Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Band: 44 (1882), ab Seite: 232. (Quelle)
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Thill, Karl (Humanist, geb. im Jahre 1812, gest. in Wien am 2. Mai 1868). Die Journale, welche die Nachricht von seinem Hinscheiden brachten, schrieben seinen Namen Thill, im Todtenprotokoll dagegen lautet derselbe: Dill. Die richtige Schreibung könnte nur durch seinen Taufschein festgestellt werden. Ueber den Lebens- und Bildungsgang des in Rede Stehenden ist uns nichts bekannt. Wir schicken voraus, daß wir in der nachstehenden Skizze journalistischen Mittheilungen folgen. Nach diesen zog er sich mehrere Jahre vor seinem Tode von dem Webergeschäfte, welches er bis dahin betrieben, zurück und begab sich seit dieser Zeit alljährlich einige Monate auf Reisen, die er meist zu Fuß machte. Sonst lebte er in seiner mehr als bescheidenen, ja geradezu ärmlichen, nur aus Zimmer und Küche bestehenden Wohnung in der Vorstadt Mariahilf in kümmerlicher Weise, obwohl er, wie es bekannt war, Vermögen besaß. Seine einzige Luxusausgabe bestand im Ankaufe von Büchern. Er verkehrte blos mit Wenigen seiner Bekannten und auch mit diesen nur sehr selten, ließ aber Niemanden in seine vier Wände ein. Eine Woche vor seinem [233] Tode verlautete es im Hause, daß er ernstlich erkrankt sei, und als man ihn gar nicht sah, wurden die Inwohner besorgt; endlich betrat man sein Zimmer und fand ihn entseelt auf dem Bette liegen. Die vorgenommene Leichenschau stellte fest, daß er eines natürlichen Todes gestorben sei. Als die gerichtliche Sperre angelegt wurde, sah man, wie ärmlich die Wohnung beschaffen: im Zimmer befand sich nicht einmal ein Ofen, das ganze Mobiliar bestand aus einem Bette mit Matratze, Polster und einem alten Rocke, der ihm als Bettdecke gedient hatte, aus einem Tische, einem Sessel und einem Bücherschranke, in welchem etwa sechshundert Bände aufgestellt waren; an Kleidungsstücken und Wäsche fanden sich vor: ein Mantel, ein Rock, eine Weste und ein Beinkleid, Alles von starkem Tuche, zwei paar Stiefel, ein Männer- und zwei Frauenhemden, letztere Erbstücke von seiner Mutter. Als man nun genauer nachsuchte, entdeckte man auf dem Bücherschranke hinter einer Reihe von Bänden versteckt ein Portefeuille, in welchem sich etwa 73.000 fl. in guten Werthpapieren befanden. Unter diesen lag auch sein Testament, das folgende Bestimmungen enthielt: Universalerbin des ganzen Vermögens ist die Commune Wien; diese hat von dem Gelde eine Mädchenschule im Bezirke Margarethen zu erbauen und zu erhalten. Ein paar Verwandte erhalten einen unbedeutenden lebenslänglichen Fruchtgenuß. Die Commune aber erbt nur unter der Bedingung, daß sie den Verstorbenen mit der ersten Classe des Institutes Entreprise des pompes funèbres bestatten lasse und auf seinen Sarg einen grünen Kranz niederlege! Die Beerdigung des von edlem Wohlthätigkeitssinne erfüllten Sonderlings wurde denn auch in obiger Weise ausgeführt. Diese ganz romantisch zugestutzten Zeitungsnachrichten erleiden durch Mittheilungen des Herrn Wiener Stadtarchivars Karl Weiß, an den ich mich gewendet und dem für dieselben hier mein Dank ausgesprochen sei, einige Modificationen. Thill (Dill) lebte nicht verlassen, sondern hatte bis zu seinem Tode eine Wirthschafterin bei sich. Das Vermögen, das er für eine unentgeltliche Arbeitsschule im Bezirke Margarethen testirte, betrug nicht 73.000, sondern 64.000 fl. Außerdem bestimmte er 15 fl. zur Errichtung und Erhaltung seines Grabes, und die feierliche Bestattung erfolgte nicht auf seine letztwillige Bestimmung, sondern auf Veranlassung der Commune. Ferner legirte er den Betrag von 4000 fl. den Kindern eines armen Webergesellen Namens Karl Scheidl, welches Capital nach eingetretener Volljährigkeit der Kinder herauszuzahlen sei, für den Fall aber, daß dieselben vor ihrer Großjährigkeit sterben, an die Stiftung zurückzufallen habe. Die Schwester des vorgenannten Karl Scheidl war eben die Wirthschafterin unseres Karl Thill (Dill) und verharrte bis zu dessen Tode bei ihm. Die Stiftung der weiblichen Arbeitsschule ist mittlerweile ins Leben getreten und wird von der Gemeinde verwaltet.

Presse (Wiener polit. Blatt) 1868, Nr. 128, in der „Kleinen Chronik“.