Beiträge zur Gigantostrakenfauna Böhmens
Der größte Teil des Materials, das der vorliegenden Arbeit zu Grunde liegt, wurde mir von Herrn Prof. J. J. Jahn durch die Vermittlung meines verehrten Lehrers, Prof. Dr. V. Uhlig, zur Bearbeitung überlassen. Auch die Herren Prof. Dr. A. Frič und Dr. Jaroslav Perner stellten mir einige recht hübsche Stücke aus dem böhmischen Landesmuseum zur Verfügung. Allen den genannten Herren spreche ich hiemit für ihre Liebenswürdigkeit meinen besten Dank aus.
Bevor ich zur Beschreibung der einzelnen Arten übergehe, möchte ich auf die Schwierigkeiten hinweisen, die sich bei einer Bearbeitung der Gigantostraken Böhmens ergeben. Der Grund dieser Schwierigkeiten liegt vor allem in dem Umstand, daß einigermaßen vollständige Exemplare sich so gut wie gar nicht finden. Man trifft nur Bruchstücke an: Kaufüße, Scherenteile, einzelne Körpersegmente, Fußglieder u. s. w. Unter diesen Umständen ist es oft schwer, einen Schluß über die systematische Zugehörigkeit oder den zoologischen Charakter der einzelnen Bruchstücke zu ziehen. Dies ist nur dann möglich, wenn die vorliegenden Bruchstücke Ähnlichkeit mit vollständiger bekannten Arten aus dem englischen, amerikanischen oder baltischen Silur besitzen. Kann man eine solche Verwandtschaft nicht auffinden, so erübrigt nichts anderes, als die Bruchstücke ungedeutet zu lassen oder provisorische Namen zu wählen.
[50] Am besten scheinen mir zur Arttrennung bei Pterygotus – die meisten Gigantostrakenreste des böhmischen Silurs gehören ja dieser Gattung an – die Scheren geeignet; außer diesen noch die Coxognathiten der Ektognathen. Auch Kopfschild, Metastoma und Operculum würden sich wahrscheinlich gut zur Arttrennung verwenden lassen; aber Reste dieser Körperteile finden sich nur sehr spärlich und sind meist schlecht erhalten. Alle anderen Bruchstücke, wie Endognathen, Körpersegmente u. s. w. sind zur Unterscheidung der Arten sehr wenig geeignet.
Provisorische Arten auf solche Bruchstücke zu begründen, hat nur in dem Falle eine Berechtigung, wenn die betreffenden Stücke sehr häufig gefunden werden. Denn man hat dann den Vorteil, Bruchstücke, die man später findet, besser identifizieren zu können. Alle provisorischen Arten aber haben den Nachteil, daß der, welcher sich nicht näher mit der Gigantostrakenfauna beschäftigt, ein ganz falsches Bild von ihr erhält. Die Zahl der Arten erscheint ihm naturgemäß viel größer als es wirklich der Fall ist.
Ich habe daher in der vorliegenden Arbeit nach Tunlichkeit davon Abstand genommen, solche zur Arttrennung wenig geeignete Bruchstücke mit provisorischen Namen zu belegen in der Hoffnung, daß spätere glücklichere Funde ihre Zugehörigkeit zu bereits aufgestellten Arten ergeben werden.
- Pterygotus sp. Barrande. Syst. sil. I. suppl. Taf. XVII, Fig. 15; Taf. XXXV, Fig. 40.
- Pterygotus Barrandei Semper. Gigantostraken d. böhm. Paläoz., Taf. XII, Fig. 1–4; Textfigur 10, 11.
Semper hat die obige Art auf Grund der Kaufüße aufgestellt, welche sich recht häufig im böhmischen Silur finden und die auch schon Barrande bekannt waren. Auch in dem Material, das mir zur Verfügung stand, sind solche Coxognathiten recht zahlreich vertreten; sie stimmen vollkommen mit der Beschreibung und Abbildung Sempers überein.
Scheren. Auf Taf. XII, Fig. 1, bildet Semper das Bruchstück einer Schere ab; er stellt dasselbe zu Pterygotus Barrandei mit der Begründung, daß es sich auf derselben Platte befand wie ein Endognath dieser Art. Noch ein anderer, triftigerer Grund rechtfertigt die Zuweisung dieses Scherenbruchstückes zu Pterygotus Barrandei. Die Kaufüße von Pterygotus Barrandei und die von Pterygotus anglicus Agassiz (siehe Woodward, Taf. I, IV, VII) sind nämlich sehr ähnlich gestaltet, so daß zweifelsohne eine Verwandtschaft zwischen diesen beiden Arten besteht. Nun weisen die Scheren von Pterygotus anglicus, wie man schon an der Abbildung Sempers erkennt und noch deutlicher an der von mir abgebildeten, vollständigeren Schere sieht, eine weitgehende Ähnlichkeit mit den in Rede stehenden Bruchstücken auf; man muß sie daher wohl zu Pterygotus Barrandei stellen.
Figur 1 auf Taf. IV zeigt eine solche Schere von Pterygotus Barrandei. Im beweglichen Teil der Schere stehen vier mächtige Zähne, von denen der stark gekrümmte Endzahn und der ungefähr in der Mitte des Scherengliedes stehende dritte Zahn am größten sind; letzterer besitzt an dem vorliegenden Stück eine Länge von beinahe 3 cm. Zwischen den vier größeren Zähnen stehen eine Anzahl kleinerer Zähne.
Auch im festen Scherengliede sieht man eine ähnliche Anordnung der Zähne: vier größere und dazwischen kleinere Zähne. Doch reichen diese vier großen Zähne des festen Scherenteiles nicht an die Länge der Zähne hinan, die im beweglichen Scherengliede stehen; dies gilt besonders vom Endzahn.
Die Zähne zeigen die charakteristische, in anastomosierenden Streifen bestehende Verzierung.
Die Scheren von Pterygotus Barrandei haben, wie schon oben erwähnt wurde, eine große Ähnlichkeit mit denen des Pterygotus anglicus; besonders die Abbildung Woodwards (Taf. VII, Fig. 1) zeigt dies deutlich. Wir finden auch bei dieser englischen Art vier große Zähne in jedem Scherengliede, ebenso sind die Scherenenden ähnlich wie bei Pterygotus Barrandei gestaltet. Nur sind die Zähne im allgemeinen stumpfer und plumper als bei der böhmischen Art.
[51] Daß auch das von Semper auf Taf. XII, Fig. 2, abgebildete feste Scherenglied zu dieser Art gehört, erscheint mir zweifelhaft; ich vermisse nämlich den großen Zahn, welcher bei der von mir abgebildeten Schere in der Nähe des Scherengrundes steht.
Operculum. Die Figur 2 auf Taf. IV stellt den Medianlappen des Operculums von Pterygotus Barrandei dar, der mir in mehreren Abdrücken vorliegt.
Dieser Lappen besitzt eine zungenförmige Gestalt und zeigt eine eigentümliche Zeichnung. In der Medianlinie verläuft ein schwach angedeuteter Kiel, der übrigens bei anderen Exemplaren als Furche erhalten ist. Zuweilen ist er beiderseits noch von einem ganz schwachen Kiel begleitet. Außer diesen Kielen bemerkt man zahlreiche Falten. Ein Teil von diesen stößt unter einem spitzen Winkel in der Medianlinie zusammen; die Scheitel dieser Winkel sind gegen das Ende des Lappens gerichtet. Die Falten, die in der Nähe des Endabschnittes des Lappens auftreten, stoßen nicht unter einem Winkel zusammen, sondern divergieren und zeigen die Tendenz einer mehr oder weniger parallelen Anordnung.
Huxley bildet, fälschlicherweise als Epistoma, mehrere Opercula von Pterygotus anglicus ab (Taf. III), denen die oben beschriebenen ähnlich sind. Zwar ist die äußere Gestalt und auch die Anordnung der Falten nicht ganz übereinstimmend. Die Abbildungen Huxleys lassen nur radiär angeordnete Falten am Ende des Lappens erkennen und, was die Gestalt betrifft, so ist das Ende des Lappens mehr gerundet und die Mitte mehr eingeschnürt als bei Pterygotus Barrandei. Doch ersieht man schon aus den Abbildungen Huxleys, daß die äußere Gestalt sehr wechselt. Fig. 7 stimmt übrigens ganz gut mit dem von mir abgebildeten Medianlappen.
Soviel steht aber jedenfalls fest, daß kein Operculum eines anderen Pterygotus mehr mit dem mir vorliegenden übereinstimmt, als das von Pterygotus anglicus. Mit Rücksicht auf die nahe Verwandtschaft von Pterygotus anglicus und Pterygotus Barrandei wird man daher keinen Fehlgriff tun, wenn man die in Frage stehenden Medianzipfel zu Pterygotus Barrandei stellt, wie ich es oben getan habe.
Pterygotus Barrandei hat sich bis jetzt in e1 und e2 gefunden. Die von mir bearbeiteten Stücke stammen von Podol Dvorce auf der Stufe e1β. Barrande hat diese Art aus der Stufe e2 von Dvorec, Semper aus derselben Stufe von Dlouhá hora beschrieben.
- Barrande. Taf. XVIII, Fig. 10.
- Semper. Taf. XII, Fig. 9 und Textfigur 7.
Ohne Bedenken glaube ich, das vorliegende Scherenglied (siehe Textfigur 1) hieher stellen zu können. Von den beiden Zähnen am Scherengrunde ist zwar infolge der schlechten Erhaltung nur einer deutlich zu sehen, aber die Gestalt und Anordnung der übrigen Zähne wie auch der ganze äußere Umriß stimmt recht gut mit der Abbildung Barrandes und Sempers.
An dem von mir abgebildeten Stücke sieht man auch gut das Scherenende; es ist ähnlich gestaltet wie bei Pterygotus buffaloensis Pohlmann und bei Pterygotus bohemicus Barr.
Ein zweites Bruchstück, das mir vorliegt, hat Ähnlichkeit mit Sempers Textfigur 7.
Beide Stücke stammen aus e1β, und zwar von Podol Dvorce.
- Pterygotus comes Barr. Taf. XVIII, Fig. 9.
- Pterygotus bohemicus Barr. Taf. XVII, Fig. 20–24.
- » » » Semper. Taf. XII, Fig. 8 und Textfigur 5, 6.
Kaufüße. Von dieser Art liegt mir eine größere Zahl von Coxognathiten vor. Meistens ist aber nur der interne Teil erhalten. Einige dieser Coxognathiten stimmen mit der Abbildung, die Semper auf Seite 74 gibt, überein. Andere aber weichen davon ab. So zeigt die Zahnreihe nur 14 Zähne, bei einem Exemplar habe ich sogar nur elf Zähne gezählt (siehe Taf. IV, Fig. 3). Dennoch muß ich es hieher stellen und nicht etwa zu Pterygotus Barrandei, dessen Kaufüße 11–12 Zähne besitzen, weil der für Pterygotus bohemicus charakteristische kleine erste Zahn deutlich erhalten ist.
Sehr weicht bei manchen Stücken auch der Vorderrand des internen Teiles ab. Bei der Abbildung Sempers und auch bei zwei Exemplaren, die mir vorliegen, ist er gleichmäßig gewölbt. Bei anderen springt dagegen der Vorderrand sehr plötzlich zu einem Buckel vor, z. B. bei dem von mir abgebildeten Stücke; doch stellt dieses Stück noch nicht den extremsten Fall vor. Zwischen diesen abweichenden Formen und den normalen gibt es Übergänge. Die Zähl der Zähne und die Gestalt des Vorderrandes scheinen also keine konstanten Merkmale zu sein, konstant dagegen ist stets der kleine erste Zahn, der gleichsam nur ein Adventivzahn des zweiten großen Zahnes ist.
Ein solcher kleiner Zahn findet sich, nebenbei bemerkt, auch bei Pterygotus problematicus Salter (Taf. XII, Fig. 12, 13).
Bei einem der mir vorliegenden Ektognathenkaufüße ist auch der Externteil teilweise erhalten. Bei diesem Coxognathiten sieht man auf dem Vorderrande des Intern- und Externteiles bogenförmige Schuppen, wie sie auch Semper abbildet, auf dem Hinterrande des Externteiles dagegen scharf ausgeprägt dreieckige Schuppen, welche ihre Spitze dem Hinterrande zukehren. Der allgemeine Umriß des Coxognathiten stimmt mit der Abbildung Sempers überein.
Zu Pterygotus bohemicus gehört auch Pterygotus mediocris Barr. Ich habe das Original des Pterygotus mediocris, den Barrande auf Taf. XVIII abbildet, in der Hand gehabt. Der fragliche Rest gehört nicht zu einer Schere, wie Barrande angenommen hat, sondern er ist ein Kaufuß, und zwar ein Kaufuß von Pterygotus bohemicus. Die Abbildung Barrandes ist nicht sehr gut. Die fünf kleinen Zähne, die hinter dem ersten großen Zahn stehen, sind nicht etwa so gut auf dem Original erhalten, wie sie die Abbildung zeigt, sondern sie sind abgebrochen und recht undeutlich; sie waren sicherlich ebenso lang wie die folgenden Zähne. Die Zahl der Zähne beträgt wie bei Pterygotus bohemicus 14; auch den kleinen ersten Zahn, der meines Erachtens für diese Art charakteristisch ist, habe ich durch Präparieren bloßlegen können. Die Zähne sind etwas spitziger als bei der Abbildung Sempers; dies gilt übrigens auch für die Zähne der Kaufüße, die sich in dem von mir bearbeiteten Material vorfinden. Ich muß aber hervorheben, daß auch die Zähne des Originals, das der Abbildung Sempers zu Grunde lag, etwas spitziger sind, als die Abbildung erkennen läßt.
Scheren. Das Original der auf Taf. IV, Fig. 4, abgebildeten Schere ist Eigentum des böhmischen Landesmuseums. Prof. Novák hatte es für eine neue Art gehalten und mit dem Namen Pterygotus Barrandei belegt. Das vorliegende Stück, das Novák übrigens nicht veröffentlicht hat, gehört aber ohne Zweifel zu Pterygotus bohemicus Barr.
Charakteristisch für die Scheren dieser Art sind die abgestutzten Scherenenden und die großen, schief gestellten, gesägten Zähne des festen Scherengliedes. Einen solchen gesägten Zahn hat schon Barrande als Pterygotus comes beschrieben und abgebildet (Taf. XVIII, Fig. 9). Auch Semper gibt eine Abbildung von einem solchen Zahne (Taf. XII, Fig. 8) und außerdem von einem Scherenteile (Textfig. 6).
Ebenso wie Semper halte ich den Scherenteil, in welchem die gesägten Zähne stehen, für den festen, und zwar infolge der Analogie mit Pterygotus buffaloensis Pohlmann (Additional Notes, Seite 44 und Taf. III, Fig. 3), der ja mit Pterygotus bohemicus in naher Verwandtschaft steht.
[53] Die Anordnung der Zähne in den beiden Scherenteilen ist recht verschieden.
Hinter dem Scherenende des beweglichen Teiles sieht man zunächst drei kleine Zähne; die folgenden drei sind ungefähr noch einmal so lang als die ersten drei; hinter diesen steht ein mächtiger, über 2 cm langer Zahn; dann folgen wieder drei, etwas über 1 cm lange Zähne und drei kleinere, schließlich wieder ein größerer Zahn, der im Verhältnis zu seiner Länge etwas breiter ist als die anderen. Hinter dem Scherenende des festen Gliedes steht ein etwa 1/2 cm langer Zahn, dahinter zwei kleinere, dann wieder ein größerer und zwei kleinere und das wiederholt sich noch einmal. Am auffallendsten sind aber die zwei großen gesägten Zähne. Der eine ist an dem vorliegenden Exemplar 2 cm, der andere sogar gegen 4 cm lang. Beide Zähne sind auffallend schief gegen das Vorderende der Schere gestellt, der gesägte Rand ist dem Scherengrunde zugewendet.
Noch möchte ich auf die Möglichkeit hinweisen, daß der kleinere der gesägten Zähne sich vielleicht nicht in seiner natürlichen Stellung befindet, wenn er auch ohne Zweifel zu der vorliegenden Schere gehört. Es macht nämlich auf mich den Eindruck, als ob er mit seiner Basis über dem Scherenteil läge und die Streifenverzierung sich auf diesen fortsetzte. Stünde der in Frage stehende Zahn in natürlicher Stellung auf der vorliegenden Schere, dann würde er nicht dem kleinen gesägten Zahn von Pterygotus buffaloensis entsprechen; denn bei diesem steht der kleine gesägte Zahn hinter dem großen, während es hier umgekehrt wäre.
Die besser erhaltenen Zähne, besonders der große gesägte Zahn, zeigen die typische Streifenverzierung. Fast sämtliche Zähne – eine Ausnahme bildet vielleicht nur der große gesägte Zahn – sind sehr spitz. Dies sieht man zwar weniger deutlich an der vorliegenden Abbildung, weil die Spitzen der Zähne eben nicht erhalten sind; ausgezeichnet dagegen bei einem aus dem e2-Kalk von Dlouhá hora stammenden beweglichen Scherengliede.
Mir liegt außerdem noch ein Bruchstück eines beweglichen Scherenteiles aus den e1-Schiefern von Dvorec vor, das zwar in der Anordnung der Zähne ein wenig abweicht, aber gewiß auch hieher gehört. Ein festes Scherenglied von Podol Dvorce (e1β) zeigt große Ähnlichkeit mit der Abbildung Sempers.
Die meiste Verwandtschaft hat die vorliegende Art mit Pterygotus buffaloensis Pohlm., wie wir schon erwähnt haben. Die Scherenenden sind übereinstimmend und auch die Anordnung und Gestalt der Zähne scheint eine ähnliche zu sein; leider gestattet die unzureichende Abbildung Pohlmanns einen näheren Vergleich nicht. Eine gewisse Verwandtschaft mit Pterygotus bohemicus zeigt auch Pterygotus problematicus Salter; er besitzt auch einen großen gesägten Zahn und, wie wir schon früher hervorgehoben haben, auch ähnliche Kaufüße wie Pterygotus bohemicus.[WS 1] Die Scherenenden aber sind abweichend gestaltet.
Pterygotus bohemicus ist bis jetzt in e1β (bei Dvorec) und in e2 (auf der Dlouhá hora und bei Karlstein) gefunden worden.
Was an dem vorliegenden Scherenteile sofort auffällt, ist das eigentümlich gestaltete Ende; dieses ist nämlich gabelig geteilt. Hinter den beiden Gabelzähnen des Scherenendes stehen sechs, wahrscheinlich gleich große Zähne – sie sind zum Teil schlecht erhalten. Der folgende Zahn ist der größte; dahinter liegt ein auffallend schiefer, auch der hinter diesem stehende ist noch etwas schief. Weiter ist das Scherenglied nicht erhalten. Sämtliche Zähne sind ziemlich spitz; auf dem großen sieht man Streifenverzierung angedeutet.
Eine andere Art mit ähnlichem Scherenende ist meines Wissens nicht bekannt. Nur bei Pterygotus punctatus Salter könnte man, nach der Abbildung Fig. 2a auf Taf. XI zu urteilen, eine ähnliche Form vermuten; aber in Fig. 2b ergänzt Salter das Scherenende anders.
Eine ähnliche Anordnung der Zähne findet sich bei manchen anderen Arten, z. B. bei Pterygotus osiliensis Schmidt (Taf. VII) und besonders bei Pterygotus bohemicus. Bei letzterem stimmt auch die Gestalt [54] der Zähne ziemlich überein. Wären die Scherenenden nicht verschieden, so würde ich die vorliegende Art ohne Bedenken zu Pterygotus bohemicus stellen.
Da aber durchaus kein Grund zu der Annahme vorliegt, daß bei Pterygotus bohemicus ab und zu auch Scheren mit gegabeltem Ende vorkommen, so halte ich es für zweckmäßiger, das vorliegende Stück vorderhand als eigene Art zu betrachten.
Der Fundort ist Dlouhá hora (e2).
- Pterygotus problematicus Salter, Taf. XII.
- » » » Semper, Textfig. 12.
Von dieser Art liegt mir ein Scherenglied vor; wahrscheinlich ist es das feste. Die am Grunde der Schere stehenden Zähne sprechen dafür. Nur diese beiden Zähne sind vollständig erhalten; von den übrigen sieht man nur die Anwachsstellen, diese aber sehr deutlich. Das vorliegende Scherenstück ist nämlich in natürlicher Gestalt, als Relief, nicht als Abdruck erhalten. Die Anwachsstellen der Zähne erscheinen als Kreise oder Ellipsen; die Zähne selbst waren daher konisch gestaltet.
Vor den zwei vollständig erhaltenen Zähnen stehen drei kleine, davor ein großer Zahn, vor diesem wieder zwei kleine; hierauf folgt der größte Zahn; die nächsten Zähne sind wieder klein.
Zähne am Grunde der Schere sind von Pterygotus nobilis, Pterygotus ludensis (Huxley und Salter, Taf. XIV) und von Pterygotus problematicus bekannt.
Zu Pterygotus nobilis gehört die vorliegende Schere nicht; denn bei dieser Art sind die in Frage stehenden Zähne gekrümmt. Größere Ähnlichkeit hat sie mit Pterygotus ludensis und besonders mit Pterygotus problematicus. Die Zähne des Scherengrundes sind bei diesen beiden Arten auch gerade, ebenso scheint die Anordnung der übrigen Zähne ähnlich zu sein. Die äußere Gestalt des Scherengliedes ist jedoch nicht übereinstimmend; das mir vorliegende ist im ganzen viel breiter und die Verbreiterung gegen den Scherengrund erfolgt allmählich, während dies bei Pterygotus problematicus und besonders bei Pterygotus ludensis[WS 2] viel rascher stattfindet. Am meisten Ähnlichkeit hat das vorliegende Scherenbruchstück aber doch noch mit Pterygotus problematicus, weshalb ich es in die Verwandtschaft dieser Art gestellt habe.
Das Stück stammt aus dem e2-Kalk von Kolednik.
- Semper, Taf. XII, Fig. 5, 6.
Semper beschreibt als Pterygotus beraunensis den Coxognathit eines Endognaths, der mit dem eines Pterygotus anglicus und besonders mit dem eines Pterygotus arcuatus Salter Ähnlichkeit hat. Mir liegt auch ein solcher Endognath vor, der vollständig mit der Abbildung Sempers übereinstimmt; auch die von Semper beschriebene Struktur der Zähne ist sehr deutlich erhalten.
Zwei andere Endognathen haben auch Ähnlichkeit mit der Abbildung Sempers, eine noch größere aber mit der, welche Huxley gibt (Taf. XI, Fig. 10). Der Vorderrand springt ebenso buckelförmig vor, wie bei dem von Huxley abgebildeten Endognathen, den er übrigens irrigerweise als Ektognath auffaßt.
Bei einem dieser zwei Endognathen bemerkt man (siehe Taf. IV, Fig. 6) recht deutlich eine doppelte Zahnreihe, wie sie z. B. auch Holm von Eurypterus Fischeri Eichw. abbildet (Taf. II, Fig. 5).
An den Zähnen sieht man ganz gut die charakteristische Verzierung der Kauzähne, wie sie sich bei Pterygotus beraunensis findet. Dieser Umstand hat mich vor allem bewogen, auch diese beiden Endognathen zu der obigen Art zu stellen, obgleich der äußere Umriß viel besser mit Pterygotus arcuatus übereinstimmt.
Sämtliche Stücke stammen aus den e1β-Schiefern von Podol Dvorce.
- Pterygotus punctatus Salter, Seite 99, Taf. X, XI, XIII.
- Eurypterus punctatus Woodward, Seite 153, Textfigur 49–51, Taf. XXIX.
Die Abbildung stellt das Bruchstück eines Endognathen vor. Erhalten sind Carpus (c), Meros (m), Ischium (i), Basos (b) und wohl auch ein Teil des Coxognathiten. Die Abgrenzung des Basos gegen letzteren läßt sich nicht erkennen. Die Begrenzung der anderen Glieder gegeneinander ist deutlicher zu sehen. An Carpus, Meros und Ischium bemerkt man auch die Ansatzstellen der charakteristischen Stacheln. Neben dem Ischium liegt, den Hinterrand des Basos etwas verdeckend, ein solcher isolierter Stachel; er zeigt sehr schön die aus feinen, sich verzweigenden Streifen bestehende Verzierung.
Ähnliche, mit Stacheln bewehrte Endognathglieder finden wir auch bei anderen Eurypterus-Arten, z. B. auch bei Eurypterus scorpioides Woodw., mit dem Eurypterus acrocephalus Semper verwandt ist. Es ist daher sehr wahrscheinlich, daß der vorliegende Endognath zu dieser Art gehört.
Das Stück stammt aus der Stufe e1β von Podol Dvorce.
An dieser Stelle sollen einige Reste beschrieben werden, die sich nicht zu den bereits bekannten Arten stellen lassen, die aber auch nicht die Aufstellung neuer Arten rechtfertigen, sei es, weil sie nur in wenigen oder gar nur in einem Exemplar vorliegen, sei es, weil sie für die einzelnen Arten wenig charakteristisch sind und daher für die Artbestimmung überhaupt ungeeignet erscheinen.
1. Metastoma eines Pterygotus. Das auf Taf. IV, Fig. 8, abgebildete Metastoma weicht in seiner äußeren Gestalt ziemlich beträchtlich von den bisher beschriebenen Mundplatten ab. Es ist ziemlich breit; die Breite verhält sich zur Länge ungefähr wie 11 zu 15. Am Vorderrande bemerkt man einen tiefen Einschnitt. Die abgestumpfte Spitze des Hinterendes zeigt eine kurze, seichte Grube [siehe Fig. 9 auf Taf. IV]. Schuppenverzierung, wie sie sich bei anderen Mundplatten findet, ist infolge der schlechten Erhaltung nicht zu sehen.
Ein etwas anders gestaltetes Metastoma befindet sich im Besitze des böhmischen Landesmuseums; es ist leider nicht vollständig erhalten.
Die erwähnten Mundplatten stammen aus Podol Dvorce (e1β).
2. Anhänge des Thorax(?) (Textfig. 2). Solche Anhänge liegen mir in sechs Abdrücken vor. Sie sind gelappt; Gestalt und Anordnung der Lappen ist variabel; der mittlere ist der größte. Die einzelnen Lappen sind mit Falten und Schuppen verziert. Die Falten an den beiden Seitenrändern des zungenförmigen Mittellappens sind ziemlich dicht angeordnet und laufen mit den Seitenrändern ungefähr parallel. Die in der Mitte auftretenden stehen weiter voneinander und stoßen im oberen Teile des Lappens unter einem Winkel zusammen. Weiter nach oben gehen die Falten allmählich in bogenförmige Schuppen über. Auch auf den Seitenlappen sieht man im unteren Teile Falten, im oberen deutliche Schuppen.
Woodward bildet Seite 91 ähnliche Gebilde ab und beschreibt Seite 90 auch eine ähnliche Verzierung derselben.
Der Fundort der oben beschriebenen Körperanhänge ist Podol Dvorce (e1β).
3. Coxognathit eines Pterygotus? (Taf. IV, Fig. 10). Die vorliegende Zahnreihe unterscheidet sich von der Zahnreihe anderer Kaufüße sofort durch die Stellung der ersten zwei Zähne, welche bedeutend tiefer stehen als die übrigen. Die Zahl der Zähne beträgt zehn. Der erste Zahn ist sehr groß und dreieckig; seine Spitze und die Basis der letzten sieben Zähne liegen in einer Linie. Der zweite Zahn [56] reicht nicht bis zu dieser Linie. Auch der dritte Zahn steht noch etwas tiefer als die übrigen sieben Zähne. Diese sind ziemlich gleich gestaltet, stehen in gleicher Höhe und nehmen nach rückwärts an Größe ab. Der Endlappen hat die Breite der letzten zwei Zähne.
Trotzdem die vorliegende Zahnreihe eine so charakteristische Gestalt hat, will ich sie doch nicht mit einem neuen Namen belegen, weil sie nur in einem einzigen Exemplar vorliegt.
Sie stammt von Podol Cementarna aus der Stufe e1β.
Von anderen Fußgliedern, die mir aus e1β vorliegen, wäre vielleicht noch der Propodos des sechsten Fußes eines Pterygotus erwähnenswert.
4. Körpersegmente. Von solchen sind mir die Seitenteile zweier Opercula bekannt; das eine ist dem von Pterygotus bilobus (Woodward, Seite 69) ähnlich, das andere dem einer Slimonia acuminata.
Außerdem liegen mir zwei Segmente vor, die etwa dem achten oder neunten entsprechen, ferner auch ein vorletztes Segment, ähnlich dem eines Pterygotus gigas, anglicus oder ludensis, und schließlich auch ein Telson, das wahrscheinlich zu Eurypterus gehört (Taf. IV, Fig. 11).
5. Kopfreste. Drei verschiedenen Arten, vielleicht auch verschiedenen Gattungen gehören diese Reste an.
Ein Rest hat eine ähnliche Gestalt wie der Kopf einer Slimonia, nur daß der Umriß nicht quadratisch, sondern mehr trapezförmig zu sein scheint. Einige andere Bruchstücke zeigen eine halbkreisförmige Gestalt; sie gehören wahrscheinlich zu Pterygotus; zwei weitere Bruchstücke besitzen einen welliggeschweiften Umriß.
Verwandtschaftliche Beziehungen der böhmischen Gigantostraken mit jenen anderer Gebiete sind nicht bei allen Formen nachzuweisen. Deutlich ausgesprochen ist nur die Verwandtschaft zwischen Pterygotus Barrandei und Pterygotus anglicus, zwischen Pterygotus bohemicus und Pterygotus buffaloensis und endlich zwischen Eurypterus acrocephalus einerseits und Eurypterus punctatus, scorpioides, scorpionis anderseits.
[57] Ob Böhmen manche Arten mit anderen Ländern gemeinsam hat, kann aus dem vorliegenden Material noch nicht entschieden werden. Denn Pterygotus problematicus und Slimonia acuminata, die dabei in erster Reihe in Betracht kämen, haben bis jetzt zu schlechte Reste geliefert, um einen sicheren Schluß zuzulassen.
Die böhmischen Gigantostraken finden sich am häufigsten in e1 und e2 aber auch in d5, f1, f2 und g1 sind Reste gefunden worden. Nähere Angaben über die Fundpunkte der von Semper und Barrande beschriebenen Arten findet man in der Einleitung zu Sempers Arbeit übersichtlich zusammengestellt, so daß ich hier nicht näher darauf einzugehen brauche. Das Vorkommen der von mir beschriebenen Reste ist bei der Beschreibung der einzelnen Arten angeführt und zum Teil auch aus der folgenden Tabelle ersichtlich.
Böhmische Arten | Vorkommen der böhmischen Arten |
Verwandte Arten | Vorkommen der verwandten Arten | |||||
England | Nordamerika | |||||||
e1 | e2 | f1 | U. Silur | O. Silur | U. Devon | O. Silur | ||
Pterygotus | Pterygotus | |||||||
bohemicus Barr. | + | + | – | buffaloensis Pohlm. | – | – | – | + |
aff. bohemicus | – | – | + | » » | + | |||
nobilis Barr. | + | + | – | – | – | – | – | – |
Barrandei Semper | + | + | – | anglicus Agassiz | – | – | + | – |
Beraunensis Sempter | + | + | – | arcuatus Salter | + | – | – | – |
cf. problematicus Salter | + | + | – | problematicus Salter | – | + | – | – |
Blahai Sempter | – | + | – | – | – | – | – | – |
kopaninensis Barr | – | + | – | – | – | – | – | – |
fissus nov. sp. | – | + | – | – | – | – | – | – |
Slimonia | Slimonia | |||||||
cf. acuminata Salter | – | + | – | acuminata Salter | – | + | – | – |
Eurypterus | Eurypterus | |||||||
punctatus Woodw. | – | + | – | – | ||||
acrocephalus Semper | + | scorpioides Woodw. | + | + | – | – | ||
scorpionis Grote u. Pitt. | + | |||||||
Nur die in der vorliegenden Arbeit zitierten Werke sind oben angeführt. Die einschlägige Literatur bis 1892 findet man bei: Vodges; A classed and annotated bibliography of the palaeozoic Crustacea. Occasional papers IV. California Academy of Sciences 1893.
Huxley and Salter: On the anatomy and affinities of the genus Pterygotus. Mem. Geol. Surv. of the United Kingdom. Monogr. I, 1859.
Woodward: A Monograph of the british fossil Crustacea belonging to the order Merostomata. Palaeont. Soc. 1866–1878.
Barrande: Système silurien du centre de la Bohème. Partie I, Vol. I, Suppl. 1872.
Pohlmann: On certain Fossils of the Water-Lime Group near Buffalo. Bull. Buff. Soc. Nat. Sci. Vol. IV, Nr. 1, Buffalo, 1881.
» Additional Notes on the Fauna of the Water-Lime Group near Buffalo. Bull. Buff. Soc. Nat. Sci. Vol. IV, Nr. 2, 1882.
Schmidt: Miscellanea Silurica III: Die Crustaceenfauna der Eurypterenschichten von Rootziküll auf Oesel. Mem. de l’Acad. imp. des scienc. de St. Petersbourg. 7. Serie, Tome XXXI, Nr. 1, 1883.
Semper: Die Gigantostraken des älteren böhmischen Paläozoicum. Beiträge zur Paläontologie u. Geologie Österreich-Ungarns u. d. Orients. Bd. XI, Wien, 1898.
Holm: Palaeontologiska notiser. Geologiska Föreningens i Stockholm. Förhandlingar, 1899.
Fig. | 1.Pterygotus Barrandei Semper | pag. 50 [2] |
Schere. | ||
Obersilur e1β; Podol Dvorce bei Prag (Tschechische Technik in Brünn). | ||
Fig. | 2.Pterygotus Barrandei Semp. | pag. 50 [2] |
Medianlappen des Operculum. | ||
Obersilur e1β; Podol Dvorce (Tschechische Technik in Brünn). | ||
Fig. | 3.Pterygotus bohemicus Barr. | pag. 52 [4] |
Ektognath. | ||
Obersilur e1β; Podol Dvorce (Tschechische Technik in Brünn) | ||
Fig. | 4.Pterygotus bohemicus Barr. | pag. 52 [4] |
Scherenbruchstück. | ||
Obersilur e1β; Podol Dvorce (Museum des Königreiches Böhmen, Prag). | ||
Fig. | 5.Pterygotus fissus nov. sp | pag. 53 [5] |
Scherenbruchstück. | ||
Obersilur e2; Dlouhá hora bei Beraun (Museum des Königreiches Böhmen). | ||
Fig. | 6.Pterygotus beraunensis Semp. | pag. 54 [6] |
Endognath. | ||
Obersilur e1β; Podol Dvorce (Tschechische Technik in Brünn). | ||
Fig. | 7.Eurypterus aff. punctatus Woodw. et acrocephalus Semp. | pag. 55 [7] |
Endognath. | ||
Obersilur e1β; Podol Dvorce (Eigentum des Herrn Direktor Schiffner in Dvorec). | ||
Fig. | 8.Metastoma eines Pterygotus. 1/2 nat. Gr. | pag. 55 [7] |
Obersilur e1β; Podol Dvorce (Tschechische Technik in Brünn). | ||
Fig. | 9.Hinterende eines solchen Metastomas. 1/2 nat. Gr. | pag. 55 [7] |
Obersilur e1β; Dvorce (Tschechische Technik in Brünn). | ||
Fig. 10. | Pterygotus sp. | pag. 55 [7] |
Zahnreihe eines Ektognathen. | ||
Obersilur e1β; Dvorce (Eigentum des Herrn Maixner). | ||
Fig. 11. | Eurypterus? | pag. 56 [8] |
Telson. | ||
Obersilur e1β; Dvorce (Tschechische Technik in Brünn). |
[T4]
F. Seemann: Beiträge zur Gigantostrakenfauna Böhmens. | Taf. IV. |
Kunstanstalt Max Jaffé, Wien. |