Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Band: 56 (1888), ab Seite: 54. (Quelle)
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Wieser, Joseph (Stadtpfarrer und Propst des Collegiatstiftes in Bozen und Mitglied des Abgeordnetenhauses des österreichischen Reichsrathes, geb. zu Voellan, einem Dorfe in der Gemeinde Tisens in Südtirol, am 12. November 1828). Er widmete sich dem geistlichen Stande und erlangte am [55] 13. Jänner 1854 die Priesterweihe. In der Seelsorge thätig, wurde er zuletzt, 22. Jänner 1873, infulirter Propst des Collegiatstiftes in Bozen und Stadtpfarrer daselbst, zugleich Dechant des Bozener Decanates und Schuldistrictsaufseher. 1878 wählten ihn die geistlichen Corporationen Tirols in den Landtag und 1879 in den Reichsrath, in welchem er zu den Mitgliedern der Rechtspartei zählt. Im Landtage und Reichsrathe erscheint er als der streng clericale Vertreter seiner Partei, welche in Tirol die Oberhand behauptet. Aber weniger in dieser Richtung, in welcher es ihm nach der ihm zustehenden freien Meinungsäußerung gestattet ist, seinen Parteistandpunkt zu behaupten, wenn das politische Glaubensbekenntniß seiner Partei auch Anderen mißliebig erscheint, weniger in dieser Richtung, denn durch seine Unduldsamkeit als Priester und in seiner privatrechtlichen Stellungnahme als österreichischer Staatsbürger, der er auch im Priestergewande bleibt, ist sein Name schon öfter genannt worden. Im Frühjahr 1878 starb auf der Durchreise in Bozen ein sächsischer Officier protestantischer Confession, zu dessen Beerdigung auf dem dortigen katholischen Friedhofe der Prediger der evangelischen Gemeinde aus Meran herbeigerufen wurde. Als dieser jedoch mit der Leiche vor der Friedhofspforte erschien, verweigerte ihm Propst Wieser den Eintritt, der erst durch die Dazwischenkunft und das Einschreiten der städtischen Behörde für die Leiche, nicht aber für den evangelischen Prediger erlangt werden konnte. Wiederholte Beschwerden des Propstes gegen den Magistrat von Bozen zunächst bei der Statthalterei in Innsbruck, dann bei dem Ministerium in Wien wurden als unbegründet entschieden zurückgewiesen und dem Propste die für dergleichen Fälle erlassenen und in Kraft stehenden Gesetze in Erinnerung gebracht. Die statthalterliche und ministerielle Zurechtweisung genügte jedoch dem Propste nicht, er brachte seine Beschwerde an die höchste Berufsinstanz des Reiches, an den k. k. Verwaltungsgerichtshof, der ihn ebenfalls zurück- und auf die Pflicht, den Staatsgesetzen Folge zu leisten, hinwies. Ungeachtet dessen verhielt er sich in gleich intoleranter und gegen die Gesetze verstoßender Weise einige Monate später, als am 7. Februar 1879 die Leiche einer protestantischen Frau durch den evangelischen Prediger aus Meran auf dem katholischen Friedhofe in Bozen bestattet werden sollte. Es bedurfte wieder der Dazwischenkunft eines Magistratsrathes, der dem Propste sagen ließ, diese fruchtlosen Demonstrationen zu unterlassen, widrigenfalls er die Folgen zu tragen haben werde. Diese Erklärung und das ernste und würdige Verhalten der Menge, welche diesen unliebsamen Scenen beiwohnte, still die Dinge erwartend, die da kommen würden, wirkten insoweit, daß dem nahenden Leichenzuge der unbeanständete Eintritt in den Friedhof gewährt wurde, auf welchem dann die Bestattung ordnungsmäßig vor sich ging. Aber nicht nur in seiner gegen die Gesetze verstoßenden Intoleranz gibt der Propst ein des Priesters der Kirche unwürdiges Beispiel; er geht noch weiter, indem er durch das Gesetz sanctionirte Abgaben verweigert. Seit dem Jahre 1874 sind die höheren Geistlichen, die Cardinäle, Erzbischöfe, Bischöfe, Pröpste u. s. w., in Oesterreich durch das Gesetz verpflichtet, aus ihren reich dotirten Pfründen einige Procent zu dem sogenannten Religionsfond zu steuern, welcher zu einer Erhöhung des Gehaltes der [56] armen Geistlichen verwendet wird. Während nun bisher von der höheren katholischen Geistlichkeit Niemand sich geweigert, aus seinem Ueberfluß ein Scherflein dem armen nothleidenden geistlichen Bruder zukommen zu lassen, hat Propst Wieser in Bozen dieses Gesetz nicht erfüllt; er hat aber auch gegen dieses Gesetz keine Einsprache erhoben oder sein Zahlungsunvermögen nachgewiesen, sondern einfach nicht gezahlt und bei wiederholten Anmahnungen und Drohungen der Behörden hartnäckiges Schweigen beobachtet, so daß sein Rückstand bei der Steuerbehörde sich bereits auf die ansehnliche Summe von 1358 fl. erhob. Da alle Ermahnungen nichts fruchteten, sah man endlich sich genöthigt, amtlich einzuschreiten, und die Finanzbehörde ordnete die Beschlagnahme der in den Händen des Propstes befindlichen zum Kirchenvermögen gehörigen Werthpapiere an, deren Coupons einen Theil seiner Besoldung ausmachen. Als Wieser und die zwei Kirchenpröpste die Oeffnung der Casse verweigerten, wurde aus Innsbruck ein Finanzbeamter nach Bozen abgeordnet, welcher durch zwölf Arbeiter die schwere Ca sie sammt ihrem Inhalte nach dem Kreisgerichte hinüberschaffen ließ. Dann ward am 31. März 1879 in Anwesenheit eines Commissärs der k. k. Bezirkshauptmannschaft, eines Delegirten des Kreisgerichtes und eines Finanzbeamten aus Innsbruck und schließlich von Seite der Kirche eines Kirchenpropstes die Casse des Prälaten Wieser amtlich eröffnet, und man entnahm zur Deckung der Forderungen des Aerars, sowie der Verzugszinsen und Kosten im Gesammtbetrage von 1679 fl. Coupons von den in der Casse deponirten Pfandbriefen der Bodencreditanstalt. Nachdem dies geschehen, theilte man dem Propste Wieser mit, daß die Casse nunmehr wieder zu seiner Verfügung stehe und er sie zurückholen lassen könne. Wie das Beispiel der Steuerverweigerung des Propstes aber bereits wirkte, beweist der Umstand, daß der Pfarrer eines in der Nähe von Bozen gelegenen Dorfes gleichfalls sich weigerte, seine Steuer zu entrichten, so daß die Bezirkshauptmannschaft sich genöthigt sah, dem widerspenstigen Seelenhirten seine beste Kuh abpfänden zu lassen. Ehe jedoch zum gerichtlichen Verkaufe des Thieres geschritten wurde, hatte der Pfarrer eines Besseren sich besonnen und die rückständige Steuer bezahlt. Von einem Joseph Wieser erschien 1873 bei Seißer in Trient das Werk: „Pauli apostoli doctrina de justificatione ex fide sine operibus et ex fide operante biblico-dogmatice discussa et illustrata“ (gr. 8°.). Ob unser Bozener Propst Joseph Wieser Verfasser dieses Werkes ist, wissen wir nicht.

Allgemeine Zeitung (Augsburg, Cotta, 4°.) 17. Februar 1879, Nr. 48; 25. Februar 1879, Nr. 56; 11. März 1879, Nr. 73; 6. April 1879, Nr. 96, in der Rubrik: „Aus Südtirol“.
Porträt. Im Gruppenbilde der Abgeordneten des österreichischen Reichsrathes, welches die „Neue illustrirte Zeitung“ (Wien, Zamarski) im VIII. Jahrgange (1880) Nr. 22 brachte.