BLKÖ:Widmann, Joseph Victor

Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Widmann, Christian
Band: 55 (1887), ab Seite: 250. (Quelle)
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Widmann, Joseph Victor (Dichter und Schriftsteller, geb. zu Nennowitz [251] in Mähren am 20. Februar 1842). Von österreichischen Eltern geboren. Sein Vater war früher Cisterciensermönch im Stifte Heiligenkreuz nächst Baden bei Wien, verließ aber sein Kloster und rettete sich mit seiner Familie in die Schweiz, wo er zum Protestantismus übertrat und 1845 protestantischer Pfarrer zu Liestal in Basel-Land wurde. Dort verlebte der Sohn seine Jugendjahre, besuchte daselbst auch die Schulen, aber der häusliche Unterricht übte nachhaltigeren Einfluß auf das empfängliche Gemüth des Knaben, da der Vater denselben im Latein und Griechischen, die Mutter in der Musik unterrichtete, welch’ Letztere durch ihre Kunst, auf dem Flügel zu phantasiren, selbst einem Beethoven Bewunderung entlockt hatte. Als er herangewachsen war, besuchte er das Pädagogium in Basel, wo Wilhelm Wackernagel als Lehrer wirkte und der väterliche Freund des begabten Jünglings wurde, welcher schon in poetischen Arbeiten sich versuchte. 1862–1864 studirte er in Heidelberg, dann bis 1865 zu Jena Theologie, dem Willen des Vaters folgend, daneben aber vorwiegend mit philosophisch-literarischen Studien beschäftigt, welche ihn weit mehr anzogen, als das nicht frei gewählte Brotstudium. Nachdem er 1865 das Staatsexamen gemacht, sich noch im nämlichen Jahre verheiratet und eine Reise nach Italien unternommen hatte, erhielt er nach seiner Rückkehr eine Stelle als Organist und Musikdirector in Liestal, dann im nächsten Jahre den Pfarrhelferposten zu Frauenfeld im Canton Thurgau, worauf er 1868 das ihm von den Berner Schulbehörden angetragene Amt eines Directors der Mädchenschule in Bern übernahm. Zwölf Jahre war er in dieser Eigenschaft thätig gewesen, als 1880 die Umgestaltung der Schulverhältnisse erfolgte. Aus Anlaß derselben verabschiedet, trat er in die Redaction des Berner politischen Blattes „Der Bund“, in welchem er bis zur Stunde noch wirkt. Widmann, eine tief poetisch angelegte Natur, gab bisher eine Reihe von Dichtungen dramatischer und epischer Gestaltung heraus, welche die Aufmerksamkeit der gebildeten Kreise auf den Poeten gerichtet und dieselben, da er nichts weniger als dem unpoetischen ekelerregenden Pessimismus der modernsten Buchschreiber huldigt, für ihn eingenommen haben. Wir lassen die Titel der Werke dieses nach seinen Eltern und seiner Geburt Oesterreich angehörigen Poeten nach ihrer Erscheinungszeit folgen: „Der geraubte Schleier. Dramatisirtes Märchen nach Musäus“ (Winterthur 1864, Lucke, 81’.); – „Erasmus von Rotterdam. Schwank aus der Reformationszeit“, anonym (1865); – „Iphigenie in Delphi. Ein Schauspiel“ (Winterthur 1865, 8°.); – „Arnold von Brescia. Trauerspiel in 5 Aufzügen“ (Frauenfeld 1866, Huber, 8°.); – „Orgetorix. Ein Trauerspiel. Dem schweizerischen Volke“ (ebd. 1867, Huber, 8°.); – „Buddha. Epische Dichtung in 20 Gesängen“ (Bern 1869, Dalp, gr. 8°.); – „Kalospintochromokrene oder der Wunderbrunnen von Is. Ein „Ritt ins romantische Land“ mit manchen Rösselsprüngen in die modernste Gegenwart. Ausgeführt als epische Dichtung in zwölf Gesängen. Von Messer Ludovica Ariosta Helvetica“ (1873); – „Mose und Zipora. Ein himmlisch-irdisches Idyll in zwölf Gesängen“ (Berlin 1874, Springer, gr. 8°.); – „Der Widerspänstigen Zähmung. Oper. Musik von H. Götz“ (1875); – „An den Menschen ein Wohlgefallen. Pfarrhausidylle“ (Zürich 1877, Schmidt, gr. 16°.); – „Das Festgedicht. Komödie in zwei Aufzügen“ (Bern 1873, Dalp, gr. 8°.), beim Künstlerfest in Bern 1873 aufgeführt; [252] – „Die Königin des Ostens. Schauspiel“ (1880); – „Oenone. Trauerspiel“ (1880); – „Rector Müslin’s italienische Reise“ (1881); – „Aus dem Fasse der Danaiden. Zwölf Erzählungen“ (1884); – „Der Redacteur. Als Mädchen. Zwei spanische Novellen“ (1884). Bornmüller nennt Widmann eine poetisch angelegte, künstlerisch organisirte Natur, die bisher nicht so anerkannt ist, wie seine Leistungen es verdienen. Hatte er schon in seiner einen Goethe’schen Plan verwirklichenden „Iphigenie in Delphi“ ein glänzendes Talent offenbart, so zeigten die folgenden Dramen „Arnold von Brescia“ und „Orgetorix“ in glücklicher Ueberwindung der lyrischen Ueberfülle einen erfreulichen Fortschritt und eine strenge Zucht, die der Dichter an sich selbst übte, was Alles in noch höherem Grade in seinen späteren Dramen „Die Königin des Ostens“ und „Oenone“ hervortritt. Auch im Epos, sowohl im ernsten als im humoristischen, bewegt sich der Dichter mit Leichtigkeit, Sicherheit und Grazie, und sein Idyll „An den Menschen ein Wohlgefallen“ ist geradezu ein Edelstein im Schatze der neueren deutschen Dichtung. Unter den schweizerischen Dichtern der Gegenwart, meint Bornmüller, ist außer Leuthold und Gottfried Keller keiner, der ihm die Palme streitig machen könnte; in der Beherrschung der Form steht selbst Letzterer hinter ihm zurück. Eine Anerkennung seines poetischen Schaffens ist Widmann von Seite der philosophischen Facultät der Universität Bern zutheil geworden, da ihm diese den Doctortitel verliehen hat.

Stern (Adolf). Lexikon der deutschen Nationalliteratur. Die deutschen Dichter und Prosaiker aller Zeiten mit Berücksichtigung der hervorragendsten dichterisch behandelten Stoffe und Motive (Leipzig 1882, bibliograph. Institut, br. 12°.) S. 388. – Bornmüller (Franz). Biographisches Schriftsteller-Lexikon der Gegenwart. Die bekanntesten Zeitgenossen auf dem Gebiete der Nationalliteratur aller Völker mit Angabe ihrer Werke (Leipzig 1882, Bibliogr. Institut, br. 12°.) S. 766. – Blätter für literarische Unterhaltung (4°.) 1868, S. 631; 1869, S. 595. – Unsere Zeit (Leipzig, Brockhaus, Lex. 8°.), neue Folge 1869, S. 550; 1876, S. 28 und 33. – Allgemeine Zeitung (Augsburg, Cotta, 4°.) 1869, S. 4547; 1874, S. 1729; 1876, S. 5372; 1880, S. 34.