BLKÖ:Tschinkel, Emanuel
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich | |||
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Band: 48 (1883), ab Seite: 49. (Quelle) | |||
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[50] im Jahre 1848–1850 bei Lobositz diese Rohproducte auch in Böhmen zur Production gelangten und allmälig diese Industrie vom Magdeburger Markte frei und unabhängig gemacht wurde. So waren die Tschinkel die Ersten, welche den Anbau der Cichorienwurzel in Oesterreich im Großen einführten. Zu Beginn der Siebenziger-Jahre wurden bei Lobositz dazu nicht weniger denn 6000 Joch verwendet und bald danach die Cichorienfabrik gegründet, welche in kurzer Zeit einen großartigen Aufschwung nahm. Aus dem in Schönfeld gepflanzten Stamme der heutigen Firma „Tschinkel August Söhne“, deren Chef Emanuel Tschinkel war, entwickelten sich nach und nach andere gesunde, dem Consumtionsbedarfe des Landes entsprechende, durchaus großartige Unternehmungen, und zwar die Cichorien- und Chocoladefabrik und americanische Kunstmühle in Schönfeld; die Cichorien- und Canditenfabrik in Lobositz; die Cichorien-, Feigenkaffee- und Südfrüchtecanditenfabrik in Laibach; die Zuckerfabrik in Lobositz; die Dampfmühle in Prosmik; die Bierbrauerei mit Maschinenbetrieb in Tschischkowitz; die Brodbäckerei in Sullowitz; die Kalk- und Ziegelbrennerei in Lobositz; die Braunkohlenwerke in Dux; die Glasfabrik, Flachsgarnspinnerei und Brettersäge in Hüttengrund und acht Rübendörrhäuser mit 50 Cylindern. Alle diese Industrien verarbeiten große Mengen Rohproducte, liefern ansehnliche Quantitäten Fabricate und beschäftigen im Ganzen ohne die Maschinen mehrere Tausend Menschen. Die Kaffeesurrogatfabrik in Schönfeld erzeugt jährlich 50.000 Centner Kaffeesurrogate und beschäftigt 200 Arbeiter, wird mit Wasser- und Dampfkraft betrieben, besitzt einen Kranken-Unterstützungsverein, Arbeiterhäuser, eigene Fabriksrestauration, Tischlerei, Schmiede, Binderei und Klempnerei; die Chocoladefabrik daselbst producirt bei 120 Arbeitern jährlich an 3000 Centner Chocolade und eine große Menge in dieses Fach einschlagender Luxusartikel; die amerikanische Kunstmühle ebenda, 1855 gegründet, arbeitet mit Wasserkraft und vermahlt jährlich 10.000 österreichische Metzen Getreide. Die Kaffesurrogatfabrik in Lobositz, 1854 gegründet, mit Dampfbetrieb, verarbeitet ein Productionsquantum von 80.000 Centnern jährlich und beschäftigt 600 Arbeiter, welche meist in eigenen großartigen Arbeiterquartieren untergebracht sind; auch hier befinden sich Schmiede, Binderei, Tischlerei, Schlosserei, Papierfärberei, dann eine Buch- und Stereotypendruckerei (acht Hand- und zwei große mit Dampf betriebene Schnellpressen), die lediglich zur Erzeugung der Etiquetten dient. Der tägliche Bedarf an Papier übersteigt hundert Rieß, ohne die Emballage, die täglich 8000–9000 Faßdauben und Kistenbretter erfordert, welche die Fabrik in ihren eigenen Brettsägen in Eichenwald und Hüttengrund gewinnt. – Die Canditenfabrik zu Lobositz erzeugt mit 100 Arbeitern ein jährliches Productionsquantum von 6000 Centnern Zuckerwaaren. – Die Feigenkaffeefabrik in Laibach besteht seit 1865 und ist mit ihr später eine Cichorienkaffee-Erzeugung und 1870 eine Südfrüchtecanditenfabrik verbunden worden. Das Productionsquantum dieser Industriezweige beträgt 15.000 Centner Feigenkaffee, 15.000 Centner Cichorienkaffeesurrogat, 2000 Centner candirte Südfrüchte nach Görzer und Lyoner Art und viele Tausend Flaschen Compots. Die Fabrik beschäftigt 200 Arbeiter und wird mittels einer Dampfmaschine [51] von 24 Pferdekräften betrieben. – Die Oekonomie zu den vorgenannten Fabricationen besteht aus 6000 Joch Acker des besten Bodens des Landes, worauf 400.000 Centner Zuckerrüben, 15.000 Centner Cichorienkaffee, 12.000 Centner Mohrrüben und 80.000 n. ö. Metzen Getreide, dann die nothwendigsten Futterstoffe, meistens Klee, überdies Rüben und Gerste gebaut werden. Die Oekonomie ist in fünfzehn Verwaltungsbezirke getheilt und wird durch einen Director, fünfzehn Verwalter, zehn Adjuncte und fünfzig Schaffner und Aufseher geleitet. Die Anzahl der Arbeiter beträgt etwa 2000, welche zum größten Theile in achtzig eigenen Arbeiterhäusern untergebracht sind. Der Viehstand besteht aus 250 Stück Pferden, 800 Stück Zugochsen, 2000 Stück Nutz- und Jungvieh, 1800 Stück Schafen. An diese Oekonomie schließen sich an: Rübendörren in acht Dörrhäusern mit zusammen 50 Cylindern, in welchen 100.000 Centner getrocknete Rüben erzeugt werden, und eine Zuckerfabrik mit acht Dampfmaschinen, zusammen 100 Pferdekräfte, mit 7 Dampfkesseln, 10 hydraulischen Pressen und 500 Arbeitern. – Die Dampfmühle in Prosmik bei Lobositz enthält vier Mahlgänge mit 24pferdekräftiger Dampfmaschine. Vermahlen werden jährlich 30.000–35.000 Metzen Weizen und Roggen. Die Mühle hat eigene Verwaltung, beschäftigt dreißig Arbeiter und producirt jährlich 25.000 Centner Mehl. – Die Brodbäckerei zu Sullowitz bei Lobositz erzeugt jährlich 15.000 Centner oder 300.000 Laib Brod. Das Mehl liefert die eigene Mühle. Die Leitung führt ein Verwalter, in Verwendung stehen zwanzig Bäckerburschen. – Die Bierbrauerei in Tschischkowitz beschäftigt mit der damit verbundenen Malzfabrik eine 15pferdekräftige Dampfmaschine und eine englische Malzdarre, erzeugt jährlich 35.000–40.000 Eimer Bier und 15.000 Centner zum Verkauf bestimmtes Malz. Unter eigener Geschäftsleitung hat sie dreißig Brau-und Bindergehilfen. – Die Kalk- und Ziegelbrennerei bei Lobositz besteht aus sechs englischen Kalk- und zehn Ziegelöfen, liefert jährlich 200.000 Centner Kalk und circa 400.000 Mauerziegel. Das Rohmaterial, Kalkstein und Lehm, wird auf eigenem Grund und Boden gewonnen. Dieser Kalk – hydraulischer Cementkalk – wird größtentheils nach dem Auslande mittels Bahn oder zu Schiff verfrachtet. Beschäftigt sind hundert Arbeiter. – Die Braunkohlenwerke bei Dux bestehen aus achtundzwanzig Grubenfeldmassen, zwei Förderschachten mit zwei Fördermaschinen zu je fünfzig Pferdekräften. Die Erzeugung beträgt jährlich 1,800.000 Centner Braunkohle, die beste des Duxer Kohlenbeckens. Die Leitung steht unter eigener Direction, der Arbeiterstand ist sechzig Mann. – Die Glasfabrik in Hüttengrund bei Teplitz erzeugt in zwei Schmelzöfen jährlich 36.000 Bund seiner Reinheit wegen sehr gesuchtes Tafelglas. Das Ganze steht unter eigener Verwaltung. Beschäftigt werden sechzig Arbeiter, die in einer eigenen Arbeitercolonie untergebracht sind. – Endlich die Flachsgarnspinnerei in Hüttengrund wird von einer 50pferdekräftigen Maschine getrieben und hat 2500 Spindeln. Das Rohmaterial liefert die nächstgelegene Gebirgsgegend. Emanuel Tschinkel, so lange er lebte, führte mit seinen Brüdern Anton und Franz, und als er starb, diese mit Emanuels Sohne Raimund die Oberleitung sämmtlicher Industrien. Von Emanuel selbst ist [52] noch zu bemerken, daß namentlich ihm die rasche Aufstellung der an 200 Mann zählenden Oberkreibitz-Schönfelder freiwilligen Feuerwehr zu verdanken ist; ferner daß er sich wesentliche Verdienste um das Zustandekommen der böhmischen Nordbahn erworben und daß von ihm in der Eisenbahnstation Schönfeld die treffliche Restauration nebst den herrlichen Parkanlagen ins Leben gerufen und 1870 vollendet wurde, jetzt ein von den gebildeten Classen der Umgebung und von Touristen stark besuchter Erholungsplatz. Um die Großartigkeit der Tschinkel’schen Industrien, die nicht nur zu den ersten in Oesterreich, sondern zu den großartigsten des Continents zählen, in einem kurzen Ueberblick zusammenzufassen, so sei erwähnt, daß dieselben für ihre sämmtlichen Geschäfte und Oekonomien an k. k. Steuern, Zuschlägen, Gemeinde-, Bezirks- und Schulumlagen jährlich bezahlen: 185.000 fl. ö. W., an Briefporto und Stempelgebühren jährlich 20.000 fl.; an Frachten 120.000 fl. Die Arbeiterlöhne betragen im Jahr 485.000 fl., die Gehalte der Beamten und Diener 90.000 fl. Die Anzahl der Beamten beziffert sich auf zusammen 108, jene der in eigenen Wohnhäusern untergebrachten Arbeiter auf 1800. Bei den Fabriken bestehen Krankencassen und in Lobositz eine Fabriksfeuerwehr von achtzig Mann. Die Kaffeesurrogate genießen Markenschutz. In Prag und Wien bestehen Niederlagen unter eigener Firma, Agenturen in allen Provinzialhauptstädten. Auszeichnungen sind dem Hause zutheil geworden: Medaillen in Paris 1855, in London 1862, in Wien 1866, in Paris 1867, der Staatspreis in Gratz 1870; dann wurden Anton Tschinkel 1865 als damaliger Chef des Hauses und 1866 Franz Tschinkel als Gesellschafter der Firma „Tschinkel August Söhne“ mit dem Ritterkreuze[WS 1] des Franz Joseph-Ordens ausgezeichnet und Beiden im Jahre 1873 anläßlich der Wiener Weltausstellung die Fortschrittsmedaille zuerkannt.
Tschinkel, Emanuel (Industrieller, geb. zu Schönfeld bei Kreibitz in Böhmen am 1. Jänner 1814, gest. 5. Juli 1871). Sein Vater August ist der Begründer der Cichorienkaffeefabrication in Oesterreich, welche einen ungeahnten Aufschwung nahm und noch heute einen ansehnlichen Industriezweig im Kaiserstaate bildet. August Tschinkel, gleichfalls aus Schönfeld bei Kreibitz gebürtig, beschäftigte sich anfänglich mit dem Zwirn- und Leinwandhandel, welcher ihn häufig in das Ausland, namentlich nach Nürnberg und vielen anderen Städten Bayerns und Hollands führte. Zur Zeit der Continentalsperre (20. November 1806) erlernte er bei einem holländischen Koch die Fabrication von Cichorien, die er dann kurz danach in Schönfeld betrieb. Die dazu erforderlichen Wurzeln bezog er viele Jahre hindurch aus Magdeburg, bis endlich nach glücklichen Versuchen mit dem Anbau von Zuckerrüben und Cichorien- Exner (Wilh. Franz Dr. ). Beiträge zur Geschichte der Gewerbe und Erfindungen Oesterreichs von der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts bis zur Gegenwart (Wien 1873, Braumüller, gr. 8°). Erste Reihe: „Rohproduction und Industrie“, S. 209. – Wiener Börsen-Zeitung, 1871, Nr. 31 im Feuilleton: „Emanuel Tschinkel“. – Prager Zeitung, 1865, Nr. 261: „Lobositz, 1. November. Ordensverleihung“. – Amtlicher Katalog der Ausstellung der im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder Oesterreichs. Weltausstellung 1873 in Wien (Wien 1873, Verlag der General-Direction, 8°.) S. 119, Nr. 685.
- Porträte. Auf einem Blatte: oben Anton, unten Raimund, rechts Emanuel und links Franz Tschinkel, in vier Medaillons. Holzschnitt ohne Angabe des Zeichners und Xylographen (4°.). – Ansichten der Laibacher Fabriken, der Cichorien- und Chocoladefabrik in Schönfeld, der Cichorienfabrik in Lobositz, der Zuckerfabrik in Lobositz, der Dampfmühle in Prosmik und der Flachsspinnfabrik und Glashütte in Hüttengrund bei Teplitz enthält das „Biographische Lexikon der Wiener Weltausstellung“, herausgegeben von Engel und Rotter, redigirt von Heinrich Frauberger[WS 2] (Wien [1873], Lex.-8°) auf S. 118, 119, 120, 121, 122 und 123.