daß ich mich erst einmal ausringen könnte. Hierbei drehte er sich schnell nach mir um; das Canoe schwankte ebenso rasch über, der Ausrigger flog aus dem Wasser, schlug in der nächsten Sekunde den Doktor an den Kopf, und Beide schossen wir in einem Athemzuge über Bord.

Glücklicher Weise befanden wir uns in diesem Augenblick gerade über einem Korallenriff das bis kaum eine halbe Klafter unter der Oberfläche heraufragte. Dadurch nun, daß wir ein Ende des gefüllten Canoes niederdrückten und es dann plötzlich losließen, schnellten wir dieses in die Höhe und es entlud sich ein großer Theil des darin gefangenen Wassers von selber. Das übrige schöpften wir leicht nach und nach aus und schifften uns wieder ein. Jetzt drückte sich

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aber mein Kamerad in einem äußerst kleinen Raum zusammen, und während ich ihn bat, nicht einen einzigen unnöthigen Athemzug zu thun, trieb ich das Canoe allein durchs Wasser. Seine Folgsamkeit machte mich staunen, er sprach kein Wort und rührte weder Hand noch Fuß; das Geheimniß aber war – er konnte nicht schwimmen und wenn uns jetzt wieder so etwas passirte, so waren keine Korallenriffe mehr da, uns aufzufangen.

– Ersaufen ist eine höchst schäbige Art aus der Welt zu gehen, sagte er später, als ich ihn deshalb auslachte, – ich werde mir so etwas nie zu Schulden kommen lassen.

Endlich erreichten wir das Schiff und näherten uns mit vieler Vorsicht, da wir nicht gerne vom Quaterdeck aus angerufen werden wollten. Wir trieben deshalb unter den Bug und hier verkündete bald ein leises Pfeifen – das verabredete Zeichen – daß man uns bemerkt habe. Es dauerte nicht lange, so wurde ein recht wohlgefüllter Sack zu uns herabgelassen.

Wir schnitten das Seil durch und ich ruderte dann so schnell zurück, als ich konnte, wo wir am Rand der Bai die Uebrigen schon unsrer harrend fanden.

Der Sack zeigte sich als sehr inhaltsschwer mit süßen, gekochten Kartoffeln, Stücken Salz- und Pöckelfleisch und einem famosen Matrosen-Pudding, einem sogenannten „Jan im Sack“, der aus Mehl und Wasser gemacht wird

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und etwa die Consistenz eines halb gahren Backsteines hat. Mit diesen Delikatessen und mit wackerm Appetit versehen, setzten wir uns in wundervollem Mondlichte nieder und hielten ein nächtliches Pickenick.

Die Pillenschachtel wurde übrigens manchmal auch zu andern Zwecken als den obenbeschriebenen verwandt; wir benutzten sie nicht selten zu Spazierfahrten.

Gerade in der Mitte des Papeeteehafens ist ein wunderlieblich grünes Eiland, kaum hundert Schritte im Durchmesser, – eine einzige Gruppe wehender Palmen. Es besteht aus Korallenbildung und rund herum ist die Bai so seicht, daß man darin gehen kann.

Unten in diesen Wassern, die so durchsichtig wie Luft sind, sieht man Korallenpflanzen von jeder nur erdenklichen Farbe und Gestalt, kräftige Zacken, wehende Federn, schwankende Halme und blaßgrüne Knospen und Moose. An manchen Stellen schaut man durch stachelige Zweige auf einen schneeweißen Sandboden nieder, der überall die wunderlichsten Gewächse trägt, und zwischen diesen herum kriechen und bewegen sich die sonderbarsten Gestalten, manche von Stacheln starrend, andere in blendende Harnische gekleidet und hie und da runde Geschöpfe, ringsum mit Augen bedeckt.

Die Insel heißt Motoo-Otoo, und um Motoo-Otoo bin ich oft in hellen Mondscheinnächten gerudert und

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Stundenlang in der Bewunderung dieser Meeresgärten versenkt gewesen.

Dieser Platz ist Privateigenthum der Königin, die eine Residenz dort hat, eine traurige Residenz scheint es aber zu sein, sie besteht aus einer melancholisch aussehenden Reihe von Bambushäusern, die vernachlässigt und ihrem Verfalle nahe scheinen.

Da dieser Platz den Hafen beherrscht, so hat Ihre Majestät Alles gethan, was sie konnte, um eine Festung aus der Insel zu machen. Der Rand ist erhöht und mit einer niedern Mauer von gehauenen Korallenblöcken umgeben worden, und hinter dieser Brustwehr steht in weiten Zwischenräumen eine Anzahl rostiger alter Kanonen von allen Altern und Calibern, sie liegen auf lahmen traurig aussehenden Laffetten, die unter ihrer unnöthigen Last zusammen zu sinken scheinen. Zwei oder drei haben das auch wirklich schon gethan und die Stücken, die sie trugen, liegen nun halb begraben unter ihrem bleichenden Gebein. Mehrere dieser Kanonen sind auch vernagelt, was aber wohl nur zum Nutzen dessen geschehen ist, der einmal die kühne Idee haben würde, sie abzufeuern.

Diese armen alten „Kriegshunde“ wurden früher, zu verschiedenen Zeiten, der Königin Pomare von Capitänen englischer Kriegsschiffe verehrt, und haben wohl einst in voller Meute als die Schlachthunde von Alt-England gebellt,

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jetzt aber ruhen sie zahnlos in ihrem Lager und sind dem Tode nahe.

Es war etwas in Motoo-Otoo, das meine Einbildungskraft erregte und ich that einen Schwur, es zu betreten, trotzdem daß mich eine alte bloßköpfige Schildwache, deren ungeheure Muskete im Mondlicht blitzte, bedrohte. Da mein Canoe kaum drei Zoll tief ging, so konnte ich bis dicht an den Wall rudern, ohne auf den Grund zu laufen; jedesmal aber, sobald ich mich näherte, kam der alte Mann herangelaufen und fuhr mit seiner Muskete nach mir aus, dachte aber gar nicht daran, sie an die Schulter zu heben. Da ich natürlich glaubte, er wollte mich blos zurückschrecken, so ruderte ich zuletzt gerade auf ihn zu, um ans Land zu springen. Das war aber das Tollkühnste, was ich im Leben gethan, denn nie war wohl Cocosnußholz näher daran, zerstört zu werden, als meines damals. Mit seinem Kolben schlug der alte Posten in wahnsinnigem Grimme nach mir aus; glücklicher Weise gelang es mir, diesem zu entgehen und ich ruderte nun schnell zurück, um aus dem Bereich solcher Waffe zu kommen.

Er muß übrigens stumm gewesen sein, denn während der ganzen Zeit sprach er nicht ein einziges Wort, sondern grinste nur immer von einem Ohr zum andern und sah mit seinem weißen, im Mondenlicht wehenden Baumwollenmantel eher aus, wie der Spuk der Insel, als irgend ein Sterblicher.

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Ich versuchte nun, ihn im Rücken anzugreifen; er war aber lauter Front, lief um den Platz herum, wie ich ihn umruderte und hielt mir fortwährend seine alte verwünschte Muskete entgegen. Endlich sah ich mich genöthigt, nachzugeben, und mein Schwur ist bis auf den heutigen Tag unerfüllt geblieben.

Einige Tage nachdem ich auf solche Art von den Wällen Motoo-Otoo’s zurückgescheucht war, hörte ich einen wunderlichen Fall, der von einem der klügsten und gewitzigsten Eingeborenen der Insel, die ich je gesehen, den Uebrigen vorgetragen wurde. Der Eingeborene hieß Archeetoo.

Der Fall betraf das Folgende: ob es recht und gesetzlich für irgend einen Eingeborenen sei, den europäischen Sabbath für den Tag zu feiern, der ihnen von den Missionären zu diesem Zwecke ausgesetzt und von den Eingeborenen als allgemein anerkannt sei.

Ich muß hier vorher bemerken, daß die Missionäre des guten Schiffes „Duff“, die vor mehr als einem halben Jahrhundert die tahitische Zeitrechnung eröffneten, um das Cap der guten Hoffnung herum, hierher kamen und dadurch, indem sie fortwährend nach Osten segelten, jeder einen vollen Tag seines kostbaren Lebens verlor, indem sie gerade so viel der Greenwich-Zeit vorauseilten. Aus dieser Ursache finden Schiffe, die um Cap Horn herum nach Tahiti kommen, wie das jetzt auch fast immer geschieht, Sonntag in

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Tahiti, während es nach ihrer eigenen Berechnung Sonnabend sein müßte. Da sich das Log aber nicht ändern läßt, so halten die Matrosen ihren Sabbath und die Insulaner den ihrigen auch.

Diese Confusion setzt die armen Eingeborenen sehr in Verwirrung und es bleibt vollkommen nutzlos, ihnen ein so unbegreifliches Phänomen zu erklären. Ich sah einst einen würdigen, alten Missionär, der versuchte, etwas Licht über die Sache zu bringen; obgleich ich wenige der Worte verstand, so begriff ich doch bald, was er mit seinen Illustrationen meinte und diese waren etwa folgender Art:

– Hier, sagte er zu den Indianern, Ihr seht doch diesen Kreis (und er bezeichnete mit seinem Stocke im Sande einen großen Zirkel) – so – also nun seht Ihr den Fleck hier (und er bezeichnete einen gewissen Punkt auf der einen Seite) gut – das ist Beretanee (England) und ich will nun herum nach Tahiti segeln. Hier fahre ich also (und er folgte dem Kreise) und dort geht die Sonne (und dabei nahm er einen andern Stock und beauftragte einen krummbeinigen Eingebornen, in einer entgegengesetzten Richtung damit herumzuwandern). So also, nun sind wir beide unterwegs und beide gehen von einander fort – und hier, seht Ihr, bin ich in Tahiti angekommen (während er plötzlich mit seinem Stock halten blieb) – und nun guckt einmal, wo Krummbein ist.

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Die Masse blieb übrigens fest dabei, daß Krummbein irgend wo über ihnen in der Atmosphäre sein müsse, da es ihnen in ihrer Tradition überliefert worden, wie die Leute vom Duff das Ufer betraten, als die Sonne hoch am Himmel stand. Der alte Gentleman, wahrscheinlich ein sehr guter Mann, aber auf jedem Fall ein schlechter Astronom, sah sich hiernach genöthigt, die Sache aufzugeben.

Archeetoo nun, obgleich zur Kirche gehörig und darum sehr besorgt, daß der Sabbath am rechten Tage gehalten würde, schien es weniger genau mit anderen Sachen und Verhältnissen zu nehmen. Als er nemlich hörte, daß ich ein Mickonaree und in diesem Sinne ein Mann sei, der lesen und sogar die Feder zum Schreiben benutzen könne, verlangte er von mir die kleine Gefälligkeit, ihm eine Anzahl von Papieren zu fälschen, wofür er, wie er sagte, mir sehr verpflichtet sein und auch noch ein gutes Mittagessen von geröstetem Schweinefleisch und indianischen Rüben geben würde.

Archeetoo war nun einer von Denen, welche die Wäsche der Schiffe annehmen, und da die Concurrenz immer bedeutender wurde – denn die stolzesten Häuptlinge verschmähten nicht, sich darum zu bewerben, obgleich sie das Waschen selbst durch ihre Untergebenen besorgen lassen, so fiel er auf einen Plan, den ihm ein guter Freund, ein verschmitzter Matrose, angegeben haben mochte. Er wünschte eine Partie Certifikat fabricirt zu haben, die von verschiedenen Kriegs-

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und Kauffahrtheischiffen, von denen man wußte, daß sie die Insel berührt hatten, kommen mußten, und die ihn als den besten Wäscher für feine Leinwand in Polynesien bezeichnen sollten.

Als Archeetoo dies von mir verlangte, kannte er mich kaum zwei Stunden und ich sagte ihm, daß ich es höchst sonderbar fände; weil es aber förmlich unmöglich war, ihm begreiflich zu machen, daß die Sache sich doch eigentlich nicht schicke, so durfte ich mich natürlich auch nicht beleidigt finden und lehnte es nur einfach ab.

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Capitel II.
Man wird nach der Gesellschaft beurtheilt, in der man sich befindet. Die Cathedrale von Papoar. Die Kirche von Cocosnußholz.

Obgleich ein Aufenthalt bei Capitän Bob der Neuheit wegen eine Zeitlang ganz interessant war, so kamen doch auch viele andere Sachen dazu, die ihn für einen „Mann von Gefühl“ nichts weniger als angenehm machten.

Durch die böswilligen Schilderungen des Consuls betrachteten uns manche wackere Leute, welche die Insel betraten, nur als eine Bande gesetzloser Vagabunden, obgleich in der That kaum je Matrosen auf dieser Insel gewesen waren, die sich besser betragen und den Eingeborenen weniger Sorge gemacht hatten. Trotzdem, wenn wir einmal einem achtbaren Europäer auf der Straße begegneten, war Zehn gegen Eins zu weiten, daß er uns vermeiden, ja oft auf die andre Seite der Straße gehen würde. Dies wurde mir höchst fatal und drückend, wenn es auch die Andern wenig zu kümmern schien.

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Ich will hier ein Beispiel geben.

An einem schönen Abend in Tahiti – doch es giebt da nur schöne Abende – kann man oft eine ganze Schaar von seidenen Hüten und Sonnenschirmen die Besenstraße hinabwandern sehen; manchmal zieht eine Bande von bleichen dünnen Herrchen mit, exotische Schwächlinge, öfterer aber ältliche gesetzte Gentlemen mit großen Rohrstöcken, bei deren Erscheinung sich die Eingeborenen vorsichtig in ihre Hütten drücken. Dies sind die Missionäre, die mit ihren Weibern und Kindern einen Familienspaziergang machen; manchmal reiten sie auch nach Point Venus und wieder zurück, ein Platz, der mehrere Meilen entfernt liegt und wo sich der einzige Ueberlebende der hier zuerst gelandeten Missionäre niedergelassen hat, – ein alter weißköpfiger, ehrwürdig aussehender Mann Namens Wilson, der Vater unsers Freundes, des Consuls.

Diesen kleinen Gesellschaften begegneten wir sehr häufig und da sie so manche süße Erinnerung an die Heimath in mir zurückriefen, so sehnte ich mich nach einem Rock und Biber, um sie begrüßen zu können; in der Lage aber, in welcher ich mich befand, gehörte der zur Unmöglichkeit. Einmal jedoch wurde ein fragender freundlicher Blick auf mich geheftet; er kam von einer Matrone in Gingham. Süße Dame, ich habe Dich nicht vergessen. – Du trugst einen Plaid.

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Ach ein Blick, wie sie ihn gab, war nicht oft unser Antheil.

Eines Abends passirte ich die Verandah einer Missionärs-Wohnung und seine Frau und ein liebliches, blondgelocktes junges Mädchen saßen dort, sich der Seeluft zu erfreuen, die kühl und erfrischend von der Brandung herüberwehte. Während ich mich näherte, sah mich die alte Dame hart und streng an und selbst ihre große Sonnenhaube schien mich zurückzuweisen; die blauen englischen Augen an ihrer Seite hefteten sich auch auf mich, aber gütiger Himmel, welch ein Blick, von solch holdem Geschöpf! Die Haube mochte mich halten für was sie wollte, dem lieblichen Kinde aber mußte ich einen bessern Begriff von mir beibringen.

Ich beschloß sie wenigstens höflich zu begrüßen, um meine gute Lebensart zu zeigen; da ich aber zufällig eine Art Turban trug, den ich später näher erwähnen werde, so war gar nicht daran zu denken, diesen mit Würde abzunehmen und wieder aufzusetzen. Auf jeden Fall mußte ich eine Verbeugung machen und ich fürchtete nur, daß eine leichte Bewegung des Körpers in dem weiten lockern Gewande kaum bemerkt werden würde.

– Guten Abend, meine Damen, sagte ich endlich und trat ihnen mit einem freundlichen Blick näher. – Eine wundervolle Luft heute Abend.

Krämpfe und Hirschhorn, wer hätte das gedacht! Die junge Dame schrie laut auf und die alte fiel beinahe in

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Ohnmacht. Ich mußte nur machen, daß ich so schnell als möglich fortkam und ich schöpfte nicht eher wieder frei Athem, bis ich glücklich in der Calabouse angelangt war.

Sonntags besuchte ich gewöhnlich die Hauptkirche der Eingeborenen, die an der äußersten Grenze von Papeetee nicht weit von unserer Calabouse stand. Man hielt sie für das beste Gebäude in Tahiti.

In letzterer Zeit haben sie übrigens angefangen ihre Bethäuser dauerhafter zu bauen, als das früher der Fall war. Es gab einmal eine Zeit, wo nicht weniger als sechs und dreißig Kirchen auf der Insel standen. Das waren jedoch nur bloße Scheunen aus durchflochtenen Stäben errichtet, die nach wenigen Jahren in sich selbst zusammenbrachen.

Eine dieser Kirchen, die vor mehreren Jahren auf solche Art gebaut wurde, war ein höchst merkwürdiges Kunstwerk der Architektur. Pomare II. errichtete es. Die Kirche wurde über siebenhundert Fuß lang, und natürlich, verhältnißmäßig breit. Die ungeheuern Balken, die das Dach trugen, wurden in weiten Zwischenräumen durch eine Säulenreihe von sechs und dreißig Brodfruchtstämmen getragen, während das Dach, das sich steil bis in Manneslänge zum Boden herabsenkte, mit Blättern gedeckt war. An den Seiten blieb die Kirche offen und man nannte sie die königliche Missionskapelle von Papoar.

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Bei ihrer Einweihung wurden zu gleicher Zeit von drei verschiedenen Kanzeln auch drei verschiedene Predigten gehalten und eine ungeheure Menschenmenge hatte sich dabei versammelt.

Da sie der König selbst errichten ließ, so strömte beinahe eine eben solche Menge von Arbeitern hier zusammen, als früher die Gerüste des großen Judentempels überschwemmten; viel weniger Zeit wurde jedoch wohl hierauf verwendet, denn drei Wochen, nachdem der erste Pfosten eingeschlagen, lag auch schon die letzte Reihe von Palmenblättern auf dem Dache und das Werk war vollendet.

Man hatte die Arbeit verschiedenen Häuptlingen übertragen und die Maase wahrscheinlich beigefügt, denn jeder Arbeiter kam mit seinem Pfosten oder Pfahl oder Balken, an den die zum Dach zu verwendenden, und zum augenblicklichen Gebrauch bereiten, Blätter hingen, heran. Die so vorgerichteten Materialien wurden dann schnell zusammengefügt und in der That hörte man während des ganzen Baues weder Hammer- noch Axtschlag und nicht den Schall eines einzigen eisernen Instruments.

Das Eigenthümlichste an dieser ganzen Kirche blieb aber noch das Folgende. Die Eingeborenen lieben es nemlich, nicht allein der Schönheit, sondern auch des dadurch erzielten Vortheils wegen, stets nahe an Bergströmen zu wohnen. Auch hier wurde ein wildes sprudelndes Wasser, das aus

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den Gebirgen herabbrauste, und das dreifache Brücken überspannten, durch den ganzen langen Raum der Capelle geleitet.

Rauschende Wasser! wie feierlich mußten neben ihnen die frommen Gesänge der Betenden klingen.

Aber dieser Tempel des polynesischen Salomo ist lange verfallen; seine tausend Säulen sind verfault und niedergebrochen und der Strom sprudelt jetzt schäumend gegen ihre Ueberreste.

Die gegenwärtige Kirche von Tahiti gleicht der eben beschriebenen freilich gar nicht; sie ist von sehr mäßigem Umfange, mit Bretern beschlagen und weiß getüncht. Die Holzarbeit daran ist von fremden Arbeitern hergestellt, von denen sich einige in Papeetee aufhalten.

Das Innere derselben ist jedoch eigenthümlich und muß für jeden Fremden das größte Interesse haben. Die oberen Balken sind mit feinen und verschiedenfarbigen Matten belegt, und an den Seitenwänden hängen Verzierungen in abwechselnden Troddeln und Franzen von gefärbtem Gras, herunter. Die Diele besteht aus rohen Planken. Regelmäßige Betstühle laufen dabei zwischen Reihen von Sitzen der Eingeborenen hin, und sind mit Bändern von Cocosnußfasern gespannt und mit Rücklehnen versehen.

Die Kanzel, aus dunkelm glänzenden Holz verfertigt, befindet sich an dem einen Ende und fällt gerade in die

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Augen. Man muß die Versammlung von dort oben herrlich übersehen können.

Auch fehlt der Kirche keineswegs eine Gallerie, die an drei Seiten hingeht und durch Säulen von Cocosholz gestützt wird.

Dies war der erste Platz christlicher Religion geweiht, den ich in Polynesien besuchte und der Eindruck, den er deshalb auf mich machte, war auch um so stärker. Majestätisch aussehende Häuptlinge, deren Väter die Kriegskeule geschwungen, und alte Leute, die noch die Opfer auf Oro’s Altar hatten rauchen sehen, waren dort und horchten aufmerksam den Worten der Christen. Draußen, von den Zweigen eines Brodfruchtbaumes herabhängend, tönte eine Glocke, die ein junger Indianer mit einem eisernen Stabe schlägt. Wie oft hat an demselben Platz der Kriegsruf getönt. Doch wir wollen einen Augenblick hineinsehen.

Der Raum ist wohl gefüllt, überall begegnet das Auge den lebhaften Kattunen, die bei festlichen Gelegenheiten von höheren Klassen getragen werden, und wunderbar mit ihren verschiedenen Mustern und Farben gegen einander abstechen; manchmal sind sie auch so zugeschnitten, daß sie so viel als möglich europäischen Trachten gleichen sollen. Auch Röcke und Beinkleider werden hie und da gesehen, die nehmen sich dann aber natürlich wunderlich genug aus in ihrer übrigen Umgebung.

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Weniger aber, als die Tracht, fällt dem Fremden die Gesichtsbildung und das ganze Betragen der Versammelten selbst auf. Jedes Kleid rauscht, jedes Glied ist in Bewegung und ein fortwährendes Summen und Brausen durchwogt die zur Andacht versammelte Schnur. Der Tumult ist so arg, daß die Stimme des alten, freundlichen Missionärs, der jetzt beginnt, gar nicht gehört werden kann, und endlich nach entsetzlicher Mühe wird wenigstens theilweis Schweigen durch eine Partie junger Burschen erzwungen, die, in weißen Hemden und sans culottes, zwischen die Sitze hineinlaufen und selbst unter fürchterlichen Lärmen die Leute zu überzeugen suchen, daß es sich gar nicht schicke einen solchen Spektakel zu machen. Dieser Theil des Gottesdienstes war natürlich sehr komisch.

Mit dieser Kirche ist auch eine höchst interessante Sonntagsschule verbunden und die Schüler, eine lebhafte, tolle Bande, saßen in einem Theile der Gallerie. Dort amusirte mich besonders eine Abtheilung, welche die Ecke eingenommen hatte. Der Lehrer saß vor ihnen auf einer Bank und dicht neben ihm ein kleiner, höchst demüthig aussehender Bursche; wenn sich dann die Andern unartig betrugen, so bekam dieser kleine Märtyrer eines übergezählt, was den Uebrigen wahrscheinlich als ein Beispiel dienen sollte, wie sie selbst behandelt würden, wenn sie sich nicht besserten.

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Capitel III.
Eine Missionärspredigt mit einigen Betrachtungen.

Theilweise Ordnung wurde endlich durch den jetzt beginnenden Gesang hergestellt, und der Chor bestand aus zwölf oder funfzehn zur Mission gehörigen Damen, die eine lange Bank links an der Kanzel einnahmen. Fast die ganze Versammlung stimmte mit ein.

Das erste Lied setzte mich übrigens in nicht geringes Erstaunen; es war das altenglische Lied: „Old Hundred“ nach einem tahitischen Psalm gesungen. Die Sänger selber schienen sich übrigens sehr dabei zu amusiren und Viele machten oft höchst eigenmächtige Pausen und blickten dabei sehr vergnügt um sich, um zu sehen, welchen Eindruck es wohl auf die Andern hervorbringe.

Die Tahitier haben im Ganzen viel natürliches Talent für Gesang und lieben ihn bei jeder Gelegenheit. Oft habe ich gehört, wie ein junger tahitischer Stutzer einzelne Psalmenverse

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in derselben Art vor sich hinsummte, wie dies bei uns mit irgend einer beliebten Opermelodie geschehen würde. In dieser Art sind sie auch den übrigen Inseln, besonders der Sandwich-Gruppe weit voraus, wo die Missionäre ein förmliches Blöken eingeführt haben.

Sobald der Psalm beendet war, folgte ein Gebet; der gute, alte Missionär kürzte es aber kluger Weise sehr ab, da seine Zuhörer schon beim Beginn desselben höchst unruhig wurden.

Dann verlas er ein Capitel aus der tahitischen Bibel, wählte einen Text und begann seine Predigt.

Da ich schon früher gehört, daß die Missionäre, um sich der Aufmerksamkeit ihrer einfachen Zuhörer zu versichern, oft, besonders für einen Fremden, höchst amusante Predigten hielten, in denen sie vorzüglich viel von Dampfbooten, Kutschen, und von der Art wie man Feuersbrünste in London lösche, zu sagen wüßten, so trug ich Sorge, mir einen guten Dolmetscher zu verschaffen und zwar in der Person eines hawaischen Matrosen, dessen Bekanntschaft ich in Papeetee machte.

– Nun, Jack, sagte ich diesem ehe wir eintraten, horch auf jedes Wort, das uns der Missionär sagt und erzähle mir es nachher wieder.

Jack that das denn auch nach besten Kräften, und ich will nun sehen, ob ich es dem Leser so mittheilen kann, daß

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er so wenig als möglich durch die doppelte Uebersetzung verliert.

„Gute Freunde, ich bin froh Euch zu sehen und ich freue mich, heute mit Euch ein bischen reden zu können. Gute Freunde, sehr schlechte Zeiten in Tahiti, es macht mich weinen. Pomare ist fort – die Insel gehört nicht mehr Euer, sondern den Wee-Wee’s (Franzosen); böse Prediger sind auch hier, die böse Götzen[1] in Weiberkleidern und mit Messingketten haben.

„Gute Freunde, Ihr nicht sprechen müßt zu denen, Ihr nicht sie ansehen müßt; – aber ich weiß schon Ihr werdet es nicht – sie gehören zu einer Räuberbande, den bösen Wee-Wee’s. Diese häßlichen Menschen werden aber bald fortgeschickt werden. Beretanee’s Donnerschiffe kommen und dann gehen sie fort; doch jetzt nichts mehr davon – ich spreche nachher mehr darüber.

„Gute Freunde, viele Wallfischschiffe jetzt hier sind und viele böse Menschen kommen mit ihnen. Es giebt keine gute Matrosen – Ihr alle wißt das. Sie kommen her, weil sie bös sind – so bös, Niemand will sie dort mehr haben.

„Meine guten kleinen Mädchen, lauft nicht hinter Matrosen her – geht nicht, wo die gehen, sie thun Euch ein Leids. Wo sie herkommen, kein guter Mann spricht mit

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ihnen – gerade wie Hunde. Hier sprechen sie mit Pomare und trinken arva mit dem großen Poofai[2].

„Gute Freunde, dies sehr kleine Insel, aber sehr bös und sehr arm; das beides geht zusammen. Warum Beretanee so groß? Weil die Insel gute Insel und schickt mickonaree[3] zu den Armen kannaka[4].

„In Beretanee jeder Mann reich – viele Sachen zu kaufen, viele zu verkaufen. Häuser größer als Pomares und schöner. Jeder fährt herum in Kutschen, größer wie die ihrige[5] und trägt jeden Tag feine Tappa.“

Verschiedene luxuriöse Gebräuche der Civilisation wurden nun hier einzeln aufgezählt und beschrieben.

„Gute Freunde, wenig zu essen in meinem Hause geblieben. Schooner von Sidney bringt nicht Sack mit Mehl und kannaka bringt nicht Fleisch und Frucht genug. Mickonaree

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thut große Menge für kannaka; kannaka thut sehr kleine Menge für mickonaree. So gute Freunde flechtet viel Cocosnußkörbe und füllt sie und bringt sie morgen.“

Solchergestalt war etwa der größte Theil seiner Predigt und was man auch davon denken mag, so paßte er sie dem Begriffsvermögen der Eingeborenen an, die entweder etwas hören wollen, was ihnen neu und auffallend ist, oder was sich wenigstens auf Gegenstände bezieht, die sie leicht fassen und begreifen können. Eine trockne Predigt würden sie gar nicht verdaut haben.

Man kann kaum behaupten, daß die Tahitier viel überlegen oder nachdenken; der augenblickliche Eindruck ist Alles bei ihnen und in der That giebt es wohl kein Volk auf der ganzen Welt, das weniger geeignet ist, das Christenthum zu begreifen und sich dazu zu bekennen, als gerade diese Südseeländer. Wohl weiß ich, daß mir dabei die „große Bekehrung der Sandwich-Inseln“ vorgehalten werden wird. Diese fiel in das Jahr 1836 und mehrere Tausende warfen sich im Verlauf von wenigen Wochen in die Arme des Christenthums. Dies Resultat beruhte aber keineswegs auf einer moralischen Ueberzeugung jener Menschen, wie auch ein fast augenblicklicher Rückfall eines großen Theils derselben bewies. Es entsprang aus dem niederdrückenden Gefühle ihres damaligen Zustandes, der ihre, überdies dem Aberglauben geneigten Gemüther erfüllte. Fanatische Prediger machten

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sie außerdem noch glauben, der Gott der Missionäre wollte sich der im Lande verbreiteten Laster wegen an dessen unglücklichen Bewohnern rächen. Zu jener Zeit war auch wirklich ein Theil der Bevölkerung dem Verschmachten nahe.

So vielversprechend auch der Charakter der Tahitier im ersten Augenblick erscheint, so sehr finden sich die Missionäre in ihren Erwartungen getäuscht, denn Heuchelei ist eine nur zu häufige Eigenschaft der Polynesier und sie scheinen nicht selten an irgend einem Gegenstand das größte Interesse zu nehmen, der ihnen wirklich höchst gleichgültig ist, und dennoch stellen sie sich so, weil sie vielleicht von denen, deren Empfindungen sie dadurch nachahmen, etwas zu erlangen hoffen, oder weil sie dieselben fürchten. Ein Beispiel hiervon geben die Sandwich-Insulaner, von denen Vancounyre erzählt, daß sie sich bei dem Tode eines ihrer Häuptlinge die Zähne ausschlagen, die Haare ausrissen und ihren Körper mit Muscheln zerschnitten, um dadurch ihren Schmerz anzudeuten, während sie gleich darauf, wenn man ihnen ein Stückchen Spiegelglas oder eine Pfennigpfeife gab, so froh und guter Dinge wurden, als ob vorher gar nichts trauriges vorgefallen wäre. Aehnliche Beispiele habe ich selbst zu verschiedenen Zeiten erlebt.

Etwas, das mit der Religion der Methodisten Aehnlichkeit hat, wird von den bekehrten Eingeborenen in Polynesien erzählt.

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Auf einer der Gesellschafts-Inseln – Raiatair glaube ich – wollten sich die Eingeborenen, wahrscheinlich aus besondern Gründen, dem Wohlwollen der Missionäre ganz vorzüglich empfehlen und betrugen sich während des Gottesdienstes auf eine wirklich heidnische Art; sie stellten sich als ob sie durch die Predigt zu förmlicher Raserei getrieben würden; sprangen mit rollenden Augen und schäumenden Lippen empor und fielen zuletzt in Zuckungen nieder, in welchem Zustand sie denn auch endlich nach Hause geschleppt wurden. Dennoch wurde dieses, sonderbarer Weise, der Macht des Höchsten zugeschrieben und in die Welt hinausposaunt.

Doch kehren wir zu unsrer Kirche zurück.

Sobald der letzte Segen gesprochen ist, zerstreut sich die Versammlung und belebt nun für kurze Zeit die Besenstraße mit ihren bunten, regsamen Gestalten; diese aber verschwinden bald hier, bald da auf kleinen Beipfaden im Dunkel der schattigen Palmen; aber so munter und lustig sind sie dabei, als ob sie eben von einem ihrer frühem „hevar“ oder wilden Heidentänzen kämen und selbst die, welche Bibeln tragen, schlenkern solche, an Stücken Bast gewöhnlich, spielend in der Luft herum, oder tragen sie einfach vom Arm herunterhängend.

Der Sabbath ist übrigens bei den Tahitiern kein gewöhnlicher Tag, und was das Aufhören der Arbeit betrifft, so feiern sie ihn auf das Sorgfältigste; die Canoes werden

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auf den Strand gezogen, die Netze zum Trocknen ausgebreitet und wenn man an ihren kleinen Hütten vorübergeht, so findet man die Inwohnenden wohl so faul wie immer, aber noch schweigsamer auf ihren Matten liegen. Auch die vom See abführenden Thäler sehen stiller aus als gewöhnlich. Kurz es ist Sonntag, ihr Tabootag, und sie gebrauchen jetzt wirklich dasselbe Wort für die Heiligkeit des christlichen Sabbath, das sie früher bei ihren heidnischen Gebräuchen benutzten.

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Capitel IV.
Etwas über die Kannakippers, und wie sie sich in Tahiti kleiden.

Ein würdiger junger Mann, ein früherer Freund von mir (ich spreche nemlich von Kooloo mit aller möglichen Achtung, denn nach dem intimen Verhältniß in welchem wir früher zusammengestanden, müßte das ein schlechtes Licht auf mich werfen) der in anständiger Zurückgezogenheit leben wollte, wohnte in einem „maroo boro“ oder Brodfruchtschatten, wie eine freundliche Gruppe von Bäumen genannt wurde, die zwischen der Calabouse Beretanee und der Kirche von Cocosholz stand; in der letztern war er aber ein ziemlich häufiger Gast und trotzdem, daß ich seinen Charakter in etwas kennen gelernt und sonst auch Gelegenheit hatte, sein übriges Betragen häufig zu beobachten, erwies er sich stets als frommer Gläubige und eifriger Anhänger des Christenthums.

Auch die Mädchen, so demüthig und andächtig sie in der Kirche sein mochten, wurden wild und ausgelassen,

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sobald sie darüber hinaustraten, und ließen sich auch hie und da noch Manches zu Schulden kommen, was mit ihrem sonst so frommem Eifer keineswegs harmonirte.

Dies Alles ging mir im Kopf herum und ich beschloß, wenn es irgend möglich sei, Aufschluß darüber zu erhalten; obgleich es allerdings wohl eine schwierige Sache für einen Fremden ist, in die geistigen Angelegenheiten als Unbekannter eindringen zu wollen; Vorsicht war hier also nöthig.

Farnow, ein alter Eingeborener, der sich kürzlich aus seinem aktiven Dienst hierher zurückgezogen und seine laufenden Geschäfte durch seinen Sohn besorgen ließ (er war eine Art Schnellläufer bei der Königin Pomare gewesen), hatte sich kaum fünfhundert Schritt vom Capitän Bob niedergelassen, und unsere Nachbarschaft wahrscheinlich deshalb gewählt, weil es ihm die Gelegenheit gab, seine drei Töchter in einen anständigen Cirkel einzuführen. Auf jeden Fall sahen die drei Schwestern – ebenfalls zur Kirche Gehörige – die Aufmerksamkeiten eines Gentlemans, wie der Doktor war, gern und verstatteten ihm freundlich, sie zu besuchen, wenn es ihm beliebe.

Eines Abends schlenderten wir Beide denn auch hinüber und fanden die Damen zu Hause. Mein langer Freund nahm seine Lieblinge, die beiden Jüngsten bei einem Spiele „New“, bei welchem ein Stein unter drei Stücken Tappa

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gesucht werden muß, – in Anspruch, während ich selbst auf einer Matte neben Ideea, der ältesten Tochter lehnte, mit ihrem Grasfächer spielte und meine Kenntniß der tahitischen Sprache bereicherte.

Diese Gelegenheit schien mir äußerst passend, meinen Vorsatz auszuführen und ich begann.

– Ah, Ideea, mickoaares oee? etwa dasselbe, als ob ich gesagt hätte: Ach, Ideea, mein Fräulein, was ich Sie gleich fragen wollte, gehören Sie der Kirche an?

– Ja, ich Mickonaree!

So befriedigend nun allerdings dieser Bescheid klang, so erhielt er doch noch eine Beifügung, die mich auf das Aeußerste in Erstaunen setzte und die ich hier auf jeden Fall erzählen muß.

– Mickonaree ena“ (Kirchenmitglied hier), sagte sie und legte dabei ihre Hand auf den Mund, während sie das Beiwort stark betonte. Auf dieselbe Art berührte sie auch Augen und Hände; dann aber wechselte sich plötzlich ihr ganzes Wesen und sie gab mir durch ganz unzweideutige Bewegungen zu verstehen, daß sie in anderer Hinsicht keine Mickonaree sei und dieser Bemerkung folgte ein schallendes Gelächter, in welches die übrigen Schwestern mit einstimmten. Um nicht unhöflich zu erscheinen, mußten wir natürlich dasselbe thun; nach dieser Erklärung aber suchten wir uns sobald als möglich zu entfernen.

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Diese, ihre Religion betreffende, Heuchelei, wird noch auf höchst unkluge Weise von den Missionären eher genährt als gehoben, so z. B. schicken sie Sonntags Morgens, wenn die Versammlung etwas mager auszufallen scheint, eine Partie junger Burschen, mit Stöcken versehen, auf die öffentlichen und Nebenstraßen, die als förmliche Eintreiber der Prediger dienen müssen. Diese braven Männer bilden eine wirkliche Kirchenpolizei und man kann sie stets an den großen weißen Diapers erkennen, die sie tragen. In Wochentagen sind sie übrigens eben so geschäftig wie an Sonntagen und kriechen, zum großen Entsetzen der Eingeborenen, auf der ganzen Insel herum, um die Sündhaftigkeit der Bewohner auszuspähen.

Außerdem besorgen sie auch noch das Eintreiben der von den Missionären auferlegten Strafen, die größtentheils in Matten bezahlt, und für Nichterscheinen bei der Predigt oder sonstige entsetzliche Sünden auferlegt werden.

Der alte Bob nannte diese Burschen Kannakippers, ein Wort, das meiner Meinung nach aus dem ähnliches bedeutenden „Constabel“ entstanden ist.

Er haßte sie wie die Sünde, und als er eines Tages, da er nach Hause ging, hörte, es befänden sich zwei von ihnen gerade in solcher Absicht in seiner Wohnung, so versteckte er sich hinter einen Busch und als sie wieder herauskamen, flogen ihnen von ungesehener, aber gar kräftiger Hand geschleudert,

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ein Paar grüne, harte Brodfrüchte zwischen die Schultern hinein, die sie schneller zu Boden brachten, als Jene es vielleicht vermuthet. Die Matrosen in der Calabouse hatten das mit angesehen und priesen, als sich Jene entfernt hatten, den alten Capitän sehr dafür; eben so erfreut waren die Damen darüber, und in der That haben die Kannakippers keine größern Feinde als diese Letztern. Das ist denn auch kein Wunder, denn die impertinenten Schufte stecken die Nasen alle Augenblicke in ihre innersten Gemächer und wollen fortwährend wissen, was darin vorgeht.

Außer dieser verwünschten Neugierde fügen sie aber auch noch der Beleidigung einen förmlichen Schaden hinzu, denn sie suchen ordentlich etwas darin, jeden Tag in einer andern Hütte ihres Bezirks ihr Mittagsmahl zu halten. Merkwürdig ist es dabei, daß sich die Herren des Hauses das gefallen lassen; doch gut und sanftmüthig, wie sie sind, glauben sie gar nicht, daß sie irgend etwas anderes thun können als gastfrei zu sein.

Ein besonderer Zweck dieser Burschen ist der, Liebespärchen auszutreiben. Eine so große Geschicklichkeit sie aber auch darin besitzen, so schlug ihnen das doch einmal, während unseres Aufenthaltes, fehl.

Gerade ehe wir die Insel betraten, hatten zwei leider gegenseitig anders verheirathete Personen, eine solche Zuneigung zu einander gewonnen, daß sie zusammen auf und

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davon liefen. Augenblicklich wurde Lärm geschlagen und sie mit wildem Geschrei verfolgt; aber volle neunzig Tage lang bekam Niemand etwas von ihnen zu sehen. Nach Verlauf dieser Zeit wurden wir eines Tages aus der Calabouse gerufen und sahen, wie ein Volkshaufe die beiden Liebesleute umschlossen hatte, die man jetzt nach der Stadt schaffte, um verhört und bestraft zu werden.

Wunderbar genug sahen sie aber aus, denn das Hüftentuch ausgenommen gingen sie ganz nackt; das Haar hing ihnen wild und lang um die Schläfe, war an den Enden gelb gebrannt und stak voll Kletten, während die Dornen ihre Körper überall wund und blutig gerissen hatten. Es scheint, als ob sich die beiden Leutchen nach dem alten Grundsatze „eine Hütte und ein Herz“, in den innersten Wald zurückgezogen hatten, in dem man sie endlich, wahrscheinlich bei einem unvorsichtigen Spaziergang, entdeckte.

Später verurtheilte man sie, einen Strich von hundert Klafter Besenstraße anzulegen, was wenigstens eine Arbeit von sechs Monaten war.

Doch um wieder auf die Kannakippers zu kommen, so haben diese auch noch einen ziemlich gewöhnlichen Spottnamen unter den Eingeborenen; man nennt sie nemlich „Bitte-Gott’s“, da sie sehr oft, wenn sie in ein Haus kommen, um ihren eignen frommen Charakter zu zeigen, eine Betversammlung halten.

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Was die Kleidung der Tahitier anbetrifft, so bestand diese in alten Zeiten einzig und allein aus selbst gekochten Tappa; der Klang der Tuchhämmer ist aber längst verschollen in jenen stillen Thälern und die Bereitung der Tappa ist jetzt zur Strafe geworden. Früher verbrachten die Mädchen ihren Morgen, wie Ladies an ihrem Stickrahmen; jetzt lehrten sie mässig auf ihren Matten. Allerdings verfertigen die Meisten ihre eigenen Gewänder, doch die sind mit ein Paar Stichen zusammengeheftet und das Verdienst wenigstens haben die Damen von der Mission, daß sie die weibliche Bevölkerung nähen lehrten.

Der „kihee whinenee“ oder Unterrock ist ein bloßes Stück weißes Baumwollenzeug oder Kattun, das die Gestalt von der Taille bis zu den Füßen locker umgiebt. Dadurch, daß es einfach zusammengenommen, oder an den obern Ecken gehalten wird, verschiebt es sich auch oft und giebt dadurch den Damen Gelegenheit es ganz kokett zu arrangiren. Ueber dem kihee tragen sie auch noch eine Art von Rock, der vorn offen, sehr weit, und so bequem als möglich ist.

Aber was soll ich von jenen entsetzlichen Hüten sagen? Denkt Euch eine Hand voll Stroh in die Form einer Kohlenschaufel geflochten und ganz gerade oben auf den Kopf gesteckt, während ein oder zwei Ellen rothes Band wie die Schwänze an einem Papierdrachen hinten nach flattern. Putzmacherinnen von Paris, was würdet Ihr zu dieser Mode

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sagen? Das Schrecklichste an der ganzen Sache ist, daß sie die Frauen der Missionäre selbst sollen eingeführt haben; ich will aber zu ihrer Ehre glauben, daß ihnen das nur aus schändlicher Verleumdung nachgesagt wird.

Wunderbarer Weise hält man diese auf den Kopf zu stülpenden Dinger für außerordentlich kleidsam, und das Strohflechten ist eine der wenigen Beschäftigungen der höhern Klassen. Die jungen Mädchen tragen übrigens gar keine Hüte und überlassen es den guten, alten Seelen, ihren Müttern, zum förmlichen Skandal herum zu laufen und Vogelscheuchen aus ihnen zu machen.

Was die Männer anbetrifft, so scheinen die, die sich bis zu europäischen Kleidern aufgeschwungen haben, eine Verbindung zwischen den verschiedenen Stücken keineswegs zu verlangen. Jemand also, der z. B. einen Rock trägt, hält vielleicht ein Paar Hosen für sehr entbehrlich, und ein schwarzer Filzhut und ein Hüftentuch wird wiederum von einem Andern als ein völliges Ballkostüm betrachtet. Der junge Matrose, um dessenwillen mich Kooloo verließ, schenkte diesem eine alte abgetragene Matrosenjacke, mit der er, bis an das Kinn zugeknöpft, unter einer tropischen Sonne, ganz vergnügt die Besenstraße auf und ab spazierte. Doktor Lattengeist, der ihm dort begegnete, wäre mit der Behauptung gestorben, er stünde gerade unter medizinischer Behandlung, und es sei ihm dabei ein starkes Schwitzbad verordnet worden.

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Ein gewisser Junggeselle, Freund des Capitäin Bob, war stolz auf einen vollen europäischen Anzug, mit dem er oft die Herzen der Damen im Sturm eroberte, und da er sich sehr für das Militär interessirte, so verzierte er seinen Rock nicht allein mit einem sehr schönen rothen Flecken auf der Brust, sondern brachte auch noch hie und da einige Uniformknöpfe an, die er höchst schlauer Weise einigen trunkenen Marinesoldaten von den Schößen geschnitten hatte. Trotzdem wollte ihm aber das doch nicht alles recht sitzen; der Rock war ihm besonders über den Schultern zu eng und seine Ellbogen standen ihm deshalb steif vom Körper ab; eben so hatte er die Beine auf solche Art in die höchst engen Pantalons hineingeklemmt, daß sämmtliche Faden des ganzen Gewebes kenntlich wurden, und ich bei jeder seiner Bewegungen die schrecklichste Katastrophe erwartete.

Im Allgemeinen scheinen die Männer auch keiner gewissen Mode in ihrer Tracht zu folgen; sie hängen, was sie bekommen können, um sich herum und kleiden sich bald wie ihre Vorväter, bald suchen sie deren Geschmack auf andere, ihnen mehr zusagende Art zu verbessern.

So lächerlich aber auch die Tahitier jetzt in manchen fremdartigen Kleidungsstücken aussehen mögen, so verschieden von denen war ihr früheres Originalkostüm, das sie trefflich kleidete, ihre Gestalten anständig, ja fast zu sehr verhüllte und dem Klima doch zugleich entsprach. Die Tappaschurze

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aber und die ausgefranzten Maroe’s, wie andere früher von ihnen getragene Artikel, sind jetzt durch das Gesetz als unanständig Verboten. Aus welchem Grunde aber eben dieses Gesetz auch den Frauen untersagte, Halsbänder und Blumen zu tragen, weiß ich nicht; ich glaube aber, die Priester setzten das mit einem längst vergessenen heidnischen Gebrauch in Verbindung und wollten selbst die Erinnerung daran vermeiden.

Viele freundliche und gewiß unschuldige Vergnügungen und Spiele sind ebenfalls untersagt. Im alten Zeiten übten sich die Eingeborenen oft in athletischen Kämpfen, im Ringen, Wettlaufen, im Schleudern des Wurfspießes und Bogenschießen. In allen diesen Sachen zeichneten sie sich aus und feierten, ihnen zu Ehren, große Feste. Zu ihren alltäglichen Unterhaltungen gehörte Tanz, Ballwerfen, Drachen steigen lassen, das Flöteblasen und der Gesang alter Sagen und Balladen, was jetzt alles verbotene und sogar mit Strafen belegte Verbrechen sind. Viele der letzteren sind freilich so lange außer Gebrauch gekommen, daß man kaum noch ihrer gedenkt.

Auf dieselbe Art ist auch der „opio“ oder das Erntefest der Brodfrucht unterdrückt worden, obgleich es, nachdem, wie es mir Capitäin Bob beschrieb, keineswegs auch nur die mindeste unmoralische Tendenz gehabt. Gegen Tättowiren wurde ein besonders strenges Gesetz erlassen.

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Daß sich die Eingeborenen diesem Zwange, der fast alle ihre nationellen Vergnügungen und Sitten zerstörte, nicht gutwillig und geduldig fügten, läßt sich denken, und selbst jetzt noch feiern sie heimlich, aber auch um so eifriger ihre festlichen Tänze. Wahrscheinlich hatten die Missionäre, als sie die Nationalität dieses Volks zerstörten, eine gute Absicht, aber die Wirkung hat sich als gar traurig bewiesen und die Tahitier, die für alles das, was man ihnen nahm, gar keinen Ersatz erhielten, sanken in eine Unthätigkeit und Faulheit, die viel verderblicher für sie wurde, als es alle Spiele, die man in dem Tempel von Tanee feierte, hätten werden können.

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Capitel V.
Tahiti wie es ist.

Ich bin in den vorigen Capiteln fast unbewußt näher auf die Verhältnisse der Indianer eingegangen, als es anfänglich meine Absicht gewesen, und möchte nun, um keine irrigen Ansichten zurückzulassen, noch einen bestimmteren Blick darauf werfen. Vorher will ich aber nur das noch bemerken, daß ich den Missionären und ihrer Sache keineswegs feindlich gesinnt bin, sondern sie nur zu schildern wünsche, wie ich sie wirklich gefunden.

Von dem, was aus den Polynesiern geworden, nachdem sie mit Fremden in Verbindung getreten, von ihnen civilisirt und zur christlichen Religion bekehrt sind, liefert Tahiti vielleicht das beste, umfangreichste Beispiel. Die gegenwärtige Generation ist Vollständig unter ihren neuen Religionslehrern aufgewachsen, und wenn auch hie und da der Einwurf gemacht werden könnte, daß die Arbeiten der Letztern zu verschiedenen Zeiten mehr oder weniger durch principienlose

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Fremde untergraben wurde, so kann dies dadurch in keiner Weise Tahiti als ein weniger gutes Beispiel erscheinen lassen, denn mit solchen Hindernissen müssen die Missionäre in Polynesien stets und fortwährend und auf allen verschiedenen Inseln kämpfen.

Fast sechzig Jahre sind verflossen, seit die Tahitier Mission zuerst ins Leben trat, und noch für kein Unternehmen haben sich wohl so viele Menschen und mit so regem Eifer interessirt. Hierbei kann das auch nicht in Betracht kommen, daß die ersten Arbeiter in diesem Werk, wenn auch äußerst gewissenhaft, doch größtentheils unwissend und in vielen Fällen entsetzlich bigott waren. Dies ist der Fehler fast aller ersten Vorläufer der Religion gewesen. In neuerer Zeit ist vielleicht die Uneigennützigkeit und der Eifer dieser frommen Leute nicht mehr so groß als früher, dennoch haben sie sich gewiß viele Mühe gegeben die ihrer Obhut Anvertrauten zu Christen zu machen. In wie weit ihnen das gelungen, will ich versuchen darzuthun.

Das System des Götzendienstes ist gänzlich bei Seite geworfen, eben so manch andere barbarische Sitte, die mit diesem in Verbindung stand. Das dürfte aber vielleicht weniger den Missionären als überhaupt dem langjährigen Verkehr zuzuschreiben sein, den die Bewohner von Tahiti mit den Europäern gehalten; ihre Insel war ja auch seit ihrer Entdeckung der Hauptsammelplatz aller Südseefahrer. Auf

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den Sandwich-Inseln wurde ebenfalls dem mächtigen Taboo wie dem brutalen Götzendienst des Landes entsagt, und zwar freiwillig, ehe selbst die ersten Missionäre zu ihnen kamen.

Einen eben so günstigen Einfluß hat der häufige Verkehr und der Aufenthalt von achtbaren Europäern auf dieser Insel auf die Eingeborenen wie auf ihre Behandlung ausgeübt, denn sie wurden nicht mehr als bloße Wilde grausam und rücksichtslos behandelt. Die natürliche Folge hiervon war, daß sie ebenfalls freundlicher gegen die Weißen gesinnt wurden und Fahrzeuge aller Art können jetzt in die Häfen mit völliger Sicherheit einlaufen.

Doch ich will vor allen Dingen hier die Resultate ausführen, die durch die Missionäre wirklich herbeigeführt wurden.

In allen Fällen haben diese nach besten Kräften die Uebel zu heben gesucht, die für die Eingeborenen aus einem Verkehr mit den rohen Handelsleuten entsprangen. Solche Versuche, die allerdings oft auf verkehrte Weise angegriffen wurden, sind auch größtentheils nutzlos geblieben. In der That verhindert das schon, wenige Fälle ausgenommen, der Charakter des Volkes selbst; doch läßt sich nicht läugnen, daß sie im Ganzen den moralischen Zustand der Insulaner in Etwas verbessert haben.

Ferner ist durch sie die ganze Bibel in die Landessprache übersetzt worden und ich selbst kannte Mehrere, die im Stande waren, sie mit Leichtigkeit zu lesen. Sie haben auch Kirchen

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errichtet und Schulen, sowohl für Kinder, als Erwachsene, gebaut; die letztern sind aber leider sehr vernachlässigt und Manche wollen das dem Einfluß der Franzosen zuschreiben.

Allerdings sind Viele, ja sehr Viele zum Christenthume bekehrt, aber leider auch nur bekehrt ohne den wirklichen Geist desselben in sich aufgenommen zu haben. Das Neue der Religion fesselte sie; vielleicht glaubten sie gerade dadurch den Uebeln zu entgehen, die durch das neue Volk über sie gebracht wurden. Viele sind auch durch ihre Häuptlinge, ja Tausende wohl durch Hoffnung auf einen Gewinn dazu bewogen worden. So werden mehrere Beispiele aufgestellt, wie wunderbar der heilige Geist auf die verwahrlosten Herzen der Wilden gewirkt habe. Sie verbrannten damals ihre Götzenbilder und stürzten sich in wirklich toller Eile dem Wasser zu, um nur getauft zu werden; aber eben diese Schnelle, dieses unüberlegte Wechseln des Glaubens, wo der, welcher seine alten Götter abschwor, noch nicht einmal begriffen haben konnte, welcher Art das neue Wesen sei, das er verehren solle, mag Zeugnis geben, wie wenig haltbar ein solcher Glaube sein würde.

Williams, der Märtyrer von Erromanka, erzählt ein Beispiel, wo die Bewohner einer Insel, und zwar Christen, sich plötzlich freiwillig versammelten und feierlich alle ihre heidnischen Gebräuche wieder annahmen.

Was die Missionäre übrigens selbst von dem gegenwärtigen

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Christenthum und dem moralischen Zustand der bekehrten Polynesier halten, mag das folgende Beispiel lehren.

Auf der Insel Imeeo, die zur tahitischen Mission gehört, ist ein Seminar unter der Führung des ehrwürdigen Mr. Simpson und Frau, und zwar einzig und allein für die Erziehung von Missionärkindern. Diese werden manchmal noch in sehr frühem Alter wieder nach Hause geschickt, um sich vollkommen auszubilden und lernen hier wenig mehr als die ersten Anfangsgründe, was sie in den Schulen der Eingeborenen allenfalls auch lernen konnten. Hier aber werden die beiden Racen vollkommen getrennt gehalten um, wie die Missionäre ganz offen gestehen, die jungen Weißen vor der moralischen Verderbtheit der Indianer zu bewahren, ja man läßt sie zu diesem Zweck nicht einmal die Sprache der Eingeborenen lernen.

Auf den Sandwich-Inseln gingen sie noch weiter und umgaben sogar den Spielplatz der Missionärkinder mit einer viele Fuß hohen Wand, um die kleinen bösen Havaier desto besser fern halten zu können.

Und dennoch, so wunderbar das auch scheinen mag, schreibt sich diese Verworfenheit der Polynesier erst von jener Zeit her, wo sie mit den Weißen in Verbindung traten. Der vortreffliche Capitän Wilson, der die ersten Missionäre nach Tahiti führte, bestätigt selbst, daß das Volk dieser Insel,

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in manchen Stücken reinere Ideen von Anstand hätte, als die Weißen selber.

Die Missionäre sagen natürlich in ihren Berichten nichts von ihrer jetzigen Immoralität, oder mildern dieselbe doch so viel als möglich; es kann auch sein, daß sie nicht so viel davon zu sehen bekommen, denn die Eingeborenen thun sich in ihrer Gegenwart gewiß stets ganz besondern Zwang an. Auch Capitän Beethy macht diese Bemerkungen, indem er sich auf die „Polynesian Researches“ von Ellis bezieht, und sagt, daß die Eingeborenen ihn nicht fürchteten und deshalb auch in seiner Gegenwart nach ihren natürlichen Gefühlen handelten, wodurch er viel besser im Stande gewesen sei, eine korrekte Kenntniß ihrer Eigenschaften und Gewohnheiten zu erlangen.

Ein gleiches war mit mir der Fall, der ich ja so lange Zeit freundschaftlich mit den Eingeborenen verkehrte.

Es ist oft behauptet worden, daß die einzige Art, ein Volk zu civilisiren, die sei, eine thätige Industrie unter ihnen herzustellen. Nach diesem Princip sind die Tahitier aber jetzt weniger civilisirt als früher, denn seit ihnen so manche ihrer frühern Gebräuche verboten worden, haben sie sich völlig dem Müssiggang ergeben und anstatt neue Künste zu lernen, selbst ihre alten vernachlässigt.

Die Verfertigung der Tappa, wie ich schon früher bemerkte, ist in manchen Theilen der Insel schon ganz in

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Vergessenheit gerathen, eben so wenig stellen sie sich noch, da sie die größere Vortrefflichkeit der europäischen Waaren kennen gelernt, ihre eigenen Werkzeuge und Hausgeräthe her. Das würde jedoch auch gar nicht nöthig sein, wenn sie dann wenigstens etwas anderes, ihren Kräften und Fähigkeiten Entsprechendes vornähmen, um sich die wenigen Sachen, die sie brauchen, anschaffen zu können; doch sie sind weit davon entfernt das zu thun, und da die Meisten auch nichts besitzen um sich europäische Geräthe kaufen zu können, so läßt sich der elende Zustand leicht erklären, in dem die ärmern Klassen leben. Ich selbst kam doch eben von einem weit weniger civilisirten Lande; wenn ich aber einen Vergleich zwischen meinen alten Freunden, den Typees, und den Tahitiern anstellte, so fiel dieser allerdings sehr zum Nachtheil der Letzteren aus.

In Tahiti haben die Leute nichts zu thun und allgemeine Faulheit ist die Mutter jedes andern Lasters; allerdings sind wiederholt Versuche gemacht worden, sie nur ein klein wenig aus dieser Lethargie aufzurütteln, doch umsonst. Vor mehreren Jahren wurde die Cultur der Baumwolle eingeführt, mit ihrer gewöhnlichen Liebe für alles Neue warfen sich sich eifrig darauf; das Interesse nahm aber schnell wieder ab und jetzt wird kein Pfund mehr gebaut.

Etwa um dieselbe Zeit wurde eine Webemaschine von London dorthin gesandt und auf Afrehitoo in Imeeo eine

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Faktorei eröffnet. Das Schwirren der Räder und Spulen brachte auch bald von allen Seiten Freiwillige herbei; es wurde ordentlich für eine Ehrensache gehalten, dort zu arbeiten; in kaum sechs Monaten aber konnte man nicht einmal mehr für schweres Geld Knaben dazu erhalten, und Räder und Spulen mußten auseinander geschlagen und nach Sidney geschafft werden.

Ebenso war es mit der Cultur des Zuckerrohrs; dies Rohr ist nemlich eine der Insel angehörige Pflanze, der Klima wie Boden hier vollkommen zusagt, und wächst in so vortrefflicher Qualität, daß es sogar von hier nach Westindien ausgeführt wurde. Die Plantagen gediehen auch in erster Zeit vortrefflich, die Eingeborenen schwärmten in den Feldern wie die Ameisen und ruhten und rasteten nicht; die wenigen Plantagen aber, die jetzt noch bleiben, gehören Weißen und werden von Weißen bearbeitet, denn ein Pflanzer von Tahiti würde lieber einem trunkenen Matrosen achtzehn oder zwanzig spanische Dollar den Monat geben, ehe er einen Eingeborenen für seinen Fisch und Taro in Arbeit nähme.

Die Civilisation auf den Südsee-Inseln geht denn auch nicht allein von den Weißen aus, sondern beschränkt sich fast nur auf diese; so sagt man allerdings, daß in Honolulu, der Hauptstadt der Sandwich-Inseln, schöne Wohngebäude, verschiedene Hotels, Barbierstuben, ja selbst Billardzimmer existirten und das ist auch wirklich der Fall; es giebt dort

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Schneider, Schmiede und Zimmerleute; aber es sind lauter Weiße, nicht Einer von alle denen ist ein Eingeborener.

Die Wahrheit ist, daß Handwerke sowohl, wie Ackerbau und alle andern Beschäftigungen des civilisirten Lebens eine viel zu regelmäßige Anstrengung erfordern, um einem so müssigen und weichlichen Volk, wie die Polynesier sind, zuzusagen. Die Natur bestimmte sie hier zu dem, was sie früher waren, und was dem Klima wie ihrem ganzen Wesen entsprach; als Race können sie auch auf andere Art nicht lange existiren.

Die folgenden statistischen Angaben sprechen für sich selber:

Im Jahre 1777 schätzte Capitän Cook die Bevölkerung von Tahiti auf etwa 200,000 und er fügte hinzu, er sei überzeugt, daß, nach den ungeheuern Volkshaufen, die überall umherschwärmten, diese Angabe keineswegs zu groß wäre. Nach einer regelmäßigen Zählung vor vier oder fünf Jahren erwies sich die ganze Einwohnerzahl auf nur 9000. Diese entsetzliche Abnahme zeigt nicht allein, welche Uebel die Civilisation über dies Land gebracht hat, sondern beweist auch, daß Alles das, was man früher diesen Insulanern Schuld gab, als Kriege, Kindermorde und andere Ursachen einer Entvölkerung, gar nicht gegen das jetzige Verhältniß in Betracht kommen konnte.

Der Trunk und gelegentliche Anfälle von Blattern räumten

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schlimm unter ihnen auf; fürchterlicher aber noch wurde eine ansteckende Seuche, die jetzt das Blut von wenigstens zwei Dritteln der geringem Klassen vergiftet hatte und sich, in einer oder der andern Form, sogar vom Vater auf den Sohn vererbte.

Das Entsetzen, das diese Krankheit bei ihrem ersten Erscheinen unter den Eingeborenen verbreitete, war fürchterlich. Selbst der Name, den sie ihr gaben, ist eine Zusammenstellung von allem Scheußlichen und Grausenerregenden.

Durch ihre Leiden fast wahnsinnig gemacht schleppten sie ihre Kranken vor die predigenden Missionäre und schrien dort: „Lüge! Lüge! Lüge! Ihr redet zu uns von Heil und wir kommen hier elendiglich um; wir verlangen kein anderes Heil als in dieser Welt zu leben! Wo sind die, die Ihr durch Eure Reden gerettet habt? Pomare ist todt und wir Alle sterben durch Eure verfluchten Laster; – wann werdet Ihr aufhören?“

Gegenwärtig hat sich diese ansteckende Krankheit weniger bösartig gezeigt, aber das Gift ist dafür nur desto weiter verbreitet.

Es läßt sich nun gewiß nicht läugnen, daß den Tahitiern die Missionäre nicht zum Segen, aber wohl zum Fluch geworden sind, wenigstens für diese Welt, und der geringe Nutzen, den sie ihnen gebracht, kann das Elend nicht aufwiegen, das ihnen folgt. Ihre Aussichten für die Zukunft

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sind auch hoffnungslos. Das Einzige, was sie erwartet ist: noch Jahrelang durch ein krankhaftes Dasein hingeschleppt zu werden, bis sie die Woge der Zeit verschlingt und in Vergessenheit begräbt.

Die Insulaner kennen auch ihr Schicksal und sehen es mit wehmüthigem Schmerz mehr und mehr herannahen. Vor mehreren Jahren sagte Pomare II. zu Tyreman und Bonnet, den Deputirten der London-Missions-Gesellschaft: „Ihr seid hierhergekommen mich in einer sehr bösen Zeit zu besuchen. Eure Vorfahren kamen in der Zeit der Männer, damals als Tahiti bewohnt war; Ihr könnt nur noch den Ueberrest meines Volkes sehen.“

Von gleichem Inhalt und leider nur zu treu, war die Prophezeihung Teearmoar’s des hohen Priesters von Paree, der vor mehr als hundert Jahren lebte. Oft habe ich sie mit leiser, trauriger Stimme von alten Tahitiern singen hören. Sie lautete:

„A harree ta sow,
A toro ta farraro,
A now ta tararta.
Der Palmbaum soll wachsen,
Die Coralle sich breiten,
Aber der Mensch wird untergehen.

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Capitel VI.
Dem langen Doktor passirt etwas. Wilson verläugnet uns. Abfahrt nach Imeeo.

Wir wollen jetzt zur Erzählung zurückkehren.

Am Tage, ehe die Julia absegelte besuchte uns Doktor Johnson zum letzten Male; er war nicht ganz so wohlwollend wie früher. Alles was er verlangte war, die Namen der Männer unter ein Verzeichniß zu bekommen, das die an sie abgelieferten Medizinen enthielt. Diese Rechnung, von Capitän Guy nachher ebenfalls unterschrieben, sicherte ihm seine Bezahlung; übrigens würde er keine Matrosen-Unterschrift bekommen haben, wäre ich oder der Doktor in jener Zeit dagewesen.

Mein langer Freund konnte nemlich Johnson nicht leiden, ja, haßte ihn sogar aus tiefster, innerster Seele, obgleich ich nie herausbekommen konnte, was er eigentlich gegen ihn hatte. Was mich betrifft, so verachtete ich mehr diesen Johnson als einen erbärmlichen, erkäuflichen Apotheker und

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debattirte deshalb oft mit Lattengeist, wenn er auf ihn tobte und wüthete und ihm tausenderlei erschreckliche Beinamen gab. In seines Collegen Gegenwart benahm er sich jedoch weit ruhiger und sogar freundlicher, um den Spaß nicht zu verderben, den sich die Uebrigen mit ihm machten.

Hier muß ich übrigens eine andere kleine Geschichte erzählen, in welcher mein langer Freund mit dem Arzt figurirte und bei der ich, obgleich uns Jener keineswegs mit ins Geheimniß zog, stark vermuthe, daß er sie zu seinem eignen Besten arrangirt hatte.

Wenige Tage nachdem Johnson, wie oben erwähnt, seine Rechnung eingereicht, äußerte der Doktor sein Bedauern gegen mich, daß der Quacksalber, obgleich wir ihn zu unserm Spaß benutzt, doch seinen Zweck erreicht und Geld bei der Sache verdient habe.

– Ich möchte nur wissen, setzte er dabei hinzu, ob man ihn jetzt, wo er nichts mehr zu erwarten hat, noch einmal heraussprengen könnte.

Es muß ein sonderbares Zusammentreffen gewesen sein, denn noch waren nach dieser Bemerkung nicht fünf Minuten verflossen, als der Doktor in einem mir unbegreiflichen Krampfanfall zu Boden fiel und Capitän Bob auch ohne weiter Jemand darum zu fragen, augenblicklich einen Jungen nach Johnson absandte.

Indessen trugen wir den Kranken in die Calabouse und

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die Eingeborenen, die sich zahlreich versammelt hatten, schlugen verschiedene Mittel vor, ihn zu behandeln. Einer z. B. verlangte, daß der Patient von einem Theil an den Schultern gehalten und von dem andern an den Füßen gezogen würde. Diese Operation nannten sie die Potata, da wir aber unsern langen Kameraden schon für hinlänglich gezogen hielten, ohne daß wir uns noch besonders zu bemühen brauchten ihn auszudehnen, so weigerten wir uns ihn zu potatiren.

Es dauerte übrigens gar nicht lange, so kam der Doktor Johnson die Besenstraße in voller Hast herunter, wobei er gar nicht seine eigne Gefahr zu bedenken schien, da man eigentlich in einem tropischen Klima nie in Eile sein soll. Falsch wäre es aber gewesen, diese Hast einem Gefühl der Theilnahme zuzuschreiben. Nein, der ihm gemeldete Zustand war in Polynesien eine große Seltenheit und er wünschte natürlich den zu beobachten.

Unter gewissen Umständen sind nun Matrosen, obgleich gewöhnlich wild und ausgelassen, doch ganz besonders geneigt, alles in der gehörigen Ordnung seinen Gang nehmen zu lassen, demnach wurde ich, als des Doktors intimer Freund, gewählt, oben an seinem Kopf zu sitzen um als Sprecher alle Fragen zu beantworten, während sich der Rest ganz ruhig Verhalten sollte.

– Was ist vorgefallen? schrie Johnson ganz außer Athem, als er in die Calabouse hereinplatzte. Wie kam es

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denn eigentlich? – Sprecht schnell – und er sah den Lattengeist mit prüfenden Blicken an.

Ich erzählte ihm wie er den Zufall bekommen.

– Sonderbar, bemerkte er. – Sehr sonderbar, ganz guter Puls! und er ließ seinen Arm los und legte die Hand auf sein Herz. Wo kommt aber der Schaum am Mund her? fuhr er fort. – Und großer Gott, seht nur den abdomen.

Die also bezeichnete Region lies wirklich ganz unbegreifliche Symptome erkennen. Ein dumpfes Knurren und Rollen wurde gehört und ein leises Wogen konnte man unter dem dünnen Baumwollenkleide erkennen.

– Kolik, Sir, bemerkte einer der Beistehenden.

– O die Kolik soll zum Teufel gehen! schrie der Arzt; wer hat schon gehört, daß Jemand während einer Ohnmacht die Kolik bekäme!

Indessen lag der Patient steif und starr auf dem Rücken und gab keine, als die obenerwähnten, Lebenszeichen.

– Ich lasse ihm zur Ader, rief Johnson endlich. Hole einmal Einer von Euch schnell eine Calabasse.

– Leben ohoi! schrie hier Newy Bob als ob er gerade ein Segel entdeckt hätte.

– Was um des Himmels willen geht in ihm vor! sagte der Doktor aufs Aeußerste verwundert und sah Lattengeist ins Gesicht. Dessen Mund hatte sich aber auch höchst wunderbarer Weise ganz schief auf die eine Seite gezogen

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und blieb dort stehen. – Haltet die Calabasse! Und die Lanzette flog im Nu heraus; ehe er sie aber in Anwendung bringen konnte, nahm das Gesicht seinen natürlichen Ausdruck wieder an – der Bewußtlose stöhnte – die Augenlider zitterten, öffneten sich und schlossen sich wieder und Lattengeist über und über zuckend, rollte auf die Seite, während er hörbar Athem holte. Nach und nach erholte er sich wieder hinlänglich um zu sprechen.

Nachdem Johnson, freilich umsonst, versucht hatte, etwas Zusammenhängendes aus ihm herauszubringen, entfernte er sich wieder und war augenscheinlich mit dem Erfolg seiner gehegten Hoffnungen unzufrieden.

Bald nachdem Jener fort war, richtete sich der Doktor auf, schüttelte aber als wir ihn frugen, was ihm eigentlich fehle, gar geheimnißvoll mit dem Kopf und bedauerte dann endlich in bitterer Klage, an solchem Orte Patient zu sein, wo man gar nichts bekommen könne, was zur Erquickung des Leidenden diene. Dies erregte das Mitleid unsers guten alten Wärters und er erbot sich ihn an einen Platz zu schaffen, wo er ein besseres Leben haben würde. Der lange Doktor gab das auch zu und wurde bald darauf auf den Schultern von vier von Bob’s Leuten, wie der große Lama von Thibet, in Prozession fortgetragen.

Nun will ich keineswegs behaupten, die Ursache seiner Ohnmacht ganz genau angeben zu können; wir hatten ihn

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aber stark in Verdacht, daß er sich nur deshalb aus der Calabouse entfernen ließ, um regelmäßige Mittagsstunden zu bekommen, wobei er vielleicht hoffte, der Eingeborene, zu dem man ihn schaffe, würde aus Mitleid für ihn einen guten Tisch halten.

Am nächsten Morgen, als wir schon Alle sein gutes Glück beneideten, kam er plötzlich in die Thüre gesprungen und schien keineswegs guter Laune.

– Hol’s der Teufel, rief er aus, ich befinde mich schlechter als je vorher. Gebt mir etwas zu essen.

Wir ließest denn auch unsern schon ziemlich gedünnten Sack mit Nahrungsmitteln herunter und überreichten ihm einen Zwieback. Während er diesen kaute, erzählte er uns seine Geschichte.

– Von hier aus trabten sie mit mir in das Thal hinein und ließen mich in einer Hütte, wo eine alte Frau ganz allein lebte. Das muß die Wärterin sein, dachte ich, und bat sie doch irgend ein Ferkel zu schlachten, um es zu backen, ich fühlte, wie mein Appetit wieder kam; aber die Antwort lautete: „Ita! ita! – oee mattee – mattee nuee“ (Nein, nein! Ihr zu krank). Der Teufel mattee Dich, brummte ich, gieb mir etwas zu essen; aber nicht die Probe konnte ich bekommen und da die Nacht anbrach mußte ich bleiben. Ich kroch auch in eine Ecke und versuchte zu schlafen, aber umsonst; die alte Hexe muß den

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Keuchhusten gehabt haben, denn sie stöhnte und würgte die ganze Nacht bis ich es endlich nicht mehr aushalten konnte und aufsprang. Wie ein Kobold hinkte sie dann hinaus und ich hinterher. Weiter habe ich aber nichts von ihr gesehen. Als es Tag wurde sah ich zu, daß ich, so gut ich konnte, wieder hierher kam und da bin ich denn.

Er verließ uns nicht wieder und bekam auch keinen zweiten Anfall.

Etwa drei Wochen, nachdem die Julia gesegelt war, fing unsere Lage an doch ein wenig precär zu werden. Wir erhielten keine regelmäßige Kost und selbst die Schiffe kamen nicht mehr so häufig; das schlimmste aber war, daß uns die Eingeborenen, den guten Capitän Bob ausgenommen, anfingen müde zu werden und das ließ sich auch leicht erklären, denn wir mußten zu einer Zeit von ihrer Wohlthätigkeit leben, wo sie wenig genug für sich selber hatten. Ueberdies waren wir manchmal sogar gezwungen worden auf Raub auszugehen und stahlen Ferkel, die wir dann in irgend einer heimlichen Schlucht brieten. Das konnte den Eigenthümern natürlich eben so wenig behagen.

So standen die Sachen, als wir uns endlich entschlossen, in Masse zum Consul zu marschiren und von ihm, da er uns einmal in diese Lage gebracht hatte, auch zu verlangen, daß er uns unterhalte.

Als wir gerade aufbrechen wollten, erhoben Capitän

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Bobs Leute ein ganz entsetzliches Geschrei und suchten uns daran zu verhindern. Allerdings hatten wir bis dahin herumgehen können, wohin wir wollten, diese große Vereinigung unserer ganzen Macht aber auf einen bestimmten Punkt beunruhigte sie. Wir versicherten sie aber, daß wir die Stadt nicht angreifen würden und so nach einer Menge von allen möglichen Betheuerungen und Salbadern ließen sie uns endlich ruhig ziehen.

Wir marschirten gerade auf das Pritchard-House zu, wo der Consul wohnte. Dies Gebäude scheint ziemlich behaglich eingerichtet zu sein, es hat eine weite, lustige Varandah, Glasfenster und andere Sachen, die auf den Aufenthalt civilisirter Wesen schließen lassen. Vor dem Hause stehen einzelne hohe und aufrechte Palmen wie Schildwachen und die Consular-Office, ein kleines alleinstehendes Nestchen, ist von denselben Pallisaden eingeschlossen, die den ganzen Vorplatz umziehen.

Wir fanden die Office geschlossen; in der Varandah aber eine Dame mit einem ältlichen Europäer in niedriger weißer Cravatte.

Da wir übrigens entschlossen waren, eine Zusammenkunft mit Wilson zu haben, so bestimmten wir den Doktor zum Sprecher und sandten ihn mit einer höflichen Anfrage hinein, sich nach Mr. Wilsons Gesundheit zu erkundigen.

Die Beiden starrten ihn sehr erstaunt an; dadurch aber

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keineswegs außer Fassung gebracht, begrüßte er sie und frug nach dem Consul.

Als von ihnen geantwortet wurde, daß er an den Strand hinabgegangen sei, so folgten wir ihm in dieser Richtung und begegneten bald einem Eingeborenen, der uns versicherte, Wilson habe von unserer Nähe Nachricht erhalten und gehe uns aus dem Wege, wir jedoch beschlossen ihn aufzusuchen und wenn wir ihm den ganzen Tag nachlaufen sollten; diese Absicht mochte er denn wohl auch merken und da er wußte, daß er uns auf die Länge der Zeit doch nicht entgehen konnte, so kam er uns, als wir wieder durch die Stadt gingen, entgegen und schrie uns schon aus der Ferne an:

– Was wollt Ihr von mir, Ihr Schufte! eine Begrüßung, die denn auch keineswegs eine freundliche Entgegnung zur Folge hatte. Nun versammelten sich aber auch die Eingeborenen um uns und mehrere Fremde schlenderten ebenfalls heran. Das war dem guten Consul doch zu fatal in solcher Gesellschaft und solcher Unterhaltung betroffen zu werden, und er drückte sich seiner Office zu. Wir ließen uns aber nicht irre machen und drängten immer dicht hinter ihm her, so daß er sich mehrmals nach uns umwandte und uns fortwährend zurief: Wir sollten machen, daß wir fortkämen, er wollte nichts mehr mit uns zu thun haben. Dann wandte er sich auch einmal auf tahitisch an Capitän Bob

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und sprang nun mehr als er ging in seine Wohnung hinein, deren Thür er hinter sich schloß.

Unser guter alter Führer gerieth jetzt in nicht geringe Aufregung, schoß in seinen alten Unterröcken wie eine Fahrmaus hin und her und beschwor uns in die Calabouse zurückzukehren. Nach einiger Berathung willigten wir endlich ein.

So kurz das Zusammentreffen mit dem Consul gewesen, so hatte es uns doch Alles verrathen, was wir wissen wollten; die gegen uns vorgebrachten Klagen hielten, so viel ließ sich kaum mehr verkennen, nicht aus und obgleich er sie nicht förmlich zurücknehmen wollte, so wünschte er doch jetzt augenscheinlich uns los zu werden, ohne wiederum in den Verdacht zu kommen, davon gewußt zu haben. Das wenigstens war das Einzige, was sein Betragen erklärlich machte.

Einige von unserer Gesellschaft jedoch, mit einer Hingebung an ihr Prinzip die wirklich heldenmüthig genannt werden konnte, schworen, daß sie ihn nicht verlassen würden, möge denn nun auch geschehen, was da wolle. Was mich betraf, so fing mir die Sache an langweilig zu werden und ich beschloß, da keine Aussicht war in einem Schiff fortzukommen, irgend ein anderes Mittel zu versuchen. Zuerst mußte ich jedoch einen Gefährten haben und wählte dazu natürlich den langen Doktor. Der war denn damit

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auch vollkommen einverstanden, wie auch, daß wir den Uebrigen für jetzt noch nichts davon sagen wollten.

Wenige Tage vorher hatte ich ein paar junge Yankees kennen gelernt, Zwillinge, die früher einmal von einem Schiff an der Faming desertirten, dort sich eine Zeit lang aufhielten und dann die Gesellschaftsinseln durchstreiften. Sie kamen zuletzt von Imeeo, der benachbarten Insel, wo sie in Diensten von zwei Fremden gestanden, die dort eine Plantage bearbeiteten und von denen sie, wie sie sagten, beauftragt worden seien, einige Weiße als Feldarbeiter hinüber zu senden.

Die Aussicht dort zu hacken und zu graben war keineswegs so ungemein lockend; wir kamen aber doch bei der Gelegenheit von Tahiti fort und das mußten wir auch für etwas rechnen. Unser Entschluß war also bald gefaßt, mit den Pflanzern, die in ein oder zwei Tagen Tahiti besuchen würden, auf ihre Plantage hinüberzufahren.

Als wir später mit ihnen zusammenkamen, führten wir uns bei ihnen unter den Namen Peter und Paul ein, und sie verstanden sich dazu, Peter und Paul fünfzehn Silberdollar per Monat zu geben, diesen Lohn aber zu vergrößern, wenn wir fortwährend bei ihnen bleiben würden. Sie verlangten weiter nichts als Leute, die bei ihnen aushielten. Um nun nicht unnöthig Aufenthalt mit den Eingeborenen zu haben, von denen Manche vielleicht das Verhältniß, in

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dem wir zu dem Consul standen, nicht recht begriffen und uns noch immer für Gefangene hielten, so beschlossen wir in nächster Nacht abzufahren, und als sich die Stunde näherte, entdeckten wir auch den früheren Kameraden unsere Absicht.

Einige von diesen tadelten uns nun, daß wir sie verließen, Andere gaben uns vollkommen recht und erklärten, wie sie mit erster Gelegenheit unserm Beispiel folgen würden. Endlich nahmen wir Abschied von ihnen und ich würde wirklich noch mit Wehmuth an jene Scene denken, hätte nicht M’Gee selbst in dem Augenblick als er den Doktor umarmte, ihm sein Messer aus der Tasche gestohlen.

Wir schlichen uns an den Strand hinunter, wo im Schatten eines kleinen Hains das Boot unsrer wartete. Von hier aus ruderten wir bis wir die Riffe hinter uns hatten, setzten dann das Segel und glitten mit einem günstigen Wind nach Imeeo hinüber.

Es war eine wunderliebliche Fahrt und die Luft warm, die See still; über uns leuchtete der Mond und wölbte sich der weite purpurne Horizont mit seinen sanften zitternden Sternen.

Der Kanal ist etwa fünf Leaguen breit; auf der einen Seite hat man dabei die drei gewaltigen Kuppen von Tahiti, die stolz auf die übrigen Berge herabsehen, während auf der andern die kaum weniger romantischen Bergrücken

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von Imeeo liegen, über denen eine einzig schroffe Kuppe thront, die von unsern Gefährten das Spließeisen genannt wurde.

Die Pflanzer waren charmante Leute und selbst früher Seefahrer gewesen, was natürlich unsere Zuneigung zu ihnen vermehrte; um diese aber noch mehr zu kräftigen, brachten sie auch eine Flasche Wein herbei und führten außerdem eine mit wildem Schweinefleisch gefüllte Calabasse, gebackene Yams, Brodfrucht und Tombeskartoffeln mit sich; auch Pfeifen und Tabak kam zum Vorschein und während wir so in allen möglichen Genüssen schwelgten, wurden eine Menge Anekdoten von den benachbarten Inseln erzählt.

Endlich hörten wir das Brausen der Imeeo-Riffe, glitten bald darauf in einen engen Kanal ein, und schwammen nun in einer weiten spiegelglatten Bucht. Dort zogen wir unser Boot auf den Strand.

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Capitel VII.
Das Thal von Martair.

Wir wanderten durch dichte Haine bis wir zu einem offenen Platz gelangten und dort hörten wir Stimmen und sahen ein Licht durch das Bambushaus schimmern. Es war die Residenz der Pflanzer; mehrere Mädchen hielten aber in deren Abwesenheit Haus, während ein alter Eingeborener in einer Ecke lag und rauchte.

Ein schnelles Mahl ward bereitet und nach diesem wollten wir uns einem kurzen Schlaf überlassen; das verhinderte aber eine früher kaum geahnete Plage, die Mosquitos, von denen wir in Tahiti gar nichts gewußt und die uns hier förmlich umschwärmten; doch von denen später mehr.

Früh genug standen wir wieder auf und schlenderten nun ins Freie, das Land ein wenig zu besehen. Wir befanden uns in dem Thale von Martair, das an beiden Seiten durch mächtige Hügel eingeschlossen wird; hier und da starrten schroffe Klippen empor, deren Felsenrand nicht selten

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blühende Sträuche bedeckten, während von ihnen herunter mit Blumen besäete Schlingpflanzen in bunten reizenden Guirlanden hingen.

In der Nähe der See ziemlich breit, zieht das Thal sich je mehr es in das Land läuft, auch enger und enger zusammen und schließt sich endlich in mehreren Meilen Entfernung durch wilde pittoreske Felsengruppen, die wie Thürme und Mauern alter Burgen aufsteigen und von üppiger Vegetation überwachsen und bedeckt sind. Das Thal selbst ist eine Wald-Wildniß, durch die blitzende Ströme gleiten und einzelne enge Pfade in die Laubwände förmlich hineinbohren.

Ganz allein an diesem einsam romantischen Platz hatten sich die Pflanzer niedergelassen und ihre einzigen Nachbarn waren wenige Fischer mit ihren Familien, die im Schatten eines Cocoshains, dessen Wurzeln der See wusch, hausten.

Das klar gemachte Land, das sie besaßen, umfaßte etwa einige dreißig Acker flachen Bodens, von dem sie einen Theil bearbeiteten. Das Ganze wurde dabei durch eine starke Pallisade von Stämmen und Zweigen eingefaßt, die zum Schutz gegen die zahlreichen, wild auf der Insel umherschweifenden Rindvieh- und Schweineheerden dienen mußte.

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Bis dahin war die Tombeskartoffel[6] ihr Haupterzeugniß gewesen, für das sie einen steten Absatz in Papeetee fanden; ferner hielten sie auch noch ein kleines Feld mit Taro oder indischer Rübe, wie ein anderes mit Yams und in einer Ecke reifte sogar eine kleine Anlage von Zuckerrohr.

An den Pallisaden, und zwar nach dem See zu, stand das Haus aus Bambusstäben und in dem Style der Eingebornen errichtet. Die Möbeln bestanden aus einem Paar Seekisten, einem alten Kasten, ein paar Kochgeschirren und mehreren landwirthschaftlichen Geräthen; außerdem hingen noch drei Schrotflinten von einem Balken herunter und zwei ungeheure Hängematten waren in den entgegengesetzten Ecken befestigt, bestanden aber, anstatt wie gewöhnlich aus Segeltuch, aus getrockneten Ochsenhäuten, die mit Stäben auseinandergehalten wurden.

Die ganze Plantage schloß dichter Wald ein und nahe am Hause hatte man einen verkrüppelten Aoa, eine Art von Banianbaum mit Willen seine zackigen Aeste über die Pallisaden strecken lassen, was ganz eigenthümlich aussah und zugleich einen vortrefflichen Schatten gewährte. Die niedergehenden

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Zweige dieses wunderlichen Stammes bildeten sich auch zu förmlichen niedrigen Sitzen aus, auf denen die Eingeborenen Stundenlang kauerten und ihre Pfeife tauchten.

Wir fanden ein delikates Frühstück von Fischen, welche die Eingeborenen noch vor Sonnenaufgang an den Riffen harpunirt hatten, ferner einen Taro-Pudding, gebackene Bananen und geröstete Brodfrucht.

Während dieser Mahlzeit bewiesen sich unsre neuen Freunde als ganz gesellschaftlich und mittheilend. Es scheint daß sie, wie der größte Theil der in Polynesien residirenden Fremden, vor einiger Zeit von einem Schiff desertirt waren und da sie hörten, daß man viel Geld verdienen könne, wenn man sich auf den Ackerbau lege, um die Wallfischfahrer mit Provisionen zu versehen, so entschlossen sie sich kurz, das Geschäft zu betreiben. In dieser Absicht umherfahrend kamen sie auch endlich nach Martair und da ihnen der Boden gefiel, so gingen sie ohne Weiteres an die Arbeit.

Ihr Erstes mußte natürlich sein, den Eigenthümer des auserwählten Platzes zu finden; das geschah bald, und sie machten einen „tayo“ aus ihm.

Es war Tonoi, der Häuptling der Fischer, der eines Tages vom Brandy berauscht, seine dünne Tappa von den Schultern riß und mir zu verstehen gab, daß er mit Pomare selbst verwandt sei und von einer gar gewaltigen Race

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stamme, die in alten Zeiten ihren Bambusszepter über alle Heiden von Imeeo geschwungen hatte.

Seine Abstammung mochte edel genug sein, damals aber, als sie ihn kennen lernten, befand er sich in etwas difficilen Umständen, und war deshalb keineswegs abgeneigt, einige ihm doch nutzlose Acker Landes zu veräußern. Als Ersatz dafür bekam er von den Fremden zwei oder drei rheumatische alte Musketen, mehrere rothwollene Hemden und das Versprechen in seinen alten Tagen verpflegt zu werden. Er sollte stets bei den Pflanzern wie zu Hause sein.

Da der Alte, um vielleicht in einem noch gemüthlichern Verhältniß mit ihnen zu stehen, es wahrscheinlich verzog, dort als Schwiegervater zu leben, so bot er ihnen seine beiden Töchter zu Frauen an; sie weigerten sich jedoch, diese anzunehmen, wenn auch nicht den süßen Gefühlen der Liebe abhold, so mochten sie doch nicht, mit der verführerischen Aussicht in solch edle Verwandtschaft zu kommen, ihr Leben durch eine wirkliche Heirath binden.

Tonoi’s Leute, die Fischer des Thales, waren eine böse Bande und da sie auch in fast gar keine Berührung mit den Missionären kamen, so hatten sie nicht das mindeste, das sie zu Fleiß oder Regsamkeit antreiben konnte. Oft fand ich sie Morgens unter der schattigen Seite eines auf den Strand gezogenen Canoes oder unter einem Baum liegen und rauchen; noch öfter spielten sie mit Kieseln, um

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was sie aber diese ausländischen Hazardspiele trieben, wenn es nicht manchmal ein klein Stückchen Tabak war, ist mir stets ein Räthsel geblieben. Sonst vertrieben sie sich noch auf mancherlei Art die Zeit; an Fischen dachten sie aber am allerwenigsten.

Tonoi, der alte Sünder, verbrachte ebenfalls regelmäßig, an irgend einen alten Stamm gelehnt, seine Morgen mit diesem Steinspiel, und ein grauköpfiger Schlagetodt von Eingeborenen rupfte ihn denn auch eben so regelmäßig bis auf den letzten Mundvoll Tabak, den er bei sich haben mochte. Nachmittags schlenderte er wieder zu seinen Freunden, den Pflanzern zurück, wo er bis zum nächsten Morgen blieb, rauchte, schlief und manchmal auch über den Verfall des Hauses Tonoi lamentirte. Was das Uebrige jedoch betraf, so schien er mit dem bequemen Leben, das er führte, vollkommen zufrieden und einverstanden, er verlangte es wohl auch gar nicht besser.

Im Ganzen war überhaupt das Thal von Martair der ruhigste Platz, den man sich nur auf der Welt denken kann und hätte man die Mosquitos bewegen können auszuwandern, so müßte es eine wahre Wonne gewesen sein, hier den Monat August ruhig zu verbringen. Das sollte aber, wie der Leser bald finden wird, mit dem unglücklichen langen Doktor und mir nicht der Fall sein.

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Capitel VIII.
Ackerbau in Polynesien.

Die Pflanzer waren Beide ein paar wackere und herrliche Leute, in mancher Hinsicht aber auch wieder so ungleich wie nur möglich.

Der Eine, ein langer kräftiger Yankee in den Backwoods von Maine geboren, hatte ein langes gelbes Gesicht; der Andere war ein kurzer kleiner Cockney, der in der Nähe St. Pauls zuerst das Licht der Welt erblickt.

Die Stimme Zeke’s, des Yankees, hatte einen Klang wie eine zerbrochene Steinkruke, Kurzchen dagegen, wie ihn sein Kamerad nannte, schnitt das „h“ von einem jedem Wort weg, das mit einem solchen begann, und setzte es natürlich vor jedem Vokal vor den es nicht gehörte. Kurzchen übrigens, ob gerade nicht übermäßig groß, schien etwa 25 Jahr alt zu sein und schaute mit ein paar recht gutmüthig freundlichen Augen in die Welt. Sein Antlitz trug eine gesunde, durch die Sonne etwas dunkel gebräunte Farbe und blondes,

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lockiges Haar ringelte sich um seine freie offene Stirn.

Zeke konnte dagegen keineswegs als Schönheit gelten; er war ein starker, aber häßlicher Mann, für Handarbeit wie geschaffen, doch für weiter nichts. Seine Augen hatte er nur zum Sehen bekommen, keineswegs für zärtliche Blicke, dennoch lag viel Humor in ihm und er war auch außerdem frei, offenherzig, entschlossen und mit gesundem Mutterwitz begabt, doch wie Kurzchen sonst ganz ungebildet.

Das in manchen Stücken sich so unähnliche Paar kam doch ganz herrlich mit einander aus. Da es fast stets der Fall ist, daß, wenn Zwei zu irgend einem Unternehmen zusammentreten, der Eine von ihnen die Oberhand behält, so that denn Zeke auch ziemlich alles das, was er wollte; Kurzchen dagegen hatte dem Freund seinen unermüdlichen Fleiß abgesehen und damit Gott weiß was alles für Ideen von künftigen Reichthümern und Glücksgütern in den Kauf erhalten.

Nun ist Fleiß an sich wohl allerdings eine höchst löbliche Sache; da uns diese Beiden aber mit einem so entsetzlich guten Beispiel vorangingen, so fing uns das an höchst unangenehm zu werden. Die Reue kam freilich jetzt zu spät.

Am ersten Tage – Gott sei Dank – thaten wir gar nichts und da sie uns bis dahin als Gäste behandelt, so

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glaubten sie wahrscheinlich, es werde sich nicht recht schicken uns an die Arbeit zu spannen, ehe wir kaum in ihrem Hause warm geworden; am nächsten Morgen sahen sie jedoch beide sehr geschäftsmäßig aus und wir wurden denn auch richtig angespannt.

– Nun, boys (Bursche), sagte Zeke als er nach dem Frühstück die Asche aus seiner Pfeife klopfte; wir müssen dran gehen; Kurzchen gieb einmal Peter da (dem Doktor) die große Hacke und Paul die andere, und dann wollen wir machen daß wir hinauskommen.

Kurzchen brachte denn auch gleich darauf aus einer Ecke drei solche unhandbare Gegenstände hervor, vertheilte sie unparteiisch und zottelte hinter seinem Gefährten her, der mit einem Ding, das einer Axt glich, voranging.

Für einen Augenblick blieben wir allein im Haus zurück und betrachteten einander nun mit sehr betrübten Blicken; jeder hielt einen ungeschlachteten Baumast in der Hand, an dessen einem Ende ein schweres flaches Stück Eisen angebracht war. Das Eisen, wahrscheinlich äußerst zweckmäßig im Urwald, sollte von Sidney gekommen sein, die Holzarbeit daran stammte unstreitig aus unsrer nächsten Umgebung. Hacken, ja von solchen Instrumenten hatten wir früher schon gehört, sie auch wohl gesehen, die waren aber harmlos gegen die Ungethüme, welche wir jetzt in Händen hielten.

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– Was machen wir nun mit dem Ding da? frug ich Peter.

– Wir müssen sie heraufheben und wieder hinunterlassen, entgegnete er; oder auf irgend eine andre Art in Bewegung setzen. Paul, wir sitzen in irgend einer Patsche drin; doch horch – sie rufen. – Und unsre Hacken schulternd folgten wir den Vorangegangenen.

Unser Ziel lag am entferntesten Ende der Plantage, wo der theilweise klar gemachte Boden noch nicht aufgebrochen war, was jedoch jetzt geschehen sollte. Da wir nun hielten, so frug ich sie, weshalb sie nicht zu solchem Zweck einen Pflug verwendeten, denn einzelne der jungen wilden Stiere hätte man doch gewiß fangen und brauchen können.

Zeke erwiederte, daß seines Wissens noch kein Rindvieh in irgend einem Theil von Polynesien zu diesem Zweck verwendet worden sei, und was den Boden von Martair betraf, so durchzogen den eine solche Unmasse Wurzeln nach allen Seiten, daß hier nicht einmal ein Pflug hätte gebraucht werden können. Die schweren Sidneyhacken waren die einzigen, hier mit Vortheil anzuwendenden Werkzeuge.

Unsre Arbeit lag jetzt vor uns; ehe wir sie jedoch begannen, suchte ich den Yankee noch etwas länger mit meiner Unterhaltung zu fesseln, indem ich mich über die Natur des Urbodens im Allgemeinen, und über die des Thals von Martair insbesondere ausließ.

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Eine so treffliche Kriegslist erfreute Lattengeist nicht wenig und er schloß sich mir zu Schutz und Trutz an; was unser Freund aber über Ackerbau zu sagen hatte, bezog sich Alles einzig und allein auf den Boden, auf welchem wir standen, und nachdem er uns so viel davon mitgetheilt, als ihm zu unsrer Arbeit nöthig schien, fing er mit seiner alten Axt an zu wüthen und Kurzchen that dasselbe.

Die Oberfläche der Erde war hier mit kurz abgeschnittenen Stümpfen bedeckt und mußte früher ein entsetzliches Dickicht gewesen sein. Jetzt stand nur noch genug von den früheren jungen Bäumen, um etwa zu einem Griff zu dienen, die noch feststeckenden Wurzeln daran herauszuziehen. Nachdem der Yankee nun den harten Boden durch entsetzliches Hacken, Klopfen und Stampfen gelockert hatte, ergriff er das eine Stück Holz und fing an daran bald hinüber bald herüber zu zerren, bis er es endlich horizontal herauszureißen versuchte.

– Kommt und helft hier, schrie er da plötzlich, während wir ihm ziemlich erstaunt zugesehen hatten; wir liefen jetzt rasch hinan und begannen nun alle Viere mit vereinten Kräften an diesem Wurzelungethüm zu reißen. Die zähen Fasern machten auch die Oberfläche zucken, nichts desto weniger hielten sie fest.

– Hols der Henker! schrie Zeke, wir werden ein Tau holen müssen. Geh zum Hause, Kurzchen, und hole eins.

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Als dies gebracht worden, befestigten wir das eine Ende daran, gaben den gehörigen Raum und legten uns noch einmal ins Geschirr.

– Sing uns eins, Kurzchen, sagte jetzt der Doktor, eigentlich ein Bischen zu familiär nach so kurzer Bekanntschaft. Eine derartige Arbeit aber durch den Gesang nicht allein zu regeln, sondern das Ganze auch ein wenig interessanter zu machen, ist bei Matrosen sehr gebräuchlich und Kurzchen ließ sich denn auch nicht lange nöthigen.

„Wart Ihr je in Dumbarton.“

Ein sehr lebendiges aber etwas unanständiges Ankerwindenchor.

Endlich setzte der Yankee einen Dämpfer auf seinen Enthusiasmus indem er ärgerlich ausrief:

– O hole Euer Singen der Teufel. Haltet die Mäuler und zieht.

Dies thaten wir auch, jetzt aber in einem höchst uninteressanten Schweigen bis endlich mit einem Ruck, der uns bald die Ellbogen aus dem Gelenke riß, die Wurzel herausflog und wir wie aus der Pistole geschossen, über ein paar Andere hinweg zu Boden kamen. Der Doktor zum Tode erschöpft, blieb auch da liegen und nahm in dem süßen Glauben, daß wir nach einer solchen Anstrengung auf eine Weile ruhen würden, ganz gemächlich seinen Hut ab und fächelte sich damit Kühlung zu.

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– Das war ein bischen ein harter Kunde, Peter, bemerkte der Yankee während er zu ihm trat; es hilft ihnen aber nichts, wenn sie auch tückisch thun – heraus müssen sie, sie mögen wollen oder nicht. Hurrah, jetzt wollen wir uns einen andern holen.

– Paul, sagte der Doktor, während er langsam aufstand und mich von der Seite ansah, passe einmal auf, der bringt uns noch um.

Mit unsern Hacken mußten wir jetzt über die unschuldigen Wurzeln erbarmungslos herfallen und wir arbeiteten einzeln oder in Masse, wie es gerade die Sache mit sich brachte, bis es endlich Mittag wurde.

Mittag wird hier nemlich von den Pflanzern die heißeste etwa drei Stunden dauernde Tageszeit genannt, wo die Sonne in diesem, dem kühlen Seewind ganz verschlossenen, Thal so drückend schwül herniederbrennt, daß an eine lebhafte Bewegung gar nicht zu denken ist.

Nach Kurzchens eignem Ausdruck war es heiß genug, die „Nase von einem Messing-h’Affen h’abzuschmelzen.“

Im Hause angelangt, kochte Kurzchen, von dem alten Tonoi dabei unterstützt, das Mittagessen und sobald dies beendet, warfen sich unsre beiden Prinzipale in die eine Hängematte, während sie uns einluden, die andere in Besitz zu nehmen. Das ließen wir uns denn auch nicht zweimal sagen und fielen nach einem kleinen aber heftigen Scharmützel

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mit den Mosquitos in einen tiefen Schlaf; schneller jedoch brachten dies die beiden Pflanzer zu Stande, denn an die Mosquitos gewöhnt, bildeten sie nur ganz gemüthlich einen Doppeladler und schnarchten dann gleich aus Leibeskräften. Tonoi accompagnirte sie auf einer Matte in der Ecke.

Endlich wurden wir durch Zekes Zetergeschrei erweckt, womit er unsern Todtenschlaf zu unterbrechen suchte.

– Auf boys! tobte er, ’s ist Zeit, daß wir uns wieder ein paar Wurzelchen holen!

Ich warf einen wehmüthigen Blick auf den Doktor, sah aber augenblicklich daß sich dieser zu irgend etwas entschlossen haben mußte.

Mit matter Stimme versicherte er Zeke, daß er nicht ganz wohl wäre, ja schon seit einiger Zeit ein innerliches Leiden verspüre; er hoffe aber kurze Ruhe würde ihn bald wieder vollkommen herstellen. Der Yankee nun, der vielleicht fürchten mochte, er werde unsre werthvolle Hülfe ganz verlieren, wenn er uns gleich im Anfang zu sehr anstrenge, bat den Doktor, sich ganz nach seinen eignen Kräften an die Arbeit zu machen; denn ohne die Thatsache im mindesten zu beachten, daß mein Kamerad Unwohlsein vorgeschützt, rieth er ihm, da er so ermüdet wäre, den übrigen Tag in der Hängematte zu bleiben. Ich jedoch, wenn mir es recht wäre, sollte ihn auf einer kleinen Stierjagd begleiten,

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die er in den benachbarten Hügeln zu finden hoffte. Diesen Vorschlag nahm ich mit Freuden an; Peter aber, der ein leidenschaftlicher Jäger war, machte ein sehr langes Gesicht. Muskete und Kugeltasche wurden dann heruntergeholt und nachdem wir zum Aufbruch fertig waren, rief Zeke:

– Tonoi, komm, ara mai (stehe auf), wir brauchen Dich zum Lootsen. Kurzchen, mein Herzchen, hab Acht auf Dich und wenn Du Lust hast, weißt Du wohl, stehen ja noch Wurzeln draußen.

Nachdem er seine häuslichen Geschäfte nach eignem Behagen, aber wie es mir fast vorkam, nicht ganz nach Kurzchens Zufriedenheit arrangirt hatte, hing er sich das Pulverhorn über die Schulter und wir brachen auf. Tonoi wurde vorausgeschickt und die Plantage verlassend, schlug er einen schmalen Pfad ein, der in die Gebirge hinüberführte.

Einige Zeit wandten wir uns jetzt durch das Dickicht hin und traten endlich wieder ans Sonnenlicht und auf eine offene Waldblöße, gerade unter dem Schatten der Hügel. Hier deutete Zeke zu einem in weiter Ferne steil aufragenden Fels empor, auf dessen Gipfel ein Stier mit zurückgeworfenen Hörnern einer Statue ähnlich stand.

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Capitel IX.
Das wilde Rindvieh in Polynesien und unsre Jagd.

Ehe wir weiter gehen, möchte ich hier ein paar Worte über dieses wilde Vieh und wie es auf die Insel kam sagen.

Vor etwa funfzig Jahren setzte Vancouvre an verschiedenen Stellen der Gesellschafts-Inseln Rindvieh, Schafe und Ziegen aus, wobei er die Eingeborenen ermahnte für die Thiere zu sorgen und sie ja nicht zu schlachten, ehe sie sich nicht bedeutend vermehrt hätten.

Die Schafe müssen ausgestorben sein, denn ich sah nie ein einziges Vließ in ganz Polynesien; das Paar, das er hinterließ hatte vielleicht eine Aversion gegen einander und starb ohne Nachkommenschaft in den Gebirgen.

Was Ziegen anbetrifft, so findet man manchmal einen schwarzen misanthropischen Widder, der an unerreichbaren Felsenklüften das magere Gras einzeln abpflückt, während er doch im Thale süßen Futters genug haben könnte. Die Ziegen sind nicht sehr zahlreich.

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Das Rindvieh dagegen scheint herrlich gediehen zu sein und überschwärmt die Insel Imeeo in zahlreichen Schaaren, obgleich sich in Tahiti nur wenige finden. In Imeeo haben sich aber die Ersten wahrscheinlich gleich in das Innere des Landes zurückgezogen, das jetzt so dicht durch diese wilde Nachkommenschaft bevölkert ist. Diese Heerden sind übrigens das Privateigenthum der Königin Pomare und nur Pflanzer haben von ihr die Erlaubniß erhalten so viel zu schießen, als sie zu ihrem eignen Gebrauch bedürfen.

Die Eingeborenen fürchten übrigens dies Vieh, und scheuen sich deshalb auch die wildern Theile der Insel zu betreten. Anstatt quer hindurch nach einer andern Stadt zu gehen, umsegeln sie dieselbe lieber in ihren Canoes.

Tonoi nun war ganz erfüllt mit Stiergeschichten, von denen viele den Anschein des Wunderbaren trugen; die folgende ist eine von ihnen.

In früherer Zeit ging er einmal mit einem Bruder über die Gebirge, als ein großer Bulle brüllend aus dem Walde stürzte und beide sich ein Herz faßten und flohen. Der alte Häuptling sprang in einen Baum, sein Gefährte aber, der nach entgegengesetzter Richtung floh, wurde verfolgt und, gerade im Begriff den rettenden Ast zu erfassen, unter die Füße getreten. Das wüthende Thier stieß aber jetzt nach dem unglücklichen Mann, schlenderte ihn in die Luft, fing ihn wieder auf und trug ihn endlich auf den Hörnern fort.

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Mehr todt als lebendig wartete Tonoi im Baume bis Alles vorüber war und eilte dann so schnell als möglich nach Hause. Hier versammelten sich nun mit zwei oder drei Musketen bewaffnet die Eingeborenen, um wenigstens die Ueberreste des Ermordeten zu retten. Mit Dunkelwerden kehrten sie aber, ohne eine Spur von ihm gefunden zu haben, zurück, und erst am nächsten Morgen sah Tonoi in weiter Ferne den Bullen, der, einen langen dunkeln Gegenstand auf den Hörnern tragend, über den Kamm der Gebirge schritt.

In damaliger Zeit hatte Vancouvre auch die andern Inseln mit solchen nützlichen Thieren bedacht und besonders eine Anzahl davon aus Hawaii gebracht; Hawaii ist nemlich, wie bekannt, eine der größten Inseln jenes polynesischen Archipels, den Capitän Cook zu Ehren des Lord Sandwich mit dessen Namen taufte.

Hawaii soll einige hundert Leaguen im Umfang haben und enthält eine Fläche von über 4000 Quadratmiles. Sein Inneres war aber bis vor noch nicht so langen Jahren fast ganz unbekannt; selbst die Eingeborenen waren durch allerlei wunderlichen Aberglauben verhindert gewesen, es zu betreten. Pelee, die fürchterliche Göttin der Vulkane Mouna Roa und Mouna Kea sollte, wie es hieß, all die Engpässe jenes ausgebreiteten Thales bewachen und es giebt Legenden, nach denen sie mit glühenden Feuerströmen mehrere kühne Abenteurer verfolgte.

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In diesen Thälern nun und über die sie begrenzenden Hügel, die von der herrlichsten Vegetation bedeckt waren, zerstreute sich das von Vancouvre ans Land gesetzte Vieh und vermehrte sich dort, so lange Jahre unbelästigt, zu ungeheuren Heerden.

Erst vor zwölf oder funfzehn Jahren etwa, wo die Eingeborenen ihren alten Aberglauben entsagten und den Werth der Häute (Felle), die jene Ochsen trugen, kennen lernten, fingen sie an auf das Vieh Jagd zu machen. Da sie übrigens in einem so neuen und gefährlichen Geschäft, bei dem sie selbst die Scheu des früher so gefürchteten Territoriums zu überwinden hatten, nur sehr langsam und schüchtern zu Werke gingen, so war ihr Erfolg auch sehr gering, bis endlich eine Anzahl spanischer Jäger ankam, die in den Ebenen von Californien zu diesem Leben wirklich auferzogen waren. Von der Zeit an begann eine wahre Metzelei.

Die Spanier zeigten sich als tolle kecke Gesellen; mit ihren buntfarbigen Decken ausgerüstet, mit ihren reich verzierten Laggins und klingenden Sporen, verfolgten diese tollkühnen Jäger auf ihren dazu abgerichteten indianischen Ponies die einmal auserlesene Beute bis selbst zum Gipfel der Vulkane, und weckten durch ihr rasendes Schreien das noch nie von menschlichen Stimmen gestörte Echo. Hilo, ein Städtchen an der Küste, war der Platz wohin sie sich immer wieder zurückzogen und dorthin kam auch alles weiße Gesindel von der benachbarten Inselgruppe.

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Dies geschah etwa im Jahr 1835 als der gegenwärtige König Tammahamaha III. noch ein Knabe war. Mit königlicher Unverschämtheit nahm er die ganzen Heerden für sich in Beschlag und war von dem Gedanken entzückt, die Hälfte der für jede Haut gezahlten zwei Dollar in feine eigne Tasche zu bekommen; ohne deshalb an die Zukunft zu denken, ging das Werk der Zerstörung seinen unerbittlichen Gang und in drei Jahren wurden 18,000 Rinder fast einzig und allein auf Hawaii erschlagen, und dieses Massacre dehnte sich auch auf die unglückseligen Ziegen aus, von denen in einem Jahre 3000 Stück ihre Felle den Kaufleuten von Honolulu überlassen mußten.

Da, als die Heerden fast vernichtet wurden, stellte der jetzt klüger werdende junge Prinz das wenige noch lebende Vieh unter ein strenges Taboo, das auf zehn Jahre in Kraft bleiben sollte. Während dieser noch jetzt nicht abgelaufenen Zeit ist die Jagd, wenn nicht durch den König selbst befohlen, streng verboten.

Doch wir müssen jetzt zu Tonoi und dem Yankee zurückkehren, die ja auf dem Felsen oben ihre Beute erspäht hatten.

Vom Fuß der Gebirge aus zog sich ein steiler Pfad zwischen Felsen und gähnenden Spalten, aber dicht von üppigem Grün überwuchert, aufwärts. Hier und da blickte das Auge in eine Schlucht hinunter, die den Schauenden schwindeln

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machte, endlich erreichten wir eine überhangende, dicht bewaldete Terrasse, die den Berg wie mit einer Gallerie einfaßte.

Nach jeder Richtung hin umgab uns ein wundervolles Panorama. Ueber die Insel strich ein leiser kühlender Windzug, der die Blätter im Thale unter uns zittern machte. Die See lag blau und rein in der Ferne und im Innern des Landes drängte sich Hügel an Hügel, und Kuppe an Kuppe, während das alles jener indische Duft wie mit einem leichten rosigen Hauch umgab. Weit von uns hinweg lagen stille Thäler im traulichen Schatten der Gebirge, und hie und da schlug das melodische Rauschen sprudelnder Wasser an unser Ohr. Hoch über alles empor streckte das „Spließeisen“ seinen Felsenfinger empor und an den Hügelseiten wurden hie und da kleine Heerden von Rindern sichtbar, von denen einige ruhig weideten, andere langsam in die Thäler hinabzogen.

Wir richteten unsern Cours einer nicht fernen Hügelreihe zu, wo wir das nächste Wild erspähen konnten, sahen uns aber sehr vor unter ihrem Lee zu bleiben, da ihre Geruchs- wie Gehörswerkzeuge, was bei allen wilden Thieren der Fall ist, ungemein scharf sind.

Da wir übrigens gar nicht wußten, ob uns auch nicht noch irgend ein andres Stück Wild aufstoßen konnte, so schlichen wir langsam und vorsichtig weiter.

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Die wilden Schweine auf der Insel sind nemlich ungemein bösartig und da sie sogar manchmal die Eingeborenen anfallen, so folgte ich Tonoi’s Beispiel nicht mehr als gern, der sehr häufig links und rechts unter das dichte Blätterdach hineingukte und dann regelmäßig den Blick hinter sich warf, ob auch der Rückzug frei sei.

Als wir einmal um ein dichtes Gebüsch bogen, hörten wir dahinter ein Geräusch, und das Krachen dürrer Aeste war plötzlich der einzige Laut, den wir außer dem Schlagen unsrer eignen Herzen vernahmen. Zekes Finger fuhren nach dem Drücker seines Gewehrs, Tonoi’s Hand legte sich um einen Ast und ich selbst hielt es für hohe Zeit meine Flinte an die Schulter zu nehmen.

– Paßt auf! schrie da der Yankee, und auf ein Knie niedersinkend schob er das Laub zur Seite; in demselben Moment ging sein Gewehr los und mit einem tiefen Grunzen, die kirschrothen Lippen durch ein paar blendend weiße Hauer emporgehoben, fuhr unbeschädigt ein wilder Eber hervor und brach durch das gegenüberliegende Dickicht. Ich begrüßte ihn, als er eben verschwinden wollte, mit einer vollen Lage; er nahm aber nicht die geringste Notiz von dieser Artigkeit.

Indessen befand sich Tonoi, der edle Abkömmling der Bischöfe von Imeeo, zwanzig Fuß vom Boden.

– Ara mai, komm herunter, Du alter Narr, schrie der

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Yankee; die verwünschte Bestie ist jetzt schon an der andern Seite der Insel. – Ich denke, wir werden uns wohl das bischen Jagd verdorben haben, fuhr er fort, während wir wieder luden; weshalb schossen wir auch auf das verwünschte Schwein. Die Ochsen werden wohl jetzt Lunte riechen und die Schwänze wunder wie hoch in die Höhe werfen. Schnell, Paul, laßt uns an den Felsen dort hinaufklettern um auszuguken ob noch irgend welche zu sehen sind.

Ja wir hatten gut suchen; die nächsten, die wir erkennen konnten, sahen so klein aus wie die Ameisen.

Da der Abend nicht mehr fern war, so schlug mein Gefährte vor, daß wir jetzt nach Hause gehen und nach einer guten Nachtruhe morgen ganz früh mit unserer sämmtlichen Mannschaft von der Plantage aufbrechen sollten. Einem andern Pfad also folgend, der in das Thal hinabführte, schritten wir durch einzelne, herrlich bewaldete Strecken hin.

Eine eigene Art Baum erregte meine Aufmerksamkeit besonders; der dunkle moosige Stamm desselben stieg wohl siebenzig Fuß hoch und vollkommen zweiglos empor, bis er in breite Aeste ausgriff, die das herrlichste, dunkelgrüne Laub trugen. Von dem untern Theil des Stammes fielen rings herum lange, mächtige Streifen Rinde nach allen Seiten zu ab, und während die untern bis an zwei Fuß lang waren, liefen die übrigen, je höher sie hinauf kamen,

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desto mehr und mehr spitz zu, bis sie oben nicht mehr von dem übrigen Stamme unterschieden werden konnten. Zeke nannte ihn den Canoebaum, da er vor alten Zeiten die Flotten der tahitischen Könige herstellen mußte. Selbst jetzt noch wird sein Holz für Canoes verwendet; denn es ist fest, dauerhaft und wird nicht von Würmern angegriffen.

Als wir aus dem Wald traten und etwa halbwegs den Hügel hinunter sein mochten, erreichten wir einen offenen Platz, der mit Gras und Kraut bedeckt war, und über den einzelne allein stehende Bäume in der untergehenden Sonne lange, melancholische Schatten warfen. Hier wurde auch ein Stück Boden, ein paar hundert Fuß im Durchmesser und mit Schlinggewächsen und Dornen überdeckt, durch eine verfallene Steinmauer umgeben und der Schritt klang hohl auf dieser Stelle. Tonoi sagte, es sei ein fast vergessener Begräbnißplatz von sehr großem Alter, denn Niemand wäre hier begraben worden, seit sich die Insulaner zur christlichen Religion bekehrten. In trocknen, tiefen Gewölben lag hier manch wildes Heidenkind verscharrt.

Neugierig das zu untersuchen, was mir der alte Mann gesagt, wünschte ich gern in die Katakomben hinabzuschauen, aber dichte Vegetation hielt sie förmlich hermetisch verschlossen; keine Oeffnung war sichtbar.

Ehe wir das niedere Thal erreichten, passirten wir auch den Platz, wo in früheren Zeiten ein Dorf gestanden; jetzt

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lag nichts mehr dort als alte Steinmauern und eingestürzte Gebäude; Bäume und Sträuche wuchsen wild zwischen ihnen.

Ich frug Tonoi, wie lange es sei, daß Jemand hier gelebt habe.

– Ich tammaree (Knabe) – viel kannaker (Männer) martair, erwiederte er, jetzt nur arme pehee kannaka (Fischerleute) noch da – ich geboren hier.

Je weiter wir in das Thal hinunterkamen, einen desto veränderten Farbenton nahm die Vegetation an. Der bedeutendste Baum in der Niederung ist der Ati mit mächtigem Stamm und breiten lorbeerähnlichen Blättern. Sein Holz ist kostbar; in Tahiti sah ich eine schmale polirte Planke davon, die herrliche Holzarbeit hatte liefern müssen. Vom Herz des Baumes genommen, war sie von tiefer Scharlachfarbe, welche gelbe Adern, und hie und da ein Mahagonischein, durchzogen.

Neben der königlichen Ati steht auch nicht selten der prachtvoll blühende Hotoo mit seiner Pyramide von glänzenden Blättern, die von zahllosen weißen Blümchen durchwoben sind.

Obgleich sich nun eine so große Anzahl von Bäumen in diesem Thale fanden, so war ich doch erstaunt so wenige den Eingeborenen nützliche darunter zu sehen; nicht der hundertste war ein Cocos- oder Brodfruchtbaum.

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Hierüber gab mir Tonoi ebenfalls Aufklärung. In den wahnsinnigen, religiösen Feindlichkeiten, die dem Bekehren des ersten Königs zum Christenthum folgten, waren einzelne Banden von Tahiti herübergekommen und hatten ganze Haine dieser unschätzbaren Bäume dadurch zerstört, daß sie dieselben eingürtelten, d. h. die Rinde rund herum durchschlugen, daß der Baum absterben mußte. Lange Zeit nachher noch standen diese gemordeten Stämme starr und blattlos in der Sonne, traurige Monumente desselben Schicksals, das auch die Bewohner des Thals befiel.

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Capitel X.
Mosquitos. Die zweite Jagd in den Gebirgen.

In der, unserm Jagdzug folgenden Nacht trieben den langen Doktor und mich, nach tapferer und hartnäckiger Vertheidigung, die Mosquitos endlich aus Bett und Haus, und hier kann ich nicht umhin zu erzählen, wie die Eingeborenen behaupten, daß die Mosquitos auf ihre Insel gekommen wären. Vor mehreren Jahren berührte der Capitän eines Wallfischfahrern eine benachbarte Bai, wo er in Streitigkeiten mit den Insulanern gerieth; endlich brachte er seine Klage vor ein Tribunal der Eingeborenen, und als ihm auch hier keine Genugthuung wurde, beschloß er, da er in seinem guten Recht zu sein glaubte, eine wirklich blutige Rache an den gottvergessenen braunen Häuten zu nehmen. Eines Nachts schleppte er ein faulendes altes Wasserfaß ans Ufer, und in ein verlassenes Tarofeld, wo der Boden warm und feucht war; dort überließ er der Sonne das Uebrige und daher schreiben sich die Mosquitos.

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Ich that mein Bestes den Namen dieses Mannes zu erfahren und überliefere ihn hiermit der Nachwelt, er hieß Coleman – Nathan Coleman; das Schiff gehörte nach Nantucket.

So oft ich durch die Mosquitos geplagt wurde, fand ich wenigstens darin einigen Trost, diesen Namen so bitter zu verfluchen, als es mir die englische Sprache nur möglich machte.

Der Doktor schlug jetzt vor, wir sollten nach dem Strand hinunter gehen, wo ein langer, niederer halbverfallener Schuppen stand; dieser, an beiden Seiten offen, gewährte der Lust freien Durchzug, und Lattengeist glaubte, daß dies die Quälgeister abhalten könne. Dorthin wanderten wir also.

Die Ruine beschirmte noch eine Reliquie aus uralten Zeiten, die wir einige Tage später mit vieler Aufmerksamkeit untersuchten; es war ein altes Kriegscanoe, das im Begriff schien zu Staub zu zerfallen und wahrscheinlich noch von denselben rohen Blöcken gehalten wurde, auf denen es ausgehauen war; ich glaube nicht, daß es jemals im Wasser gewesen.

An der Außenseite mochte es früher grün gefärbt sein, das hatte sich jedoch jetzt in ein trübes Purpur verwandelt. Die Spitze endete in einem hohen, abgestumpften Schnabel, beide Seiten waren mit Schnitzwerk bedeckt und auf

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dem Sterne stand etwas eingegraben, das der Doktor für das Wappen des königlichen Hauses Pomare hielt; die Devise hatte auch wirklich ein heraldisches Ansehen; es waren zwei Haifische mit Adlerfängen, die einen, im Holz vorstehend gelassenen Ast umklammerten.

Das Canoe mußte mindestens vierzig Fuß lang, zweie breit und vier Fuß tief sein; der obere Theil desselben bestand aus schmalen, zusammengeschnürten Bretern, die jedoch jetzt großentheils faulend am Boden lagen; doch bot der innere Raum noch genug Bequemlichkeiten zum Schlafen und wir stiegen deshalb hinein, der Doktor in den Bug und ich in den Stern. Ich schlief auch bald ein, wachte aber plötzlich wieder auf, und glaubte nach der zusammengedrückten Lage in der ich gekauert, in einen Sarg gepreßt zu sein.

Lattengeist meine Empfehlung schickend, frag ich ihn, wie er sich befinde.

– Schlecht genug, erwiederte er, während er sich in dem alten Gerölle umherwarf das unser Lager bildete. Großer Gott, wie diese halbvermoderten Matten riechen.

Er fuhr noch eine Weile in dieser etwas erregten Art zu reden fort, auf die ich ihm jedoch keine Antwort mehr gab, denn ich fing an, verschiedene langweilige mathematische Berechnungen zu machen, um besser einschlafen zu können; aber selbst die Multiplicationstabelle half mir nichts,

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und ich mußte mich noch lange unruhig umherwerfen, bis endlich meine Erschöpfung doch den Sieg davon tragen wollte, und ich etwa eben zu schlummern anfing; da schlug noch in meinem halbbewußtlosen Zustand ein dumpfes Summen an mein Ohr; die Stunde meiner Noth hatte geschlagen, mörderisch fühlte ich mich von mehreren Seiten zugleich angefallen. Wie kleine Schwertfische stürzten sie sich zu mir ins Canoe und wie eine Schildkröte wälzte ich mich hinaus.

Eben überlegte ich noch, ob ich den Doktor wecken sollte oder nicht, als ich ihn schon zu meinem nicht geringen Erstaunen im Freien sitzen sah, und zwar emsig bemüht, sich mit einem alten Ruder Kühlung zuzufächeln. Er war ebenfalls in seinem Canoeende von einem andern Schwarm überfallen worden und hatte sich leise aus dem Staube gemacht.

Der Vorschlag wurde jetzt gemacht, Wasser zu versuchen, ein kleines Fischercanoe, das nahebei lag, schnell flott gemacht, und dann ruderten wir eine Strecke in die Bucht hinaus, wo wir das indianische Surrogat für einen Anker, – einen schweren in Bast hängenden Stein – über Bord warfen. An diesem Theil der Insel lagen die sie umschließenden Riffe nicht weit vom Ufer und das Wasser innerhalb derselben war ruhig und außerordentlich seicht.

Einen bessern Gedanken hätten wir in dieser Nacht nicht haben können; sanft und ruhig schliefen wir bis Sonnenaufgang,

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dann aber weckte uns eine eigenthümliche Bewegung unsrer schwimmenden Hängematte. Ich blickte auf und erkannte Zeke, der dem Ufer zuwadete und uns im Schlepptau hatte. Nach den Riffen deutend, versicherte er uns, wir seien eben einer großen Gefahr entgangen.

Er hatte wahrlich recht. Die Wassergeister mußten unsern Steinanker aus seiner Schlinge gerollt haben und wir waren, als uns Zeke entdeckte, langsam unserm Tode entgegen getrieben.

Fröhlich begrüßte jetzt der junge Tag, der uns zu unsrer Jagd leuchten sollte, die Hügel von Martair.

In der Nacht war alles für unsern schnellen Aufbruch bereitet worden, und als wir im Hause ankamen trug Kurzchen eben ein gutes Frühstück auf, während der alte Tonoi, wie ein geschäftiger Wirth hin und her fuhr. Mehrere seiner Leute waren ebenfalls gegenwärtig und im Dienst; sie sollten uns mit Provisionen begleiten und im Fall wir Glück hatten, die Beute nach Hause schaffen.

Der Doktor, den wir am vorigen Abend unsern Plan für den heutigen Tag mitgetheilt, erklärte sich ebenfalls willig uns zu begleiten. Uebrigens fanden wir später, daß diese Expedition eine höchst schlaue List des Yankees gewesen, denn wenn wir einmal eine Vergnügungstour angenommen hatten, wie konnten wir nachher uns der Arbeit weigern? außerdem genoß er auch noch das Lob dabei, uns

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einen Feiertag zu geben und unterließ nicht die Versicherung beizufügen, daß bei Jagd oder Arbeit unser Gehalt gleichmäßig fortliefe.

Eine alte verrostete Muskete, die Tonoi gehörte, wurde jetzt für den Doktor geborgt und er mußte aus Leibeskräften drücken, um sie nur abzuschießen: sie war sehr kurz und schwer und mit einem unbehülflichen Schloß versehen. Als er sie erst einmal, um zu sehen wie sie schieße, nach einem Baume abfeuerte, fand er denn auch daß sie von ungemeiner Wirkung sein würde, denn sie schleuderte die Kugel nach einer, und ihn nach der andern Seite.

Hiernach versuchte er Kurzchen zu einem Waffentausch zu bewegen, indem er sich mit seinem eben gethanen Schuß außerordentlich zufrieden bezeigte; Kurzchen ließ sich aber nicht irre machen und der lange Doktor vertraute endlich die entsetzliche Waffe einem der Eingeborenen an, der sie für ihn tragen sollte.

Wir musterten jetzt unsre Schaar, und wanderten der Quelle eines kleinen Bergstromes zu, wo nicht weit von dort ein Pfad zu einem höheren Gebirgsrücken hinauflief, auf dem sich das wilde Vieh gern aufhalten sollte.

Kaum hatten wir die Höhen erreicht, als wir nicht gar fern eine kleine Heerde erblickten, die eben in einem niedern Buschwerk verschwand. Rasch eilten wir nach, und unsre Mannschaft theilend, betrat Jeder von uns Weißen, von

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mehreren Eingeborenen gefolgt an einem andern Punkt den Wald.

Ich fand mich bald in einem wirrverwachsenen Buschwerk, und eilte eben einer kleinen lichten Stelle darin zu, als ein Schuß fiel; die Kugel schlug dicht neben mir ein Stück Baumrinde ab und in demselben Augenblick hörte ich auch das Getrampel und tolle Rascheln der nahenden Thiere, während gleich darauf fünf Stücken Vieh fast in einer Reihe hervorbrachen, und gerade der Stelle zustürmten, auf der ich mich mit drei Insulanern befand.

Es waren kleine, schwarze, boshaft aussehende Geschöpfe mit kurzen scharfen Hörnern, rothen Nüstern und funkelnden Augen; die dunkelwolligen Köpfe zu Boden gesenkt.

Indessen saßen auch schon meine inländischen Hülfstruppen wie die Hühner Nachts auf den Stangen oben, und ich warf nur noch flüchtig den Blick umher, um zu sehen, nach welcher Seite mein Rückzug gedeckt sei und hob, fast unwillkürlich, die Flinte, als eine Stimme aus dem Holze herausschrie: – Gerad zwischen die ’Qerner, Paul, gerad zwischen die ’Oerner! nieder fuhr mein Rohr, in eine Linie mit dem kleinen weißen Büschel an der Stirn des vordersten. Und kaum war mein Schuß heraus als ich schon zurück und hinter einen Baum sprang. Als ich mich wieder umdrehte fuhren die fünf Thiere wie eben so viele Kanonenschläge

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an mir vorüber und ich konnte ordentlich den Luftzug fühlen, der hinter ihnen drein wehte.

Der Yankee erschien jetzt und begrüßte sie in der Flanke, worauf der kleine wilde Bulle mit der weißen Stirn, den langen Schwanz in die Höhe schlug, mit den Hinterbeinen ausfuhr und in voller Länge niederstürzte. Es war aber nichts wie ein Streifschuß gewesen; im nächsten Augenblick waren sie alle verschwunden und die Büsche über ihnen wogten und schlugen und bezeichneten ihre Bahn.

Kaum war das Gefecht vorüber, als die schwere Artillerie in Gestalt des langen Doktors mit seinem langen Musketendonner anrückte.

– Wo sind sie? schrie er ganz außer Athem.

– H’um diese Zeit h’eine Meile weiter, erwiederte der Cockney; h’aber Paul, h’ihr ’ättet dem kleinen h’eine Ladung ’Agel zwischen die ’Oerner schicken sollen.

Während ich noch meine Ungeschicklichkeit so viel als möglich entschuldigte, stürzte Zeke auf einmal vor und rief aus:

– Um Gottes willen, Peter, was macht Ihr da?

Peter aufs Aeußerste über den schlechten Erfolg unsrer Jagd erbittert, den er jetzt allein der Feigheit der Hülfstruppen zuschrieb, hob gerade seine Kanone und richtete sie nach der Gegend hin, in welcher sein Waffenträger eben von seinem Baum wieder herunterkletterte; er drückte auch wirklich

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los; die Kugel ging aber hoch in die Luft und der zum Tod erschreckte Bursche ließ sich fallen, brüllte wie ein angestochenes Schwein und gab in wilder Eile Fersengeld. Die Uebrigen folgten uns von da an mit Furcht und Zittern.

Von hier aus erneuerten wir nun unsre Marschroute, wanderten aber mehrere Stunden, ehe wir wieder etwas von Wild zu sehen bekamen. Der Schall unsrer Gewehre konnte in diesen Bergen meilenweit gehört werden. Endlich erstiegen wir eine zweite, ziemlich steile Höhe, um von hier aus einen bessern Blick in das tiefer liegende Land zu erhalten. Von diesem Platz aus sahen wir denn auch drei Stück Wild, die ruhig auf einem kleinen offenen rings von Waldung umgebenen Rasenfleck weideten.

Jetzt wurde vor allen Dingen eine General-Revision der Gewehre für nöthig befunden; dann verzehrten wir schnell ein paar Bissen von den mitgebrachten Vorräthen und brachen auf. Während wir am Bergesabhang niederstiegen, konnten wir die Thiere ganz gut erkennen; erst da wir den Wald betraten, verloren wir sie wieder aus den Augen. Höchst vorsichtig krochen wir nun näher und näher und erreichten bald den Platz, wo sie sich befanden.

Es war eine Bulle, eine Kuh und ein Kalb, die Kuh lag jetzt wiederkäuend im Schatten dicht am Holzrand, und das Kalb vor ihr im Grase, war emsig bemüht ihr die Schnauze abzulecken, während der alte Taurus selber neben

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ihnen stand und einen väterlichen Blick auf seine kleine Familienscene warf.

– Nun denn, flüsterte Zeke, laßt uns die armen Beester nehmen, so lange sie noch beisammen sind; kriecht hinan boys, kriecht hinan, und hört! schießt zusammen und nicht eher, als bis ich Euch das Zeichen gebe.

Wir krochen jetzt bis zum Rande der Waldblöße und knieeten dort hinter einzelnen Büschen nieder, während wir unsre Gewehre in die Zweige schoben. Das Geräusch, das wir dabei machten, blieb nicht unbemerkt, der Bulle wandte sich, senkte den Kopf und brüllte dumpf und drohend; dann hob er ihn wieder und sog die Luft ein. Die Kuh sprang auf die Kniee, bückte sich ängstlich nach vorn und richtete sich empor, während das Kalb mit gespitzten Ohren sich dicht unter sie drückte. Alle drei standen eng zusammen und wären im nächsten Augenblick geflohen.

– Ich nehme den Bullen! schrie unser Führer. Feuer! Das Kalb brach augenblicklich zusammen und seine Mutter stieß ein dumpfes Geblöke aus, während sie schon mit dem Kopf ins Dickicht fuhr; doch sie wandte sich wieder und kam klagend zu dem leblosen Jungen zurück, das sie beroch und umlief und mit den blutigen Nüstern die Luft einzog. Ein Krachen im Holz und ein lautes Brüllen verkündete den fliehenden Bullen.

Gleich darauf fiel ein andrer Schuß und die Kuh stürzte.

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Einige von den Insulanern ließen wir jetzt bei dem erlegten Wild und eilten hinter dem Bullen her, dessen fürchterliches Gebrüll uns zu dem Platze rief, wo er lag. Aufs Blatt geschossen war er in Angst und Schmerz in den Wald geflohen; als wir aber zu ihm kamen kniete er in einer grünen Schlucht und wühlte mit der Nase in einer Pfütze von seinem eigenen Blute herum, das er stöhnend rechts und links hinausschleuderte.

Der Yankee legte seine Flinte auf, und im nächsten Moment sprang das zum Tode getroffene Vieh hoch empor und brach dann mit untergeschlagenen Vorderbeinen verendet zusammen.

Unsere eingeborenen Freunde waren jetzt in vortrefflicher Laune, und Muth und Fröhlichkeit selber. Der alte Tonoi scheute sich nicht einmal den armen Taurus bei den Hörnern zu nehmen und ihm in die glasigen Augen zu starren.

Unsere Schiffsmesser kamen uns jetzt sehr zu statten; wir streiften die Thiere ab und hingen sie an Stücken Rinde in niedergebogene Aeste; dann zogen wir uns in ein benachbartes Dickicht zurück und warteten auf die Ankunft von wilden Schweinen, die, wie uns Zeke sagte, nie lange auf sich warten lassen, wenn sie Blut wittern. Plötzlich hörten wir, wie sie aus zwei oder drei verschiedenen Richtungen heranstürmten und gleich darauf wühlten sie schon in den Eingeweiden herum.

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Da wir nur hoffen durften einen einzigen Schuß auf diese Thiere zu bekommen, so hatten wir erst die Absicht gehabt, gleichzeitig zu schießen. Gott weiß aber wie es kam, des Doktors Musketendonner ging von selber los und eines der Schweine stürzte. Die andern brachen gleich ins Dickicht, wir aber hinterher und wollten doch wenigstens versuchen noch einmal zum Schuß zu kommen.

Der Cockney setzte in einige Büsche hinein und wenige Sekunden später hörten wir den Schall seiner Muskete, dem ein scharfer Schrei folgte. Rasch hineilend sahen wir, wie sich unser Kamerad mit einem jungen Teufel von rabenschwarzen Eber herumschlug; den Rüssel hatte er ihm theilweise abgeschossen. Er feuerte als das Wild gerade auf ihn zuflog und der Eber griff ihn denn auch ohne Weiteres an, wonach er ihn bis jetzt nur noch mit dem Kolben abgehalten. Kamen wir eine Sekunde später, dann war er verloren; so aber hielt ich, als der Erste, die Mündung meines Laufs der rasenden Bestie dicht ans Ohr und machte dem Kampf ein Ende.

Der Abend brach jetzt herein und wir gingen an die Arbeit unsre Träger zu beladen. Das Rindvieh war übrigens so kleiner Art, daß ein starker Insulaner ein ganzes Viertel zu schleppen vermochte und damit durch Dickicht und steile Abhänge hinunter ohne anscheinende Schwierigkeit ging. Allerdings hätte ein Weißer das keineswegs mit Leichtigkeit

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ausführen können. Was die wilden Schweine betraf, so konnte Keiner der Eingeborenen bewogen werden, das zu tragen, was Kurzchen erlegt hatte. Ein unbesiegbarer Aberglaube haftete an der schwarzen Farbe des Wildes; wir mußten es deshalb zurücklassen. Das andere, ein gesprenkeltes wurde durch Rindenstreifen an einer Stange befestigt und zwei junge Eingeborene nahmen es auf sich.

Mit unsern Lastträgern voraus kehrten wir nun in das Thal zurück; noch hatten wir aber die Hälfte unsers Heimwegs nicht hinter uns, als es so dunkel wurde, daß wir Fackeln haben mußten.

Wir hielten, und fertigten solche aus trocknen Palmenzweigen, schickten dann zwei Burschen voraus um das, zur Ernährung der Flamme nöthige, Material zu sammeln und setzten unsern Marsch wieder fort.

Es war ein wilder Anblick; die Fackeln wehten und flammten und sandten ihre zuckenden Strahlen durch den finstern Wald; die Insulaner trabten dabei trotz ihrer schweren Last, wo es die Ebenheit des Bodens nur irgend gestattete, ziemlich schnell dahin und ihre nackten Schultern röthete das Blut; dann und wann aber, wenn sie neben einander vorüberzogen, stießen sie wilde Schreie aus, die das Echo in den Hügeln emporschreckten.

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Capitel XI.
Ein Jagdfest und ein Besuch auf Afrehitoo. Die Kartoffeln.

Zwei Stücken Rindvieh und ein Schwein; keine schlechten Trophäen einer Tagesjagd!

Bei Fackellicht marschirten wir also auf die Plantage und während das Schwein an seinem Pfahl hin- und herschlenkerte, sang der Doktor ein altes Jagdlied – Tallyho! dessen Chor hoch über die gellenden Töne der Eingeborenen hinausschallte.

Wir beschlossen eine fröhliche Nacht zu machen; ein mächtiges Feuer wurde vor dem Hause im Freien angezündet, und dort hingen wir ein Hinterviertel der Kuh an den Banianbaum, wo sich dann Jeder nach Herzenslust abschneiden und braten konnte, was er wollte. Körbe mit gerösteter Brodfrucht und Taropudding, ein Bündel von Bananen und junge Cocosnüsse hatten indessen die Eingeborenen bis zu unsrer Rückkunft herbeigeschafft.

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Das Feuer brannte gar wacker, hielt die Mosquito’s ab und machte unsre Gesichter glühen und funkeln. Das Fleisch hatte dabei den ächt wilden Geschmack und ein paar Flaschen weißen Brandy’s, die Zeke aus seiner geheimen Speisekammer hervorbrachte, gingen munter im Kreise herum.

Mein langer Kamerad war wirklich ausgelassen und als er eine Menge Geschichten erzählt, und eine Unmasse von Liedern gesungen hatte, sprang er plötzlich empor, umschlang eine junge Dame aus dem Thal und walzte mit ihr über das Gras hin. Es läßt sich gar nicht erzählen, was er für Streiche in der Nacht angab; die Eingeborenen aber, die so etwas ungemein gern leiden mögen, nannten ihn augenblicklich „maitai!“

Spät nach Mitternacht legten wir uns erst nieder, Zeke aber, mit dem Geist eines ächten Yankees, ging unter keiner Bedingung eher schlafen, bis er nicht das übrig gebliebene Fleisch erst alles eingesalzen und so vor dem Verderben bewahrt hatte.

Der nächste Tag war ein Sonntag, und auf meine Bitte begleitete mich Kurzchen nach Afrehitoo, einer benachbarten Bai und dem Sitz einer Mission, die fast gerade Papeetee gegenüberliegt. In Afrehitoo befindet sich eine große Kirche und ein Schulhaus, beide sind aber ziemlich verfallen; auf einem freundlichen Hügel dagegen und zwischen

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blühenden Büschen hineingebaut, stand ein sehr geschmackvolles Häuschen, von dem aus man den ganzen Kanal übersehen konnte. Als ich vorbeiging erblickte ich eben noch ein sehr geschmackvolles Cattunhemd, das von der Piazza in die Thür verschwand. Hier residirten die Missionäre.

Ein niedliches kleines Segelboot tanzte an seinem Anker, einige Schritte entfernt vom Strande, und über das niedere Land zerstreut, in der Nachbarschaft dieses Hügels, standen einzelne Hütten der Eingeborenen – roh und unbeholfen genug, doch auf jeden Fall besser als die meisten in Tahiti.

Wir hörten die Predigt mit an, fanden jedoch nur eine kleine Versammlung. Sie war nicht viel anders als die in Papeetee, und es fiel weiter nichts interessantes vor. Die andächtigen Zuhörer sahen mir übrigens auffallend unruhig aus, und ich wußte nicht, wie ich mir das erklären sollte, bis ich endlich hörte, daß der Missionär über das achte Gebot gepredigt habe.

In jenem District lebte nemlich ein Engländer, der wie unsre Freunde, die Pflanzer, Tombeskartoffeln für den Papeetee-Markt zog.

Trotz aller seiner Vorsicht besuchten die Eingeborenen fast allnächtlich seine Felder und schleppten die Kartoffeln fort. In einer Nacht feuerte er seine mit Pfeffer und Salz

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geladene Schrotflinte auf verschiedene Schatten ab, die über seinen Grund und Boden dahinglitten, sie flohen; das Gewürz machte aber auf die Schufte denselben Eindruck, wie auf irgend eine andre Speise; sie schienen nur noch mehr Geschmack daran zu finden, und kamen in nächster Nacht schon wieder; ja zwei Abende darauf ertappte er sogar eine ganze Gesellschaft, die sich in seiner eignen Küche einen Korb voll Kartoffeln buk. Endlich theilte er seine Leiden dem Missionär mit, der zum Besten der Versammlung die Predigt hielt, zu der wir eben kamen.

In Martair hatten wir jetzt gar keine Diebe; die Thalbewohner dort wurden aber förmlich dazu bestochen, ehrlich zu sein; die Sache wurde zwischen ihnen und den Pflanzern ganz geschäftsmäßig betrieben, und der Letztere bezahlte ihnen einen förmlichen Tribut, damit sie, wenn sie so und so viel Kartoffeln ausgezahlt bekamen, die seinigen im Felde ungeschoren ließen. Eine andere Sicherheit gegen ihre Spitzbubentalente gewährte der Platz selber, denn sie scheuten sich doch auch etwas, auf den Grund und Boden ihres eignen Häuptlings zu stehlen.

Als wir Nachmittags nach Martair zurückkehrten, fanden wir, daß sich der Doktor und Zeke ganz bequem eingerichtet hatten. Der Letztere lag mit der Pfeife im Munde auf der Erde und beobachtete den Doktor, der mit untergeschlagenen Beinen wie ein Türke vor einem großen eisernen

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Kessel saß und Kartoffeln und Tarno in Streifen schnitt. Diese warf er in das Kochgeschirr und fügte dann und wann noch zersplitterte Knochen hinzu, um, wie er sich ausdrückte, eine delikate Rindssuppe zu brauen.

In der Gastronomie hatte es mein Freund zu einer großen Kunstfertigkeit gebracht, und um seine Kenntnisse noch zu vermehren beschäftigte er sich den übrigen Theil des Tags mit etwas, das man hätte Experimental-Kochkunst nennen können, denn er kochte, röstete und briet eine Unmasse von Fleischstücken auf die verschiedenste und merkwürdigste Art. Es war das erste frische Fleisch, das Einer von uns seit länger als einem Jahre gekostet hatte.

– O Peter, bemerkte Zeke gegen Abend, als Lattengeist wieder eben eine mächtige Rippe auf den Kohlen wendete; ich denke Ihr werdet Euch schon wieder zusammenrappeln, – nicht wahr, Paul?

– Ich denk’s auch, erwiederte ich; er will sich nur die eingefallenen Backen ein bischen gerben; nachher wird’s schon besser gehen.

Die Wahrheit zu gestehen, machte es mir ungemeines Vergnügen, daß des Doktors Aussichten auf Unwohlsein heute so gründlich vernichtet wurden, denn in Folge davon hätte er, und wahrscheinlich auf meine Kosten, gute Zeit gehabt und mich nachher noch obendrein ausgelacht.

Als wir am nächsten Morgen noch immer in unsern,

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diesmal freilich besser befestigten Canoe lagen, rief uns Zeke laut vom Ufer an.

Wir ruderten hinüber und er sagte uns, daß in der Nacht ein Canoe von Papeetee mit dem Auftrag eingetroffen wäre, ein dort liegendes Schiff mit Kartoffeln zu versorgen, und er verlangte, da sie am Nachmittag alle am Bord sein mußten, unsre Hülfe.

Mein langer Kamerad war einer von Denen, die, wenn sie mit dem falschen Bein aus dem Bett gefahren sind, oder ihnen sonst etwas derartiges passirt ist, nur höchst mürrisch und unzufrieden drein schauen, bis sie einmal ihr Frühstück im Magen haben. Umsonst entschuldigte sich auch der Yankee mit der ungemeinen Eile der Sache und meinte, er würde uns in keinem andern Falle so früh geweckt haben. Es blieb Alles einerlei; der Doktor sah nur desto finsterer aus und erwiederte kein Wort.

Endlich, um eine Art Enthusiasmus für die Sache zu erregen, rief der Yankee sehr munter, und als ob er etwas ganz besonders Angenehmes für uns in Petto habe:

– Nun boys, wie ist’s, wollen wir uns den Spaß machen?

– Ja, in des Teufels Namen! brummte Lattengeist und sah aus, als ob er ihn hätte ohne Pfeffer und Salz verzehren können. Wir schritten dann dem Hause zu. Trotz seiner keineswegs freundlichen Antwort glaubte aber der

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Doktor doch wohl nach einer solchen gastronomischen Vorstellung, wie gestern, sich nicht ganz von der Arbeit zurückziehen zu dürfen. Vor dem Haus fanden wir Kurzchen auch wirklich mit den Hacken und gingen nun zur andern Seite der Einfriedigung, wo die Kartoffeln erst noch ausgegraben werden sollten.

Der fette, fruchtbare Boden schien solchem Gewächs ganz vorzüglich hold zu sein; die großen gelben Knollen rollten aus den Hügeln hervor wie Eier aus dem Neste; was mich aber am meisten in Erstaunen setzte, war mein Kamerad, der mit wirklich merkwürdig regem Eifer seine Hacke handhabte. Ich selber, durch die kühle Morgenluft gekräftigt, arbeitete ebenfalls mit bestem Willen und Zeke wie der Cockney schienen äußerst zufrieden mit unserm bereitwilligen Fleiß.

Es dauerte nicht lange so hatten wir die Kartoffeln heraus. Jetzt kam aber die schlimmste Arbeit, denn sie mußten auch noch zu dem, wenigstens eine Viertelmeile entfernten Strand geschleppt werden; an einen Schubkarren oder sonst nur irgend ein fahrbares Instrument war nemlich auf der ganzen Insel nicht zu denken, und unsern Schultern stand diese ganze Freundlichkeit bevor. Zeke wußte aber eben so gut wie wir, daß dies der unangenehmste Theil des Geschäfts sei und wurde desto freundlicher und lebhafter. Er ließ uns auch gar keine Zeit trüben Gedanken nachzuhängen, sondern lenkte unsre Aufmerksamkeit bald auf eine Partie Körbe,

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die nicht weit von uns am Ufer aufgestapelt standen. Ohne weitere Umstände faßten wir da zu, und befanden uns bald alle vier mit unsrer Last auf den Schultern und mit schwankenden Schritten auf dem Weg.

Unser erster Gang lief denn auch ziemlich gut ab; wir kamen zusammen am Strande an, denn Zekes fortwährende Aufmunterungen hatten sich als unwiderstehlich erwiesen; beim zweiten Male fing mir jedoch mein Rücken schon an zu schmerzen, und als wir drei oder vier Mal gewandert waren, glaubte ich die Schultern müßten mir aus den Pfannen fallen, während des Doktors lange Gestalt ganz in sich selbst zusammenknickte. Es dauerte auch gar nicht lange, so waren unsre Kräfte erschöpft und ganz außer Athem warfen wir die Körbe nieder und erklärten, wir könnten nicht mehr. Unsere Prinzipale aber, die jetzt für gut befanden, ein neues Mittel an uns zu versuchen, arbeiteten ruhig, ohne uns weiter zu beachten, fort und appellirten dadurch natürlich an unser eignes moralisches Gefühl. Es war gerade so als ob sie gesagt hätten: – Nun seht einmal Leute, wir haben Euch die letzten drei Tage beherbergt und beköstigt, gestern seid Ihr wahre Fleischvernichter gewesen, und jetzt steht Ihr dort und seht zu, wie wir arbeiten. Das konnten wir nicht lange aushalten; auf solche Art förmlich dazu getrieben, rafften wir unsre Körbe wieder auf. So hart wir aber auch arbeiteten und keuchten, wir

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blieben doch immer hinter Zeke und Kurzchen zurück, die mit Schweißperlenden Stirnen und glühend rothen Gesichtern, wie ein paar Schleppmaschinen hin- und herstürmten. Ach ich wünschte fast, daß sie sich nur einmal überladen möchten.

So sehr mich meine eigne Last übrigens bedrückte, so mußte ich dennoch über den langen Doktor lachen. Dort ging er – den dünnen Nacken weit vorgestreckt und die Arme hinten hinausgedreht, um einen bequemen Sitz für seinen Korb zu bilden, während die Stelzenbeine immer einmal einknickten, als ob ihm die Kniegelenke aus den Fugen gegangen wären.

– Da, ich trage nicht mehr! rief er plötzlich und warf seine Kartoffeln ins Boot, wo der Yankee gerade beschäftigt war sie aufzuhäufen.

– Ei, rief Zeke munter, dann denke ich, Ihr und Paul versucht lieber einmal die Faß-Maschine. Kommt, ich will’s Euch ganz geschwind bequem machen. Und damit watete er rasch ans Ufer und eilte, während er uns noch zurief, ihm zu folgen, nach dem Hause zurück.

Wir hättest gar so gern erst gewußt, was er mit der „Faß-Maschine“ meine, denn wir trauten der Geschichte nicht recht, hinkten aber doch hinterher und fanden ihn vor der Thür schon eifrig beschäftigt, eine Art Tragestuhl herzurichten und zwar mit weiter nichts als einem alten Faß, das

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er durch ein Tauende in mitten eines starken Ruders befestigte. Der Yankee lächelte dabei ganz vergnügt und wir mit, als wir an unsre unglückseligen Schultern dachten.

– So, sagte er, als alles fertig schien; jetzt braucht Ihr Euch die Rücken nicht mehr zu brechen; nun könnt Ihr ganz gerade stehen; versucht’s nur einmal. Und er legte höchst artig das Ruderblatt auf des Doktors Schulter, während er mir das andre Ende aufhalf, so daß wir das Faß zwischen uns hatten.

– Ah, sagte er, als er bewundernd ein paar Schritte zurücktrat und uns in dieser interessanten Stellung betrachtete, sehr schön; die Sache wird sich machen.

Es half auch wirklich nichts. Mit gebrochenen Herzen und Rückgraten stöhnten wir zum Feld zurück, während der Doktor in einem fort Gebete murmelte.

Als wir mit dem beladenen Faß endlich aufbrachen ging die Sache im Anfange auch wirklich ganz gut, und wir hielten schon das Ganze für eine ausgezeichnete Erfindung; von dieser Idee kamen wir aber bald zurück. In weniger als fünf Minuten mußten wir stockstill stehen bleiben, denn das Springen und Schwanken des unbehülflichen Ruders wurde unerträglich.

– Laßt uns einmal wechseln, sagte der Doktor, dem das scharfe Blatt nicht gefiel, das in sein eignes Schulterblatt einschnitt.

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Endlich durch kurze Gänge und häufiges Plätzetauschen, gelang es uns bis zum Strand hinabzukommen, wo wir unsre Ladung in keineswegs guter Laune abwarfen.

– Warum lassen wir denn die Eingeborenen nicht helfen? fragte Lattengeist, indem er seine Schultern rieb.

– Eingeborenen sollen zum Teufel gehen, brummte der Yankee; zwanzig von ihnen machen nicht so viel wie ein Weißer. Die sind gar nicht zum Arbeiten geschaffen und die Canaillen wissen’s auch; denn verdammt wenig Arbeit lassen sie sich zu Schulden kommen.

Trotz dieser guten Meinung von ihnen sah sich Zeke doch zuletzt genöthigt, ein paar dieser zweibeinigen Geschöpfe zum Dienst zu pressen.

– Ara mai! schrie er Mehreren zu, die nicht weit davon ganz bequem gelagert waren und bis dahin unsre ganze Arbeit mit prüfenden Blicken betrachtet hatten, wobei sie unser Palankin am meisten amusirt zu haben schien.

Nachdem diese Burschen ihre Körbe zusammenladen mußten, füllte der Yankee seinen eignen und trieb sie nachher vor sich her; wahrscheinlich hatte er die Heerden mit Körben behangener Maulthiere einmal gesehen, die von berittenen Indianern auf der großen Straße von Callao bis Lima eben so getrieben werden.

Das Boot war endlich geladen und der Yankee nahm

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ein paar Eingeborene mit sich, hißte seine Segel auf und lief nach Papeetee hinüber.

Am nächsten Morgen, als wir beim Frühstück saßen, kam der alte Tonoi hereingelaufen und verkündete die Rückkunft der Reisenden. Wir eilten an den Strand hinab und sahen das Boot auf uns zugleiten. Am Ruder kauerte aber ein schläfriger Insulaner, während Zeke vorn im Bug stand und mit einem kleinen Sack voll Silber klimperte; es war der Ertrag seiner Fahrt.

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Capitel XII.
Was sie von uns in Martair hielten. Vorbereitungen zur Reise.

Mehrere ruhige Tage lagen nun vor uns, während denen wir gerade genug arbeiteten, um guten Appetit zu bekommen, denn die Pflanzer mutheten uns in dieser Zeit keine schwere Arbeit zu; ihr Wunsch uns zu behalten trat auch immer augenscheinlicher hervor und er ließ sich auch recht gut erklären, denn erstlich hatten sie uns wohl als ein paar ordentliche, anständige Bursche kennen gelernt, und dann mußten sie auch merken, daß wir vor den gewöhnlichen Herumstreichern in diesen Seen einiges voraus hatten, ja, daß sogar unsre Gesellschaft für ein paar einsame, wenig gebildete Leute, wie sie selbst waren, nicht allein angenehm, sondern auch nützlich sein müsse.

Sie fingen auch wirklich an uns in mancher Hinsicht mit einer Art Bewunderung zu betrachten, und der Cockney hatte bald herausgefunden, daß der Doktor ein verkehrt gehaltenes Buch rein weg lesen könnte, ohne selbst die großen

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Worte erst zu buchstabiren, während der Yankee ihn mit einigen arithmetischen Sätzen auf die Probe stellte, die Lattengeist zur höchsten Zufriedenheit löste.

Ueberdies wußte mein langer Gefährte seine Unterhaltung mit so stattlich klingenden Worten zu würzen, daß sie einmal wirklich unbedeckt blieben, so lange er sprach.

In der That gewannen sie täglich, besonders von dem Doktor eine höhere Meinung, und träumten schon von einer Masse von Vortheilen, die ihnen ein so gelehrter Arbeiter bringen könne. Unter andern Projekten, die sie in dieser Art vorbrachten, nahm auch das einen ziemlich bedeutenden Platz ein, ein kleines Fahrzeug von circa vierzig Tonnen zu bauen und damit die benachbarten Inseln zu befahren. Mit eingeborenen Matrosen wollten sie den stillen Ozean von Gruppe zu Gruppe besuchen, Handel treiben und die Kostbarkeiten dieser Meere sammeln.

Diese Südseelustfahrten malten wir uns auch mit höchst lockenden Farben aus, und der Doktor besonders wurde unverschämt genug sich sehr bedeutend über Schiffahrt zu verbreiten, von Azimuth-Compaß und Gott weiß was sonst noch für Dingen zu reden, wie man künftig die Länge, unter der man segle, finden könne.

Sobald mein Kamerad in solcher Sache seiner Einbildungskraft die Zügel schießen ließ, war es eine wahre Lust zuzuhören und ich unterbrach ihn dann auch höchst selten,

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sondern lauschte schweigend mit den bewundernden Pflanzern seinen Worten. Das aber hatte denn auch gar schnell zur Folge, daß sie unsre verschiedenen Verdienste danach beurtheilten und es konnte mir bald nicht mehr unbekannt bleiben, einen wie viel höhern Platz in ihrer Bewundrung der Doktor einnahm, wobei ich ihn auch noch, und ich vermuthe mit Recht, in dem Verdacht hatte, daß er heimlicher Weise den Pflanzern verrathen habe, welche verschiedenen Stellungen wir an Bord der Julia eingenommen. Das war gewiß, die Pflanzer hielten ihn augenscheinlich für etwas ganz Außerordentliches, und mit dieser Idee von ihm mochten sie ihm auch eher den Widerwillen vor jede Handarbeit nachsehen, denn da sie größere Pläne im Werke hatten, hofften sie, daß er ihnen dann nützlicher sein würde.

Der Doktor natürlich, der überhaupt gern auf jeden Scherz einging, versäumte keinesweges seine Rolle fortzuspielen, wo es ihm noch dabei solch bedeutenden Nutzen brachte; manchmal aber nahm er, und wenn er es auch im Scherz meinte, eine solche Miene der Ueberlegenheit gegen mich an, daß es mir endlich lästig wurde, und ich ihm gerade heraussagte, ich würde mir seine Anmaßungen nicht mehr ruhig gefallen lassen; wollte er absolut den Gentleman spielen, gut, dann würde ich Farbe bedienen und was in diesem Falle das Ende vom Liede werden müsse, könne er sich denken.

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Hierauf lachte er herzlich; und wir verständigten uns bald das Thal zu verlassen, so schnell es uns, artiger Weise, nur möglich sein würde.

An demselben Abend noch beim Essen spielte der Doktor auf unsre Absicht an; aber Zeke, wenn auch sehr erstaunt und keineswegs freudig überrascht, verzog keine Muskel.

– Peter, sagte er nun endlich sehr ernsthaft und nach augenscheinlichem Ueberlegen; wie würde es Euch behagen, das Kochen zu besorgen; es ist leichte Arbeit und Ihr brauchtet nichts weiter zu thun. Paul ist stärker, der kann im Felde arbeiten wenn er Lust hat, und über kurz oder lang werden wir ohnedies etwas haben, was Euch besser zusagt. – Wie, Kurzchen?

Kurzchen nickte.

Dies vorgeschlagene Arrangement war allerdings nicht übel, besonders die Sinecure für den Doktor; was mich selbst aber betraf, so wollte mir keineswegs der mir zugeschriebene Theil behagen, doch für jetzt wurde nichts Näheres bestimmt; wir hatten unsre Absicht zu gehen angedeutet und das schien uns für jetzt genug. Da wir übrigens weiter nichts erwähnten, so mochte der Yankee vielleicht immer noch glauben, daß wir bewogen werden könnten zu bleiben und verdoppelte deshalb seine Bemühungen uns den Aufenthalt so angenehm als möglich zu machen.

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So standen die Sachen als sie uns eines Morgens vor dem Frühstück in den Garten schickten, Unkraut auszujäten, wo wir, da die Pflanzer im Haus beschäftigt waren, allein blieben.

Obgleich nun das Jäten von unsern Principalen für eine ganz leichte Arbeit gehalten wurde, denn deshalb hatten sie uns dieselbe übertragen, und obgleich wir auch selber zugestanden, daß es für die eine höchst angenehme Gartenunterhaltung sei, denen es gefiele, so ließ sich doch auch wieder nicht leugnen, wie es mit der Zeit ermüde und langweile.

Nichts desto weniger knechteten wir in einem fort, bis endlich der Doktor, der sich seiner Länge wegen fortwährend in einen spitzen Winkel zusammenbiegen mußte, plötzlich in die Höhe schnellte und mit einer Hand sein Rückgrat hineindrückend ausrief:

– Wenn doch unsre Gelenke nur Löcher hätten, daß man ein bischen Oel hineingießen könne.

Obgleich dem Unkraut so viel näher als er, stimmte ich ihm doch von Herzen gern darin bei, denn auch meine Glieder schmerzten mich auf das Entsetzlichste.

Nichts desto weniger hielten wir aus bis die Sonne heiß und brennend über den Bergen heraufstieg, dann aber konnten wir es nicht länger mehr ertragen; wir schulterten also unsre Hacken und wanderten nach Hause, fest entschlossen

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die guten Pflanzer nicht mehr länger glauben zu lassen, sie hätten in uns ein paar Arbeiter, die ihnen nur den mindesten Nutzen schaffen könnten.

Dort angekommen erklärten wir das auch frei und offen; Zeke aber fühlte sich sehr gekränkt und suchte uns durch alles Mögliche zu bewegen, auszuharren; da er aber alles vergebens fand, ließ er nach, erklärte uns aber nichtsdestoweniger höchst freundlich, daß wir uns mit unsrer Abreise ja nicht übereilen, sondern als Gäste so lange bei ihnen bleiben sollten, wie es uns gefiele.

Wir dankten ihnen jedoch herzlich dafür und versicherten ihnen, daß wir am nächsten Morgen Martair verlassen würden.

Den übrigen Theil des Tages schlenderten wir nun umher und besprachen unsre Pläne.

Der Doktor wollte gar zu gern Tamai besuchen, ein Städtchen, das ganz einsam mitten im Lande und am Ufer eines Sees gleichen Namens liegen sollte. Von Afrehitoo konnte man diesen Platz auf einem schmalen Pfad, der durch die herrlichste Gegend führte, erreichen. Von dem See selber hatten wir auch schon gehört, der so reich an Fischen sein sollte, daß in früheren Zeiten sogar Angelgesellschaften von Papeetee aus, dort hinüber gingen.

An dessen Banken wuchsen auch die herrlichsten Früchte der Insel und zwar in größter Vollkommenheit; die „Ve“

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z. B. oder die brasilianische Pflaume erreicht hier die Größe der Orange und der prachtvolle Arheea oder rothe tahitische Apfel glühte hier in noch viel höherer Pracht als auf den übrigen Inseln.

In Tamai wohnten auch überdies die schönsten, lieblichsten Frauen der Gesellschafts-Inseln, und der ganze Ort lag so getrennt von dem übrigen Theil des Landes, daß bis dahin weder die Kultur noch die Verderbniß der Weißen in so vollem Maße gedrungen war, wie in die übrigen Thäler; ja, das tahitische Leben, wie es zu Cooks Zeiten und unter der Regierung des Knabenkönigs Otoo bestand, sollte hier noch fast in früherer Weise existiren.

Nachdem wir von den Pflanzern alle uns nöthig scheinenden Erkundigungen eingezogen, beschlossen wir, die Stadt aufzusuchen, dort eine Zeitlang zu bleiben, und nachher Taloo, einen Hafen an der gegenüberliegenden Seite der Insel zu erreichen.

Ohne Weiteres gingen wir also nun daran, unsre Reisekostüme herzustellen. Die befanden sich aber allerdings in einer ziemlich traurigen Lage und Jacke und Hose, die ich besaß, schienen wirklich nur aus Gefälligkeit für mich noch zusammenzuhalten. Dem Doktor ging es keineswegs besser. Sein letzter Ueberzug, eine dünne baumwollne Jacke hatte fast ihr Ende erreicht und nichts war ihm geblieben sie zu ersetzen. Wohl bot ihm Kurzchen großmüthiger Weise eine

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Andere, etwas weniger zerlumpte an; die wurde aber stolz verweigert und Lattengeist zog es vor, das alte Costüm von Tahiti, die „Roora,“ anzulegen.

Dieses Kleidungsstück, das man in frühem Zeiten als Festgewand trug, hatte uns Capitän Bob einmal gezeigt, der ein solches als Erbstück aufbewahrte; es war eine Art Mantel aus gelber Tappa, der ganz in der Art wie der Poncho der südamerikanischen Spanier getragen wurde. Er bestand nemlich aus einem viereckigen Stück Tappa, das in der Mitte einen Schlitz hatte, durch welchen man den Kopf steckt, so daß das Gewand in malerischen Falten um den Körper hängt.

Tonoi brachte auch genug braune, grobe Tappa, um einen derartigen kurzen Mantel herzustellen und in fünf Minuten war der Doktor ausgestattet. Zeke übrigens, der seine Toga höchst aufmerksam betrachtete, machte den Eigenthümer derselben darauf aufmerksam, daß er manche Ströme zu durchwaten, manche Berge zu erklettern hätte, und wenn er einmal in Unterröcken reisen wolle, diese auch aufnehmen müsse.

Außerdem gingen wir total barfuß.

Im stillen Ozean tragen die Matrosen nemlich selten Schuhe und ich hatte schon die meinen, sobald wir die Passate erreicht, bei Seite geworfen; ja seit der ganzen Zeit, auf ein paar Märschen am Ufer ausgenommen, keine wieder getragen. In Martair wären sie allerdings wünschenswerth

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gewesen, wo sie aber herbekommen? und dennoch behaupteten Alle, wir würden den Marsch, den wir vorhätten, ohne dieselben gar nicht zurücklegen können. Ziele besaß ein Paar alte kolossale Stiefeln, die von einem Querbalken im Hause wie zwei Satteltaschen herunterhingen. Dies würdige Paar tauschte der Doktor gegen ein gutes Messer, den letzten werthvollen Artikel den er bei sich führte, aus, und ich selber verfertigte mir Sandalen aus Ochsenhaut, wie sie die Indianer in Californien tragen. In ein paar Minuten kann man solche herstellen und sie bestehen aus weiter nichts, als roh ausgeschnittenen Sohlen, die man mit drei Riemen unter dem Fuß befestigt.

Auch unser Kopfschmuck verdient ein kurzes Wort. Mein Kamerad besaß einen alten braven Panamahut, der aus den feinsten, fast seidenartigen Grasfasern geflochten, so elastisch war, daß man ihn fest zusammendrücken konnte und er sprang augenblicklich in seine frühere Form zurück. Doktor Lattengeist sah in diesem und in seiner spanischen Roora wie ein bettelnder Grand aus. Fast noch ausfallender stolzirte ich in meinem Turban einher. Mein Hut war mir nemlich kurz vorher, ehe wir Papeetee erreichten über Bord geflogen, und ich mußte eine von diesen nichtswürdigen meerfarbigen Strumpfdingern tragen, die Matrosen gewöhnlich eine schottische Mütze nennen. Jedermann kennt die Elasticität gestrickter Wolle und dieser caledonische

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Kopfschmuck preßte mir denn auch die Schläfe so fürchterlich zusammen, daß ich es unter den heißen Sonnenstrahlen kaum aushalten konnte. Umsonst schnitt ich sogar eine Menge Luftlöcher hinein, jede diesem unverwüstlichen Gegenstand beigebrachte Wunde schien fast augenblicklich wieder zuzuheilen, und Kooloo mein würdiger Freund, der sah, wie sie mich genirte, wußte mich endlich zu bewegen, daß ich sie ihm überließ. Ich that dies und bereicherte ihn noch dazu mit der Bemerkung, daß er durch ein tüchtiges Kochen alle ihre ursprünglich lebhaften Farben wiederherstellen könnte.

Von dem Augenblicke an trug ich einen Turban, und diesen machte ich mir auf folgende Art. Ich nahm eins von des Doktors bunten Kattunhemden und wickelte es mir so um den Kopf, daß die beiden Aermel hinten herunter hingen; das schützte mich allerdings vortrefflich gegen die Sonne, doch beim Regen nahm ich ihn lieber ab. Der Doktor übrigens, dem meine romantische Tracht sehr zu gefallen schien, nannte mich von da an, auf die beiden Hemdärmel anspielend, den Pascha von zwei Roßschweifen.

So ausgerüstet waren wir bereit unsre Wanderung nach Tamai anzutreten, in dessen grünen Salons wir nicht wenig Aufsehen zu erregen hofften.

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Capitel XIII.
Tamai. Ein Tanz im Thale.

Am nächsten Morgen, schon lange vor Sonnenaufgang, waren meine Sandalen geschnallt und der Doktor voltigirte jetzt in Zekes Stiefeln hinein.

Die Pflanzer, die uns wiederzusehen erwarteten ehe wir nach Taloo gingen, wünschten uns eine angenehme Fahrt, gaben uns noch beim Abschied sehr großmüthiger Weise ein paar Pfund sogenannten Block-Taback mit und ermahnten uns, ihn in kleine Streifen zu schneiden, da das virginische Kraut solcher Art das einzige kleine Geld sei, das man auf der Insel kennt.

Tamai sollte, wie man uns sagte, nicht mehr als drei oder vier Leaguen entfernt sein; so also, nachdem wir berechneten, daß uns der rauhe Weg sowohl länger als gewöhnlich aufhalten würde und wir doch auch während der heißesten Tageszeit liegen bleiben mußten, hofften wir die Ufer des Sees etwa mit einbrechendem Abend zu erreichen.

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Mehrere Stunden nun wanderten wir langsam durch Wald und Schlucht, über Hügel und Abhang hin, sahen nichts als dann und wann Heerden wilden Viehs, und rasteten oft, bis wir uns endlich, und zwar um Mittag, im Herzen der Insel befanden.

Es lag hier eine grüne, kühle Schlucht mitten zwischen den Bergen, in die wir jetzt hinabsprangen. Hundert Quellen sprudelten da; große stattliche Bäume umhüllten den Platz mit ihrem feierlichen Dunkel; um ihren moosigen Decken hingen große klare Tropfen. Wunderbarer Weise fanden wir aber hier nicht eine einzige Spur daß wildes Vieh schon je diesen Platz besucht hätte; auch kein Laut ließ sich hören, kein Vogel sehen, kein leiser Lufthauch bewegte die Blätter. Die Einsamkeit, die hier herrschte, war wirklich bedrückend und erst als wir einen Augenblick gehalten, und unter die überhängenden Zweige geschaut hatten, wo wir nichts als regungslose umgeworfene Stämme fanden, durchschnitten wir schnell diesen unheimlichen Platz, und kletterten einen ziemlich steilen, uns gegenüber emporsteigenden, Abhang hinauf.

In halber Höhe machten wir Halt, wo sich die Erde um den Fuß dreier Palmen gesammelt und einen wundervollen Ruheplatz gebildet hatte; von hier aus konnten wir auch in die eben verlassene Schlucht hinabschauen, die jetzt in dunkelgrüner Nacht unter uns lag. Nun holten wir vor

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allen Dingen unsere mit „focee“ gefüllte Calabasse hervor, ein Abschiedsgeschenk von Tonoi. Nach einem tüchtigen Mahl schlugen wir Feuer und in blauen Dampfwolken pafften wir unsre Ermüdung zu den überaus wehenden Palmen empor. Endlich schliefen wir ein und wachten auch nicht eher wieder auf, bis die Sonne so niedrig stand, daß sie unter dem Laub der Bäume hindurch zu uns herein schien. Um nicht weitere Zeit zu versäumen brachen wir jetzt schnell auf und setzten unsern Marsch fort; kaum aber erreichten wir den Gipfel des Berges, so lag zu unserm Erstaunen und gerade unter uns, See und Städtchen in friedlicher Heiterkeit da. Wir hatten es noch eine gute League fern geglaubt. Wo wir standen ruhte noch immer das goldene Sonnenlicht, aber über das Thal da unten stahlen sich lange Schatten, und der kräuselnde grüne See spiegelte die Häuser und Bäume zurück, wie sie gerade über ihm an seinen Ufer standen. Verschiedene kleine Canoes lagen hier und da an Pfosten befestigt auf dem Wasser, und tanzten mit den Wellen; drüben aber ruderte ein einsamer Fischer einer grasigen Landzunge zu. Vor den Häusern konnten wir Gruppen von Eingeborenen erkennen, von denen Einige ausgestreckt auf der Erde lagen, Andere nachlässig gegen die Bambus lehnten.

Mit wildem Halloh stürmten wir die Hügel hinab und die friedlichen Insulaner eilten von allen Seiten herbei, um zu sehen, wer denn eigentlich käme. Unten angelangt versammelten

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sie sich um uns und wollten wissen, was die „Karhowries“ in ihr ruhiges Thal brachte. Der Doktor hatte ihnen aber kaum durch Worte und telegraphische Bewegungen die freundliche Absicht unsers Gesuchs begreiflich gemacht, als sie uns ein echt tahitisches Willkommen boten, und auf ihre Wohnungen deutend, erklärten: diese seien die unsern so lange wir bei ihnen bleiben wollten.

Ueberraschend war für uns das Aussehen dieser Leute, die uns, Männer sowohl wie Frauen, viel gesünder als die Bewohner der Baien erschienen.

Die jungen Mädchen waren dabei in ihrem ganzen Betragen mehr zurückhaltend und bescheiden, und selbst frischer und schöner als die Damen der Küste. Mir that es leid, daß sie ihre Reize hier in einem solchen Winkel der Erde begruben.

Diese Nacht blieben wir in dem Hause Rartoo’s, eines gastfreundlichen alten Häuptlings. Es stand dicht am Ufer des Sees und nach dem Abendessen blickten wir durch das rauschende Grün der Büsche auf die sternblinkende, ruhige Wasserfläche hinaus.

Am nächsten Tage wanderten wir umher und fanden hier ein glückliches kleines Volk, das verhältnißmäßig frei von vielen Uebeln ist, unter denen ihre Landsleute die traurigen Tage dahinschleppen. Auch waren sie beschäftigter und zu meinem Erstaunen fand ich verschiedene Gebäude, in denen Tappa stark fabrizirt wurde. Europäische Kattune wurden

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wenig getragen, überhaupt schienen europäische Artikel erst geringen Eingang in dies stille Thal gefunden zu haben.

Das Volk von Tamai nannte sich Christen; so weit aber von ihrer geistlichen Obrigkeit entfernt, drückte sie auch ihre Religion nicht besonders, und es war uns sogar gesagt, daß hier noch manche heidnische Spiele und Tänze gehalten würden.

Wir hatten allerdings ganz besonders darauf gehofft, einmal einen richtigen tahitischen Fandango oder sogenannten „hevar“ mit anzusehen, und da wir Rartoo in seiner Theologie ziemlich liberal fanden, so zögerten wir denn auch nicht, ihm unsern Wunsch mitzutheilen. Zuerst wollte er nicht recht dran, und die Schultern wie ein Franzose in die Höhe ziehend, erklärte er, das könne nicht stattfinden, der Versuch sei zu gefährlich und könne allen dabei Betheiligten die größten Unannehmlichkeiten machen. Wir besiegten aber alle seine Zweifel, überzeugten ihn, daß es in dieser Hinsicht gar nichts Unmögliches gäbe, und ein hevar, ein echter heidnischer Tanz wurde für denselben Abend arrangirt.

Trotzdem mußten wohl auch manche Klatschschwestern oder Herumträger in Tamai sein, Leute, denen man nicht recht trauen darf, und deshalb schien die Sache mit dem Tanz etwas geheimnißvoll betrieben zu werden.

Etwa ein oder zwei Stunden vor Mitternacht betrat Rartoo das Haus, und während er Tappadecken über uns

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warf, forderte er uns auf, ihm in gewisser Entfernung zu folgen, bis wir aber die Häuser verlassen hätten, unsre Gesichter nicht zu enthüllen. Sehr gespannt auf das Abenteuer gehorchten wir natürlich gern und willig und kamen, nachdem wir einen weiten Umweg gemacht, zu dem entferntesten Ufer des Sees. Es war ein weiter thauiger Platz durch den Mond beleuchtet und von einer Art kurzem Heidekraut mit einem förmlichen Teppich belegt. Gegenüber zwischen Gesträuchen und Bäumen schimmerten die hellen Dächer von Tamai.

Nahe den Bäumen, an der einen Seite des freien Raumes, stand ein alter verfallener Steinhaufen, der früher einen Tempel des Oro gebildet; gegenwärtig schmiegte sich nur eine roh errichtete Hütte an die unterste Terrasse an und schien zu einer „Tappa harrar“ oder einem Hause benutzt zu sein, wo man das also genannte Tuch webte.

Aus diesem heraus sahen wir Lichtstrahlen durch die Bambus schimmern, die lange schmale Schatten auf das Heidekraut warfen; auch Stimmen wurden gehört. Vorsichtig schlichen wir jetzt hinan um die sich zu dem Ballet fertig machenden Tänzer zu beobachten. Es waren etwa ihrer zwanzig, zwischen denen schauerliche alte Hexen, – möglicher Weise Duenna’s – hin und her krochen. Lattengeist schlug vor: wir sollten diese zum Teufel jagen, Rartoo bedeutete

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ihn aber mit sehr ernsthafter Miene, daß das unmöglich angehe.

Wir versuchten jetzt Eingang zu erhalten, aber die Thür war verschlossen und nach einem ziemlich lebhaften Gespräch mit den alten Hexen wurde unser Führer endlich unruhig und erklärte uns rund heraus, wir würden, wenn wir uns nicht still verhielten, noch alles verderben. Da wir das auch einsahen, so ließen wir uns eine Strecke fortführen, um den Anfang abzuwarten, weil die Mädchen, wie er uns versicherte, nicht erkannt zu sein wünschten; dabei mußten wir ihm auch versprechen, dort zu bleiben, wo wir waren, bis alles vorüber sei und die Tänzer den Platz verlassen hätten.

Wir harrten ungeduldig genug, endlich aber kamen sie, in kurze Tuniken von weißer Tappa gekleidet und mit Blumenguirlanden im Haar, hervor. Ihnen folgten die Duenna’s, die sich dicht am Hause hielten, und die Mädchen schritten jetzt eine kurze Strecke vor, schwenkten herum und gleich darauf standen zwei etwas größere als ihre Gefährtinnen Seite an Seite inmitten der in die Hände klatschenden Schaar. Diese ganze Bewegung wurde sonst mit dem tiefsten Schweigen vollendet.

Plötzlich reichten sich die Mädchen hoch über dem Kopfe die Hände, riefen: „Ahloo! ahloo!“ und schwenkten sich hinüber und herüber. Dann fing sich der Kreis langsam an zu drehen und die Tänzer bewegten sich seitwärts, die Arme ein

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wenig gesenkt. Bald aber beeilte sich ihr Schritt, immer schneller fliegen sie herum, immer wilder und fröhlicher; die Busen heben sich, das Haar löst sich; die Blumen fallen ab und jedes funkelnde Auge glänzt und glüht in freudiger Lust.

Indessen gleitet das eingeschlossene Paar wieder und immer wieder an einander vorbei; ein Fuß dabei stets gehoben und die beweglichen Finger in die Mondesstrahlen hinausgestreckt.

– Ahloo! ahloo! riefen wieder die Königinnen des Tanzes und kamen inmitten des Ringes zusammen, wo sie noch einmal in früherer Gruppirung regungslos stehen bleiben.

– Ahloo! ahloo! Jede Kette des Kreises ist gebrochen und die Mädchen hoch aufathmend stehen vollkommen ruhig; wenige Minuten bleiben sie so, dann aber, wenn sich das Blut in ihren Adern eben wieder zu beruhigen anfängt, ziehen sie sich sämmtlich und mit gleichmäßigen Schritten mehr und mehr zurück und erweitern so den Zirkel.

Wieder winken die beiden Führerinnen mit der Hand und die Uebrigen bleiben jetzt plötzlich stehen und umgeben sie wie ein Kranz lieblicher Elfen. Jetzt beginnen die Ersteren ein leises melodisches Lied; langsam schaukeln sie sich hin und her; aber wiederum wird ihre Bewegung schneller und schneller, bis sie sich endlich mit klopfenden, fieberhaft schlagenden Pulsen in wilder Leidenschaft dem Tanze hinzugeben

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und alles Uebrige um sich her zu vergessen scheinen. Bald jedoch fallen sie wieder in dasselbe mäßige Tempo zurück als vorher, bleiben regungslos stehen, tanzen plötzlich wieder von allen Seiten herbei, brechen in einen wilden Chor aus und sinken Eine in der Andern geöffnete Arme.

Solcher Art ist der Lory –Lory, wie sie ihn, glaube ich, nennen, der Tanz der schönen Mädchen von Tamai.

Während der ganzen Zeit hatten wir kaum mit aller Mühe und Anstrengung den Doktor zurückhalten können, daß er nicht mitten zwischen jene hineinsprang und eine Tänzerin faßte.

An dem Abend sollten wir aber keine hevars mehr bekommen und Rartoo schleppte uns förmlich in ein Canoe, das dort am Strande lag. Nur ungern schifften wir uns ein, ruderten nach dem Städtchen hinüber und kamen dort gerade noch zu rechter Zeit an, ein paar Stunden vor Sonnenaufgang zu schlafen.

Am nächsten Tag wollte der Doktor die nächtlichen Tänzerinnen herausbekommen und glaubte sie an ihrem späten Aufstehen erkennen zu können; nie hat sich aber ein Sterblicher mehr geirrt, denn als wir zuerst das Freie betraten, schlief noch die ganze Stadt und eine Stunde später waren sie alle mit einander auf ein Mal munter. Im Lauf des Tages traf er übrigens Mehrere, die er augenblicklich beschuldigte am Hevar Theil genommen zu haben. Allerdings standen,

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was der indiskrete Doktor gar nicht beachtet hatte, mehrere ältliche, achtbare Männer dabei, und die Mädchen wurden in der That verlegen, parirten aber die Beschuldigung auf das Geschickteste.

So sanft übrigens die Damen von Tamai auch sein mögen, so erfuhr der Doktor doch, daß sie auch manchmal heißes Blut zeigen können, denn mehrere der jungen Schönen hatte er auf solche Art schon ungestraft geärgert, bis er endlich an die unrechte kam. Wahrscheinlich mochte er hier seiner Sache ziemlich gewiß und in seiner Behauptung etwas hartnäckig gewesen sein, denn plötzlich drehte sie sich nach ihm um, gab ihm eine richtige europäische Ohrfeige und hieß ihn auf gut Tamaisch „haree perrar“ (sich so schnell als möglich fortzumachen.)

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Capitel XIV.
Der Geheimnißvolle.

In Tamai hielt sich ein kleiner alter eingeschrumpfter Mann auf, der ein schauerliches, ordentlich unheimliches Ansehen hatte; er trug weiter nichts als einen Mantel von brauner grober Tappa und seine ganze Beschäftigung schien in Tanzen, Singen und Gesichterschneiden zu bestehen. Etwas aber mußte ihm auf dem Herzen liegen, denn oft sah ich wie er scheue Seitenblicke nach denen warf, die in seine Nähe kamen; manchmal fuhr er plötzlich, als wie von Jemand verfolgt, um eine Ecke und wenn er uns einmal unbemerkt von Andern auffinden konnte, so zog er uns an den Kleidern, schnitt entsetzliche Grimassen und winkte uns auf ganz heimliche Weise, ihm zu folgen.

Umsonst versuchten wir ihn los zu werden. Zuerst weigerten wir uns hartnäckig ihm zu willfahren; endlich knufften und prügelten wir ihn sogar; wenn er aber auch wie ein Besessener heulte und winselte, so ließ er sich doch nicht

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abweisen. Endlich wandten wir uns an die Eingeborenen und baten sie, uns von ihm zu befreien; diese aber lachten nur und nach wie vor sahen wir uns auf unsre eignen Kräfte angewiesen ihn abzuwehren.

Am vierten Abend unseres Besuchs kehrten wir ziemlich spät in unsre Wohnung zurück und wandten uns eben um eine dunkle Ecke, als wir unseren gespensterartigen Freund gerade in den Rachen liefen, der wie gewöhnlich die Zähne fletschte, die fürchterlichsten Gesichter schnitt und uns dringend einzuladen schien ihm zu folgen; es war als ob das Leben des Mannes von der Erfüllung dieser Bitte abhänge. Der Doktor wünschte ihn einfach in die Hölle und setzte schnell seinen Weg fort; ich aber von einem mir selbst unerklärlichen Gefühl getrieben, blieb stehen und beschloß endlich einmal herauszubekommen, was der Unbekannte eigentlich wolle. Kaum sah mich dieser geneigt, seinen Bitten zu willfahren, als er dicht zu mir herankroch, mir erst ernst und forschend ins Gesicht sah, einen scheuen Blick rings umherschweifen ließ, ob uns auch Niemand weiter bemerke und mir dann vorsichtig zuwinkte, ihm zu folgen.

Ich that es.

Nicht lange darauf ließen wir die Stadt hinter uns und schritten bald im Schatten der Höhen hin, die das gegenüberliegende Ufer des Sees begrenzte. Hier blieb mein Führer stehen bis ich ihn eingeholt hatte, und dann stiegen wir

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neben einander, ohne daß jedoch ein Wort das Schweigen unterbrochen hätte, hinauf.

Eine schauerliche Bahn durchwanderten wir, an Abgründen und düstern Schluchten hin, und oft war ich unschlüssig, ob ich nicht vielleicht thöricht handle, mich diesem wunderlichen Wesen so allein anzuvertrauen. Kaum bemerkte aber mein Führer, daß ich schwanke, als er auch seine Bitten und Geberden aufs Neue und immer dringender wiederholte. Endlich erreichten wir eine elende Hütte, die ich unter den dichten Schatten der sie umgebenden Bäume kaum erkennen konnte. Der Gnome schob hier eine roh zusammengeflochtene Thür zurück, und bedeutete mich einzutreten. Im Innern herrschte aber Rabennacht, und ich suchte ihm begreiflich zu machen, daß er, wenn er mich da hinein haben wolle, vorher ein Licht anzünden müsse.

Zuerst zögerte er; da er aber sah, daß ich standhaft blieb, so kroch er voran und bald darauf vernahm ich das schnelle Zusammenreiben der Hölzer, dem rascher als ich vermuthet, die helle Flamme folgte. Eine Art Fackel loderte bald darauf empor, und ich bückte mich nun um den engen niedern Raum zu betreten.

Es war eine förmliche Höhle, faule, alte Matten, zerbrochene Cocosschalen und Calabasse lagen auf der Erde zerstreut, und durch das Dach konnte ich hie und da einen einzelnen durchschimmernden Schein erkennen. An manchen

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Stellen waren die Blätter, die seine Decke bildeten, herabgefallen und hingen in langen Streifen herunter.

Als ich den flüchtigen, ja fast scheuen Blick erst einige Sekunden umhergeworfen, während dem sich der Alte aus der Thür bog und auf das leiseste zu uns dringende Geräusch zu horchen schien, erklärte ich ihm endlich ungeduldig mir das zu enthüllen oder zu zeigen, was er mir zu sagen oder zu zeigen habe.

So ängstlich er vorher eine Ueberraschung gefürchtet, so scheu kam er jetzt auch zu mir herangekrochen und sah mir schüchtern und, wie es mir vorkam, mit banger Besorgniß ins Gesicht; da er aber darin wohl mehr meine Ungeduld als irgend etwas anderes lesen mochte, kroch er endlich in die finsterste Ecke, wo eine Masse altes Gerumpel über einander lag, fühlte eine Weile darin herum, und brachte nach langem Suchen und Tasten eine alte schwarze und oben abgebrochene Calabasse zum Vorschein, die an einer Seite ein großes Loch hatte, in das irgend etwas hineingestopft zu sein schien.

Endlich, aber noch immer höchst vorsichtig, zerrte er aus diesem ein Paar alte von Schimmel überdeckte Matrosenhosen hervor und frug mich flüsternd, wie viel Stücken Tabak ich ihm dafür geben wolle.

Einen lauten Fluch auf den Lippen stürmte ich fort; der Alte, der mich nicht so leichten Kaufs davon lassen

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wollte, rücksichtslos hinterdrein, ich aber eilte ohne mich umzusehen weiter, erreichte glücklich die Stadt, warf mich hier hinter einen Baum um meinen Verfolger vorbeizulassen und von der Spur abzubringen, und schlüpfte endlich auf mein Lager, fest jedoch dabei entschlossen, mein unrühmliches Abenteuer keinem Menschen zu entdecken.

Am nächsten Morgen quälte mich mein Gefährte bis aufs Blut, ich solle ihm sagen, was mir begegnet sei, ich blieb aber standhaft und beobachtete ein geheimnißvolles Schweigen.

Etwas Gutes hatte diese Sache übrigens; denn so lange wir in Tamai blieben, belästigte mich dieser alte Kleiderjude nicht wieder, heftete sich aber rettungslos an die Fersen des Doktors, der umsonst den Himmel anflehte von ihm erlöst zu werden.

In den letzten Tagen unsers dortigen Aufenthalts ging dieser Wunsch auch wirklich in Erfüllung, und da Peter Lattengeist am vorhergehenden Abend eine volle Stunde unsichtbar gewesen war, so hatte ich ihn später stark in Verdacht, das Waarenlager jenes Urmenschen ebenfalls in Augenschein genommen zu haben; jedoch ließ er nie ein Wort davon gegen mich fallen.

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Capitel XV.
Die Flucht. Wie wir uns entschlossen nach Taloo zu gehen.

– Hört einmal Doktor, sagte ich einige Tage nach meinem Abenteuer mit dem Gnomen zu meinem Begleiter, der, in der Abwesenheit unsers Wirths neben mir auf der Matte in der Hütte lag und seine Rohrpfeife tauchte; Tamai ist ein prächtiger Platz, weshalb sollen wir uns hier nicht niederlassen?

– Ei nun Paul, meinte er, das wäre keine so üble Idee; ob sie uns denn aber wohl hier behielten?

– Ei natürlich, freuen würden sie sich noch dazu, ein Paar karhowries zu Mitbürgern bekommen zu haben.

– Bei Gott, Ihr könnt Recht haben! hahaha! – ich werde ein Bananasblatt als Schild herausstrecken und mich den Arzt von London nennen; dann kann ich Vorlesungen über polynesische Antiquitäten halten, – Englisch in fünf Lektionen, jede zu einer Stunde lehren, – Dampfwebestülhle für die Fabrikation der Tappa errichten, – einen öffentlichen

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Park mitten in der Stadt anlegen und ein Fest zu Ehren Capitän Cook’s gründen.

Der Doktor hatte allerdings kühne Ideen; wir dachten aber jetzt wirklich daran, unsern Aufenthalt in diesem Thale auf unbestimmte Zeit hin zu verlängern, und mit diesem Gedanken noch beschäftigt überlegten wir eben, auf welche Art wir die Zeit dann am besten und angenehmsten hinbringen könnten, als mehrere Frauen in das Haus gestürzt kamen und uns mit den ängstlichsten Geberden beschworen zu „heree, heree!“ (zu fliehen) während sie noch etwas von den Mikonarees hinzufügten.

In einem halbbewußten Gefühl, daß wir als Vagabonden zur Sicherheit des Landes und zu unsrer eignen Bequemlichkeit vielleicht per Schub weiter gebracht werden sollten, flohen wir aus dem Hause, sprangen in ein Canoe, das vor der Thür lag und ruderten aus Leibeskräften dem gegenüberliegenden Ufer zu. Wir konnten aber noch vom Wasser aus bemerken, wie sich eine ganze Schaar von Eingeborenen Rartoo’s Hause näherte, unter denen Einzelne, was die mehr europäische Kleidung derselben verrieth, keineswegs nach Tamai gehörten.

Wir warfen uns nun in das dichte Gebüsch und dankten unserm guten Stern, der uns davor bewahrt hatte als flüchtige Matrosen wieder gefangen genommen zu werden; denn das, vermutheten wir jetzt, hatte jene Fremden nach Tamai geführt.

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Da wir aber nun einmal geflohen waren, so durften wir nicht daran denken wieder zurückzukehren und uns in der Nähe der Stadt aufzuhalten, denn leicht konnten wir dann noch einmal in Gefahr gerathen und diesmal vielleicht nicht so glücklich entkommen; deshalb entschlossen wir uns Martair wieder aufzusuchen, und mit Dunkelwerden erreichten wir auch glücklich das Haus der Pflanzen Diese bewillkommeten uns herzlich und nach einem delicaten Abendessen blieben wir noch bis spät in die Nacht auf und unterhielten uns über das, was uns begegnet.

Unser Plan war jetzt nach Toloo zu gehen; freilich hätten wir es von Tamai näher gehabt; da wir aber den Weg nicht kannten und den fremden Matrosenfängern in die Hände zu fallen fürchteten, so hatten wir es vorgezogen hierher zurückzukehren und dann die Insel zu umgehen.

Toloo, der einzige benutzte Hafen von Imeeo, liegt an der westlichen Seite der Insel und Martair fast gerade gegenüber. Am Ufer der Bai steht das Dörfchen Partowye, ein Missionärsitz, und in seiner Nähe befindet sich ebenfalls eine ausgebreitete Zuckerplantage, vielleicht die beste in der Südsee, die von einem Sidneyer bearbeitet wird.

Partowye, das Patrimonial-Eigenthum des Gemahls Pomares, und in jeder Hinsicht ein wunderlieblicher Platz, wurde früher manchmal sogar zur Residenz des Hofes gewählt;

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jetzt lebte die Königin ganz dort, wohin sie von Tahiti aus geflohen war.

Partowye war übrigens, wie wir hörten, keineswegs ein solch bedeutender Platz als Papeetee. Schiffe berührten nur selten diesen Hafen und wenige Fremde lebten am Ufer; jetzt gerade sollte freilich ein einzelner Wallfischfahrer dort Holz und Wasser einnehmen und Leute an Bord wünschen.

Alles in Betracht gezogen, so konnte ich nicht umhin, Toloo jetzt als einen vielversprechenden Ort für uns Abenteurer zu halten. Einmal bot sich uns vielleicht die Gelegenheit wieder auf den Wallfischfahrer in See zu gehen, dann konnten wir auf jeden Fall Arbeit in der Zuckerplantage bekommen und wer wußte was uns nicht noch für herrliche Aussichten sogar am königlichen Hofe blühten. Diese Aussichten waren denn auch keineswegs überspannt und Don Quixotteartig, nein, an manchen polynesischen Höfen werden, und noch dazu in bedeutenden Stellungen, weiße Abenteurer gefunden, die sich hier im tropischen Glanze sonnen und ein ganz behagliches Leben führen. Z. B. auf Inseln die wenig von Fremden besucht werden, kommt es nicht selten vor, daß der erste Seemann, der sie betritt, in die königliche Familie aufgenommen wird und vielleicht eine ganze Menge verschiedener Stellen bekleiden muß, zu denen man an andern Orten eben so viele einzelne Individuen benutzt.

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Als Historiograph zum Beispiel giebt er den Eingeborenen Kunde von entfernten Ländern und Völkern; als Professor der technischen Künste lehrt er sie den Gebrauch eines Messers und das Geheimniß wie man Nägel und Stücken eiserner Reifen am besten und leichtesten in Speerspitzen verwandelt, und ferner dient er auch gewöhnlich als Dolmetscher dem König und als Sprachlehrer im Allgemeinen dem Volke, indem er sich nicht selten bedeutende Mühe giebt, gewöhnliche Redensarten und ungewöhnliche Schimpfwörter beizubringen.

Diese Leute heirathen meistens in sehr gute Familien, oft – wie Hardy von Hannemanoo – in königliches Blut.

Manchmal dienen diese Weißen auch als Kammerdiener oder erste Dienstvasallen. In Amboi, einer der Tonga-Inseln, beugt ein vagabondirender Irländer das Knie als Mundschenk vor Seiner kannibalischen Majestät, mischt ihm seinen Morgenschluck von Arva und kredenzt ihm in der Allerhöchst verlangten Ehrfurchtsbezeugung denselben in reichgeschnittener Cocosschale. Auf einer andern Insel derselben Gruppe, wo man gewöhnlich nicht geringe Mühe auf die Cultur der Haare verwendet, – sie werden nemlich auf künstliche Art zu unverantwortlichen Strubbelköpfen aufgezogen – befindet sich ein alter Kriegsschiff-Matrose als Barbier und Friseur Seiner Majestät; und da Seine Majestät

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nicht sehr eigen sind, so ist Dero Kopf fast so stark bevölkert als Dero Stadt. Jack nun, wenn er weiter nichts zu thun hat, wird fleißig angehalten Seiner Majestät Kopf zu kratzen, was dadurch geschieht, daß er mit einem rauh geschnittenen Stück Holz in dem unkämmbaren Haarwust hin und her arbeitet.

Selbst auf den Sandwich-Inseln umgiebt ein Schwarm niederer Fremden die Person Tammahammaha’s um zu seiner Bequemlichkeit oder seinem Vergnügen stets dienstwillig die Hand zu reichen.

Billy Loon, ein fideler kleiner Neger in eine schmutzige blaue Jacke gekleidet, die mit rostigen Knöpfen und mit geschwärzten Goldtressen verziert ist, figurirt dort als Trommelschläger und Tambourinpauker. Joe ein stelzfüßiger Portugiese, der sein Bein auf einer Wallfischjagd verlor, ist Violinist und Mordecai, wie er genannt wird, ein liederlich genug aussehender Bursche unterhält den Hof mit seinen Gaukelkünsten und schleppt die ganzen Taschen immer voll Kugeln, lebendigen Vögeln und sonstigen Geschichten mit herum.

Diese nichtsnutzige Gesellschaft bezieht keinen bestimmten Gehalt, sondern ist einzig und allein von der gelegentlichen Großmuth ihres Masters abhängig; dann und wann machen sie aber einmal in den Tanzhäusern von Honolulu[WS 1] eine anständige Partie Schulden, wo dann der erlauchte

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Tammahammaha III. nachfrägt und kopfschüttelnd bezahlt.

Vor einigen Jahren wäre auch beinahe ein Auctionator Seiner Majesäit diesem Hofstaat beigefügt worden. Es scheint, daß er der erste Mann war, der ein solches Geschäft auf den Sandwichs-Inseln betrieb, und der König, dem es gefiel auf die Waaren bieten zu können, war einer seiner besten Kunden. Endlich forderte er den Mann auf, seine Profession liegen zu lassen und versicherte ihm, es solle am Hof für ihn gesorgt werden. Der Auctionator weigerte sich aber und der elfenbeinerne Hammer ließ sich die Gelegenheit entgehen auf einem Sammetkissen vor ihm hergetragen zu werden, wenn der nächste König gekrönt ward.

Aber nicht etwa als wandernde Musikanten oder als überzählige Bedienten hofften der Doktor und ich am Hof der Königin von Tahiti aufgenommen zu werden; im Gegentheil hatten wir viel größere Rosinen im Kopfe.

Es war uns gesagt daß Pomare, um der Usurpation der Franzosen zu widerstehen, alle Fremden, die sie gewinnen könne, um ihre Person versammele. Jedermann kannte dabei ihre Vorliebe für Engländer und Amerikaner und das besonders ließ uns auf einen günstigen Empfang rechnen. Zeke versicherte uns sogar noch, daß die Räthe der Königin in Partowye einen Angriffskrieg gegen die Eroberer in Papeetee beabsichtigt hätten. War das gegründet so konnte

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dem Doktor eine Regimentsarzts- und mir eine Lieutenantsstelle gar nicht mehr entgehen, und wir fingen schon an ziemlich sicher darauf zu rechnen.

Solcher Art waren unsre Pläne. Nichtsdestoweniger, wenn auch das große Ziel im Auge, vernachlässigten wir dabei irgend einen andern kleinern Vortheil, der uns vielleicht auch mit von Nutzen sein konnte. So hatte mir der Doktor z. B. versichert, daß er ausgezeichnet Violine spiele und ich schlug nun vor, sobald wir in Partowye ankämen, augenblicklich zu sehen, ob wir nicht eine für ihn geborgt bekommen könnten; wenigstens sollte er ein Surrogat dafür herzurichten suchen und damit bewaffnet, eine Audienz bei der Königin verlangen. Ihre allbekannte Leidenschaft für Musik sicherte ihm dann auf jeden Fall den Zutritt und konnte uns vielleicht unter den günstigsten Aussichten bei ihr einführen.

– Und wer weiß, bemerkte dabei mein langer Kamerad schmunzelnd, während er den rechten Fuß vorsetzte, den Kopf zurückwarf, den linken Arm ausstreckte, als ob er eine Violine hielt, und dann mit der rechten Hand eine eingebildete aber höchst lebhafte Melodie zu spielen begann; – wer weiß, ob ich mich nicht noch in Ihre Majestät Gunst so hinein geige, daß ich am Ende noch gar dieser tahitischen Prinzessin eine Art Rizzio werde.

Der höchst unrühmliche Rückzug, den wir von Tamai

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hatten nehmen müssen, machte den Doktor und mich doch etwas für unsre Zukunft besorgt.

Unter Zekes Schutz waren wir jedoch vor aller Einmischung von Seiten der Insulaner vollkommen sicher; wanderten wir aber ohne irgend Jemandes Wissen im Lande herum, so mußten wir erwarten, daß wir als Deserteure aufgegriffen und nach Tahiti zurückgesendet würden. Es werden nemlich fortwährend, und oft sehr bedeutende Belohnungen Denen zugesichert, die Deserteure von Schiffen zurückbringen, was denn auch die Ursache ist, daß die Eingeborenen anfangen alle Fremden mit mistrauischen Augen zu betrachten.

Ein Paß wäre jetzt allerdings das Zweckmäßigste gewesen; wo aber sollten wir den herbekommen? Den Namen selbst hatte noch Niemand in Imeeo gehört. Endlich schlug Lattengeist vor, daß uns der Yankee, der auf der Insel sehr bekannt und überall geachtet war, ein Certificat ausstellen sollte, indem er sagte, wir wären in seinem Dienst gewesen und also auch keine Landstreicher oder fortgelaufene Seeleute. Selbst in englischer Sprache ausgestellt konnte uns ein solches Papier von trefflichen Diensten sein; denn die ungebildeten Eingeborenen, hegen vor jeder Art von Dokument eine unbegrenzte Achtung und hätten uns gewiß nicht belästigt, ehe sie den Inhalt desselben erfahren. Kam da dann zum Schlimmsten, so mußten sie uns wenigstens

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zu einem Missionär führen, der ihnen erklären konnte, was das Papier enthielt.

Als ich Zeke unsern Wunsch mittheilte, schien er sich sehr geschmeichelt zu fühlen, daß wir seinen Ruf in der Nachbarschaft für so begründet hielten und war äußerst bereit uns in dieser Hinsicht zu willfahren. Nun erbot sich der Doktor allerdings, ihm das Zeugniß aufzusetzen, das wollte er aber unter keiner Bedingung zugeben und erklärte, er würde es selber schreiben. Mit einer Hahnenfeder also, einem Stück schmuzigen Papier und äußerst gutem Muth ging er an die Arbeit; augenscheinlich aber war es, daß er sich bis dahin in solchen Compositionen wenig geübt hatte und der Doktor, der ihm über die Schultern sah, schüttelte mehrere Male höchst bedenklich den Kopf.

Endlich hatte er dies äußerst schwierige Dokument beendet, das uns später nicht wenig Spaß machte: besonders komisch war seine Ausrede, weshalb er keinen Datum darunter gesetzt habe.

In diesem verwünschten Klima, bemerkte er, kann man gar nicht den Lauf der Monate behalten; es giebt keine Jahreszeiten, keinen Winter und keinen Sommer und ist in einem fort so niederträchtig heiß, daß man stets glaubt, man hat Juli.

Da wir nun einen Paß hatten, so wurde es jetzt nöthig

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daß wir auch die Art überdachten, wie wir nach Toloo kommen könnten.

Die Insel Imeeo ist fast rings herum durch Korallenriffe umgeben, die sich in etwa einer Meile vom Ufer befinden und das Land mit einem förmlichen Kreis ruhigen Wassers einschließen. Dieser Kanal, wie man ihn wohl nennen kann, bildet denn auch die Hauptverbindung zwischen den verschiedenen Ansiedelungen, die alle, nur Tamai ausgenommen, dicht an der See liegen. Die Insulaner ziehen dabei die Wasserpassage dem Landweg so weit vor, daß sie lieber zwanzig oder dreißig Meilen rudern, ehe sie den vierten Theil dieser Entfernung in gerader Richtung aber über die Hügel zurücklegen würden. Wie früher erwähnt trägt jedoch die Furcht vor den wilden Stieren auch hierzu viel mit bei.

Auch wir wären freilich am liebsten in einem Canoe gefahren; wo sollten wir das aber herbekommen? kaufen konnten wir keines; dazu fehlte es uns an Geld, und wäre irgend Jemand gutmüthig genug gewesen uns eins zu borgen, so hätte er jedenfalls am Ufer hin mitgehen müssen, um es, wenn wir es nicht mehr brauchen würden, wieder mit zurückzunehmen. So entschlossen wir uns denn endlich die Wanderung zu Fuß anzutreten und hofften vielleicht unterwegs ein Canoe zu treffen, das dieselbe Richtung einschlug wie wir, und an dessen Bord dann Passage zu nehmen.

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Die Pflanzer versicherten uns dabei, wir würden keinen betretenen Pfad finden, sollten uns aber nur fortwährend dicht am Strande halten und unter keiner Bedingung, so einladend der Wald auch aussehen möge, diesen betreten. Wie er sich ausdrückte war „der längste Weg um die Insel herum der nächste nach Toloo,“ in Zwischenräumen sollten wir auch kleine Flecken am Ufer finden, mit hie und da einer einzelnen Fischerwohnung, wo wir stets genug zu essen bekommen würden, ohne daß man uns je Zahlung dafür abverlange. Provision brauchten wir deshalb nicht mitzunehmen.

Da wir beabsichtigten am nächsten Morgen vor Tagesanbruch auszuwandern, so nahmen wir von unsern freundlichen Wirthen noch an diesem Abend herzlichen Abschied, gingen dann an den Strand hinunter, machten unsre Matratze flott und schliefen trefflich bis der Tag im Osten dämmert.

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Capitel XVI.
Die Wanderung am Strande.

Es war am vierten Tag des ersten Monats der Hegira, oder der Flucht von Tamai, – wir rechneten jetzt nemlich nach diesem Tag, – als wir frisch und fröhlich unsere Wanderung antraten und das Thal von Martair schon verließen, als selbst die Fischer noch sanft und ruhig schlummerten.

Der Morgen zeigte sich erst an einer düstern Wolkenbank, die von den starren Gipfeln von Tahiti durchbohrt wurden. Der tropische Tag schien heute zu faul aufzustehen und nur manchmal nahm er einen Anlauf, hauchte seinen rosigen Schein über den Rand der düstern Nebelschleier hin und schloß dann wieder, als ob er sich eben anders besonnen, die Augen. Endlich jedoch kamen diese Strahlen häufiger und häufiger; die Dunstschleier faßten das Morgenroth und ließen es nicht wieder los und plötzlich sprang der goldne Morgen, die ihn verhüllende Decke keck von sich schleudernd,

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empor und griff mit den gottfunkelnden Armen weit hin über das ihn freudig begrüßende Firmament.

Aus den Hainen von Tahiti wehte dabei ein durch die See gekühlter würziger Zephyr zu uns her, und die ganze Natur lag von solch wundervollem Zauber übergossen, daß der Doktor besonders ein ganz anderer Mensch zu werden schien, vor allen Dingen seine Roora abwarf ein Stück in die See hinaus schwamm, dann wieder äußerst schnell Toilette machte und nun mit tausend wunderlichen Sprüngen und Grimassen am Strande hinhüpfte, sich jedoch dabei wohl vorsah, dergleichen Leibesübungen sämmtlich nach der Richtung hin zu machen, in welcher unser Ziel lag.

In solch freudiger Aufregung schritten wir leichten Herzens und fröhlichen Sinnes dahin und oft dachte ich zurück an unser kaltes Vaterland, wie ganz anders da ein armer Teufel in einem solchen Zustand, wie wir uns gerade befanden, eine Fußreise hätte unternehmen müssen, hier in diesen warmen Regionen ist das Wenige was man braucht auch leicht herbeigeschafft, denn Feuerung, Obdach und im schlimmsten Fall selbst Kleidung kann man leicht entbehren und Früchte bietet das Land genug, den, hier doch einmal an vegetabilische Kost gewöhnten Magen zu befriedigen.

Der harte schöne Weg über die runden Kiesel hin sollte aber auch nicht ewig dauern; näher und näher rückten die Büsche zum Ufer herunter und wir kamen jetzt an Stellen,

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wo der Strand kaum eine Elle breit war. Statt den festen Sand bekamen wir jetzt scharfe Stücken zerbrochenen Korallen, die einen Spaziergang hier nichts weniger als angenehm machten und der Doktor sollte das Böse davon gar bald an seiner eigenen Haut empfinden.

– Alle guten Geister, mein Fuß! schrie er und riß das eine Bein mit einem förmlich galvanischen Zucken in die Höhe. Ein scharfer Splitter war ihm durch ein Loch im Stiefel ins Fleisch gegangen und auch meine Sandalen befanden sich in einem höchst traurigen Zustande, denn sie nahmen von jeder Sache, auf die ich trat, fossilische Abdrücke an.

Eine scharfe Landspitze jetzt umgehend erreichten wir endlich ein freies offenes Stück Land, wo eines Fischers Wohnung oben auf einem kleinen freundlichen Hügel stand, der sich sanft gegen die See zu abdachte.

Die Hütte wies sich als ein rohes, niederes Gebäude aus, das erst kürzlich errichtet schien, denn die Bambus waren noch grün wie Gras und das Dach frisch und duftend wie Wiesenheu. An drei Seiten war das kleine Gebäude offen, so daß wir die häuslichen Einrichtungen desselben vollkommen gut übersehen konnten. Es regte sich aber nichts darin und nur eine alte von Eingeborenen gearbeitete Kiste erkannten wir; ein paar Calabassen und mehrere Stücken gewöhnlicher Tappa, die an Stangen hingen; auch lag in der einen Ecke ein mit dunkelm Zeug bedeckter Klumpen; doch konnten

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wir nicht gleich heraus bekommen, was das sei, bis der Doktor endlich etwas genauer zusah und nun ein liebendes altes Paar entdeckte, das fest an einander geschmiegt in einem ziemlich mitgenommenen Tappamantel eingewickelt war.

– Hallo Darby, rief er und schüttelte die Gestalt die den Bart hatte.

Darby hörte aber nicht; doch Joan eine verschrumpfte alte Matrone sprang entsetzt auf und brüllte aus Leibeskräften. Da sie jedoch fand, daß Niemand sie zu knebeln beabsichtige, beruhigte sie sich nach und nach wieder; nachdem sie uns ein paar Sekunden angestarrt und mehrere unverständliche Fragen gethan hatte, versuchte sie den indeß noch immer schlafenden Gatten zu erwecken.

Was ihm fehlte, konnte keiner von uns sagen, aber wach war er nicht zu bekommen und gleich nutzlos blieben Zureden[WS 2], Knuffe und Stöße; er lag wie ein Klotz, das Gesicht in die Höhe und schnarchte wie ein Kavallerietrompeter.

– Liebe Frau, sagte der Doktor Lattengeist, laßt mich doch einmal versuchen, ob ich den alten Gentleman nicht zu sich bringen kann. Und dann, als Jene zurücktrat, nahm er den Patienten gerad bei der Nase, zog ihn dabei in eine sitzende Stellung und hielt ihn so bis er die Augen endlich aufschlug. Als dies geschah sah sich Darby erst noch immer wie Einer um, der fortzuträumen glaubt, sprang aber dann plötzlich auf und zog sich rückwärts bis in die entfernteste

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Ecke zurück, von wo aus wir den Gegenstand seiner unbegrenzten Aufmerksamkeit wurden.

– Erlauben Sie mir, mein theurer Darby, Ihnen hiermit meinen sehr geachteten Freund und Gefährten, Paul, vorzustellen, sagte der Doktor und führte mich ihm mit allen möglichen Grimassen und Verbeugungen vor. Darby, der aber jetzt seine Geisteskräfte sammelte, setzte uns nicht wenig in Erstaunen, daß er zwar ein sehr gebrochenes, aber doch verständliches Englisch sprach. Was wir aus seiner Rede begriffen, war, daß er schon vor einiger Zeit gehört habe, es befänden sich zwei Karhowries in der Nähe und er versicherte uns, daß er sich freue, uns zu sehen, wobei er die keineswegs überflüssige Hinzusetzung machte, er würde uns in kurzer Zeit etwas zu essen auftischen.

Er erzählte uns noch, wie er sein Englisch gelernt hatte. Vor einiger Zeit war er ein Einwohner von Papeetee gewesen, wo die Sprache der Eingeborenen auf die wunderlichste Weise mit Matrosenausdrücken vermischt ist. Er schien aber auf diesen Aufenthalt ganz stolz zu sein und sprach etwa mit dem nemlichen Selbstgefühl davon, wie ein Bauer seinen Aufenthalt in der Residenz erwähnen würde. Um seiner Geschwätzigkeit übrigens Schranken zu setzen, baten wir ihn erst das Frühstück zu schaffen, dann würden wir alle seine Anekdoten mit anhören. Während sich die beiden Alten nun mit ihren Calabassen beschäftigten, war es wirklich komisch

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die Zärtlichkeit zu sehen, mit der sie einander behandelten. Ich bin fest überzeugt, sie nannten sich in einem fort: „Mein Herzchen!“ und „mein Püppchen!“ ihre Blicke verkündeten das wenigstens auf das deutlichste.

Sie setzten uns übrigens ein treffliches Mahl vor und versicherten uns wieder und immer wieder, daß wir keineswegs glauben sollten, wir hätten etwas dafür zu bezahlen; nein im Gegentheil, wir möchten so lange dableiben, wie es uns nur gefiele und in der ganzen Zeit sollte ihr Haus das unsre und sie wollten unsre Sklaven sein. Das ist tahitische Gastfreundschaft; den eignen Heerd geben sie auf, blos um den Fremden gefällig zu sein.

Die Polynesier könnten in dieser Hinsicht wirklich andern wilden Völkern zum Muster dienen. Sollte z. B. ein Bewohner Waiurars, des westlichsten Theiles von Tahiti, als Reisender in Partowye erscheinen, was am östlichsten Rand von Imeeo liegt, und wäre er dort auch vollkommen fremd und unbekannt, so würden die Dortwohnenden überall in die Thür treten und ihn einladen, ihr Haus, als das seine anzusehen; der Reisende aber betrachtet sich gewöhnlich erst sämmtliche Wohnungen aufmerksam, bis er endlich eine findet, die ihm gefällt; dann ruft er aus: „Ah, ena matai“ (diese wird wohl gut sein) tritt hinein und macht sich’s im vollsten Sinne des Worts bequem. Er wirft sich auf die

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Matten und verlangt auch höchst wahrscheinlicher Weise nach einer guten jungen Cocosnuß und nach einer Brodfrucht – aber hübsch braun gebraten.

Sonderbarer Weise würde aber ein Fremder, wenn man später einmal zufällig erführe, daß er selbst kein eignes Haus hätte, von Thür zu Thür betteln gehen können und nirgends Einlaß finden. Die Karhowries oder weißen Männer sind von dieser Regel ausgenommen; ist das aber nicht gerade so wie in civilisirten Ländern? Dort werden auch die, die Häuser und Wohnungen haben in einem fort bis aufs Blut gequält zu andern Leuten zu ziehen, während mancher arme Teufel, der sich die Näthe seines Rocks mit Tinte schwarz macht und dem eine solche Einladung gewiß willkommen sein würde, sich die Füße ablaufen könnte, ehe ihn Jemand aufnähme. Dem Tahitier sei es aber zum Ruhme nachgesagt, daß dieser letzterwähnte Flecken auf ihrer Gastfreundschaft nur erst spätern Ursprungs und seit der Zeit entstanden ist, als sie mit den Weißen in Verbindung traten; so hat es mir wenigstens Capitain Bob versichert.

In Polynesien wird es auch für ein großes Glück gehalten, wenn ein Mann in eine Familie heirathet, mit welcher der größte Theil der Gemeinde verwandt ist, (der Himmel weiß es, das wenigstens ist anders bei uns). Die Ursache davon wird dem zugeschrieben, daß er, wenn er einmal

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auf Reisen geht, desto mehr Häuser zu seiner Disposition findet.

Nachdem wir uns hinlänglich gestärkt hatten, setzten wir mit dem Segen des alten Paars unsre Reise fort, fest jedoch dabei entschlossen, an dem ersten Platz wieder einzukehren, wo sich uns etwas Interessantes bieten würde.

Wir brauchten auch nicht lange zu warten; ein nicht übermäßiger Marsch an einer Muschelbank hin brachte uns in eine Gegend, wo das Land, einzelne Baumgruppen ausgenommen, aus lauter Wiesen bestand, die sich leise dem Wasser zuzogen und in eine Art schilfiges Gras, das mit der Fluth wogte, ausliefen. Dicht dabei war eine kleine von Korallen eingefaßte Bucht, in der eine ganze Canoeflotte aus und ab tanzte. Wenige Schritte davon entfernt, auf einer mäßigen Erhöhung, die in das Meer hinaus schaute, lagen mehrere Hütten der Eingeborenen, die erst neu gedeckt schienen und wie Sommerhäuser aus dem sie umgebenden Grün hervorschimmerten.

Als wir näher kamen schallte uns erst ein dumpfes Stimmengemurmel entgegen und gleich darauf brachen aus den niedern Gebäuden, von Jugend- und Lebenslust überströmend, drei liebenswürdige holde Mädchen jauchzend und lachend auf uns zu. Eine war in ein flatterndes Kattungewand gekleidet und ihr langes, schwarzes Haar trug sie in

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zwei mächtigen, hinten zusammengebundenen und mit grünen Schlingpflanzen durchflochtenen Zöpfen. Ihres kecken, ungenirten Betragens wegen, hielt ich sie für eine junge Dame aus Papeetee, die hier vielleicht ihre Verwandten auf dem Lande besuchte. – Ihre Gefährtinnen trugen mehr Lappen und Streifen von Banmwol1enzeug, ihr Haar war auch gelöst und obgleich sie ebenfalls schön genannt werden konnten, so bewiesen sie doch eher eine schüchterne, den Provinzen eigne Zurückgezogenheit.

Der ersterwähnte kleine Schelm stürmte mit großer Zutraulichkeit auf mich los, begrüßte mich auf tahitische Art und eröffnete nun ein solches Feuer von Fragen, daß ich sie nicht einmal verstehen, viel weniger beantworten konnte. Nichts desto weniger begriff ich, daß sie uns in Loohooloo, wie dieser kleine Ort genannt wurde, herzlich willkommen hieß. Indessen bot Doktor Lattengeist sehr artig jeder der beiden andern jungen Damen seinen Arm, die allerdings im Anfang nicht wußten, was er damit wollte, es endlich aber wohl für einen Scherz halten mochten und ihn nun lachend willfahrteten.

Die Namen dieser drei jungen Damen wurden uns jetzt ebenfalls bekannt gemacht und ich kann nicht umhin, da sie so äußerst romantisch klangen, sie hier mit anzuführen. An des langen Doktors Arm hingen „Nacht“ und „Morgen“

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in den Personen von Farnowar, der Taggeborenen und Farnoopoo, der Nachtgeborenen. Das wilde Kind mit den Zöpfen wurde sehr passend Marhar-Rarrar die Wachsame oder Helläugige genannt.

Indessen hatten die Häuser auch noch alles an Bewohnern hervorgeschickt, was sie bis jetzt verborgen gehalten; es waren ein paar alte Männer und Frauen und mehrere schlanke junge Bursche, die sich schläfrig die Augen rieben. Alle drängten sich um uns her und frugen, von wo wir kämen; als sie aber hörten, daß wir mit Zeke bekannt seien, freuten sie sich ungemein und Einer von ihnen erkannte auch die Stiefeln, die der Doktor trug.

– Keekee (Zeke) matai riefen sie „nuee nuee hanna hanna portarto“ – (Er zieht viele Kartoffeln.)

Es entstand jetzt ein kleiner freundschaftlicher Streit, wer die Ehre haben sollte uns als Fremde zu beherbergen. Endlich faßte uns ein alter, schlanker Gentleman, der Marharvai hieß, einen Glatzkopf und einen weißen Bart hatte, an der Hand, und führte uns in seine Wohnung. Kaum waren wir aber drin, so zeigte er mit seinem Stab umher und versicherte uns so feierlich und so oft, dies Haus sei gänzlich das Unsre, daß Lattengeist endlich meinte, nun könne er uns auch den Schein darüber ausstellen.

Die Sonne stieg jetzt höher und nach einem leichten Frühstück von gerösteter Brodfrucht und ein paar Zügen

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Tabak, wie einem sehr lebhaften Gespräch, ermahnte der Alte die ganze Gesellschaft sich niederzulegen und die tägliche Siesta zu halten.

Wir gehorchten, und bald schlummerte das ganze Dorf in Compagnie.

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Capitel XVII.
Ein Diner in Imeeo. Die Cocospalme.

In mitten eines heitern warmen Nachmittags holten sie uns zum Mittagessen, das unter dem grünen Schatten von Palmenzweigen gedeckt war, und so tief senkten sich diese um uns herab, daß wir uns bücken mußten, um hinein zu treten.

Im Innern hatten sie den Boden mit aromatischen Kräutern, Nahee genannt, bestreut, die unter den Tritten duftenden Wohlgeruch verbreiteten. Auf einer Seite lagen dabei reine, von gelben und rothgefärbten Rindenstreifen durchzogene Matten und hier, nach türkischer Art gelagert, blickten wir über die grüne Uferbank hinweg auf den sanftblauen endlosen stillen Ozean hinaus. So weit hatten wir die Insel umwandert, daß wir Tahiti nicht mehr sehen konnten.

Auf den Kräutern vor uns waren verschiedene Lagen von breiten, dicken Poorooblättern ausgebreitet, und diese überdeckten wieder frischgepflückte Bananablätter, fast sechs

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Fuß lang und sehr breit, von denen man die Stiele abgeschnitten, damit sie flach aufliegen sollten. Dies grüne Tischtuch war in folgender Art besetzt:

Zuerst wurde eine Anzahl von Poorooblättern, die zu Tellern dienen sollten, auf einer Seite hingelegt und neben Jedem stand eine einfache Cocosnußschale, halb mit Seewasser gefüllt und das tahitische Backwerk, eine kleine braun geröstete Brodfrucht. Eine ungeheure flache Calabasse bildete den Mittelpunkt, worin zahllose kleine Packetchen von feuchten dampfenden Blättern lagen; sie enthielten kleine, in der Erde gebackene, delicate Fischchen. Diese Schüsselpyramide wurde an beiden Seiten durch zwei, der Symmetrie wegen hier angebrachte, Calabasse gedeckt; die eine trug bis zum Rand den goldfarbigen Poee oder Pudding aus dem rothen Pisang der Gebirge bereitet; die andere umschloß einen aus der indianischen Rübe gefertigten Kuchen, der zuerst in einem Mörser zermalmt, dann mit Cocosnußmilch angeknetet und gebacken wird. Zwischen diesen drei Schüsseln lagen junge Cocosnüsse von der faserigen Schale befreit und die Augen geöffnet; jede, ein zum Gebrauch gefüllter Becher.

An einer Ecke der Tafel befand sich auch noch eine Art Seitentisch und auf diesem prangten in ihren ledergelben Jäckchen die fettesten Bananen, rothreife Avees, Guaven, unter deren durchsichtiger Haut das purpurfarbene Fleisch glühte, Orangen, mit ihren lichtbraunen Reifeflecken und große fidele

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Melonen, die sich aus lauter Wohlbeleibtheit hin und her rollten. Solch ein Fruchthaufen! Alle duftend reif, und rund und fast berstend unter der kräftigen Fülle ihres tropischen Mutterlandes.

– Das Land der Gärten! rief der Doktor voll Entzücken und stahl eine Frucht, die solche heißblütige Gentlemen besonders lieben, nemlich einen Kuß von den überreifen Kirschlippen der Taggeborenen, die dicht neben ihm stand.

Marharvai wies jetzt seinen Gästen die Sitze an und die Mahlzeit begann. Da ich übrigens dachte, daß seine Gastfreundschaft doch Anerkennung verdiene, so stand ich auf und trank ihm in dem frischen Cocossaft zu, indem ich nur die einfache Begrüßung wiederholte:

– Yar onor boyoee!

Der Alte verstand bald, daß dies ein Compliment nach der Art der Weißen sein müsse, und mit einem Lächeln und wohlwollenden Handwinken bedeutete er mich, meinen Sitz wieder einzunehmen. Kein Volk der Welt, mag es so verfeinert sein wie es will, kann sich graziöser benehmen, als diese Bewohner von Imeeo.

Der Doktor, der dicht neben unserm Wirth saß, wurde jetzt unter dessen besondern Schutz genommen. Der alte Mann legte ihm eine von den kleinen Fischpacketchen vor, das er öffnete und der besonderen Aufmerksamkeit des Weißen empfahl. Mein Begleiter war aber Einer von Denen,

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die bei öffentlichen Mahlzeiten immer recht gut selbst für sich sorgen können; er aß eine unbestimmte Anzahl von „Pehee Lee Lees“ (kleinen Fischen) seine eigne wie seiner Nachbarn Brodfrucht und langte nach allen Richtungen von jeder ihm gut scheinenden Speise mit einer Gemüthlichkeit zu, als ob er an polynesischen Tischen geboren und erzogen worden sei.

– Paul, sagte er endlich, es kommt mir gar nicht so vor, als ob Ihr richtig zulangtet; warum versucht Ihr denn nicht die Pfeffersauce? Und dabei tauchte er, das Gesagte zu illustriten, einen Bissen in die Nußschale mit Seewasser, die neben ihm stand. Ich that das Gleiche und fand es wohl pikant, doch ein wenig bitter, übrigens ein herrliches Substitut für Salz. Die Imeeoesen benutzen das Seewasser auch stets auf diese Art und halten es für delikat; auf keinen Fall ist es, wenn man bedenkt, daß die ganze Insel von solcher Sauce umgeben ist, ein sehr kostbares Gewürz.

Die Fische waren vortrefflich, denn da sie in der Erde gebacken waren, behielten sie ihren vollen Saft und waren süß und zart. Der Pisangpudding sättigte ungemein, doch auch die Kuchen von indianischer Rübe erwiesen sich als sehr verdaulich und die gebackene Brodfrucht knusperte förmlich.

Während der Mahlzeit ging auch noch ein junger Insulaner fortwährend um die Gesellschaft herum und trug

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dabei einen Bambusstock in der Hand; mit diesem stieß er dann und wann vor jedem Gast auf das Tischtuch und eine weiße, feste Masse fiel dann daraus hervor, die etwa wie süßer Quark schmeckte; sie wird „Lownee“ genannt und von dem geriebenen Fleisch der reifen Cocosnüsse bereitet, mit Cocosnußmilch und Seewasser angemacht, und nachher so lange verschlossen gehalten, bis sie fast über die süße Gährung hinaustritt.

Während der Mahlzeit schwatzten und lachten die Insulaner fortwährend und selbst die jungen Damen zeigten sich als sehr aufgeweckt, was nicht wenig zu der allgemeinen Fröhlichkeit beitrug; ja als der Doktor sich endlich mit einem tiefen Seufzer und äußerst behaglicher Miene zurücklehnte, sprangen sie plötzlich auf und warfen ihn mit Orangen und Guavan. Dies beschloß jedoch das Mahl.

Mein langer Freund wurde überhaupt durch tausend wunderliche Züge gar bald ein Liebling der Eingeborenen, und sie gaben ihm einen langen, langen komischen Namen der seine Figur und Roorar bezeichnen sollte. Die letztere verfehlte überhaupt nie das Erstaunen eines Jeden zu erregen, dem wir begegneten.

Die Bewohner von Tahiti und Imeeo haben übrigens eine wahre Leidenschaft, Jedem, der ihnen auffällt, einen Spitznamen zu geben; Keiner, an dem sie irgend eine Eigenheit entdecken, ist davon ausgenommen, selbst Fremde nicht.

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So fand z. B. ein gar stolzer Capitän eines Kriegsschiffes, der zum zweiten Male Tahiti besuchte, daß er den würdigen Titel: „Alee Poee“ – wörtlich Poeekopf oder Puddingkopf erhalten hatte. Der höchste Rang macht dabei keine Ausnahme und der erste Gatte der jetzigen Königin hieß früher, selbst in den Hofzirkeln: Kugelbauch. Allerdings trug er den größten Theil seines Körpers vorne; dasselbe that der wackere Georg IV. Was ist das aber für ein Titel für den Gemahl einer Königin!

Selbst Pomare, das königliche Stammwort war ursprünglich ein bloßer Spitzname und bezeichnet wörtlich Jemand, der durch die Nase spricht. Der erste Monarch dieses Namens schlief nemlich einmal auf einem Kriegszug in dem Gebirge und erwachte am Morgen mit einem fürchterlichen Schnupfen. Das schnappte denn natürlich ein naseweißer Höfling sogleich auf und der Name ist bis auf den heutigen Tag geblieben.

Wie verschieden von diesen leichtsinnigen Polynesiern, auch in jeder andern Hinsicht, ist dagegen unser ernster und stolzer Nordamerikaner. Während der Erstere einen Spitznamen nach irgend einer komischen oder wunderlichen Eigenheit giebt, faßt der Letztere nur das auf, was ihm kriegerisch und edel erscheint, deshalb haben wir auch zwischen den rothen Stämmen die ächtpatriotische Benennung: der weiße Adler, die junge Eiche, das feurige Auge, der gespannte Bogen.

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Während der Doktor und die Eingeborenen nun ihre Mahlzeit verdauten, schlenderte ich ein wenig herum, mir die Gegend zu betrachten, die ein so prachtvolles Mahl liefern konnte.

Zu meinem Erstaunen fand ich, daß sich ein ganz hübsches Stück Land in der Nähe des kleinen Dorfes, und seewärts von einem Cocosnuß- und Brodfruchthain beschützt, unter bester Cultur befand. Süße Kartoffeln, indianische Rüben und Yams wuchsen da; auch Melonen, einige Ananas und andre Früchte. Noch erfreulicher jedoch war der Anblick von jungen Brodfrucht und Cocospalmen, die hier mit großer Sorgfalt gepflanzt schienen, als ob der sorglose Polynesier doch wenigstens einmal an seine Nachkommenschaft gedacht hätte. Dies ist jedoch das einzige Beispiel, das ich in der Art je bemerkt habe, denn auf allen meinen Wanderungen durch Tahiti und Imeeo fiel mir nur zu oft die Seltenheit dieser Bäume auf, die doch dort hätten in Unmasse gedeihen müssen.

Ganze Thäler von unerschöpflicher Fruchtbarkeit, wie z. B. Martair, werden gedankenlos der wildesten Vegetation überlassen; angeschwemmte, von der See begrenzte und durch Bergströme bewässerte Niederungen sind durch einen dichten Guavabusch überwachsen, der sich, von Fremden eingeführt, mit solch verderblicher Schnelle über das Land verbreitet, daß die müssigen Eingeborenen schon voraus

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sehen, wie er einst die ganze Insel bedecken wird. Selbst Strecken offenen Landes, die mit so wenig Mühe in Obstgärten verwandelt werden könnten, liegen völlig vernachlässigt.

Wenn ich oft diesen unvergleichbaren Boden, dies wundervolle Klima bedachte und dann wieder die halbverhungernden Eingeborenen sah, die sich um Papeetee herumtrieben, konnte ich es kaum für möglich halten, daß Faulheit und Leichtsinn ein Volk so weit herunterbringen könnten. Keine andere Insel von gleicher Fruchtbarkeit, die noch in ihrem Urzustande liegt, bietet aber auch ein solches Beispiel.

Noch wunderbarer und unbegreiflicher erscheint dies, wenn man bedenkt, in welch hoher Achtung diese Bäume bei den Tahitiern und Imeeoesen stehen und wie leicht sie fortgepflanzt werden können. Die Cocospalme besonders ist das wichtigste Gewächs der Tropen und für den Polynesier in Wahrheit der Lebensbaum, da er selbst die Brodfrucht-Palme an Nützlichkeit übertrifft.

Selbst der Anblick der Cocospalme ist imposant und sie scheint sich ihrer ersten Stellung in der Pflanzenwelt bewußt zu sein, so stolz und kühn trägt sie das gekrönte Haupt. Die Segnungen, die sie verbreitet, sind aber auch unzählbar.

Jahr nach Jahr ruht der Insulaner in ihrem Schatten, zieht Speise und Trank aus ihren Früchten, deckt seine

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Hütte mit ihren Blättern und flechtet diese zu Körben, seine Nahrung darin fortzutragen; er weht sich mit einem aus den jungen Blättern bereiteten Fächer Kühlung zu und diese müssen ihm auch einen Hut liefern, sein Haupt gegen die Sonne zu schützen. Manchmal kleidet er sich mit der tuchartigen Substanz, die sich um den Stielen befindet, und diese selbst werden trocken als Fackeln benutzt. Die großen Nüsse liefern ihm polirt wunderschöne Becher, die kleineren Pfeifenköpfe; die trocknen Hülsen entzünden seine Feuer; ihre Fibern werden zu Fischschnuren und Canoetaue gedreht. Seine Wunden heilt er mit einem Balsam, den er aus dem Safte der Nuß bereitet und das Oel derselben balsamirt die Körper seiner Leichen.

Der edle Stamm ist fast eben so werthvoll. In Pfosten gesägt stützt er die Wohnungen der Eingeborenen, kocht seine Nahrung und umzäunt sein Land. Mit Rudern aus dem Holz der Palme treibt er sein Canoe durch die Fluth, und Kriegskeulen und Speere fertigt er sich aus demselben harten Material.

Im heidnischen Tahiti war ein Cocoszweig das Symbol königlicher Autorität; auf das Opfer im Tempel gelegt, heiligte er dieses und mit ihm züchtigten und vertrieben die Priester alle böse Geister, von denen sie angegriffen wurden. Die hohe Majestät Oro’s, des großen Gottes ihrer Mythologie, sollte in dem Cocosholze bestehen, aus dessen

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Stamm sein Bild gehauen war, und auf einer der Tonga-Inseln steht noch eine lebendige Palme, die selbst als Gottheit verehrt wird. Auch auf den Sandwich-Inseln bewahrt noch die Cocospalme ihren alten Ruf, denn das Volk dort hat sie jetzt zum Sinnbild ihrer Nation gewählt.

Die Cocosnuß wird auf folgende Art gepflanzt: man wählt einen passenden Platz aus und gräbt dort eine volle reife Nuß ein. In wenigen Tagen drängt sich ein dünner lanzenartiger Schößling durch ein ganz kleines Loch in der Schale, durchbohrt die äußere Hülle und entfaltet bald drei blaßgrüne Blätter in der Luft, während sich ein paar fibröse Wurzeln in dem schwammig weißen Inhalt der Nuß bilden, in ein paar entgegengesetzten Löchern die Schale durchdringen und senkrecht in den Boden brechen. Ein oder zwei Tage später platzt die Schale, die zuletzt so hart war daß kaum ein scharfes Messer einen Eindruck auf sie machen konnte, plötzlich durch irgend eine innerliche Kraft auseinander und von da an treibt und keimt die kräftige junge Pflanze, verlangt keine Aufmerksamkeit, kein Pfropfen, kein Gießen und nähert sich schnell ihrer Reife. In vier oder fünf Jahren trägt die Palme, in doppelter Zeit hebt sie ihre Blätterkrone aus der Waldung empor und steht in immer wachsender Stärke wohl ein volles Jahrhundert lang in aller Schönheit und Nutzbarkeit.

Jener Reisende hat Recht, wenn er sagt, der Mann,

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der nur eine einzige von diesen Nüssen in den Grund legt, bringt über sich und die nach ihm Lebenden einen größern Segen, als Hunderte, die sich in kalten Klimaten ihre ganze Lebenszeit abmühen und plagen.

Die Fruchtbarkeit dieses Baumes ist aber auch merkwürdig; so lange er lebt, trägt er, und zwar ohne Unterbrechung. Zweihundert Nüsse neben den unzählige andere verkündenden weißen Blüthen, können oft zu gleicher Zeit daran gesehen werden. Wenn es auch ein ganzes Jahr verlangt eine von ihnen zur völligen Reife zu bringen, so sind doch selten zwei zu gleicher Zeit auch gleich weit vorgerückt.

Der Baum steht am liebsten in der Nähe der See und gedeiht wirklich dicht am Meere, wo seine Wurzeln von der Fluth bespühlt werden, am allerbesten. Das kann natürlich aber nur auf solchen Inseln geschehen, wo das Land, wie hier, von Riffen umgeben und die Brandung verhindert ist gegen das Ufer anzustürmen. Die Nuß hat jedoch nie an solchen Plätzen einen Salzgeschmack, im Gegentheil erscheint sie süßer und kräftiger und da, wo der Baum weit im Lande drin steht, in den engen hügelumschlossenen Thälern, habe ich oft gesehen, wie sich die Krone sehnsüchtig dem Meere zuneigte, als ob der ganze Baum traure, daß er es nicht erreichen könne.

Eine wunderliche Thatsache ist es, daß die Cocospalme, wenn man sie des grünen Busches beraubt, der gerade inmitten

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ihrer Krone wächst, von dem Augenblick an abstirbt. Der Stamm, der früher von solch harter Rinde eingeschlossen war daß kaum eine Büchsenkugel ihren Weg hindurch finden konnte, fängt an zu faulen und wird in unglaublich kurzer Zeit Staub. Dies schreibt sich jedoch wahrscheinlich von der eigenthümlichen Construktion des Stammes her, der als ein bloßer Cylinder von tausend kleinen, dicht neben einander liegenden Röhren erscheint, die allerdings fest und eng einander decken; sobald aber die oben befindlichen Oeffnungen dem Wetter ausgesetzt werden, sind gerade diese Höhlen geeignet, den Baum schnell und unvermeidlich faulen zu lassen.

Die schönste Cocospalmenplantage die ich kenne, und die einzige die ich überhaupt auf der Insel sah, steht auf dem südlichen Ufer der Papeetee-Bai. Sie wurde durch den ersten Pomare vor etwa einem halben Jahrhundert gepflanzt, und da ihr hier der Boden besonders gedeihlich war, so bildet sie jetzt einen wundervollen Hain, der sich fast eine Meile ausdehnt. Keine andre Pflanze, kaum ein Busch steht zwischen ihnen, und die Besenstraße durchschneidet die ganze Länge desselben.

In heißer Mittagszeit ist dieser Palmenhain einer der herrlichsten Plätze, die ich je gesehen. In schwindelnder Höhe oben wölben sich die grünen duftigen Bogen, durch die sich die Sonne nur in kleinen blitzenden Strahlen Bahn

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brechen muß; man glaubt durch eine endlose Säulenhalle zu wandern, feierliches Schweigen und tiefe Stille herrscht in diesem heiligen Waldesdom.

Gegen Nachmittag aber fängt der Seewind leise an zu wehen und während er über die Gipfel dieser tausend Stämme dahinstreicht, nicken sie mit den gekrönten Häuptern und beginnen leise und traulich zu flüstern; und die Briese wird stärker, die Zweige berühren einander, die elastischen Stämme fangen an zu schwanken und gegen Abend wiegt sich der ganze Hain wie das ruhige Wogen der See. Der Reisende wird aber durch das häufige Fallen der Nüsse erschreckt, die von ihren glasigen Stielen abbrechen. Schwirrend kommen sie durch die Luft und springen oft noch viele Ellen weit auf dem Boden dahin.

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Capitel XVIII.
Leben in Loohooloo, Aufbruch nach Toloo.

Da wir das Leben in Loohooloo sehr angenehm und die jungen Damen besonders höchst gesellschaftlich fanden, wobei wir uns in den guten Tisch des alten Marharvai förmlich verliebt hatten, so ließen wir uns gern bereden, ein paar Tage länger bei ihnen zu verweilen. Der Alte versicherte uns auch, wir könnten uns dann einer kleinen Canoegesellschaft anschließen, die zu einem, ein oder zwei Leaguen entfernten Platze hinführe. So feind sind diese Leute jeder Anstrengung, daß sie wirklich glaubten, die Aussicht ein oder zwei Meilen fahren zu können, würde uns vermögen noch mehrere Tage bei ihnen zu bleiben, wenn wir auch weiter nichts dort gefunden hätten was uns fesselte.

Die Einwohner des kleinen Dörfchens bildeten, wie wir bald entdeckten, eine förmliche Vetter-Familie, von denen Marharvai der Aelteste und zugleich ein kleiner Häuptling war, dem die benachbarten Ländereien gehörten. Die

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Reichen haben stets sehr viele Verwandte, und möglich ist es, daß ein großer Theil seiner Familie, die ihn oft besuchte, nur deshalb sich dazu rechnete, weil er der Herr dieses Grundbesitzes war; auf jeden Fall schien er uns, wie Capitän Bob, ein Gentleman von der alten Schule, ein Bewahrer der vergangenen heidnischen Gebräuche.

Die alten Sitten der Eingeborenen hatten wir übrigens in keinem Platz, Tamai ausgenommen, so treu bewahrt gefunden, wie hier; selbst das echt heidnische Mittagsmahl verkündete dies. Die Zeit vertrieben wir uns hier aber auf herrliche Art; der Doktor ging seinen und ich meinen Weg. Er wanderte fortwährend mit einer freundschaftlichen Gesellschafterin in das Land hinein, Botanik zu studiren wie er sagte; ich dagegen hielt mich zum Wasser und fuhr manchmal die jungen Schönen in See hinaus.

Gar häufig gingen wir auch fischen, d. h. nicht etwa über langweiligen Haken und Angeln zu nicken, nein, gerade ins Wasser hinein, während wir unserer Beute mit dem Speer in der Hand über die Korallenriffe folgten.

Fische zu harpuniren ist ein prächtiges Vergnügen. Die Imeeoesen um die ganze Insel herum, fangen sie auch auf keine andere Art. Das seichte Wasser zwischen dem Riff und Ufer, ja in der Ebbe das Riff selber, eignet sich herrlich zu dieser Jagd. Zu jeder Tageszeit, den geheiligten Mittag ausgenommen, kann man die Fischer sehen, wie sie mit lauten

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Hallo’s und gezückten Speeren nach allen Richtungen hin durch das Wasser splaschen; manchmal auch geht ein einzelner Insulaner pürschen und wadet langsam und vorsichtig mit gehobenem Speer und spähendem Auge einher.

Das größte Vergnügen gewährt es aber bei Fackellicht auf das große Riff selbst hinauszugehen. Die Eingeborenen treiben dies mit eben solcher Leidenschaft, wie die Gentlemen in England ihre Fuchsjagd, und scheinen auch eben so viel Freude daran zu finden.

Die Fackel ist dabei nichts weiter als ein fest zusammengebundenes Bündel trockner Rohre, der Speer eine lange leichte Stange mit eiserner, an einer Seite mit Widerhaken versehener Spitze.

Nie werde ich die Nacht vergessen als ich mit dem alten Marharvai und den Uebrigen nach dem Riff hinausruderte, und wir dort um Mitternacht, mit wehenden Fackeln und geschwungenen Speeren, auf die Korallenbänke sprangen. Ueber eine englische Meile weit befanden wir uns vom Lande, der schlummernde Ozean wälzte sich donnernd gegen die Außenseite der Riffe an, und oft trieb der Spritzschaum der Brandung zu uns herüber, und drohete unsre Fackeln zu verlöschen. So weit das Auge reichen konnte, so weit dehnte sich, die Dunkelheit von Luft und Wasser unterbrechend, ein weißer funkelnder Gischtstreifen an unsrer Seite hin, und bezeichnete den Lauf, den die Korallenbank nahm.

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Die wilden Fischer schwangen dabei ihre Waffen und schrieen, wie eben so viele Teufel, ihre Beute aufzujagen; dabei sprangen sie von Fels zu Fels und schleuderten manchmal ihre Harpunen selbst mitten in die Brandung hinein.

Fischharpuniren war aber nicht das einzige Vergnügen das wir in Loohooloo hatten. Gerade am Ufer stand eine alte mächtige Cocospalme, deren Wurzeln die Wellen unterwaschen hatten, daß sie sich weit über das Wasser hinausbog. Von dem Gipfel dieses Baumes hing ein starkes aus Bast und Rinde gedrehtes Seil, dessen Ende das Wasser mehrere Schritte vom Ufer ab berührte. Dies war eine tahitische Schaufel. Ein junger Insulaner hält sich an diesem Seile fest, schwingt sich erst eine ganze Weile und anscheinend ruhig hin und her und schießt sich plötzlich funfzig oder sechzig Fuß vom Wasser wie eines Rakete durch die Luft. Ich zweifle sehr, daß selbst unsre Seiltänzer einen solchen Sprung wagen würden; was mich betrifft, so hatte ich nie weder Kopf noch Herz dazu. Ich schickte dagegen einen jungen Burschen hinauf, der noch ein andres Seil daran befestigen mußte, da meiner Meinung nach zweie besser als eines hielten; dann verfertigte ich einen großen Korb aus grünen Zweigen, in dem ich und noch ein paar gute Freunde von mir uns oft Stundenlang über Land und See dahinschwangen.

Freundlich lachte der Morgen, freundlicher noch die süßen lieben Blicke der Mädchen, die uns begleiteten, als wir

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endlich in ein großes und geräumiges Canoe, eine Art Familiengondel, hineinstiegen und unsren gastfreundlichen Marharvai und seinen Verwandten Lebewohl sagten. Da wir abruderten standen sie noch am Strande, winkten mit den Händen und riefen so lange wir sie hören konnten:

– Aroba! aroba! (Lebt wohl, lebt wohl!)

Obgleich uns der Abschied von ihnen leid that, so versuchten wir doch uns mit unsrer Reisegesellschaft zu trösten. Unter dieser befanden sich zwei alte Damen; da sie übrigens kein Wort zu uns sagten, so wollen wir auch weiter nichts von ihnen erwähnen; eben so wenig von dem alten Mann, der das Canoe steuerte; desto mehr aber von den drei schelmischen, dunkeläugigen jungen Nixen, die in dem Stern dieses alten gemüthlichen Familien-Canoes behaglich ausgestreckt lagen.

Erstlich war eine von diesen Marhar-Rarrar und zweitens hätten weder sie noch ihre neckischen Gefährtinnen je geträumt diese Reise zu unternehmen, bis nicht der Doktor und ich auf der Passagierliste standen. Ihre Begleitung war nichts weiter als toller Uebermuth. Die drei kleinere Schelme hätten dabei einen Heiligen zur Verzweiflung bringen können; wurde man melancholisch oder gar sentimental, so lachten sie Einem gerade ins Gesicht und duldeten gute Gesellschaft nie, wenn sie sich nicht über sie lustig machen konnten.

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Fortwährend fanden sie Eines oder das Andre an uns, das ihre Heiterkeit erweckte; der Doktor mochte das denn auch seiner merkwürdigen Figur zuschreiben und ging gern darauf ein. Seine Mütze klingelte aber nie, wenn er nicht einen Zweck dabei hatte und während er sich zum Besten haben ließ, lag der Schalk hinten zum Sprunge fertig.

Da eine frische Briese aufsprang so setzten wir unsre Matten-Segel und glitten so ruhig über die See hin, als ob wir auf einem kleinen Flusse führen. Auf einer Seite behielten wir dabei die schäumenden Riffe, auf der andern das grüne Ufer.

Bald darauf lenkten wir um eine Landspitze und begegneten einem andern Canoe, indem die darin Sitzenden aus Leibeskräften dorthin ruderten, woher wir kamen. Sie schrieen sich einander an, und ein langer Bursche im Bug des fremden sprang auf und nieder wie ein Wahnsinniger. Obgleich wir ihnen aber zuriefen halten zu bleiben so schossen sie doch wie ein Pfeil vorüber.

Wie uns die Eingeborenen sagten, so war dies eine Art königlichen Postcanoes, das eine Botschaft der Königin an einen entfernten Theil der Insel zu ihren Freunden trug.

Nachdem wir mehrere schattige Haine passirt hatten, die einladend genug aussahen, schlugen wir vor, einmal zu landen, um die Einförmigkeit einer Seefahrt durch einen Spaziergang am Ufer zu unterbrechen. Unsre Canoe also gerade

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hinter den umgestürzten Stamm einer Palme hineinzwängend, verließen wir es, der ältere Theil unserer Gesellschaft um ein Schläfchen zu halten, während wir selbst mit den jungen Damen das schattige Dach der Waldung betraten. Erst nach mehreren Stunden setzten wir unsre Fahrt wieder fort und erreichten gegen Abend den Platz, welchen Jene hatten besuchen wollen.

Es war ein einsam stehendes Haus, das vier oder fünf alte Weiber bewohnten. Als wir eintraten saßen diese in einem Zirkel auf den Matten und aßen aus einer geborstenen alten Calabasse Poee. Sie schienen sich sehr zu freuen unsre Begleiter zu sehen, nahmen aber eine höchst kalte Miene an, als wir selbst ihnen vorgestellt wurden. Mistrauische Blicke warfen sie auf uns und schienen wissen zu wollen, wer wir wären. Die Antworten, die sie empfingen, mochten ihnen wohl nicht genügend lauten, denn sie behandelten uns noch fortwährend mit auffallender Kälte und Zurückhaltung, und so viel ich merken konnte, suchten sie sogar unsre Bekanntschaft mit den Mädchen abzubrechen. Natürlich mochten wir nun da nicht bleiben, wo man uns nicht gern sah, und beschlossen, ohne selbst einen Bissen zu essen, weiter zu marschiren.

Marhar-Rarrar und ihre Gefährtinnen hörten das aber kaum, als sie die lebhafteste Betrübniß zeigten und ihre frühere Natur ganz verläugnend, brachen sie in Jammer und

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Thränen aus. Dem konnten wir natürlich nicht widerstehen und erklärten dableiben zu wollen, bis sie nach Hause zurückkehrten, was mit dem „Aheharar“ oder Sonnenuntergang geschehen sollte.

Als der Abend heranrückte sahen wir sie, nach vielen Abschiednehmen, sich einschiffen, und als das Canoe endlich um die unterhalb liegende Landspitze bog, nahmen sie die Ruder aus den Händen des alten Mannes und winkten damit schweigend herüber. Dies ist das rührendste Lebewohl, denn man schwenkt sonst nie die Ruder, wenn man nicht glaubt, daß es ein Abschied auf Nimmerwiedersehen ist.

Wir setzten nun unsere Reise fort und dem Strand folgend, erreichten wir eine ebene aber hohe Uferbank, die sich, hie und da mit Bäumen bewachsen, eine große Strecke an der Insel hinzog. Ein schöner Pfad umgürtete diesen Strich Landes und oft blieben wir stehen die herrliche Scenerie zu bewundern. Der Abend war ruhig und selbst für ein solch himmlisches Klima schön; so weit aber das Auge reichen konnte, umgab uns der blaue Himmel und das reine wundervolle Meer.

Wohin wir auch gingen, wie wir uns auch wandten, begleitete uns die Brandung an den, sich ihr entgegenstemmenden Korallenfelsen und donnerte mit ihrem murmelnden Baß an unser Ohr, wie das ununterbrochene Stürmen eines Caterakts. Ewige Zeiten lang gegen die, ihnen trotzenden

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Wälle anstürmend, sehen sie in der Entfernung wie eine Reihe weißgemähneter, wild dahinjagender Streitrosse aus, die, scharf im Zaume gehalten, trotzig in die Zügel knirschen, und mit weißem wehendem Schaum Mähnen und Zaum überspritzen.

Diese großen natürlichen Wasserdämme beschützen das Land auf eine treffliche Weise; fast sämmtliche Gesellschafts-Inseln werden von ihnen umzogen und nur ihnen haben es auch die Eingeborenen zu danken, daß jene gewaltigen Schwellungen des stillen Meeres nicht all den weichen fruchtbaren Boden, der ihre Gebirge umzieht, fortwaschen, was sie ihrer besten Ländereien berauben müßte. Die Korallenriffe bringen aber auch noch einen andern Nutzen, sie bilden die einzigen Häfen dieser ganzen Gruppe; dabei sind sonderbarer Weise sämmtliche Canäle, welche eine Einfahrt in sie gestatten, gerade der Mündung von Flüssen gegenüber, welchen Vortheil der nach Wasser hierherkommende Seefahrer am besten zu würdigen weiß.

Man schreibt dies dem süßen Wasser zu, das sich hier, auf das Seewasser einwirkend, der Korallenbildung widersetzt, und anders ist es auch gar nicht möglich. Solche regelmäßige Kanäle hätten sich sonst nie bilden können. Hie und da werden solche Oeffnungen sogar manchmal von ganz kleinen Inseln bewacht, auf denen wehende Palmen stehen, und gar wunderbar gegen das sie ringsumtobende Brausen

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der Brandung abstechen. Pomare II. wählte einen dieser reizenden Plätze zu einem Bad; wir passirten auch die Stelle als wir aufwärts fuhren.

Einzelne unbedeutende Abenteuer die wir zu bestehen hatten als wir Loohooloo verließen, will ich jetzt überschlagen und dagegen erzählen, wie es uns ging, ehe wir den Platz unsrer Bestimmung erreichten.

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Capitel XIX.
Ein Schmuggler.

Es muß etwa der zehnte Tag, nach der Hegira gerechnet, gewesen sein, als wir des alten Varvy Gastfreundschaft in Anspruch nahmen; dieser war ein einsam wohnender, schon ziemlich bejahrter Insulaner, der, einige Leaguen von Toloo entfernt, ganz allein Haus hielt.

In Steinwurfsweite vom Ufer stand ein phantastischer, moosüberwachsener Fels, den ein kleiner aus den Hügeln herabsprudelnder Bach murmelnd umschloß, während ein verkrüppelter Aoa die zähen Wurzeln um seinen Fuß schlug und in einer förmlichen Laubwildniß über ihm emporstieg. Elastische Zweigwurzeln langten dabei in jede Spalte, die sie erreichen konnten hinein, und klammerten sich fest darin, während andere, jüngere Schößlinge noch nicht im Stande waren so tief hinabzugreifen und wie Peitschenschnuren in der Luft hin- und hergeschnellt wurden.

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Varvy’s Hütte, ein Art-Bambußstall, klebte auf dem ebenen Theil dieses Felsens, ein Dachbalken lag in den Zweigen des Aoa’s, während eingestemmte Gabeln den andern aufrecht hielten.

Trotzdem daß wir im Näherkommen ihn anriefen und aus Leibeskräften sogar schrieen, erfuhr er doch nichts von unserm Dasein, bis der Doktor ans Ufer stieg und seine Schulter berührte. Er knieete gerade über einen Stein und reinigte Fische im Bach. Wohl sprang er im ersten Augenblick erschreckt empor und starrte uns verwundert an, hieß uns aber gleich darauf durch die sonderbarsten wunderlichsten Bewegungen willkommen und erklärte uns auf ähnliche Art, daß er taubstumm sei. Nichtsdestoweniger bat er uns in seine Hütte einzutreten.

Dort angelangt warfen wir uns auf eine alte Matte, die schmuzigen Bambus und Calabassen sahen aber so wenig einladend aus, daß der Doktor vorschlug, wir sollten lieber noch, wenn auch gleich der Abend nahe war, versuchen Toloo zu erreichen. Endlich überlegten wir es uns aber doch anders und blieben.

Der Alte, nachdem er eine ganze Weile unter einem verfallenen Schuppen herumgewirthschaftet, kam nun mit unserm Abendessen und hielt in der einen Hand ein flackerndes Licht, in der andern dagegen eine große, flache Calabasse, die uns sehr mäßig mit Speisen gefüllt schien. Die

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Augen funkelten ihm aber im Kopf und während er seinen Blick von uns auf die Calabasse und von der Calabasse wieder auf uns schweifen ließ, sah er uns an und schien sagen zu wollen: Ah, meine Bursche, nicht wahr, das habt Ihr nicht erwartet, wie gefällt Euch das wohl! Leben wir hier nicht delikat? – Doch weder Fisch noch Taro’s waren besonders gut, und wir hielten nur ein sehr mäßiges Mahl. Der Alte versuchte indessen mit den lebhaftesten Geberden und Zeichen uns zu unterhalten, und einige davon waren so komisch, daß ich fest überzeugt bin, er riß eine Anzahl pantomimischer Witze.

Als die Ueberreste unsers Mahles entfernt waren, verließ uns unser Wirth einen Augenblick, kehrte aber bald darauf mit einem weitbauchigen Flaschenkürbiß zurück, der einen langen gebogenen und mit einem hölzernen Pfropf geschlossenen Hals hatte; dies Gefäß deckte noch hie und da frische Erde und er mußte es augenscheinlich eben erst irgendwo ausgegraben haben.

Durch bedeutende Winke und gräßliche Geberden, die dem Taubstummen so eigen sind, löste er nun den Pfropfen dieser vegetabilischen Kruke, sah sich dann vorsichtig um und deutete ängstlich darauf hin, als ob er uns zu verstehen geben wollte, daß es etwas enthielte, was Taboo, oder verboten sei.

Nun wußten wir recht gut, daß die Eingeborenen keine berauschenden Getränke zu sich nehmen dürfen, beobachteten

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daher unsern Wirth mit steigendem Interesse. Dieser füllte jetzt eine Cocosschale und trank sie aus, füllte sie dann wieder und reichte sie mir. Mir gefiel aber der Geruch des Bechers nicht, den er mir unter die Nase hielt und ich schnitt ihm Gesichter; dadurch kam er in eine solche Aufregung, daß ein Wunder an Ort und Stelle geschah. Das Gefäß mir aus der Hand reißend, schrie er:

– Ah, karhowrie sabbee lee-lee, ena arva tee matai! was mit andern Worten etwa hieß: wie dumm die Weißen sind, dies hier ist der richtige Stoff!

Wäre dem Burschen ein Frosch aus dem Munde gesprungen, so hätten wir nicht mehr darüber erstaunen können, und ein paar Sekunden lang sah er auch selber verblüfft genug aus; denn aber legte er seinen Finger geheimnißvoll auf den Mund und versuchte uns anzudeuten, daß er nur manchmal der Sprache gänzlich beraubt sei.

Der Doktor, der dies für ein ausserordentliches Phänomen halten mochte, verlangte von ihm, er solle den Mund aufmachen, damit er hineinsehen könne, der Alte weigerte sich aber.

Dieser Umstand machte, daß uns der Alte ein wenig verdächtig wurde; auch konnten wir uns sein Betragen gar nicht erklären; einen Zweck mußte er aber auf jeden Fall dabei haben, daß er sich taubstumm stellte und später erfuhren wir denn auch, er treibe verbotenen Handel; freilich begriff

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ich immer noch nicht, was ihm dabei das helfen solle, daß er vorgehe nicht reden zu können.

Um ihm gefällig zu sein, nahmen wir endlich einen Schluck seines arva tee, fanden es aber sehr herbe und scharf wie Gift. Nun wünschte ich gern zu wissen, wie es gemacht würde, da heiterte sich seine ganze Physiognomie auf, und die Fackel ergreifend, führte er uns vor die Hütte.

Nachdem wir eine ziemliche Strecke durch den Wald gegangen waren, erreichten wir eine alte Hütte von Zweigen, die, öde und verlassen wie sie aussah, dem Verfall entgegenging. Innerhalb konnten wir nichts weiter erkennen als modernde Blätter und ein ungeheures steinernes Gefäß, das irgendwie aus einem soliden Blocke gehauen war.

Hier ließ er uns eine kurze Zeit allein, denn er stellte seine Fackel in den Stein und verschwand draußen in der Dunkelheit; bald darauf aber kehrte er wieder zurück und zwar mit einem langen starken Bambus und einem gebogenen Stock. Diesen warf er nieder und fühlte dann eine Weile unter einem alten Haufen Plunder herum, bis er endlich ein rauhes Stück Holz hervorbrachte, durch das ein Loch gebohrt war und was, wie wir jetzt fanden, dem Stein als Deckel dienen sollte. Jetzt stieß er den gebogenen Stock etwa zwei Schritte davon in die Erde und befestigte das eine Ende des Bambus daran, während er das andere durch das Loch im Deckel brachte.

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Als er alles dies vollendet, kam er mit einem schlauen Blick auf uns zu, schaute bewundernd seinen Apparat an und rief dann:

– Ah, karhowrie, ena hannahanna arva tee! was so viel heißen sollte als: Seht Ihr wohl, auf solche Art bringe ich’s zu Stande.

Die ganze Maschinerie war nichts anderes als eine höchst einfache Branntweinbrennerei, um seinen eignen Schnaps zu brauen, und deshalb lag die Hütte so im Verfall, damit neugierige Forscher ihm sein stilles Vergnügen hier nicht störten. Ehe wir auch den Schuppen wieder verließen, schleppte er alles wieder an seine alte Stelle, und der Doktor meinte nur, er müsse doch ein recht scharfsichtiger Kauz sein, daß er mich nicht für einen tückischen Missionär gehalten.

Darüber gab er uns jedoch Aufklärung und es ist dies ein charakteristischer Zug der Eingeborenen, daß sie alle Fremde für den Missionären feindlich halten und sie gern zu Vertrauten solcher Geheimnisse machen, bei denen die Gesetzgeber hintergangen werden.

Die Pflanze, aus welcher das starke Getränk bereitet wird, heißt tee, und das Kräftigste daran ist eine große, fibröse Wurzel, die einer Yam ähnlich, nur kleiner als diese ist. Grün schmeckt sie entsetzlich bitter, gebacken dagegen so süß wie Zuckerrohr. Wenn das Feuer diesem Tee die Schärfe

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genommen hat und er zerstoßen und mit Wasser angemacht ist, so sieht seiner Destillation weiter nichts im Wege.

Als wir zur Hütte zurückkehrten wurden Pfeifen gebracht; Lattengeist aber, dem der arva tee im Anfang so wenig wie mir geschmeckt hatte, fing jetzt zu meinem Erstaunen an zu trinken, wobei ihm der alte Zecher freudige Gesellschaft leistete, und es dauerte denn auch gar nicht lange, so wurden die beiden alten Schlingel kreuzfidel.

Es war ein sonderbares Schauspiel ihnen zuzusehen, denn der arva fing jetzt an seine Wirkung auf sie auszuüben; sie wurden gemüthlich und herzliche Zuneigung begann sich zwischen ihnen zu zeigen. Der Doktor schien sogar aus Artigkeit geneigt zu sein, die Unterhaltung in der Sprache seines Wirths zu führen, während der alte Eremit darauf bestand, Englisch zu reden. Das Resultat konnte dann auch nicht ausbleiben, sie kauderwelschten eine solche Masse der wunderbarsten Consonanten und Vocale zusammen, daß ich vom bloßen Zuhören schwindlig wurde.

Am nächsten Morgen als ich aufwachte, hörte ich eine Stimme wie aus dem Grabe; es war der Doktor, der sich feierlichst für einen todten Mann erklärte. Aufrecht saß er auf seinem Lager, hielt beide Hände fest gegen die Schläfe gepreßt und sah noch tausendmal blässer aus als gewöhnlich.

– Der niederträchtige Stoff hat mich gemordet, schrie er. Großer Gott, mein Kopf ist inwendig voll lauter Räder

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und Federn, wie die künstliche Schachmaschine; was soll ich denn nur machen, Paul – ich bin vergiftet.

Die Sache war aber nicht so gefährlich. Unser Wirth braute ihm einen Kräutertrank und nach einem leichten Mittagsmahl fühlte er sich so weit gestärkt, daß er erklärte, die Reise fortsetzen zu können.

Als wir ausbrechen wollten, fehlten des Yankees Stiefeln, wo wir auch suchen mochten, sie kamen nicht wieder zum Vorschein und ihr Eigenthümer behauptete jetzt in grimmiger Wuth, Varvy hätte sie gestohlen. Nun kam mir das, wenn wir bedachten wie gastfreundlich er gegen uns gewesen, sehr unwahrscheinlich vor; doch wußte ich freilich auch nicht, auf wen anders wir den Diebstahl schieben konnten. Der Doktor behauptete dabei, Jemand, der unschuldige Reisende mit arva tee vergiften könne, sei zu Allem fähig; das half ihm aber nichts, die Stiefeln waren und blieben verschwunden.

Ich wollte allen Reisenden, die am Strande hin nach Partowye gehen, empfehlen, auf dem Felsen zu übernachten und dem alten Gentleman, der noch dazu keine Bezahlung nimmt, ihre Kundschaft zu schenken; doch sein Getränk und dies geheimnißvolle Abhandenkommen der Stiefeln machten mich wieder unschlüssig, ob ich es thun solle.

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Capitel XX.
Der Empfang in Partowye; unser Lager. Der Doktor wird fromm.

Als wir endlich aufbrachen, warf ich meine ohnedies bis dahin abgenutzten Sandalen ebenfalls fort und leistete dem Doktor Gesellschaft, der doch jetzt barfuß gehen mußte. Dieser gewann auch bald seine gute Laune wieder, versicherte mich, Stiefeln wären überdies eine Last, und wanderte nun fröhlichen Muths weiter.

Das sagte er übrigens, wie ich hier bemerken muß, als wir über einen sanften Grasteppich dahinschritten, der selbst jetzt noch, als die Sonne schon hoch am Himmel stand, seine feuchte Kühle behauptete.

Sobald wir jedoch diesen sammetweichen Pfad verließen, kamen wir zu einer dürren offenen Sandstrecke, auf welche die Strahlen der Sonne förmlich niederbrannten, so daß der lockere Kies unter unsern Füßen unerträglich heiß wurde. Kaum möglich wäre es das Springen und Schreien

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zu beschreiben, mit dem wir diese Wüste durchzogen, und wir hätten den Versuch sie zu durchschneiden, bis Sonnenuntergang ganz aufgeben müssen, wären nicht hie und da kleine schattige Büsche gewesen. In die steckten wir denn, sobald wir sie erreichen konnten, unsre Füße, um sie nur wieder abzukühlen, und sahen uns sogar gezwungen besonders darauf zu achten, daß dergleichen Halteplätze nicht zu weit von einander entfernt standen, was uns oft zu einem Umweg nöthigte.

Nachdem wir diese kleine, aber für uns fürchterliche Sahara glücklich passirt hatten, kamen wir zu einer mit langem Grase bedeckten Wiese, für uns und unsre Füße ein wahrer Trost. Sie begrenzte außerdem einige nicht mehr sehr fern gelegene Häuser und zwar die Außengebäude von Partowye.

Mein Kamerad wollte nun gleich das erste betreten, das wir erreichten; da wir aber näher kamen, so sahen sie mir für Wohnungen der Eingeborenen zu stattlich aus, und ich zögerte, denn ich hielt sie für die Residenzen größerer Häuptlinge, bei denen wir kaum auf einen herzlichen Empfang rechnen durften.

Während wir noch so unschlüssig dastanden, ertönte eine Stimme aus dem nächsten Haus und rief uns an:

– Aramai aramai, karhowrie (kommt herein, kommt herein, Fremde).

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Wir traten denn auch ohne Weiteres ein und wurden freundlich empfangen. Der Herr des Hauses war ein aristokratisch aussehender Insulaner und zwar in weite Leinwandhosen und ein feines weißes Hemd gekleidet, während eine rothseidene Schärpe, nach Art der Spanier in Chili, seinen Leib umgürtete. Er kam mit freier, offener Miene auf uns zu, grüßte uns und führte sich, indem er sich mit der Hand auf die Brust schlug, als Ereemear Po-Po oder um seinen christlichen Namen wiederzugeben Jeremias Po-Po, ein.

Diese wunderbare Zusammenstellung von Namen entsteht bei dem Volke der Gesellschafts-Inseln auf folgende Art. Wenn ein Eingeborener getauft wird, so haben die Missionäre nicht selten etwas an seinen heidnischen Benennungen auszusetzen, und das, was ihnen nicht recht daran ist, muß gewöhnlich geändert werden.

Als denn auch Jeremias damals zu dem Taufbecken trat und seinen Namen als Narno – Nana – Po-Po angab – was etwa „der dem Teufel bei Nacht Trotzende“ bedeutet, so erklärte ihm der ehrwürdige Priester, daß er eine solche heidnische Benennung keineswegs zugeben könne und ihm wenigstens für den teuflischen Theil desselben ein andres Beiwort geben müsse. Dem Candidaten für Christenthum wurde dann wahrscheinlich ein Kalender gereicht, denn es stand ihm frei sich einen Namen zu wählen. Unter

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diesen waren Adamo (Adam), Nooar (Noah), Daveedar (David), Earcobar (James), Eorna (John), Patoora (Peter), Ereemear (Jeremias) u. s. w. und daher kam es, daß er Jeremias Po-Po oder Jeremias „im Dunkeln“ genannt wurde. Und im Dunkeln befand er sich gewiß über seinen neuen Beinamen.

Wir gaben dagegen unsre Namen an, wonach er uns bat, Platz zu nehmen. Er setzte sich auch neben uns und that nun eine Unmasse Fragen, und zwar in gemischtem Englisch und Tahitisch; dann empfing ein alter Mann den Auftrag von ihm eine Mahlzeit für uns zu bereiten und seine Frau, eine große, gutmüthig aussehende Gestalt ließ sich ebenfalls neben uns nieder und schien uns besonders unsrer beschmuzten traurigen Kleidung wegen zu bemitleiden; sie sah uns wenigstens mit einem höchst wehmüthigen Blicke an und stieß fortwährend einzelne Worte des Schmerzes und Bedauerns aus.

Jeremias und seine Gattin waren aber nicht die einzigen Insassen dieses Hauses.

Ja einer Ecke auf einem großen, dort gebräuchlichen Bett lag eine junge Schöne, fast ganz in ihr eignes langes Haar gehüllt, die ihre Toilette jedoch noch zu machen hatte. Sie war Po-Po’s Tochter und ein liebes, reizendes Kind, kaum vierzehn Jahr und von freundlich holder Gestalt; eine eben aufblühende Knospe, mit großen dunkeln Augen.

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Sie nannten sie Loo, ein herrlicher, sanfter Name für das jungfräuliche Kind, und ein lieblicheres Antlitz gab es gewiß nicht auf Imeeo, als eben diese kleine Loo hatte.

Dabei schien sie aber kalt und stolz und würdigte uns gar nicht ihrer Beachtung, kaum daß sie manchmal ihre Augen über uns hinschweifen ließ und selbst das geschah dann stets mit einem Ausdruck voll herzloser Gleichgültigkeit. Die Abschiedsthränen der Loohooloo-Mädchen waren kaum auf unsern Schultern getrocknet und diese verächtliche Behandlung ärgerte uns deshalb nicht wenig.

Als wir zuerst eintraten, beschäftigte sich unser Wirth eben damit, die frisch hereingebrachten und zum Teppich bestimmten Kräuter gerade zu schieben und jetzt, da man unsre Mahlzeit brachte, wurde sie auf einem Bananablatt vor uns ausgebreitet. Hier blieben wir denn auch nach Bequemlichkeit liegen, aßen gebackenes Ferkel und Brodfrucht von irdenen Tellern und gebrauchten, zum ersten Mal wieder nach manchem langen Monat, wirkliche Messer und Gabeln.

Dieses, wie manche andere Anzeichen von sonst ungewöhnlichem Luxus, erklärte uns auch in etwas die Kälte und Zurückgezogenheit der kleinen Loo; ihre Eltern waren aller Wahrscheinlichkeit nach Magnaten in Partowye, und sie selbst galt dann für eine Erbin.

Nachdem wir ihnen unsern Aufenthalt in dem Thal

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von Martair mitgetheilt, wollten sie gern wissen, weshalb wir nach Toloo kämen und wir gaben ihnen zu verstehen, daß ein im Hafen liegendes Schiff die Ursache sei.

Afretee, unsers freundlichen Wirthes Frau, war ein recht mütterliches Wesen. Nachdem wir unsre Mahlzeit beendet, empfahl sie uns ein klein wenig zu schlafen und als wir ziemlich gestärkt erwachten, führte sie uns in die Thür und deutete zwischen die Bäume hinein, wo wir ein blitzendes Wasser erkannten. Wir verstanden denn auch den Wink, schritten darauf zu und fanden einen tief beschatteten, klaren Teich, in dem wir uns badeten und zum Hause zurückkehrten.

Unsre Wirthin setzte sich nun neben uns nieder und nachdem sie des Doktors Mantel mit großem Interesse betrachtet hatte, faßte und befühlte sie meine eignen beschmuzten und zerrissenen Kleider wohl zum hundertsten Mal und rief traurig:

– Ah nuee nuee olee manee! olee manee! (Ach, sie sind sehr, sehr alt, sehr alt.)

Als uns Afretee, die gute Seele, in dieser Art anredete, glaubte sie wahrscheinlich, sie spräche ein ziemlich achtbares Englisch. Das Wort nuee nemlich ist unter den Fremden von Polynesien so allgemein gebräuchlich geworden und wird im Gespräch mit den Eingeborenen so oft angewandt, daß die Insulaner zu glauben scheinen, es sei über die ganze

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Welt verbreitet. Olee manee ist die Aussprache der Insulaner für alter Mann, das sie, sobald sie Englisch reden, ohne Unterschied für lebende, wie leblose Gegenstände, gebrauchen.

Sie ging jetzt an eine Kiste, die mit allerlei europäischen Artikeln gefüllt war, aus dieser nahm sie zwei ganz neue Matrosen-Anzüge heraus, überreichte sie uns mit einem freundlichen Lächeln und schob uns hinter einen Kattunschirm. Ohne viele Umstände nahmen wir denn auch das großmüthige Geschenk an, und von Mahlzeit, Bad und Schlaf gekräftigt, mit neuen Kleidern versehen, kamen wir wie ein paar Bräutigams wieder zum Vorschein.

Als der Abend heranrückte wurden Lampen angezündet, und zwar Lampen, auf die einfachste Weise von der Welt hergestellt; es waren ausgehöhlte Melonen, etwa zum dritten Theil mit Cocusnußöl gefüllt, auf dem ein Docht von fest zusammengedrehter Tappa schwamm. Für Nachtlampen sind diese Melonen wundervoll, denn das Licht dringt nur matt durch die Rinde und wirft einen ganz melancholischen Dämmerschein über das Gemach.

Nachdem es dunkelte kamen auch nach und nach noch einige andere Familienmitglieder. Eines von ihnen war ein schlanker, junger Stutzer in einem hellgestreiften Hemd, wobei er ganze Klafter bunten Kattuns, die bis zur Erde niederhingen, um sich herum geschlagen hatte. Er trug

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einen neuen Strohhut, den ebenfalls drei verschiedenfarbige Bänder umgaben, ein schwarzes, ein grünes und ein rothes. Schuhe oder Strümpfe brauchte er nicht. Wir fanden, daß er hierin wenigstens, der Landestracht treu blieb.

Auch ein paar zarte olivenfarbige kleine Mädchen, Zwillinge, mit sanften Augen und wunderschönem Haar, liefen halbnackt wie zwei Gazellen im Hause herum, sie hatten einen noch etwas jüngeren Bruder, einen charmanten, dunkelfarbigen Jungen, mit einem treuen Frauenauge. Alle diese waren die Kinder des Jeremias Po-Po, in gesetzmäßiger, christlicher Ehe erzeugt.

Dann kamen auch noch zwei oder drei wunderlich aussehende alte Frauen, die schäbige Mäntel von schmuzigem Baumwollenzeuge trugen; diese paßten ihnen noch dazu nicht einmal und sahen so fremd und abgetragen aus, daß ich die Trägerinnen derselben augenblicklich für Hausarme hielt, arme Verwandte vielleicht, die von der Güte meiner Lady Afretee lebten. Es waren treuherzige, demüthige, alte Geschöpfe, die wenig sagten und noch weniger aßen, und die Augen entweder an den Boden geheftet hielten oder schüchtern emporblickten. Die Halbcivilisation der Insel mußte ihren Einfluß wahrscheinlich auch auf sie ausgeübt haben.

Beinahe hätte ich Monee, einen ewig feixenden, alten Mann, vergessen. Sein Kopf war eine haarlose, glänzende

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Fleischkugel und er hatte einen kleinen runden Bauch und Beine wie eine Katze. Monee war Po-Po’s Factotum: Koch, Haushofmeister und Brodfrucht- und Cocoserkletterer, dabei auch ein großer Günstling seiner Herrin, mit der er ganze Stunden lang schwatzte und rauchte.

Oft stand dieser unermüdliche Monee und arbeitete aus Leibeskräften, daß es aussah, als ob er das wichtigste Geschäft vor hätte, das unbedingt in einer bestimmten und ganz kurzen Zeit fertig werden müßte; dann plötzlich warf er Alles, was er gerade in Händen hielt, – es mochte nun sein, was es wollte – nieder, lief spornstreichs eine kleine Strecke fort, rollte sich in eine Ecke und schlief auch schon im nächsten Augenblick, sprang dann ganz geschwind wieder auf, kam eben so schnell zurück und fuhr in seiner Arbeit mit dem vorigen Eifer fort.

Nach Einzelnen, was mir an Po-Po’s Familie auffiel, hielt ich mich zu dem Glauben berechtigt, daß er eine „Säule der Kirche“ sei, und dann auch wieder konnte ich das mit seinem freien, offenen Benehmen nicht vereinigen. Ich hatte mich aber doch nicht geirrt; wie es sich später erwies, war er eine Art Kirchenältester oder Diakonus und einem der ersten Häuptlinge sehr nahe verwandt.

Ehe wir zu Bett gingen, versammelte sich die ganze Familie im Zimmer und er, in ihrer Mitte, las ein Kapitel aus einer tahitischen Bibel laut vor; dann kniete er

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mit uns Uebrigen nieder und betete. Nachher legten sich Alle, ohne noch weiter ein Wort zu sprechen, nieder.

Diese Andachtsübungen fanden regelmäßig sowohl Morgens wie Abends statt; auch Tischgebete wurden vor und nach der Mahlzeit gehalten.

Mich setzte dies, nachdem ich gesehen hatte wie überhaupt Religion auf Tahiti getrieben wurde, in nicht geringes Erstaunen; doch wie auch Andere einen frommen Sinn heucheln mochten, Po-Po war gewiß ein Christ; ihn und Afretee ausgenommen, habe ich freilich unter den Eingeborenen in Polynesien weiter keinen gefunden.

Unser Lager war vortrefflich.

Dicht zu Füßen des Ehebettes stand ein kleineres Gestell aufgeschlagen, das von Koarholz gefertigt, mit dünnen, aber starken Cocosseilen gespannt worden und so clastisch wie ein Netz, eine feine einzelne Matte hielt unter der eine Rolle zusammengeschlagener Kräuter als Kopfkissen diente; zur Decke bekam ich einen Streifen weißer Tappa. Auf diesem Lager schlief ich; der Doktor fand ein ähnliches in einer andern Ecke.

Loo ruhte auf einem kleinen kanapeeartigen Bett und ein Licht brannte neben ihr, der Stutzer aber, ihr Bruder, schaukelte in einer Matrosenhängematte; die beiden kleinen Gazellen schmiegten sich dicht daneben auf eine Matte und die armen Verwandten drückten sich mit auf eine Ecke von des

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alten Haushofmeisters Kissen, der vor der offenen Thüre schnarchte. Nachdem alle ihre Plätze eingenommen, stellte Po-Po die illuminirte Melone in die Mitte des Zimmers und wir Alle schliefen bis zum Morgen.

Wie ich aufwachte schoß die Sonne schon ihre hellen Strahlen durch die offenen Bambus; aber Niemand regte sich. Vor mir lag die holde, in süßen Schlummer hingegossene Gestalt des jungen Mädchens und ich konnte lange den Blick nicht abwenden von diesem zauberisch schönen Kind.

Erst nach einer langen Weile wandte ich meine Aufmerksamkeit dem übrigen Theil des mich Umgebenden zu; das Haus selbst war in dem einfachen, aber geschmackvollen Styl der Insulaner erbaut und zwar als ein langes regelmäßiges. Oval, etwa funfzig Fuß lang mit niedern Seitenwänden von Rohrgeflecht und das Dach mit Blättern der Pflaumpalme gedeckt. Der obere Dachbalken befand sich vielleicht zwanzig Fuß vom Boden; eine Diele war jedoch nicht gelegt, sondern die bloße Erde nur mit Kräutern bedeckt. Diese Kräuter bilden überhaupt einen herrlichen Teppich, müssen aber oft erneut werden, sonst sammelt sich Staub und Ungeziefer darin, wie das in den Hütten der ärmern Eingeborenen der Fall ist.

Außer den Lagerstätten bestanden die Meubeln der Wohnung in drei oder vier Matrosenkisten, in denen die verschiedenen Kleidungsstücke der ganzen Familie aufbewahrt

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wurden. Hier lagerte Po-Po’s feine Wäsche, die Kattunkleider seiner Frau und Kinder und eine Menge anderer europäischer Kleinigkeiten, als Glasperlen, Bänder, kleine Spiegel, Messer, grobe Lithographieen, Schlüssel, einzelne Porzellangefäße und Metallsachen. Die eine dieser Kisten, von Afretee als Hutschachtel gebraucht, enthielt auch mehrere jener dort modernen Kohlenschaufeln und zwar alle nach derselben Façon, doch mit verschiedenen Bändern geschmückt. Auf nichts war unsre gute Wirthin so stolz als auf diese Hüte und Kleider. Sonntags ging sie denn auch wohl ein dutzendmal spazieren und jedesmal – wie Königin Elisabeth – in einem anderen Gewand.

Po-Po legte uns bei Tisch stets früher vor, ehe die Uebrigen etwas bekamen und der Doktor, der in solchen Sachen einen ziemlichen Scharfblick besaß, behauptete auf das Bestimmteste, daß wir uns dabei viel besser ständen. So viel ist gewiß, wären wir mit Börsen, Koffern und Empfehlungsbriefen an die Königin gereist, er hätte uns nicht freundlicher behandeln können.

Am Tag nach unsrer Ankunft brachte uns Monee zum Mittagessen ein kleines auf heißen Steinen gebackenes Ferkel, das, durch und durch Saft, in einer hölzernen Schüssel, rings von runden Brodfruchtscheiben umgeben, lag. Eine große Calabasse mit Taropudding oder Poee gefüllt, folgte, und der junge Stutzer, der einmal seine gewöhnliche Bequemlichkeit

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hintansetzte, warf uns unsre Cocosnüsse von einer benachbarten Palme herunter.

Da Alles angerichtet war und die Uebrigen um uns herumstanden, faltete Lattengeist fromm über dem, seinem Geschick verfallenen Ferkel die Hände und rief den Segen des Herrn auf uns herab. Dies schien unseren Wirthen sehr zu gefallen und Po-Po redete den Doktor mit vieler Wärme an; auch Afretee, die ihn mit fast mütterlicher Zärtlichkeit betrachtete, rief entzückt aus:

– Ah, mickonaree tata maiti! oder mit andern Worten: Was für ein frommer, junger Mann das ist.

Nach dem Mahl brachte sie mir auch eine Rolle von Grasgeflecht, dieselbe Art fast, wie sie die Matrosen in ihre Tarpulinhüte nähen, dann überreichte sie mir Nadel und Faden und forderte mich auf, mir einen Hut zu fertigen, den ich so sehr brauche. Matrosen sind stets Hutmacher und ich beendete ihn noch denselben Tag, Afretee aber, wie um meinen Fleiß zu belohnen, schmückte ihn mit ihren eigenen Olivenhänden durch ein feuerrothes Band, dessen beide lange Enden nach Matrosenart hinten hinunter wehten, und meinen, von Lattengeist erhaltenen orientalischen Namen noch immer rechtfertigten.

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Capitel XXI.
Eine Wanderung durch die Ansiedelung. Der Unglücklich-Liebende. Wir besuchen das Schiff.

Am nächsten Morgen, und zwar nach sorgfältiger Toilette, nahmen wir unsre Hüte und zogen auf einen Streifzug aus. Ohne übrigens merken zu lassen, welche Absichten wir auf eine Hofcharge hatten, erkundigten wir uns nur beiläufig, ob eine Aussicht sei, von der Königin eine Anstellung zu erhalten. Darüber befragen wir in der That auch Po-Po; weil aber in dieser Hinsicht seine Antworten keineswegs befriedigend ausfielen, so wünschten wir noch von andern Orten her mehr zu hören.

Doch hier möchte ich erst das Städtchen ein wenig beschreiben.

Die Ansiedelung von Partowye besteht aus kaum mehr als einigen achtzig Häusern, die hie und da in der Mitte eines mächtigen Haines zerstreut liegen. Die Bäume sind hier verdünnt und die Büsche ausgerodet. Durch diesen Hain fließt ein Strom, den die Hauptstraße kreuzt, und eine

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elastische Brücke ist über ihn, aus zusammengelegten Cocosstämmen gebildet. Dieser Hauptweg ist breit und trocken, von einem Ende zum andern wohlbeschattet und ein so prächtiger Morgenspaziergang, wie man ihn sich nur wünschen kann.

Die Häuser, ohne die mindeste Rücksicht auf die Straße angelegt, glänzen hie und da, bald näher, bald weiter entfernt, aus den Bäumen hervor, und einige sehen den Vorüberwandernden gerade ins Gesicht, indeß ihm andere stolz den Rücken kehren.

Gelegentlich findet man auch irgend einen ländlichen Pavillon, der von Bambus-Palisaden eingeschlossen und nicht selten mit einer einsamen Glasscheibe, massiv in die ganze Seitenwand eingefügt, verziert ist; dann und wann knarrt auch wohl eine rauhe, wunderlich aussehende Thür in ausgerenkten, hölzernen Haspen.

Im Ganzen sind die Gebäude im gewöhnlichen Style der Eingeborenen errichtet; so ärmlich und schmuzig aber auch viele im Innern sein mögen, so reizend und pittoresk schauen sie von außen drein.

Während wir so dahinschlenderten grüßten uns Alle denen wir begegneten freundlich, und luden uns in ihre Häuser, wodurch wir denn eine unbestimmte Anzahl von Morgenvisiten machten. Die Stunde kann aber nicht fashionable in Partowye gewesen sein, denn wir fanden die Damen

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noch alle im Negligé, nichtsdestoweniger empfingen sie uns überall freundlich und waren besonders artig gegen den Doktor, dem sie sich schmeichelnd und liebend an den Nacken hingen. Es gefiel ihnen nemlich ein buntes Tuch, das er dort trug, ausnehmend. Woher aber war ihm dieses geworden? Afretee hatte es noch an demselben Morgen dem frommen Jüngling geschenkt.

Mit wenigen Ausnahmen erschienen mir die Eingeborenen von Partowye viel wohlhabender als die von Papeetee und wohl mag das die Ursache sein, daß sie nicht so viel wie diese mit Fremden in Verbindung stehen.

Weiter schlendernd wandten wir uns eben um eine Biegung der Straße, als dem Doktor plötzlich ein Laut des Staunens erfuhr und kein Wunder war es, denn gerade vor uns im Hain standen eine ganze Parthie Häuser, regelmäßige ordentliche Framehäuser mit Bretern beschlagen, zwei Stock hoch und mit Fenstern und Thüren. Wir liefen darauf zu, fanden sie aber ihrem Untergang nahe, feucht und mit Moos theilweise bewachsen, keine Läden noch Thüren mehr, und an einer Seite hatte sich eine ganze Reihe wohl einen Fuß tief gesenkt. Als wir hineintraten konnten wir durch alle Stockwerke bis unters Dach sehen und dort illuminirte ebenfalls manch freundlich hereindringender Sonnenstrahl die reichlich aufgehangenen Spinneweben.

Es sah trüb und dunkel darin aus und in einer Ecke

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auf alten Matten hingekauert, gerade wie eine Bande verarmter Zigeuner, lagen einige vagabondirende Insulaner; sie wohnten hier.

Neugierig zu erfahren wer in aller Welt hier in Partowye versucht hatte den Grundbesitz zu erhöhen, forschten wir nach und hörten denn auch, daß vor einigen Jahren ein wirklicher Yankee – das hätten wir eigentlich vorher wissen können – ein Zimmermann und unternehmender Bursche, diese Gebäude errichtet habe.

Von seinem Schiff krank an’s Ufer gesetzt, ging er zuerst an die Arbeit wieder gesund zu werden, dann lief er mit Meisel und Hobel herum und machte sich überall nützlich, ja gewann zuletzt als ein ordentlicher, fleißiger Mann das Vertrauen mehrerer Häuptlinge. Diese erfüllte er nun mit den wunderlichsten Ideen, ängstigte sie mit den Folgen, die der fast gänzliche Mangel an Gemeingeist für das Volk von Imeeo haben mußte, und verweilte besonders lange bei der, wie er meinte, wirklich demüthigenden Thatsache, daß sie in erbärmlichen Hütten lebten, wo doch prachtvolle Bretpalläste so leicht zusammen gestellt werden könnten.

Endlich gewann diese Vorstellung so viel festen Boden, daß ihm einer der Häuptlinge auftrug, diese wundervollen Gebäude zu errichten. Mit hinlänglich Mannschaft versehen ging er denn auch ohne Weiteres in die Gebirge, baute

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dort eine Sägemühle, fällte Bäume und schickte nach Papeetee um Nägel.

Kurz und gut, die Schlösser erhoben sich; kaum lag aber das Dach oben, als des Yankees Patron, der über seine Kräfte spekulirt hatte, einen solchen Bankerott machte, daß er nicht einmal im Stande war, ein Loth Tabak vom Pfunde zu bezahlen. Das riß denn natürlich auch den Zimmermann mit in den Fall und um seinen Gläubigern nicht lebenslang eine unangenehme Erinnerung zu sein, schiffte er sich auf dem nächsten Fahrzeug, das den Hafen berührte, ein.

Die Insulaner verachteten den wackeligen Breterkasten und wenn sie vorbei gingen, schüttelten sie gewöhnlich den Kopf und schimpften.

Wir hatten gehört, daß sich der Pallast der Königin am entgegengesetzten Ende des Orts befand, ohne deshalb zu warten, bis sich der Doktor eine Violine verschaffen konnte, gingen wir nach jener Richtung zu und wollten uns wenigstens einmal erkundigen, ob nicht irgend eine Geheime-Rath-Stelle offen wäre.

Nun hatte allerdings des Doktors Humor unsere Hoffnungen auf den Hof phantastischer ausgemalt, dennoch glaubten wir im Stillen, es könne sich das Eine oder das Andere Vortheilhafte dort für uns herausstellen.

Als wir jetzt in die Nähe des Palastes kamen, fanden

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wir diesen allerdings etwas sonderbar hergestellt. Ein breiter Damm von behauenen Korallenfelsen führte gerade in das Wasser hinaus und auf diesem standen, sich bis zurück in den Schatten der Bäume drängend, acht oder zehn große Gebäude in dem gefälligsten Styl des Landes und mit einem Palisadenwerk von Bambus umgeben.

Die Wohnungen der Häuptlinge stehen überhaupt auf allen Inseln der Gesellschaftsgruppe in der unmittelbaren Nachbarschaft des Meeres, und diese Lage gewährt ihnen nicht allein den ungeschwächten Vortheil der Seebriese, sondern sie können auch zu jeder Zeit den wundervollen Schatten der Palmen genießen, die, nahe dem Wasser, stets am dichtesten belaubt sind. Außerdem werden auch dort die Mosquitos nie so peinlich als im Lande drinnen.

In der Nähe dieser Gebäude befanden sich einige sechzig oder achtzig anständig gekleidete Insulaner, Männer und Frauen; Einige lagen an der schattigen Seite der Häuser, Andere unter den Bäumen, und eine kleine Gruppe, die an den uns gegenüber befindlichen Palisaden stand, unterhielt sich sehr angelegentlich miteinander.

Auf die Letztern gingen wir zu, begrüßten sie in der gewöhnlichen Art und wollten eben über die Bambus springen, als sie sich ärgerlich gegen uns wandten und uns erklärten, wir dürften nicht eintreten. Wir theilten ihnen nun unser ernstes Verlangen, die Königin zu sehen, mit, und

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ließen ihnen nicht undeutlich merken, daß wir wichtige Nachrichten brächten; es war aber alles umsonst, zu unserm schweren Aerger mußten wir unverrichteter Sache zu Po-Po’s Hause zurückkehren.

Als wir wieder zu unserm freundlichen Wirth kamen, erklärten wir ihm ganz offen unsre Absicht, weshalb wir Toloo besucht hätten und baten ihn um seinen Rath. Willig theilte er uns auch in seinem gebrochenen Englisch Alles mit, was er über die dortigen Verhältnisse wußte. Allerdings, meinte er, sei es wahr, daß die Königin mit dem Gedanken umgehe, den Franzosen entgegen zu treten und man glaubte auch allgemein, es ständen gerade zu dieser Zeit mehrere Häuptlinge von Borabora, Huwyenee, Raiatair und Tahar, den leewärts gelegenen Inseln der Gruppe, mit ihr in Unterhandlung, daß ein allgemeiner Aufstand zugleich dem weiteren Vorrücken der Franzosen eine Grenze setze. Sollten nun wirklich kriegerische Zurüstungen getroffen werden, dann blieb es keinem Zweifel unterworfen, daß Pomare alle Fremde, die sie bekommen könnte, in Dienst nehmen würde; an eine Offizierstelle für mich oder den Doktor war aber keinesfalls zu denken, denn viele ihr genau bekannte Fremde hatten sich deshalb schon gemeldet und ihr ihre Dienste angeboten. Auch glaubte er nicht, daß wir augenblicklichen Zutritt erhalten würden, denn gerade zu dieser Zeit lebte sie, an Geist und Körper niedergedrückt,

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sehr zurückgezogen, und nahm nicht gern Besuche an. Vor ihrem Unglück war das anders gewesen; damals hatte Jeder bei ihr Zutritt gehabt, und selbst der einfache Matrose sich ihr nähern dürfen.

Das Alles machte uns übrigens keineswegs muthlos; wir beschlossen in Partowye die Zeit so lange todtzuschlagen, bis sich irgend etwas zeigen würde, das unsern Plänen günstig wäre. An demselben Tag zogen wir auch noch aus, das Schiff zu besuchen, das weit in der Bai oben, vom Land umgeben, vor Anker lag.

Auf unserm Weg passirten wir einen langen niedrigen Schuppen und von da aus schrie uns plötzlich eine Stimme an:

– Weiße Männer ahoi! Und als wir uns schnell danach umwandten, wen sollten wir da sehen, als einen rothbäckigen Engländer – sein Vaterland ließ sich wahrlich nicht verkennen – der bis an die Knie in Hobelspähnen stand und wacker an einer Bank arbeitete. Es wies sich aus, daß er ein desertirter Schiffszimmermann war, der sich, erst kürzlich von Tahiti gekommen, hier in Imeeo vortrefflich befand. Er trieb ein sehr vortheilhaftes Geschäft, indem er die Wohnungen der vornehmsten Häuptlinge mit allerhand Luxusartikeln, wie Bänke, Realen und selbst Schränken ausstattete, ja manchmal versuchte er sogar seine Geschicklichkeit an einem Arbeitskästchen für Damen. Seit einigen Monaten

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erst hielt er sich hier auf und besaß schon Häuser und Ländereien.

Obgleich aber mit irdischen Gütern und Gesundheit gesegnet, fehlte ihm doch etwas – ein Weib, und als er darauf zu sprechen kam, verlängerten sich seine Gesichtszüge bedeutend und er lehnte sich traurig auf seinen Hobel.

– Es ist zu hart! seufzte er, drei lange Jahre zu warten, während die theure kleine Lullee indessen in einem und demselben Haus mit jenem niederträchtigen Häuptling von Tahar wohnt.

Unsre Neugier war erregt. Der arme Zimmermann hatte sich wahrscheinlich in eine polynesische Kokette verliebt und diese ihm einen Korb gegeben.

Die Sache wies sich aber anders aus; es bestand ein Gesetz, wonach es einer Eingeborenen unter strenger Strafe verboten war, einen Fremden zu heirathen, wenn nicht der Letztere drei Jahre auf der Insel gelebt hatte, und Willens war, seinen Aufenthalt für immer dort zu nehmen.

William befand sich deshalb in einer traurigen Lage. Er erzählte uns, er würde das Mädchen schon ein halb Dutzend Mal geheirathet haben, wäre ihm das verwünschte Gesetz nicht immer in die Quere gekommen. In letzterer Zeit mußte ihre Liebe gegen ihn auch erkaltet sein, sie schien spröder zu werden und besonders die Franzosen von Tahar ihm vorzuziehen. Zur Verzweiflung getrieben und um sie doch

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unter jeder Bedingung sein eigen zu nennen, mußte er ihren Freunden wohl irgend einen andern Vorschlag gemacht haben; die wollten aber davon nichts wissen und überdies würde das Paar, wäre sein Zusammenleben entdeckt worden, einer ziemlich bedeutenden Strafe anheim gefallen sein, – Steinwälle für die Königin zu bauen oder Straßen anzulegen.

Doktor Lattengeist war ganz Mitgefühl.

– Bill, mein guter Bursche, sagte er mit leiser, theilnehmender Stimme, laßt mich gehen und mit ihr reden.

Bill schlug aber seine freundliche Einmischung aus und wollte uns nicht einmal sagen, wo seine Geliebte wohne.

Nach einer Weile verließen wir den trostlosen William beim Hobeln einer Neuseeland-Kieferplanke (von der Inselbai importirt), wobei er wahrscheinlich an seine Lullee dachte. Ob er sie später bekommen, weiß ich wirklich nicht.

Wenn man von Po-Po’s Haus nach dem Ankerplatz des Toloohafens geht, bekommt man kein Wasser zu sehen, bis man die tiefen Haine verläßt; dann aber findet man sich auch plötzlich am Strand, und eine Bai, die von vielen Reisenden als die schönste der ganzen Südsee geschildert wird, breitet sich vor den überraschten Blicken aus.

Man steht, wie man glaubt, an der Seite eines tiefen grünen Stroms, der durch Bergpässe der See zufließt. Gerade gegenüber theilt eine Lagune zwei majestätische Vorgebirge,

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von dem das eine nach Capitän Cook genannt ist. Gegen Toloo zu, bildet dies einen grünen Wall, an dessen Fuß die Wasser still und grundlos liegen. Links davon kann man gerade die sich erweiternde Mündung der Bai erkennen, darüber hin den Kanal in den Riffen, durch welchen die Schiffe aus- und einlaufen, und dann das Ganze umschließend, die weite, offene, herrliche See. Ein freier Raum liegt aber an der Bai und dehnt sich in eine breite nebelige Fläche aus, die durch ein Amphitheater von Hügeln umzogen wird. Hier befindet sich die schon früher erwähnte große Zuckerplantage; hinter der ersten Hügelreihe entdeckt man aber die scharfen Umrisse der im Innern liegenden Gebirge, und zwischen diesen dasselbe starre Spließeisen, das wir so oft von der andern Seite der Insel bewunderten.

Ganz allein im Hafen lag das gute Schiff Leviathan. Wir sprangen in ein Canoe und ruderten hinüber. Obgleich noch früh am Nachmittag, so lag dort alles still und ruhig und als wir an Bord stiegen fanden wir vier oder fünf Matrosen, die auf dem Vorcastle unter einem Sonnensegel lagen. Der Willkommen, den wir hier fanden, war gerade nicht sehr herzlich und obgleich sie sonst munter und wohl genug aussahen, so schien es fast, als ob sie uns zu Ehren[WS 3] ganz besonders finstre Mienen angelegt hätten. Sie schienen sehr eifrig danach forschen zu wollen, ob wir beabsichtigten

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uns einzuschiffen und die Art, wie sie über das Fahrzeug sprachen, sollte uns wahrscheinlich davor zurückschrecken.

Wie frugen, wo die übrige Mannschaft wäre, und ein mürrischer alter Bursche sagte:

– Ein Boot voll ist zum Teufel gegangen – ging hinter einem Wallfisch her auf der letzten Fahrt und kam nie wieder. Die Starbordwacht desertirte gestern Abend und der Capitän ist hinterher, sie wiederzufangen.

– Und ist es zur See gehen, was Ihr wollt, meine Juwelen? rief ein lockenköpfiger kleiner Belfast-Matrose, der zu uns herankam, dann Arrah, meine Herzchen, dann macht, daß Ihr Eure schätzbaren Gliedmaßen nur schnell wieder ans Ufer bringt. Der Teufel von einem Skipper würde Euch auf’s blaue Wasser hinausnehmen. Habt Acht auf Euch, meine Goldpüppchen und gebt einem solchen Schiff, wie das hier, einen weiten Seeraum. Morden thun sie uns hier jeden Tag und verhungern lassen sie uns obendrein. Hier Dick, mein Bursche, hol’ mal das Canoe der armen Teufel heran und rudre mit ihnen ums theure Leben fort.

Wir blieben aber noch eine Weile, horchten den einladenden Beschreibungen und beschlossen bis zum Abendessen zu warten. Nie schnitt ich besseres Schiffspökelfleisch an, als das, welches im Vorcastle des Leviathan lag. Auch der Zwieback war hart, trocken und spröde wie Glas, dabei von Beiden in UeberfIuß.

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Während wir noch unten waren, rief der Steuermann einige der Leute an Deck. Mir gefiel seine Stimme und auch sein Antlitz versprach das beste; er glich einem recht wackern Seemann, keinem Zwangsmeister.

Die Erscheinung des Leviathan selbst machte einen eben so günstigen Eindruck auf mich. Wie alle großen behaglichen alten Wallfischfänger hatte er eine Art mütterliches Aussehen; breit im Vordertheil, hohe Decks und vier runde kleine Bootchen an der Brust. Die Segel waren locker an die Raaen geschlagen, als ob sie schon lange getragen wären und bequem säßen. Das stehende Tauwerk straffte nicht zu scharf an, und was das laufende betraf, so arbeitete es keineswegs so hart und schwer in den Blöcken, wie auf manchen Eurer feinen Schiffe; im Gegentheil, die Taue liefen leicht und bequem hindurch; man sah es ihnen ordentlich an, sie hatten den Weg schon manchmal gemacht und kannten ihn. Als der Abend kam, stiegen wir in unser Canoe und ruderten ans Ufer, fühlten uns aber dabei fest überzeugt, das gute Schiff verdiene keinesfalls so beredet zu werden, wie Jene es gegen uns gethan.

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Capitel XXII.
Eine Gesellschaft von Abenteurern. Die kleine Loo und der Doktor. Mrs. Bell.

Während wir uns noch in Partowye aufhielten, trafen wir eine Gesellschaft von sechs Veteran-Abenteurern, die sich in Stadt und Hafen herumtrieben und erst eben über Land von einem andern Theil der Insel eingetroffen waren. Erst vor wenigen Wochen schienen sie in Papeetee von einem Wallfischfänger entlassen zu sein, auf dem sie sich für eine einzige Fahrt eingeschifft, eine vortreffliche Jagd gemacht hatten und nun Jeder mit einem tüchtigen Strumpf voll Dollars das Ufer betraten.

Des Landes endlich müde kauften sie sich mit dem ihnen noch gebliebenen Gelde ein Segelboot und beschlossen eine gewisse wenig bekannte Insel aufzusuchen, von der sie merkwürdige Geschichten gehört. Natürlich dachten sie aber gar nicht daran in See zu gehen, ohne eine tüchtige Medizinkiste mit spirituösen Getränken und ein kleines Fäßchen

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auf ähnliche Weise gefüllt, im Raum mitzunehmen. – Das Letztere jedoch nur aus Vorsorge, daß sich die Kiste erschöpfen könnte.

Fort segelten sie, hißten eine eigne Flagge auf und gaben dreimal drei Hurrah’s, während sie aus der Bai von Papeetee unter starker Briese und mit allem „Musselin“ ausliefen, den das kleine Fahrzeug nur tragen konnte.

Als der Abend kam und sie sich in sehr guter Laune befanden, beschlossen sie, es sich einmal wohl sein zu lassen. Die ganze Mannschaft trank sich also einen Rausch und die bei den Maste gingen indessen, um Mitternacht etwa, über Bord.

Glücklicher Weise hatte Einer dieser würdigen Leute noch hinlängliche Kraft sich aufrecht und am Steuer festzuhalten; die Uebrigen krochen indessen an Deck herum und hackten das Tauwerk los, um wenigstens von den gefallenen Spieren klar zu kommen. Damit noch beschäftigt gelang es Zweien von ihnen ruhig über den Rand des Bootes ins Wasser zu steigen, und sie gingen denn auch bis zum Grunde hinunter.

Der Wind artete jetzt in einen förmlichen Sturm aus und der Commodore am Steuer hielt das Fahrzeug nur instinktartig vor den Wind, der es denn nach der gegenüberliegenden Insel Imeeo trieb; dort liefen sie, auf jeden Fall durch ein Wunder, glücklich zwischen den Riffen in den Kanal ein und schossen endlich auf eine Korallenbank, wo das Wasser ziemlich ruhig war. Hier blieben sie bis zum Morgen

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liegen, und mit Sonnenaufgang kamen die Eingeborenen in ihren Canoes zu ihnen. Durch deren Hülfe drehten sie den Schooner auch herum, fanden aber hier, daß Kiel und Boden ganz zu Schanden gestoßen waren und verkauften nun das Fahrzeug um eine Kleinigkeit an den Häuptling des Distrikts, während sie selbst ans Ufer wateten und ihr kostbares Faß vor sich herrollten. Sobald sie in diesem den Boden fanden, kamen sie nach Partowye hinüber.

Am nächsten Tag, nachdem wir diese Burschen getroffen, schlenderten wir in dem benachbarten Walde umher und trafen bald mehrere Partieen von Eingeborenen, die mit unbehülflichen Musketen, rostigen Cutlassene und ausländischen Keulen bewaffnet waren. Sie schlugen in die Büsche, schrieen laut und versuchten augenscheinlich Jemand Furcht einzujagen. Wie wir bald hörten verfolgten sie die Fremden, die in einer einzigen Nacht die ganzen Gesetze der Insel verhöhnt und es jetzt wahrscheinlich für vortheilhaft gehalten hatten, sich leise aus dem Staube zu machen.

In der Tageszeit war Po-Po’s Haus ein so angenehmer Platz als man nur immer verlangen konnte; deshalb hielten wir uns auch, nachdem wir Alles was wir wünschten gesehen hatten, den größten Theil des Tages dort auf, frühstückten spät und speisten etwa um zwei Uhr zu Mittag. Manchmal lagen wir rauchend auf dem Kräuterteppich und erzählten uns Geschichten, von denen der Doktor so viele

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wußte wie ein Offizier auf halbem Sold; manchmal schwatzten wir, so gut wir konnten, mit den Eingeborenen und eines Tages – o welche Wonne! – brachte uns Po-Po drei Bande von Shmollet’s Novellen, die in der Kiste eines kürzlich dort gestorbenen Matrosen gefunden worden waren.

Amelia, Peregrine und Du, Held der Schurken, Graf Fathom, wie tief sind wir in Eurer Schuld!

Ich weiß nicht ob das Studium dieser Romane oder das Bedürfniß irgend einer geistigen Beschäftigung die Schuld trug, gerade in der Zeit aber fing der Doktor an den Versuch zu machen, das Herz der kleinen Loo zu erobern.

Nun habe ich schon früher bemerkt, daß Po-Po’s Tochter sehr kaltherzig und verschlossen war und sich nie um uns bekümmerte. Oft redete ich sie mit einem höchst ehrbaren und wirklich ehrfurchtsvollem Ausdruck an, doch umsonst; sie rümpfte nicht einmal ihre kleine verwünschte Olivennase. Ach Gott, ja,dachte ich dann bei mir selber, sie weiß wahrscheinlich recht gut was für rohe Burschen Matrosen gewöhnlich sind, und will deshalb nichts mit uns zu thun haben.

Mein Kamerad dachte aber anders, und er wollte unter jeder Bedingung die kalten leidenschaftlosen Augen der Schönen in Gluth setzen.

Er eröffnete den Feldzug mit wirklich bewundernswerthem Takt. Vorsichtig näherte er sich ihr und begnügte sich drei lange Tage damit, sie fünf Minuten nach jeder Mahlzeit

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anzustarren. Am vierten Tag frug er sie um etwas; am fünften Tag ließ sie eine Oelnuß fallen, die er galant aufhob und ihr überreichte; am sechsten ging er hinüber zu ihr und setzte sich in etwa drei Schritt von ihr neben das Lager auf welchem sie ruhte, und an dem merkwürdigen Morgen des siebenten demaskirte er erst seine Batterieen.

Die junge Dame lag reizend hingegossen auf den Kräutern, eine Hand unterstützte ihr kleines Köpfchen, und die andre blätterte nachlässig in einer tahitier Bibel.

Der Doktor näherte sich ihr.

Die Hauptunannehmlichkeit, mit der er zu kämpfen hatte, war nun seine gänzliche Unbekanntschaft der tahitischen Liebesworte; französische Grafen sollen aber, wie man sagt, ganz reizend in gebrochenem Englisch den Hof machen können; was hinderte also den Doktor, dasselbe in dem süßen Tahitisch zu versuchen. Mit gutem Muth fing er also an.

– Ach, sagte er und lächelte wohlwollend – oee mickonaree? oee lesie Biblie?

Keine Antwort, selbst kein Blick.

– Ah, maitai! sehr guty lesie Biblie, mickonaree.

Loo, ohne sich zu bewegen, fing an leise murmelnd vor sich hin zu lesen.

– Mickonaree Biblie, lesie guty maitai, bemerkte noch einmal der Doktor, und versetzte höchst erfindungsreich zum dritten Male dieselben Worte.

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Es half ihm aber alles nichts. Loo gab nicht das mindeste Zeichen, daß sie ihn höre oder überhaupt wisse, er sei in der Nähe.

Er schwieg verzweifelnd eine kurze Zeit still; so weit gegangen, konnte er aber doch nicht mehr zurück, warf sich also in voller Länge neben ihr nieder und begann keck die Blätter für sie zu wenden.

Loo zuckte zusammen, aber nur ein ganz klein wenig, so daß man es kaum bemerken konnte; dann griff sie dicht neben das Buch und lag wieder vollkommen regungslos. Der Doktor war jetzt über seine eigne Kühnheit erstaunt und wußte selbst nicht, was er beginnen sollte; endlich schlang er seinen Arm leise um ihre Taille, sprang aber auch fast in demselben Moment mit einem lauten Schrei empor – die kleine Hexe hatte ihn mit einem Dorn gestochen. Da lag sie aber jetzt, gerade so ruhig wie früher, wandte die Blätter und las, leise vor sich hinmurmelnd, in der tahitischen Bibel.

Mein langer Freund hob die Belagerung augenblicklich auf und versuchte einen höchst unordentlichen Rückzug der Stelle zu, wo ich als beobachtendes Publikum lag.

Ich bin ziemlich fest davon überzeugt, daß Loo diesen Vorfall ihrem Vater, der bald darauf eintrat, erzählte; er sah wenigstens den Doktor mit einem höchst wunderlichen Blick von der Seite an, sagte aber nichts und war in zehn

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Minuten wieder so gemüthlich als vorher. Was Loo betraf so konnten wir nicht die mindeste Veränderung an ihr bemerken, der Doktor aber verhielt sich natürlich von dem Augenblicke an vollkommen ruhig.

Eines Tages, als ich auf einem der tausend schmalen Pfade, die den Wald nach allen Richtungen durchkreuzen, hinschlenderte, wurde ich durch eine wirklich sonnige Erscheinung in Erstaunen gesetzt; es war eine wunderliebliche, junge englische Lady, ganz charmant gekleidet und auf einem lebhaften weißen Pony. Eine grüne Ruthe in der Hand schwingend, kam sie munter auf mich zugetrabt.

Ich sah mich ganz verblüfft um, ob ich denn wirklich noch in Polynesien sei; aber richtig, um mich her standen die Palmen. Doch wo in aller Welt kam diese Dame her?

Auf die Seite tretend begrüßte ich die Erscheinung, als sie zu mir herankam, ehrfurchtsvoll, sie aber sah mich keck und doch freundlich an, schlug dann mit der leichten Ruthe lächelnd auf des Pony Nacken, rief: „Komm mein Willie!“ und verschwand galoppirend hinter den Bäumen.

Ich wäre ihr auf jeden Fall gefolgt. Willie’s Hacken arbeiteten aber so in den trocknen Blättern, daß ein Nachsetzen vollkommen nutzlos gewesen wäre; so ging ich denn gerades Wegs nach Hause und erzählte mein Abenteuer dem Doktor.

Am nächsten Tage bekamen wir denn auch heraus, daß die Fremde von Sidney hierher gekommen, etwa zwei Jahr

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auf der Insel und die Frau eines Mr. Bell (glücklicher Bursche!) sei, dem auch jene schon von mir erwähnte Zucker-Plantage gehörte.

An demselben Tag noch besuchten wir die Plantage.

Die sie umschließende Gegend war reizend, ein förmliches Bassin von Vegetation und durch grüne liebliche Hügelreihen umzogen. Das Zuckerrohr, von dem sich etwa hundert Acker in verschiedenen Graden der Reife und der Cultur befanden, sah trefflich aus; ein bedeutendes Stück Land übrigens, das früher bebaut gewesen, lag brach.

Die Zuckersiederei befand sich hinter einem ungeheuern Bambusschuppen und hier sahen wir auch verschiedene Piecen etwas unbeholfener Maschinerien um das Rohr zu zermalmen, und auch mehrere große Kessel den Zucker auszukochen. Gegenwärtig wurden sie aber nicht benutzt, denn in einem saßen zwei oder drei Eingeborene und rauchten, und einen andern hatten drei Matrosen vom Leviathan in Besitz genommen und spielten Karte.

Während wir uns noch mit diesen würdigen Leuten unterhielten, näherte sich ein Fremder; es war ein sonnegebräunter romantisch aussehender Europäer in lockern Nankinkleidern und mit bloßem Hals; dabei erfreute er sich eines Guayaquilhutes mit einem Rand wie ein chinesischer Regenschirm.

Dies war Mr. Bell, der uns sehr artig seinen Grund

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und Boden zeigte, und uns sogar nachher in einer schattigen Laube mit Wein regalirte. O wie mundete uns dieser gewürzige Shorry so gut, den wir aus den ausgehöhlten Hälften frischer Citronen tranken – es war eine schöne Zeit! –

Der Wein stammte von den Franzosen in Tahiti.

Dies war nun alles höchst zuvorkommend von Mr. Bell, wir hatten aber Mrs. Bell sehen wollen; leider erwies sich diese als ein Phantom, da sie noch an dem nemlichen Morgen nach Papeetee hinübergefahren sein sollte, um dort eine von den Missionärfrauen zu besuchen.

Ich ging sehr misvergnügt nach Hause.

Aufrichtig zu sagen, so hatte diese Dame meine Neugierde auf das Wunderbarste erregt; denn erstlich war sie die schönste weiße Frau, die ich je in Polynesien getroffen und dann – doch das will auch noch immer nichts sagen – sie hatte solche Augen, solche Moosrosen in ihren Wangen, solch himmlischen Anstand im Sattel – bis zu meiner letzten Stunde werde ich Mrs. Bell nicht vergessen!

Der Zuckerpflanzer selber war ein junger, kräftiger und hübscher Mann. So mögen denn die kleinen Bell’s (Glocken) wachsen und sich vermehren und Musik im Lande von Imeeo machen.

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Capitel XXIII.
Die Toloo-Kapelle. Ein Gerichtshof in Polynesien.

In Partowye ist eine der besten und schönsten Kapellen der Südsee. Wie die Gebäude des Platzes steht sie auf einem künstlichen Damm und bildet gegen die Bai zu einen Halbkreis. Sie ist von gehauenen Korallenblöcken gebaut, eine Masse, die, obgleich sonst ziemlich bröckelig, sich doch, der Atmossphäre ausgesetzt, sehr erhärten soll. Dem Fremden erscheinen diese Blöcke sehr wunderbar; ihre Oberfläche ist mit eigenthümlichen, Fossilien ähnlichen, Eindrücken versehen, die vielleicht von der Sündfluth herrühren, und aus dem Riffe gehauen sind sie fast weiß, mit der Zeit dunkeln sie aber und einige Kirchen in Polynesien sehen schon jetzt fast so düster und ehrbar aus, wie der berühmte St. Paul.

In Form ist diese Kirche ein Achteck mit Gallerien rund herum, etwa für vierhundert Menschen befinden sich Sitze darin; inwendig ist aber alles mit einer lederrothen Farbe angestrichen, und da nur wenige Fenster das Ganze

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erleuchten, so sehen die düstern Bänke und Gallerien und die lange gespensterartige Kanzel nichts weniger als freundlich aus.

Sonntags besuchten wir sie stets und da wir im Familiengefolge Po-Po’s gingen, so behaupteten wir auch ein sehr anständiges Aeußere und wurden wahrscheinlich von allen ältlichen Leuten des Städtchens für ein Paar Musterexemplare von jungen Männern gehalten. Po-Po’s Sitz befand sich in einer freundlichen Ecke und da er ausnehmend bequem und dicht neben einer der, die Gallerie unterstützenden, Palmensäulen war, so lehnte ich mich stets an diese an, wo ich dann Po-Po und seine Frau an der einen Seite, den Doktor und den Stutzer an der andern, und die Kinder und die armen Verwandten hinter mir hatte.

Loo nun, anstatt wie sie es hätte thun sollen, bei ihren guten Eltern zu bleiben, konnte es sich natürlich nicht versagen, hinauf in die Gallerie zu laufen und sich dort zu einer ganzen Schaar junger wilder Dinger von ihrem eignen Alter setzen. Wie man sich denken kann, sahen diese denn auch die ganze Predigt hindurch nur auf die Versammlung herunter, deuteten auf Diesen und Jenen, und kicherten über die wunderlich aussehenden alten Damen in ihren Mamuth-Hüten und Miniatur-Ueberröcken.

Das heißt: Loo selber ließ sich eine solche Unschicklichkeit nie zu Schulden kommen.

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In der Woche haben sie gelegentlich Gottesdienst in der Kapelle, wo die Eingeborenen gewöhnlich selbst auch etwas zu sagen haben. Zuhörer finden sich aber dann nur sparsam ein. Der Missionär hält dabei ein einleitendes Gebet und nachdem eine Hymne gesungen worden stehen dann die dazu begeisterten Redner von ihren Plätzen auf und wenden sich in reinem Tahitisch, und mit wunderlichen Gesten und Geberden, an die Versammlung. Unter ihnen Allen hörten wir aber am liebsten, obgleich er am öftersten sprach, den Diaconus Po-Po, und viel hätte ich darum gegeben, einige seiner leidenschaftlichen Ausbrüche zu verstehen, wenn er die Arme in die Höhe warf und stampfte, und zürnte, und mit den Augen funkelte bis er wie der Rache-Engel selber aussah.

– Armer, bethörter Mann! seufzte der Doktor, ich fürchte er sieht die Sache von der fanatischen Seite an. So viel aber war gewiß, was er auch sprach, die Andern hörtem ihn immer sehr andächtig zu, während sie bei den Uebrigen nicht selten in einer heimlichen Ecke gähnten und einschliefen; ja einmal sah ich einen alten, etwas reizbaren Gentleman, der in einer Nachtmütze von Cocosblättern bei einer seinen Gefühlen widerstreitenden Rede aufstand, seinen Stab mit nervöser Heftigkeit umfaßte und dann mit so viel Geräusch als möglich, um sein Misvergnügen recht deutlich zu machen, die Kapelle verließ.

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Dicht neben dieser Kirche steht ein anderes ungeheueres und unbeholfenes Gebäude mit Fenstern und Läden, und einer halbvermoderten Diele von auf Palmenstämmen gelegten Bretern. Sie nannten es ein Schulhaus; als solches sah ich es aber nie benutzt. Manchmal wurden jedoch Gerichtssitzungen darin gehalten und ich wohnte selber verschiedenen Verhören bei. Einmal kam ein abgesetzter oder entlassener Marineoffizier und ein junges vierzehnjähriges Mädchen vor die Schranken. Die Letztere sollte sich bei einer im Protokoll angegebenen Sache höchst häßlich und unartig benommen haben, wobei auch der Offizier betheiligt gewesen war.

Dieser, ein stattlicher, militärisch aussehender Gesell, trug schwarzen dichten Backenbart und hatte, seinem eigenen Bericht nach, eine den Colonien gehörige bewaffnete Brig an der Küste von Neuseeland verloren; seit der Zeit aber die Inseln des stillen Meeres bewohnt.

Der Doktor wollte gern wissen, weshalb er nicht nach Hause ging und den Verlust seiner Brig anzeigte. Capitän Crash aber, wie sie ihn nannten, hatte einige unbegreifliche Gründe, das nicht zu thun, die er einem eine volle Stunde lang auseinander setzen konnte, ohne daß man auch nur um eine Idee klüger geworden wäre. Vielleicht wollte er die Lords der Admiralität nicht gern mit Sachen belästigen, die doch nicht mehr zu ändern waren.

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Seit einiger Zeit trieb dieser außerordentlich verdächtige Charakter einen ungesetzlichen Handel mit französischen Weinen und Brandys, die von einem kürzlich in Tahiti gelandeten Kriegsschiff übergeschmuggelt waren. In einem, dem Ankerplatz nicht fern gelegenen Hain, hatte er eine kleine Hütte und Laube, wo sich in ruhigen Zeiten, wenn keine Schiffe in Toloo lagen, wohl manchmal ein einzelner Insulaner einen Kopf voll holte und dann Abends, unterwegs singend und nach den Cocospalmen fühlend, zu Hause taumelte. Der Capitän selber lag während der warmen Tage mit der Pfeife im Munde unter einem Baum, dachte vielleicht der alten Zeiten und fühlte gelegentlich an seinen Schultern nach den verlorenen Epauletten.

Aber Segel ohoi, ein Schiff läuft in die Bai, der Anker rollt über Bord und am nächsten Tag bewirthet Capitän Crash die Matrosen in seinem Hain. Ach was für schöne Zeiten hatten sie da, wie sie sich so gemüthlich zusammen betranken und unter die Tische prügelten!

Bei einer dieser Gelegenheiten machte die Mannschaft des Leviathan einen solchen entsetzlichen Lärm, daß die Eingeborenen, entrüstet über das förmlich mit Füßentreten ihrer Gesetze, sich ein Herz faßten und, etwa hundert Mann stark, die Tumultuanten überfielen. Die Matrosen fochten wie die Tiger, wurden aber zuletzt überwunden und vor ein Tribunal der Eingeborenen geschleppt. Diese, nach

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vielem entsetzlichen Geschrei, entließen Alle wieder, nur nicht Capitän Crash, den man beschuldigte, der Urheber dieser ganzen Unordnungen zu sein.

Auf diese Anklage sperrte man ihn bis zu den nahenden Assisen ein,– man erwartete nemlich, daß der Richter wohl im Lauf des Nachmittags vorbei schlendern würde. In dieser kurzen Zeit nun tauchten jetzt plötzlich von allen Seiten Beschuldigungen gegen den Gefangenen auf (und zwar meistens von alten Frauen vorgebracht); unter andern auch ein Verhältniß in dem er schon seit langer Zeit mit einer jungen Dame stehen sollte.

Es ist in Polynesien auch nicht anders, als bei uns. Beschuldigt einen Mann eines Fehltritts, und alle seine peccadilloes werden zusammengesucht und vor ihm ausgeschüttelt.

Ich ging in das Schulhaus um dem Verhör beizuwohnen und der Lärmen, der daraus hervorschallte, konnte schon eine lange Strecke Weges gehört werden. Das Gebäude war nemlich gedrängt voll Menschen. Etwa fünfhundert Eingeborene hatten sich versammelt, und Jeder schien etwas zu sagen zu haben und auch wirklich fest entschlossen, es sagen zu wollen. Sr. Gestrengen, ein freundlich und wohlwollend aussehender alter Mann, saß mit untergeschlagenen Beinen auf einer kleinen Erhöhung und schien in das

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lärmende Toben vollkommen ergeben zu sein. Er war der Häuptling und Richter auf Partowye.

Verschiedene Klagen sollten noch vorkommen; die aber des Capitäns und des Mädchens stand oben an, und überhaupt mischten sich Kläger und Beklagte in einem wilden Chaos durcheinander. In welchem besonderen Augenblick das Verhör begann, würde unmöglich sein zu bestimmen, denn die Zeugen brauchten nicht zu schwören und eine regelmäßige Jury saß ebenfalls nicht[7]. Dann und wann sprang einmal ein Einzelner empor und schrie etwas, was vielleicht ein Zeugniß gewesen sein kann, ins Blaue hinein, ohne daß sich die Uebrigen viel darum zu bekümmern schienen, auf keinen Fall mit ihrem Geplapper aufhörten. Plötzlich gerieth der alte Richter auch in Eifer, sprang auf, lief zwischen die Masse hinein und hatte nun noch viel mehr zu sagen als alle Andere.

Dieser Tumult dauerte etwa zwanzig Minuten, und Capitän Crash, der indessen ganz gemüthlich Sr. Gestrengen Sitz eingenommen hatte, betrachtete ruhig von oben den Lärm, der sein Schicksal entscheiden sollte.

Das Resultat des Ganzen war, daß er sowohl wie das

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Mädchen schuldig befunden wurden. Die Letztere verurtheilte man sechs Matten für die Königin zu flechten und den Capitän, den man, so wiederholter Vergehen wegen, für unverbesserlich hielt, verwies das Gericht für immer von der Insel.

Beide Urtheile entsprangen augenscheinlich aus diesem Heidenlärm. Sr. Gestrengen besaßen übrigens eine ziemlich bedeutende Autorität und es blieb keinem Zweifel unterworfen, daß der Ausspruch entweder von ihm herrührte oder doch wenigstens seine ganze Beistimmung hatte.

Die obigen Strafen waren aber keineswegs willkürlich ertheilt. Die Missionäre haben nemlich, um das Gerichtsverfahren zu erleichtern, eine Art Straftarif aufgesetzt. Es kostete so und so viel Tage Arbeit auf der Besenstraße sich den Vergnügungen der Calabasse hinzugeben, so und so viele Ellen Steinmauern zu bauen eine Muskete zu stehlen etc. etc. etc. Der Richter hat zu diesem Zweck ein Buch, in dem alle die einzelnen Sachen höchst schlau und bequem arrangirt sind. Ist also ein Verbrechen erkannt, wir wollen einmal sagen, Vielweiberei, so braucht er nur unter dem Buchstaben V nachzusehen und augenblicklich hat er’s.

„Vielweiberei: Vierzig Tage auf der Besenstraße und zwanzig Matten für die Königin.“

Er liest den Satz laut vor und das Urtheil ist gesprochen.

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Die andern Delinquenten nun, nachdem sie zuerst an diesem Verhör Theil genommen, kamen selbst an die Reihe und hatten bei der Sache immer eben so viel zu sagen als alle Uebrigen. Sie wurden jedoch sämmtlich schuldig befunden.

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Capitel XXIV.
Die Königin Pomare. Wir besuchen den Hof.

Es ist stets gut, sich erst vorher nach den Leuten ein ein wenig zu erkundigen, bei denen man eingeführt werden will; und deshalb will ich hier auch einen kurzen Bericht über Pomare und die königliche Familie geben.

Jeder der Cook’s Reisen gelesen hat, wird sich erinnern, daß „Otoo“ zu jener Zeit König des größten Theils der Insel Tahiti war. Hernach, durch die Musketen von Bountys Leuten unterstützt, dehnte er seine Herrschaft über die ganze Insel aus. Der Name dieses Otoo wurde noch vor seinem Tode in „Pomare“ verändert, das ist denn auch seit der Zeit das königliche Beiwort geblieben.

Ihm folgte sein Sohn Pomare II., der berühmteste Prinz in den Annalen von Tahiti. Obgleich ein arger Zecher und Trunkenbold, ja selbst unnatürlicher Verbrechen beschuldigt, zeigte er sich als großer Freund der Missionäre und wurde einer ihrer ersten Proselyten. Während der Religionskriege,

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die er durch seinen Eifer für die neue Religion heraufbeschwor, wurde er mehrere Male geschlagen und nach Imeeo ausgewiesen. Nach kurzem Exil kehrte er aber mit einer Armee von achthundert Kriegern zurück, schlug in der Schlacht von Narii die rebellischen Heiden völlig aufs Haupt, und gewann sich so seinen Thron wieder. Durch Waffengewalt also siegte das Christenthum in Tahiti.

Pomare II. starb 1821, und ihm folgte sein Sohn, damals noch ein Kind, unter dem Titel: Pomare der Dritte. Dieser junge Prinz überlebte seinen Vater nur sechs Jahre und die Regierung kam dann an seine älteste Schwester Aimata, die gegenwärtige Königin, die gewöhnlich Pomare Vahinee I., oder die erste weibliche Pomare genannt wird.

Ihre Majestät muß jetzt etwas über dreißig Jahre alt sein und war zweimal verheirathet, zum ersten Male aber unglücklich und zwar mit einem Sohn des alten Königs von Tahar, einer Insel, die etwa hundert Meilen von Tahiti liegt. Eine Scheidung fand also wieder statt, und der gegenwärtige Gemahl der Königin ist ein Häuptling von Imeeo. Pomare’s Ruf ist übrigens wohl nicht, wie er eigentlich sein sollte. Sie wie ihre Mutter waren lange Zeit excommunicirt und die erste ist es, glaube ich, noch jetzt. Ihre eheliche Treue wenigstens wird vorzüglich bezweifelt

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und das war auch eigentlich der Grund, weshalb sie die Kirche verstieß.

In glücklicheren Zeiten brachte sie fast das ganze Jahr damit zu, von ihrem Hofstaat begleitet, eine Insel nach der andern zu besuchen; wohin sie auch kam feierten Spiele und Feste ihre Ankunft.

Verschwenderisch in ziemlich bedeutendem Grade kostete ihr Hausstand große Summen, und besonders hielt sie sich ein Regiment Leibgarde, dessen Unterhaltung ihrem königlichen Schatzmeister manches Kopfzerbrechen machte.

Diese Soldaten waren hosenlose Bursche, in Uniformen von Callicohemden und Papphüten, mit Musketen von allen Gestalten und Kalibern bewaffnet, und von einem großen Bramarbas Häuptling kommandirt, der in einem feuerfarbenen Rock, truthahngleich, einherstolzirte. Diese Helden begleiteten ihre Herrin, wohin sie auch ging.

Vor einiger Zeit empfing die Königin von ihrer englischen Schwester Victoria einen sehr prächtigen, aber etwas unbequemen Kopfschmuck – eine Krone, vielleicht von irgend einem Klempner in London verfertigt; es fiel ihr aber gar nicht ein dies mächtige Spielwerk blos für Krönungstage oder sonstige Feierlichkeiten aufzuheben; o Gott bewahre! sie trug es sobald sie öffentlich erschien, und um auch dabei zu zeigen wie bekannt sie mit europäischen Gewohnheiten sei, so legte sie, wenn sie ausgezeichneten Fremden

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begegnete – wie Capitänen von Wallfischfahrern und dergleichen – artig die beiden Finger daran.

Die Ankunft und Abreise Ihrer königlichen Hoheit wurde im Palast stets durch eine Art Hofartilleristen verkündigt; es war dies ein fetter, alter Gentleman, der, mit entsetzlicher Eile und gewöhnlich in Schweiß gebadet, kleine Schrotflinten abfeuerte, so schnell er sie nur immer wieder laden konnte.

Die tahitische Prinzessin machte ihrem Gemahl das Leben übrigens schwer genug und schon sein Name ist sehr bezeichnend, er heißt: Pomaree-Tanee (Pomare’s Mann), und eigentlich wäre das auch wirklich der passendste Titel für Jemand, der weiter gar nichts ist.

Wenn es aber je einen Kreuztragenden, bis aufs Blut gequälten und unter dem Pantoffel stehenden Mann gegeben hat, so ist es dieser gute Pomaree-Tanee. Eines Tages als seine Dulcinea einer Deputation der damals im Hafen von Papeetee liegenden Schiffscapitäne Audienz gab, wagte er es irgend einen Vorschlag zu machen, der ihr misfiel; darauf drehte sie sich um, verabreichte ihm eine rechtschaffene Ohrfeige und gab ihm ziemlich deutlich zu verstehen, er möchte sich auf seine bettelhafte Insel Imeeo packen, wenn er etwas vorstellen wolle.

Geprügelt und verachtet nimmt der arme Tanee denn

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natürlich seine Zuflucht zur Flasche oder vielmehr zur Calabasse, und trinkt dann mehr als er wohl eigentlich sollte.

Vor sechs oder sieben Jahren, als gerade ein amerikanisches Kriegsschiff im Hafen von Papeetee lag, gerieth die Stadt plötzlich in die gräßlichste Verwirrung, die durch nichts geringeres herbeigeführt worden war, als einen persönlichen Angriff auf die Königin von Seiten ihres betrunkenen Gatten.

Capitän Bob erzählte mir einst die Geschichte, und um seiner Erzählung mehr Leben zu geben, that er indessen, als ob er Tanee wäre und ich mußte die Königin von Tahiti vorstellen.

Es scheint, daß der gute Pomaree-Tanee eines Morgens höchst ungnädig, und vielleicht auch etwas verächtlich, von der Königin entlassen worden war. Unterwegs fand er denn natürlich einige gute Kneipgefährten, die ihn über sein Unglück trösteten und auf die Königin schimpften. Endlich schleppten sie ihn in ein Haus, wo man heimlicher Weise spirituöse Getränke verkaufte, und dort wurden bald alle selig. In diesem Zustand drehte sich das Gespräch, wie man sich leicht denken kann, um nichts Anderes als Pomare Vahinee I. „Eine Hexe von einer Königin,“ sagte der Eine. „Es ist schändlich!“ warf ein Anderer ein. „Niederträchtig!“ bestätigte ein Dritter. „Ich würde mir Genugthuung verschaffen!“ rief ein Vierter. Und Tanee,

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dem dies wahrscheinlich ebenfalls einleuchtend sein mochte, sprang auf und lief nach Hause, wo er kaum erfuhr, daß seine königliche andere Hälfte ausgeritten sei, als er sich schnell auf ein Pferd warf und hinterher sprengte.

An der Grenze der Stadt begegnete er einer Cavalcade von Frauen, die auf ihn zukamen, und erkannte in deren Mitte das Ziel seiner Rache. In wilder Wuth trieb er sein Pferd denn auch mitten zwischen die Frauen hinein, ritt Eine über den Haufen, trieb die Andern in die Flucht und rückte nun gegen Pomare an, die, ihn schrecklich herunter machend, den Kopf ihres Pferdes fortwährend gegen ihn gerichtet hielt. Endlich aber sprang der, seiner selbst nicht mehr mächtige Tanee aus dem Sattel, erwischte Pomare am Kleid, zog sie vom Pferd und schlug sie, während er sie an den Haaren hielt, mehrere Male ins Gesicht. Er hatte sie auch wahrscheinlich erwürgen wollen; das Geschrei ihrer entsetzten Begleiterinnen zog aber eine Menge von Insulanern zur Stelle, welche die fast besinnungslose Königin forttrugen.

Seine Wuth und Rache war aber noch nicht gesättigt; er lief zum Palast und vernichtete dort, ehe es verhindert werden konnte, ein sehr werthvolles Porzellanservice, das Geschenk von irgend einem fremden Hof, und konnte dann erst überwältigt und mit rollenden Augen und schäumenden Lippen fortgeschleppt werden.

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Das ist denn auch ein ganz freundliches Beispiel von einem in Wuth gerathenen Tahitier. Schwer zu erregen steckt aber, wenn ihm einmal die Galle überläuft, eine ganze Legion von Teufeln in ihm.

Am folgenden Tag wurde Tanee ganz privatim in einem Canoe nach Imeeo hinüber gerudert, von wo aus er nach einigen Wochen wieder zurückkehren und seine alte Stelle einnehmen durfte.

Obgleich nun auch Pomare Vahinee I. in ihrem häuslichen Leben eine Jesabel sein mochte, so soll sie doch als Königin stets Milde und Nachsicht geübt haben und das zwar wahrscheinlich aus Politik, denn erbliche Feindschaft gegen ihre Familie erfüllte die Herzen mehrerer mächtigen Häuptlinge. Es waren dies die Nachkommen des alten Königs von Taiarboo, den ihr Großvater Otoo entthronte. Als Oberhaupt derselben, und auch in der That als Führer seiner Partei, stand Poofai, der auch gar kein Geheimniß aus seiner Feindschaft gegen Missionäre wie Regierungen machte, oben an. Die Ankunft der Franzosen gab damals diesen Verhältnissen eine ganz andere Richtung.

Während meines Aufenthalts in Tahiti ging das Gerücht, und zwar in der sogenannten „Missionärpartei“ entsprungen, daß Poofai und einige andere berühmte Häuptlinge wirklich durch die Fremden bestochen seien und zur Unterwerfung der Insel die Hand mit bieten wollten.

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Nachkommende Vorfalle haben diese feindlichen Verleumdungen aber Lügen gestraft, denn mehrere dieser Häuptlinge sind sogar seit jener Zeit im Kampfe gegen die Franzosen gefallen.

Unter der Oberherrschaft der Pomares betrugen sich die großen Häuptlinge von Tahiti auf ähnliche Art wie die stolzen Barone des Königs John. Sie beherrschten mit starker Hand ihre eignen Thäler, wurden vom Volk vergöttert und verkürzten nicht selten die königlichen Revenüen dadurch, daß sie sich weigerten, den eignen schuldigen Tribut zu zahlen.

Durch die Macht der Missionäre verlor aber eigentlich erst die königliche Gewalt in Tahiti so viel von ihrem Ansehen und Hoheit, denn in den Tagen des Heidenthums wurde sie schon durch eine starke Priesterherrschaft, und mit dem abergläubischen Götzenthum in Verbindung gehalten. Der Monarch rühmte sich nemlich einer Art Abkömmlingsschaft von Tarrarroa, dem polynesischen Saturn, und der Verwandtschaft mit einer Menge von untergeordneten Gottheiten. Seine Person war dreimal geheiligt und wenn er ein gewöhnliches Haus, ganz einerlei auf wie kurze Zeit betrat, so wurde es augenblicklich nachher zerstört, weil Niemand für würdig gehalten wurde, es nach ihm noch zu betreten.

– Ich bin ein größerer Mann als König Georg, sagte

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der junge unverbesserliche Otoo zu den Missionären; er reitet auf einem Pferd und ich auf einem Menschen.

Und das war allerdings der Fall; er nahm auf den Schultern seiner Unterthanen Extrapost durch die ganze Insel und fand Relais von unsterblichen Wesen in allen Thälern.

Ach wie sich die Zeiten verändert haben! wie vergänglich doch menschliche Größe ist. Die Enkelin jenes stolzen Königs, Pomare Vahinee I., übernahm erst vor einigen Jahren ein Waschgeschäft und bat öffentlich durch ihre Agenten um die Kundschaft der in den Hafen einlaufenden Offiziere.

Wunderbare Thatsache ist es, und ein eignes Naturspiel, daß, während der Einfluß der englischen Missionäre auf Tahiti die königliche Macht vernichtete, oder wenigstens verringerte, amerikanische Missionäre auf den Sandwich-Inseln gerade das entgegengesetzte Resultat erzweckten.

Etwa in der Mitte des zweiten Monats der Hegira, also ungefähr fünf Wochen nach unserer Ankunft in Partowye war es, daß wir endlich Zutritt zu der Wohnung der Königin erhielten.

Dies geschah auf folgende Art. In dem Gefolge von Pomare befand sich ein Marquesaner, und zwar als Kinderwärter. Nach dem tahitischen Gebrauch wird nemlich die königliche Nachkommenschaft so lange herum geschleppt, bis es keine geringe Anstrengung erfordert, sie von der Stelle zu bringen. Marbonna war aber gerade der Mann dazu.

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Groß, muskulös und von stattlichem Körperbau, mit einem Arm dabei, so stark wie der Schenkel eines entnervten Tahitiers.

Von seinem Vaterland schiffte er sich als Matrose an Bord eines französischen Wallfischfängers ein, desertirte aber in Tahiti und wurde dort von Pomare gesehen und in ihren Dienst genommen.

Oft, wenn wir die Nähe des königlichen Palastes besuchten, sahen wir ihn im Schattens umherwandeln, wobei er ein paar hübsche Knaben trug, die seinen Nacken umschlangen. Marbonna’s Gesicht, nach den Schönheitsansichten seines Stammes tättowirt, war dabei für die kleinen Pomares so gut wie ein Bilderbuch, und sie amüsirten sich wirklich königlich mit ihren kleinen Fingern den wunderbaren Strichen und Linien darauf zu folgen.

Zum ersten Male als ich den Marquesaner erblickte, erkannte ich augenblicklich sein Vaterland und rief ihn in seiner eignen Sprache an; schnell wandte er sich um und war auf das Aeußerste erstaunt, daß diese ihm so wohlbekannten Töne von einem Fremden herrührten. Er erwies sich als ein Eingeborener von Tiar, einem Thal bei Nukuheva, das auch ich besucht hatte, und so begegneten wir uns auf Imeeo als alte Freunde.

In meinen häufigen Unterhaltungen mit ihm an dem Bambuszaun, fand ich bald, daß dieser Insulaner eine

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Art Naturphilosoph sei, ein wilder Heide, der über die Laster und Thorheiten des christlichen Hofes in Tahiti moralisirte, ein Indianer, der die Entartung des Volkes, unter das ihn sein Schicksal geworfen, bitter verachtete.

Ich erstaunte über die nationellen Gefühle des Mannes; kein Europäer konnte in der Fremde von seinem eignen Vaterlande mit mehr Entzücken sprechen, als es Marbonna that und er versicherte mich wieder und wieder, daß er, so bald er nur hinlänglich Geld zusammen habe, nur zwanzig Musketen und eben so viele Säcke Pulver zu kaufen, augenblicklich zu einem Lande zurückkehren werde, mit dem Imeeo gar nicht verglichen werden dürfe.

Marbonna war es denn auch, der uns nach ein oder zwei mislungenen Versuchen Zutritt zu dem königlichen Palast verschaffte. Durch eine beträchtliche Menschenmenge führte er uns dann auf dem Damm hin zu einer Stelle, wo ein alter Mann saß, und diesem wurden wir als ein Paar Karbowries von seiner Bekanntschaft vorgestellt, die gern das Innere des Palastes zu sehen wünschten. Der ehrwürdige Kammerherr starrte uns an und schüttelte dann mit dem Kopfe, und der Doktor, der vermuthete, daß ihm etwas fehle, drückte ihm eine Stange Tabak in die Hand. Das zog, und wir durften passiren. Gerade aber als wir das Haus betreten wollten, wurde Marbonna’s Name in

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einem halben Dutzend verschiedenen Richtungen gerufen und er konnte nicht bei uns bleiben.

So mitten auf der Schwelle uns selbst überlassen, kam uns meines Kameraden kecke Zuversicht sehr gut zu statten. Er stiefelte denn auch gerade hinein und ich folgte. Der innere Raum war voller Frauen, anstatt aber daß diese, wie ich ziemlich fest erwartet hatte, laut aufschreien und weglaufen würden, begrüßten sie uns ganz freundlich, und es fehlte weiter gar nichts, als daß sie uns frugen, warum wir nicht früher gekommen wären. Vor allen Dingen mußten wir denn auch eine Calabasse mit Poee leeren und verschiedene geröstete Bananen essen. Pfeifen wurden dann angezündet und ein lebhaftes Gespräch folgte.

Diese Hofdamen, keineswegs sehr von Etiquette belästigt, hatten im Gegentheil ein sehr freies, ungezwungenes Benehmen und eine von ihnen, eine schelmische kleine Miß, die sich ziemlich geläufig mit uns unterhalten konnte, war denn auch die, der wir uns besonders angenehm zu machen suchten, denn wir hofften, sie sollte uns des entflohenen Marbonnas Stelle ersetzen.

Das that sie denn auch, und besser als wir erwartet haben konnten. Niemand legte ihr etwas in den Weg; jeden Platz, betrat sie ohne weitere Ceremonie; Vorhänge wurden zur Seite geschoben, Matten gelüftet und alle Winkel und Ecken untersucht. Ob nun die kleine Dame dazu die besondere

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Erlaubniß ihrer Herrin hatte, weiß ich nicht; Marbonna selber aber, der Kinderträger, hätte uns nicht halb so nützlich sein können.

Unter den Häusern, die wir besuchten, befand sich auch eins von bedeutendem Umfang und stattlichem Aeußern, die besondere Residenz eines Europäers und frühem Kauffarthei-Steuermanns, der sich die Ehre angethan hatte, in die Pomaresche Familie zu heirathen. Dieser Abenteurer stand sehr spät auf, kleidete sich etwas theatralisch in Callicos und andern Putz, nahm in der Unterhaltung einen sehr dictatorischen Ton an, und schien besonders mit sich selbst auf das vollkommenste zufrieden zu sein.

Wir fanden ihn auf einer Matte liegend, und seine Rohrpfeife nachlässig im Mund, während ihn ein bewundernder Cirkel von Häuptlingen, Herren und Damen umgab. Auf jeden Fall muß er unsre Ankunft bemerkt haben; anstatt aber aufzustehen und uns artig zu begrüßen, blieb er ruhig in seiner Stellung und sah uns nicht einmal an.

Auf unsre ernsten Bitten, die Königin zu sprechen, wurden wir zu dem geräumigsten Gebäude der ganzen Häusergruppe geführt; dieses war etwa hundert und funfzig Fuß lang, sehr breit, mit niedern Wänden und einem außerordentlich steilen Dach von Pandonnablättern.

Fenster oder Thüren sahen wir nicht, nur leichte Säulen trugen die Querbalken, und zwischen diesen hingen feine

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Gardinenmatten und Tappavorhänge, die rings um uns her rauschten und von denen einige aufgezogen oder theilweise zurückgeschlagen waren um dem Licht und der Luft Zutritt zu gestatten.

Eine dieser Gardinen zurückschiebend, traten wir ein. Das Gemach bestand aus einer ungeheuern Halle, von deren wohl vierzig Fuß vom Boden entfernten Firstbalken ausgefranzte Matten und Troddeln herabhingen. Geflochtene Decken lagen hoch aufeinandergeschichtet überall an den Wänden herum, während hie und da angebrachte wehende Cabinette einzelnen Gesellschaften, aber alle nur aus Damen bestehend, zum Aufenthalt dienten.

Als wir uns näherten schwieg das Stimmengemurmel, das wir bei unserm Eintritt vernommen, augenblicklich still und alle schienen eine Erklärung unserer Gegenwart zu verlangen, die ihnen dann unsre Führerin in einigen kabbalistischen Worten gab.

Die ganze Scene war wunderlich genug, am meisten aber erregte unser Erstaunen ein wahres Chaos der kostbarsten Gegenstände aller Welt- und Himmelsgegenden, die hier mit den einfachsten Geräthschaften tahitischer Wohnungen gemischt schienen. Prächtige Schreibpulte von Rosenholz mit Silber und Perlmutter eingelegt, Karaffen und Becher von geschnittenem Crystallglas, prachtvoll eingebundene Kupferwerke, vergoldete Candelaber, Erdkugeln und

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mathematische Instrumente, das feinste Porzellan, reichverzierte Säbel und Flinten, bordirte Hüte und prachtvolle Kleidungsstücke mit zahlreichen andern Gegenständen europäischer Manufaktur lagen hier mit fettigen, halb mit Poee gefüllten Calabassen, mit Rollen alter Tappa und Mattenarbeit, mit Rudern und Fischspeeren unter einer Menge anderer Sachen, wild zerstreut durcheinander.

All die früher erwähnten Artikel mußten Geschenke fremder Höfe sein; doch waren sie fast sämmtlich mehr oder weniger beschädigt; die Flinten und Degen z. B. angerostet, die feinsten Holzarbeiten zerscheuert und ein Folioband von Hogarths Werken, der geöffnet dort lag, hatte eine ganze Cocosnußschale irgend eines schmuzig gelben Gegenstandes über seines „Liederlichen wüste Wirthschaft“ ausgegossen bekommen.

Während wir uns noch in diesem Museum der Curiositäten amusirten, zupfte uns unsre Führerin am Aermel und flüsterte:

– Pomaree, Pomaree, aramai kow kow.

– Also kommt sie zum Abendessen, sagte der Doktor und starrte nach der bezeichneten Richtung hinüber; wie wär’s, Paul, wenn wir hingingen? In demselben Moment hob sich, nicht weit von uns entfernt, ein Vorhang empor und aus einem Nebengemach trat, unbegleitet, die Königin ein.

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Sie trug ein lockeres Gewand von blauer Seide mit zwei reichen Shawlen, einem rothen und einem gelben, um den Nacken gewunden. Ihre königliche Majestät gingen barfuß.

Sie war etwa von mittlerer Größe, schon etwas matronenartig, mit nicht sehr schönen Zügen, doch üppigem, vollen Mund, nur lag um diesen ein wehmüthiger, schmerzhafter Ausdruck. Man hätte sie für etwa vierzig Jahr halten mögen, doch ist sie nicht so alt.

Als sich die Königin einem der kleinen zeltartigen Gemächer näherte, eilten ihre Hofdamen auf sie zu, führten sie hinein und glätteten ihr die Matten, auf welche sie sich endlich lehnte. Zwei Mädchen kamen gleich darauf, die ihrer Herrin Abendmahl trugen und von Crystall und Porzellan, von Confekt und andern Leckereien umgeben, verzehrte Pomare Vahinee I., die Titelkönigin von Tahiti, ihr einfaches Mahl von Fisch und Poee aus einer landesgebräuchlichen Calabasse, wobei sie selbst Messer und Gabel verschmähte.

– Kommt! flüsterte Lattengeist, wir dürfen uns auf keinen Fall die Audienz entgehen lassen. Und eben wollte er sich selber einführen, als ihn unsre Führerin ganz erschreckt zurückhielt und ihn um Gottes willen bat zu schweigen. Die andern Insulaner mischten sich auch hinein; da sich der lange Doktor aber nicht sogleich abweisen ließ, erhoben sie

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einen solchen Lärm, daß Pomare die Augen aufschlug und uns zum ersten Male sah.

Sie schien erstaunt und beleidigt und Mehreren ihrer Frauen einen herrischen Befehl gebend, winkte sie uns gebieterisch das Haus zu verlassen. Nun hatte sie uns allerdings nicht persönlich dabei angeredet; wir glaubten aber doch in so weit der Hofetiquette folgen zu müssen, daß wir uns nicht hinaus werfen ließen. Mit einer tiefen Verbeugung zogen wir uns deshalb zurück, und verschwanden hinter der Tappa arras.

Wir verließen den königlichen Grund und Boden, ohne Mabonna wiederzusehen. Ehe wir aber über den Bambuszaun sprangen, lohnten wir die niedliche Führerin auf unsre eigne Art ab. Als wir uns einen Augenblick später umwandten, sahen wir, wie das arme Kind durch zwei, wahrscheinlich nach ihr abgeschickte Männer zurückgeführt wurde. Hoffentlich hat sie keine weitere Strafe, als einen Verweis bekommen.

Am nächsten Tag erfuhren wir von Po-Po, daß strenger Befehl gegeben sei, keine Fremden in das Innere des Palastes zu lassen.

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Capitel XXV.
Schluß.

Da es mit einer Geheimen-Raths-Stelle bei Hofe nichts zu sein schien, und wir doch auch unmöglich Po-Po’s Gastfreundschaft mißbrauchen konnten, so sehnten wir uns – das Leben in Imeeo fingen wir überdies an satt zu bekommen – nach Veränderung und, wie alle Matrosen, nach der wogenden See.

Wenn wir nun der Mannschaft glauben durften, so war der Leviathan allerdings nicht ein Schiff, wie wir es haben wollten, ich hatte aber den Capitän gesehen und der gefiel mir; es war ein ungewöhnlich starker, robuster, gut aussehender Mann in seinen besten Jahren und zwar ein Landsmann, ein Eingeborener von der Insel Marthas Weinberg, die an Nantucket stößt und – ich hätte drauf geschworen – ein Matrose, kein Tyrann.

Bis dahin hatten wir die Leute des Leviathan, wenn sie ans Ufer kamen, ziemlich gemieden; jetzt warfen wir

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uns ihnen absichtlich in den Weg, um mehr über das Fahrzeug zu hören.

Wir wurden auch dadurch mit dem dritten Steuermann bekannt, einen Preußen und alten Seemann, der lange auf Kauffahrern gedient hatte. Er war ein kreuzfideler Bursche mit einem Gesicht wie ein Rubin. Wir nahmen ihn mit zu Po-Po und setzten ihm dort ein Mittagessen von gebackenem Ferkel und Brodfrucht vor, bei dem Pfeifen und Tabak das Desert machten. Das nun, was er uns über das Schiff sagte, stimmte ganz mit meinen eignen Ansichten überein; ein behaglicheres altes Fahrzeug hatte nie die alten Wogen getheilt; es gab in Ueberfluß zu essen und auf der See weiter nichts zu thun als auf dem Windlaß zu sitzen und zu segeln. Der einzige böse Zug war der, daß es unter einem unglücklichen Stern vom Stapel gelaufen, d. h. unglücklich nur was die Jagd betraf. Oft genug ließ es seine Boote in’s Wasser und diese hingen auch häufig fest. Lanze oder Harpune, wenn von den Leuten des Leviathan geworfen, riß aber fast stets aus und nur wenig Thran konnten sie an Bord bringen. Doch was that das? Wir hatten das volle Vergnügen, die Ungeheuer zu hetzen und nichts von der schauderhaften Arbeit, die sonst gewöhnlich ihrer Erlegung folgt. Also hurrah nach der Küste von Japan! denn dorthin war das Schiff bestimmt.

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Ein Wort jedoch über den schlimmen Bericht, den wir, als wir das erste Mal an Bord gingen, gehört; dieser bestand in nichts als Erdichtungen und war von den Matrosen absichtlich erfunden worden, um uns zurückzuscheuchen, was dann natürlich den Capitän, der noch mehr Leute brauchte, zwang, desto länger in einem so angenehmen Hafen liegen zu bleiben.

Sobald der Yankee wieder ans Ufer kam, warfen wir uns ihm in den Weg; als wir ihm aber sagten, daß wir mit ihm zu segeln wünschten, verlangte er unsre Geschichte und dann vor allen Dingen zu wissen, was wir für Landsleute seien. Wir sagten ihm, daß wir vor einiger Zeit in Tahiti einen Wallfischfänger verlassen hätten und seitdem in achtbarster Weise auf einer Plantage beschäftigt gewesen wären. Was unser Vaterland betraf, so gehören Matrosen eigentlich gar keiner Nation an, in diesem Fall waren wir aber alle Beide Yankees. Das schien er aber gar nicht glauben zu wollen und sagte uns offen heraus, er hielt uns alle beide für Sidney-Vögel.

Nun muß der Leser wissen, daß sich amerikanische Seecapitäne im stillen Ozean vor gar nichts so sehr, als vor Sidney-Sträflingen fürchten, die auch, die Wahrheit zu gestehen, bei allen Uebrigen einen sehr bösen Namen haben. Bricht auf irgend einem Schiff im stillen Ozean eine Meuterei aus, so ist zehn gegen eins zu wetten, daß Sidney-

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Männer die Rädelsführer sind. Und am Ufer betragen sich diese Bursche eben so nichtsnutzig.

Aus dieser Ursache wünschten wir es auch zu verheimlichen, daß wir zur Julia gehört hatten, obgleich es mir wirklich leid that, das prächtige kleine Fahrzeug so verleugnen zu müssen. Auch der Doktor mochte aus diesem Grunde seinen Geburtsort nicht nennen.

Unglücklicher Weise trat auch ein Theil unsrer Kleidung, Afretee’s blaue Jacken, als Beweis gegen uns auf, denn sonderbar genug wird ein amerikanischer Matrose gewöhnlich an seiner rothen, ein englischer an seiner blauen Farbe erkannt, die auf solche Art die Nationalfarben wechseln. Wir erklärten dem Capitän auch woher unsre Kleider stammten, das half aber nichts; er war einmal gegen uns eingenommen und betrachtete besonders den Doktor mit höchst mistrauischen Augen.

Um des Letztern Geburtsort ein klein wenig hervorzuheben, ließ ich einen Wink von Kentucky, dem Land der langen Leute fallen, das hörte unser Yankee aber kaum, als er sich rasch abdrehte und gar nichts mehr hören wolle; es war augenscheinlich, er hatte auf Lattengeist einen höchst bösartigen Verdacht geworfen.

Da ich das nun fühlte, so beschloß ich einmal zu versuchen, was ein Privatgespräch bei ihm ausrichten würde. Eines Nachmittags also fand ich den gemüthlich rauchenden

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Capitän in der Wohnung eines alten stattlichen Eingeborenen, eines gewissen Mai-Mai, der für eine mäßige Vergütung fremde Gäste empfing.

Der Yankee hatte sich eben von einem gar wackern, aus gebackenem Ferkel und Taropudding bestehenden Mahl erhoben; die Ueberreste desselben standen noch auf dem Tisch und zwei unglückliche Flaschen mit gebrochenen Hälften lagen vor ihm auf der Matte. Das alles traf sich günstig, denn nach einem guten Diner wird der Mensch wohlwollend und läßt sich überzeugen; auf jeden Fall fand ich unsern Amerikaner in der besten Laune.

Ich fing gleich damit an, daß ich ihm versicherte, ich käme nur deshalb, ihn über einige irrige Meinungen, die er meinethalben zu hegen scheine, aufzuklären; ich sei wirklich, wofür ich dem Himmel danke, ein gebotener Amerikaner und wollte ihn davon überzeugen.

Nach diesen Worten sah er mir eine Weile starr ins Auge und ich hatte dabei vollkommen gut Gelegenheit zu bemerken, daß sein eigenes keineswegs mehr so fest und sicher schien. Dann rief er mir plötzlich zu, ich sollte ihm meinen Arm herüberreichen. Das that ich, wunderte mich aber natürlich, was der mit unsrer Frage zu thun haben könne.

Er legte seine Finger auf meinen Puls, hielt sie dort einen Augenblick und sprang dann plötzlich entzückt auf,

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während er fröhlich ausrief: Ich sei ein Yankee, so weit ich warm wäre.

– Hier Mai-Mai, sagte er, noch eine Flasche, die er, als sie kam, mit einem Schlag seines Messers enthauptete und mir befahl sie bis auf den Boden auszutrinken, dann versicherte er mir, ich sollte, wenn ich morgen früh an Bord seines Schiffs kommen wollte, die Artikel in der Kajüte ausgelegt finden.

Mehr konnte ich nicht verlangen. Was aber wurde aus dem Doktor? Ich spielte also auf meinen langen Freund an; das war aber auch schlimmer als nutzlos. Der Yankee schwor, er wolle nichts mit ihm zu thun haben, denn er – mein langer Freund – sei ein „Vogel“ von Sidney. Es war und blieb unmöglich, ihn eines bessern zu belehren.

Den freiherzigen Capitän mußte ich nun schon seiner Offenheit wegen lieb haben, verließ aber doch, unwillig über das wahnsinnige Vorurtheil gegen meinen Kameraden, schnell das Zimmer.

Der Doktor, dem ich das Resultat dieses Gesprächs mittheilte, lachte unmäßig und erklärte, der Yankee müsse ein scharfsichtiger Bursche sein, bestand aber auch darauf, daß ich auf jeden Fall mit dem Schiff in See gehen solle, denn er wußte wie sehr ich mich danach sehnte das Land zu verlassen. Ueberdies versicherte er mir, er hätte sich die Sache auch anders überlegt; er sei einmal kein Matrose und

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wenn auch auf einem Wallfischfänger manchmal Landratten einen Theil der Besatzung bilden, so fühle er sich doch nicht geneigt, eine so niedere Stellung einzunehmen. Kurz und gut er wolle noch eine Weile in Imeeo bleiben.

Ich überlegte mir die Sache und einschloß mich endlich die Insel zu verlassen. Die Sehnsucht trieb mich auf’s Meer, und dann hatte ich ja auch die Aussicht die Heimath wiederzusehen, denn das Schiff befand sich auf seiner letzten Fahrt und wollte in kaum länger als einem Jahr Cap Horn dupliren.

Ich band mich übrigens keineswegs für die ganze Fahrt ans Schiff, das wäre unnöthiger Zwang gewesen, sondern schiffte nur auf die nächste Fahrt, so daß ich später noch immer thun und lassen konnte, was ich wollte.

Am nächsten Tag ruderte ich zum Schiff hinüber, unterzeichnete und siegelte, und kam mit meinem Vorschuß, funfzehn spanischen Dollarn, die in dem Zipfel meines Taschentuchs klimperten, zurück.

Die Hälfte des Silbers zwang ich Lattengeist auf und wollte das andre, da ich hier doch nichts damit anfangen konnte, an Po-Po geben, um ihm seine Gastfreundschaft wenigstens in etwas zu vergüten. Obgleich er aber den Werth der Münzen vollkommen gut kannte, war er doch nicht zu bewegen, auch nur ein Stück davon anzunehmen.

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Drei Tage später kam der Preuße zu Po-Po und sagte uns, der Capitän habe dadurch, daß er mehrere Insulaner an Bord genommen, seine Mannschaft vollzählig und wolle am nächsten Morgen mit der Landbriese unter Segel gehen. Nur wenige Stunden waren noch bis Abend. Der Doktor verschwand augenblicklich, kehrte aber bald darauf mit ein paar Flaschen Wein zurück, die er unter seiner Jacke versteckt hielt. Durch die Vermittlung des Markquesaners hatte er sie von irgend einem Hoflieferanten gekauft.

Ich überredete Po-Po nun zu einem Abschiedsbecher und selbst die kleine Loo, die zu begreifen schien, wie einer ihrer hoffnungslosen Bewunderer Partowye für immer verlassen wollte, schlürfte ein paar Tropfen aus einem zusammengefalteten Blatt. Was die herzensgute Afretee betraf, so war ihr Schmerz wirklich grenzenlos. Sie bat mich sogar, die letzte Nacht nur noch unter ihrem Palmendach zuzubringen, und sie wolle mich dann selbst früh Morgens zum Schiff hinüberrudern.

Das wollte ich aber auf keinen Fall zugeben, und damit ich doch etwas hätte, was mich an sie erinnern könnte, gab sie mir noch beim Abschied eine Rolle feiner Matte und eine andre von Tappa.

Diese Geschenke legte ich in meine Hängematte und fand sie später in den warmen Klimaten, zu denen wir segelten, höchst angenehm; auch verfehlten sie nicht mir die

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Erinnerung an jene stille Hütte nur zu oft ins Gedächtniß zurückzurufen.

Mit Dunkelwerden riß ich mich von diesen treuherzigen Leuten los und eilte mit dem Doktor dem Schiff zu.

Die Matrosen feierten ein wildes fröhliches Fest in der Nacht, sie hatten ein kleines Fäßchen mit Wein angezapft, das sie auf eben solche Weise erhalten, wie der Doktor seine Flaschen.

Ein oder zwei Stunden nach Mitternacht lag Alles in tiefem Schweigen begraben; wie sich aber im Osten der erste graue Dämmerstreifen zeigte, da rief eine scharfe Stimme das Vorcastle an, die Anker zu lichten. Diese rasselten auch unter dem fröhlichen Singen der Matrosen herauf; die Segel waren bald gesetzt und mit dem Frühhauch des tropischen Morgens, der frisch und duftend von den Hügeln herabwehte, glitten wir langsam die Bai hinab und durch die Oeffnung in den Riffen. Plötzlich legten wir bei und die Canoes kamen jetzt heran um die Insulaner an Bord zu nehmen, die uns bis dahin begleitet hatten. Auch von dem Doktor nahm ich jetzt Abschied und wir hielten und schüttelten lang und derb die beiderseitig festgefaßten Hände. Ich habe seit der Zeit nichts wieder von ihm gehört.

Alle Segel wurden jetzt gesetzt, die Raaen gepreßt und die erwachende Briese legte sich wacker in unsere Leinwand und blies uns gerade vom Lande fort.

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Wieder einmal fühlte ich den wogenden Ozean unter mir. Nachmittags sank der letzte blaue Streifen von Tahiti am Horizont und vor uns lag das weite, endlose stille Meer.


Ende des zweiten und letzten Bandes.
Druck von Breitkopf und Härtel in Leipzig.



  1. Er spielte dabei auf das Bild der Jungfrau Maria in der kleinen katholischen Kapelle an.
  2. Das Wort arva, wie es hier gebraucht ist, soll Brandy bedeuten; Poofai war einer der größten Häuptlinge der Insel und ein sehr fröhlicher Gesellschafter.
  3. Dies Wort ist jedenfalls aus „Missionär“ verdorben und wird von den Eingeborenen unter verschiedenen Bedeutungen gebraucht; hier jedoch behält es seinen ursprünglichen Sinn.
  4. Ein Wort, das von Fremden gewöhnlich gebraucht wird, um die Eingeborenen von Polynesien zu bezeichnen.
  5. Pomare hatte vor einiger Zeit von der Königin Viktoria einen Wagen zum Geschenk erhalten; dieser wurde aber später nach Oahu, einer der Sandwich Inseln gesandt, und dort verkauft, um ihre Schulden zu bezahlen.
  6. Diese ist vielleicht die herrlichste süße Kartoffel der Welt und erhält ihren Namen von einem District in Peru nicht weit von Cap blane, dessen ganze klimatische Verhältnisse ihrem Wachsthum sehr gedeihlich sind. Die Knolle ist sehr groß und erreicht oft den Umfang einer ziemlich stattlichen Melone.
  7. Wunderbarer Weise herrscht noch diese entsetzliche Unordnung im polynesischen Gerichtsverfahren, wo doch die Missionäre alles Andere den englischen Gerichten gleich eingeführt haben.
  1. Vorlage: Hanolulu
  2. Vorlage: Zurereden
  3. Vorlage: Ehren-