Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Band: 58 (1889), ab Seite: 96. (Quelle)
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Woltmann, Alfred (Kunsthistoriker, geb. zu Charlottenburg bei Berlin am 18. Mai 1841, gest. in Mentone an der Riviera am 6. Februar 1880). Der Sohn eines königl. preußischen Bibliotheksbeamten, besuchte er das Gymnasium in Berlin und zeigte schon damals große Vorliebe für Kunst und alles damit Zusammenhängende, wozu er durch den häufigen Besuch der Gemäldegalerie des Museums in dieser Stadt angeregt wurde. Die Bekanntschaft mit dem kunstliebenden k. pr. Oberfinanzrath Sotzmann förderte ihn in seinen Neigungen, welche durch den Verkehr mit kunstliebenden und fördernden Freunden Sotzmann’s, die sich in dessen Hause zu versammeln pflegten, wir nennen Friedrich von Raumer, Rudolf Köpke, Ernst Guhl, Waagen, nur noch mehr Nahrung und durch Letzteren, der ihn mit Schnaase und und Lübke bekannt machte, endlich auch eine bestimmte Richtung erhielten. Nachdem er 1860 das Gymnasium beendet hatte, widmete er sich zunächst zwei Jahre in Berlin kunstgeschichtlichen Studien, ging dann nach München, wo ihm die Pinakotheken ihre Schätze erschlossen, und von München nach Breslau, wohin mittlerweile sein Vater als Universitätsbibliothekar übersiedelt war. Daselbst erwarb er 1863 den philosophischen Doctorgrad. 1865 besuchte er zum ersten Male Wien, wohin er später so oft als möglich zurückkehrte, da er dort Freunde und immer neue Anregungen zu seinen Forschungen fand. Mittlerweile hatte er seine erste größere Arbeit, wozu er in den reichen Kunstmappen Sotzmann’s wohl die nächste Anregung erhalten haben mochte, nämlich sein Werk über Holbein vollendet, das unter dem Titel erschien: „Holbein und seine Zeit“, 2 Theile (Leipzig 1866, Seemann, gr. 8°., I. Th. XVI und 376 S. mit 16 Holzschnitten und 1 Photolithogr.; II. Theil XX und 396 S. mit eingedruckten Holzschnitten und 9 Holzschnitttafeln in 8°. und 4°., mit Supplement S. 401–496 das Verzeichniß der Werke Holbein’s nebst Namen- und Sachregister). Woltmann zählte damals 25 Jahre. Der Fürsten Czartoryski „Recensionen und Mittheilungen über bildende Kunst“ brachten schon in den Jahrgängen 1863, 1864 und 1865 einige fragmentarische Artikel Woltmann’s über Holbein, deren wir nur obenhin gedenken, da sie ja im größeren Werke enthalten sind. Ungeachtet mannigfacher, und zwar nicht unwesentlicher Irrthümer, welche er in der zweiten umgearbeiteten Auflage (Leipzig 1874) offen eingestand, war es doch eine Arbeit, die bei seinen Kunstgenossen volle und verdiente Würdigung fand und den Beweis für die eingehenden [97] Studien des Verfassers im großen Gebiete der Kunst abgab. Durch dieses Werk war Holbein dem großen Publicum eigentlich erst bekannt gemacht und diesem Maler der ihm gebührende Platz an Dürer’s Seite gesichert worden. Zugleich wirkte Woltmann als Docent an der Universität Berlin, schrieb für verschiedene kunstgeschichtliche und andere Zeitschriften, so für Lützow’s „Zeitschrift für bildende Kunst“, für die Berliner „National-Zeitung“ und andere Blätter kunstgeschichtliche und kunstkritische Artikel, hielt nebstbei in der Singakademie und in dem damals von der liberalen Partei gepflegten Handwerksbildungsvereine Vorträge über sein Fach und demselben Verwandtes und eröffnete im Sommer 1868 an der Universität Vorlesungen über die bis dahin kaum beachtete Baugeschichte Berlins. Seine Absicht, diesen Gegenstand, nach dem Beispiele Kugler’s und Lübke’s, welche die Kunstgeschichte Pommerns und Westphalens geschrieben, in einem besonderen Werke zu behandeln, wurde durch seine Berufung an das Polytechnicum in Karlsruhe vereitelt. Kam aber auch in dieser Richtung sein Vorhaben nicht zur Ausführung, so überarbeitete er doch 1871, als nach den großen politischen Ereignissen jener Tage und der beginnenden Vergrößerung Berlins sich der Mangel an einer Darstellung der architektonischen Vergangenheit der neuen Reichshauptstadt recht sehr fühlbar machte, seine oben erwähnten Vorlesungen und ließ sie unter dem Titel:, „Baugeschichte Berlins bis auf die Gegenwart“ (Berlin 1872, Paetel, mit zahlreichen Holzschn., VIII und 312 S., gr. 8°.) als Buch erscheinen. Fünf Jahre hatte er als Lehrer in Karlsruhe gewirkt und in den Ferien während dieser Zeit die Materialien gesammelt, welche er dann in seinem Werke „Geschichte der deutschen Kunst im Elsass“ (Leipzig 1876, Seemann, mit eingedr. Holzschn., XVI und 335 S., gr. 8°.) verwerthete, als er dem Rufe auf den in der Zwischenzeit, 1873, an der Prager Universität gegründeten Lehrstuhl für Kunstgeschichte folgte. Da ihm durch Vermächtniß die an kunstgeschichtlichen Materialien reichen Schriften Waagen’s zugefallen waren und durch die neuen Entdeckungen auf dem Gebiete der Kunst Kugler’s bereits in 3. Auflage erschienenes Werk über die „Geschichte der Kunst“ auch den Anforderungen der Zeit nicht mehr genügte, trug er sich mit dem Gedanken, eine Geschichte der Malerei zu schreiben. Sein Lehramt an der Prager Hochschule bestimmte ihn vorab zu eingehenden Studien über die böhmische Malerschule, über welche čechischerseits ohne rechte Begründung Arbeiten in die Welt gingen, die der Kritik des wahren Forschers nicht immer Stand hielten. Bei diesen Forschungen und Studien entdeckte er, daß die größte Zahl der Malernamen, welche sich auf Miniaturen im böhmischen Museum und an anderen Orten befinden und in die Kunstgeschichte Aufnahme gefunden, ihren Ursprung einem Fälscher verdankt. Es wiederholte sich, wie sie auf poetischem Gebiete sich abspielte, jetzt auf dem der Kunst die Geschichte der Königinhofer Handschrift. Woltmann, entschlossen, den Betrug aufzudecken, ließ sich durch die Vorstellungen, daß er in ein Wespennest steche und einen förmlichen Sturm gegen sich heraufbeschwöre, in keiner Weise von seinem Entschlusse abbringen. Das Erscheinen des Heftes des „Repertoriums für Kunstwissenschaft“, welches Woltmann’s Beitrag „Zur Geschichte der böhmischen Miniaturmalerei“ auch im Sonderabdruck [98] (Leipzig 1878, Seemann, 8°.), welcher eben die Fälschungen enthüllte, brachte, hatte sich verspätet, seine Aufdeckung der Fälschungen war auch nicht Geheimniß geblieben, und so kam ihm die čechische Museums-Zeitschrift mit der Enthüllung zuvor. Doch entging er seinem Schicksale nicht. In einem am 25. November 1876 im deutschen Schriftsteller- und Künstlerverein „Concordia“ zu Prag gehaltenen Vorträge hatte Woltmann über die deutsche Kunst in Prag gesprochen, worin er nachwies, daß die Kunst in Prag von Deutschen eingeführt, daß Böhmen in kunstgeschichtlicher Beziehung eine deutsche Provinz sei, und daß die späteren fremden Einflüsse wenigstens von Deutschland her übermittelt worden seien. Dieser Vortrag erschien auch gedruckt (Leipzig 1878, 8°.). Woltmann hatte an vier im böhmischen Museum und an einem in der Prager Dombibliothek befindlichen Codex, welche sämmtlich französischen und italienischen Ursprungs sind, und dann noch an einem sechsten, welcher allerdings in einem čechischen Kloster geschrieben ist, die Fälschungen nachgewiesen. Dieselben geschahen folgendermaßen: es wurden in die Miniaturbilder der Codices zumeist auf die sogenannten Spruchbänder theils erfundene Namen čechischer Schreiber und Maler, die gar niemals existirt hatten, theils čechische Phrasen in alterthümlicher Schrift gemalt. Als Fälscher ward der Erfinder der Königinhofer Handschrift bezeichnet. Diese Nachweise fanden aber im großen Publicum, welches dieselben als eine Beleidigung der Nation ansah, eine nichts weniger als freundliche Aufnahme. Eine tobende und lärmende Menge störte zu wiederholten Malen Woltmann’s Vorlesungen und wählte dieses Mittel, um den unliebsamen Forscher von seiner Lehrkanzel und so aus Böhmen zu entfernen. Dieser aber ließ sich nicht einschüchtern, die Universitätsbehörde trug Sorge, daß weitere Störungen nicht vorkamen. Auch die von anderer Seite ausgesprochene Drohung, den deutschen Professor wissenschaftlich abzuthun, was der einzig richtige Weg war, kam aus leicht begreiflichen Gründen nicht zur Ausführung. Aber diese Vorfälle, wenn sie auch nicht den Muth des jungen Gelehrten brachen, verleideten ihm doch den Aufenthalt in Prag, und als nach Springer’s Scheiden von Straßburg dort der Lehrstuhl der Kunstgeschichte (1873)[WS 1] erledigt war, folgte er gerne dem an ihn ergangenen Rufe. Wie früher schon von Karlsruhe und von Prag aus, so hielt er nun auch während seines nur sehr kurzen Aufenthaltes in Straßburg wiederholt in Städten des Rheinlandes kunstgeschichtliche Vorträge, von denen ein Theil in seinem Werke „Aus vier Jahrhunderten niederländisch-deutscher Kunstgeschichte“ (Berlin 1878) im Druck erschienen ist. Im rauhen Frühjahre 1879 besuchte er abermals, an ihn ergangenen Einladungen folgend, verschiedene Städte Norddeutschlands. Nun aber trat die Krankheit, zu der er schon seit Jahren den Keim in sich getragen, den seine hochaufgeschossene Gestalt nur ahnen ließ, offen hervor, wahrscheinlich durch die Strapazen, die mit solchen Wandervorträgen verbunden sind, nur noch mehr gezeitigt. Er kämpfte wohl mit der ganzen Kraft eines starken Geistes dagegen an und arbeitete fleißig an seiner „Geschichte der Malerei“, wovon die ersten Hefte in rascher Folge erschienen. Auch führte er die Redaction des „Repertoriums für Kunstwissenschaft“, welche er noch in Prag mit Hubert Janitschek gemeinschaftlich übernommen [99] hatte, weiter fort. Ein Aufenthalt im Süden wurde indessen bei der Steigerung seines Leidens nothwendig. Als er jedoch die Riviera erreichte, erwies sich das Uebel bereits so vorgeschritten, daß er, da besonders das Wetter sehr schlimm war, das Zimmer hüten mußte. Auf ärztlichen Rath wählte er Bordighera zu seinem Aufenthalte und ließ dorthin seine Schwester nachkommen. Von Bordighera siedelte er später nach Mentone über, wo ihn aber schon nach wenigen Wochen im Alter von erst 39 Jahren der Tod erlöste. An seiner „Geschichte der Malerei“ hatte er gearbeitet, so lange seine Kräfte es ihm gestatteten. Die erste Hälfte des zweiten Bandes war druckfertig, als er starb. Außer den erwähnten Schriften verfaßte er noch für Grieben’s „Reisebibliothek“ das 15. Heft: „Das königliche alte Museum zu Berlin“, wovon vier Auflagen erschienen (Berlin 1859–1861, IV und 90 S., kl. 8°.); für die von Rud. Virchow und Fr. v. Holtzendorff herausgegebene „Sammlung gemeinverständlicher wissenschaftlicher Vorträge“ das 31. Heft: „Die deutsche Kunst und die Reformation“ (Berlin, Luderutz, 40 S. mit 2 Holzschnitttafeln, gr. 8°.). Wenn sich Woltmann von leidenschaftlicher Heftigkeit öfter hinreißen ließ, so lag dies ebenso in seiner Krankhaftigkeit, wie in der Zeit, in welcher die Jugend in der Selbstvergöttlichung und Sichverhimmelung das Höchste leistet. Im Ganzen war er in seinem Fache gründlich unterrichtet, seine Werke sind schöne Beweise seines regen Forschergeistes und Scharfsinnes, und ist sein Tod umsomehr zu bedauern, als von dem abgeklärten Forscher noch Schönes zu erwarten war.

Allgemeine Zeitung (Augsburg, Cotta. 4°.) 26. August 1878, Nr. 238. S. 3505. – Dieselbe, 7. März 1880, Beilage 67: „Alfred Woltmann“. Ein pietätvoller Nachruf von Bruno Bucher. – Dieselbe. 18. Mai 1889, Nr. 137. Beilage: „Kunstgeschichtliches“. Von W. Lübke. – Presse (Wiener polit. Blatt) Localanzeiger. 3. Jänner 1878. Nr. 3: „Čechische Kunstfälschungen“.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: (1878). [Alfred Woltmann ging 1878 nach Straßburg]