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Autor: H. K–g
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Titel: Begegnisse und Erinnerungen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 19–20, S. 256–258, 265–267
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Schilderung von Begegnungen mit prominenten Zeitgenossen
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[256]
Begegnisse und Erinnerungen.
Von H. K-g.
Bulwer. Badeleben.


Vom unfreundlichen Norden eilte ich vor einigen Jahren schnell dem Süden zu, dem Süden des Rheinlandes, wenn man nämlich so kühn sein darf, das Großherzogthum Nassau mit seinem Wiesbaden zu den Rheinlanden zu rechnen.

Ich trat eines Tages in das Hotel zu den „vier Jahreszeiten“ gedachten Badeortes. Es war kurz vor Mittagszeit, weshalb eine Menge Gäste bereits im Speisesaal umherschlenderten, mit stiller Verzweiflung und Raffinement in den Mienen, wie sie am besten die paar langweiligen Minuten todtschlagen könnten, die noch an der Speisestunde fehlten. Diese Gruppen hatten demnach weder etwas Neues noch Befremdendes, um so mehr aber fiel mir eine Anzahl Gentlemans auf, in weißen Cravatten und dito Handschuhen, die sich rasch nach der Thüre wendeten, so oft sich diese öffnete. Die Haltung und der ganze Schnitt dieser Herren verrieth sogleich die Engländer, und die strenge Toilette einen außerordentlichen Empfang oder etwas dergleichen. Plötzlich öffnete sich die Thüre weiter, ich möchte sagen, formeller und umständlicher wie gewöhnlich, und herein schritt ein Mann, dem die Herren im Saale ehrfurchtsvoll entgegentraten und bewillkommneten. Der Eintretende schien ein Mann von Mitte Vierzig. Seine Figur war schmächtig und beinahe groß; die Farbe seines Gesichts blaß und gelblich, das gelockte schwarze Haar an manchen Stellen schon gebleicht. Man setzte sich zur Tafel, und ich war so glücklich, nicht allzu weit von der interessanten Erscheinung zu sein. Ich konnte fast nicht erwarten, bis der Kellner mir die Suppe reichte, um ihn zu befragen, wer der Fremde sei, dessen wahrhaft aristokratisches Wesen, dessen kränkelndes und doch so geistvolles Gesicht mich immer mehr zu fesseln begann. Endlich kommt der Kellner.

„Wie – – –? Ich verstehe nicht!“

„Ein Herr Bulwer – Engländer –“ antwortet der Gefragte.

Also Bulwer – einer der gefeiertsten Männer nächst Charles Dickens, der erste der lebenden Schriftsteller Englands, der Verfasser von Eugen Aram, dem letzten der Barone Pelham, Devreux und einer Unzahl der ausgezeichnetsten Romane, die uns mehr oder minder in das höhere gesellschaftliche Leben jenes Landes einführen.

Der Gentleman erhob sich kurz nach dem Dessert, drückte nach englischer Sitte jedem der anwesenden Landsleute die Hand, und verließ den Saal eben so kalt, ernst und schweigsam, wie er gekommen war.

Es ist ein altes und ziemlich wahres Wort: man soll Dichter nicht essen und trinken sehen, d. h. ihre persönliche Bekanntschaft überhaupt nicht suchen, da bei näherem Umgang oder beim Anblick derselben die Wirklichkeit oft sehr hinter dem Ideal zurückbleibt, das wir uns nach dem Lesen eines Werkes von der Persönlichkeit des Verfassers machten. Bei Bulwer hingegen bestätigte sich die Wahrheit dieses Ausspruches nicht, im Gegentheil könnten wir uns schwer ein vortheilhafteres Bild von einem so aristokratischen Schriftsteller, wie es Bulwer ohne Zweifel ist, entwerfen. Der kalte, stolze Ernst, der auf seiner hohen Stirn liegt, der stets sinnende, zuweilen schmerzvolle Zug zwischen den scharfen Brauen, die kühn gebogene Adlernase, die bestimmten Linien des Mundes, das energische Kinn, alles dies sind Eigenschaften in dem Antlitz des Mannes, welche ihn auch ohne seinen schriftstellerischen Ruhm den Stempel der Bedeutendheit aufdrücken würden.

Noch am nämlichen Tage erfuhr ich zufällig, Bulwer reise nach Genf zu einer persönlichen Zusammenkunft mit seiner Gattin, von der er schon seit längerer Zeit getrennt lebte, und von der sich gerichtlich scheiden zu lassen sein fester Entschluß sei. Ich ahnte damals nicht, später noch die Lady zu sehen, für die ich eben nicht [257] sonderlich eingenommen war, nachdem ich wußte, daß sie von einem solchen Gatten getrennt leben könne.

Das Treiben der Badesaison verwischte auf einige Zeit die Erinnerung an Bulwer’s Erscheinen. – Soll ich dieses Saisontreiben näher berühren? Ich denke, es ist nicht ganz überflüssig, insofern das Publikum die deutschen Bäder meist nur aus bezahlten Zeitungs-Annoncen kennt, welche Alles im rosigten Lichte schildern, ihren Kurort als ein Arkadien oder einen Tempel, die Menschen darin als Halbgötter oder Engel erscheinen lassen. – Das Leben in den Bädern, ich meine hier solche, wo der grüne Tisch die Axe ist, um die sich die Saison dreht, bleibt sich immer gleich – mag die Scene in Baden-Baden, Pyrmont, Homburg oder Wiesbaden spielen. Steigen wir einmal in Baden-Baden ab. – Vor den Spielstunden tödtliche Langeweile. Der Kurplatz ist leer – der Spielpächter geht, die Hände in den Taschen, mit verdrießlichem Gesicht vor dem Saal auf und ab, ein Dandy liegt auf drei Stühlen, sonnt sich und wirft sechs Cigarren in den Staub, ehe ihm die siebente ansteht. Selbst die Natur scheint sich zu ennuyiren, die Sonne zieht Wasser und macht ein schläfriges Gesicht – kurz – wehe dem Fremden, der in einer solchen Spielpause den Kur- oder vielmehr Spielort betritt! Endlich schlägt die erwartete Stunde. Der Dandy auf seinen drei Stühlen erhebt sich, seine schlaffen Züge beleben sich auf einen Augenblick, er zieht die Weste mit einer gewissen Begeisterung glatt, setzt das Lorgnon ein und stiert über die Anlage auf das Portal des nächstliegenden großen Hotels. Auch in den Schau- und Spielwaarenbuden wird’s wieder lebendig, und durch ihre Reihen bewegt sich nach und nach die schöne und die häßliche Welt nach dem Kursaal. Nur wenig Kranke sieht man. Dort erscheint immer einer jener reichen Unglücklichen, bei 17 Grad Reaumur in einen Pelz gehüllt, einen grünen Augenschirm vor dem Gesicht, bis zum Kinn bedeckt und von zwei Dienern geführt, so schleicht die Jammergestalt zur nächsten Bank und setzt sich unter schweren Seufzern nieder. Auch die Rollwagen kommen nach und nach an, darauf mumienartige alte Damen mit großen Roccoco-Fächern, hier ein französischer Exgeneral, vielleicht der berühmte tollkühne Lamoricière, da der greise Maler Horace Vernet am Arme seiner Schwiegertochter. Das sind die wirklichen Kranken. Jetzt kommen die eingebildeten oder spielwuthigen. Ihr Entrée verkündet das Rauschen schwerer Stoffkleider, vornehmes Lächeln, Sprachen in allerhand fremden Zungen.

Unser Dandy mit den drei Stühlen hat indessen seinen Gegenstand erblickt. Im Kavalierschlenderschritt bewegt er sich einer Dame zu, der ein Lohndiener folgt. Mit einem kaum bemerkbaren Hutlüften, die Dame mit einem leichten Neigen des Sonnenschirmes, stehen sie sich einander gegenüber. Der Dandy nimmt dem Lakai den Shawl und eine schwere Cassette ab, reicht der Dame den Arm, und sie steuern dem Spielsaal zu. Beide affektiren hierbei ein langsames Tempo; je näher sie aber der großen Flügelthüre kommen, desto mehr beschleunigen sie unwillkürlich ihre Schritte. Noch ehe sie in den Saal eintreten, empfängt sie der Spielpächter, ein Mann von Welt und einem militärischen Extérieur. Es entspinnt sich zwischen ihm und der Dame folgendes flüchtige französische Zwiegespräch, welches im gemeinen Deutsch ungefähr so klingt:

Sie: „O, wie haben Sie mich gestern wieder behandelt – ist das galant?“

Er: „Madame, verdiene ich diese Vorwürfe – habe ich Ihnen nicht schon seit vier Jahren gerathen, nie ein und dieselbe Karte zu poussiren – Monsieur werden mir das bezeugen.“

Monsieur lächelt statt dessen einfältig.

Sie: (und hierbei schlägt sie den Pächter leicht mit dem Parasol) „Ach, Sie sind ein unverbesserlicher Bösewicht – aber geben Sie Acht, ich werde mich rächen – ich werde Sie sprengen – nicht so, Sir Edward?“

Sie gehen – und der Pächter wirft ihnen einen unzweifelhaft verächtlichen Blick nach.

Es ist in einem Spielsalon eine alte ehrwürdige Sitte, daß man gewöhnlich an diesem oder jenem Fenster ein paar junge Damen sieht, die aufmerksam in einem goldberänderten Buche lesen. Zwei in einem Buche – dies sieht kindlicher, reiner aus als in zweien; dabei tragen sie lange, englische Locken, die nachlässig über das süße Gesicht herabfallen – vollendete Unschuld. Nicht selten steht dahinter eine höchst sittsam gekleidete Matrone, welche die Leserinnen zu überwachen scheint. Diese Damen figuriren meist als Verwandte des genannten Pächters und sind immer – Nichten. Derartige Fensterausstellungen sind für den Neuling berechnet, der in einem solchen Bilde der Harmlosigkeit etwas Vertrauenerweckendes findet und viel beherzter in den Rachen der Spielhöhle läuft, als wenn eine solche Fensterausstellung fehlte. Wir treten in den Spielsaal. Sammet, Seide, schwere Vergoldungen an den Plafonds und Wänden, vergoldete Armleuchter und Lustres imponiren hier dem Auge des Beschauers mit bestem Erfolg. Der Eindruck ist ein ernster, ja feierlicher – und diese Feierlichkeit wird weder durch lautes Sprechen noch durch Lachen unterbrochen – bald hört man das eintönige Geräusch des klingenden Metalls, bald die noch einförmigerern Ausrufe der Nummer der fallenden Kugel auf dem Roulette, oder den überzogenen Karton beim Trente et Quarante. Wir gehen am Roulette vorüber. Hier versammelt sich weniger die Geutre, höchstens sogenannte Zugvögel, Pariser Banquiersfrauen, holländische Blumenzwiebel-Händler, engagementslose Schauspieler, ruinirte Krautjunker und dergleichen. Das Trente et Quarante hingegen ist das auserwählte Spiel der Welt des besten Tons, auch gehört zum Verständniß dieses Spiels eine gewisse Berechnung (wenigstens glaubt man so), während am Roulette jeder Dummkopf sein Glück versuchen kann. Zudem coursirt hier meist nur das miserable Silber, während man dort nur mit Gold und hohen Banknoten manövrirt.

Das schöne Geschlecht ist beim Trente et QUuarante allerdings weniger vertreten, höchstens da oder dort ein paar uralte Damen in Rollstühlen, die bei jedem starken Verluste ein frisches Glas Wasser verlangen und nicht selten an der Bank von Krämpfen befallen werden. Dann rollt man sie ohne Umstände in ein Nebenzimmer, wo sich die betreffenden Erholungsmedicamente vorfinden, und nach einer halben Stunde rollen sie wieder herein an ihren Platz, den sie mit einem Handschuh belegten, und spielen mit todtbleichem Antlitz und zitternder Hand weiter. Nicht so jener junge, in die Höhe geschossene Engländer mit den Manieren und Gesten eines undressirten Jagdhundes. Er ist stark erhitzt, die Cravattenschleife sitzt ihm hinten – er sucht bereits in allen Taschen vergebens – nicht eine einzige Banknote mehr. Er flüstert in schlechtem Französisch einem der Croupiers Etwas zu; dieser wendet sich nach dem Spielpächter – der Spielpächter nickt verdrießlich – der junge Engländer muß enorm reich sein – denn er hat Kredit an der Bank. Nach einer halben Stunde steht er wüthend auf, reißt in der Zerstreuung dem nächstsitzenden Croupier die Schippe aus der Hand, nimmt einen fremden Hut mit und stürzt hinaus. Draußen sieht man ihn eine Stunde lang mit Meilenschritten auf- und abgehen und dann ein Glas Cognac mit Wasser trinken.

Diese Scene berührt indessen die übrigen Spielenden nicht im Mindesten, im Gegentheil, es ist ein Stuhl leer geworden, und ein Stuhl ist viel werth am grünen Tisch. Augenblicklich nimmt ihn auch ein sehr dicker Herr ein, der seit mehreren Stunden keine Karte setzte, sondern mit tiefernstem Blicke sein Pointirtäfelchen durchstach. Er kennt nun den Verlauf des heutigen Spiels, es kann ihm nicht fehlen. Rouge ist vorzüglich – noir sehr veränderlich – – der Bube außerordentlich constant – Madame perfide über die Maßen. – Es kann dem dicken Herrn, wie gesagt, nicht fehlen. Er setzt – richtig – Valet gagne – er doublirt – der Bube gewinnt abermals – schon wirft der dicke Herr einen triumphirenden Blick durch seine goldene Brille im Kreise umher – und siehe da – Madame gagne und – der schlechte Kerl von Bube verliert. Kaum nach einer Viertelstunde verläßt der Kartenstecher seinen Stuhl, den abermals ein Dritter mit Heißhunger einnimmt.

Plötzlich entsteht im Roulettesaal ein ungewöhnliches Geräusch, es wird gezischt, Ruhe geboten, und ein Polizei-Commissar begleitet ein Subjekt ziemlich eindringlich zur Thüre hinaus. Was ist geschehen? Ach, einer jener armen Teufel von Industrierittern hat behauptet, die zwei Gulden auf „rothem Feld“ gehörten ihm, und hat sie ohne Weiteres eingestrichen, um sich damit zu entfernen. Um den Skandal zu vermeiden, hat man ihm das Geld gelassen, jedoch seine augenblickliche Entfernung in’s Werk gesetzt, da man genau wußte, daß er gar nicht pointirt hatte. Dergleichen Zerstreutheiten kommen oft am Roulette, namentlich Sonntags vor, wenn die gemischten Raçen aus den naheliegenden Städten und Städtchen herüberkommen, um auch einmal ihr Glück zu versuchen. Diese Leute mit ihren paar Gulden verfallen stets der Bank, und sind, da es viel Sonntage im Jahre giebt, und an diesen oft Hunderte [258] solcher Zugvögel kommen, eine nicht zu verschmähende Rente, während der kalte, besonnene Spieler, der mit Tausenden der Bank naht, für diese immer eine gefürchtete Erscheinung, da das Glück eine wetterwendische Person ist. Ja, ich habe einen Russen kennen gelernt, der so glücklich und so hoch pointirte, daß er alljährlich von dem Spielpächter ein bedeutendes Abfindungsquantum erhielt, unter der Bedingung, wenn er nicht mehr spiele. Ob er diesen eigenthümlichen Vertrag auf die Länge der Zeit gehalten hat, weiß ich nicht. Uebrigens habe ich, so oft und so lange ich Bäder frequentirte, was weniger aus Neigung, als aus Zufall geschah, nie von einem Selbstmorde eines unglücklichen Spielers gehört, eben so wenig von abenteuerlichen Entfernungen und dergleichen pikanten Affairen – immer nur erbärmliche Schwindeleien – wie Abreisen und den Wirth nicht bezahlen, oder einer verheiratheten Dame den Hof machen und einen Korb erhalten, oder geohrfeigt werden. Also auch von diesen Seiten nichts Romantisches – sondern gemeine, triviale Alltäglichkeit – gerade wie im Leben außerhalb der Bäder, der Aktien- und Börsenepidemie.

[265]
Lady Bulwer.

Bulwer lebte mit seiner Gattin schon seit Jahren auf dem gespanntesten Fuße. Diesem peinigenden Verhältnisse ein Ende zu machen, reiste die Lady auf den Continent, der Gatte blieb in England! Ehe sie von einander Abschied nahmen, wurde ein Pakt geschlossen, da die Lady ebenfalls schrieb, daß keines von beiden Theilen jemals diese ehelichen Verhältnisse selbst unter dem Gewande eines Romans öffentlich berühren dürfe, widrigenfalls die gerichtliche Scheidung, ein in England verpönterer Act als irgendwo, vorgenommen werden solle. Lady Bulwer brach diesen Vertrag – indem sie den Roman: [266] „Cleveley, oder der Mann von Ehre“ schrieb. Wenn ich mich recht erinnere, beginnt die Verfasserin ihre Erzählung unter dem Motto: „Ich schreibe, was ich erlebte und im Innersten fühle!“ In dem Roman selbst erscheint eine unbemittelte Lady, die ohne Neigung an einen geizigen, kalten und stolzen Mann verheirathet wird. Trotz allen Kampfes kann die junge, täglich verletzte Gattin dieses Verhältniß der Qual nicht länger tragen. Sie gesteht dies einst einem jungen Cavalier, den sie früher liebte, und der sie noch liebt. Der Gatte erfährt diese Bekenntnisse – schwört fürchterliche Rache – verstößt sie endlich, und Cleveley, der Mann von Ehre, bietet der Verstoßenen Herz und Hand an. – Dies sind die Grundzüge des Romans.

Bulwer trug hierauf auf Scheidung an, und reiste damals mit seinem Advokaten nach Genf, wo sich seine Gattin aufhielt, um noch eine persönliche Besprechung mit ihr zu pflegen, als ich ihn in Wiesbaden sah. Ob diese Scheidung wirklich erfolgt ist, weiß ich nicht – erklärlich wurde mir aber die außerordentlich ernste, ja angegriffene Stimmung des Dichters, dem jedes Gespräch, ja jede Aufmerksamkeit lästig schien.

Drei Monate nach meinem Aufenthalt in Wiesbaden befand ich mich in Genf.

Genf zieht ganze Colonien aus allen Nationen, namentlich aus England an. Landhäuser, Villen und Schweizerdörfchen vom bunten Gemisch der Fremden belebt, – die Terrasse „La Traille“, von der man die erhabene Aussicht auf den Salève und die savoyischen Alpen genießt, – „St. Antoine“ oder „Place Maurice,“ von dem aus man den glänzenden Spiegel des Sees mit seinen lachenden Ufern und Bergen in unermeßlicher Ausdehnung vor sich sieht, – der schöne „Place de bel Air“ zwischen den Rhonebrücken und dem höheren Theile der Stadt – Alles gleicht einem englischen Park, in welchem Genf das Lustschloß ist. Ueberall die üppigste Vegetation, Wiesen, Felder, Weinberge mit lebendigen Hecken. Die Anhöhe von St. Jean, der Hügel von Saconex, Montbeillant, Rainpalais, Tour des Jardins, Cologny, Roissière und Champol, gewähren die entzückendste Aussicht. Und welch’ ein Schatz von historischen Erinnerungen! Jenes einfache Landhaus, Diotati, bewohnte Englands großer, unglücklicher Dichter, Lord Byron; am Ende des Sees, hart am Ufer, ragen aus den blauen Wogen die Zinnen des alten grauen Chillon, in dem Byron seinen Gefangenen schmachten läßt – das kleine Fernex, der Wohnsitz Voltaire’s, wo er mit seiner Nichte, Madame Denis, sein Leben zu beschließen dachte.

Ich besuchte eines Tages Coppet, wo Frankreichs großer Finanzmann, Necker, starb. – Vor seiner Büste, in tiefem Sinnen, stand eine Dame von imposantem Aeußeren. Bei meinem Eintreten wendete sie leicht den Kopf, und ich gewahrte die edelsten und zugleich stolzesten Züge, bemerkte aber auch leider, daß diese Züge stark mit weißer Schminke belegt waren. Hinter der Dame stand ein junges Mädchen, die auf eine Begleiterin schließen ließ. Wenn man eine Mappe unterm Arme trägt, kommt man selten in Verlegenheit. Ich zog deshalb meinen Bleistift hervor und skizzirte schnell den Kopf des ehemaligen Ministers, um meine Gegenwart weniger lästig scheinen zu lassen – denn die Dame wollte augenscheinlich allein sein, und doch konnte ich nicht umhin, dieselbe mit dem respektvollsten Interesse zu betrachten.

Am andern Tage, als ich aus dem Hotel trat, begegnete mir die junge Begleiterin der Erscheinung von Gestern, und gab dem Portier einen Brief. Ich grüßte unwillkürlich – es entspann sich ein Gespräch, und meine Ahnung hatte mich nicht betrogen – denn die junge Dame war eine Landsmännin, die vor einem Jahre hergekommen war, um sich im Französischen zu vervollkommnen.

Durch Empfehlung trat sie bei einer Dame vom Stande als Gesellschafterin ein – diese Dame war Lady Bulwer – und meiner kleinen Landsmännin verdanke ich die Blicke in das eheliche Verhältniß des englischen Paares, welches, wie wir hoffen wollen, bei so gegenseitigen ausgezeichneten Vorzügen, sich wieder gefunden haben möge.




Marmont, Herzog von Ragusa. Graf Chambord.

Die Anhänger der Bourbonen scheinen eben so rasch an Anzahl wie an Bedeutung abzunehmen. Es war vor ungefähr zwölf Jahren noch ein ansehnliches Häuflein, das sich um den jungen Herzog von Berry schaarte. Ich bemerkte unter Anderen den alten Fürsten Polignac und den noch älteren Ms. Clevy, den Kammerdiener Ludwig’s XVI., mit dem, es kam mir etwas sonderbar vor, eine wahre Abgötterei getrieben wurde.

Der Schwäche seiner Partei bewußt, bewußt der Thatsache, daß sich in Frankreich, so sehr man auch von Fusionen sprechen mag, außer einigen alten Marquis der Faubourg St. Germain, Niemand mehr mit Wärme für die, man möchte sagen, aus der Mode gekommenen Bourbonen interessirt, hat sich auch wohl nur der Herzog, der unter dem Namen eines Grafen Chambord auftritt, mit den Orleans verbunden, oder vielmehr sich ihnen in die Arme geworfen, um nicht völlig isolirt dazustehen. Das heutige Frankreich weiß sehr gut, daß außer Heinrich IV. es den Bourbonen wenig Dank zu schulden und demnach wenig Ursache hat, sich um ihretwillen noch die Köpfe blutig zu schlagen.

Es war im Jahre 1850, als in Regensburg ein sonderbares Fuhrwerk nach dem Gasthof „zum Ritter“ umlenkte. Es war dies ein großer, hochrädriger Wagen aus dem Anfange des Jahrhunderts, in dessen Boden ein riesiger Regenschirm, mit roher Seide überzogen, eingeschraubt war. Unter diesem Wetterdache, das gegen Sonne und Regen ganz vorzügliche Dienste leisten mußte, denn das seidene Zelt überragte auf allen Seiten den Kutschkasten, saß, die übereinandergeschlagenen Hände auf einen Stock gestützt, ein ehrwürdiger Herr von siebenzig Jahren, mit südlichbraunem Teint und eisgrauem Schnurr- und Backenbart. Ohne sich eines Prophetenblicks rühmen zu dürfen, dieser Greis mit den tiefgefurchten militärischen Zügen konnte nichts Anderes als ein französischer Marschall aus der großen napoleonischen Zeit sein. – Es war Marmont, der Herzog von Ragusa, einer der besten Generale des Kaisers, leider aber auch einer der Ersten von Jenen, die ihrem Gebieter in der Stunde der Entscheidung untreu wurden. Der Marschall hat noch kurz vor seinem Tode die Motive seines Abfalls in einem Memorandum niedergelegt – im Jahre 1850 reiste er nach Regensburg, um mit dem Grafen Chambord zusammenzutreffen, der zur nämlichen Zeit im Gasthofe zu den „drei Helmen“ sein Absteigequartier genommen hatte, um dann mit seinem Gefolge und dem kleinen Rest von Anhängern nach Frohsdorf abzugehen.

Kurz nach dem Tode des ermordeten Herzogs von Berry, des Neffen Ludwig XVIII., wurde die Herzogin am 29. September 1820 von einem Prinzen entbunden. Doch weder die Schmerzen der Geburt, noch die Freude, einem Sohne das Leben gegeben zu haben, ließ sie die politischen Rücksichten vergessen, welche sie ihm als einstigen Thronerben des Landes schuldig zu sein glaubte. Sie bestand auf das Herbeirufen unbefangener und glaubwürdiger Zeugen, um die Echtheit dieses Kindes zu beweisen, und erst nachdem dies geschehen, und die Rechtmäßigkeit der Ansprüche ihres Sohnes gegen jeden Zweifel geschützt war, überließ sie sich dem wehmuthvollen Glücke, mit dem der Besitz eines Kindes sie erfüllte, dessen Vater bereits in höheren Regionen seine Heimath gefunden hatte.

Als sie Herrn Deneux, ihren Geburtshelfer zu sich kommen ließ, trat sie ihm ruhig entgegen und sagte: „Ich weiß, daß es bei schweren Entbindungen der Gebrauch ist, der Mutter auf Kosten des Kindes das Leben zu retten. Ob meine Stunde schwer sein wird – wer kann das wissen? – Aber wie dem auch sei, so vergessen Sie nicht, daß das Kind, welches ich zur Welt bringen soll, das Eigenthum Frankreichs ist, und zögern Sie keinen Augenblick, ich beschwöre Sie, und mache Sie dafür verantwortlich, es selbst auf Kosten meines Lebens zu erhalten.“ – Im Exil, im Schlosse Holyrood bei Edinburg, erhielt der junge Herzog seine erste Erziehung.

Von dem männlichen Muthe, von dem, wie uns das spätere Leben der Herzogin Berry zeigt, abenteuerlichen Wesen der Mutter scheint der Sohn nichts geerbt zu haben. – Ich sah einen großen, beleibten, blonden jungen Mann, mit kleinen sanften Augen, energielosem Munde und zurückliegendem Kinn; dazu eine starke, gebogene Nase, und man hatte ungefähr ein Bourbonen-Gesicht vor sich. Einer großen, kühnen, entscheidenden That, wie sie der vollziehen muß, wer sich ein Land, einen Thron wieder erkämpfen will, schien mir der junge Prätendent nicht fähig.




Metternich.

Professor R., der Architekt des Fürsten, lud mich eines Tages ein, dessen Hotel zu besuchen.

[267] Ich habe die Straße vergessen, denn Wien hat viele Straßen, wo das Palais liegt, über dessen Portal mit großen goldenen Lettern der Name „Metternich“ steht. Wir konnten nur flüchtig alle Säle durchwandern. In einem waren die Marmorbüsten fast sämmtlicher europäischer Monarchen, ein anderer enthielt Portraits, unter denen mir die Bildnisse der verstorbenen Fürstin und Wellington’s, beide von Lawrence gemalt, am meisten auffielen. Kurz vor seinem Tode hatte der eiserne Herzog dem Fürsten sein Bildniß geschenkt. In einem andern Saale, auf einer großen Tafel unter Glas, befanden sich die Orden des Staatsmannes – zuletzt trat ich auch in sein Studirzimmer, in dem der Arbeitstisch Napoleon’s stand.

Mein gütiger Führer hatte dem Fürsten zu sprechen. Wir durchschritten einen Theil des Parks, ehe wir in ein Gartenhaus im italienischen Geschmack gelangten, vor dem mehrere der seltensten Papageien in vergoldeten Käfigen prangten. Professor R. lud mich ein, mit in’s Vorzimmer zu treten, und ich hatte eben noch Zeit, durch die Spiegelscheiben den berühmten Staatsmann an seinem Pulte zu sehen, mir den Rücken zugekehrt. Ist das Metternich? dachte ich bei mir; diese aufrechtsitzende, hohe Gestalt, die ich mir klein und gekrümmt vorgestellt hatte? Ich sollte bald darauf noch mehr überrascht werden.

Das Empfangszimmer war mit Statuetten, antiken Waffen, Schilden und ausgegrabenen römischen Geräthschaften geschmückt. Ich hörte im Zimmer des Fürsten sehr laut sprechen, und unterschied natürlich dessen Stimme sehr deutlich. Plötzlich öffnete sich die Thür. „So kommen Sie doch herein“ – trat mir der Fürst entgegen. Meine Toilette, die auf einen solchen Besuch durchaus nicht gerüstet war, setzte mich einigermaßen in Verlegenheit. Der Fürst bemerkte dies, und fügte lächelnd hinzu: „ich sehe auf Dergleichen nicht.“ Die Unterredung dauerte, wie sich von selbst versteht, nicht lange, und ich durfte mich nach wenigen Minuten empfehlen.

Ueber die politische Bedeutung dieses außerordentlichen Mannes nur ein Wort fallen zu lassen, wage ich nicht. Ich will nur versuchen, den äußern Menschen zu schildern, wie ich ihn damals sah. Der Fürst ist sehr groß und breitschulterig gebaut. Sein Kopf hat einen überaus klugen und listigen Ausdruck. Der Blick des Auges verräth die durchdringende Schärfe seines Verstandes, die Linien um den Mund die nie beirrte Ruhe des Diplomaten, der einst, vielleicht noch jetzt, die politischen Fäden halb Europa’s zusammenhielt und leitete. Die Augenbrauen sind stark und hochgeschweift, die Stirn schmal und hoch, das Haar weiß und in streng-stylisirtem Schwung, wie man gewöhnlich Goethe’s Haar auf seinen Büsten sieht. So erschien mir der Fürst vor vier Jahren.

Metternich soll noch jetzt täglich gegen dreißig Briefe schreiben. Er hat wohl seit zehn Jahren keinen Fuß mehr auf die Straßen Wiens gesetzt, so daß ihn viele Wiener von Person nicht kennen würden, ließe seine ganze Erscheinung nicht etwas Außergewöhnliches vermuthen, wenn er dann und wann im Wagen gesehen wird. Die mächtigsten Herrscher, besonders der verstorbene Czaar von Rußland, unterließen es nie, in seinem Hotel abzusteigen, so oft sie nach Wien kamen und, hat man nur einmal den greisen Staatsmann gesehen, darf man überzeugt sein, daß ihn auch dann keinen Augenblick das stolze Bewußtsein seiner Weltstellung verließ.

Als der Fürst von der Flucht Louis Philippe’s hörte, soll er nur gesagt haben: „Das ist schlimm für uns.“ Als er die Nachricht vom Tode Wellington’s, seines persönlichen Freundes, erfuhr, soll er leise vor sich hin gesprochen haben: „So – – –.“ Diese stoische Ruhe, ohne die allerdings ein großer Diplomat nicht leicht denkbar, verließ ihn auch nicht in einem jüngst so verhängnißvollen Jahre. Zur herbeigerufenen Dienerschaft sagte er: „Geht, Kinder, ich kann Euch weder mehr behalten, noch schützen.“

Die Vorsehung wollte es aber anders!