Textdaten
Autor: Adolf Ey
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Titel: Bastel Löwe
Untertitel: Eine Harzgeschichte aus dem Dreißigjährigen Kriege
aus: Allgemeiner Harz-Berg-Kalender für das Jahr 1922 S. 14–19
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[14]
Bastel Löwe.
Eine Harzgeschichte aus dem Dreißigjährigen Kriege.
Von Adolf Ey-Waldhausen.


     „Dos ist mei Wallach! Pfuten wack, sisten gitt’s was!“.

     Mit einem Spannholz, das er von seinemzweirädrigen Karren gerissen hatte, stand er vor seinem Pferde. Ein Dutzend Reiterknechte drängten sich um ihn. Sie hatten ihren grimmen Spaß an dem Jungen.

     „Der Gaul ist mein,“ sate der Anführer. „Spann Dich selber vor Deinem Karren! Weg da!“

     „Dos ist mei Wallach!“ sagte der Junge so forsch, wie er konnte, aber doch bebte schon etwas wie Tränen darin.

     „Pack Dich, Du Harzkümmel!“ rief Hillefeld – so hieß der Parteigänger, der in den Diensten [15] des Herzogs Christian von Braunschweig stand – „Kerls, greift zu!“

     Sie wollten an den Gaul, da holte der Junge aus, und einer von den Knechten ließ den erhobenen Arm wie gelähmt mit einem Fluche niederfallen.

     Im Nu stürzten sich etliche auf den jungen Fuhrmann. Sie rissen ihn zu Boden.

     „Die Hosen runter!“ befahl Hillefeld, und nu Frischwachs!“

     Keiner wollte da zurückstehen. Sie drängten sich um den Unglücklichen. Jeder kam daran. Das klatschte. Zuletzt floß Blut; denn mancher schlug mit der Säbelklinge, mit des Jungen eigenen Peitschenstiel, mit Rute und Stock.

     Der Arme brüllte vor Schmerz. Zuletzt winselte er nur noch, dann war er ganz still, totenstill.

     Hillefeld befahl den Gaul auszuspannen, und die Rotte zog damit durch die Freiheit nach Osterode zurück, wo sie ihr Quartier aufgeschlagen hatte.

     Es war nur gut, daß Bastel Löwe, den sie da für tot liegen ließen, nicht zum ersten Male vergerbt war. Sein Vater, ein Harzer Bergfuhrherr, hatte noch, wie der alte Bergmann Luther, den Stock als erstes Erziehungsprinzip. Auch Bastel war nicht selten, wie der junge Martin, an einem Tage siebzehnmal mit Kuten gestrichen. Da bildete sich denn eine feste Haut, ein Leder, das den unmenschlichen Hieben der Reiterknechte zwar zuletzt doch nachgegeben hatte, aber tot war Bastel nicht.

     Nach einer Weile erwachte er aus seinem Schwächezustand. Er suchte sich zu setzen, gab es aber jammernd sofort wieder auf. Sein Wallach war fort. Was machen?

     An dem Hohlweg, der von der Freiheit, Osterodes Vorstadt auf die Berge hinaufführte, floß ein klares Wässerchen. Er schleppte sich dahin, wischte sich das Blut ab und fühlte seine geschwollenen brennenden Schenkel. Das tat wohl. Was an der Lederhose noch heil war, zog er hoch. Langsam und stöhnend stieg er den Berg hinauf.

     Spät abends kam er nach Clausthal. Oben an der Osteröderstraße, dem Schützenhause schräg gegenüber, hatte der alte Löwe Haus und Pferdestall. Dem Jungen graute. Er war ja schon zwanzig Jahre alt, stark und groß, so seine sechs Fuß drei Zoll. Aber den alten saß noch immer das Handgelenk lose. Was sollte er sagen, wenn er ohne den Wallach nach Hause käme? Der jähzornige Fuhrherr ließ ihn garnicht ausreden. Wirr im Kopf von der Prügel, von dem mühseligen Marsch und nicht zum wenigsten vom Denken, trat der Junge in die Stube.

     „’n Omd, Voter!“

     ’s is ju all stickedunkel,“ brummte der Alte. „Nischt passiert? Wu hoste dn Wallach?“

     „Dr Wallach hot – hot – ge – fuhlt!“

     Ja, wie war er darauf gekommen? Na, dies war so gut, wie wenn er in seiner langsamen Art angefangen hätte, von Hillefeld und seinen Reitern zu berichten. Weit wäre er damit nicht gekommen. So viel Geduld hatte der Alte nicht.

     „Wos? Biste besoffen oder biste verrickt?“

     „Iche bin nichtern.“

     „Wu is dr Wallach, frog ich.“

     „In Osterud, Voter!“

     „Bei wan?“

     „Bei dan verfluchten Hillefald!“

     „Bengel, Du liegst!“

     Der Alte griff nach seinem Stocke.

     „De Hus runner!“

     „Do!“ sagte der Junge. „Nu sah har sich dan H ...... ahn!“

     Der Alte fuhr zurück. Das war ihm sogar zu bunt.

     „Mei Fläsch un Blut! War hot dr dos getahn?“

     Stockend erzählte der Junge, wie Hillefeld und seine Reiter ihn auf der Rückfahrt von Osterode gestellt, ihn verhauen und den Wallach mit sich genommen hätten.

     Der Alte war außer sich vor Wut. Gegen seine Gewohnheit sprach er sanft mit seinem Sohn. Mutter mußte mit Öl den Jungen einreiben und ihm Brot und frische Schmorwurst auftragen, auch einen Buttel Dünnbier. Den Schnapphahn, den Wegelagerer, den Pferdedieb, den Bluthund, den Hillefeld wollte er gleich morgen beim Kanthagen kriegen. Der sollte den alten Bastel Löwe kennen lernen.

     „Braver Bastel! Verhalte Dich nur still! Freue Dich, wenn der Hillefeld nicht zu Dir von Osterode heraufkommt! Noch saß man ja sicher in Clausthal. Was für Kriegsvolk hätte sich auf die rauhen Berge, in die finstern Tannenwälder gewagt! Was war da oben zu holen? Gras und Tannenzapfen, aber auch – Silber und Blei.

     Da unten im Lande ging’s schon im Jahre 1623 toll her. Osterode hatte den Übermut des Krieges erfahren. Wollte da am 4. des Brachmonats ein Korporal, namens Kasper Pflug, vom Regiment Herzog Friedrichs von Sachsen-Altenburg, der unter Herzog Christian von Braunschweig über 1000 Mann das Amt eines Obristen verwaltete, aus Osterode nach dem Lager zurückreiten. Er kam aber mit der Wache am Tore in Wortwechsel und sogar in Schlägerei. Der Korporal brachte es bei seinem Obristen an, als ob er von der Osteroder Wache angefahren, gestoßen und geschlagen sei; ja [16] er setzte hinzu, daß sie die von des Obristen Regiment für Straßenräuber, Hahnenfedern und leichtfertige Schelme gescholten, auch Herzog Friedrich selbst ehrenrührig angegriffen hätten.

     Daraufhin ließ der Obrist harte Briefe an die Stadt abgehen. Er drohte mit Rächung des angetanen Schimpfes, wollte sich aber zuletzt mit 15000 Talern abfinden lassen. Burgemeister und Rat entschuldigten sich aufs beste: sie hätten nichts davon gewußt, eine peinliche Untersuchung sei angestellt, aber nichts ausfindig gemacht; sie bäten demütig um Erlaß der unerschwinglichen Geldesmenge. Allein Herzog Friedrich bestand auf seiner Forderung. Da schickten ihm Burgemeister und Rat zwei Stückfaß Wein und einen Becher mit zweihundert Goldgulden und waren heilfroh, als damit die Sache beigelegt war.

     Überall streiften Kriegsleute umher. Die Dörfer wurden ausgeplündert, Hattorf niedergebrannt. Da packten die Bauern, auch Osteröder, ihre Habseligkeiten auf Karren und zogen mit Pferden und Kühen auf den Harz hinauf. Dort glaubten sie in Sicherheit zu sein.


     Der junge Bastel hatte eine gute Heilhaut. Zwei Tage lag er herum, am dritten fuhr er wieder Holz, und am vierten, einem Sonntag, ging er nach Buntenbock. Im weißen Fuhrmannskittel, gelber Lederhose, gelben Gamaschen, auf dem Kopf die breite Mütze mit Schirm, sah er gar stattlich aus. Er ging am Schlagbaum vorbei über die Wiesen. Das Gras stand hoch, denn die Ernte war nahe.

     Dieser Duft, der aus dem Grase aufstieg, und diese Blumen und Blüten! Und da drüben die stillen Teiche, dahinter die unendlichen Tannenwälder, darüber der lange, lange Bruchberg, und dann in bläulichem Duft die breite runde Kuppe des Brockens!

     Ob er diese Herrlichkeit sah und empfand? Bewußt auf keinen Fall. Als er an einer Wiese seines Vaters kam, rechnete er aus, wie viele Säume Heu jie diejes Jahr bringen könnte. Seine Gäule waren sein Leben. Zwar doch noch etwas anderes, über das er sich nur nicht klar war, wie er denn überhaupt nur über weniges klar war.

     Ja, er ging auf die Freit, oder, wie sie in Clausthal sagten, er stiefelte nach des alten Kurd strammem Mädel, der Anna. Kurd war ein Fuhrherr wie sein Vater, nur daß die Löwes Oberdeutsche und Kurd wie alle Buntenböcker Plattdeutsche waren. Wenn auch Buntenbock nur eine halbe Stunde von Clausthal liegt, so konnten sich die beiden doch immer am besten verständigen, wenn sie eine Art Messingsch sprachen. Es war das Deutsch, das sie beim Schulmeister lernten. Ehen herüber und hinüber waren selten, kamen aber doch mal vor. Die Buntenböcker unterschieden sich von dem fränkischen Bergmannsvolke in Sprache, Tracht und Gewohnheiten.

     Bastel hatte ein Auge auf die Anna geworfen.

     Eines Tages war sie zu seiner Mutter gekommen, die Kiepe auf dem Rücken, den Beiderwandsrock bis über die Knie geschürzt, ein buntes Tuch um das volle blonde Haar. Sie hatte die Kiepe auf die Bank gesetzt. Ihr Vater hatte sie mit einer Bestellung geschickt. Die Mutter war über die dralle hübsche Person in einer Verwunderung. Sie konnte sich an ihrem rosigen Gesicht nicht satt sehen und an ihren drolligen Platt nicht satt hören. Im Nu gewann sie das Mädel lieb, und als ihr Sunge hinzukam, da sagte sie lachend:

     „Bastel, wenn ich Du wäre, gäb ich der Anna ’nen Kuß.“

     Denken war Bastets schwache Seite, aber das schien ihm einleuchtend. Das Mädel wollte entspringen. Es rannte die Treppe hinauf. Er hinterher, und in einer Ecke der elterlichen Kammer faßte er sie. Nur so obenhin berührte er mit seinen Lippen ihre volle Wange, dann brannte ihm seine. Die verstand’s: Die Hand konnte mal wirtschaften. Seitdem stiefelte er nach ihr.

     Er ging über die Wiesen auf einem schmalen Pfad. Ueber ihm wirbelten die Lerchen, um ihn summten die Bienen, brummelten die Hummeln, und aus dem Grase stieg ein kräftiger frischer Duft. Am Hasenbach entlang trat er in den Tannenwald. Zuerst standen da in ihren hellen, leuchtenden Spitzen lauter junge Bäumchen, dann ragten die rauhen narbigen Stämme der Fichten wie Säulen empor. Die maß er mit geübtem Auge, ob sie bald fällig wären. Er war ja ein Holzfuhrmann.

     Ein Reh äugte ihn an, da klatschte er in die Hände und lachte, wie es über einen tiefen Graben setzte, dann lichtete sich der Wald, und die grauen Schindeldächer von Buntenbock lugten aus dem Grün der Wiesen vor dem dunklen Hintergrund des Klausberges hervor.

     Es war Sonntag, aber doch regte es sich um die Häuschen wie in einem aufgewühlten Ameisenhaufen. Männer, Frauen und Kinder, alles faßte an. Sie zogen und schoben an den Heu- und Höhlenwagen, an den Holzkarren und Schlitten, ja hie und da an dem Gehäuse einer Kalesche. Die Deichseln wurden in einander geschoben, eine fest in sich geschlossene Wagenburg. An Lücken, die nicht mit Fahrzeugen verschränkt werden konnten, wurden Wall und Graben aufgeworfen. Nur wo die Innerste den Grund zu Morast machte, da wurde nicht geschanzt. Das Wässerchen, das dort unter Vater Kurds Kuhstall seine Wiege hatte, sollte sich selbst schützen. [17]      Bastel sah diese Vorkehrungen mit offenem Munde. Nur mit Mühe fand er die Lücke in dem Ring, durch die er in den Ort eindringen konnte. An einer Dachluke stand ein Mann mit einer Hakenbüchse.

     Keiner kümmerte sich um den jungen Fuhrmann. So kam er bis Kurds Haus. Auf der Diele traf er Anna. Drei Feuerrohre standen an die Wand gelehnt. Sie machte sich mit ihnen zu schaffen, putzte sie, nahm sie auseinander, setzte sie wieder zusammen, lud sie, schüttelte Pulver auf, kurz handhabte sie wie ein gelernter Doppelsöldner. Bastels Ankunft störte sie nicht.

     „Glick auf, Junfer Anna!“

     „Dag ak, Musche Bastel!“

     „Wos willse denn mit de Bichsen?“

     „Dotscheiten, wer mek anröhren deit. Ek lat mek nich traktieren, wie den ollen Löwe sin Sähn.“

     Bastel wurde rot vor Scham und Ärger.

     „Kimmt der Hillefald rauf, ich schlahne tut.“

     „Musche Bastel,“ sagte das Mädchen, „der Hilefeld kümmt.“

     Und nun wischte sie sich die Hand an der Schürze ab, gab sie ihm, und erzählte, weshalb Buntenbock sich rüstete.

     Flüchtige waren von Osterode zu ihnen gekommen über Lerbach und den Klausberg, und einer, der erst heute morgen eingetroffen war, hatte gemeldet, daß der berüchtigte Parteigänger Hillefeld – Bastel kenne ihn ja – mit 100 Reitern heranrücke. In einem Wirtshaus auf der Freiheit hatte der Mann gehört, wie die Reiter von den Silbergulden prahlten, die sie in Clausthal einsacken wollten. Buntenbock habe ja keine Silbergulden, liege auch seitab, aber ihr Vater habe doch gemeint: es wäre das sicherste, eine Wagenburg zu schlagen und sich auf jeden Fall vorzusehen. Auf seinen Rat hörten alle, und sein Schuß ginge nie fehl; deshalb hätten sie ihn zum Anführer gewählt.

     „Un Sie, Junfer Anna!“ fragte Bastel.

     „Ek helf min Vadder!“ sagte das Mädel.

     Der junge Fuhrmann schwieg erst, dann wollte er, sie soll mit ihm zu seiner Mutter gehen. Anna aber wehrte ab: hier wäre es sicherer wie in Clausthal, und ihren Vater verließe sie nicht. Und ob der Hillefeld überhaupt käme? Es wären vor der Hand doch nur Gerüchte. Ihm aber riet sie, die Stadt zu alarmieren und darauf zu achten, daß seiner Mutter kein Schaden geschehe.

     Bastel sah ein, daß sie recht hatte, aber ehe er ging, bat er sie um einen, um den ersten Kuß; der andere war ja nichts gewesen, und die Dachtel, die sie ihm versetzt hatte, mußte doch wieder gut gemacht werden.

     „Musche Löwe,“ sagte das Mädel, „sei ek öhne wedder, un is hei en Keerl west, na – Adjüs!“

     Sie trug die Büchsen die steile Treppe hinauf, und Bastel ging nach Haus.

     Über die Wiesen suchte er den Weg nach dem Ziegelkrug. Auf dem Fahrweg traf er einen Haufen Menschen, die mit Schreien und Schlagen ihr Vieh vor sich her trieben. Auch ein Pferd hatten sie, das lahmte und konnte kaum den Karren mit Hausrat weiterziehen. Bastel hielt es an, untersuchte den kranken Huf und fand, daß es in einen Nagel getreten war. Geschickt zog er das rostige Ding heraus. Der Bauer war ihm dankbar und erzählte, daß der Hillefeld ihnen auf den Fersen wäre. Er wußte allerlei Greueltaten von ihm zu berichten, die er an Wehrlosen verübt habe. Dabei ließe sich ihm nichts antun; denn er sei fest. Keine Kugel könne ihm auch nur die Haut ritzen. Das habe er von einem seiner Reiter selbst sagen hören.

     Da glaubte Bastel, daß es Eile habe, und lief den Flüchtigen voraus. Schon bei den Teufelslöchern hörte er die Sturmglocke. Als Kind hatte er sie nachts gehört, wenn es brannte, auch ein paarmal bei Tag, wenn die wilden Wasser gingen, dann gestellten sich die Bergleute auf dem Markt und zogen mit ihrem „Gezäh“ nach dem bedrohten Ort.

     Vor dem Schlagbaum wurde schon geschanzt. Hagen wurden aufgeworfen an den Zugängen zu der offenen Stadt. Schützen stellten sich zur Wache dahinter. Die Frauen liefen jammernd umher. Ihre kostbaren Sachen trugen sie in der Schürze und suchten, wo sie den Schatz verbergen könnten.

     Bastel kümmerte sich nicht darum. Er stieg auf seines Vaters Kammer. Da stand eine gute Hakenbüchse. Sie war lange nicht gebraucht. Der Junge nahm sie aus dem Eckständer und, wie er es bei Anna gesehen hatte, reinigte, putzte und lud er das Gewehr. Eine Bleikugel nahm er aber nicht.

     „Har is fest,“ sagte er halblaut zu sich selbst.

     Was nun? Er grübelte. Da fiel sein Blick auf einen eichenen Stock. Der war nicht zersplittert, wie die Fichten und Buchenknäste, mit denen ihn der Alte bearbeitet hatte. Das Holz war hart wie Stein. Im Stall sägte er das Ende ab, spitzte es mit einem Beil und härtete es obendrein im Kohlenfeuer. Dann stieß er es in den Lauf hinein.

     In der Nacht ging keiner zu Bett; denn der Hillefeld konnte jede Minute eintreffen. Der alte Löwe tobte im Hause umher, wußte aber nicht recht, was er wollte. Er dachte nicht einmal an die Büchse, die fein Junge mit auf die Dachkammer genommen hatte.


     Am Morgen meldeten die Wachen: man habe nach Buntenbock hin Schießen gehört. Es habe [18] aber nicht lange angehalten. Und da kamen die Reiter, ein dichter, grimmiger Haufe, auf der Landstraße daher, Hillefeld voran. Vor dem Schlagbaum hielten sie. Die Läufe einzelner Büchsen drohten durch Löcher hinter den Hagen. Aber ehe es zum Schießen kam, wollten Richter und Rat der Stadt verhandeln.

     Wider Erwarten waren die Forderungen des Parteigängers so, daß der Rat geneigt war, die Reiter einzulassen. Er fürchtete zu sehr den Herzog Christian von Braunschweig, in dessen Dienst Hillefeld stand.

     Wie kam es denn, daß dieser Buschklepper anscheinend so sanft auftrat?

     Im ersten Morgen dämmern waren sie über den Heiligenstock nach dem Ziegelkrug geritten. Da sahen sie das Dörfchen Buntenbock. Dem Hillefeld schien das eine leichte Beute. Er ließ also seine Reiter am Fuß des Klausberges herumreiten.

     Als sie näher kamen, bemerkten sie die Wagenburg. Sie stutzten, aber Hillefeld vermutete dahinter keinen ernsten bewaffneten Widerstand. Er schickte zehn seiner Leute vor. Fast sorglos näherten sie sich dem Orte. Drei von ihnen ritten auf der Wiese, durch welche die Innerste sickert. Nichts rührte sich vor ihnen. Jetzt waren sie dreihundert Schritt von dem nächsten Haus entfernt, jetzt zweihundert, und jetzt nur noch hundert. Ein Gaul konnte die Beine nicht mehr aus dem Morast herausziehen, da krachte ein Schuß, der Reiter schwankte, und das Wasser platschte, als sein Körper hineinplumpste. Ein anderer Reiter wollte ihm zu Hilfe, aber auch er saß fest und des alten Kurd sichere Kugel holte ihn aus dem Sattel wie den Kameraden. Der dritte wäre gern umgekehrt, aber sein Gaul war durch die Schießerei wild geworden und trug ihn bis dicht vor die Wagenburg, wo er das Schicksal der anderen teilte.

     Hillefeld hatte sofort auch seinerseits ein Feuer auf das todbringende Häuschen eröffnen lassen. Das Dachkammerfensterchen hatten sie sich gemerkt, aus dem der Pulverblitz dreimal geschlagen war. Dorthin richteten sie ihre Läufe. Kurd feuerte ruhig weiter, aber da die Reiter sich ferner hielten, sah er ein, daß es nur Pulververschwendung sei. Man mußte mit der Munition vorsichtig umgehen.

     Daß er so rasch schießen konnte mit den unbeholfenen Büchsen, verdankte er seinem Mädel. Anna stand hinter ihm, lud die Gewehre und reichte sie dem Alten, ohne daß er sich umzudrehen und den Feind aus dem Auge zu verlieren brauchte.

     „Se rieten ut,“ sagte Kurd, „wi hewwen wunnen.“ Damit drehte er sich nach seiner Tochter um. Anna lag regungslos auf dem Boden, eine Büchse hielt sie noch krampfhaft in der Hand. Der Alte beugte sich erschreckt über sie. Der linke Oberarm blutete. Rasch riß er den Ärmel ab und untersuchte die Wunde, wie ein gelernter Feldscher. Als Junge war er ein paar Jahre mit den Landsknechten gelaufen und hatte da gesehen, wie man Wunden behandelt. Unter der Berührung seiner Hände erwachte das Mädchen.

     „Nich röhren, mien leiw Kind!“ sagte der Alte fast zärtlich.

     Sie wollte sprechen, sank aber wieder in Ohnmacht. Da nahm sie kurd auf seine Arme und trug sie auf ihr Bett.

     Von alledem ahnte Bastel nichts, als er von seinem Kammerfenster auf die Straße, auf den Hillefeld und seine Reiter, auf Richter und Ratsmannen von Clausthal sah. Der Schlagbaum war hochgezogen, und trotzig wie ein Sieger ritt der Verhaßte in die Stadt ein. Der Richter ging neben seinem Gaul, und der Gaul – das war ja der Wallach! Das Tier wieherte, als es so nahe seinem Stall kam. Auf einmal wollte er nicht von der Stelle. Die Kavalkade hielt.

     Bastel hörte nur, wie Hillefeld zu dem Richter sagte: „Euch geschieht nichts, aber Buntenbock wird morgen niedergebrannnt, so wahr ich diesem verfluchten störrischen Gaul ...“

     Er riß an dem Zaum und gab dem Tiere die Sporen. Da knallte ein Schuß. Ein qurgelnder Laut drang aus des Grimmigen Kehle. Der Eichenpflock aus Bastels Büchse war ihm in den Hals gedrungen. Wie um sich von seinem Räuber zu befreien, warf das gepeinigte Pferd den Reiter auf die Straße und trabte in Löwes Torweg hinein.

     Richter und Rat standen bestürzt und angstvoll um den Toten. Jetzt mußten die Reiter über sie herfallen und sie niedermetzeln; denn dies war ja eine offenbar verräterische Falle gewesen. Schon wandten sie sich an die Knechte, um ihre Unschuld zu beteuern, da, wie auf Befehl, machte der Haufe kehrt, und Bastel mußte fast lachen, als er sah, wie jeder der erste aus dem Schlagbaum heraus und auf der freien Landstraße sein wollte. Dann ritten sie, ohne umzuschauen, an den Teufelslöchern, am Ziegelkrug, am Heiligenstock vorbei, und rasteten erst, als sie in der Freiheit bei Osterode anlangten.

     Schon der Verlust ihrer drei Kameraden, und daß auf Hillefelds Befehl, dem es auf eine Überrumpelung Clausthals ankam, die Leichen da liegengeblieben waren, hatte sie mit Unsicherheit erfüllt. Dazu die wilden Berge, die finsteren Fichtenwälder und nun der Tod ihres Anführers, den sie für fest gehalten hatten. Wie sie sonst rücksichtslos und tapfer mit ihm draufgegangen waren, so kopflos und feige rissen sie jetzt ohne ihn aus. [19]      Auf der Osteröder Straße vor Löwes Haus ob es ein groß Gedränge. Die Weiber und Jungen hätten am liebsten den wackeren Schützen hochleben lassen, besonders die lateinischen Jungen mit ihrem Rektor; denn war nicht Bastel so ein Retter der Vaterstadt? Aber Richter und Rat machten bekümmerte Gesichter, während sie um die Leiche des Hillefeld standen. Würde nicht der wilde Christian von Braunschweig mit Heeresmacht anrücken, um den hinterlistig Ermordeten zu rächen? Osterode war schon um einer Schlägerei willen in Gefahr und Verlust geraten, und dieses war der Mord eines angesehenen Parteigängers! Sie krauten sich im Haare, konnten sich aber auch nicht ganz der Freude erwehren, daß sie vorläufig die unbequeme Einquartierung los waren.

     Zuletzt befahl der Richter, daß die Leiche aufgehoben und nach der Marktkirche geschafft würde. Dort wurde Hillefeld mit Stiefeln und Sporen, Degen und voller Ausrüstung hinter dem Altar, der damals weiter vorstand, begraben. 1689, als noch ein Stück an die Kirche angebaut werden mußte, soll man hinter dem Altare die Gewehrstücke gefunden haben.

     Für den Fall eines peinlichen Prozesses ließ der Rat es dem jungen Bastel stecken, daß er sich heimlich davonmache; eine Zeitlang müsse er sich verborgen halten. Der alte Löwe war damit einverstanden, so ungern er auch den Sohn bei den Pferden entbehrte, aber vor seinem Jungen hatte er auf einmal einen Heidenrespekt. Dem durfte kein Haar gekrümmt werden, den Bengel, der so blind zuschießen konnte! So was hätte er nicht fertiggebracht, und er war doch auch ein Kerl.


     Einige Wochen waren vergangen. Es war Herbst, und die Grummet lag auf den Wiesen. Da schritt ein Köhler von Kamschlacken her auf die Pixhaier Mühle und Buntenbock zu. Auf dem Rücken trug er den russigen Kälbersack. Die graue Jacke, die Lederhose, die Gamaschen hatten offenbar wochenlang auf und vor dem schwelenden Meiler gestanden und in der räucherigen Köthe gelegen. Keines Negers Gesicht konnte schwärzer sein als das dieses Waldteufels. Um so mehr schimmerte das Weiße der Augen und Zähne und das blühende Rot der Lippen. Wie es sich gehört, stützte er sich auf einen kräftigen Knüttel.

     Vor des alten Kurd Hause saß Anna. Sie war noch bleich, trug auch den linken Arm noch in der Binde, aber mit der rechten Hand führte sie in einem Topfe. Der Vater konnte doch nicht hungern. So gut es ging, mußte Essen beschafft werden. Da trat der Köhler zu ihr.

     „Brrr“, machte sie, „nee so wat!“

     „Gun Dag ok,“ sagte der Köhler.

     Sie mußte lachen.

     „Kümmt hei ut den Düwel sin Backaben? Womit kann ek deinen?“

     „De Junfer is mer noch en Kuß schillig.“

     Das Mädel mußte jetzt noch mehr lachen als vorher, dabei wurde aber ihr bleiches Gesicht flammendrot, dann lief sie in das Haus. Nach einer Weile kam sie mit Seife und einem großen Tuch zurück. Der Köhler zog sich an den fließenden Bottich, dort mußte er sich waschen, bis Bastel Löwes rundes frisches Gesicht glühend wie das ihre zum Vorschein kam.

     „Du bist en Keerl,“ sagte sie und hielt ihm die roten Lippen hin.

     Dann saßen Sie beiden Arm in Arm auf der Bank vor dem Hause. Ja, sie war wieder geheilt, und er konnte wieder nach Clausthal, da sich nichts von seiten des Obristen gerührt hatte. Wären sie auf der Suche nach ihm gegangen, wer hätte unter dem schwarzen Teufel an der Hanskühnenburg den Bastel Löwe erkannt?